Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, December 22, 1919, Image 2

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    V
In da! offen Fenster dämmerte gelb
l!ch und schwermutvcll die polnisch
Landschcst herein wie alle Tage. RenK
Hcrlenlxrg laß am Schreibtisch und
wollte Briefe schreiben Bon unten
ou! dem großen Saal drang die Musik
des eigenmadchens dcrauf. dunkel.
lockend, von blühender Sehnsucht schwer
wie aue sage. ..
Ich muß an Ägnek Marie schreiben.
dachte RenS Hertenberg. AgneS Marie
lzat da! Recht, jeden Tag von mir
Nachricht zu bekommen. Und sie hat.
jeit zehn Zagen leine Nachricht belom
nun. Er dachte daS just um dieselbe
Jeit alle Tage. Tie Musik deS Geigen.
! inadchenl fang herauf, seltsamer, unbe
riffener Leiden voll. RcnS Hcrten
bergS Schläfen brannten wie im Nieder,
Es ist diese verrückte polnische Musik,
murmelte er.
Ich mutz auch an Olga und Äilly
schreiben, dachte er wieder. Olga nd
Till sind meine Schwestern und habn;
in all den er Wochen noch keine ÄN
,i,chtekarte kommen. Auch an den
Bapa mllKK ich einmal schreiben....
Die Musik deL Geigenmädchen klang
herauf, schwer und verheißungsvoll wie
ein fremdes, lmbckcmntei Geheimnis a
zSlöck.
Fedor Jafsijewitsch Ift ein Narr,
lacht er, daß er dergleichen geschehen
läßt. Er sollte li verbieten jiirn Heil
lernet Gaste, tote er ötn Altobol der
bietet tn seinen Fabriken,. . . Ich gehe
reicht hinunter! veschiosz er stolz und
VV.
Ich habe AgneS Marie au Liebe ge
heiratet. Ich liebe Agnet Marie, dachte
er krampfhaft vor sich hin. Wie sieht
Aane Mane eigentlich aus? fuhr ti
ihm plötzlich durch den Kopf. als ob
er lieg daraus mau innen tonnte.
,0 ich werde wahnsinnig hier!" fiöhnte
er und druckte die Hcmd an die Stirne.
AufZ neue griff er nach den Brief
tlöttem.
Fedor Jassijewitsch wird mich war
; Jen, dachte er. Ich aber werde nicht hin
, untergehen. Ich darf nicht hinunterge
hen! Er dachte ei gemartert und trau
ervcll.
; Die Klänge Zagte? sich plötzlich heiß
lind wie blutend und fuhren ihm mit
Flammenstrahlen der Sehnsucht mitte
in Herz. ES dar ichm, als sähe er
.daZ schimmernde Bogenfüh deö wet
,'$en Armes, den fragenden Aufschlag
k zweier weltferner Augen.
Ich muß an Olga nd TAh schrei
' km, Machte er, und schob die leeren
Briefblatter in die Mappe. Ich muß
'fit AgneS Marie schreiben, dachte er,
.und schloß StA Schreibtischchen zu. Ich
müßte uch dem Papa einmal berichten,
i;nt dabei rückt er den Stuhl gst
Kend an feine Stelle.
Ich will nicht hinuntergehen, backte
er noch einmal mitte i ZZimm. Ich
darf nicht hinuntergehe,' darf e unter
keiner Bedingung, den ... Er schloß
den Gedanke nicht b.
Und dana öffnet er dir Tfit und
schritt durch dea Vmfaal die Treppe
hinab, durchquerte die Halle und wandte
uich strack nach dem große Saal
Sie alle Taa . -,, ,
t " ' TT f .-' i t 1. '
l i , i..
, M 9m Richt, daß seine Auge und
Mnne sich kichtsinnig an ihr-verschaut
und vertändelt hatte. SZ war ganz
vnderZ. Allein er machte sich 'die nicht
klar. ' . : -
Er war noch sehr iuna. Er war
Aristokrat. Er war Offizier. Er war
i.
'WazsratShnr. Er war in Kallööurg
-'$ NZogen, halte ebenbürtig geheiratet und
:!ahm seine Pflichten heilig als Christ
f te als Kavalier. Sein Bater faß bei
llttt Rechten des Hrnenhause!, er würde,
euch dort sitzen. Er war Jäger und'
keuögezeichnetrr Reiter, spielte Tennis
I m Bridge, war mäßig in Genußmit
'ieln und streng vaterlandstreu und dy
naftisch. Der Rahmen seines Lebens
1 war bereits festgelegt, als er dem Licht
I de! Daseins die Äugen erschloß. Er
j 'Hatte nie ein Empfinden gehabt, daS
5 : über diesen Rahmen hinaus schlug. Und
f nun diese? Geigenmädchea. Ich kenne
j .'(sie schon seit tausend Jahren, sang seine
t Phantasie. Und er erschrak darüber
:.;'linb verstand eS nicht. ' '
Fedor JaMewitsch saß in feinem
'Zweiten, ledernen Sessel und spielt mit
i seine feinen, seltsanna Hände auf
! .dem lisch de Takt. And WilewSki
l'ftonb am Fenster ,u, Ctatue starrt,
' unb nur fein dunklen Augen, die wie
emailliert aussalxn. rückte w seinem
Kopfe hin und her. Ittü Warotin
' lehnte aus der Chaiselongue, den Kopf
5 zurückgelegt, daß die feine, spitzige Nase
? f geradeaus in die Lust stand, und trank
) die Musik in sich in wi inen -Rausch.
-' ES war daö Bild wie alle Tage Am
.' Klavier daS süßliche FuchSgesichk . deS
; , Herrn v. Sache dort sah man f
! ser nicht hin und zm Raume, mitten
; im Raume um GoiteSwillen, sah
f , denn niemand dal Mädchen an? .
i . ES war ihm wieder, als ob ihm in
' ' Blitz durch die Glieder führe, ss seit
1 ? sam empfand er die? Mädchen. Wi;
z ' ein Gcschwisterbild feiner innersten
Sehnsucht, die noch leine Name in
' feinem Lebeö gefunden. Wie eine
k dunkle, süße, verwirrende Antwort auf
' die geheimnisvollste Frage, die fein
, Wesen unbewußt pellte an die Welt, -
Die Töne schlugen und brausten um
z ihn her und griffen ihm dann plötzlich
auf Herz wie mit heißer Hand. Er
? wzr wie gelähmt und konnte sich nicht
; mchr rühren sobald einmal an der
Kaminecke siand. AIS ed jede Bewe
I gung. ihm selber ungewollt, ihn vor sie
j hinfuhren konnt: mit brechenden Knien.
Er klammerte sich an den EimS mit
Z feuchten Händen. - ,
ES war eines Fremden , Musik und
1 dkch nur ihr eigenstes, innerstes Sei,
w. m r. . i .. i - r i - I. . r . ... ' v
I auf den Tönen, ihre Seele lag ihm im'
j . Arm und wieder an feiner BrnK, Um
dü l'. irieiic. .iDii inrn in inrn
'
Gin Grwcrchen.
Novelle von Gisela Vergeb
Gotteswillen, verstand denn keiner die
Mädchen, sah denn keiner von ihnen ak
le daS Mädchen an? Wie eine ögyp
tische Königstochter, aul Irrtum in
diese moderne Welt verpflanzt! Wie
eine Göttin, die noch mit Klnderaugen
nicht weiß, daß ihr die ganze Erde ge
hört! Wie ein vom Himmel verstoßener
Cherub in Mädchenkleidern. der in ir
rigcr Sehnsucht die Hcimat im andern
Menschen sucht!
Sein Atem ging schwer und keuchend,
sein Zustand war klemmende Qual.
Renn sie die Lider emvorbob in olöd
s-lichcm weltfernen Aufschlag der dunk
u Augen, dann hatte, er nur den einen
e,schrockcnkn !Jusch, daß niemand hin,
sehen möchte. Wie ein Gefühl der e!
geiien V.ickthit empfand er diesen plötz
lichen Ausblick der Augen, der ihm gleich.,
sam die Hüllen abriß von seinen Sin
nen. Wie preisgegeben fühlte er sich,
ai v jeoer. der zufällig berblickte. sii
nen Zustand erraten mvkte. Gcwolti
sam und, mit dem Empfinden, merkbar
zu taumein, trat er hinüber ans Büfeit.
nabm eine Tasse schwarzen Kakfee und
stellte sich 'neben Andre Milcwski wl
.(.. . ' L- ,. ,' ' v - r -
' " '
Dort Lberfiel ihn unsinnig die Cedn
sucht, als habe er sich viele Meilen von
ihr getrennt. ' Er war wie ein' Knabe
und kannte sich nicht mehr. Um ihret.
willen schien er sich aus die , Welt ge
kommen, um ihretwillen, die der geHelm
nisvolle andere Teil deS Lebens war,
der er nicht war. Zum erstenmal
meinte er ihn zu ahnen in seiner gan
zen Wunderbarkcit, den Sing bei Da
seinS. . . UeberspannteS Zeug, dachte
er dann erschrockenund suchte den hüb
schcn aristokratischen Kopf leicht zu
schütteln.
Am Abend, wenn die vier Herren un
ter-sich' waren, spielte er dznn Bridge
wie ei Aouer. r erichrar zuweilen,
wenn er plötzlich entdeckte, wo er mit
seine Sinnen war. indes er mit den
drei Polen am Spieltisch saß und un
slNNlg liitio gewann.
Der alte Fedor Jassnewitsch lachte
nd legte ihm seine feine Hand auf den
Arm. . ' -
.Sie sind ttunaSloZ unmusikalisch.
Hertenberg.- sagte er. .Aber daS Sviel.
jp, das ist nun wieder Ihr Fcld!
' ' ' III. '
DI schöne SeiaeNmädch stand dar
ihm auf dem Flur und sagte: 5?ch wbe
noch keinem Mann gehört. ES ist, weil
ch noch keinen aellebt babe. Sie aber
habe ich unsagbar lieb. Graf RcnS.
Und 'sie senkte die dunklen Augen und
wartete zitternd
ES mußte kommen, daß sie daS ein
mal sagte. Denn er verfolgte sie, wenn
auch unabsichtlich und unbewußt. Das
Geigenmädchen aber war jung und heiß.
Sie konnte den schönen, jungen Mann
Nicht länger ertragen verliebt in sie
und schweigend. Ihr ganzes Mädchen
fein ward unter feiner Nähe ein inzi
ger stammelnder Schrei nach Glück.
Sie war ei Geschöpf, das ohne Ord
nung in die Welt gekommen war und
ohne Ordnung durch sie zu gehen be
stimmt. Darum war der am verwegen
ften scheinende Nebergang ihr einfach.
Damm konnte eS kommen, daß sie, mit.
ten aus ihrer Mädchenninheit eineS
TageS sagte: ch hab noch 'keinem
Mona gehört Sie aber habe ich un
agoar lieb und dak sie zitternd sie
hen konnte Und werten. -,'- -.
mt den Fenstern sang die Nacht, die
Welt war ein seltsamer Traum in die
ler Vtundk. Doch nein, ein seltsamer
Traum war sie gewesen, bis das Mäd
chen zcne Worts sprach, die die Kluft
jäh aufgähnen machten zwischen seiner
uns ihrer xisienz. Er war wie einer,
der schlafend bei Nacht gewandelt und
durch einen schmerzhaften Sturzerkennt,
wo er ist.
Rens Hertenberg ging einen weiten.
weiten Weg voll wilden AufschwungZ
und jähcr Abstürze in diesem einen ein
zioen Augenblick, lir ging durch den
Himmel und hörte die Engel jubeln.
Er, ging durch die Hölle und hörte daS
ganze Leid der gequälten Menschheit
ausichm. Er lies aus der Erde air
en blühendes Rosengelande. da wS
ihn ein eisengewappneter Riese zurück
die Pslicht. Er griff nach einer
euchtenden FruU in fremdem Gebe.
ra stieß ihm ei anderer den flammen
den Goldfchild entgegen . die. Ehre.
Eine Angst vor dem anderen Geschöpf
kam ihm und vor sich selbst zugleich mit
der 'Nnweften Lebenssehnsucht, zugleich
mU dem 'hilflosen Gefühl deS innersten
NernheitsZikdursenS..' Borabnend fühlte
er. daß r den Fleck aus , Pflicht und
Ehre nicht traaen konnte, den ei ande
e kaum mpsand. Und vor ihm stand
das Mädchen, so schön, daß er sie kaum
z . fcffe vermochte.
nch bin verkeiratet -seif drei Jak
ren," sagte v Er hatte daS elende
Gefühl, daß eS unsäglich albern klang.
Wenn nun dieses Sdelgeschöpf der Frei
heit darüber lachte!
DaS Mädchen war noch unverdorben
und lachte nicht. Wie traurig." sagte I
a r t r m ' r m
re. Ar r, icDte i mcci aani ZU
Überzeugen.
Ich schenke flüsterte sie kaum hör
vor mit geschlossenen Auaen. .Niemand
erwachst eine Pflicht gegen mich, nie.
tnand anderer hat einen Schaden, wenn
,q iqenke. weil ich schenken will. . . .
Mein Lebe wird Nicht glücklich sein,'
fuhr sie mit einem Schauder fort. , 3ch
werde diesem Herr d. Sachow gehören
müssen. Weil er mich gekauft hat mit
einen Wohltaten . Ich hätte dann
doch etwas.' sagte sie weich und schwer, .
an da? ich zurückdenken könnte ans al.
lern Leid follch auch dZt nickt Ka
den?'
Ihm schwoll daS Her, bil a dea
Hals empor. Mit Mühe nur sagte er
ein Wort, da die-Trennung aufrecht
erhielt. Tan entfernten sich ihre
Schritte. - Er hielt sich - an der Tür
klinke fest und biß die Zähne zusom
men, um nicht dennoZ mit einem Male
bei ihr zu sein. "' " ' "
Zum erstenmal hatte er wissentlich
seiner Frau die Treue gehalten, die er
ihr vor dem Altare geschworen. Er
fand, daß eS ein verzweifeltes, Unglück
licheS Gefühl sei. ,
IV.
Er war noch so jung. Er dachte noch,
alllS, was man ihm von je gesagt von
den wahren Werten des LebenS. müsse
ganz naiv und greisbar zutreffend sein.
Tort müsse der Alrund sein, wohin
es so mächtig ihn lockte, ui',d wo er stand,
der feste und sicher Gründ. ToS Nilißte
das echte Sold dcS GlüiIcS fin, daS er
In Händen hielt, und d?S andere die olei
hcnde Blumk über dem Sumpf. U,,d
der . den Sumps betrat, der war oer
loten. ,
Es war so sonderbar, dasi er vor dem
Wort Sünde noch fast wie ein Kind er
schrak. Sme Muttcr war eine wun
derbar seelenreine, hochstehende Frau ge
Wesen, s war ihm manches nicht rrog
l,ch, bovei -die anderen nlchlö ArgeS
dachten, weil diese Fiau seine Mutier
g!wcscn war. :- ; .: ' ' ,
' Er saß im Eiscnahnzug.' und die
fch!rmlit?olle polnische Landschaft floh
siill zurück wie in blasse Vergangenheit.
Denn er war fyerast nach jenem Abend
auf dem Flur Er konnte nicht bleiben,
da es durch efallene Worte ein Wissen
Geworden, das er sich selbst nicht hatte
glauben können. Er hatte dsi wunder
tau. Mädcheipnicht wiedergesehen. Als
er den Wagen , besticg, war hinter einem
der Fenster ein weicher, langer Geigen
strich erklungen, der plötzlich nbbrach, als
sei die Saite zerrissen. Er aber - sah
nicht einmal nach dem Fenster empor.
Seine Seele war siark und fest wie ed
Er dachte nicht nichr zurück an das.
das war. Er dachte an Agnes Marie,
die feine Frau war. All seine Zärt
lichkcit, die leidenkooll plötzlich aus sei'
nem Herzen aufquoll, lenkte er mit gan
zer Willenskraft nach ihr hin. Ich höbe
Agnes llliarie geliebt, dachte er, und
habe sie nicht genug geliebt. Ich. höbe
mich nie bemüht, ihr so nahe zu kam
men. daß ich ihr innerstes Wesen, fand.
Die polnische, schwere Landschaft sank
hinter den Horizont wie ein sterbender
Traum. Der Zug glitt cn lachenden,
hellen Dörfern vorbei. Männer und
junge Frauen stünden im Feld. 'Weiße
Häuser lagen beschaulich in ver Sonne.
Auf der Landstraße liefen Ninder und
winkten und schrien den Fabrenden zu.
Ein, Zug junger Mädchen ichritt zivi
fchen den Wiesen hin, von Non.icn be
gleitet. Am Waldrand stand ein ein
fameS Haus wie stilles Gcheimnis. Ein,
feiner, , alter Herr spazierte sinnend da
vor im Blumengärtlein.-Jn einer Wirts
schenke war Musik und Tanz. ... Es
war, als flöge man fremd und kimat
los allen bunten Freuden der Erde
vorüber.
S hat sich vielleicht gesehnt neben
mk'undhat gedarbt, dachte RenS Her
tenberg. Nach außen ist sie fröhlich und
keck und hat doch im Innern vielleicht
gelitten. Er war beinah erschüttert,
als er das dachte.
Sein Herz ward weich und traurig,
je mehr die Dämmerung hm. Er date
fast mit Sehnsucht an Agnes Marie.
Er sah daS Leben plötzlich voll seltsa
mer Tiefen. Geheimnisse waren dort,
wo er nur den Alltag geschaut. Ein
Mensch gehörte ihm im Innersten an.
In jedem Menschen verborgen aber lag
ein tiiiia vom grolln Wunder des gott
tiefen Lebens. -,
Wir haben gedankenlos bingelebt ne
bcneinendei, dacht er reuevr,ll" Es ist'
eine wbre Schande. Sie hat wohl ye
wartet, daß ich kommen jtiöge, sie wahr
haft zu finden, und ich ich schmäh
sicher Narr -" bin nicht gekommen!
- y ,
Zu Hause war sie nicht. Auch be! den
Schwiegereltern nicht. , Auch kl Gabi
Seybcn, ihrer Allcriutimstcn, bei der er
telephonisch anfragte, nicht.
Am rosien Salon der -Tante Kla
risse KellerÄfeld fand er sie endlich. Auf
einer erhöhten, llnnen Buhne, umgeben
von einer lachenden Gesellschaft. Sie
hatte ihr Strahenklcid gerafft, ein ganz
llcin wenig, nur, nicht mehr, cls es der
engste Anstand erlaubte. , Doch war die
Wirkung bei augenscheinlich gcgentcili
ger Absicht, mehr negligenter als pikan
ter Natur. Am Klavier saß drr blonde
Franzi Feldern und spielte eine plumpe.
eintönige Weise. Die zierliche Hedi Fel-
rera stand- dat und gab eifrig In
struktione.? Und Agres Marie tanzte
oder probierte eigentlich erst zu tanzen.
Eine häßlich Art von Negertanz mit
irgendeine unmögliche Namen, die
momentane IiScs sie röaistance samt
licher Kabarette. Die läppischen Bewe
gungen paßten nicht zu ihrer Gestalt.
DaS künstlich kecke Minensvicl sah wie
eine törichte Larve aus ihrem Gesicht. 1
)vcr ganz an, war wie ein fkauit
schlag auf ihre Erscheinung. Trotzdem
lachten alle entzückt und klatschten ihr
Beifall.
Rens Hertenberg wollte eS -scheinen.
als sei. ihm daS Möglichkeitsgefühl für
diese Art von Welt irgendwie verloren
gccengen, in die er noch bis vor kurzem
mitten hineingehört hatte. - WaS oina
denn da eigentlich vor, oder waren sie
alle miteinander verrückt geworden? In
einer Ecke versuchte ein junger Kadett
sich auf die Hände z stellen. Eine
sechzehnjährige Baronesse , zwitscherte
Chansonetten mit beinahe zu viel Ta
lent. Sin anderer wieder lcf mit einer
geradezu blödsinnigen Visage herum als
englischer Clown. Probe zu einem
Wohltätigkeitskabarett! rief endlich je
mand RenS Hertenberg zu. Ach so!
Und er wurde mit lautem Hallo an daS
Podium geführt. , Y
AgneS Marie beugte sich mit erhitztem
Gesicht herunter. .
.Grüß dich Gott. Bubi! Du siehst
gut aus. Warum bist du nicht länger
dort - geblieben 1 Zch- hab' ardacht, du
amüsierst dich! . . . WaS? Aber nein.
wir krihtn in rff nk, 1
y.
Nach Haitis Jg. liebster lgubl, ich
komm' vorläufig likrhaupt nicht nach
HauS. Ich bkiV heute über Nacht l
ter Tante Klarisse und sahr' morgen
mit ihr auf ein paar Tage ausl Gut.
Ich muß mich ein bisscl aliSkuben von
der Hopferci. Dann kommt noch die
grosie Prob: und dann die Ausführung.
Gcsallt dir der Tanz? Schauderhaft
schwer, sag' ich dir'.'
Er sah sie an mit gepeinigtem $e
suhl. .Kommst du nicht wenigsten! ei
nen Augenblick zu mir herunter, Agnel
Marie?"
.Herunter? Na, melnetwegm. Eine
Minute,' Franzl, bitte,' rief sie zurück
und kam dann rasch die Stufen zu ihm
herab. So. Alsö, waö gibt's denn,
mur
Wie sonderbar dieHrnge! Und wenn
er sieschließlich auch nur hätte küssen
wollen! Ihm aber brannte eS wie hcifze
Angst aus der Seele, daß r nur rasch
seinen 'Arm in den ihren schob, und sie
wegzog von den anderen. ,Sai, fin,
des: du nicht., AgneS Marie,' flüsterte
er, .daß wir kride so furchtbar weit
voneinander sind? Ich meine inner
lich. nicht nur zetzt, uberbaupt?' '
Sie sah ihn mit ziemlichein ErstaUl
nen an und lachte' ein wenig mit den
kühlUaucn Augen. Bist du inzwischen
sentimental geworden. Bub, s Ach ja!
DaS melancholische Polen, und ihr babt
ja. alaub' .ich, den ganzen Tag ernste
Musik gemacht. Wdfct du tcal? Geh'
heut' ins Ap?llo!hee.ter, das neue Pro
gramm soll fabelhaft sein! Ich schwör
dir, du amüsierst dich! Und jetzt adieu,
lieber Fu,id die Wohltätigkeit!
Am nächsten Tonnerstng kast du dann
wieder eine Frau!" Im Begriff schon
wegzueilen, ; drehte sie sich noch einmal
lochend nach ihm um. .Du. weißt du,
daß sich die Gabi scheiden lassen will?"
Er hatte ihre intime Frunoin, die
schöne, lustige, seelenkalte CihiEi Seyben
nie leiden können. .Warum denn?'
fragte er zerstreut.
' .Sie hat den Rudi dabei erwischt,
wie er die kleine Klavierspielerin die
mit den Mignonaugen, weiset du?
die sie "Ihm selber engagiert ,)at, damit
er sie nicht ewig quält mit dem lang
welligen Akkempagnieren also denk'
dir, sie hat ihn erwischt, wie er die ge
küßt. hat! Nein, im Ernst, ist das nicht
unglaublichzon dem Rldi, wo der
Mensch eine solche Fraa hat?'
?m Nebenzimmer wurde eine Violine
gestimmt. Ein langgezogener Ton, der
uotzllch abbrach, weil d,e Saite zer
prang. Nenö Hertenberg fühlte, wie
ein Gcsicht bleich wurde. In seinem
Innern verschob sich wie in einem ra
senden Kaleidoskop mit einemmal der
ganze Anblick der Welt und blieb in ei
nem ganz neuen Bild fielen. Er hatte
plötzlich das sonderbare Gefühl, daß in
der klndersröhlichen Lebensart dieser bis
Vcrständniblosigkcit anständigen und
biS zur Kälte tugendhaften Frauen ein
Abgrund unbewußt:, -Frivolität und
H:rz?nsgemeinheit lag und daß aus dem
Adel einer ganz anderen Unschuld und
Schönheit heraus, die diese hier nie be
orifsen, ein Mädchen in eir.eS'ManncS
Antlitz hinein es sagen konnte: Ich habe
noch keinem gehört, weil ich noch keinen
clicdt habe dich ebec jiebe ich und
will dir gehören. ...
Vor seinem Blick flimmerten AgneS
Mariens , kühle, blaue Augen in ihrer
halb lachenden, halb empörenden Frage:
.?gaS sagst du dazu? Ist es nicht un
glaublich?'
Er hatte ein heimatloses Gefühl, als
ob sein- Leben fortan nur durch lautet
öde und kalte Gc.nächer hinliefe und nje
eine helle Pforte sich öffnen konnte, hin
US in den blühenden Karten der Sehn
sucht, der Schönheit, des Glucks. . . .
' .Unglaublich.' lächle er in die kühl
blauen Augen hinein in'einrm Ton, der
pell und wunderlich klang, als ob eine
Saite zerspränge in seinem Innern.
Tie erste Passagierkuftfahrt. Die
Passagierluftschiffe haben im .Göant'
einenVorläufcr gehabt. Der von Na
dar gebaute Riefenballon stieg am 18.
Oktober 1863 in Paris mit. neun Passa
gieren aus, unter denen sich Radar
selbst, seine Frau, JuleS Verne und
Fürst Wiitgenstcin befanden. DaS Fach
blatt LiLdrtS erzählt, daß die Lust
schiffe? mancherlei Vorsichtsmaßregeln
getroffen hatten, da sie nicht wußten,
wohin die Fahrt ging. Sie hatten eine
Druckerei an Bord und Flugblätter in
sieben Sprachen, um sich bei den Bewoh
nern der Länder verständlich mackzen zu
können, in denen der Ballon möglicher
weise niederging. Lebensmittel hatten
sie für acht Tage. ' Wiltchret, Geflügel,
Gemüse, Wein, und sogar lebende Hüh
ner, um frische Eier zu haben. DaS
Mafftnmagaz bestand auS Jagdslin
im für lHwen auS Militärgeweh
ren und schärfen Säbeln, um sich gegen
Kannibalen und andere wilde Völker im
Falle einer Landung im Herzen Afrika?
verteidigen zu- können. Der .Gögnt'
war indessen recht bescheiden: An einem
Waldrande in der Nähe von Hannover
ging er in Trümmer. Die Insassen ka
men mit dem Schreck davon.' nur Nadar
brach sich ein Bein, wak ihn nicht hin
derte. sobald er konnte, seine Flugunter
nehmungen fortzusetzen. -
Ti Brautwahl de? Professors.
Als Johann Jakob Moser, der berühmte
Rechtsgelehrte, schon mit 19, Jahren in
Tübingen Professor geworden war
(1720). wagte er es. sich zu verloben,
obschon er fast kein Zuhörer und also
auch noch kein Bot hatte. Seine Braut
wurde die zwei Jahre-jüngere Tochter
he Oberrats Dr. Johann Jakob . B!
scher. Friederike Rosine. Wie er zu die
ser Wahl kam. erzählt er selbst in seinen
Libenserinnerungen: .Als ich im Sinne
halte, zu heiraten, habe ich meine älteste
Schwester ersucht, mir eine Person vor
zuschlagen, die ein gutes Gemüt hätte;
üriigens möchte es mit ihrer Schönheit.
Vermögen usw. beschaffen sein, wie eS
wolle. Sie schlug mir darauf meine
nachherige Frau vor. und ich folgte die
fem Rat. Ich versprach mich mit Ihr
bloß um ihres natürlich guten Gemüte!
-willen,-welches mich eine vergnügte Ehe
hoffen ließ, was auch aottlob erkolat
13' . '
Wai
;, ein Sondersricde !
:; mit dem Zaren möglich?
(dd,llch llgmtln LeUung.)
Ü7!ll eUrn russtichm C'ulrn. uch mit
ft'tfiilii, t)ält ich unter ttueftn Uime
liilnbitiMm i'giichz firrfiAubiaitng
btt im i och mitirrr eile wirk
Ich de H!id trri,,ab. ?ch hu Nicht,
eii tii Bta!chchi in t'cispiki etih
jer klbiendttn leitn, ai tr encn
ifiiifi üictniuiiung bet cmt)tn hub
bot flutn n in majurem lontm tet
!U,igcl,nchs.' ,
Tirpid. ..Erinnerungen'.
In der Abendausgabe der Hamburger
Nachrichten vom 17. September hatte ich
über einen Jriedensfühler berichtet, den
die deutsche Regierung im Juli 1915 auf
Grund einer Anregung der damaligen
Obersten Heeresleitung und durch Ver
mittlung deS dänischen EtatSratz An
dersen nach Rußland ausgestreckt hat.
Die Tatsache jener 'Friedensunternebl
mung hat Herr von Vethmann-Hollweg
inzwischen in den Preußischen Jahrru
chern bestätigt und ihr negatives Ergeb
niS mit dem Hinweis begründet, daß di
russische Politik damals noch völlig West,
mächtlich orientiert gewesen sei und jede
Annäherung zurückgewiesen habe. Tat,
sächlich standen die Regierung Ssaso
now und die herrschende liberale Partei,
welche die Hauptträgerin deö Kriegswil
lenS gegen Deutschland war. ,in jenem
Zeitpunkt noch ganz unier dem Einfluß
der Knock out-Politiker an der Themse.
Aber es gab in Rußland einflußreiche
Kreise: die Hofpartei in der Umgebung'
des Zaren nd der überwiegende Teil der
Konservativen, die einer Verständigung
mit Teiitschland günstig gesinnt waren,
E fragt sich, ob Herr v. Bethmann den
richtigen Weg eingeschlagen hat, um an
diese Kreise Anschluß zu gewinnen, und
ob nichtvielmehr gerade seine Persön
lichkeit ein starkes Hindernis sür eine
Politik der Verständigung mit dem Za
renreich bildete!,
Die westmächtliche Orientierung der
russischen Regierung, von der unsere Po
litik vor dem Kriege nicht ganz schuldlos
war, erfuhr mit der Tauer des Krieges,
unter dem Eindruck der erlittenen Nie
Verlagen und der selbst an russischen Ber
Hältnissen gemessenen grausigen Verluste
eine merkliche Aenderung. Nach der
Kaltstellung des Großfürsten Nikolai im
Herbst 1915 begann der Einfluß der
ententefreundlichen Kriegspartei mächtig
zu sinken, und bereits im Frühjahr 2916
wurden bedeutsame Stimmen laut, welch
eine stärkere Unabhängigkeit der russi
schen Politik von dem beherrschenden eng
lischen Einfluß forderten. Die Macht
der unter Rafputins starkem Einfluß fle
henden Hofpartei begann fortan zu wach
seit, und auch im Lager der russischen
Liberalen, die noch am' ehesten geneigt
waren, Englands Politik n günstigem
Sinne zu beurteilen, wurde Kritik an
dem englisch-russischen Bündnis geübt. ?
' Daß in dieser Entwicklung zugleich
stärkere Möglichkeiten für eine Verständi
gung zwischen dem Deutschen Reich und
dem Zarenreich gegeben waren, beweist
die Geschichte des russischen Friedens
fühlers vom Juli 1916.
Anfangs Juli jenes Jahres hatte Pro
topgpow, damals Vizepräsident der
Duma und Adelsmarfchall eines Provin
zialgouvernements, nachmals Staatsmi
nistet des Innern, mit einer Abordnung
von Dumamitgliedem auf der Heimreise
von de Hauptstädten der Entente kurzen
Aufenthalt in Stockholm genommen.
Das ,n seiner Begleitung befindliche Ion
servative Reichstagsmitglied Graf Olsu
sie gab einem in Stockholm im Ezil
lebenden Landsman den Wunsch zu
erkenzien, mit einer, deutschen Persönlich
keit Fühlung zu nehmen, und sich ein
Bild von der Lage und Stimmung in
Deutschland, wenn auch nur durch e!ne
rein private Unterhaltung, zu verschaf
fen. Aus Einladung der russischen Mit
telsperson stellte sich der in Stockholm
weilende Hamburger Bankier Dr. Frid
M. Marburg für die erbetene Unterre
dung zur Verfügung,) Der Verlaus
der Unterredung wurde sehr bald nach
Rückkehr der russischen Herren in Ruß
land selbst bekannt. , Die in der russi
schen Presse veröffentlichten Darstellun.
gen gehen ziemlich weit auseinander, in
dem Graf Olsufiew die 'Darstellung des
Herrn Protopopow in wesentlichen Punk
ten berichtigte. Es kann heute angenom.
men werden, da die Darstellung des
Grafen OlfiMm der Sache am nächsten,
kommt. Die Unterredung, zu der uner
wartet auch Herr Protopopow erschien,
trug den Charakter einer unverbindlichen
Aussprache. Der deutsche Gesandte war
davon unterrichtet, worden und hatte
seine Erlaubnis gegeben, jedoch davon
abgesehen, eine besondere Instruktion zu
erteilen, da es ihm zweckmäßig erschien.-
jeden amtlichen Charakter zu vermeiden.
Die russischen Herren scheinen zunächst
Mit Fragen über die Verkehrs und-Nah
rungsmittelnöte in Deutschland begon
nen zu haben, die unter Hinweis auf
die überlegene Organisation der deut
schen Wirtschaft zuversichtlich beantwor.
tet Kurden. 'In der weiteren Unterhal,
tung' spielte die deutsche Orientpoliti!
eine erhebliche Rolle, die von Protopopow
stark angegriffen wurde und in der-er
den' Grund des Gegensatze? zwischen
Rußland und Deutschland erblickte.' Mit
seinen Aussuhrungen nach dieser Rich
iung hat er sich in Rußland offenbar
recht wichtig gemacht. In der Unterhal
tung Kurde ,hm erwidert, daß in der
Meerengenftage der Gegensatz zwischen
England und Rußland großer gewe en
sei als zwischen Teutschland und Ruß
land und daß. nachdem durch die Kon
ftellatlon de? Krieges England und die
Mittelmeermächte i der Meerengenfrage
entgegenkommen mußten, auch Dtittsch
land sich voraussichtlich zu den weitest
gehenden Konzessionen bereit erklären
könne (sosern eS sich nicht um die Ab
tretung Konstantinopels handele) und
dielleicht sogar weiter entgegenkommen.
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fitt Xe. U. picht ttitüliA . 4
von Dr. Wilhelm Sxkckenmgel.
Wolle, all den Engländern' Neb sein
würde. Diese Frage schien daS beson
dere Interesse der Russen zu erwecken,
wie denn überhaupt im allgemeinen bei
der Besprechung in die Erscheinung trat,
daß die Russen von dem Ergebnis ihrer
Reise nach den Ententeländern sichtlich
enttäuscht und insbesondere nicht gut auf
England zu sprechen waren.
Bei der Unicrhaltung tiber die heikle
Polenfrage wurde von Protopopow of
fenbar erklärt, daß Rußland einen selb
ständigen polnischen Staat errichten
wollte, worauf Dr. Warburg mitteilte,
daß auch die deutsch Regierung die Bik
dung eines selbständigen - Polens tnS
Auge fasse Auf die folgende Frage deS
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miiujen verrn, wie- vom 11111
Deutsch.Polen werden sollte, erklärte Dr.
Warburg, daß von Deutsch-Polen eigent
lich nicht geredet werden und daß ein
Abtretung deutschen VodenS unter ket
nen Umständen in Frage kommen könne.
Protopopow wandte sich dann gegen
vermeintliche AnnezionS Bestrebungen
Deutschlands in Rußland und Litauen.
Demgegenüber meinte Dr. Marburg,
daß Deutschland einerseits zur Abrun
dung und natürlichen Gestaltung der
Grenze und andererseits mit Rücksicht
darauf, daß eS sich hier um alte deutsche
Kulturgebiete handele, gewisse Ansprüche
aus Teile deS Baltikums wohl nicht aus,
geben könne. Die russischen Vertreter
führten ins Feld, daß ne Revolution
zu befürchten sei. fall? Rußland tut lt.
sches Gebiet abtreten müsse, wogegen der
deutsche Vertreter der Meinung AuS
druck gab, daß sich daS russische Volk
mit dem Verlust von Gebieten, die Haupt
sächlich von Letten, Litauern und Deut
schen bewohnt seien, wohl abfinden könne,
wenn Rußland dafür die von Ruthenen
bewohnten Teile GalizienS im Austausch
erhalten werde. , Hier sei daran erinnert,
daß die Oberste Heeresleitung bereits im
Juli 1915 Herrn von Bethmann Holl
weg gegenüber betont hatte: vom militä
rischen Standpunkt auS sei die Leendi
gung deS Zweifrontenkrieges ss wertvoll,
daß der Verzicht auf Landerwerb dem
gkginüber keine Rolle spielen könne. Auf
den Einwand des Kanzlers, daß durch
eine solche Verzichtpolitik gegenüber Ruß
land den Balten deutscher ' bstammung
möglicherweise ein schweres Schicksal be
reitet werde, hatte General v. Falkenhayn
darauf hingewiesen, daß die Zukunft des
Ganzen wichtiger als diejenige eines klei.
nen Teils sein müsse. Die Leiantwor.
tung sür die Bildung eineS Königreichs
Polen hat die damalige Heeresleitung bis
zuletzt abgelehnt.
ES herrschte während der Unterredung
der Eindruck vor, daß auch die russischen
Vertreter im wesentlichen der Ansicht
waren, die Fortsetzung deS Krieges sei
zwecklos. Bei der Verabschiedung gab
Protopopow der Hoffnung Ausdruck, daß
man sich auch im Frieden begegnen werde,
und daß dieS bald geschehen könne. 'Die
improvisierte .Unterredung hatte einen
Verlauf genommen, wie man ihn unter
den gegebenen Umständen billigerweise
nicht günstiger erwarten konnt. Aller,
dingk gewinnt man nicht den Eindruck,
daß sich die deutsche Politik mit der
Möglichkeit einer deutsch-russischen Son
derverständigung sehr erfolgreich beschLf
tigt hat; fönst hätte mn wohl für alle
Fälle ein lockendere? Angebot in Vor
bereitung gehabt. Immerhin war durch
den Verlauf der Unterredung die Mög
lichkeit einer Verständigung in keiner
Weise verbaut worden. Sie hatte ande
rerseitS wertvolle Ausleblüsse über die
Stimmung leitender russischer Kreise et
geben. " .'.
Die Hauptschwierigkeit, von russischer
Seite aus den. Krieg zu beenden, be
stand angesichts der bekannten Passiv!
tä des russischen Wesens und der süh
renden russischen Persönlichkeiten in der
Notwendigkeit, das Nuder der bisher!
gen Politik umzulegen. In der Folge
sollte sich jedoch bald herausstellen, daß
auch hier keine unübersieigbaren Hinder
nisse gegeben waren. Noch im Laufe
des Monat? Juli wurde der unter eng
Iischem Einfluß siehend Mtmsterprasi
dent Ssasonow gestürzt und an seine
Stelle Stürmer, in Günstling deS zur
Verständigung mit Deutschland neigen
den Rasputin, gesetzt. Die in der engli
schen Presse offen zutage tretende Be
stllrzung über den Ministerwechsel zeigt
am besten, wa die Ernennung Stür.
merS zu bedeuten hatte. Protopopow
wurde nach seiner Rückkehr wegen der
alsbald bekannt gewordenen Unterredung
mit Dr. Warburg aus daS schärfste von
den ententefreundlichen Zeitungen atige
griffen und als deutschfreundlich ver.
dachtigt. Er wurde vom Zaren tm
Hauptquartier empfangen, um über feine
Reise Bericht zu erstatten, und soll an
geblich bei dieser Audienz erklärt haben:
.England ist nicht unser Freund. Eng
land ist der Feind Rußland!.' Ungeach
tet der gegen ihn auf Betreiben deS eng
li chen Botschasters , Buchsnan betriebe
nen Hetze wurde Protopopow im Spät
herbst zum Verweser des Ministeriums
deS Innern ernannt. Rasputin soll den
Zaren zu dieser Wahl bewogen häben.'
Er siel also die Treppe hinauf. - Ohne
ihr Zutun war der deutschen Politik die
inoffizielle Nilhlungnahmt mit hervor
ragenden Vertretern del Zarenreichs
ebenso wie die bald fühlbar werdende
Kursäilderung der russischen' Politik
gleichsam als ein underdieuteS Geschenk
vom Himmel in den Schoß gefallen.
WaS taten die Politiker und Diploms
ten, um diese günstigen Umstände auSzu.
nützen? . .
Dal Best dar sicher gewesen, wenn
auch in Deutschland ein Kurswechsel
vollzogen, und an Stell bei rußland
feindlich 'orientierten Herrn von. Beth
mann Hollweg eine andere Persönlich
keit getreten wäre. In jeder Weife war
zu versuchen, die otit Ktotopopow und
Graf Osufiew angeknüpften Fäden be
hutsam weiterzuspinnen. Falls sich dies
Wege wider Erwarten nicht gangbar er
wiesen, so war wohl daö mindeste, waS
man von der deutschen Staatskunst er
warten durfte, daß sie alle Schritte un
terließ, welche da Mißtrauen Rußlands
erwecken und die sich so deutlich vollzie.
hende Sinnesänderung stören konntet
Anstatt dessen betrieb-Herr von Beth,
mann Hollweg mit besonderer Beschleu
nigung seine unselige Polenpolitik.
Nichts war wohl geeigneter, den wach
enden Berständigungswillen am russi
chen Hofe im Keime zu zerstören, als
ie Verletzung der Souveränilätsrechle
beö Zaren und amit seines Prestiges
in seinem Lande Lurch hie von Herrn
v. Bethmann Hollweg angestrebte zaren
feindliche Lösung der Polcnfrage. Ver
schiedcntlich ist der Versuch gemacht wor
den, die Verantwortun für die Unglück
liche Polenproklamation vom November '
1913 auf den General Ludendorff abzu
wälzen. Dem widerspricht aber, daß
Lethmann schon in einer Slaatsmini
sterialsitzung im Winter 1915 tji 1916
eine derartige Lösung als die zweckmä
ßigste bezeichnet hat. Bereits am 12.
August 1916 haben sich die Herren v.
Bctkjmann Hollweg und von Jagow in
Wien mit dem Grafen Burian über die
Gründung eines Königreichs Polen ge
einigt. Ludendorff ist bekanntlich erst
am 29. August in die Heeresleitung ein
getreten. Noch vierzehn Tage vor der
A, '..'Ufung des polnischen Königreich! ist
Herr v. Bethmann Hollweg in einer von
ihm einberufenen Besprechung eindring
lich vor der Durchführung seines Planes
gewarnt worden. Unter anderen machte
der Graf Fork auf Grund feiner in
Oberoft gesammelten Erfahrungen wich
tige Bedenken geltend. Er fand den
geplanten Schritt besonders deshalb ge
fährlich, weil er den Weg zu einer Ver
ftändigung mit Rußland verlege. Seine
Warnung verhallte ebenso ungehört wie
die zahlreichen Vorstellungen, welche aus
den Kreisen der nationa.cn Parteien ge
gen die Polenpolitik des Kanzlers erho
ben wurden. Der Reichskanzler schloß
die Beratung mit der Erklärung: .Der
Schritt sei vielleicht verhängnisvoll, aber
er müsse getan werden.' (Vgl. Dietrich
Schäfer, Die Schuld an der Wiederher,
siellung Polens. München 1919.) Um
die Kritik der nationalen Parteien
mundtot zu machen, schickte Herr v.
Lethmann Hollweg den Reichstag am
Tage vor der Polenproklamation nach
Hause. Der Zar soll die am F. Nodem -ber
1916 ohne Fühlungnahme mit Ruß
land vorgenommene Ausrufung eines ,
von Rußland unabbängigen Polens als
eine Ohrfeige in sein Gesicht' bezeichnet ,
haben. Sie hat nach Stürmers Zeug
niS .den Frieden getötet'. -j
Die sogenannten .Enthüllungen' Erz '
bergerS über angebliche Friedensmöglich '
leiten im Jahre 1917 haben sich als
eitle Phantasiegebilde erwiesen. Ange
sichtS deS kalten VernichtungswillenS der
Wcstn.ächte war ein Verständigung!
sriedt mit diesen Gegnern ohne vorheri,
gen Sieg nicht erreichbar. Die vMübevZ
gehende Friedensstimmung, welche i VT '
Frühjahr 1917. infolge der Wirkung d'
U-BootkriegeS bei de? Entente bestan z
wurde in demselben Augenblick für imm. .
beseitigt, als Czcrnins Denkschiist du4
ErzbergerS Indiskretion in Paris un
London 'bekannt wurde, und die Reichs
tagSresolution vom Juli 1917 weckte lj ."
Siegeshoffnung der Gegner von neuen j
Die einzige praktische Möglichkeit, dig
fen Krieg durch einen Sonderfrieden m'
dem Zaren rechtzeitig abzubauen, ij
durch dea Kanzler v. Bethmann Hollwc j '
und die ihn stützenden Parteien versäum?
worden, welche durch die Wiederhersteli
lung Polens mit der Politik Friedri5t
deS Großen und Bismarcks brachen irt ,
auS innerolitien Gründen die
nichiung deS Zarismus erstrebten, ft
den Sieg über den Hauptfeind EmjlaV
zu organisieren. ., V
Die
Saiweiz
Frirdkiisbriefmarken fce
Drei neue Bricfmarlönk
sogenannte Friedenspostmertzeichen,
uns du sHweiz gcvracht. Man ji
Man siil.
uu itucm vcr einzelnen jieiniaiiii .
werte, daß Künstler am Werke vewe fe
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iiND., naran iciite sich Teutschland
der einmal ein Beispiel nebmen.
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etwa genauer: Die 7 Et. arauoi!'
stellt zwei Krieger dar. welche sich gegen l
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chen; übet ihnen leuchtet die aufgehendes
giiedensionne von 1919. An de: linken
Seite liebt daS Wort: Sewk! SV
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vmtbuij jiuuirni VUII ü, JÜUUCl. X-If1
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iu ,!. icaeiroi zeiai Die iinmiiiu-
Göttin des Frieden!, darunter stehen das
llort Heiuetii' und die Jahreszahl 1919
Der Entwurf stammt von P. 2h. Ro,
bert. Die 15 Ct. violett nMirf,
einen gefallenen Kkieger mit gebrochen
tocherujt
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strahle'.?
isqmert erkennen, über dessen Acklitz '
cic eiiao en oer nneoens nun
breiten. Inmitten der Sonnenktr
lesen wir daö Wort .Var'. darüber ttU
vetio.- link und rech!! die Werten!;, ' i t
15, unten die Jahreszahl 1919. Der 'j 1
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Zu spät.
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sagte ich zu meinem Freund Leinewcbe y,
im Kreibnd. ßr tnf'a hn t
V ' - - - ... uitu iin
irnnll Prts kK. i. I. w:. rrri..i ... ?
.1 uj iuu. lUi in uir ni nist
tiick, erst zu seinem Hau!w!rt und schrie
dem Mann zu: .Her, Leineweber ist I "
beim Baden ertrunken. Ich mLcbie teiri k
Zmei.Zimmer-Wohnung übernehmen!'!''
.Zu spat,' sagte der Hauswirt. . i
hat schon der Badewärter gemietet! )