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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Sept. 3, 1897)
"Eret)lock Woodkk Roman ron Jofcf TMMM (8. Fortsehunad Oannah gehorchte; sie war selbst ebenso erreag wie ihre herrim Der unbezahtte ohn von zwei Jahren tauch«te in ihrer Erinnerung aus; viel leicht zeigte sich dieser reiche Mann ge neigt, die Schulden ihrer Gebieterin zu berichtigen. Die Beiden stiegen mit dem Kinde die Treppe hinab und nah men ihre Sitze in der Equipage ein. Die Vollblutpserde setzten sich in Ve wegung und flogen mit Windesschnelle von Backport nach den Pforten von Grenlock Woods. Jris lehnte sich in den weichen Pol stern des Landauers zurück und drückte in freudiger Erwartung das Kind an ihre Brust· Seit langer Zeit war dies das erste Mal, daß ihr wieder der Luxus einer Fahrt in einer eleganten Equipage zu Theil wurde; ihr Herz schwebte zwischen Furcht und Hoff nung; sollte sie einen Triumph oder eine Niederlage erleben? Die Pforte des Partei-s stand weit offen, wie um sie zu bewillkommnem Das Kind tlatschte vor Freude in die lleinen Händchen. »Oh, der schöne Plast« rief eg, ,,hier ist er, Mama, der schöne Platz!'« Die traulpage fuhr unter den Ka stanien der Hauptallee entlang, allein nicht nach dem Thor des Hurenhau ses. Der schwarze Kutscher hatte seine Ordke erhalten. Zu Jris’ Erstaunen liesz er das stattliche braune Gebäude hinter sich und fuhr weiter, an Treib häusern, Blumengiirten, einem Fisch-« teich und einer Brücke vorüber, bis die Equipage endlich eine im Herzen des Paris gelegene Villa erreichte, die eine halbe englische Meile vom Herrenhause entfernt war. Hier hielt der Kutscher an. · Mrs. Iris Greylock blickte umher nnd sah ein hübsches weißes Haus mit phantastischen Giebeln und Ertern und einem lustigen Vorbau, aus dem sich eine zierliche Hängematte im Winde schaulelte. Vom Dach bis zur Erde war die ganze Front von Rosen ver hüllt, die jetzt in voller Blüthe standen, gelben, rothen und weißen. Die Blü then rahmten jedes Fenster ein; sie hingen über den Thüren und bedeckten den Borbau. Als der Kutscher vor dem Eingang der Villa Halt machte, kam eine fette, ältliche weibliche Gestalt die Treppe hinab. um die Gäste in Em pfang zu nehmen. Es war Mes. Hopiins, die Haushalterin im Herren hause. »Ich habe von Mr. Greylock den Auftrag erhalten, Sie im Hause umherzusühren,'« sagte lie; »er wünscht, daß Sie sämmtliche Räumlichkeiten in Augenschein nehmen; er selbst wird bald hier sein, um mit Jhnen zu reden Geben Sie mir das Kind« Mit diesen Worten nahm sie Ethel in ihre Arme. Die Thränen rollten über ihre Wangen hinab.« »Diese ist also des armen RobertTochterl Gott segne sie! Sie hat die blauen Augen und hellblonden Haare ihres Vaterg.« Jrig stieg aus, nicht wenig verwun dert über diesen sonderbaren Empfang. Unter den berniederhiingenden Rosen hintte sie, auf Hannahs Arm gestützt, in die Villa. Die alte Hoptins ging ihnen als Führerin voran und öffnete die Thüren aus beiden Seiten des brei ten getäselten Fsausganges. Da war ein eleganter Salon, ein Boudoir, mit Gemälden an den Wän den und einem Piano in einer Ecke, ein allerliebstes Speisezimmer mit einem von Rosen überhangenen Erler fenster, Küche, Geschirrzimmer und im oberenStock lustige und schön möblirte Schlafzinkmeh sowie eine Kinderftube voll Sonnenschein und Blumendufi. »Schon seit Jahren hatte Mr. Gren lock diese Villa vermiethet,« sagte die alte Hoptins7 »vor einigen Tagen aber zogen die Leute aus, und das traf sich gut. Wir haben unser Bestes gethan, um die Zimmer in Ordnung zu brin gen; die meisten Sachen kamen aus dem herrenhaus. Doch da tlingelt es! Mr. Grehloct ist hier; er wird Sie so fort zu sprechen wünschen.« Jris ließ Hannah oben; sie nahm das Kind bei der hand und hinlte mit ihm die Treppe hinab nach dein Salon. Godfrey Greylock war angetommenz er schritt langsam im Zimmer auf und ab und sah ungemein seindselig aus, ganz und gar nicht wie ein versöhn licher Schwiegervater. ,,Madame!« begann er, »ich habe Sie mit meiner eigenen Equipage holen lassen, um diese mir unangenehme Unterrevung so rasch wie möglich hinter dem Rücken zu haben.« Er warf keinen Blick auf Eil-eh die, ein wahrhaftiges kleines Engelshild, neben Iris stand; vielleicht getraute er sich nicht, in die Augen zu blicken, die denen feines todten Sohnes fo ähn lich waren. »Ich habe reiflich iiber unsere ge strige Unterredung nachgedeicht,« fuhr der alte Herr fort, »fowie iiber Jhre und des Kindes Bedürfnisse. Meine Haugtzälterin hat Jhnen diefe Billa gezeigt; wollen Sie hier bleiben?« »Ganz entfchieden.« »Ich will nicht, daß Robert Gren loets Tochter heimathlos ift oder der öffentlichen Mildthätigteit anheim fiillt; und da Sie als ein natürlicher Anhang zum Kinde zu betrachten sind, fo ift es leider Gottes nothwendig, auch fiir Sie zu forgen.« »Sie sind sehr gütig,« antwortete Iris pitirt. Er wars ihr einen durchdringenden, verächtlichen Blick zu und sprach wei ter: »Ich biete Ihnen aus gtvisse Be dingungen hin die Rosen- illa zum Aufenthalte an. Sie halten sich Jhre eigene Bedienung, führen Jhre eigene Lebensweise; ich mache mich anheischig, Jhte Rechnungen zu zahlen.« »Ich habe leider einige Schulden.« »Auch diese sollen erledigt werden« Jris schlang ihren Arm um das Find. »Und die Bedingungen?« sagte ke. Er suhr fort, im Zimmer auf undr ab zu schreiten, ohne das Kind anzu blicken. »Sie sollen hier in strenger Abgeschlossenheit leben, nie Besuche empfangen, nie«ohne mein Wissen und meine Einwilligung dieses Anwesen verlassen. Innerhalb meiner Grenzen gilt mein Wille als absolutes Gesetz, dem sich Alle zu unterwerfen haben, die hier leben. Diese Villa ist eine ziem liche Strecke von dem Herrenhause ent fernt, Jhr Haushalt und der meinige dürfen nicht miteinander in Berüh rung kommen — ich möchte nicht zu häufig an Jhre Nähe erinnert werden; Sie sollen sich also fern von mir hal ten, jeden Verkehr mit mir meiden, der nicht absolut nothwendig ist; Sie sol len es niemals vergessen, daß es einzig und allein um des Kindes willen ge schieht, daß ich Jhnen diese Heimath anbiete.'« »Und um des lieben Kindes willen nehme ich sie an!« antwortete Jris mit einem Anslug von Würde. »So wäre diese Angelegenheit also erledigt, erwarten Sie aber Nichts von mir, weder jetzt noch in der Zukunft. Jch wiederhole Ihnen, was ich bereits gestern sagte: Mein Testament ist ge macht, mein Erbe gewählt.« »Verzeihen Sie der Neugierde einer Mutter; darf ich nach seinem Namen fragen?« »Sir Gervase Greylock von Sussex in England. Und nun, Madame, alle übrigen Angelegenheiten können Sie mit meiner Haushalterin besprechen. Senden Sie mir Jhre Rechnungen zur Erledigung An dem Tage jedoch, an dem Sie meinen Beichlen zuwider han deln, werde ich mich meiner freiwillig eingegangenen Verpflichtungen für entbunden erachten. Leben Sie wohl; ich hoffe, daß wir keine Veranlassung haben mögen, je wieder miteinander zu reden.« Er verbeugte sich und schritt aus der Thür. Iris beeilte sich, Hannah herbeizu rufen. Ein verlockender meiß war tete im Speisezinnner; der schwarze Hut und Schleier --verursachten ihr Kopfschmerzerr Ohne weitere Um stände warf sie diese Trauer-Embleme : weg und brach in ein lautes Gelächter « aus.,,Siek1’ Dich um, Hannah, « sagte sie; »dies ist unsere künftige Heimath; wir sollen hier leben, und Godfrey Grehlock wird unser Kerkermeister sein. Oh, dieses Herz von Stein, diese Seele von Eis! Wie ich den Mann hasse! Ich toll nie ohne seine Erlaubniß die-— ses Anwesen verlassen, nie soll ich es wagen. var seiner erhabenen Person in erscheinen: er wird uns indessen füttern und kleiden und Dir den Lohn nusbezahlen, den ich Dir schulde.« »Gott sei gedankt!« rief Hannah « aus; »man kann ja nicht immer von der Lust und bloßen Versprechungen leben, Madame.« »Seine Diener werden mich bewa chen, ich werde für die Welt begraben sein« denn dieses Haus steht gleichsam allein in einer Wildniß; von Ver ånügungen ist hier keine Rede. Das eben hier ist fast schlimmer als der Tod. Jch werde mir wie eine Gefan gene in einer Zelle vorkommen; allein dies ist Greykock Woods, Hannah, und endlich. endlich habe ich, Roberts ver achtete-Wittwe, auf dem Boden des ihm rechtmäßig zustehenden Erbes Eingang gefunden!« »So ist es, Madame.« »Es ist ein Schritt in der rechten Richtung —- ein Anfang, der zu gro f)em Resultate führen mag Der Him Eel weiß, es wird hart sein. eine solche xiftenz auch nur auf einige Zeit zu ertragen; allein ich werde bald Mittel und Wege finden, die harten Bedin- . gungen, unter denen ich hier leben darf, zu mildern. Jch mußte mich sehr beherrschen, um nicht vor Wuth aufzuschreien, als er mit mir sprach. ; Immerhin wird sich’s hier besser leben, i als rn unseremKosthause tn New York. ( Machen wir uns an den meiß tm nächsten Zimmer!« Sie nahm Ethel auf ihren Schooß. Ein boshafter Blick flammte aus ihren schwarzen Augen, als sie das gold blonde Köpfchen des Kindes zutiiclbog und ihm prüfend in’5 Gesicht fah. »Ich habe Arbeit für Dich, Kleine,« fcmte fie in falt zifchendem Tone. »Du hast mir die Thür zu dem Außenfort meines Feindes geöffnet. allein Du mußt mehr, noch weit mehr thun. Du mußt die Festung ganz und gar er obern; Du sollst alle die Beleidigungen rächen· mit denen er mich überhäuft hat. follft ihn zu meiner Beute und Dich selbst zur Herrin von Greylock Woodg machen. Du lollft die großen Erwartungen des Sie Gervafe, des englischen Erben, zu nichte machen, lolllt mir zu Reichthum, Macht und Ansehen verhelfen, meine gehorsame Tochter fein, die keinen anderen Willen bat. als den metntgen. Es wird eine lchwerr. vielleicht gefährliche Aufgabe lein, alle diese Dinge zu erreichen, al lein Du mußt es thun!« »Mein dem atmen Kinde, wenn es diese Aufgabe nicht löftl« murmelte thanan leile vor sich hin. 12. Capiteb Auf einem kleinen, weißen Bett in einem kühlen, stillen Hoipitalztmmer lag ich, mit dem Tode ringend. Jch hatte meine Anhänglichkeit an Nan theuer zu bezahlen, die gräßlichsten Schmerzen wittheten in allen meinen Gliedern. Mein verbundener Kopf, von dem eine sorgsame hand die ver worrenen Haare weggeschnitten hatte, pochte und arbeitete unablässig ; das Delirium gautelte mir Tag und Nacht die seltsamsten Bisionen vor. Ein Fenster am Kopfende meines Bettes sandte einen Lichtstrahl herein, der zitternd auf der schneeweißen Decke lag, die meinen hilflosen kleinen Kör per einhüllte; mein Geist marterte sich beständig ab, die Lichtleiter zu erstei gen, auf deren oberster Sprosse Nan auf mich wartete. Jch mußte sie fin den, selbst inmitten meiner Qualen be schäftigte mein Geist sich immer mit ihr. Jch erschöpfte mich mit vergebli chen Bemühungen, die Sonnenleiter zu erklimmen und die verlorene Nan zu suchen. Jn jenen schrecklichen Tagen glaubte weder Dr. Steele, einer der Hospitak ärzte, noch sein Neffe, Dick Vandine, ein Student der Medizin, der dem Onkel assistirte, daß ich mit dem Leben davontommen könne« »Diese Stra ßenjugend ist nicht leicht umzubrin gen,« hörte ich in einem meiner lichten Augenblicke den Doctor sagen; »die Zähigleit, mit der sie sich an ihr elendes Leben llammert, ist oft wunderbar.« »Das arme Ding!« sagte der junge Mann; »ich werde das Entsetzen, das ich empfand, als ich sie unter den Hu fen der Pferde sah, nicht so bald ver gessen.« »Du wirst Dich an derlei Dinge ges-: wähnen müssen, mein Junge," ent . gegnete der ältere Herr und sie ent i fernten sich Beide. Eine freundliche Wärterin befand « sich im Hospital, die sich viel mit mir beschäftigte; sie erschien mir wie ein Engel der Barmherzigkeit Dr. Steele und sein Nefse sprachen häufig mit ihr über meinen Zustand; er ließ sich Alles erzählen, wag ich im Delirium sprach und so tannten sie Alle bald meine ganze Geschichte. « Eine-«- Tageg öffnete ich mit dölligem Bewußtsein meine hohlen Augen und erblickte Vandine, der sich über mich beugte und der Wärterin behilflich war, mir eine neue Bandage umzu legen. ,,Wahrhaftig, sie ist wieder zu sich gekommen l« rief der jung-: Mann » freudig aus. »Halloh, Polly; wie s fiihlst Du Dich, mein liebes Kind?« ; Jch blickte ernst in sein nicht weniger ? alg hübsches Gesicht und sagte: ,,Wo " ist Rauh-« »Ich weiß es wirklich nicht,« ant wortete Vandine sorglos-; ,,sie wird sich aber ohne Zweifel bald finden.« »Ich habe sie in der Kutsche ge sehen.« ,,Wirklirh? Nun, das fiel sehr un glücklich für Dich aus.« Jn diesem Moment lehrte mir ein anderer Umstand in’s Gedächtniß zu rück. »Sagen Sie mir doch, wo ist der « Vierteldollar, den Sie mir gaben, ehe ich unter die Räder gerieth?« fragte ich. Dicl brach in ein schallendes Ge lächter aus-. »Das ist recht, Polly!« sagte er; »fiihre immer genau Rech nung über Deine Einnahmen. Der Vierteldollar ist in Sicherheit; ich fand ihn in Deiner armen, kleinen Faust, als Du hier irn Hospital ankamst; sieh, hier ist Dein Schatz.« Er steckte die Hand in die Tasche, brachte die Münze zum Vorschein und schob sie unter mein Kopflissen. »Jetzt aber, Polly, darfst Du nicht weiter sprechen,« sagte er, »Du mußt diese Arznei einnehmen, damit Du bald wie der hergestellt wirst.« Jch verschluckte den Trank, den er mir an die Lippen hielt, und verfiel bald daraus in einen sanften Schlum mer. Dies war der Anfang meiner Gene sung. Jn den Tagen, die nun folgten, sah ich Dicl Vandine sehr häufig; sein Jnteresse fiir mich ließ nicht im Min desten nach. Zu jener Zeit galt ich ihm, wie mir schien, nur als ein Ge genstand des Studiums, und dennoch blickte ich zu ihm wie zu einem Gotte empor. Jm Berlaufe meiner Genesung fragte Dick mich oft über mein vergan genes Leben aus. »Hast Du nie einen Vater oder eine Mutter gekannt, Pol ly2« fragte er eines Tages. Jch schüttelte den Kopf. »Was ist denn Dein Familien name?« ! »Ich habe keinen anderen Namen » als Polly, wie ich Jhnen schon damals H sagte, als Sie mich auf der Straße anredeten,« war meine Antwort. ! »Und die kleine, verlorene Nan, die ! Du sosehr liebst, hat sie auch keinen , anderen Namen?« s »Sie hieß einfach Nan, gerade wie E ich Polly.« «Merlwürdig; ich vermuthe, die ge wissenlose Hexe, die Scrag, hat Dir nie etwas von Deinen Eltern erzählt; hast Du sie nie darüber befragt?« » »Ich befragte sie oft darüber; doch ? alle meine Fragen wurden mit Stock Y schlägen beantwortet.« I Dick Vandim verfiel in Nachden len. »Du haft also natürlich teine Gewißheit darüber, daß Nan wirklich Deine Schwester ist?« Allerdings nicht; allein Sie muß meine Schwester sein. Oh, Herr, es wäre schrecklich, wenn sie es nicht wäre; ich liebe sie so sehr! Großmutter Scrag behandelte sie stets besser als mich; sie prügelte sie nicht so viel; sie wak in - i jeder Beziehung milder gegen ste, und das freute mich. Ran««fchieti«in ver That aus feinerem Stoffe geschaffen zu sein als ich, aber nie habe ich sie darum beneidet.« Dick lächelte heiter. »Du bift ein braves Mädchen. Du bist ja eine wahrhaftige yeldin der Gassen und Rinnfteine. Jch denke, daß irgend Je mand an Nanes Gesicht Gefallen fand — denn, wie Du sagst, sie ist unge wöhnlich hübsch — und sie mit der Einwilligung ihrer Großmutter, oder was die Alte auch fein mag, adoptirte. Du mußt Dich daher in das Unver meidliche-ergeben, das heißt, Nan ge hen lassen und Dein edles, tleines Herz mit dem Gedanken trösten, daß ihr ein glückliches Loos zu Theil wurde. »Ich werde sie eines Tages finden,« antwortete ich entschlossen, »sie war in der Kutsche, aber sie fah mich nicht; ich rief, aber sie hörte mich nicht. Wenn ich groß bin, werde ich Geld verdienen, und dann werde ich die ganze Welt nach ihr durchsuchen.« Dicl schüttelte den Kopf. ,,Thue das lieber nicht« Polly; sie möchte Dir für Deine Bemühungen nicht dankbar sein; es dürfte ihr gar nicht lieb fein, von Dir aufgefunden zu werden« Es ist eine undankbare Welt, mein Kind; denke lieber an Dich selbst. Glaubst Du, daß Großmutter Scrag um Dein Aus-bleiben bekümmert ift? Vielleicht denkt sie, daß Du Nan aufgefunden habest und bei ihr geblieben seist.« « Jch erblaßte vor Schrecken. »Oh, Herr, ich hoffe, sie ist nicht hier gewe fen und hat nach mir gefragt? Sie weiß hoffentlich nicht, wo ich bin?« »Nein, Polly, sie ist nicht hier gewe sen; es ist ihr wahrscheinlich gleichgü tig, ob Du noch am Leben oder todt bist. Nach einiger Zeit wirft Du aus dem Hofpital entlassen werden; ge dentft Du dann nach der Alleh zurück zutehren?« Jch zitterte bei dem bloßen Gedan ken. »Nein, oh Gott, nein —- nicht für Alles in der Welt, lieber Herr; lieber ertränte ich mich oder werfe mich wie der unt-er die Hufe der Pferde und lasse mich zu Tode stampfen!« »Tai willst also nie wieder zu Deiner s Großmutter zurückkehren?« ,,Nie!« »tltecht so,« sagte Vandine; ,,an Dei- « ner Stelle thäte ich es auch nicht. Nun ; esJ wird sich schon, ehe Du das Hospi tal verläßt, etwas für Dich finden; J wir werden Dir Aufnahme in ein Waisenhaus oder in ein Asyl für hei i inathlose Kinder verschaffen. « Jch schüttelte den Kopf und sagte : »Ich möchte das nicht; ich möchte lie ber für mich selbst sorgen. « Dick lachte und erwiderte: »Du bist noch zu klein dazu, Polly!« Die Zeit meiner Entlassung aus dem Hospital kam nur zu bald. Der reinliche, stille und ruhige Ort war mir überaus lieb geworden Dort hatte ich, zum ersten Mal in meinem Leben, Conifort, gütige Behandlung und Pflege gefunden; nur ungern ver ließ ich den Platz. Der Abschied von der freundlichen Wärterin, Doctor Steele und Dicl Vandine wurde mir sehr schwer. «Wissen Sie Niemanden, der ge neigt wäre, die Kleine zu adoptiren oder ihr wenigstens ein Unterkommen zu geben?« fragte Dick seinen Onkel in jenem kritischen Augenblick meines Lebens »Leider nein«, antwortete der Doc tor trocken »Es ist hart, Polly zu der brutalen Gr«of3mutter zurückzuschicken, von der sie so grausam behandelt wurde; es ist noch härter, sie auf die Straße hin aus zu senden; sie wird noch lange nicht im Stande sein, für sich zu sorgen.« » »Warum bekümmerst Du Dich um s das Mädchen?« rief Dr Steele unge ) duldig; ,,sie geht Dich nichts an. Wenn Du Deine Laufbahn aus diese Weise ! beginnst,s o wirst Du bald bis an den Hals in Schwierigkeiten stecken. « J Vandine zuckte die Achseln. »War i um können Sie Pollh nicht in Jhr ei » genes Haus aufnehmen« -Onkel?« sagte - er kurz; sie könnte sich in der Kinder « fkube nützlich machen, der Tante behilf I lich fein und das Baby verpflegen.« Der Doctor starrte seinen Neffen einen Augenblick betroffen an ; dann nahm sein Gesicht plötzlich einen ande ren Ausdruck an. »Das ist eine gute Jdee von Dir, Dick,« antwortete er» trocken; »ich will mir die Sache über- ; legen.« Es entschied sich zu meinen Gunsten, denn eine Woche später ver ließ ich das HospitaL um ein« Mitglied des Steele’schen Haushalt-z zu werden. Es war spät Nachmittags an einem regnerischen Tage, und «ein trüber Ne bel schwebte über der Stadt, als ich dein Hospital den Rücken kehrte und mich mit Dick Vandine aus den Weg zu den Steeles machte. Der junge Mann rief einen Stra ßenbahnwagen an, brachte mich hinein und setzte sich neben mich. »Du bist ein so schwaches, kleines Geschöpf, Polly,« sagte er, »daß ich fast be fürchte, es gebricht Dir an Körperkräf ten, um es mit Doktors robusten Ran gen aufzunehmen; es war indessen das Beste, wag ich für Dich thun konnte.« Es war schon völlig dunkel, als der Wagen an einer Straßenecke anhielt, Vandine mich beim Arm nahm und mit mir die Stufen vor Dr. Steeles Wohnung hinan stieg. Wir wurden von einer Magd eingelassen, die auf Dicks wiederholtes Klingeln aus dem Souterrain erschienen war. »Frau Steele ist in der Kinder stube,« sagte sie zu Vandine, worauf sie wieder in die Küche hinab eilte, aus der die Düfte eines angebrannren Hirn-« teils heran drangen. « »Komm, Pouh, sagte Dick, indem er mich eine mit Puppen, zerbrochenen Spielsachen und Reiten von Butter brod bestreute Treppe hinaussiihrte und die Thür zur Kinderstube öffnete. Das Zimmer war an und siir sich comsortabel genug. allein die darin herrschende Unordnung war geradezu entsetzlich. Stiihle lagen umher, die Tischdecke ward aus den uszboden herabgezerrt worden, der Ti ch diente einem Theil der lärmenden Schaar als Observationspostem Bücher, Spiel sachen, abgelegte Schuhe und Schür zen, zwei oder drei ungezogene Hünd chen, welche an den Matten kauten, la gen bunt durcheinander. Ein halbes Dutzend Knaben und Mädchen, alle Iiinger wie ich selbst, lie fen wie jugendliche Jndianer in dem Zimmer hin und her und brüllten, so laut ihre gesunden Lungen es nur ver mochten, zum Entsetzen der Frau Doctorin, einer Verbliihten, reizbaren Dame, die mitten im Zimmer saß und ein strampelndesBaby auf dem Schooß hatte, das sich an dem tollen Treiben der anderen Kinder sehr zu belustigen schien. »Guten Abend, ihr Wildfänge!« rief Vandine von der Schwelle den Kindern zu. »Guten Abend, Tante! Wie kön nen Sie es nur bei diesem Skandal aushalten? Jch habe Jhnen hier das kleine Mädchen aus dem Hospital ge bracht. Doch meiner Treu!« suhr er nach einem bedeutsamen Blick in der Stube umher fort, »ich glaube fast, es wäre barmherziger gewesen, sie direkt nach der Alley zurückzubringenl« Die kleinen Steeles hielten mitten in ihren lärmenden Spielen inne und drängten sich um Dick herum. Die Hunde folgten ihnen nach. Während er sich gegen die Kinder und die Vier fiißler vertheidigte, wandte sich Mes. Steele um und blickte mich an. Ihr-e Augen hatten einen harten Ausdruck ; sie ruhten kritisirend und mißbilligend aus mir. »Wo dachte der Doctor nur hin?!« rief sie endlich aus; »was soll ich mit dem kleinen, schwachen Ding da? Sie ist viel zu klein, Dick, um mir s von Nutzen zu sein« »Urtheilen Sie nicht so voreilichx ; Tantel« brüllte Dick, um sich bei dem Lärm der Kinder und dem Gebell der Hunde Gehör zu oerschaffen. »Die feinstenWaaren werden ja in den klein sten Packeten verkauft. Machen Sie immerhin den Versuch mit ihr; sie ist ein Schatz, und wir dürfen ja billig annehmen, daß sie mit der Zeit größer und stärker werden wird.« Mrs. Steele ließ das kreischende Baby so plötzlich in meinen Arm fal len, daß ich wankte und beinahe das Gleichgewicht verlor. »Nimm den Jungen,« sagte sie, »und laß sehen, was Du mit ihm aus-rich ten kannft; er ist zwar kein Freund von Fremden.« Ein glücklicher Zufall wollte es, daß der rosige, kleine Bursche in mein ein gesallenes Gesicht blickte. Was er darin entdeckte, mußte ihn beruhigt ha ben, denn wider alle Erwartung schmiegte er seine frischen rothen Backen an meinen Hals an und girrte vergnügt wie eine Turteltaube. Die harten Züge der Mutter nahmen einen sanfteren Ausdruck an, die Kinder lachten, ließen von Vandine ab und drängten sich um mich. Jch strengte alle meine schwachen Kräfte an, um das Babh festzuhalten, das seine klei nen, fetten Arme um meinen Hals schlang und freudige Rufe ausstieß. »Das ist merkwürdig,« sagte Frau Steele. »Du kannst hier bleiben, Pollh. Jch sehe, daß der kleine Ben gel bei Dir gut thun wird, und mit der Zeit kannst Du Dich auf verschiedene Weise im Hause nützlich machen. Dick, Du mußt zum Abendbrod hier bleiben, die Kinder habenDich schon lange nicht gesehen.« »Ich bitte um Verzeihung, ich habe für heute ein anderes Engagement,« rief Vandine und trat ohne weiteren Aufenthalt den Rückzug an. Unter der Last des Babhs wankend, folgte ich ihm mit unbeschreiblicher Webmuth »Aus dem Regen in die Traufe !« murmelte er; »ermanne Dich, Pollh ; sei munter und guter Dinge; ich werde oft vorkommen, um zu sehen, wie Du mit dem Babh zurecht tommst.« »Wollen Sie das wirtlich?!« rief ich freudig aus, während Thränen aus meinen hohlen Augen traten. «»Gewiß will ich es; ich bin, wie Du weißt, der Neffe des Hauses. Weine nicht, mein Kind; thut es Dir denn so weh, von mir zu scheiden« Pollh? Beherrsche Dich und achte darauf, daß Du den Bengel da nicht fallen läßt; er ist viel zu schwer für Dich. Und nun auf Wiedersehen!« Jch fühlte mich so verlassen und freundlos, sah jedenfalls so traurig und wehmiithig aus, als ich mit dem Kinde auf den Armen unter der Thür stand, daß Dick Vandine, von einem· mitleidigen Impuls bewegt, sich plötz lich über mich herabbeugte und mich küßte. Diese Liebkosung bezeichnete eine Epoche in meinem Leben. — 18 C a p i t e l. »Komm, liebe Hopkins, wo ist die Laterne?« sagte Miß Pamela Gren lock zu der alten Haushälterin. »Sie ist auf der Veranda in Unit fchaft·,« antwortete die Angs·-:dete. »Es ist stockfinster draußen, md es fängt an zu regnen.« »Das schreckt mich nicht ab,« entgeck nete die alte Jungfer ruhig, indem sie» lkehren Mng u tfatnd M handschuhe anzog.,, kann es with lich nicht länger au; lieu; Robertg Kind auf jede Gefahr its-If henz goklte ed mir auch den Zorn inei ruders zuziehen Jch bin doch wohl alt genug, um zuweilen meines eigenen Willen zu haben.« »Gewiß,« erwiderte die Hart-Mie rin mit einem Blick auf die graues Haare und die Gesichtsrunzeln ihrer Gebieterin; »das Kind ist hiisbfch sie ein kleiner Engel und wohl des Se hens werth; es wundert mich, daß Sie-. so lange im Stande waten. sich m ihm fern zu halten« « Miß Pamela stand im Begriff, et was Unerhörtes zu thun: dee Autori tät ihres Bruders zu trotzen und feine Gebote zu übertreten. Die Wittwe und das Kind Robert Greylocks wohn ten schon seit einem Monat in der Ro sen- -Villa und dennoch hatte Miß Pa mela noch keines von Beiden gesehen. Jetzt aber vermochte sie dem Drange ihres Herzens nicht länger zu wider stehen. Heimlich, in Sturm und Dunkelheit, war sie im Begriff. die Van aufzusuchen. Die Gelegenheit war günstig. Gott frey Greylock hatte sich nach der Biblio thek ziiriielgezogen, die er Abends sel ten vor dem Schlafengehen zu-verlaffen pflegte. Völlig ausgerüstet für ihren nächtlichen Ausflug, trat» Miß Pa mela aus ihrem Boudoir auf die Ve randa hinaus, wo eine angezündete Laterne leuchtete. Frau Hopkins ergriff die Letztere und ging voran. Die Alte war kurz und fett; sie wackelte wie eine Ente, und ihr feistes Gesicht schaute wie ein bergniigter Vollmond unter ihrem: Quäterhut hervor. Miß Pamela folgte ihr dicht auf den Fersen. Der Regen fiel immer stärker herab, und die Bei den mußten hin und wieder durch kleine Bäche waten. Die Furcht, daß Godfrey Greylock ihr frevelhaftes Vor haben entdeckt haben und sie verfolgen möchte, beflügelte ihre Schritte; ein Stein fiel von ihren Herzen, als sie endlich die Lichter der Rosen-Billet von fern schimmern sahen. »Mir bangt vor der Begegnung mit . jener Frau,« sagte Miß PameliL « »Mein Bruder selbst kann keinen grö » fzeisen Widerwillen gegen sie haben als ’ ich: ich hoffe nur, daß das Kind noch nicht schläft. Gott sei Dank, hier sind · niir endlich. Eile, Hopkins, nnd ziehe» ; die lT·iljn(3,el!« Die beiden Frauen betraten den Vordem Rechts von ihnen war das Fenster von Jris’ Boudoir, von Spitzengardinen verhüllt, aber halb of fen, um frische Luft einzulassen. Pliss lich ließ sich aus dem Innern eine zot nige, kindliche Stimme vernehmen: »Ich will meine Polly haben — warum bringst Du mir nicht Polly, Hannahf Jch will nicht zu Bett —- ich will Pollyt haben!« Diese Worte klangen leidenschaftlich und abgerissen, von Schluchzen unter . brochen, aus dem Zimmer in die Nacht hinaus; dann folgte der Ton scharfer Schläge, und Hannah Johnson ant wortete: »Du elender Balg! Wage es noch einmal, das zu sag-en, so prügle ich Dich bis auf’s Blut!« Weitere Schläge verliehen der Dro hung Nachdruck. Miß Pamela und die Haushälterin blickten einander an. »Gerechter Himmel!« rief die alte. Hopkins »Kann ich meinen Ohren trauen P sagte Miß Pamela entsetzt; »si-e hören . uns natürlich nicht; öffne die Thür, Hoptins, sie ist nur angelehnt, wie ich sehe; ich gehe direkt inein. Da sie mit der osen-Villa wohl vertraut war, so trat sie ohne Weiterez in den Hausflur und öffnete die Thüt des Boudoirs. Jn der Mitte des Zimmers lag Iris in einein großen, weichen Fauteuil; sie hatte ein diinnes weißes Nachtgewand - an, das ihr mit den lose herabhängen den dunklen Locken ein fast kindliches Aussehen verlieh; ihre kleinen Hände ruhten müßig auf ihrem Schooßz ihre , Augen waren halb geschlossen. Sie schien sich nicht im Mindest-en um den Kampf zu kümmern, dser dicht neben lihr zwischen Hannah Johnson und Ethel stattfand Sich unter dem festen Griff des Weibes windend und krümmend, das kleine Engelsgesicht von Zorn geröthet, die Augen voll Thränen, die Kleider verschoben —- ein leibhaftiges Bild lieblicher Schwäche in den Händen to her Kraft, so erschien die kleine Ethel szum ersten Male den Blicken ihret; Großtante i »Ich will Polly haben —- ich will tPolly haben!« schrie sie von Neuem; plötzlich schwieg sie, denn sie hatte Miß sPamela erblickt, die, in ihren Regen ; mantel gehüllt, mit Staunen und Ent riistung aus der Schwelle stand, wäh i rend die alte Hoptins mit der Laterne ldicht hinter ihrer Gebieterin stehen ge s blieben war s ,.GcrechterHimmel, Madame!« sagte 1M1sz Paniela, indem sie sich zu der trä Igen weißen Gestalt in dem Fauteuil wandte, »was soll das heißen? Ge ftatten Sie Jhrer Dienerin, Ihr Kind, die Tochter meines Neffen Robert, sc zu mißhandean Pfui, der Schande!« Fortsetzung folgt.) —- Vorgebeugt. Herr: »Aber erlauben Sie mir, Sie haben ja ask meinem Porträt meineNase viel röth gemalt als sie ist!« — Maler: ,,Ttöstes Sie sich, sie wird schon noch so roc werden, als ich sie gemalt habeP