Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, January 09, 1920, Image 2

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Anssische SchuitenbiLder.
(Berlin ,toa.)
Turch feit ftt Grenze,
Endlich die Grenze l . . . Dort irgend
ws in der Cüvwestecke Polen, zwischen
Baranowice, Homel. und Minsk. Mein
Kutscher ist ein einheimischer Jude, mein
Gefährt ist ein hslbzersallencr Panje
wogen, der zwischen zerstörte Stachel
drahtgchcg? und dersumpsten Laufgra
ien pahintnarrt. Der Weg ist ab scheu
lich; bald versinken wir in , grundlosen
Wasserlachen, bald stolpern wir über
Stcinhausca oder über Massengräber der
im Kriege Gefallenen. Mein Kutscher
hat große Angst und überredet mich mit
allerlei Listen, ihn vorzeitig zu eutlas
sm und ihm den ausbedungenen unver
schämt hhen Lohn von 70 Rubeln voll
auszuzahlen. Bald täuscht er mir vor,
daß im nahen Wäldchea bereits rote
Vorposten lauerten und uns bestimmt be
schießen würden, bald stellt er , sich
schwerkrank und schüttelt sich sehr un
natürlich in plötzlichen Fieberschauern,
u sofort zu gefunden, wenn ich ver
spreche, auf seine Rechnung im, nächsten
Dorf ein neueZ Fuhrwerk zu mieten.
Wer wir sind noch nicht einmal bei der
neutralen Zone angelangt, wir begegnen
och manchen polnischen Patrouillen,; die
unsere Papiere prüfen, und die nächste
Station ist noch von den Polen besetzt.
. Ein blutjunger Leutnant ist Kom
I Mandant dieser Station, auf seinen 13
jährigen Schultern ruht eine große Per
antwortung. Vergebens versucht n sein
kindlich-freundlicheS Gesicht in wichtig
Falten zu legen, wenn ihm die Eendar
wen der Spionage Verdächtige oder
lleberläuser aus dem Gebiet der Bolsche
Unken oder auch nur Bewohner auS der
Umgegend, die ohne Ausweis auf den
Straße ergriffen wurden, ins Zimmer
führen, er ist gegen alle höflich und der
sucht, seine Autorität zu wahren. Hin
:.. beginnt die wirkliche Front, natürlich
muß man sie sich anders vorstellen, Äs
wir sie im großen Kriege gesehen haben.
Es gibt dort kine Laufgräben, , keine
Drahtgeflechte oder Verschanzungen. Der
Krieg wird eigentlich nur auf den Haupt
wegen und längs den Eisenbahnen ge
führt. Die Streitkraste. die sich gegen
überstehen sind nicht zahlreich, so ist es
: denn nicht unmöglich', sich in der Dun
Scheit durch die Front zu schleichen, ohne
von Freund oder Feind bemerkt zu wer
1 - den.
Noch etwa 5 Kilometer von der Sta
tio entfernt.- besetzen polnische Vor
Posten und Patrouillen einzelne Dörfer
und Brücken, dann beginnt daZ neutrale
Gebiet, ein Gelände von etwa 10 Kilo
inetern, welches von niemand besetzt ist
und in dem keine Gesetze gelten. Von
beiSen Seiten schweifen ab und zu Ka
vallerieabteilungen durch diese Zone, de,
schießen sich, wenn sie aneinander pral
Ien, ohne sich aber in ein ernsteres Ge
f:5,t einzulassen. In den Wäldern hau
stn'Kundfchaster, Deserteure und Räu
ber, be.- bei einiger Vorsicht ist eS im
merdi möglich, dieses Gebiet zu passier
. ren.'., .
Tet Weg scheint frei zu sein, nur auS
einem fernen Dorf von der feindlichen
Seite her fliegen ab und zu Kanonen
kugeln zu unserem Standort herüber,
richten aoer keinen Schaden an, da die
Posten gut gedeckt sind. Nun gilt es,
nur mit einer Handtasche unter dem
Arm, den Gang ins Ungewiß zu tun,
in jenes so rätselhafte Sowsetland, daS
jetzt nicht weniger abgeschlossen als Ti
bet liegt. Dort sind alle EeseLschaftS
foraa ml iSrem Ballast an morali
, fchen. ethischen'und politischen Begriffen
über den Haufen geworfen. Im ChaoS
in noch nicht abgestorbenen alten For
... men und der Zerrbilder von improvisier
ien Neuerungen brodelt der russische
Hezenkessel. Ein Gefühl der Hilflosig
seit, der Unmöglichkeit, irgendeine Be
rechnung aufzustellen, überkommt einen,
wenn mag den ersten Schritt hinaus in
die" neutrale Zone tut. wo jede Gesetz
niäßigkeit begraben ist und wo nur der
Zufall waltet. Rund herum ist es ein
fam, unwillkürlich verbirgt man sich hin.
ter Sträuchern und Gebüsch, um nicht
don Unberufenen gesehen zu werden. Na
türlich bitt ich, den Verhältnissen ent
sprechend, so einfach gekleidet, daß kein
Räuber mich eineS UeberfaLs für wür
feig erachten wird, und so erschrecke ich
,den auch nicht allzusehr, als ich plotz
lich nter einem Baume auf ine zer
lumpten Mann ftoße, der wahrscheinlich
IS Kundschafter ausgesandt ist. Ich
nähere mich ihm furchtlos und erkundige
mich nach dem Wege. 3r blinzelt mich
zuerst listig an, rät mir aber dann, links
durch den Wald zu gehen, dort würde
'mich niemand behelligen. Ich glaube
ihm. und wirklich ftoße ich nach einigem
Wandern auf den verödeten Bahn
dämm. Nach einer halben Stunde "muß
ich endlich bei de Bolschewiste sein.
Das .Stationsgebäude, da! sie besetzt
halten, ist schon zu sehen. Endlich auf
der Eisenbahnbrücke hält mich der erste
rote Militärpoften an. Der Sprung in
Ungewisse ist getan, und eS gibt, für den
Augenblick wenigsten, kein Zurück mehr
in die Welt del Kultur, der alten liebe
Gewohnheiten und Begriffe. Ein Ge
. suhl deS GrauenS steigt in mir auf. da
aber fofvrt nach einer freundlicheren Be
rüßung durch die Soldaten schwindet.
Sie lassen stA in ein längere! Gespräch
ein, feVf sich nach Frieden und sind
fet fält auf die Juden, die an allem
Me Cckmld baten sollen. Sie lassen mictT
u"?znind ri passieren. Auf der Station
atet niemand auf mich, überall schien,
der? "Sonaten herum, liegen nachlässig
auf d'g Bänken oder unterhalte sich
h? in drti Warteraumen. Trotzdem
der "eind so nahe ist. ist wenig von feld
mäfssqek Disziplin , merken. Zwei
Waschinen siehe unter Dampf, um im
Falle eine TnarifsS die ganze Besät
zung fort'.uführen. Der Gesamteindruck
.ist der einer areßen Schläfrigkeit und
! beinahe gütmuiigk Sorglosigkeit. Zu
! dikr Stimmung Passen die klutdÜrsti
I am Plakate sch'ccht, die überall an den
' Wänden angeschlagen sind, und worin
von G. von Nngern-Sternberg.
die Vernichtung der Burshul und der
2od btt elenden weißen Garden gesor
dert wird. Zu essen gibt eö beinahe gar
nicht, und da wenige, wa sich findet,
ist fast dreimal so teuer wie auf der
nahen polnischen Seite. Da offizielle
Golschewikengeld Kerenökischeine und
die neuen. Lenenki will niemand neh
men, obwohl auf ihrer Annahmeverwel
gerung eine schwere Strafe steht, olle,
namentlich die Bauern,' verkaufen Le
benZmittel nur gegen da alte garen
geld, da einzige, zu dem sie Zutrauen
haben, denn mit dem Sturz der Bolsche
wiken würde auch ihr Geld - mit allen
Neuschaffungen der Revolution wertlos
werde und verschwinden.
Um weiter zu fahren, bedarf e der
Erlaubn! der Delegierten, der außer
ordentlichen Kominission. heute die Her
ren über Leben und Tod der Bewohner
de? russischen SowjetreicheS. Hier auf
der Station liegt die Macht in den Hän
den eines früheren Matrosen und eine
niederen Eisenbahnbeamten. Ein ge
waltiger Revolver blitzt mir entgegen,
als ich den gefürchteten Raum betreten,
aber die Leute lassen mit sich reden und
werden bald sogar ganz freundlich und
gefällig, sie erkundigen sich eingehend nach
de Verhältnisse in Deutschland. Sie
zweifeln am Segen der Weltrevolution
und am Heil der bolschewistischen Me
thoden, aber nun gelte eS eben bis zum
Ende durchhalten. UebrigenS haben auch
sie ihre Sache gepackt, um bei der ersten
Gefahr fliehen zu können, nach der
Märtyrerkrone scheint sich hier niemand
zu sehnen. Sobald eS dunkel gewor
den, geht ein Zug mit ausgelöschten Lich
tern, damit er nicht von weisem gesehen
wird. Mit dem Erlaubnisschein in der
Tasche kann ich meine Fahrt nach Mos
kau fortsetzen, die rote Grenze ist ? as
siert.
Nach Moskau. .
ES ist nicht nur eine Uebequemlichkeit,
eS ist heute beinahe eine Tollkühnheit,
mit russischen Eisenbahnen fahren zu
wollen. Robuste Männer und Frauen,
auf den Schultern Säcke voll Lebens
Mittel, die ei ganze! Vermögen dar
stellen, zermalmen und zerquetschen den
unglücklichen Reisenden. Einen Eingang
kann er sich günstigenfalls durch eines der
zerschlagenen Fenster robern, aber
wahrscheinlich fliegt er durch daS nächste
wieder heraus. Ist er ein guter Tur
ner, so kann er. sich dielleicht auf das
Waggondach retten, aber auch dorthin ist
der Andrang ein großer, so daß man
leicht während der Fahrt abstürzt. Nur
der Stärkere behält Recht, und Brüder
lichkeit gibt eS nicht. Zwar führen die
wenigen Züge, die in Sowietrußland
verkehren, ein oder zwei Wagen, die nur'
für Sowjctöeamte Militarkuriere und
Delegierte bestimmt sind: glücklich, wer
darin einen Platz erhält, man hat we
nigsten Aussicht, sich gelegentlich setzen
zu können, und die Wachen, die mit Was
fengewalt den Zugang hüten, lassen kei
nea Unfug zu. Unter den Reisenden.
fowoh? im Zug als auch auf den Sta
tionen. fallt oft ein Mißmut auf. der
sich freilich nicht recht Luft zu machen
wagt. ; Jeder scheint Theater zu spielen
oder irgendeine auswendig gelernte Rolle
herzusagen, und nur in den Blicken, in
irgendeinem , flüchtigen Lächeln, leuchtet
mitunter die-wahre Stimmung auf. Oft
scheint sie der Bolschewistenherrschaft
nicht günstig zu sein. Man fügt sich
aber den neuen Herren, dielleicht aus
Furcht, dielleicht auS Apathie, weil eS
nun einmal nicht anders geht, öder weil
man jedeS politischen Denkens müde ge
worden ist. Sicher ist nur. daß die Re
gierung bei der Landbevölkerung keinen
Kredit hat, denn fast bis vor die Tore
Moskau kann man nur für daS alte
Zarenael, etwaS kaufen, der Bauer will
weder von dem kleinen KcrenLki, noch
von dem neuen Lcningeld etwas wissen.
Der Zug halt ganz unerwartet im
Feld, kurz vor der Einfahrt in die Sta
tion. E erweist sich, daß der Maschi
ist feine Zeit abgefahren hat, und da
die Ablösung nicht eingetroffen ist, so
will er hen Zng seinem Schicksal über
lasse und nach Hause gehen. Unter
dem Publikum herrscht. Bestürzung; aber
da eine derartige Ueberraschung vielleicht
nicht zum ersten Male stattfindet, fo
macht nun gute Miene zum böse Spiel.
Schnell wird nter den Reisenden eine
Sammlung veranstaltet nd dem Ma
schinift eine ansehnliche Summe gebo
ten. Er läßt sich erweichen,, und wir
fahre weiter. Derartige Streiks wer
den übrigens don der Sowjckregierung
auf das schwerste bestraft, wie denn
überhaupt alle Streiks, die das Gemein
Wohl gefährden, streng verboten sind.
In mehr wir nnS Moskau nähern,
desto ärmlicher wird die Umgebung, desto
höher wachsen die Preise. Auf den Sta
tiom wird nicht? Eßbare? mehr feilge
boten, nd wer sich kein Brot mitge
nomme hat, kann hungern. Ueberal
sinftrre oder apathische Gesichter. iLerall
Menschen, die weder Hoffnung noch
Freude zu kenne scheinen. Der Alexan
derbahrhof sieht de und so schmutzig
auS. L ob er schon durch Monate nicht
gereinigt worden wär; hungrige Men
schen drängen sich ruf den Bahnsteigen
herum und sehe zu, ob sie nicht von den
ankommende Reisenden irgendwelche
Lebensmittel kaufen können. Mein Ge
päckträgcr, ein früherer Soldat, ver
langt als Lohn 80 Rubel oder lieber
zwei Pxund Brot. Der Drofchkenkut
scher nimmt für eine einfache Fahrt in
die Stadt 300 Rubel (nach dem frühe
ren KurZ 630 M), er würde aber lie
ber füi ein paar Pfund Speck oder
Wurst fahren. Der einst fo geputzte
Petrowski-Park liegt verödct und der
nachlässigt da. die Restaurationen don
Strelna und Jar mit ihre Zigeuner
chören, deren Ruhm über die ganze Welt
ging, mit ihrem inillionenverschlingcnden
Lurul. sind schon lange geschlossen. Un
kraut wächst aus den Weg' und Beeten.
Der Kutscher bekreuzigt sich verstohlen,
al wir vorüberfuhren. Tort finden
allnächtlich die Ezekutionea der außer
ordentlichen Kommission statt, berichtet
er heimlich. .Hunderte, Tausende sind
dort erschossen," aber man dürfe nicht
darüber sprechen, meint er, sonst würde
man fclb,c an die Wand gestellt, 'da
geht jetzt schnell." .O Soll!" seufzt er
nd schlägt mit seiner Peitsche aus daS
müde Pferd ein, daS ist der reine Tod."
In weiter wir durch die Straßen sah
ren, desto armseliger und trauriger er
scheint die Stadt. Alle Gcschäsle sind
geschlossen, die Fenster nd Türen sind
mit Brettern verschlagen, nur ganz sel
ten stoßen wi, auf einen kommunistischen
Laden der Sowjctrcgierung, aber ;bie
Auslagen sind so wenig verlockend, und
lie auzcstM Waren so schäbig, daß
ie kaum jemand anlocken, und dann
chlicßlich, um ttwaS in diesen Läden
kaufen zu können, bedarf es ganz be
sonderer Erlaubnisscheine, die sehr schwer
zu erlangen sind und wozu es allerhch
ster Protektion bedarf. Die Menschen
sind dürftig gekleidet und sehen über
müdet auS, Männer mit Kragen beklei
det sieht man in Moskau überhaupt
nicht. Der Schmutz in den Straßen
spottet jeder Beschreibung. Ader auch
die Häuser selbst sehen schmutzig und
zerfallen auS, der Bewurf und der An
strich sind schon seit Jahren nicht er
neucrt worden und daS Karnie bröckelt
ab. Manche Gebäude sind ganz in
Schutt zerfallen, zum Teil auch wah
rend her Straßenkämpfe zerschossen wor
den. Moskau ist zerlumpt, entwllrdet.
HotclS und Gasthäuser gibt eS nicht
mehr. Um in einer, der Sowjeiherber
gen absteigen zu können, bedarf eS be
sonderer Orders, .auf die man durch .
schnittlich 24 Stunden warten ,muß.
Wer also keinen Bekannten in der alten
Hauptstadt hat. muß auf der Straße
bleiben. Restaurationen gibt eS auch
nicht, nur ab und zu stößt man auf ein
Teehauk, in dem man für enormeS Geld
ein Glas gefärbtes Wasser, ober natür
lich ohne Zucker, bekommt. Dafür blüht
aber ein geduldeter Stroßenhandel.
Ueberall bieten halbwüchsige Jungen und
Mädchen Zigaretten, JrisbonbonS und
Stücke Zucker seil. Eine schlechte Zi
garette kostet drei Rubel, eine Schachtel
Streichhölzer 5 bis 10 Rubel, ein Stück
Zucker, etwas größer als ein Westen
knöpf, 5 Rubel. Diese Knaben und
Mädchen verdiene leicht ihre 50) bis
600 Rubel täglich rmd stehen sich jeden
falls besser als die höchsten Comjetbe
amten, wenn diese ihre Stellung nicht
etwa für Privatgeschäfte ausnutzm,
denn im allgemeinen hat die Korruption
mit dem Wachst der Freiheit Schritt
gehalten.
Es fällt aus, daß sich diele der Bor
übergehenden in den Straßen wieder vor
den verödeten Kirchen bekreuzigen; da er
innert an alte, vergangene Zeiten. Die
Priester ober erkennt man kaum mehr
wieder, sie sehen so armselig auS, auch
haben, sie ihre Bärte und Haare gestutzt,
um nicht allzu sehr von der Umgebung
abzusieu. Durch irgend etwas auf
fallen, ist heute in Rußland nicht ratsam
DaS Militär, dem man begegnet,
macht einen guten Eindruck, man bemerkt
es. daß wieder sirenge Disziplin in der
roten Armee eingeführt ist.
DaS Allgemeinbild MoskauS ist tröst
los. tragisch! Wollte der eiserne Wille,
der hier alles galvanisiert, plötzlich ge
brochcn werden, fo scheint es, als ob
alles. Häuser und Menscben. in, Trum
mcr fallen würden. ES fehlt, der Hauch'
der Freude, und eS fehlt die Hoffnung.
Moskau ist an sich nichts. eS ist nur der
Körper und da Instrument zur Man?
festation der kommunistischen Lehre, eS
liegt in grausamer Abgeschiedenheit fern '
vom Strom des Lebens. (
Moskauer Leben.
Ganze Wälle von Argumenten sind
gegen Moskau als Haöpt der 3. Znter
nationale aufgetürmt worden. Viele sind
unwiderleglich und können einen Theo
retiker überzeugen. Nok, Verelendung
und Verwilderung sind Tatsachen, die
niemand aus Sowjetrußland hinaus
leugnen kann. Aber Moskau argu
mentiert gar nicht, will eS nicht tun;
Moskau handelt, und deshalb sind alle
Gegenstände stumpfe Waffen, die jcn
seitS der rote Grenzen ihren Sinn ver
liere und fast grotesk erscheinen. ES ist
ebenso. aS wolle man eine Dynamiiex
plosion mit Vernunftgründen beschmö
ren.. In Moskau losen sich die Pro
bleme der Revolution und deS Sozia
lismuZ in der Tat auf, sie sind eine
Machtfrage, und um die Macht zu be
Häupten, müsse alle Mittel gut sein, die
Vorteil versprechen, mögen sie auch noch
so grausam und furchtbar erscheinen.
Nachgebe und Kompromisse könne nur
erzwungen werden, sie mögen zeitweilig
auch ein Schachzug kluger Diplomatie
sei, sie gelten aber sofort als hinfällig,
sobald die Möglichkeit entsteht., sie zu
brechen. Es ist mit dem BolschewiS
muS in Rußland wie einst mit der In
quisition in Spanien. Ideen sind auZ
Dienern zu Herren, und auS Herren zu
Dämonen geworden. '
Die alte Zarenburg, der Kreml, ist der
Zentralsitz der Lolschewistenregierung in
Moskau. Die Tore sind gesperrt und
'von Wachen besetzt, nur der Eingang
neben der großen Manege darf betreten
werden,, dort ist der Posten einer letti
sehen Leibwache, die den Zutritt hütet,
den nur mit besonderen Erlaubnis
scheinen und Legitimaticmen kann man
in de Kreml gelangen. Recht öde liegen
die weiten Hofe der Zarenburg mit ihren
schönen, goldkuppeligen Kirchen und Pa
kästen da. vom alten Prunk ist wenig zu
merken, und eS sieht fast wie ein Hohn
auS, wenn noch die stolzen kaiserlichen
Adler Türme und Zinnen schmücken, wo
heute Lenin und Trotzkq regieren, die
beiden roten Zaren. Konnte man die
ersten Wachen passieren und mit dem
Erlaubnisschein in der Haud ber die
lange Brücke und durch den Hohlweg
unter der breiten Mauer in daS Innere
der Einfriedigung deS Kremls gelangen,
so ist eS deshalb noch lange nicht gestat
tet. ohne weiteres eines dtr vielen Re
gierunzZzedäude oder gar die Wohn
räum der höchsten .Sowjetbeamte zu
betreten. Dazu hat man sich jedelmal
a de HauSkommaedante zu wenden,
dort muß man sich nochmals legitimie
na und den genaue Korund de Kom
men angeben; wird man auch von die
fr HauSpolizei für einwandfrei befun
den, so erhält man einen neuen Passier
schein und' wird nun von den Schild
wachen In Heiligste weitergelassen. Ti
Furcht vor .Attentaten scheint demnach
ine große zu fein, 'wenigsten! ist die
Kontrollt schärfer, al! sie, es zu Zeiten
de! Zaren war. Lenin selbst bekommt
man selten zu sehen, er soll nach dem
letzten Attentate sehr zurückgezogen leben,
auch soll er heute mehr ein Symbol al!
da! wirtliche Haupt der bolschewistischen
Regierung sein. Trotzky, der die mili
tärischen Maßnahmen der Räteregierung
leitet, befindet sich meisten! an den ver
schiedenen Fronten, aber der 'Kreml
bleibt nach wie vor da Gehirn de Bol
schewiSmus, von dort geht eine nie er
sckilaffende Energie auö. die keine Hemm
nisse kennt, von dort au wird mir einer
Machtsülle regiert, um die jeder absolute
Fürst die Sowjetregierung beneiden
kann.
Nicht weit vom Kreml finden sich
die einst berühmten - .Ochotnitschije
rjadii", in denen alle Delikatessen gab,
die nur der menschliche Gaumen herbei
, sehnen konnte. Der Markt war lange
geschlossen, ist aber kürzlich wieder aus
erstanden, da sich die Regierung, infolge
der schweren Hungerepidemie, gezwungen
sah. von ihrem Prinzip abzugehen und
wieder den freien Handel mit Lebens
Mitteln auf den Ochotnitschije rjadü und
auf der Eucharewka zu dulden. Dort
namentlich, auf der Sucharewka, herrscht
ein unbeschreibliches Gedränge, und auf
den von Schmutz starrenden Bänken und
Verkaufstischen gibt S so ziemlich allcS,
Irak man wünschen kann. Appetitlich
sind die Auslagen zwar nicht, denn die
meisten Waren. Speck, Schinken. Weiß
brok.' Zucker usm haben die Frauen un
ter Ihren Röcken der. die Männer in
ihren Wasserstiefeln hierhergeschmuggelt,
aber auf solche Aeußerlichkcitea achtet
man nicht. Die Preis allerdings sind
erschreckend hoch. Zucker kostet 120 bil
130 Rubel daS Pfund, Speck oder
Schinken 160170 Rubel das Pfund
usw. Um ganz bescheiden in Moskau
leben z können, muß man ein MonatS
einkommen don 13.000 Rubel haben. Die
auf Karten zur Verteilung kommenden
billigen LeienSmittcl reichen nicht au,
um den zehnten Teil deS Bedarfs zu
decken, alle, die privilegiertesten Arbeiter
mit eingeschlossen,'' sind also auf de
Schleichhandel angewiesen. Auf der
Eucharewka traf ich im Gewühl der
stoßenden ni drängende Menge von
Käufern und Verkäufern einen mir be
kannten frülzeren Generaldirektor der
größten Versicherungsgesellschaften Moö.
kaus. Er verkaufte auS seinem eigenen
Bestände oder auS dem von Freunden
Hosen zum Preise von 2000 Rubel daS
Paar. Eine andere bekannte Dame hatt
aus Gardinen, die ihr durch einen Zu
fall noch geblieben waren, Blusen genäht
und verkaufte sie an die Bäuerinnen
zu 3400 Rubel da, Stück. Dal Ge.
schäft ging gut. Eine frühere Exzellenz,
Vorsitzender einer det? größten Gerichts
Höfe Rußland, siandg einen Pfoste
gelehnt und ersuchte die Vorübergehen
den um Gaben. Seine Kleidung war
schmutzig, aber sein langer, wallender
Lackenbart nach wie , vor gut gepflegt.
.Gebe Sie wie ein intelligenter
Mensch,' mahnt er mich. Auf meine
fragenden Blick erklärt er5 .Nicht unter
fünf Rubel; Kvpekengaben. daS müssen
Sie doch als intelligenter Mensch ver
siehe, interessieren mich nicht.' Er hatte
recht, mit Kopeken kann man nicht? an
fangen, kostet doch eine einfache Tram
wayfahrt 1 Rubel 60 Kop. und eine
Schachtel Streichhölzer 5 bis 10 Rubel.
Auch die Zeitungen, die die Sowjet
idcen verbreiten sollen, also die igent
lich nur Propagandazwecken diene und
vom Staate ohne alle kommerziellen
Zwecke herausgegeben werden, kosten
mindestens 60 Kopeken die Nummer.
Private oder oppositionelle Zeitungen
sind schon lange. unterdrückt, die Typo
graphie eingezogen und die Redakteure
zum größten Teile ins Gefängnis ge
worfen worden.
Auf, dem Theaterplatz, vor dem Ho
tel Metropol, wo jetzt da Kommissa
riat de! Aeußeren eingerichtet ist, ist die
Bewegung och immer eine recht große.
Dort kreuzen sich auch die wenigen
Trambahnen, die noch in Moskau funk
tionieren; die meisten Linien haben au!
Kohlenmangel den Dienst einstelle müs
seit. ES ist jedoch nicht ratsam, eine
Tramwagen besteigen zu wollen, denn
sie pflege derartig überfüllt zu fein,
daß sich der Eingang nur nach schwerem
Kampf erobern läßt. Drinnen aber be
sieht die Gefahr, eine ganze Rotte don
Ungeziefer einzusammeln, denn ganz
Moskau ist verlauft, oder von Taschen
dieben ausgeplündert zu werden. Da
dit Droschkenpreise unerschwinglich hoch
sind, so heißt eS eben zu Fuß gehen. Bei
den Riesenentfernungen in Moskau geht
dabei unendlich viel Zeit verloren, aber
die Zeit hat fast ebensowenig Wert wie
da! Geld. Führen doch die meisten,
wenn wir von der zahlreichen Sowjet
burcaukratie absehen, den Titel .Arbei
ter" nur noch kcrn,ri causa, denn die
meisten Fabriken siehe teils aus Man
gel an Rohstoffen und Heizmaterialien,
teils aus andern Gründen still. Gearbeitet
wird herzlich wenig ud.,so unproduktiv,
deß sich die Regierung wieder gezmun
gen sah, die ihren Prinzipien wider
sprechenden Akkordlöhne einzuführen
unv Fachleute mit besonders hohem Ge
halt anzustellen.
Noch ist der chiliastisch Glaube an
den Heiland Proletariat in Moskau
nicht ganz erloschen, aber der Tem
pel, au! dem die ganze Welt zum neuen
Glauben gezwunsen" werden sollte, ist
park entweiht. Noch wird von der
kommenden Weltrevolution gepredigt, die
Welterlösung bringen oll, ober man
spürt es. eS weht heute in Moskau nicht
mehr der alle? erobernde Hauch deS
Et-thusillZmus. sondern es ist das eiserne
Muh. der Trieb der Selbsterhaltung.
-d.r die Sowjetregierung davon zurück
halt, zu kapitulieren, um daS Land von
Hunger und Sntwürdung zu erretten.
Irühwinter in der Schweiz.
von Dr. Walter Z. Ma.
i , ,,,.
y
Die Zustilnde
Wenn e wirklich dit Absicht der En
tcnte war, die unterlegenen Gegner auch
nach dem Kriege durch Hunger und
Kalte weiter wirtschaftlich zu schwächen,
so muß man sagen, daß sie im Jahre
1011) in der Natur einen unheimlich stör'
ken Bundesgenossen gefunden hat. icit
früher l in sonstigen Jahren versagt
die wärmende Coiine der Erde in diesem
Herbste des allgemeinen Mißvergnügen!
ihre pflichtgemäße Leistung und unter
den trüben Wolken, die feit Wochen nun
auch physisch über dem Europa de! noch
immer nicht ganzseitig gworlenen Frie
denS hangen, ist der schlimmste Feind
dieser kohlenarmen Zeit ins Land ae
zogen, ein früher Winter. Freilich be
drängt er nicht nur ' Deutschland und
wa von Oesterreich übrig geblieben Ist.
Auch die siegreichen Länder und die Neu
tralcn müssen sich allerhand Entbehrun
gen an Wärme und damit an Arbcits
kraft und Licht auferlegen. Nur d.iß
eö da nicht so schlimm empfunden wird.
Denn, da sie ja im Siege die wesentlich
sten Kohlenlager erhalten haben, vcrmo
gen sie ihren Bedarf früher und schneller
zu decken. In Deutschland gesellt sich
dem Fortfall so vieler wichtiger Kohlen
produkiionsgebiete die Arbeitsunlust dir
Bergleute. - Oesterreich aber ist auf den
nicht sehr beträchtlichen ezuten Wille
Czechoslowakien und Polens angewie
sen, die ihre von der Gutmachungskom
Mission auferlegte Pflicht zur Kohlen
Versorgung der Republik nur im gerin
gen Maße erfüllen.
Man hat in Deutschland zu dem ener
gischen Mittel gegriffen, den Zugsrer
lehr für Personen durch zwei Wochen
gänzlich einzustellen. Ein öiückfall in
eine verkehrslose Zeit, wie er fast un
glaublich ist. Die vorhandene Kohle ist
besser verteilt worden und überdies ha
den die Bergleute eingesehen, daß. wenn
sie nicht arbeiten, es ihnen geht, wie
dem Jungen, der da sagt: ,'schicht mei
nem Vatter schon recht, daß ich gfrörte
Händ' krieg', warum kauft er mir keine
warm:n Handschuh?" Und sie haben
freiwillig den müksam erstreikten Ar
beitstag wieder verlängert, um die Pro
duktion zu heben.' Auch die Eisenbahn
arbriter sind energisch an die Reparatur
des -rollenden Materials gegangen. Und
so scheint viel Schlimmes teilweise über
wunden Freilich, aus Wien kommt nach
wie vor der furchtbare Schrei der Not.
Man lebt dort von der Hand in bin
Mund. Schulen müssen geschlossen wer
den, weil sie nicht geheizt werden tön
nen. In den Aemter ruht die Arbeit.
Im tiefen Dunkel liegen abends die
Straßen. Die Theater spielen nur am
Nachmittag. Die Hotels berechnen phzn
tastische Preise für schwache Feuerung.
Und die Leute gehen in frühester Stunde
zu Bett, m sich halbwegs warm zu er
halten. Wag sollten sie auch im Dunkel
und mit. den. geschlossenen Gast und
Kaffeehäusern anfangen. Alle Auzien
sind aus die Vertreter der Entente gerich
tet, welche versprochen haben, dieser
furchtbaren Not so schnell als möglich
abzuhelfen.
Können die Ententemächte helfen?
Man beginnt eS zu bezweifeln, wenn
insn hört, wie es ihnen nur wenig besser
geht. alS ihreik geschlagenen Gegnern.
Und unter den allgemeinen schwierigen
Verhältnissen leidet auch trotz ihrer weit
gehenden Vorsorge die Schweiz. Erst
vor einigen Tagen hat die französische
Regierung eine große Kohlenlieferung
aus kxlgischen Gruben n die Schweiz,
trotzdem sie bereit! bezahlt war, einsach
beschlagnahmt, sobald der betreffende
Zug französische! Gebiet erreichte. Ueber
Deutschland ist der Verkehr noch nicht
wieder Jm. Gange, und der in diesem
Jahre besonders niedrige " Stand des
Rheins hat zur frühen Einstellung der
Schiffahrt gezwungen. Man kann sich
die Entrüstung über diesen willkürlichen
Eingriff deS parken Nachbarn hier vor
fellen. Noch immer herrscht eben in
icsen Sachen Kriegsrecht und dabei
ist eö mehr als ein Jahr, daß wenigstens
im Westen der letzte Schuß gefallen.
' Freilich ist e! in der Schweiz noch
immer viel besser, al in anderen Län
dern. Ueberell gibt es gut und reichlich,
wenn auch nicht gerade sehr dillig zu
essen. Die Teuerung ist auch nur an
früherem schweizer Maßstab gemessen so
schlimn'. Wer mit amerikanischem Gelde
hier lzbt, ist noch immer sehr' gut daran.
Und die Sach: wird auch bald noch besser
werden, denn der fühlbare Abstrom von
Fremden dringt schon Dinge mit sich, die
in den Kriegsjahren völlig unbekannt
waren, leere Hotelzimmer und Wohnnn
gen. Das ist aber nicht allein ein Er
gekmiS der auS Bolschewiftcnfurchl so
unfreundlichen Haltung der Cchwiizer
gegen die Ueberfremdung ihrcS Landes.
ES ist der beispiellose, noch immer zu,
neknnde Tiefstand aller Valuten, der dem
Belgier und Italiener, dem Franzosen
nd Rumänen trotz der lateinischen
Münzunion für ihre Franken hier kaum
die Hälfte des Nennwertes xibt, wäh
rend die deutsche Mark mit einem Wert
von 15 und die Krone mit einem von
gut nur 3 bis 4 Centimes eS nalurae
matz denen, deren Vermögen oder Gin
kommen in diesen Währungen besteht,
einfach unmöglich macht, sich, mit sie so
erne täten, in der Smweiz aufzuhallen,
Denn iZO Tlaxt oder sar 500 Kronen
per Tag für die bcsckieidenften Lebens
i bedürfnisse auszugeben, dem kann selbst
d!k unklngeichranlte Irdeit der Vioien
presse und die tollste Erhöhung der Ber
kaiifsvreise aller Dinge in d?n tetrofse
nen Ländern nicht nachkommen.
- o bringt denn der frühe Winter mit
seimn erheblich ersteigerten Lebentkollen
dem fchweizer Bürger auch keine große
Freude. . Freilich, den Wenigen, die im
Sturm und Drang dieser "Tage ihre
Augen noch für die Pracht der RaIur
offen bekalten können, erhöht er Yen
Reiz dieses einzigen Lande S in sanz un
geahntem Maße. Denn er hat eine Z!ote
mit sich gebracht, die man selbst in die
in der Schweiz nach den Schrecken
sem Lande dc ÜNalcrischen nur wenig
kennt. Er ist plötzlich über den färben
Mhcnden Herbst hrcin gebrochen und
Wälder der niederen Borbcrge erheben.
So wird denn eine Fahrt duch den
Frühwinter dieses Jahres in der Schweiz
zu einer Kette von Freuden an Natur
da er es mit Vermeidung der sonst übli
chen Stürme getan hat. senkt sich siin
weißes flaumiges Kleid auf die noch fia
vollen Schmuck ihres herbstlichen Geld
und Not stehenden Bäume nieder. DaS
gibt der Landschaft besonders in den
breiten Tälern, die zwischen Jura und
Alpen liegen, den tieferen Mhangen der
nui den grünen und blauen Seen auf
steigenden Berge, in unnachahmlich schö
neS Kolorit. Uiw'die mit einer Fülle
don Neuschnee bedeckten Alpengipfcl
'glänzen wenn man sie sieht im
grellen Kontrast zum dunklen Himmel
und zu den schrosjen- schwarzen Felsen,
an denen kein Schme haftet und die him
mclragend sich ller die MaÜcn und
rildern seltenster Art. die selbst dadurch
nicht getrübt wird, daß daS Sclxn all
deS Schönen Nur von Zeit zu Zeit er
möglicht ist, wenn der dichte wirbelnde
Flockenfall aufhört und der auö der noch
immer warmen Erde aufsteigende Nebel
weicht. Aber auch in diesen niinder er
freulichen Zeiten, wenn die Cichtigkeit
beschränkt ist, gibt, eS noch genug, was
in nächster Nähe daS V:ige erfreut. Da
sind die Städte und Dörfer. Welche
unerschöpfliche Abwechslung, welche Fülle
charakteristischester Eigenart. Wahrlich,
man muß gar nicht erst durch die quäl
volle Eintönigkeit .amerikanischer Städte
bilder ausgehungert sein, um sich ungc
trübter Freude daran hinzugeben. , Aus
dem modernen Zürich, daS an diele füd
deutsche Städte gemahnt und nur in sei
nem Kern altertümliche oflfchmeizerische
Bauten umschließt,! das malerische Lu
zern, dessen Mauern und Türme mit dem
PilatuS und dem Rigi um die Wette nach
aufwärts zu streben fch-einen. Im klci
nen Zusingen die bemalten Gildenhäu
scr und die weit über den First der
Häuser vorragenden Dächer. Tann
weiter nach Westen in Tick an der sran
zösischen Sprachgrenze auf einmal auch
dcr Uebcrging in die weniger malerische,
aber breitere und bequemere Art der
Wcflschweiz. mit schönen baumbcwachse
nen Straßen und reizvollen Ausdlicken
auf den nahen See. mit seinen Erinne
rungeN an I. I. Rousseau. An rebcn
bedeckten Abhängen deS Alira Nach Neuf.
chatel und dann nach Lausanne am Gen
fer See, dieser steil ain Berge auf
ragenden Stadt, in der so viele junge
Mädchen erzogen werden, um neben den
Feinheiten der französischen Sprache, die
Freude an einer, mit einer kraftvoll schö
nen Natur im vollen Einklang stehenden
künstlerischen Entwüklung . der Lebens
formen und ihrcS Schauplatzes in sich
aufzunehmen.
Weiter nacb Südwesten geht die Fahrt.
Bis 0cnf erreicht ist, in jenem äußersten
Gipfel der Schweiz, ganz von französi
fchem Gebiete umschlossen, dem die'
Stadt, wo dereinst der Bölkcrbund seinen
Sitz haben soll., nach Sprache und Art
restlos angehört. Jn da Spruchenge,
wirr feiner Fremdenzeit tönen alle Jdi
ome Europas. Jetzt, da die meisten
der großen Hotels geschlossen sind, da
statt der schnellen Dampfer nur die u!
dem Norden hierher gcflüchteten Mi'ven
den blauen See beleben, hört man außer
dem Französisch, Italienisch und einigem
Deutsch der Schweiz meist die oerschie
denen Sprachen dcö alten und des neuen
Balkans. Die Vorläufer der intcrnatio
nalen Gesellschaft sind da, die von der
Bölkerbund-Zcit so viel erwarten. Wird
sie je anbrechen? Die Vorgänge im ame
rikanischen Senat haben die Leute lier
seh, pessimistisch gemacht. Und man
glaubt, daß wenn der Bund doch noch
zustande kommt, er seinen Siz eher in
Paris haben wird. Die Herrschaft
Frankreichs über daö kontinentale Europa
gilt, wenn Ainrika seinen starken Ein
fluß zurückzieht, als eine unLermeidliche
Cache. Ein freierer Geist weht in oer
Westschweiz, al! im Osten. Die feeiri
denfcindlich Maßregeln werden, da
nicht so sireng beobachtet. Und der Ein
schlag der leichtlebige französischen
Mädchen' sticht freundlich von der puri
tanischen Strenge deZ Lebens in Zü
rich ab. Genf ist die Stadt der Uhren
und der Schmuckgegcnstände. Seine
Läden machen daher auch einen reichen
und vornehmen Eindruck. Und das Ae
hagcn am Lebensgenuß ruft auch auS
den Schaufenstern der vielen Geschäfte,
in denen selbst in dieser Zeit in Nah,
rungssorgcn in ganz Europa, die ver
lockendsten Delikatessen nicht schien.
ES wird bebauptet, daß man von Genf
auS den höchsten Gipfel der europäischen
Gebirge, den Mont Alane an der Grenze
zwischen Savoyen und Italien fchen
kann. Man muß diese Behouptung der
Einheimischen im Winter auf Treu und
Glauben hinnehmen. Zu schen bekommt,
man den Riefen nickt, denn die Nebel
schlcier, die er vor fein qewaltiqeS wci
ßes Massiv zieht, durchdringt' feit Wo
chen kein Strahl der Sonne. Und doch
scheint sie h?ll und kkr in
enen höchsten
Reaionen, ln denen man sich jetzt zum
Skilauf, zrm Rodeln und jenen anderen
Freuden rüstet,' die der Wintersport in
der Schweiz allmählich wieder mit sich
lringt. Sonst ist es j'tzt. ziemlich still
in dem Lande. daS daS Ziel und die
Sehnsucht so Vieler bildet. Am östlichen
Ufer des Lec Lemnn In Bcvey und dem
einzig schönen Montrtiir ist die Saison
vorüber. Von dieser Riviera de Genfer
SeeS ist die Lebemelt heimgekehrt, um
sich zur UtbcrgangSzeit in St. Moritz
nd den anderen Winterorten der
Schweiz und dann zur Fahrt nach der
wahren Rioiera, nach Nizza und Monte
Carlo. z! rüsten. Mit Sehnsucht erwar
ten die Schweizer den kommenden Som
mer, der ihnen die so lange und schmerz
lich vermißten Amerikaner mit ihren
schönen Dollarkreditlriefen bringen soll,
für die sie noch einer allerdings ttwaS
des ?!?cltkrikgs.
umständlichen Operation an den Bank
reichlich schweizer Franken bekomme
können. S.lbf, die strenge Buiid:!.
gicrung lpt bereits dem Drangen I
Weitsichtigeren nachizcbcn müssen. TIl
biökcr fast unmögliche Einreise un
AufenthaltöbcwilliLiMg in der Schweit
ist seit einigen Tagen ganz wesentlich
leichter zu erlangen.
Am steigen Bergabhnng windet sich dit
elektrische Bahn von Montreuz empor.
Tief unten lic,t dcS vielbesungene un
viel gemalte Schloß Chillon. liegt dal
Denkmal der unglückseligen 5aiseri
Elisabtch, die so gern in jenem herrliche
Erdcnivinlel weilte, wo sie der Dolch de
Meuchelmörders erreichen sollte. DurS
romantische Schluchten geht eS hinauf
zur Hökje von Zweisimmen, wo dichtet
Schneesall mit Hellem Sonnenschein
wechseln. Weiße Pelzkappen schimmer
auf Ien immergrünen Nadelhölzern. Da!
französische Idiom macht wieder dem
schiviczcr dütsch" Platz. Immer M'h,
sieht man dit weltbekannten chakokte
ristischen schweizer Holzhäuser de! Kam
tonS Bern mit ihrem zierlichen Schnitz
werk. Zwischen gewaltigen Äcrgsäule
senkt sich dit Bahn hinunter zum Thune,
See, in dessen kristallenein Wasser sich
die unerhörte Pracht diese vereinten
Herbstes und WintcrS spiegelt. An sei,
nen Usern zieht sie hin, nach Jnterlaken,
das in der Stille seiner Winterprachi
von Menschen nicht, aber wohl von Tou
rislen verlassen, wie schlafend zwischen
dem Thuner und dem Bricktzer See sich
breitet.. Majestätisch blickte taS Haupt
der Jungfrau cufdcö Städtchen nieder,
als sie den Schlcier des Schneetreibens
einen Moment davon zog. als wollte sie
die zwei einsamen Wanderet grüßen, di
sich da in unwirtlicher Winterszeit bil
an ihren Fuß gewagt hatten. Und di
nun am früh hereinbrechenden Abend im
traulichen Wirtszimmer am guten Feuer
sitzen, der australische Ofsizier und der
amerikanische Journalist und über nahe
Vergangenheit, schwere Gegenwart und
die Besorgnisse der Zukunft reden. Aon
'der beispiellosen Teuerung in London
und Paris erzählt der Australier, von
ler onlivcn Mll iiuuj vsuutiu, uic iu
In England zu einer nie dagewesenen
Korruption und Bestechlichkeit auf allen,
Gebieten geführt hat. Von den schönen
Lcknsverhällnissen in Australien, wo
vlle Einwanderer herzlich willkommen
sein werden. Nur nicht die Deutschen,
gegen die in den Kolonien Englands ein
bitterer Haß herrscht, der ihnen und
ihren Waren auf viele Jahre hinaus daS
Land verschließen wird. Aber auch vor
de? Soijje um d.'N ihn, unvermeidlich er
kckikinenden kommenden Krira mit ?'
tn-v tf. ji r;,,s. w:. tiun
pan. das sein Auge auf das reiche Ge
biet Australiens gerichtet hallen soll.
Noch einmal geht eS ddnn am Mor
gen hinauf in die wilde Schönheit der
'winterlichen Blkgwelt.' Ueber den Brü
ningpaß nach Ssrnen. schon im Gebiet
der Tellsage, am Vierwaldsiatter See.
Farbcnspicle von seltener Pracht über
ziehen die weißen beschneiten Abstürze
des Pilatiis mit einem eigenartig bläu
liehen Schimmer. Wie ein letzter Bor
Posten der gewaltigen Alpernvclt schaut
ex auf Luzern nieder, von wo aus dek
Weg wieder in dcS aeschäfligt Zürich
zitriicksÜhrt. Und aus der feierliche
Pracht einer vrn dem Treiben der
Mcnfchlein da unten unberührten Natur,
geht es, wieder in das Getriebe der Sor
gen des Tages.' Wie wird die Mensch
helt aus dem tosenden Strudel erlost
werden, in den sie sich selbstmörderisch
gestürzt hat? Neue Hiobsposien kommen
aus Wien, das rettunaSlos seinem bölli
gen Verfalle zuzustreben scheint. Und
immer fragender richten sich die Blicke
Aller auf das große Land Im Westen
über dem Wasser, von dem man enlcin
noch das Heil erwartet und dessen Hal
jung den Europäern immer rätselhafter
und unverständlicher wird. Wird e
wirklich beiseite stehen und die Völker
ic... . , ni I . :l f . . ..1 . rr n rr . .1.
urvpus iu; cii'ii voerilliien; jas iir
die Frage, die in diesem schweren Früh
Winter auf ollen Lippen ist und von
deren Beantwortung der Stillstand und
Rückschritt oder ' daS neuerliche Fort
schreiten der Menschheit auf der Bah
der Zivilisation nicht zum wenigsten ad i
hängt. , !
fff..füfx- r:-:-......ff.... -!
-4VtV WVilIIIVHIiy
Zur Messung -ton Mcerestiesen be
diente man sich bisher entweder der gew
metrischen Methode mittels deS Lot,
drahteS oder der dynamischen, bet Wels
cher auf irgendeine Weise der-Waffe
druck am Meeresboden bestimmt wurde,
auS dem sich dann die Tiefe berechnen
läßt, wenn die Dich! deS Wasser i
der Schicht' zwischen Oberfläche und
Meeresboden genau genug bestimmt ist.
Kürzlich hat nun M. Marti in der Ac.
dimie des ScienceS zu Paris eine neue
Methode vorgeschlagen, di. auf der Fort
setzung des Schalles im Wasser beruht,
deren Geschwindigkeit erheblich größer ist
als in der Lust. Man bringt einen klei
nen Ezp'.oswlörper zur Detonation und
läßt durch ein 'registrierende! Mikropho
den Zeitpuukt des Knalle! selbst, sowie
den des vom Meeresboden zurüägewor
fencn Echos aufzeichnen. Die Borrich
tung läßt sich mit solcher Genauigkeit
einstellen, daß man die Tiefe aus eine
Meter genau erhalten kann. Allerding
ist auch hier die Kenntnis der Dichte so.
h. der Temperatur und de! Salzaehal
tes) der gesamten, von dem Schall durch
messenen Wasserdicht ersorderlich. die
sich lcdoch nur in seltenen Fällen mit
penügender Genauigkeit feststellen läßt.
.Ter Fehler, der so. namentlich durchdie
Unbestimmtheit der Temperaturvertei
lunz hervorgerufen wird, dürfte daher
etwa ein Drittel Prozent betragen. Ei
großer Vorteil der Methode besteht dar .
in. daß sie vom fahrenden Schiff au
zur Anwendung gelangen kann, wahrend
b,sher da! Schiff zur Vornahm einer
Tieslotuna die Kafert iim.4u.
kjon, .'