Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, December 24, 1919, Image 7

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Don iH. Hl. von slßellentbin.
Leben und Wirken des Gründers der Partei der Unabhängigen".
Politisch schon tot, als die Mordkugel ihn traf. Haase'S Haltung
wahrend deS Krieges und in der Revolution. AuS Furcht vor der
Attraktion gegen einen 3ieg Deutschlands. Wcltverbriiderung gegen
BatrrlandSidee. Der Bruch in der Eozialdemokratie. Abmarsch
der Unabhängigen, in d.iö Lager LeniuS. Ein allgemein menschlich
inhttfnttr W)ttt
. I
Auch Hugo Haase. der Führer der
Unentwegten der deutschen Gozialdemo
kratie, welcher nach wochenlangem
Siechtum einem Mordanschlag zum
Opfer gefallen ist. gehörte zu denen,
welche schon tot waren, ohne es zu wis
s?n. Er war, als ihn die Kugeln deS
Attentäters trafen, ein schwer kranker
Mann, dem nur daS Aufgebot einer ganz
seltenen Willenskraft die Fortsetzung der
politischen Tätigkeit ermöglichte. Poli
tisch war Hugo Haase damals bereits
tot. Er war politisch am guten Her
zeit gestorben, wie es auch Kerensky pas
siert ist. Beiden Männern war die
Reinheit deS Willens, bie- Güte der Ab.
ficht, die Tadellosigkeit des Wandels, die
Aufrichtigkeit der Ueberzeugung gemein
sam. Beide ließen sich aber nicht dazu
bewegen, und waren ihrer ganzen Ber
enlagung nach dazu nicht imstande, die
für die Durchführung ihrer Absichten
notwendigen äußersten Konsequenzen aus
ihren Ueberzeugungen zu ziehen. Ke
rensky war Arzt. Haase Anwalt.. Beide
sind sie in der Ausübung ihres Berufs
vor der Armccleut-Atmosphäre nicht zu
rückgesazeut; beide sind den Leuten in
den schlechten Röcken und mit den be
drängten Gemütern Freunde und Hcl
fer gewesen. Der Russe ist. den Ber,
hältnisscn seines Landes entsprechend, in
elendere Stuben getreten, der Wirkungs
kreis des Deutschen war innerlichem
fangreicher. In dem sensationellen Kö
nigsberger HochverratZprozeß des Jahres
1904 gegen eine Anzahl ostpreuhischer
Genossen wegen Geheimbündelei. Hoch
verrat gezen Rußland und Beleidigung
des Zaren", war er der glänzende Füh
rer der Verteidigung, dessen forensische
Beredsamkeit und helle Durchleuchtung
des objektiven Tatbestandes die Freispre
chung scintlichcr Angeklagten erzielten.
Damals schon hatte die russische re
dolutionäre Propaganda ihre Blicke auf
den Königsberger Rechtsanwalt gerich
tet und in ihm einen tatkräftigen Helfer
erwartet. Aber auch den Wegen, welche
die Entwicklung der russischen Rcvolu
iion einschlagen sollte, hat Haase nicht
Schritt halten können; auch dieser Ent
Wicklung gegenüber ist er außer stände
gewesen, die unabweisbaren äußersten
Konsequenzen zu ziehen.. Er war, wie
Kerensly, imgrunde eine Kompromiß
natur. Beide riefen wohl die Massex
auf die Straße, aber beide waren gegen
, die eine Herrschaft der Massen auf der
und über die Straße. Ueber KerenskyS
politische Leiche sind die Massen in Ruß
land hinweggeschritten. Hugo Haase
war auf der Straße politisch bereits
ti!pKflpfirnAm. 13 die Mörderband
tJL Verblödeten nach ihm griff. Er
Vl .schlapp gemacht". Er hatte sich
i Aacqan:enzug, wciazcr ver ,,
i Tr, Straßenherrschaft sejn Evoe!"
I ... . ' . ... ...n .
Ziclnte. entacaeNacstemmt. Er war
? Proletarier im Bratenrock und als
!ka im Grunde auch als Rcvolu
' fr ein Pazifist und als Politiker
' bsntst. Und das war seine Tra
bildete die Tragik seines LebenS
' thtn Stackel in keiner Seele, acaen
i :t nicht anzulöken vermochte, daß
Wirklichkeit, grade wie sie sich durch
- irklichung seiner Ideen und die
j Mführung seiner Absichten gestaltet
. zurückschreckte und daß er als
. heitssucher ein Phantomjäger und
' . !nsterseher wurde. Seine gesamte
Hing. dem Kriege in dessen zweiter
e gegenüber, welche seinen Volks
rtn so unendlichen Schaden zuge
. nd den Feinden so scharfe Was
geliefert hat. wurde bestimmt durch
Gespenst. Der Sieg Deutschland.
m. er für sicher hielt, war das Ge
' welches er zur Erregung" deS
Jen Schreckens heraufbeschwor. Der
eckgespenst, weil er von ihm den
eckgespenst, weil er von ihm zum
Einbruch der äußersten Reaktion be
ßicte. ' .rum wollte er den. Sieg
iischlands nicht. Um ihn. soweit t
hntn Qrnften Tnsl. an bintertreibkN.
er der dcutschenÄriegssührung alle
,!iel. welcber er habhaft werden
Zite. Zwiscken die Beine, zerschlug er
eiaene Variei. deren Helfer er ge
jen und deren Führer er sein sollte,
hinzielte er die deutschen Absichten
htm Ausland, unterminierte er die
jiirnung daheim und erschütterte er
Kriegsgeist draußen an den Fron
In manchem anderen Lande, wel
auch heute noch das Aziom aufrecht
Jt, daß 5 den Kampf für die Frei
gegen die Tyrannei geführt- hat.
' Zde solch' ein Mann alsbald hinter
Zumauern oder on der FüsclierungS
,d mundtot gemacht worden sein. In
Zutschland glaubte man. ftin und an.
ht Gerede alS Auslaß für sich siau,
Unterströmungcn gebrauchen zu
n. Die ein Vaterland haben, wer
Ilamm Hjflu HaaseZ sluchek!
dci.'n, welche st,? zu einer olkheh
f'nen wird der wmt ein woiajcu
Die Furcht, daß in deutsch
fci auhtTÜt Reaktion fietaiiffü.i
?erde. hatte Hugo Haase vollständig
'hr wirklickien Gemeinschaft loscie
und au der Beschränktheit deS Va
ndsbegriffs gerissen. Ader er in
im &'tur.b gewesen, ti nt fcttut
NcterlandSgefühlS uns des VolkS
ß!se,L etwa neue xo,ik,ve, ,u
r.tit iai Denken b-L'i.stlin und
Hcrz au! Willen tonnte. Der Kom
ller. der !Lkanrolrmaim, er f
j"
W
Jty
IHUUk
zifistische Revolutionär, der absichtlich
und ausgesprochen .Vaterlandslose Ge
sclle' lehnte auch den Gedanken einer
sozialen Weltrcvolution ab, dessen Ver
wirklichung doch an die Stelle der Va
terlandsliebe und Volksgenossenschaft die
-Weltverbrllderung setzen will. Darum,
weil ftlbst lies in der Seele dieses Man
nes, welcher den Massen ein treuer Hel
fer gewesen, aber ein wahrer Fuhrer
nicht werden konnte, das horazische
Wort: "Odi profanura vulcrus et
areeo" eingeschrieben war, weil er wohl
die Massen auf die Straße gerufen hat,
die Herrfchaft über diese ihnen indessen
nicht konzedieren wollte, darum war
Hugo Haase auch manchem seiner An
Hänger ein Greuel geworden. Sein gu
teS Herz konnte, in übertragenem Sinne
des Wortes kein Blut fließeif sehen".
seine Komprominnatur ließ ihn nicht
zum endgültigen Entschluß kommen, und
schreckte davor zurück, die letzten Kon
sequenzen zu ziehen.
Darum gehört auch Hugo Haase zu
denen, welche tot sind, ohne es zu wis
sen. Er war an Güte des HerzenS und
Mangel an Energie bereits ein politisch
Verschiedener, bevor die Kugeln des
Wiener Trottels Voß den von Arbeit
Zermürbten und von Enttäuschungen er
matteten Korper durchsiebten.
Man hat. in den Nachrufen, in wel
chen auch die Gegner dem rein Mensch
lichen m dem nunmehr Dahingeschiede
nen den Tribut rückhaltloser Anerken
nung zollen, Hugo Haase mit dem fran
z'ösischen Sozialistenführer Jean Jaurös
verglichen. Beiden ist die Mordkugel in
politisch sturmischer Zeit beschicken ge
wescn und in beiden Fällen war der
Täter ein Blödling. Die Prozcssicrung
des Mörders Jaurös" wurde länger als
vier Jahre hingehalten und, 'endete
schließlich mit der Freisprechung des An
geklagten unter durchaus chauvinistischer
Begründung des Urteils, ohne daß be
sonders viele revolutionäre Hähne dar
nach gekräht hätten. Der Wiener Le
derarbeiter, welcher Hugo Haase am ver
gangenen achten Oktober vor dem Por
tal des Reichstagsgebäudes in Berlin
niederschoß, war gerichtlich bereits für
strafausschlicßcnd geistesgestört , erklärt
worden, bevor noch sein Opfer, am 7.
November, den erhaltenen Verwundun
gen erlegen war. Die Tat auf dem
Parise. Boulevard und die bor dem 1
Portal des Reichstagsgebäudes in Berlin
hoben sich ober doch von einem verschie
denen Hintergrund ab. und auch das Ka :
liber der Opfer ist ein verschiedenes ge
Wesen. Man kann allerdings nicht wis
sen, wie sich Jaurös dem Krieg in des
sen weiterem Verlauf gegenüber gestellt
haben würdr. aber er war doch der
Mann des stärkeren Willens. Sein Den
ken war das klarere und seine Ueber
zeugungen griffen tiefer, als die deS
Mannes mit dem guten Herzen und der
Kompromißnatur. Und er ist, wenn
au 'i vor. einem Geistesschwachen gefällt,
so doch als ein Opfer seiner Ueber
zeugunger gefallen, denn er hatte, be
vor ihn die Kugel des Attentäters traf,
soeben erst vor der gesamten Welt und
vor da. französischen Volk von der
Roftra deS Parlaments auS dem Kriege
Krieg erklärt. ,Der Knall der Mord
waffe bildete die Antwort auf diese
Rede Jaurös. .
Der Tod Hugo HaaseS iß icht von
einer solchen heroischen Tragik umdü
stert. ES ist ihm nicht beschieden ge
Wesen, seine Ueberzeugung, welche ihn im
Leben nicht vor Kompromissen zurückge
halten hat, mit dem Tode zu besiegeln
Sein Mörder war nichts als ein Blöd
ling, ein typischer Querulant, welcher es
sich in den Kopf gesetzt hatte, die Mensch
hcit von dem Uebel deS Lotteriespiels zu
erlösen und dadurch die soziale Frage
zu regeln. Er schoß aus seinen bis
herigen, Herrn und Meister, weil dieser
die Tiefe solchen Gedankens und die
Kraft solchen Heilmittels nicht begreifen
wollte und ihn abgelmese hatte. Der
Versuch, auch diesen blöden Querulan
te als ein Produkt seiner Zeit aufzu
putzen, wird vor der. Geschichte nicht be
stehen können.
Die Tragik deS Geschicks Hugo HaaseS
liegt auch gar nicht in den Umständen
seines gewaltsamen TodeS. sondern dar
in, daß er nichts Positives geschafse hat
und nach ihm die Siniflut hereinzubre
chen droht. Seine Persönlichkeit ist nut
interessant in Verbindung mit ,. den
Kräften der Negation und den Elcmen
ten deS Umsturzes. Die Vergänglichkeit
seines ErdenwallenS ist festgestellt von
der soeben auf dem Kongreß der'.Un
cbhängigen" in Leipzig einstimmig an
genommenen Resolution, welche die' Ein
führ. deS Bolschewismus in Deutsch
land fordert. Haase ist der Mitbegrün
der diese Partei gewesen, aber die Un
entwegten waren schon zu Lebzeiten ih
S Führers über diesen hinweggeschrit
ten. Er wollte auch Bremser fein, er
grübelte über die Möglichkeit nach und
spähte nach einem Wege auS, das Mit
telding zwischen der sozialdemokratischcn
und der bolschewistischen. Weltanschauung
zu finden. Er wollte in der Retorte
deS Kompromisses folchen Homunkulus
fertig bekommen und ihn im Jnkuba
tor deS AuScikeilbZ mit gegenseitigen Zu
Geständnisse aufpäppeln. Aber daS
wirkliche Lebe, riß ihn mit sich und
überrannte ihn. Er wollte die völlige
RadikiliLerun Ukux 5Luii huiuidnn
M-
em
und warf dafür feint ganze Autorität
In die Wagschalk, aber die Schale
schnellte In die Höhe. Er dachte, die
Weltverbrüderung im Verein mit den
c'ozlalisten des Westen verwirklichen zu
können, aber er vermochte daS Ab
schwenk... seiner eignen Gefolgschaft nach
Osten, in das Lager Lenins, nicht zu
verhindern. Er, welcher die sozlaldemo
kratische Partei In zwei Stücke zerschla
gen hakr', mußte da? Abbröckeln der
eigenen Autorität erleben und die Ideen
von Wcltverbriiderung, wie er sie hatte,
im bolschewistischen Winde zerflallern
sehen. Er hat beim Sturz des alten
Regimes geholfen, aber feine kurze Vc
teiligung an der Arbeit der Rekonstruk
tion h..t nachgewiesen, daß er doch nur
ein Zerstörer, aber kein Aufbauer gewe
sen ist. Und auS dem Wirrwarr, wel
chcS er angerichtet, und auS dem ChaoS,
daS er hinterlassen, reckt sich von neuem
die Propaganda der Reaktion, deren
Aufkommen als Folge eines deutschen
Siegel er befürchtet und vor deren Er
setzung durch die Diktatur des Prole
tariatz er doch zurückgeschreckt war.
Die einstimmige Resolution, mit wel
cher der Parteitag der Unabhängigen zu
Leipzig die vollständige Orientierung in
der bolschewistischen Richtung, d. h. den
Anschluß an die Moskauer (dritte) In
ternationale, vorgenommen hat, dedeu
tet für den Grabstein Hugo Haases die
Inschrift, daß er ein vergebliches, Le
ben und ein erfolqlofes Streben zudecke.
Und daß unter, ihm einer ruhe, welcher
bereits tot gewesen, als er felbft es noch
nicht gewußt
In den Entscheidungstagen deS Mo
nats August 1914 hatte Hugo Haase
die Massen auf die Straße zum Proicst
gegen den Krieg geführt. Noch am 3.
August hatte er in der Sitzung der so
zialdemokratischen ReichstagSfrakiion als.
deren Vorsitzender gegen die Bewilligung
der Kriegskredite gesprochen. Aber auch
damals hatte er nicht vermocht, aus sei
ner Haltung die Konsequenzen zu ziehen.
Er ließ sich dazu herbei, in der Reichs
tagssitzung vom 4. August, der, seiner
eignen Meinung widersprechenden Stim
mung der fozialoemokratischen Partei
Ausdruck zu geben. Er führte, dem bor
liegenden amtlichen Protokoll der dama
ligcn Sitzung zufolge aus:
.Im Auftrage meiner Freunde habe
ich folgend Ektlärung abzugeben: Wir
stehen vor einer Schicksalsstunde. Die
Folgen der imperialistischen Politik,
durch welche eine Aera des Wettrüstens
heraufgeführt und die Gegensätze zwi
schen den Völkern verschärft wurden,
sind wie eine Sturmflut iiber ganz Eu
rova bereinaebrocken. Die Vcrantwor
tung hierfür fällt den Trägern jener ,
Politik zu. Wir lehnen sie av. ie
Sozialdemokraten haben diese verhäng
Nisvolle Entwickelung mit allen Kräften
bekämpft, und noch bis in die letzten
Stunden hinein haben sie durch macht
volle Kundgebungen in alln Ländern,
namentlich iminnigen Ein vier
nrhm.'n mit den franzöfi
fchen Brüdern für Aufrechterhal
tung des Friedens gewirkt. Ihre An
strengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt
stehen wi. vor der eisernen Tatsiche des
Krieges. Uns drohen die Schrecknisse
feindlicher Invasion. Nicht für oder
gegen den Krieg haben wir heute zu ent
scheiden, sondern über dle Frage der für
die Verteidigunz des Landes ersoroer
lichen Mittel. Nun haben wir' zu den
ken an die .Millionen Volksgenossen, die
ohne ihre Schuld in dieS Verhängnis
hineingerisfen sind. Sie werden unter
den Verheerungen des Krieges am
schärfsten getroffen. Unsere heißen
Wünsche begleiten unsere zu den Iah
nen gerufenen Brüder, ohne Unter
fchied der Partei (Lebhafter
Beifall). Wir denken auch an die Mut
ter und Kinder, die Ihres Ernährers be
raubt sind, denen für die Angst um ihr
Leben die Schrecken des Hungerä drohen.
Zu ihnen werden sich bald noch viele
Tausende verwundet und verstumme!
tet Krieger gesellen. Ihnen allen bei
zuftehe.l. ihr Schicksal zu erleichtern,
diese unendliche Not zu lindern, nach
ten wir für eine hervorragende Pflicht.
(Lebhafter Beifall.) Für unser Bolk
und seine freiheitliche Zukunft sieht bei
einem Siege des russischen Despotismus,
der sich mit dem Blut der Besten der
eigenen Völker befleckt hat, viel, wenn
nicht alles auf dem Spiel.
(Stürmischer Beifall,) EZ gilt, diese
Gefahr abzuwehren, die Kultur und
Unabhängigkeit unsere eigenen Landes
sicherzustellen. (Lebhafter Beifall.) Da
'machen wir wahr, was wir immer be
tont haben. Wir lassen in er
Stundder Gefahr, dasV
terland nicht im Stich. (Leb
hafte Beifallskundgebungen.) Wir füh
lcn uns dabei im Einklang mit
der Internationale, ' die daS
Recht jedes Volke! auf Selbständigkeit
und Selbstverteidigung jeder: it aner
kannt hat. wie wir in Uebereinstimmung
mit ihr jeden Eroberungskrieg veruriei
len. Wir fordern, daß dem Kriege, so
bald daS Ziel der Sicherheit erreicht ist
und die Gegner zum Frieden geneigt
sind, ein Ende gemacht wird dvrch einen
Frieden, der die Freundschaft mit den
Nachbarvölkern ermöglicht. Wir fordern
dies nicht nur im Interesse der von uns
stets verfochtene internationalen Soli
darität, fondern auch im Interesse des
deutschen Volkes. Von diesen Grund
(ätzen geleitet, bewilligen wir die gefor
erten Kredite.' (Lebhafte, Beifall.)
Damals bedeutete Deutschland für
Haase noch ein Baterland, welches er
nicht im Stich lassen wolltewaren ihm
alle, die unter die Fahne gerufen, seine
Brüder und die Bedrohten noch Genos
fen der gleichen Aolkheit. Kennzeich
ncnd ist die obige Rede auch für die
Orientierung, welche seine Feindschaft
angenommen. Sie richtete sich gegen
daS zaristische Rußland, dessen Sieg un
ter aller' Umständen verhindert weiden
müsse. In der Richtung nach Westen
erblickte tc damals und auch später im
jcier noH ein Möglichkeit, mit den
11 UCl
französischen Brüdern" zu einem An
Verständnis zu gelangen.
Er hatie, fo ist später festgestellt, den
Genossn im anderen Lager im Ueber
eifer g'genüber, die deutsch Sozial
demokratie für die Verhinderung deS
Krieges verpflichtet. Nun galt, er die
sen Genossen als Verrät und wurde
er der Persidie geziehen. DaS ging dem
bisher Unentwegten, welcher doch aus so
manchem Probstein geprüft und in man
che . Feuer alö radikal erhärtet worden
war, an die Nien. Hatte er, als
der Cob. einet Kleinhändlers in einem
Dorf bei Allenstcin 18! geboren, sich
nicht bereits in seinen Jünglingsjahrcn.
als Stud.nt der Rechte, unter der Ein
Wirkung der w Preußen freiheitlichsten
Luft d-, östlichen Provinz leidenschaft
lich dem Radikalismus ergeben? War
nicht .der Anwalt dck Proletariats"
gew.:'-., e'..i Helfer der Aermsten unter
den Armen? Hatte ihn nicht da! Ber
tr"'- deS Proletariats in die Arena
dcZ Ischen Lebens berufen zuerst in
daS Königsberger Stadtparlament und
dann in den, Reichstag? Sein Radi
kalismuS hatte ihn zum Mitstreiter Au
gust Bebels und Paul Singers gemacht.
Den Revisionismus tn der Partei hatte
er bekämpft, Kurt' Eisner. der sich als
Leiter deS .Vorwärts" gegen die In
fallibilität der radikalistischen Lehre aus
gelehnt hatte, und Hildebrand, mit des
sen sozial-imperialistischen Kolonialne!
gungen i' den Sand gestreckt. ' Nach
Singer' Tode war er an dessen Stelle
neben Bedel getreten, nach Ableben bei
.Großen Alten" der Sozialdemokratie
mit dem Vorsitz der Partei und der
Neichstagsfraktion betraut, und im Jahr
1912 als solcher wiedergewählt worden.
Immer hatte er die Fahne deS Radika
lismuS hoch gehalten, manch' ein Ketzer
gericht hatte er abgehalten, und ?un
wurde e-. In der großen Schicksalsstunde
der Entscheidung, des Verrats an der
Sache deS Internationalen Proletariats
geziehen. Das hat sein radikales Ge
wissen heunruhigt und wie ein Wurm
an seinem Herzen gefressen.
Und als dann die schnellen und ge
waltigen Erfolg? der deutschen Waffen,
in Belgien und in NordfranZreich er
rungcn wurden, und unter dem Eindruck
der Siege die Stimmung des deutschen
Volkes ganz kaiserlich und vaterländisch
s. -kellte st zu der Gewissens,
bcschwerde, welche Hugo Haase bedrückte,
die Befürchtung, daß der Sieg Deutsch
lands der der Reaktion werden wuroe.
Da brach bei ihm der Radikalismus,
welcher das Weltbürgertum des Prole
tariats r. bourgeoisen Vaterlanosidee
gegenüberstellte, und über die Grenzen
des besonderen VolkstumZ hinausstrebte,
biirrb. Kr wurde der foind der eia
ncn VoU:gcnossen. jagte dem Phantom
einer Verständigung des Weuproicia
riats nach und zerbrach die Partei, d?
ten Führer er gewesen, in zwei Stücke.
Schon im Frühjahr 1913 brach er den
.Burgfrieden". AIS Führer revoltierte
er gegen die eigene Partei, hißte er die
Fahne, der Palastrevolution. Im Juni
1915 erschien in der Leipziger Volks,
zeitung" ein Aufruf: Das Gebot der
Stunde", welcher die Unterschrift Ha
fes, Kautkys und, Bernsteins trug. Die
Kündigung des Burgfriedens und du
Wiederaufnahme des Klassenkampfes
würden gefordert. Zs hieß da;'
.Die Stunde der Entscheidung ist ge
kommen. Die deutsche Sozialdmokra
tie ist vor eine Frage gestellt, die für die
Geschicke deS deutscher. Volkes, für die
Zukunft der Kutturwelt vr., der groß,
ten Tragweite ist. Prpgramme werden
aufgestellt, die dem gegenwärtigen Krieg
den - Stempel einrS Eroberungskrieges
aufdrücken . . . Nachdem die Erobe
rungspläm vor aller Welt offenkundig
sind, hat die Sozialdemokratie die
Delle Freiheit, ihren gegensätzlichen
Standpunkt in nachdrücklichster Weise
geltend zu machen, und die gegebene Si
iuation macht auS der Freiheit eine
Pflicht. Ein wirklicher und dauernder
Frieden ist mir möglich auf der Grund
läge der Vereinbarung. Diese Grund
luge zu schaffen ist nicht der Sozial
demokratie eine? Landes gegebn. Aber
jede Partei kann nach Maßgabe ihrer
Stellung und ihrer Kräfte dazu, beiira
gen. daß diese Grundlage hergestellt
wird. Die gegenwärtige Gestaltung der
Dinge ruft die deutsche Sozialdemokra
tie auf. einen entscheidenden Schritt zu
diesem Ziel zu tun. Sie ist heute vor
die Wahl gestellt, diesem Gebote Folge
zu leisten oder dem Vertrauen einen töt
lichen Stoß zu versetzen. daS sie bisher
im deutschen Volk und in der gesamten
'Welt als Verfechterin deS VölkcrfricdeuS
genoß. Wir zweifeln nicht, daß unsere
Partei diejenigen Folgerungen ziehen
wird, die sich für unsere Parlamentär!'
fche und außerparlamentarische Haltung
hieraus ergeben. Mit den schönsten
Ueberlieferungen der Sozialdemokratie
steht die Zukunft unseres Volkes auf
dem Spiel, sein, Wohlfahrt und seine
Freiheit. Hat unsere Paitl nicht die
Macht, die Entscheidung zu treffen, so
fällt uns doch die Ausgabe zu. als drän
gei.de Kraft, die Politik in der Richtung
vorwärts zu drängen, die wir als die
richtige erkan tt haben."
Tiefer Aufruf wurde von der Mehr
hcit des PartcivorftandeS und der Par
teipresse' auf daS entschiedenste deS
avouiert. DaS vom Ausland und der
sozialen Presse deS Auslands herüber
sck-allende Echo war lauter Hohn.
Bis zum März hielt nt Partei müh
fam noch zusammen. Dann kam der
große Bruch. Am 24. März begrün
detc Haase namens der Minderheit der
soziakdemolratischen Partei im Reichstag
die Ablehnung des neuen Kriegskredits.
Dies Haltung gab zu der endgültigen
Spaltung d Fraktion Anlaß, Fol
flinbe Abgeordnete sckloslen kick Zur .So
zialdemokratischen ArbeitSgenosscnschaft"
zusammen: Berustetn. Bock. Büchner,
Dr. Oskar Cohn. Dittmann. Geyer,
Jbaale. Lenk,. Dr. Her,fe!d. Horn (Sach
sen). Kunert. Lcdebour. Schwarz.
Stadthagen, Stolle. Vogther, Warm
uny suixii. Xttit 13 unenlweaie wag.
ff h h t Ä h n 9
WAWw
(W,f!tfl
tt all ihren Vorstand die Abgeordne
te Hugo Haase, Ledeiour und Diti
mann. .
Den nächsten Tag legte Haase den
Voisitz Im Parteivorstand nieder, nach
dem er bereits am 11. Januar als Bor
sitzender der fozialdemolralischen Reichs
tagSfraktion zurückgetreten war. Tie
Spaltung in der Partei hatte sich voll
zogen.
...
ES begann der Kampf Hugo HaaseS
und feiner Gefolgschaft der .Unabhängi
gen nach rechts, dem der Einzelkampf
deS FijhrerS nach links, gegen .die
äußerste Linke der eignen Partei, folgen
sollte. In diesem Zweifrontcn-Kampf
ist Hugo Haase und mit ihm Deutsch
land zermürbt worden. WaS er sagte,
galt den Gegnern als Evangelium und
waS er tat, geretchte dem eigenen Lande
zum Schaden. Er war im Grunde
kein Kraftnatur, kein SImson, welcher
mit einem einzigen- .Ruck seiner Muskel
kraft den Tempel zum Einsturz bringt
und sm, selbs unter den Trümmern be
gräbt. Er war mehr ein Zernager. Hier
und dort wurde der Grund unterm!
niert, ein Stück nach dem anderen ab
gebröckelt Und als daS Gebäude schließ
lich zusammenkrachte, brachte er selbst
sich in Sicherheit. Wieder vermochte er
die aus seinem Handeln als notwendig
sich ergebende Konsequenz nicht ru
ziehen. Er lehnte, nach der Annahme
des Waffenstillstands, der daS Werk sei
ner Unterminierarbcit war, mit seinen
Freundeir die alleinige Uebernahme -der
Regierung ab, weil sie die Bcrantwor
tung sin die Bedingungen des Waffen
ftillstands nicht tragen wollten. Die
Propaganda der Unabhängigen hatte die
Stimi j daheim zersetzt und die Front
draußen abgebröckelt, den Zusammen
bruch hier wie dort vorbereitet. Die
zersetzte Stimmung daheim lieh den Zu
flüfterungen von einem Frieden des
Rechts und der Gerechtigkeit" ein Willi
ges Ohr, und die abgebröckelte Front
draußei war nicht mehr im Stande, den
harten Bestimmungen des Waffenstill
stands Widerstand entgegenzusetzen.
Im psychologischen Moment rief Hugo
Haase, noch einmal, die Massen auf die
Straße, Was an Not erlitten, waS an
Enttäuschungen erfahren, was an Elend
auS , der Zukunft entgegenstarrte, mit
allem dem wurde das alte Regime be
lastet. Dem War schon mit der Fest
stellung des Sieges, daß mit ihm eine
t. ,!,. . .1.1.
iveroanoiung uoer oe grievcn mujv
möglich sei, daS Schicksal entschieden.
Als die Massen auf die Straßen stiegen.
war daS Deutsche Kaiserreich bereits er
lcdigt. und in diesem Fall wußten es
die Pfiffigen deS alten Regimes, welche
sich beeilten, mit der Entfernung des
Kaisers dem Reich den Totenschein aus
zustellen. Auch Hugo Haase wußte es,
und wenn er doch noch einmal die Mas
sen aufrief, so tat er das trotz ferner
Erunntn, daß - via Entscheidung ve
reits ' llen war. Darin liegt auch
der innere Grund, warum sich die deut
sche Revolution verhältnismäßig unblu,
iig vollzogen hat. Bor den Konsequen
zen jener Entscheidung aber, die er doch
selber mit herbeigeführt hatte, fchreckte
Haas zurück. Nicht allein wollte er die
Verantwortung tragen. Der Kornpro
mißler b.achte. nach den Novembertagen
deS Jahres 1918. die Verständigung
zwischen den Unabhängigen und der
MehrbeitIpartei zustande. Haase und
Ebert übernahmen gemeinsam den Vor
sitz im Rat der Volksbeaufiragten".
In oiesem Augenblick enthüllt sich die
Tragik feineS ganzen LebenS und berei
itf sich die seinS Todes vor. 1 Diefe
Tragik ist am stärksten - hervorgehoben ,
und in ihren Gründen und ihren Wir
kungen am hellsten beleuchtet worden in
dem Nachruf, welchen der Berliner
.Vorwärts", das führende Organ der
kehrheitIsozialisten, dem toten früheren
Meister und späterem Gezner gewidmet
hat. Es heißt da:
Sicher war er in jedem Stadium sei
neS Lebenswerks mit ehrlichem Eifer be
strebt, der Sache der Arb iterklasse zu
dienen, aber da hat ihn nach unserer
Ueberzeugung nicht darin gehindert, in
den letzten Jahren die verhängnisvollsten
Wege einzuschlagen.
Dieses Verhängnis ist nicht so sehr
dem radikalen Grundzug feineS WefenS
geschuldet, sondern vielmehr gerade um
gekehrt feiner Kompromißnatur. AlS
Haase aufhörte. Mitglied der Sozial
demokratischen Partei zu fein, wurde er
Begründer einer Partei, die in der Mitte
zwischen den grundsätzlichen Gegensätzen,
die der Weltkrieg aufgeworfen hatte,
hilflos stecken blieb. Ludwig Frank hatte
ein Programm, 'und er ging hin und
fiel kämpfend bei Baccarat. Rosa Lu
zemburg hatte ein Programm, und sie
fiel von Mörderhand im Bürgerkrieg,
den sie entzünden geholfen hatte. Hugo
Haase dagegen stand zwischen beiden.
Er akzeptierte weder daö Programm "bet
nationalen Verteidigung, noch den Ge
danken der sozialen Weltrevolution, die
sich im Anschluß an den Weltkrieg im
Sturm über die ganze Erde wälzen
siUie. Er war weder Sozialdcmokrat
in unserem Sinne, noch Kommunist,
und die blöde Tot eines Menschen, der
sich för seinen Anhänge? zugleich und
zugleich für feinen Gegner hielt, hat sein
Leben mittelbar beendet. -
Haase war nicht alZ Revolutionär,
sondern als Pazifist Gegner der Kredit
Bewilligung. Er orientierte sich nicht
noch Osten, sondern nach Westen. Wälz
rcnd Sozialdemokratcn und Kommuni
sten im Krieq den Anvrall deS imperia
listischen WeltkapitallsmuS erkannten
und nur freilich ganz verschiedene
Schlüsse auS dieser Erkenntnis zogen,
sah Haase westlich der deutschen Grenze
nur Demokratie und Friedensliebe.
Während die Sozialdemokratie erkannte,
daß die Abwehr eines zerschmetternden.
Teutschland versklavenden EntentestegS
daS Höchstmaß deS Erreichbaren sei.
glaubt Haase n den großen deutschen
Sieg und fürchtete als feine Folge ei
Welle der Reaktion im Innern. . Um f
seltsamer, dafc et später seinen klare
Is
Standpunkt in der Frage der '.Demo
kratie der Diktatur" zu finden ver
stand und hier an Klarheit der Erkennt
Ms gegen seinen Parteigenossen KautUy
unendlich weit zurückblieb.
Haase war im Grunde eine verbind
liche Natur und von der prinzipiellen
Rauhbeinigkeit oieler seiner Anhänger
unendlich weit entfernt. Aber feine
Verbindlichkeit erschöpfte sich in dem ver
geblichen Versuch, eimn Ausgleich zwi
scken sozialdemokratischen und bolschewi
siischen GrundanschauungkN zu suchen,
während der Ausgleich zwischen den bei
den sozialdemokratischen Parteien ein
viel fruchtbareres Feld geboten hatte.
Gelegentlich hat er. sich allerdings
such hier versucht. Er hat geholfen, die
sozialdemokratisch unabhängige Regie
rung deS 10. November zustande zu
bringen. DieS wäre das beste Werk sei
nes Lebens gewesen, wenn er eS nur zu
erhalten verstanden hätte. Aber wäh
rend er noch in dieser Regierung saß,
war ein Teil seiner eigenen Parteian
Hanger schon emsig am Werke, den Bo
den, auf dem diese Regierung ruhte, zu
unterwühlen, und als er sicher per
sönlich aufrichtig mit den besten
Wünschen sllr ihre fernere Wirksamkeit
von seinen sozialdemokratischen Mini
sterkollegen, schied, bereiteten seine Par
tcigenossen Eichhorn und Ledebour
schon den blutigen Kampf vor, ist dem
die fozialdemokratische Regierung ge
stürzt werden sollte.
So geriet Haase immer mehr in die
Lage eines Mannes, dem die Verhält
nifle über den Kopf gewachsen waren.
Ein Führer, der sich plötzlich an der
Spitze instinktiv vorwärtsdrängender,
aber politisch ungcschulter Massen- sieht,
muß auch zügeln und bremsen können.
Es mag sein, daß Haase daS in engerem
Parteizirkel öfter getan hat. als die Welt
bisher weiß.. Aber er litt an einer, un
heilbaren Schwäche gegenüber einer sich
selber revolutionär dünkenden Phrasco
lcgie und erwieS dem aufgesteckten Geß
lerhut der Diktatur , feine Reverenz,
während ein stärkerer Mann aufrecht an
ihm vorbeigegangen wäre. JD Ver
such, völlig objektiv zu sein, zwingt uns
zu sagen, daß uch Naturen wie Haase
in der gegenwärtigen Zeit ihre Funktio
nen haben mögen; uns aber gefällt der
Mann besser, der die Kraft besitzt, einer
ihm gefährlich dünkenden Entartung
jener Bewegung, mit der er verwachsen
ist und die er liebt, die Stirn zu bieten.
Den Ganzen und Unentwegten blieb
Haase trotz all seines Entgegenkommens
en Greuel. Däumig weigerte sich.- mit
ihm auf derselben Kandidatenliste zur
Nationalversammlung zu erscheinen,
und die Bolschewisten beschimpften ihn
wutcno, weil er sich ihnen nie völlig er
geben wollte, ganz besonders, , weil , 'er
für die Unterzeichnung des Friedensvcr
trags eintrat. Daß er auf der letzten
Reichskonfcrenz der Unabhängigen
Kautsky gegen die Angriffe einer vor
witzigen Jugend wenigstens persönlich
deckte, ist menschlich für ihn ein Plus,
aber er verfehlte nicht, sofort hinzuzu
fügen, daß er sachlich seit Jvhren mit
Kautsky nicht mehr einverstanden -sei.
Haase war der nach links hin ma
növrierende, vorsichtig balancierende
Führer der unabhängigen Rechten. Er
war bemüht, die auseinanderstrcbenden
Teile seiner Partei zusammenzuhalten.
Was diese Partei mit seiner vermitteln
den Tätigkeit verliert, wird die Zukunft
zu erweisen haben. Für diejenigen, die
eine Entwicklung der Unabhängigen in
ruhigeren Bahnen wünschen, ist sein
Tod sicher kein Gewinn. Wir glauben
im Gegenteil, Haase hätte selber stärker
in dieser Richtung gewirkt, wenn er nur
als Taktiker festeren Boden unter feinen
Füßen gefühlt hätte, und er wäre für
die Einigung im entscheidenden Mo
mcnt.auf keinen Fall ein Hindernis ge
Wesen.
Es gibt Parteigenossen, die Haase für
unaufrichtig hielten. Uns scheint dieses
harte Urteil falsch. Er war ein Mensch
mit seinem Widerspruch. Die natürliche
Liebenswürdigkeit seines Wesens und
die kalte, harte Scharfe seiner öffent
licken Nolemik standen zueinander in
merkwürdigem Gegensatz. Haase war
als Redyer auf einen Ton gestimmt, auf
den der Anklage. Am Verhandlung
tisch war. er der umgänglichste, sich der
höflichsten Formen befleißigende Mensch.
AllcS in allem: Haase enthielt als
Charakter und als Begabung Werte in
sich, die der Arbeiterklasse viele Jahre
von großem Nutzen weiden konnten. So
kannten und schätzten wir ihn qlS den
Mitvorsitzenden der einigen Partei, und
wir glauben nicht, daß er innerlich ein
anderer werden konnte. Die unglückliche
Spaltung halte ihn auch zu einem un
glücklichen Politiker, gemacht. Sei tu
liiisches Talent, das sich im Nebenein
ander der Kräfte bewährt hatte, reichte
nicht aus zur Führung einer an politi
schen Talenten nicht reichen Partei.
Haase hat es gut um die Sache der Ar
bciterbewcgung gemeint, aber er hinter
läßt nichts als einen Haufen Lerwir
rung.
- -
Das wa. geschrieben, bevor der Par
tcitag der Unabhängigen, deren Führer
Hugo Haase gewesen war und es zu sein
aufgehört hatte, bevor die Kugel eines
verblödeten Querulanten seinem Leben
und Wirken ein Ziel gesetzt hatte, in
Leipzig sich einstimmig für die Einfuh
rung bei bolschewistischen Systems in
Teutschland erklärt hatte. Auf dem
Parteitag im vergangenen März war es
Haase noch gelungen, den Ansturm ver
Lußerlien Linken seiner Partei atzuweh
ren und die Sprengungsversuch der
Ultras zu hintertreiben. Bis zuletzt hat
er feine Orientierung nach Westen be
wahrt. Von der Wiederanknüpfung der
Beziehungen mit den britischen und fran
zösischen Sozialisten erhoffte er mehr,
als von dem Abschwenken in daS Lzcr
Lenins. Möglich, daß auch in Leipzig
die Erinnerung an seine einstmalige
Autorität und die Achtung vor feiner
Persönlichkeit da Hissen der bolschewisti
schen Flagge über den Zinnen der Burg
der .Unabhänaigen" noch einmal dahin
dert hätten. Möglich, aber kaum loa-n
scheinlich. Daß der Bcschlu?,. H'U.:
die Partei auf den äußersten Rad-W,'
tnu festlegt, 'stimmig gesch: worden
ist. löscht auch die Erinnerüng a,r di;
einstmalige Autorität deS toten Führer
aus.
Der Lebenswandel Hugo HaaseS ist
de eines tadellosen Menschen gewes'.
DaS Fazit seines Slrcbcns und,2Zir
ken? ist gleich Null.' Die zwei WtwcM,
wahrend welcher er die oberste
besessen, sind politisch für ihn selbst
und für Deutschland völlig erg:bi'.l!lZS
geblieben. Er ist einer von den gun
Leuten, aber schlechten Musikanten. Als
er sich loslöste von der Vaterlandsii?
und auS der volklichen Kknnschnft,
verlor er die Wurzellraft. Daß er da
vor zurückschreckte, aus seinen Ucbcrzeu
gungen und auS seinen Handlungen die
logischen Konsequenzen zu ziehen, zog
den Boden unter seinen Füßen hinweg
und hing sein Wirken in di; Luft.' Man
hat ihn einen Hamlet des ttritizismus
genannt. Die Hamlct-Natur hat ihn
schließlich in eine Sackgasse getrieben.
Er ist ein Schädling gewesen an seinem
Vatcrlan? und an seiner Volkheit. und
er bat an die Stelle dessen,-was er
eingerissen, abgebröckelt, nichts neueS zu
setzen vermocht. Er war mehr Hrrost
rat ls Simson, hatte wenig heroisches
in feinem Wesen und Wirken. -
Die Tragik seines LcbenZ bestand im
Grunde doch nur darin, daß er zu denen 4
geborte, welche schon tot waren, als sie
es selbst noch nicht wußten. Auch der
körperliche Tod war kein heroischer. kn
tragischer. Aber die blöde Tat des.
gerichtlich für strafausschlicßend geisteS
krank eMrten Wiener Lederarbeiters
Johann Voß hat das versöhnend: Mo
ment. daß er dem Opfer die Erkennt
n-s erspart hat, daß .er bereits tot ge
Wesen, ohne" es zu wissen. ,
Der einstimmige Beschluß deZ Leip f
ziger Parteitags hat Hugo Hsaseden .
Totenschein ausgestellt. Die Inschrift
auf seinem Grabstein wird besagen,- daß ,
dieser ein JecreS Leben und in per .
gkblicheS Streben zudecke.
n neuer Säamüct
, Anzeiger.
Einen Schlagwetter-Anzeiger, ber auf ,
einem ganz neuen Prinzip beruht, hat ,
Prof. Fleißner hergestellt, und in den
.Naturwissenschaften" werden , , nun
nähere Angaben über das bedeutsame
Verfahren gemacht. Der Anzeiger bs
ruht auf der Erscheinung der chemischen
Harmonika" oder der .singenden Flam
men". Wenn verschiedene Gasflammen
in einem langen? engen Rohr brennen,
fg entstehen je nach der Gasart und den
Abmessungen des Rohres Töne von per
schieden Stärke und 5Me. Der Ton
läßt sich nun durch Vergrößern oder
Verkleinern der klamme verstärken so
wie abschwächen, und bei einer bestimm
ten Größe der Flamme hört das Tönen
ganz .auf. Führt man einer,., folchen
nichttönenden Flamme am unteren Ende '
des Rohres irgendein brennendes Has
zu, fo verbrennt dieses Zusatzgas in
nächster Nähe der Flamme, wodurch ,
diese größer wird und wieder zu tönen
anfängt. ' Wird' kein Gas onPußen zu
geführt, so hört daS Tönen auf.
Auf diese Erscheinung beruht der neue
Schlagwetteranzeiger, der auch zum An
zeigen anderer explosiver Gasgemische
dient. Man braucht nur in einer ge
eigneten Vorrichtung - eine Flamme so
einzustellen, daß sie in gewöhnlicher Luft
nicht mehr oder nur schwach singt. Be
tritt man mit der Vorrichtung einen
Raum, in dem sich explosive Gase be
finden, so wird die Flamme vergrößert,
und es tritt ein Tönen oder ein. Star
kerwerden des Tons ein. Die neue Vor
richtung ist in Form einer Grubenlampe
hergestellt, die auS einer regulierbaren,
auf und abwärts verschiebbaren Flam
me besteht. Zum' Gebrauch wird die
Flamme zunächst so eingestellt, daß ein
Ton erzeugt wird. Dann wird der
Brenner gerade fo weit verschoben, daß
daö Tönen aufhört. ' Sobald nun explo j
fiöe Gase in das Innere der Flamme
fieintmprt. besinnt das Tönen von neuem j
und die Vorrichtung besitzt eine so großa
Empfindlichkeit, vag man logar quann
tative Messungen vorneymen rann. zs
werden sich nach diesem Prinzip War
nungsapparate bauen lassen, die bei
einem bestimmten Gehalt der Luft an
, brennbaren Gasen von felbst zu tönen
anfangen. , . 4
Die Briintigamsvflanzung auf Alsen.
An eine interessante Sehenswürdig
seit auf der Insel Alsen erinnert die
eitsckrist Niedersachsen: die .Bräuti
gamöpflanzung", ein regelmäßig ange
legtes Eichen- und Buchenwäldchen. , W
dieser Bräutigamspflanzung hat es eine
eigene Bewandtnis. Die Pflanzung ist, ;
wie schon der Name sagt, angelegt von!
Bräutigamen der Insel Alsen. Ein al
ter Volksbrauch bestimmte nämlich, -detr
jeder Mann, der die Ehe eingehen, wollte,
ein, bestimmte Anzahl von Bäumen zu
pflanzen habe. Und die Holzordnung
von 1737 erhob diesen Vollsbrauch so
gar zum Gesetz, denn sie bestimmte:
Jegliche Mannsperson in den Holzdör
fern, die sich zu verheiraten gedenket, fol .
vorher zehen junge Eichm oder 1ö junoe '
Luchen pflanzen ; vor jede fehlende Elche
fol sie einen Thaler, vor jede fehlende
Buche 32 Schilling schuldig seyn." Auch
waren die Pastoren der Insel gehaltn,
keine Trauung vorzunehmen, che der
junge Mann den Nachweis erbracht
hatte, daß er gepflanzt oder Buße ge
leistet habe. Als die Jagd rnnd Forst
ordnung 1784 eingeführt wurde, war
diese alte 'Verordnung hinfällig gewor
den; aber der Name .Bräutigamsrslak
zung" für den Wald, den die Brätlti
game von Alsen gepflanzt, ist bis auf
den heutigen Tag geblieben.
Der gesellschaftliche Verkehr, hat '
bei uns nachgerade so steife Formen an
genommen, daß die Liebe auf den ersten
Blick sozusagen zu einer Notwendigkeit
geworden ist.
Beifall und Gold sind die bewähr
testen Köder an der Legeangel dei Le
den.
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