Image provided by: University of Nebraska-Lincoln Libraries, Lincoln, NE
About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Sept. 25, 1896)
Sonntag H Blatt Beilage des »Anzeiger nnd Herold« zu No. 4, Jahrgang l? J. P. WlUdUlph- HemUsgebeL Grund Jstano, Jkevr, den 25. September 1896 ZE WDcimungyamen Roman von Claire o. Gltimxr Gottieiutw »Ich habe mich versündigt und büße jegt dafür! . . . . ich mußte wissen, daß zwischen Dönninghausen und der To ter des Schauspielers ein Abgrund klas t, der sich nicht überbriicken läßt . . Aber ich bin alt geworden, Thetla, alt nnd schwach! · . . . ich habe das Mäd chen geliebt, wie kein anderes meiner Kindestinder . . . . ich habe geglaubt, meine Empfindungen, meine Begriffe von Recht und Ehre bei ihr wiederzu finden . . . . Jrrthum, Theklal Trug bilder eines altersschwachen Thoren, oder Komödianterie des Mädchens . .. Jhr Vater soll ja ein großer Mann un ter den Komödianten gewesen sein!" und wieder lachte er hart und höhnisch. »Johann, lieber Johann, du vers tin digft dich«, schluchzte TanteThekla. Der Freiherr blieb vor ihr stehen. »Du hast Recht,« sagte er in etwas milderem Tone. »Sie hat mich nicht absichtlich hintergangen, ist nicht falsch, nur dem Fluche verfallen, der im Blute steckt. Das ist nicht ihre Schuld, aber meine ist und bleibt, daß ich sie hierher gebracht habe und um ein Kleines auch noch den Namen unseres Geschlechtes an sie weggeworfen hätte.-——Dem Him mel sei Dankt« fuhrer nach einer Pause fort und legte die Hand schwer auf die Schulter der Schwester, »dem Himmel sei Dankt So weit ist es nicht gekom men und ich gelobe mir selbst und Euch Allen, es soll von Stund« an mit jeder Schwachheit aus und vorbei sein. Nicht einen Gedanken will ich an dies un glückliche Geschöpf verschwenden. Alles, was mir noch an Lebenskraft und Dauer beschieden ist, soll Dönninghau sen gewidmet sein. und alle meine Sorgfalt soll den echten Kindern mei nes hauses gehören, die mir und mei nem Namen Ehre machen.« Thekla zog die Hand des Bruders an die Lippen und brach aufs Neue in Thränen aus. "»Sei ruhig!« sagte er mit rauher herzlichkeiL ,,Schließt die Reihen, heißt es im Leben wie aus dem Schlachtfelde; je kleiner das Häuflein wird, desto fester muß es zusammen halten. . .. ich denke, wir Dönning häuser stellen unsern Mann.'« Thekla antwortete nicht; der Ge danke an Otto und Magelone verschloß ihr den Mund. l Achtundzwanzigsies Catil tel. Batii hatte Johanncks Entschluß nur den Widerstand der Höflichkeit ent gegengesetzt; im Grunde war es ihm lieb, nicht mehr bei jeder Mahlzeit ih ren ernsten Augen, in denen er bald Traurigkeit, bald Vorwurf zu sehen glaubte, gegenübersitzen zu müssen. Auch zu der späteren Trennung doni Lisbeth hatte ihn Helene zu bereden ges-s wußt, indem sie ihm vorstellte, daß die? Meine ihren Widerwillen gegen denj Cireus vielleicht am schnellsten über-Z wand, wenn sie eine Zeitlang nichts da-. von sah und hörte. ! So zog denn Johanna schon am nächsten Morgen im Terrassenhäuschen ein. Helene und Lisbeth begleiteten sie. Helene war bedenklich; sie sand die Wohnung zu einfach, durstig beinahe.. Lisbeth dagegen schwamm in Ent zücken: die kleinen Stuben, die selt same Terrasse, die sechs Schwestern, die so lustig und freundlich waren, nah men ihr Kindetherz im Fluge gefangen. «Riclchen, Finchen, Jettchen, Minchen, Annchem Sannchen,« sang sie vor sich hin, und als helene zum Ausbruch trieb, bat sie inständig, bei Johanna bleiben zu dürfen. »Du bist ja doch nie, nie zu haus, liebe Mama,« tilgte sie hinzu, und He lene, die mit Schmerzen aus das heu tige Souper verzichtet haben würde, ließ sich erweichen. Aehnltebexv lnde fand-en sich nun täglich; heleue war, so nah vor der Abreise, - mehr als je in Anspruch ge T nommen, und außerdem war es ja ams besten, wenn sich das Kind so schnell als möglich in seine neue Umgebung einlebte. »Eine Mutter muß sich selbst bezwingen lernen!« sagte sie und be-« gnügte sich damit, Lieb-up täglich eiul paar Stunden in’s Hotel kommen zu lassen oder sie zur Spazierfahrt abzu holen-. Als der Abschied kam, war aber doch« alle Selbstbeherrschung zu Ende, und die Mahnung des Arztes, das reizbare Kind nicht aufzuregen, blieb unbeach tet. Krampshaft schluchzend. hielt He lene die weinende Lisbeth, die Johanna in’s Hotel geführt hatte, umklammert und gelobte, so bald als möglich wie derzukommen, um sich nie mehr von ih rem Liebling zu trennen. Halb..ge waltsam wurde sie endlich "'von Batti fortgefiihrt; auch er weinte, und als er Johanna mit herzlichem Lebewohl die Hand bot, war sie nicht im Stande ihn zurückzuweisen. Sie gingen; Johanna ließ das Kind aus dem Fenster sehen, während Mama und Onkel Carlo in den Wagen stiegen, der sie nach dem Bahnhofe bringen sollte. Sie grüßten herauf, die Pferde zogen an, noch einmal bog sich Helene aus dem Wagen; die blonden Locken fielen über das rosigeGesicht, die blauen Augen strahlten durch Thränen; mit anmuthiger Geberde warf sie den Bei den vom Fenster eine Kußhand zu — Johann sollte das Bild nie vergessen. Nach diesem Abschiede, das heißt, nachdem die Tagesordnung nicht mehr durch Helenens rücksichtslose, launen hafte Ansprüche gestört wurde, kam Jo hanna's Leben bald in ein festes Geleis. Eine Weile lehnte sich Lisbeth gegen das »dumme Arbeiten« auf, das die Schwester so viel in Anspruch nahm und dem auch alle übrigen Bewohner des Terrassenhäuschens verfallen schie nen. Der Vater —- ein freundlicher Mann, der die schönsten Geschichten er zählen konnte und Abends das Clavier spiel der Töchter mit der Geige beglei-«l tete —- war an einer Volksschule angeq stellt. Die beiden ältesten Töchter ga-« ben Musikstunden, die dritte hatte den; ganzen Tag mit der Mutter um die Wette im Hause zu thun, und die drei »Kleinen« gingen mit wichtigen Mienen und schweren Büchertaschen in die Schule. Nach kurzer Zeit wurde auch Lisbeth ihrer Unthätigkeit müde, und sobald der Arzt, der zuweilen nach ihr sah, seine Einwilligung gegeben hatte,s durfte sie zu ihrem Entzücken ihr liebes Sannchen in die Schule begleiten. Doktor Wolf war mit Johanna’s Lebenseinrichtung nicht zufrieden. »Bedenken Sie das Goethewort: »Wer sich der Einsamkeit ergiebt,« sagte er; »der Künstler darf nicht allein sein; der volle Strom des Daseins muß ihm Erfrischung und Anregung zutragen.« Auch für den äußeren Erfolg ist es gut, wenn er persönlich bekannt wird.'« Johanna widerspruch. Sie bediirsei vor Allem der Ruhe, versicherte sie;? müsse innerlich viel überwunden und» geklärt haben, ehe sie Muth fände, sich nach Außen eine Stellung zu schaffen."« Wie muthlos sie durch die Erfahrung mit Batti und Doctor Stein geworden war, wollte sie nicht gestehen; aber sie fürchtete sich vor jedem fremden Gesicht. Der Verkehr mit Doktor Wolf und ih ren Hausgenossen war ihr genug, und wenn sie sich arbeitsmiide fühlte, gab ihr ein Spaziergang auf stillen Feldwe-« gen oder eine Ruhestunde im Linden schatten der Terrasse wieder frischen Muth. Sclbst die einfachen musikali-« schen Leistungen ihrer Hausgenossen wurden ihr mehr und mehr zur Et-· quickung Die tief musikalische Em pfindung des alten Lehrers ergänzte die Mängel seiner Technik; mancher bril lante Vortrag im Hause ihres Vaters hatte Johanna Hahdn und Mozart nicht so zum Verständniß gebracht, wie es jetzt das Suchen und Tasten dieser« kindlichen Seele that —— oder hatte nur, sie selbst mehr Eindrucksfähigteit ge-; . wonnen2 —— Vor Allem wurde ihr der fungestärte Verkehr mit Lisbeth eine iWohlthat und das Bewußtsein, sie, fiir eine Weile wenigstens, in gesunde Luft gerettet zu haben. Erst jetzt wurde Lis beth zum Kinde, das unbefangen lachen und spielen konnte, ohne dabei an den Eindruck zu denken, den sie hervorbrach te. Von ihrer schönen Mama sprach sie oft; aber sie wurde ihr gleichsam zu einem Märchenbilde, das nicht in die Alltagsbedingungen des Lebens hinein gehört. Und eines Tages —- Helene hatte schon zweimal, voll Entzücken über die schöne, elegante Stadt aus Brüssel ge schrieben —- lam ein Brief von Batti mit ers chütternder Kunde. Er und He lene waren mit einem neuen Gespann ausgefohren, die feurigen Thiere waren durchgegangen; Helene hatte sich, von sinnlosem Schrecken erfaßt, aus dem Wagen gestürzt, schwer verlett und war nach wenigen Stunden gestorben. »Wenn ich sterbe, soll Lisbeth bei Jo hanna bleiben,« hatte sie wiederholt ge sagt, und obwohl sich Baiti leiden schaftlich nach dem Stieftöchterchen sehnte, hielt er es für seine Schuldigkeit, den letzten Wunsch der Todten zu erfül len. Vielleicht, wenn Lisbeth gesunder war, erbarmte sich Johanna feines ber ödeten Lebens, und kam mit der Klei nen zu ihm. Für den Augenblick, hieß es dann weiter, würde er freilich kaum im Stande sein, ihren Anblick zu ertra gen. Auch in Brüssel zu bleiben ver möchte er nicht; wahrscheinlich ginge er gleich nach Petersburg oder nach Paris, oder nach London. Alles wäre im Grunde einerlei; nur fort müsse er, weit fort von der Stätte, wo er so Ent fetzliches erlebt. Aber wo er auch fein möge, überall würde er für Lisbeih ar beiten. Die Sorge für sie, die Aufgabe, ihr eine glänzende Zukunft zu sichern, wäre das einzige Band, das ihn noch an das Leben knüpfen und ihm für sein auf ewig verlorenes Glück einigen Trost gewähren könne. Von Johanna erwarte er, daß sie ihn in dem Bestreben, das Kind glücklich zu machen, nach Kräften unterstützen wür de. Jeden Wunsch der Kleinen möge sie erfüllen, und das liebliche Wesen, der Mutter holdes Ebenbild, mit all’ dem Glanz umgeben, den Helene so sehr ge liebt hätte. Jn diesem Augenblick lam Lisbeth, die mit den Kindern des Hauses gespielt hatte, fröhlich herein. ,,Hanny, was ist dir?« rief sie er schreckt, als sie das Gesicht der Schwe ster von Thränen überströmt sah. Johanna breitete ihr die Arme ent gegen. ,,Komm’, mein Liebling!« slüsterte sie, die lleine Gestalt fest an sich pres send. »Nun hast du Niemand mehr als mich · .. nun bist du auf immer mein liebes Eigenthum.« NeunundzwanzigstesCapi te l. Jn Dönninghausen wurde Johann Leopold’S Rückkehr erwartet. Den Tag derselben hatte er, um den Empfangs feierlichteiten zu entgehen, nicht ge schrieben; fo war denn, als er mit dem Nachmittagözuge in Thalrode ankam, tein Wagen für ihn geschickt und der Gastwirth, der bei solchen Gelegenhei ten Fuhrwerk zu liefern pflegte, bat ihn mit einer Fluth von Entschuldigun gen, sich eine halbe Stunde gedulden zu wollen, weil der Ernte wegen alle Pfer de im Felde wären. Johann Leopold befahl, ihm ein Glas Bier in die Laube zu bringen, und nachdem er den schwatz haften Wirth kurz abgefertigt hatte, saß er in dem schattigiiihlen Versteck den Heimathbergen gegenüber und fühlte bei ihrem Anblick eine Freude, deren er sich nicht fähig gehalten hätte. Aeußerlich war er kaum verändert; das blasse Gesicht nur wenig gebräunt, die Haltung nur wenig straffer, die Be wegungen nur wenig elastifcher als vor der Reise. Und innerlich? « Auch jetzt fühlte er sich nicht völlig befreit von dem seelischen Druct seiner Erbtrant heit, aber leichter war derselbe gewor den; die Anfiille des Uebels waren seit Jahresfrist nur schwach gewesen, wa ren jetzt seit Monaten ausgeblieben — vielleicht war ihm der Himmel doch noch gnädig — und wenn, wie des Großva ters te ter Brief behauptete, Magelone seiner mtehr wirklich mit Sehnsucht entgegensah — wenn sie ihn lieben konnte und mit ihm wartete, bis er sie mit ruhigem Gewissen sein nennen durftet —- Aufseufzenlv strich er iiber Stirn und Augen, aber die holden Zu kunftsbtlder wollten sich heute nicht nicht wie sonst verscheuchen lassen; ver heißungsvoll winkten sie ihm am Ein gange des Vaterhauses zu —- und er hatte so lange gegen Herz und Sinne gekämpft und war des Kampfes so müde! Nahende Schritteweckten ihn aus s ei nen Gedanken ,,Guten Tag, Junker! Glücklich wie der da?« rief eine heisere Stimme, und der rothe Jakob streckte dem Aufblicken den die Hand entgegen· Johann Leopold schüttelte sie, wie es von Alters her zwischen ihnen der I Brauch war. »Nun Jakob, du siehst ja wieder ganz stattlich aus!« sagte er »Hoffentlich geht es dir und deiner Christine noch , immer gut in Eurem Waldnest?« ) ·,,,Danke Junker, wies unser einem gehen kann's antwortete Jakob, und indem er sich ohne Weiteres Johann Leopold gegenübersetzte, fügte er hinzu: »Ist mir ungeheuer angenehm, daß ich Sie gleich hier antreffe; —- habe mit dem besten Willen von der Welt großes Unheil angerichtet, und meine einzige Hoffnung ist, daß Sie alles wieder in’s Geleise bringen.« »Wenn ich es kann, von Herzen gern, « antwortete Johann-Leopold- »Jn den nächsten Tagen komme ich zu dir hinauf, dann wollen wir die Sache be sprechen. « »Nein, Junker, jetzt gleich müssen Sie mich anhören, « fiel Jakob ein. »Wenn Jhnen die da drüben,« er deu tete in die Ferne, ,,erst den Kopf warm gemacht haben, können Sie krumm und gerade nicht mehr unterscheiden. Jch aber sage Jhnen, und ich will’s be schwören, daß die gnädige Frölen keine Schuld gehabt hat, aber auch gar keine ——— und daß es eine Sünde und Schan de ist, sie fortzujagen wie einen räudi gen Hund . . . .« »Mensch, sprichst du von meiner Cousine?« fiel ihm Johann Leopold in’s Wort. ,,Mäßige dich und laß den Unsinn. Freiwillig ist sie zu ihren Ber wandten gegangen, nachdem sie freiwil lig ihre Verlobung aufgelöst hatte.« »So? Alles nur aus Plaisirlichkeit«? sagte Jakob mit boshaftem Grinsen. »Natürlich behaupten das die Beiden, die an Allem schuld gewesen sind . . .. Zu ihren Verwandten, meinen Sie? — unter die Kunstreiter ist sie gegangen . . . . da können Sie’s mit eigenen Au gen lesen.« Er legte eine Brieftasche auf den Tisch und suchte mit der gesun den Hand ein Blatt heraus herdor, das er JohannLeopold reichte. »Meine Chri stine hat sich darüber fast die Augen ausgeweint,« fuhr er fort, »und ich habe versprochen, daß ich’s Jhnen sa gen will, damit Sie das gnädige Frö len wieder herholen und die fortjagen, die’s verdienen.« Johann Leopold hatte das Blatt überflogen. ,,Unsinn !« rief er, dieStirne runzelnd. »Es werden ebensoviel Lügen gedruckt wie gesprochen. Aber was meinst du mit den Beiden, die schuld sind? —— was geht dich überhaupt die Geschichte an? — Ein unverschämter Geselle bist und bleibst du . . . .« »Junier!« schrie der rothe Jakob auf, und ein böser Blick brach aus den tiesliegenden Augen; nach einer Pause fuhr er ruhiger fort: »Diesmal habe ichs freilich verdient, daß man mich schilt, wenn auch in anderer Weise als ;Sie’s meinen.... Es wurmte mich gar zu sehr, die gnädige Frölen so be trogen zu sehen. Jm Walde haben sich die beiden getroffen, der Junker Otto und die gnädige Frau von Magelone, die dazumal bei den Klausenburg’ schen zum Besuch gewesen ist Jmmer drei I ster sind sie geworden und immer ver siiebten und mittlerweile ist der Hoch zeitstag immer näher gekommen — und endlich hab’ ich’s nicht länger mit ansehen können und habe die gnädige -Frölen unerwartet darauf zukommen lassen, wie die Beiden sich in den Armen gelegen haben und die ganze Welt ver gessen war.« »Weiter!« sagte Johann Leopold, der bleich und starr, mit aufgestütztem Kopfe dasaß. Der rothe Jakob zucktt die Achseln. »Was ist da weiter groß zu sagen?' antwortete er. »Die gnädige Frölen ist gewiesen wie ein Steinbild; kein Wort hat sie geredet, nur die Aug-en- haben so beweglich ausgesehen, wie die vom Reh, das verenden will. Jch habe die Chri stine gerufen, daß sie ihr zureden soll-H aber das war Alles umsonst! — Jchs habe gemeint, sie wird sich ein Leid an thun . . . . Was es im Schlosse gegeben hat, kann ich natürlich nicht wissen; aber die gnädige Frölen ist fort, und! Junker Otto sitzt warm und fest in Tannshagem das der gnädigen Frölen gehören sollte, und was die gnädige Frau bon Magelone betrifft . . . . »Es ist gut, Jakob!« fiel Johann Leopold ein, indem er sich erhob. »Was sich thun läßt, soll geschehen, verlaß dich darauf.... Da kommt der Wa gen . . . . Du magst dich bis zum Klau senburger Kreuzweg zum Kutscher setzen.« ,»Danle, Junker, habe noch in Thal rode zu thun,« antwortete Jakob. Der Wirth stürzte herbei, dem gnädigens Herrn beim Einsteigen zu helfen; müde sank dieser in die Kissen zurück. »Der ist auch nicht gesunder gewor den,« sagte Jakob, nachdem er den Fortfahrenden zum letzten Mal gegrüßt hatte. »Und freundlicher auch nicht,« brummte der Wirth. «H0,chnäsig und steifnackig sind sie Alle, die da auf Dön ninghausen beisammen sitzen.« Der rothe Jakob lachte höhnisch vor sich hin ,,Stolz und stattlich müßt Jhr sa gen!« rief er. »Für die Art gilt an der Maß und Gewicht, als für unser einen.« Stolz und stattlich sah es denn auch aus, als der Wagen, der den Erben des Hauses zurückbrachte, an der Freitreppe vorfuhr, das Dienstpersonal herbeilief, Goldhund in wilden Freudensprüngen den Aussteigenden umkreiste, und der alte Christian, mit Freudenthränen an den weißen Wimpern. ehrerbietig am Schlage stand, während der Freiherr in sein-er gebietenden Haltung am Ein gange ers chien. »Gott segne dich,mein lieber Junge!« rief er mit schallender Stimme, indem er den Enkel umarmte, und sein auf leuchtender Blick überflog Gesicht und Gestalt des jungen Mannes, der sich mit aller Willenstraft aufrecht hielt. »Lieber Großvater, wie freue ich mich, dich so unverändert wiederzufin den!« sagte er herzlich! und dann um armte er Tante Thekla,- die aus dem Hintergrunde hervortrat, und als er losließ, stand Mageionse da. mit errö thendem Gesicht und flimmerndcn Au gen, ein süßes Lächeln aus den Lippen. Und mit diesem süßen, lügnerischen Lächeln, wie Johann Leopold zu sich selbst sagte, flüsterte sie, ihm beide Hän de reichend, weich und zärtlich zu, wie er es nie von ihr gehört hatte: »Gott sei Dank, daß du glücklich wie der da bist!« Einen Augenblick fühlte er sich ver sucht, sie trotz Allem, was er gehört . hatte, an sich zu reißen; aber er be herrschte sich und küßte ihr nur die Hand. Magelone wechselte die Farbe; I sie hatte eine wärmere Begrüßung er-l «wartet. Doch schon im nächsten Mo ’ ment war ihr Gesicht wieder hell wie zuvor. Johann Leopold konnte Ia nicht wissen, wie sie über ihn und seinen Ab- I schiedsbrief dachte Sobald als mög-’ lich sollte er das erfahren, vielleicht fand sich noch heute Gelegenheit, es ihm klar zu machen. » Wenn er selbst nur etwas gewandter gewesen wäret Aber anstatt Magelone in den Garten zu folgen, als sich der » Freiherr bald nach dem Abendessen zu ; rückzog, setzte er sich zu Tante Thekla in » die Veranda. E Eine Zeitlang hatt-e er bereitwillig auf ihre Fragen geantwortet, dann sagte er: »Liebe Tante, ich möchte mir auch von dir einige Aufschlüsse erbitten. Der rothe Jakob, den ich zufällig m Thal 'rode getroffen habe, hat mir seltsame Mittheilungen gemacht; welcher Art sieg sind, brauche ich wohl nicht erst zu ls isa geIxante Theila antwortete nicht, aber ihr Gesicht verrieth ihre Bestürzung . »Du schriebst mir, daß Jhr überein gekommen seid, nicht mehr von Johan na zu sprechen,« fuhr Johann Leopold nach einer Pause fort; »es thut mir leid, dich zu quälen; ich möchte aber Niemand Unrecht thun, darum bitte, fag’ mir: hat Otto Johanna Anlaß zur Eifersucht gegeben-? —- Nach den De tails frage ich nicht, nur Ja oder Nein, liebe Tante.« »Er weiß Alles!« sagte die alte Da me zu sich selbst, und unfähig, die Wahrheit zu verleugnen, antwortete sie: »Ja, leider!« Johann Leopold hatte den Kopf ge senkt und athmete schwer. « »Und Großpapa hat davon nichts er fahren?« fragte er nach abermaliger Pause. »Nein, mein Bruder glaubt, daß sich Otto und Johanna wegen ihrer väter lichen Verwandten entzweit haben, daß er von ihr verlangt hat, zwischen uns und dies-en Leuten zu wählen . . . .« »Und in dem Jrrthum hat ihn Otto gelassen?« rief Johann Leopold. Die Tante legte erschreckt die Hand auf seinen Arm. »Du willst ihn doch nicht etwa auf klären?« fragte sie. »Ich bitte dich um Alles, thu’ es nicht . . . du kannst nichts damit gut machen! Johanna kann ja doch nicht mehr unter uns leben. .. . Und mein Bruder mit seinem Ehrge fiihl, seine Pflichttreue, ich bitte dich, schone ihn . . . .« Sie brach in Thränen aus. »Sei ruhig!« bat Johann Leopold. »Jch verspreche dir, Großpapa nichts zu sagen, was nicht gesagt werden muß. Aber nun noch eine letzte Frage: was weißt du von Johanna?« »Johanna ist bei ihrer Stisefmutter,« antwortete sie; »die Frau hat wieder geheirathet, den Kunstreiter Batti, unsd die arme Johanna ist Kunstreiterin ge worden« Also wirklich! Johann Leopold hatte die Zeitungsnotiz, die ihm Jakob gege ben, fiir unwahr gehalten, aber nun sagte er sich, daß dieser Gang der Dinge ein naturgemäßer sei. Das Künstler blut des Vaters und die unglückselige zweite Heirath der Stiefmutter hatten Johanna, als ihre bisherigen Verhält nisse zusammenbrachen, unabweislich auf diesen Weg getrieben. Vielleicht hatte sie auch, leidenschaftlich wie sie war, zwischen dem Einst und Jetzt eine unüberwindliche Schranke ausrichten wollen. Das war ihr gelungen. Un überwindlich war die Schranke für Jo hann Leopold’s Empfinden sowohl wie der Welt gegenüber. Jeder Blutstro pfen in ihm empörte sich gegen die Kunstreiterin, und Tante Thekla’s Worte: »Johanna kann nicht mehr un ter uns leben,« sprachen seine eigene Ueberzeugung aus. Das war also vorbei und abgethan, aber was weiter? Warum konnten sei ne Beziehungen zu Magelone nicht ebenso zweifellos feststehen? und wa rum konnte er, wenn er entsagen mußte, nicht wenigstens ihr Bild in unbefleck ter Schönheit festhalten? Aber ihr heu tiger Empfang nach dem, was zwischen ihr und Otto vorgegangen, war ein doppelter Verrath Oder suchte sie vielleicht aus Furcht vor dein Großva ter, aus Reue, aus Pflichtgefühl ihr Herz zu überwinden? Das durfte nicht sein, und vor Allem durfte er selbst sich keinen Illusion-en hingeben, mußte der Versuchung, so hold sie war, gleich und aus immer eine Ende machen. Seufzend sah er auf; eben kam Ma gelone die Allee entlang, die lichte Ge stalt, das lockige Haar von goldigem Abendschein übergossen —-- für Johann Leopold der Inbegriff aller Anmuth. Leichtfüßig eilte sie die Stufen herauf und im nächsten Moment schlang sich ein-e Rante duftender Sommerblumen um Johann Leopold’s Schulter und Arme. »So —- allen Empfangsfeierlichtei ten sollst du doch nicht entgehen!« sagte sie neckisch »Wie willst du dich nun wehren? Blumenketten zerreißt man nicht« »Warum nicht? Lieber ein zerrisse ner Kranz als ein wellender,« gab er bitter zur Antwort, indem er die Guit lande abstreifte. (Fortsetzung folgt.)