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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (June 23, 1899)
M seen-re- essen-»s Wdera und ein Vetter Martin M in deriel Stadt eb eni Kind wuchsen dort zusammen ones h-; Gier ward der Freunds ftsbund der den geschlossen, die i Leben in fortwährender Beziehung aufeinander verbringen sollten. Es war noch mehr eine Wahl- als eine Blutsverwandts schalt, obwohl Kilebberg und sein Vet ter so vervettert waren, wie es selten vorkommt. Sie waren die Söhne von Zwillinasschwesterm die am gleichen Tage die Zwillingsbriider Kiichberg die Aelteren geheiratbet hatten. Die beiden Jungen, Kilchberg und sein Vetter Martin, hatten allo Alles gemeinsam, Blut und Namen, Jugend und Erziehung Sie gingen zusam men in die Schule oder daneben; Eis ner stieg nicht obne den Andern über Nachbars Zaun, wenn die Aepfel nn Laube lachten und geftolslen sein woll ten, und Alles tbeilten sie briiderlrch Man nannte sie schon früh die Zwil lingsvettern Als Kirchberg die erste Cigarre bei den Steinhaufen vor der Stadt tauchte, hielt Martin ihm den Kopf. Als Martin feine erste Liebe liebte, ernies ihm Kilchberg einen abn licben Dienst, denn et ließ sich Mat tin’s Gedichte vorlesen. Die Summ tbie der Jünglingsjabre erreidrte den Höhepunkt, als Kilchberg mit feinem Vetter zugleich durch das Abiturien ten-Namen fiel. Die Legende wollte wissen. daß Einer von den Beiden sich dein Andern bei dieser Geleaenbeit aus Freundschaft geopfert bade. Nisch berg’s Vater war bei der schrecklichen Kunde ichmerierfiillt zu MartinI Vater gelaufen isnd batte diesem jam rnernd gesagt: »Tente dir, mein Sohn ist di·r-ebgefallen!" Woran der Andere entaegneie: »Trofte dich, meiner auch!« Welcher von Beiden aus Grolemutb eine ixngeniigente Prüfung abgelegt hatte, dar-. konnte nie mit voller Histori fckker Verläßlichteit klargestellt werden. Jn der böswilligen Erte der Familie-— bekanntlich aiebt es in jeder Familie eine rosnsillige Ecke, und manche be steht überhaupt nur ans solchen litten -—-«w1.rde diese Opferungggelchichte zwar für eine sinnreiche Fabel ertlört; aber den Vätern war es doch ein an boltender Trost, daß der Brudersfdbn auch nicht. melzr ,tauge. Jeder ließ unnenn- Iu weis-muten Unmittle mern, daß sein Sprösxlina aus jugend lichern Zartgesiilii den Vetter nicht bade beschämen wolle::. Rilchbera und sein Vetter waren nun von weiterem Kopf zerbrechen besreit und durften sich dem kaufmännischen Berufe zuwenden. Der Bund litt natürlich leinesweas dar-» unter. Anstatt den Thutndides miß-» zur-erstehen, drangen sie seldander in« die Gebeimnisse der doppelten BuchU siiliruna ein und erlernten den Stnl slotter Geschäftsbriese die man »mit; Bezug aus Ihr Werthes vom soundso-· vieltcn« beginnt und ,,rbne Mehranlasis mit Achtung« schließt. Sie wurden zrrei gediegene Schwengel, lebten sichl rasch in die Routine lxinein und wur-« den allmälig respettabeL I Ganz gleich waren sie allerdings nicht mehr. Rilchbera war der Bedeu-4 tendere Von den Beiden. tfr hatte tithnere Ideen. träumte anch zuerst dass von, sich selbstst« dia »du machen undi die Stadt durchs-Eine llnternehmunaenj in Staunen zu versetzen. Indessen war Martin der solidere Rechner, tbat nie einen Fuß vor den andern. ohne sich vorher die Traaweite dieses Schrittes wohl überleat zu haben. Aber sie lyarmonierten doch noch vollständia.Sie tauschten nach trie vor idre sämmtlichen Gebot-ten aus« die sreilich immer meins in Zissern ausgedrückt waren. Eis galt« ale ausgemacht« daß sie sich im mein-· neten Zeitpuntte fusammen etablirenp würden. Ueber de kommende Firmal stritt man ein wenig. Martin war ins seiner aemessenen Art siir etwas Ge- i wöhnliches und llnaussälliae8. Bei-. spielåweisu »Nicht-ern und Comp·« —« Der Andere aber wünschte ein oriainel-I les Schild, wie Eilet-been und Auch bera". oder vielleicht »Kilchberg und Vetter-« Gegen diesen letzteren Ge-; danten sprach sich Martin mit spring-l teit aus« denn er witterte dahinter-, Kilchberg’5 Pröpotenzx er, Martin,7 sollte wohl als Anhängsel, als stillerer eyeieutchaner mitgeschteobt werdens Bei msiilthberq und Kilchbersg« blieb es weniastens in der Schwebe, wer der Erste war. Bei »Kilchberg und Vetter«· waren Zweisel möatich. Ueberhaudt hatte Kitchberq durch sein sicheres Auf-· treten in der Gesellschaft die Leute schen daran gewöhnt, das tnan ihn,! Martin, nur ais den Herrn Martin»l oder Vetter Martin, oder gar nur alsl »den Vetter« tannte. tells ob er teinen eigenen Werth gehabt hatte und nur der Mond des leieehtenderen Kilchberg genesen wäre. Aas den Gesellschaften nnd Weibern machte sich Martin nichts riet, obwohl er auch wie Kktcnbeeg an das Heirathen dachte. ist trantte itm nicht isberrniisziq. wenn er aui Haqu bösen nnd Picknicks nur der Vetter Martin war, es klana soaar getniith lief-er. Aber im Geschästgteben, neintz Da war er selbst here Kitchber-1, min-j bestens so sehr wie der Andere, nnd da: er einen solideren Zug als der Anderei hatte, war es gar nicht augaeschlos l sen, das-, rnit der Zeit in der Firma « Kitctkbera und tsomp.« Martin alzt Her eigentliche Kilchberg gelten tviirdr.i So standen die Tin e, als Stilchberg aus einem Tanztränz n die Takt-teil Eines wohlhabenden tiisenfabritanten TM nnd das Geschäft ihres Vaters itik IWMR MMss tvar ein seh er Mann, aber er tru tin-; mer herrliche Cravatten. so da dies holde Jungfrau sich in aller Stille ausrechnete, er würde auch ihr an der Tollette nichts absvaren. Dann stellte He ch vor, tote ei wäre, wenn man e z rau Kilchberg nannte. Aus dieses Art verliebte sie sich in ihn. Jhr Va ter wollte jedoch den jungen Mann vor her »auslosten«, tvie er sagte. Alch bera müsse sich selbstständig zeigen, und zu diesem Behuse vertraute er ihm eine Niederlage seiner industriel len Erzeugnisse an; zuerst das Eisen sdon seinem Eisen, bevor an das Fleisch von feinem Fleisch gedacht werden kennte. A · Nil-harret war aroßmiithig genug, seinen Vetter in den eisernen Theil der Combination mit einhezieben zu wol len. , Es« spielte dabei allerdings auch die Eitvaanna mit, daß der Vetter durch seine Tiichtiatrit dem Geschäfte den inneren Halt geben würde und et, der aroszere Kilrhberg, srei bliebe für die Nerräsentation nach außen und den Au gilt-a zu Unternehmungen Der darnitte Vetter erhob aber Schwierig »teiten. Martin empfand ohnehin als eine Demüthiauna des Schicksals, dasz ihm noch leine wohhabende Jungfrau gelachelt hatte. Nun sollte er in die Firma ..Kilchbera nnd Vetter-" als zweiter Mann, als Vetter sür Lebens zeit eintreten. Dagean bäumle sich sein Stolz auf. Zugeständnisse wollte Kilchbera in dieser Frage nicht ma chen. Wem gehörte das eiserne Mäd chen, cus das die Niederlage sozusagen gegründet wurde? Ihm! Nun alsd. Von einer vollkommenen Gleichberech tianna tonnte doch unter diesen Um ständen nicht mehr die Rede sein. Es acht im Leben nicht anders. Der Eine ist mehr nnd hat mehr. als der Andere.i Darein muß man sich finden nnd ins eine so better-lich ja briiderlich hin aclkaltene Hand einschlagen. »Ich aber will von deiner Großmuth nichts wissen,« schrie Martin, in dem ein Verarsiihl des Classenunterschieds zu rixmoren b».knn. ,,Gleich und Gleich oder gar nicht!« »Weder Martin«, bemerlte Kilchberg daraus mit lleberleaenheit, »Gleich und Gleich aiebt es in der Welt nicht. Denn nicht einmal wir. die wir von gleichen Eltern abstammen und dieselben Er .innernr.aen, Anschauuraen und Wiin sehe t;aben, sind oder tönnen jemals aleich sein. Aus dem Unterschied nn lierer Anlagen erwacmr eine Verschie denheit unserer Verhältnisse. Das wirst tu gütiast nicht leugnen wollen, denn es drückt sich in etwas aus, wo-! vor du ebensodiel Resvelt hast wie ichs selbst: in Ziffern-" Martin entgegnete bitter: »Du aberi sprichst schon in deiner Eigenschaft als-s Protz, obwohl dcå noch ziemlich ver-1 siiiht ist. Uebrigens erkenne ich dar aus« rrelche Rolle du mir zudenlst Aber lieber will ich bei fremden Leuten dienen, als dein Schletspträaer werden, der du nur der Mann deiner Frau sein wirst-« »Das nimmst du zurückl« forderte Kilchberg. l »Das nehme ich nicht zuriick«, er tlärte Martin, der froh war, ein ver-, wundendes Wort gesunden zu haben,s weil er seit der Geschichte mit der ei sernen Dame innerlich von Neid ganzi nnd gar zerfressen war. »Dann kenne ich dich nicht mehr«« sagte Kilchberg Und Martin schloß· »Mehr fo, du behontelst mich schon alr- armen Ver wandten.« Sie kamen auseinander. Der Streit war nicht einmal besonders qroß ge wesen« Als Jungen hatten sie sich oft gerriigelt, als Jünalinge einander gar nicht selten brüderlich beschimpft, als Männer manchen Hader aebadt. Im mer rrar die Versöhnung leicht nnd hold erfolgt. Aber diesmal wollte das nicht kommen. Jeder wartete auf die Zerlnirschung des Andern. Keiner machte den ersten Schritt. Kilchberg nicht, weil es ihm besser ging; sein Vetter nicht, weil es ihm schlechter ging. Kilchberg richtete sich ein und nahm, was Martin als Provocation, als underzeihliche Bosheit ansah, ein fach die Firma »Kilchdera« an. Mich berg lurzwea, als ob es leinen zwei ten Menschen dieses Namens qäbe. Und: so war es auch in der Stadt. Man tannte isur noch einen Kitchherg. Ge rade das-, was Martin hatte vermeidenc willen, trat ein. Wer ihn überhaupt beachtete, sprach von ihin nur als dem; Vetter des einziqen des wirklichen Kitchbera. Und während dieser schein-« bar mit raschen Schritten aufstieg, hoch lebte ind seine eiserne Braut heim sührte, mußte Martin sich tünirnerlick« durchfiisten. So sah es wenigstens aiiH weil er keine Lustbatteit mitinachte« sich von Allein zurückzeg und in ärm lichen Kleidern einheraing. Indessen tani auch der Vetter heim lich vorwärts-. Jahr uni Jahr legte er sich von seinem wachsendenGehalte grö ßere Ersparnisse zurück. Er hatte sei neii festen Gedanken, den er um jeden Preis ausführen wollte. Rache wollte ei nehmen. An wem, wofür? AnKilch bera, für dessen unverdientes, demüthi gendeg Glück, sitt alle Kräntiingen und Beschäinunaen· die nach uiid nach aus dem Unterschiede der Verhältnisse her dorgequolleii waren. Denntein Haß ist so inbriiiistia, wie der von armerenLtets wandten, selbst wenn man sie niith durch Wohliliaten aufs äußerste gereizt hat. Fünf Jährchen mochten so ver angen sein« seit die Zivillinasvetterii ich mit einander überivorseii hatten. Da Mk sich als Conrurrent seines Vetters""sa"tlf und führte den Geschäftsnamen Mär-« tin Kilchberg aus dem Schilde. Martin« unterstrichen,Martin überall nachdrtirt- s lieh hervorgeht-dem « gleichsam als stille Verwahrung gegen jeden Versuch einer Verwechslung mit dem andereni Kilchberg, dem es übrigens um diese Zeit anfing, schlecht zu gehen. Er hatte es im Hausgebrauch zu groß getrieben, daneben vielerlei Verwegenes unter nommen, war plötzlich in Stockung ge rathen und nur durch den Vater seiner Frau vor dem gänzlichen Zusammen bruche bewahrt worden« Aber mit dem Prestige des Hauses Kilchberg war es vorbei, während Martin siilchbergs Stern sich erhob. Der Erste war nicht abgeneigt, in dieser zufälligen Folge ei ne ursächliche zu erblicken. Martin war Schuld an seinem Niedergange, und wenn Kilchberg seinen beschräntten Vetter bisher nur aus der Höhe verach tet hatte, begann er ihn jetzt aus der Tiefe bitterlich zu hassen. Kämen sie aneinander Vorbei, so warfen sie sich Blicke wie vergiftete Dolche zu. Der Unterschied ihrer Verhältnisse machte sie noch höhnischer crgrimmen, weil es ietzt der umgekehrte war.Kilchberg wur de zusehends ärmer, wie sein Vetter von Tag zu Tag reicher. Jn der Stadt aber ward es ein Sprichwort, wenn man Todseindschast zwischen zwei Leuten bezeichnen wollte: Sie hassen einander, wie Kilchberg und sein-Vetter. Da trat nach mehreren Jahren eine neue Wendung ein. Kilchber ’s-Schwie gervater starb und hinterlie ein uner wartet großes Vermögen, das er aus Furcht vor dem waghalsigen Unterneh niungsaeiste seines Tochtermannes verheimlicht hatte. Nun hatte Kilchberg . wieder Wasser aus der Mühle, und nun wollte er an seinem Vetter die langge nährte Rache nehmen. Nun sollte man. in der Stadt sehen, wer der eigentlichei Rilchherg war. Aber nicht mehr niit der? Unvorsichtigleit seiner juaendlicherenI Zeit ging er zu Werte, Kilchhera hattet aus seinem Auf: und Nicderstiege ge lernt. Er war unerschrorlen geblieben, aber umsichtig geworden Und es ent Ibrannte ein mächtiger Wettkampf zwi schen den zornerfiillten Geschwistertin-: deut. War Kilchbera bei aller Kühn-! heit besonnen geworden, so eiitwickelltl sein Häher Vetter in sich einen nngeahn- s ten Wagemuth Es war eZnRingen, wie. man es in der Stadt, tm Lande noch; nie gesehen hatte Die feindlichen Vet tern belrieaten einander mit epischer Macht. Die ganze Energie ihres Le ; bens war darauf arrichtei, den Reben- ! buhler zu iiberwaltigen· Schlatt undi rücksichtglog und rastlos gingen sie an die Arbeit. Keiner von ilnen lannte mehr eine Erholung oder Freude Alle Kraft wurde in dem immer sinnloserenI Wettstreit angespannt. Es kam davon ein neues Sprichwort in ihrem Kreise auf. Man sagte von verwilderten Mit betverbern: sie machen einander Con currenz wie Kilberg und sein Vetter. Aber Keiner trug den Sieg davoxn f oder richtiaer Beide-. Denn Beide er-? starltcn in diesem Ringen, das sie; zwang, den höchstenScharfsinn, die let-. te Willensinacht fort und fort anfzn bieten. Sie wurden Beide sehr reich, ja, es- tvar anch kein erheblicher Unter schied in ihremVermögen. Und sie wuß ten das-, weil sie einander wie eisersüch tige Mächte auslundschastetea Es gab eine Seit, wo sie genau die gleiche Stufe eintrat-mein im Ansehen, ini Reich thnm. Und wie es am Anfang ihres Le bens- gewesen war, so wurde es wieder Die sitvillingsvettern befanden sich in einer Fwillingglaae die Verhältnisse deH Einen so glücklich wie die des An deren. Löngst,toaren die Ursachen der Feindschaft hinweggeräumt, Keiner stand über dem Andern, Keiner brauch te den Andern zu beneiden. Der An genblict zum Friedensschlusse schien endlich gekommen zu sein. Es dem-Zin ten sich auch viele der Freunde, an denen es reichen Leuten nicht fehlt, um die Aussiihnung der Geldmagnaten. Aber Kilchberg pflegte auf solche Vorschlaae zu antworten: »Big er zu mir betteln -lonimt!« Und sein Vetter: »Nicht bevor er zu Grunde gebil« Sie hatten die Gewohnheit angenom men, einander zu hassen, und sie tun ten einander fort, über alle Wechsel siille des Schicksals hinweg. Es nan darin auch niemals ein Wandel eine treten ohne den letzten großen Streich Kilchberg’s. Kilchberg, der immer zum Wir-nn tismus geneiqt l)atte, tan- ans der Ohne seiner Erfolge am Abend seines Lel »er aus den Gedanken· einen Ring der Wo duzenten nach cimeritanischer Art zu schaffen. Raum hatte sein Vetter rin von erfahren, begann er, ihm mit nller Macht entaeaenzuarbeiten Jäh war das Gefecht im Gange. Was sie bist-her streitend unternommen hatten, war Spiel und Tändelei negen diesen Feld zug. Es war ein Feldzug, dessen schik derung einer berufeneren Feder ans- der Eisenbranche vorbehalten bleiben »nur Genug, der Eisenmarlt erzitterte unter den Stößen, die Kilchberq und sein Vetter einander verletzten. Martin hat-« te des Gegners Kräfte sorgsam berech net, bevor er sich aus den Kampf ein ließ, und er war nahezu sicher, denkttin zu sprengen. Welcher Triumph! Ding nein, zum erfienmale in seinem Leben verrechnete sich der Vetter. Kilctkberg hatte durch unbekannte Combinatinnen plönlich viel größere Mittel zur Ver sügung, als angenommen werden konn te, und sein Vetter wurde gefangen, er t«rii(1t. Er tämdsie, wie der Oeldendich ter sagen wurde, mit Coneursoerachs tungz es hats ihm nichts, er wurde ver die er mit Schimpf unt-Schande. « eh bcrg und sein Vetter waren Bettler. Da begab sich das Wunderbare. Nie mand bemühte sich darum, die alten, declassirten armen Feinde zusammen-« zubringen. Was konnte auch gleichgiks tiger sein, als ob sich Kilchberg und sein Vetter jetzt noch die leeren Hände reichten oder nicht. Und dennoch fan den sie sich wieder. Dies geschah, nach dem sie schon einige Zeit in der Dir-E muth verbracht hatten. Zuerst waren sie nämlich lichtscheu gewesen, wie alle gesunkenen Leute. Dann bemerkten sie, daß sich Keiner mehr um sie tümmerte. Da schlichen sie aus« verbrachten ihre beschäftigungslosen Tage als Gasser vor Schausenstern und mit anderenUn terhaltungen, die nichts kosten. So ge riethen sie auch zufällig Beide in eine Volksversammlung, in der start von Vriiderlichleit die Rede war. Diese Worte gefielen ihnen gar wohl, und sie blickten einander aus der Entfernung wie auf ein Zeichen an, nicht mehr Haß, eher schüchtern und vorwurfsvolL Beim Ausgang trafen sie zusammen, und sie gingen wie auf eine Verabredung Seite an Seite fort. Gingen ganz wortlos, denn sie hatten so lange nicht mit ein ander gesprochen, daß sie sich nichts zu sagen wußten. Sie siihlten nur, daß sie wieder gut waren, Freunde, mehr als Freunde, die Zwillingzvettern von ehe mais. Kilchberg, nach toie vor der Stärke re, begann mit einer Anspielun« aus das eben in der Versammlung Ge örte: »Der Redner sprach manches wahre Wort.« » »Ja wohl,« sagte Martin nachgiebig wie in der alten Zeit, ,,manches wahre Wert« »Wir sind Brüder, und wir sollten auch immer Brüder bleiben,« fuhrstilch: berg fort. »Bist du auch nicht derselben Ansicht?« »Ich bin ganz derselben Ansicht,« entgegnete sein Vetter ernst. »Aber « nimm’ es mir nicht iibel ——— ich glaube, die richtige Brüderlichkett haben wir nur dann, wenn wir nichts Anderes l)aben.« -.—-O-- Os— --— In einer Strafee Londoris. Von Clementina Blatt (London)· Jn einer jener vielen melancholis schen Straßen Letidon5, deren schmutz ige Gegenwart von Erinnerunaen leuchtender Vergangenheit heimgesucht wird, lebte ein Mann, dessen Geschichte nicht ungleich der der Straße war. Tie Welt, zu der er durch Geburt ge» horte, hatte ihn rergessen, und dieWett, m die er aesunteu mar, hatte ilni nie gekannt Er hauste allein in seinem» dumpfen Zimmer, wo weder Freunde noch Briefe zu ihm kamen, und sristete dort sein Dasein mit Fioviren und Trangportireu von Noten. i Ueber ihm, in einer enaen Dach i lammer, lebte eine tleine Naherin Und gleich ian war ne im Hause rein Neu-is antötnmling und gleich ihm war sit-i scheu ttnd einsam. Jedoch ihre Einsam keit dauerte noch nicht so lange, denn als sie einzog, hatte sie ihre Mutter bei sich und die beiden Frauen arbeite ten gemeinsam. Nun war die Mutter todt und die Tochter schritt ihren ein-« sainen Pfad allein weiter· Manchmal ging sie sort in die Arbeit und larn Abends heim, bleich und milde.!lJtancl) tnal halte sie Arbeit zu Hause und saß den ganzen Tag über emsig nä hend, beim schrägen Fenster. Zutveilen hatte sie leine Arbeit und dann tau trte si- in ihrer kalten Kasniner,hung rig u..o müßig. Von Zeit zu Zeit hörte sie den Mann unter ihr einePas sage ans dein alten Klavier llimpern Sie kannte ihn vom Sehen und wußte« daß er Sarr hieß. Sie wußte auch, daß er einer höheren Gesellschafts llasse angehörte und er slößte ihr des halb eine Art Furcht ein« Eineg Abendg, als sie den ganzen Tag ohne Beschäftigung gewesen toar, kam sie aus der Thiir ihrer sinstereu Dachlamnter und stand lauschend an dem Treppengeliinder, gleichsam in den fernen Geräuschen des Hauses Gesel ligkeit suchend. Tief unten vernahm sie laute Stimmen, rohes Gelächter; näher tönte ein dünner Faden einer Melodie Die Weise war »Home, stveet .chie«, aber Marie Anna kannte nicht den Namen. Das llaaende Fal len und Steigen der dünnen Töne brachte ihr leine Assoziationen, aber ihr Zauber zog sie Stufe nm Stufe herab zu dem unteren Stockwerk bis an die angelehnte Thiir der dunklen Grub- ——— Musit « mit Ausnahme einer her umziehenden Drelwrgel oder des dröh nenden Harmoniums einer kleinen Cas pelle, die sie manchmal besuchte-war ihr eine unbekannte Sprache. Heute war sie müder und trauriger denn je. Die Töne schlugen an ihr Ohr wie eine Stimme, die die ganze Trostlosig teit und Verzweiflung des Lebens hin aus-schreit Unversehens brachenThrä nen aus ihren Augen und ein Schluch zen schüttelte sie. Die Töne drinnen verstummten plö lich. Sie erschrak, war aber zu an geregt, um sich schnell zurückzuziehen Die Thür wurde weit geöffnet; sie hörte das Anreiben eines Zündholzesz bei dessen plötzlichem Schein sie Carrs Antlitz erblickte, der forschend und einigermaßen mißver gnii t ausschaute. —--- »Ich bin es nur ZU aric Anna, von droben,«———sagte sie stockend —— »ich habe ihrem Spiele zugehört -—— ich werde es nicht wieder thun.« l Er hatte unterdessen eine übelrie schwanden Jn dem Mann steckte genug vom Musiker, um einen beistim gen Hörer nicht gering zu achten. »Sie lieben also Musiki« srug er. ,,Jc.«, sagte Marie Anna einfach. ,,Also bitte, treten Sie nither und hören Sie noch etwas mehr davon, wenn Sie mögen« --— und er schob cinen Sessel an das alte Klavier fiir sie heran. An seiner Betonung, seinen Bewe gungen —- obgleich beide viel von ih rem einstigen Schliff eingebüßt hatten —hastete noch immer ein Etwas aus« der früheren Zeit, das die kleine Nähe rin mit einem tiefen Gefiihl seiner so yialen Ueberlegenheit erfüllte. Auch bewunderte sie-wie dies alle armen Leute thun-die Weijze und Schlam heit seiner Hände, obgleich ein erfahre ner Beobachter in diesen ebenso viele Krankheits - Symptome erkannt haben wiirde. . Sie setzte sich schüchtern nieder, und er spielte eine Reihe von schlichten und wohlbekannten Weisen. Sie lauschte mit tiefer, demüthiaer Aufmerksam keit. Als er geendet hatte und sie sich erhob, rim fortzugehen bat er sie, wie derzukommen, wenn sie möge. Sie dankte ihm freudig, aqu und träumte in ihrer dunklen Einsamkeit von Mu sit und Herrn Catr. Auch er dachte —eine Viertelstunde eiwa——an seinen Besuch. Dann schweiften seine Gedan ken zurück in die triute Vergangen heit iro sie in Erinnerunan schwelg ten, in denen ein Wesen wie Mariel Anna wirklich keinen Theil haben; konnte Er sah sich als Jünglina im Crlleae mit vielen Freunden, vielen Hisfnnngen nnd großen Erwartungen aus Ruhm und Reickitljtmn Dann sah er sich in London, müßig mit Musik hernmtändelnd, einem glücklichen Le ben« artieilt mit dein Weibe seiner Lie be, entiteqenselnnd Der Reichthnni, auf den er gehofft, nvar ihm versagt geblieben und auch sie. Jhr Antlitz gantelte vor ihm auf in der dumpfen Stube und er murmelte ihren Namen mehr mit melancholischem Vergnügen, als leidenschaftlichem Bedauern. Nun Iwar sie verheirathet, —--- seit Lange-m, Haber in seiner tirinnerunq leltte sie Ulnverändert al-. das thtjähriae Mäd Jchem Von dem er damals geschieden war Er hatte sein Ehsilßaefrkiick rnhia getragen, ohne darieaen anzukiinipse.i, denn er gehörte zu jenen, zum Glück nicht häufiqen Naturen, denen das Er: tragen von Leiden leichter ankommt, als»cin.noch so kleiner Konflikt. Man ortiur ihn uuv uen gingen, er versank in das Noteniopfreri nnd wnroe der Herr Garn dem Marie Anna auf der Treppe eines schädigen LondonerHcm sei-«- bei ihrkn Aug-s- nnd Eingängen be gegnete Ein seltsames Schlußkapitel zu all’ den Erwartungen und Hoffnun gen seiner Jugend, ein seltsames Le ier-, mitten in der Gefchäftiateit einer rolkrcichen Stadi- und nicht wenizer selisam, weil eH eines der Vielen hun derte ist in dieser Wildniß von Lon den. Monate vergingen — Von Zeit zu Zeit —- nicht i«-ll-,1-. häufig — kenn sie siirchtete, uribefctsiden zu se«i —- d-. machte sich Mars: U n m die Eint thung ikzres Nachbar-J zu Nutze und tani s iner M usit z lauschen. Nach end nach merkte sie sich die Weisen its-d summte sie vor spi, hin, wenn sie ka ltem-. in ihr-r Kammer war. Alt-rä lig, in tauni ni-«:tt·arer Weise, ent wickelte sich eine Art Freundschpki zwi-l fe·(n ihnen Er irfiagtc «·- iilser ilfrl Leben; Und einmal in einem strengen Winter, alg er gewahr wurde, sie sei; nur spärli eh beschäftiat, machte er sich auf und sein verschlossener Mund, der sich sonst höchsten-J zu einem Guten Morgen oder Guten Abend öffnete, wurde beredt, um ihr Beschäftigung von den Menschen zn veischnffcn, fiir die er selbst frohndete. Seine Ver wendung glückte und trug ihr eine Ar beitgwoche ein. Am ersten Tag dieser Woche kehrte sie von den eisigen Stra ßen heim mit einem Strahl gliiiitichir Dankbarkeit irn Herzen. Als sie die Trevven hinansginci, blieb sie an der Thiir Earr’H« stehen nnd ·lovfte sanft an. In der Ahsim:, hineinzugehen und irm zu danten· Da feine Antwort erfolgte, öffnete sie die blos angeielknte Thür. Er saß bei rein Tisch, wo er cinaeschlafe.1«var· Die Lampe wir nicht angezündet und im Ofen gliinmte nur eine Hand voll Kohlen, aber ein treiter Streifen Mondlicht fiel beim Fenster herein nnd spiegelte sich jenseits in den scharfen weißen stanten der chneededeckten Teichen In dem sal ten Lickte sah sie ein Antlitz see war bleich nnd ausgehöhlt, die Lippen wa ren schlaff, die Schatten unter den Au gen tief und dnnleL Ein Schauer durchbebte sie-zum ersten Mal trat es in th- Bewußtsein, er sei trantJ Sie schlich sich davon, die Thiir leise hinter sich zuziehend und eilte hi.ianf. still siir sich zu weinen. lsr erwachte hiistelnd und seinen unterbrrchenen Traum sortspinnend, tehrte er zti FilDi ra zuriick — Flora, die in den iibers schwänolichsten Augenblicken seine Liebe nie so hoch angeschlagen hatt-: Un sich mit ihm dem Waqniß der Ar niuth aus-zusetzen An Marie Anna dachte er nur als cin »du-J kleine Ding von droben". « Jhr Alter und ihre Lebensstellung reihten sie in eine andere Welt ein Seit diesem Taa war sie erfinde risch darin, ihn zu betreuen, fiir ihn zu sorgen. Sie kam nun häufiger, in der Hoffnunq, ihm irgendwie behilflich zu sein Bei Tageslicht und als eg wärmet wurde schien es ihr daß er besseu aussehe. Die Veränderung in «Wse- »Hu-» · « . « , nun zur Gemeine-, s« i"-« T: das Gewohnte immershteheuen WITH Natur hatte die Kran t der Be- sns f digtett und nun begann auch arie Anna einen Platz in seiner Bestän digleit einzunehmen. Eines Tages, als sie bei ihm saß und zuhörte, hielt er plötzlich inne und sagte: ,,Marie Anna, heute ist mein Ge buristag.« ,,Wirtlich?« »Heute bin ich 47 Jahre-—«, sagte er langsam — und nach einer kleinen Pause: »Sie werden Bescheid wissen,. wenn man es fiir meinen Begräbniß schein braucht.« Sie blieb stumm. Es war das erste Mal, das-, sie erfuhr, er denke an sei nen Tod. Auch er schwieg. Nach ein oder zwei Minuten erhob sie sich und ging. Sie war bleich —- sie war immer bleich nnd Carr beachtete es nicht. Wenige Tage darauf ertöltete er sich. Eine Woche blieb er an’s Zimmer ge fesselt. Wenn Marie Anna zu Hause war, pflegte sie ihn, wie sie vor ei nem Jahre ihre krank-: Mutter gepflegt hatte. Dann kam der Tag, da er nicht mehr aufzustehen vermochte. Da kam Maiie Anna zu allen Stunden des Tages. Einmal frug er sie: »Haben Si; denn gar keine Arbeit, Marie An na-« »Nein«, sagte sie ruhig Die Haussbeforgerin brachte einen Arzt. Als Carr von seinem Kommen verständigt wurde, sagte cr: ,,Las3t ihn nur kommen, das wird sein Zeugniß vereinfachen——« Keine der Frauen hatte ihn verstan den. Nachdem der Arzt den Kranken un tersucht hatte, gab er Marie Anna einige Weisungen: »Wärme, Ernäh rung, Wein« —- sein weiteres Kommen sei überflüssig Es war ein vielbe schiiftigter Mann, der viel bei Armen herumkam, und er hatte gelernt, mit seiner Arbeit hauszuhalten für Die, denen noch zu helfen war. So lag Carr Tag um Tag, langsam sterbend-, in seiner Schwäche an Flora und seine Jugend denkend, die nun ganz nahe und gegenwärtig schien. Der Oklltag mit feinen Vorkommnissen dijntte ihm blos Traum und Schat ten. « .", Merie Anna saß bei ihm, auf jede seiner Bewegungen achtend, Noth Und Lfntbeljrung freudig auf sich nehmend, Hin- den Preis, ihn doch Pflegen zu dür Ten· Einmal fragte er sie: »Warte An na, kennen Sie meinen Namen?« »Herr Carl-« -- sagte sie verwun deri. ,,. spich glaube, daß nun Niemand mehr lebt, der meinen Eigennamen iennt.« Und er sagte, er hieße An tony; er wiederholte den Namen und buchstabirte ihn ihr vor. Dann ver sank er wieder in Schweigen. Ein anderes Mal zeigte er eine alte Pho tographie und eine .5·Jaarlocke, indem er blos sagte: »Werden Sie dafitr Sor ge tragen, daß man die-CI mit mir be gräbt?« Sie sagte: »Ja.« Dann, eines frühen Morgens, er wachte cr in dem kalten Lichte eines neuen Tages und sah sie neben sich an seinem Bette sitzen in ihrem schwarzen Kleide. Einen Augenblick blickte er siksp wortlos an, dann sagte er mit der eigenttiiinlichen Stimme, die sich Tag um Tag mehr und mehr verändert hat: »Wie lange ist es nun her, seii ich Sie kenne?« . ,Es sind etliche Jahre«— ,,Vier Jahre«, sagte er und nach einer Weile fragte er: »Wie alt sind cie eigentlich?« Bis heute hatte er an sie hloo wie an ein Kind gedacht. ,,Vierund3nsanzig«, sagte sie. Er schlon wieder seine Augen und seufzte wiederholt. Dann sah er wie der aus und ein langer, seltsam for schender Blick ruhte auf ihr. Als- er merkte-, daß sie sich bewegte, streckte et feine kraftlose Hand aus und lispelte schicachr ,,.Kiisse mich, meine Liebe.«—· Sie that eg. Er schloß seine Augen wieder und lag regungslos. So, ohne ein weiteres Wort, trat er aus dem Geheimnis; des Leben-J in das Ge heimnisi des Todes. Als Alles vorüber war, legte Marie Anna die Locke und Photographie auf sein stilles.L1er-i, zog das salen über dass bleiche Antlitz und trat hinaus k: us dem hellen Sonnenlicht des Tages, in ihre duntle, kahle Kammer-. ——-—-.——-———— I. Sprüche und Späne. »Arb, wer versteht sein eigen Herz! Ein Riithsel ist dir S, in Die Brust ge schnsfens Heute schwer wie ein Berg von Erz. Will es dich in die Tiefe rasch; Morgen aller Schwere entbunden, Jauclszend lob-erst es ivolkentvärts. Und dcmn in gieichqemessenen Stun Den Gelassen trägt es Lust und Schmerz. Ach, wer belierrscht sein eigen Herz.« M Heute-) t- sik si Leisse nicht für kurze Zeit: Lebe siir die Ewigkeit se si- se »Tas Schiechte tadeln heißt das Gate adein« A Wel)lnnith’ :- Epigramm.) Il· III sit ,,Friic schlafer gehen Und srlle auss stehen, erspart viel Apoteien Z. « (c1).. ach, Joh Matlzest), Leipzig, 1«)54—-57, 15 93.)