Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, July 22, 1919, Image 7

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Standpunkte
,Htnt Zürcher Lkwml'.)
Im Dezember 1917 habe ich bei An
laß deS d'Utfch'russischm Wasfenstll
stände! in diesem Blatte an die Adresse
de CicgkrS geschrieben:
.Will ein Staat mit den Verhängnis
vollen Grundsätzen der brutalen Macht,
der Vergewaltigung ganze, Völker die
ch:n und deren Stelle Recht, Gerech
tigkeit. Mäßigung und Rücksichten treten
lassen, dann muß ei schon beim Frie
denöschluh. nicht erst nachher, geschehen.
Der Sieger, der Mächtige, darf nicht
mehr die Frucht seiner Ucbermacht ejel
tend machen, mit der Versicherung, nach
her seine Grundsätze ändern zu wollen,
er muh beim yriedenSschlusz schon sich
selbst besiegen." Wie sehr Deutschland
damall gegen diesen Grundsatz sündigte,
ist leider bekannt, und wie entsetzttch
diese Unterlassungssünde sich heute an
ihm rächt, sieht tcdcrmank ein. Meine
damals dem siegreichen Deutschland ge
oenüber vertretene Haltung gibt mir
heute auch da! moralisch, Recht, zu un
ersuchen, inwienxit d FricdensbediN'
gungen der Entente meinen früheren
Forderungen entsprechen und wie weit sie
zugleich den unbestrittenen Postulaten
der Van isten Rechnung tragen.
Ich würde nur schon in allen Tonar
ien und von allen Seiten Ausgeiprocye,
rieS viederholen. wenn ich die Friedens,
Bedingungen an und für sich darauf nä,
der untersuchen wollte. Wenige An
deutunaen genügen.
Vom Selbstbcstimmungsrecht der Völ
Itt ist keine Rede, wo es sich um den
Schutz deutscher Interessen handelt; daö
zeigt klar und deutlich die Grenzrcgulie,
runa gegen Dänemark, wo Vollsabstim
muna nur da vorgesehen ist. wo selbst
Dänemark keine Ansprüche macht, weil
das Gebiet fast ausschließlich deutsch bc
siedelt ist. DaK Naturschätze und Bo
denreichtum den Bewohnern auch heute
noch wie zur Zeit des BurcnknegeS zum
Verhängnis werden kann, beweist die in
Aussicht genommene Behandlung bei
SaaraebieteS. DaK neben solchen bru
talen Machtbeschlüssen Zeichen von Mä
ßigung oder gar von Nuclsichten fehlen,
kann deshalb nicht überraschen. Doch
wollen wir dabei nicht verweilen und
auch nicht untersuchen, wie weit alle diese
Bestimmungen vereinbar sind mit den
vierzehn Wilsonschen Thesen, welche sei
nerzeit als allgemein anerkannte Grund
laae des künftigen FriedensSertrages an,
gesehen wurden, nicht zuletzt auch von
den Neutralen. Taacaen wollen wir
nun speziell die in Aussicht genommene
Art der Durchführung der Fricdensbe
vlnaungen naher daraus prüfen, rnwie
weit sie den Grundsätzen deS gleichzeitig
veröffentlichten Völkerbunds Projektes
entsprechen, denn wenn die Entente nicht
willenS ist, beim Friedensschluh die al
ten gerichteten ' Wege zu verlassen ' ss
sollte man doch annehmen, da sie min
bestens bereit wäre, die im Völkerbund
inseitig selbst aufgestellten neuzeitlichen
M,tKnKi,l in Zukunft ausslieklicb an
uwenden. und zwar auch gegen den
Schwächsten.
ES zeigt sich nun. daß in der Tat'
so njelt die Bedingungen uverqaiipt be
kannt sind mehrfach bei den Aussüh.
rungsbestimmungen vom Völkerbünde
die Rede ist und seinen Organen auch
gewisse Kompetenzen zugewiesen werden.
Welch geringe Bedeutung aber die En
tente dem Völkerbund zuweist, und wie
wenig hoch sie leider dessen Wirksamkeit
und Bedeutung einsckakt. geht nun ans
! der ihm zugeteilten Rolle klar hervor
unjj sollen deshalb die einschlägigen Bi
jf stimmungen kurz aufgeführt weiden.
' 51f)'i.4Sffm in hrt hrtrt N?s!en flCsln.
J rfM,fcll 1. W. ..II Wlflini . ..-
I fruchten Gebieten Moresnet. Eupen und
i Malmed .die Bewohner Gelegenbeit ge,
1 habt haben werden, um ihren Wunsch
W . w . l . . - ... . w .
zum AllSirucr zu vringen, ganz vor,
teilweise unter deutscher Herrschaft zu
bleiben," wird Belgien den Beschluß
, deS Völkerbundes annehmen. DaS klingt
feljr orakelhaft, aber in praxi wird
man kaum fehl gehen, wenn man an
! nimmt, da der Entscheid dem Boiler.
i bund lediglich zu dem Zwecke reserviert
I wurde, um eventuell trotz einer ujnroet
' deutigen Abstimmung Belgien entgegen
i kommen zu können. Im andern Falle
wäre eS doch einfacher und klarer, die
Volksabstimmung ohne weiteres entschei.
t den zu lassen. Wenn also nicht alle
täuscht, so soll in diesem Punkte der
s Völkerbund dazu mißbraucht werde.
einen fundamentalen Grundsatz, da!
Selbstbestimmungsrecht, welcher der
! Eckstein seine Baue sein sollte, im In
l tcresse der siegreichen Partei zu verletzen.
j Auch zur Vergewaltigung deS Saar
i veckcnS wird die Hilfe deS Völkerbundes
in Aussicht genommen und zwar in
4 zwiefacher Weise. Einmal soll er die
r-f . r . c . . 'fr... r . .. i f
sunsgiikonge ommiiiion iarni iqrcm
Präsidenten wählen, der die Regierung
über daS Saarbecken anvertraut werden
soll, und zwar mit folgender gebundener
Marschroute: Ein französisches Mit
glied, ein nicht französisches Mitglied,
daö aber im Saarg?biet helmatberech
tizt ist und dort wohnt, und drei an
dere Mitglieder, die andern Ländern als
Frankreich und Deutschland angehören."
Welchen andern Ländern die letzten drei
Mitglieder angehören werden, ist auch
nickt schwer zu erraten, haben doch fünf
Entente Großmachte im vollziehenden
I Ausschuß welcher wohl wählen wird
i die Mehrheit. Es macht somit auch
i,!i-se Bestimmung den Eindruck, alS ob
ard) daS Mittel deS Völkerbundes.
vr ja vorläufig eine einseitige Entente
l 'lLianz ist, von den heutigen Machtha
dein nur Da! Odium genommen wer
soll, solche unbekannte Annexions
mt nach außen etwa! weniger anstößig
y$a machen. Im weitern uü der Völ
kerSund daS endgültige Regime im
Saagebiet festsetzen, nachdem nach Ab
i laut tan filnfacfm Safiren die kRnlfänfu
siimmung gemeinde oder distrik!Smeise
verübet entschieden bb'en wird, ob dai
skbict daS vom Sieger ausoktroyierte
!mk beibehalten, oder sich mit Frank
Kriedensbedingungen
ich oder Deutschland bereinigen will,
und zwar .wird der Völkerbund dabei
der Abstimmung der Bewohner Rech
nung tragen". Bei der einseitigen Zu.
sammensetzung deS Völkerbundes und da
bei dieser endgültigen Festsetzung weder
daS Saargebict noch Deutschland im
Völkerbund Sitz und Stimme haben
werden, so scheint auch hier daS Miß
trauen nicht unberechtigt, daß der Völ
kerbund lediglich in Aktion treten soll,
um entgegen der voraussichtlich klar
ausgesprochenen Volkskundgebung daS
Saargebiet nachträglich Frankreich an
zuglicdern unter Anwendung eincS mo
dcrnen Verfahrens durch die siegreiche,
Partei, aber nach altem Geiste. Warum
nicht einfach dal Saargebict zurückgeben,
nachdem die angeblich ausschließlich wirt
schafckichen Ziele Ersatz für die zer
orten eigenen Kohlengruben erreicht
sein werden, oder warum Nicht unver
klausulierte Anerkennung des Volksentl
scheidcS und damit mindestens nachträg
lich deS Grundsatzes des Selbstbestim,
miingZrechte!?
Eine ähnliche Rolle wird dem Völ,
kerbund zugewiesen in der . Frage Ks
endgültigen Verhältnisses zwischen
Deutschland und Deutschösterreich. .Die
verlangte Unabhängigkeit bleibt unver,
änderlich. ausgenommen eine Justim
mung deS Völkerbundes." Auch hier er,
sckieiiit die Absit unzweideutig. Eine
einseitige gewaltsame Beschränkung der
Souveränität zweier Staaten für alle
Zeiten erschien wohl untunlich. unaus
führbar, ja monströs, und deshalb die
Zuhilfenahme deS Völkerbundes, um den
gleichen, Zweck mit formell weniger an
stößigen Mitteln zu erreichet. Da im
Gegensatz zu andern Bedingungen ein
solcher Beschluß picht von einer Mehr
heit gefaßt werden kann, so ist anzu
nehmen, daß daS im Ausschuß jeder En
tente Großmacht reservierte Vetorecht
eine Vereinigung für alle Zeiten, und
zwar eben auf völkerrechtlich ganz legale
Weise, verhindern dürfte. Solange diese
Bestimmung zu Recht besteht, konnte lo
gischerweise auch von der Ausnahm
von Deutschland und Oesterreich in den
Bund keine Rede fein, da deren Mitglie
der in staatsrechtlicher Beziehung doch
gleichberechtigt mit allen andern Glie
dern sein müssen.
Daß dem Völkerbund auch in der he!k
len Frage von Danzig, wo das Selbstbe
stimmungsrecht ebenfalls geopfert wer
den soll, eine Aufgabe zugewiesen wird,
mag nach den obigen Ausführungen
nicht überraschen. Deutschland mutz zu
gunsten der hauptsächlichster, alliierten
und assoziierten Mächte also der En
tente Großmächte auf daS Gebiet
von Danzig verzichten. Die Bildung
der (sogenannten) freien Stadt wird Im
Einvernehmen mit einem Obk,rZommissär
des Völkerbundes durch Vertreter des
Stadt ausgearbeitet und die Stadt un
ter die Garantie des Völkerbundes ge
stellt werden." Ter Oberlommissär wird
in erster Instanz über die Festsetzungen
zwischen Polen und Danzig entscheiden."
Tq Polen durch den Frieden fa ziemlich
alle Hoheitscechte über Tanzig zuge
sprachen werden (freie Benutzung der
Wasserwege. Verwaltung der Eiscnbah
nen, der Post, des Telegraphen, die Ver
irckung der äußeren Angelegenheiten und
den Schutz der Angehörigen Danzigs im
Ausland), so ist nicht recht einzusehen,
was unter der Garantie des Völkerbun
deS noch verstanden werden kann. Aus
welchen Nationen der Oberkommissär
gewählt werden soll, ist auch leicht zu
erraten, so daß Danzig bei den Ver
Handlungen mit dem feindlich gesinnten
Polen auf keine allzu große Hilfe wird
rechnen können. Vorsichtshalber hat sich
vie (interne auch noch den endgültiger.
Cnliqeiv vorvcyalten und nicht einmal
dem Völkerbund zugewiesen. Praktisch
bleibt somit jeder Entscheid in den Hän
den dcö Siegers, die Mitarbeit deö Völ
kcrbundeS leere Form.
Eine besondere Bcachtuna verdnnt die
letzte -dem Völkerbund zugewiesene Koni,
pelenz tn Bezug aus daS UntersuchungS
recht, das sich die Entente Deutschland
gegenüber wahrt. Deutschland muß
jedwede vom Rate des Völkerbünde! mit
Stimmenmehrheit, beschlossene Untersu
chung zulassen." Es ist auffällia
poraZgesetzt. daß des Rat und nicht bei
vollziehende Ausschuß wirklich entschei.
den soll , daß dieser schwerfällige Ap
parat besser, ' regelmäßige Verfamm
lung sonst nur selten in Aussicht genom
wen wird, gerade mit dieser Funktidn
betraut wurde. Da er mit Stimmen
Mehrheit entscheidet und die Entente
selbst nach Aufnahme aller in Frage
kommenden neutrales Staaten darin
stets etwa eine zwei Drittels.Mebrbeit
haben wird, so wird Teutschlatih im
Völkerbund keinen Schutz finden und alle
Untersuchungen über sich ergehen lassen
müssen, welche irgend eine Großmacht zu
irgend welchen Zwecken für wünschens
wert oder nötig erachten wird. Wäre
der vollziehende Ausschuß, dem sonst olle
Kompetenzen zugewiesen sind, auch mit
dieser Ausgabe betraut worden, so bätte
daS Vetorecht. daS such den vier Mit
gliedern zukommt, die nicht den Groß
mächten, sondern dielleicht auch einem
neutralen Staat entnommen werden, die
Möglichkeit geboten, eine beantragte
Untersuchi'Ng abzulehnen. Bei der vor
liegenden Lösung ist dafür nicht die ge
ringste Gewähr und die Mitbetätigung
des Völkerbundes für den Scbmackien
belanglos, also aiZch eine leere Form
sache.
Bevor wir weiter eben und die
Punkte besprechen, welche der Mitmir
kung oder der Beurteilung deS Völker
bundeS nicht unterstellt sind, wollen dir
uns ernstlich die Frage vorlegen, ob da!
oben ausgesprochene Mißtrauen In die
Wertlosigkeit der vorgesehenen Kompe
Unzen auch wirklich begründet ist? öS
ist wohl anzunehmen, daß Wilson sich
von dessen Einquifea iwaS ndereS
nd Besseres verspricht. Trotzdem kann
die Antwort selbst ein,S veitlauenSseli ,
des Oazlttsmus.
gen Friedensfreundes nicht anders hei
ßen alS: so lange di, siegreichen Groß
mächte im Völkerbunde die unbeschränkte
Macht haben, so lange Deutschland nicht
Mitglied Ist und in den Organen de
Völkerbundes feine Interessen selbst di
rekt vertreten kann, so lange den Neutra
len im Völkerbünde gerade für diese auS
einem Machtfrieden entstehenden Disse
renzen keine entscheidende Stimme zuge
wiesen wird, so lange kann kein Ver
trauen einkehren und so lange werden
alle Entscheide deS Völkerbünde!, mögen
sie dielleicht noch so objektiv, noch so ge
wissenhaft gefaßt werden, dem Odium
der Parteilichkeit unrettbar verfallen
sein, denn es kann niemand Ankläger
und Richter in eigener Person sein.
Hier rächt sich schon die unselige Lösung,
weil sie eben kein Vertrauen bieten
kann.
Aber abgesehen von diesem . sunda
mentalen Grunde des Mißtrauen! er,
scheint letzteres auch noch dadurch be
rechtigt, als eS, wie wir später aus,
führen werden, auch im Rahmen deS
vorgesehenen Völkerbundes durchaus
möglich gewesen wäre, eine wirklich un
parteiische Instanz zu schassen, was doch
die Absicht der Diplomaten in Paris
sein müßte, wenn man nicht an ihrem
Willen, dem Volkervundc seine eigens
liehe Aufgabe zuzuweisen, ganz zweifeln
soll. Zu diesem Zwecke wollen wir auf
zählen, in welchen Angelegenheiten wir
die n Aussicht genommene Mitarbeit
des PölkcrbundeS leider gänzlich vcrmis
fcn und wo sie sich eigentlich direkt aus
drangt.
Dahin hätten vor allem gehört alle
jene Angelegenheiten, wo es sich um eine
Anklage und ein Gericht handelt. DaS
Völkerbundprojckt sieht die Schaffung
eines internationalen Gerichtshöfe! voe
Gut. ihm sei in erster Linie die Beur
teilung Wilhelm! II. und aller jener
Persönlichkeiten zugewiesen, welche von
der Entente in Anklagezustand versetzt
werden sollen. Wir nehmen an, daß die
Zusammensetzung der Richter und deren
Auswahl für die Beurteilung der Strei
tigkciten derart vorgesehen ist, daß eine
möglichst unparteiische und objektive
Rechtsprechung gewährleistet ist. Nun
sieht daS Bölkerbundprojekt vor.
alle internationalen Differenzen, welche
unter Zugrundelegung von geschriebenen
und ungeschriebenen Nechtsgrundsatzm
einer richterlichen Beurteilung zugänglich
sind, dem Gerichtshof zugewiesen wer
den müssen. Da anzunehmen ist, daß
auch die Beurteilung der angeklagten
Persönlichkeiten unter diese Kategorie
fallen soll, daß also kerne Verurteilung
ohne rechtliche Grundlage m Aussicht ge,
nommen ist, so ist nicht einzusehen, wa
rum der internationale Gerichtshof nicht
in Tätigkeit, treten soll, denn entweder
ist der Volkerbund rmstande und wil,
lens, selbst In seiner heutigen einseitigen
Zusammensetzung eine Rechtsinstanz zu
schaffen, Welche allgemeines Zutrauen
verdient und dann darf ihr auch die
siegreiche Partei ihre Angelegenheiten
nicht vorenthalten, oder die Entente
zweifelt selbst an dieser Unparteilichkeit
und muß dann die entsprechenden Kon,
fequenzcn ziehen. Einem solchen Ge,
richtjhof müßte und könnte Deutschland
unbedenklich die Angeschuldigten anver
trauen, wohingegen die Auslieferung
und die längst beschlossene Verurteilung
durchweinen Sondergerichtshof per fünf
feindlichen - Großmächte oder durch
feindliche Militärgerichte eine unnötige
Harte und eine verhängnisvolle For
derung bedeutet, denn jedes unter fol
chen Verhältnissen zuflgndegekomincne
urteil wird von den Verurteilten und
ihrem Lande und auch von den Unbe
teiligter, und von der Nachwelt als be.
sangen, al! parteiisches, als ungerecht
zustandegeiommeneS Justizvergehen ein
geschätzt und verurteilt werden. Kann
daS wirklich die Absicht der Entente sein
gerade im Momente der Gründung deS
Völkerbundes? Ist eS überhaupt er
laubt. nur Untersuchungen gegen deut,
fche Vergehen, gegen Gefangene anzu
strengen? Sind nicht auch anders
wo gegen deutsche Gefangene Dinge vor
gekommen, welche der unparteiischen Un
tersuchung, Aufklärung und richterlichen
Beurteilung bedürftig wären? Doch
dieß nebenbei, weil solche 'Erwägungen,
keinen praktischen Wert habe in einem
Friedensvertrag nach dem alten Muster:
? victis.
, Im weitern scheint sich eine Betäti
gung der Völkerbundsorgane noch
geradezu aufzudrängen bei der Festsei
zung der wirtschaftlichen Werte, welche
in den Besitz der Sieger übergehen sollen
und dann bei allen Streitigkeiten, welche
angesichts deS komplizierten, unklaren
FriedensverttageS massenhaft während
Jahrzehnten auftreten werden, hat doch
der Amerikaner Senator Lodge erklärt,
der Vertrag fei 5 pirov, intrument
of Interpretation (ein der Interpret
tion allseitig offenes Gebilde), da! schon
in einem Jahre zu unübersteiglichen
Schwierigkeiten führen werde. Die fi
nanziellen Bestimmungen enthalten fol
g'nde überraschende Beschlüsse: Die
Alliierten verfügen über deutsche Gut
haben und über deutsches Eigentum auf
ihren Gebieten nd Deutschland tritt
de Alliierten feine Guthaben, Güter .
s. w. in Rußland, China, Oesterreich
Ungarn, Bulgarien und 'der Türkei ab.
Frankreich behält sich vor, die Privat
güter der deutschen Staatsangehörigen
in Elsß.Lothringen zu liqu'.dieietr.
Jede Gebietabtretung bedingt für den
nutznießenden Staat die Uebernahme
eines Teils der deutschen Schuld, und die
Bezahlung der Staatsgüter auf diesen
Territorien." Wenn auch baS Liquida
tionsergebniS für die Teutschen in El
saß-Lothringen ausdrücklich den expro
priierten Privaten von Deutschland ver
gütet werden muß, so ist doch anzuneh
vier, daß die Akmertung aller dieser
&aUt kür Deutschland und für die Pri
raten von Wichtigkeit ist. da diese deut
;i
sche Leistung, in natur 0 bin
vom
uferlegten Enischädigungen ia Abzug
kommen sollen. Welche! bittere Gefühl
der Schutzlosigkeit muß die Betroffenen
erfüllen, wenn solche Liquidationen und
hschatzunaen dem ffeinde überlassen blei,
ben, wobei eine Verschleuderung unverl
meidlich ist. In Frankreich hat die Li,
quidation der Kirchengüte; dafür einen
unumstößlichen Beweis geleistet, wobei
ek sich noch um eigenes Staatseigentum
gehandelt hatte. Wie viel Ungerechtig,
keit. Bitterkeit und letzten EndeS Haß,
würde eine Bestimmung verhindern, wo
nach eine vom ' Völkerbund ernannte
Kommission es sind solche im Ent
wurs vorgesehen , in welchen die Ver
treter der Neutralen die ' entscheidende
Stimme hätten, in letzter Instanz über
die Hohe solch abzutretender Werte be
finden würde. Für den ev. Rückkauf der
Kohlenwerke des Saargebietes nach 15
Jahren war von einer internationale
Schätzungskommissiön die Rede; im vor
liegenden Auszug fehlt ein dahinzielen
der PassuS. Die permanente Kom
Mission für Schadenersatz, welche die
Schaden schätzen soll, welche die franzii
sichert Staatsangehörigen in der Kolonie
Kamerun oder rn der Grenzzone erlit,
ten haben, bietet natürlich wegen ihrer
einseitigen Zusammensetzung leinen
Schutz für Deutschland, dos für jene
Schaden aufkommen soll.
Bei der Durchführung des Friedens
Vertrages sind einmal jene wenigen Be
stimmungen zu ermähnen, welche zuaun
sten früherer deutscher Untertanen Auf-
nähme gefunden haben, z. B. die Zu,
sicherung der tschecho-slovakischen.Natio,
nalität den Deutschen, welche auf tsche,
cho-slowakischem Gebiete wohnen und
die Zusicherung gleicher Rechte von sei
ten Polens allen. Personen und Tran!
Portmitteln, die aui Ostpreußen her
kommen oder dorthin, bestimmt sind und
Pole zugestandenes Gebiet transitierey.
Dahin sind auch die nicht weiter ausge
führten Sonderbestimmungen zu rech
ven. welche das Recht des industriellen,
künstlerischen und literarischen Eigen
tumö, die Kontrakte und Schuldverhält,
nisse an! der Vorkriegszeit u. s. w. re
geln sollen. Kann der Sieger, welcher
einseitig hier Gesetze macht und neue!
Recht schafft, erwarten, daß der Besiege?
in seinen Milugungen einen inechrs
schütz zu erblicken vermag, wenn die
Kontrolle über deren Ausführungen nicht
in unparteiische Hände gelegt wird?
Auch da wäre ein für beide Teile frucht
bringendes, wichtige! Tätigkeitsgebiet
für eine nach früherem Vorschlag zu
sammengefetzte international? Koinmis
non. '
Wenn gegen unlautere Konkurrenz
und zugunsten der alliierten Staatsan
gehörigen in Deutschland noch besondere
Schutzmaßregeln in Aussicht genommen
sind, so läge auch da der Gedanke nahe,
den Entscheid über die erfüllte Voraus
fetzung des vorgesehenen besonderen
Schutzes im einzelnen Falle zum minde
sten einer Rekursinstanz vorzubehalten,
wo wiederum den Neutrale ein wirk
fameS Mitspracherecht eingeräumt
würde. Die vorgesehene internationale
Kontrolle für die verschiedenen Flüsse
ist im Auszug recht unklar. Wenn die
Kommission, dessen Präsident, ein Fran
zose sein muß, nicht nur für den Rhein,
sondern auch für die kein deutschen Ge
Wässer zuständig sein soll, so wird
Deutschland auch einer solchermaßen
zusammengesetzten Kommiszion nur mit
dem größten Mißtrauen zu begegnen
vermögen. Die Kontrolle über die dem
deutschen' Steuerzahler . aufgebürdete
Steuerlast, welche derjenigen der meist
belastete Steuerzahler mindestens gleich
kommen soll und welche in der Ausfüh
rung crußerordentlich heikel und schwierig
sich gestalten mag, da ein gerechter Ver
gleich nur unter Abwägung verschiedener
Faktoren (Einschatzungsversahren u. s.
w.) möglich ist, sollte ebenfalls unbedingt
dem Vorwurf der parteiischen Einseilig
keit entzogen werden oder dann müßte
mindestens ein Rekurs an eine gerechter
zusammengesetzte Justiz möglich sein,
Endlich kommen noch die folgenden
besonders wichtige Artikel in Frage:
Vertrag 11 erklärt: jede Verletzung der
Neutralisieruna deS linken RheinuferS
als einen feindseligen Akt gegen die Sig
natare und als einen Versuch, den Frie
den der Welt zu stören", und Vertroz
30 bestimmt, daß wenn im Verlauf oder
nach Abiaus von 1s Jahren Deutschland
feinen Verpflichtungen nicht getreu nach
gekommen ist, so können die erwähnten
Zonen von den Truppen der Entente
ganz oder teilweise wieder besetzt sver
den". Dabei ist die Ansicht der Inter
alliierten SchadenersatzkommissioNi maß
gebend. Was die erste Bestimmung
anbetrifft, so schließt auch deren Ezi
tenz, da sie unbefristet ,st. die Aufnahme
Deutschlands als gleichberechtigter
Staat, also überhaupt uS, da im Völ
kerbund der aussührende Ausschuß ein
stimmig darüber entscheidet, wa! zu
einer Sanktion führen kann, während,
hier der Entscheid ins Bemessen der En
tente gestellt wurde. Haben Unparteiische
dabei keinen Einfluß, sa ist natürlich
der absoluten Willkür Tür und Tor ge
ösfnet und der gewaltsame militärische
Zwang gegen ein wehrloses Land die le
gale Folge einer kautschukartiaen Ver
tragsbesiimmung. DaS Gleiche gilt von
der Möglichkeit, die Okkupation nach
Gutfinden zu verlängern, denn daß
Deutschland diese unübersehbaren schwe
ren Bedingungen kaum restloS wird er
ullen können oder da trotz oller An
'trengung jederzeit eine feindfelia ae
stimmte Kommission gelauben und an
nehmen kann, der Gegner sei seinen
Verpflichtungen nicht getreu und pünkt
nachgekommen, da! ist voraukzu
sehen.
Ist die wirklich die Abs,.tt der Er
tente? Wir können und wollen eS nicht
'pmtn und darum appellieren wir an
hi Einsicht bei der Durchfübruna den
Gtundideen eine! wirkliche Völkerbun
de! in weitzehegdem. ja entscheidendem I
Kus der ritlsilciieu Hheaterjladt.
Von Gr.
s1
Moskau .'. . Automobile. Automobile.
Automobile. . .
Alle vier Straßen, die das Große
Theater umgrenzen, sind umrahmt von
allerlei Kraftwagen,, die einmal den
.Bourgeois" gehörte und jetzt dem
Wohle der Allgemeinheit" zu Diensten
stehen. Aber die Allgemeinheit" benutzt
noch immer ihre Füße und die Straßen
bahnen, die glücklicherweise bis 8 Uhr
fahren. Und jeder ankommende,
zischende und ieint Brausen aufkrei
schenke Wage speit eine Unmenge lachen
der und mürrisch dreinschauender Men
schen heraus. i
Die Menge teilt sich in drei Ströme:
einen Hauptflrom und zwei kleinere.
Denn der große Platz vor dem Großen
Theater hat rechts daS Kleine Theater
und links noch ein sehr guteS Privat
theater, in dem einige Werte des bekann
ten Leonid Andrejeff zur Uraufführung
und zur Berühmtheit kamen. Kein
Mensch sieht sich m nach dem größten
Theater", wo sich ein Teil der, Wetttragi
komödie abspielt. Keiner sieht sich um
nach dem von Baugerüsten umgebenen
Hotel Monopol, wo ein großer Teil der
Sowietregierung ihren Sitz hat. Man ist
an alles gewohnt, und vielleicht wird man
dem gewaltigen Hotel wieder Aufmerk
famkeit schenken, wenn erst die Basreliefs
nd die Malerei, die in den letzten
Kampftagen gelitten haben, erneuert
sind. Dann wird daS Künstlerische an
den Mauern wieder die Blicke an sich
ziehen, denn der Moskauer hat nur noch
zwei Interessen Brot und Kunst. Zur
Wiener Arnhlingsbries.
von Anrt ?5rsnfeld.
Wien. Ende Mai 1919.
Frühling in Wien! Aber diesmal
hat er so grotesk und bewußt abnorm
begonnen, daß er wie kein anderer in
unsere umstürzlerischen Tage paßt!
Schneeflocken im Mai. In einer Zeit,
in der in den Kcuserschlössern Wohnun
gen vermietet werden und die Generäle
in Zivil auf der Kärwtnerstraße spazie
ren gehen, scheint das e.gentlich kaum
bemerkenswert und durchaus, normal:
Schnee im Mai. Wenn ,nan weitergeht,
müßte man allerdings aanchmen, daß
der Schnee von heute, der die Wiener
Dächer deckt, rot und nicht mehr konscr
vativ weiß sein sollte.
Der Ringstraßenbummel, der sich auch
jetzt noch zeden Vormittag um Wien
dreht, uii'd um den sich Äien eigentlich
immer gedreht Hai, , hat sein eigenes
neues Gesicht bekommen. , Wie e!
eigentlich aussieht,-weiß man di! heute
noch nicht, jedenfalls aber ist er aus dem
Militarismus des Weltkrieges noch nicht
heraus und durchaus uniformiert. Ob
daS jetzt italienisch, deutsch-Lsterrcichisch,
französisch oder tschecho-slovalisch ist,
bleibt ja den v. t. Wienerinnen im
Grunde ganz gleich. Jeder Mann und
jeder Offizier, soweit er ein Mann ist,
ob er nun feindselig oder als enger
Bundesgenosse und Retter in der Not
nach Wien kommt, hat schon sein blcn
des Mädel am Arm. Was tu! es da,
wenn ihre Sprachen verschieden sind,
wenn sie sich fast überhaupt nimt mit
einander verständigen können? Es scha
det nicht, denn sie haben ja schließlich
viel harmlosere Absichten als etwa in
Babel gemeinsam einen Turm zu
bauen. Die Damen haben Paßschwie-
riqkeiten, können Heuer nicht an die
Riviera, darum sind rotbemlltzte, spo
renklirrende frcknzösische Offiziere zu
ihnen gekommen. Die Valuta sieht
schlecht, sie können im Sommer nicht
Maße Rechnung zu tragen mit dem
obersten Grundsatz, daß bei der Durch
fllhrung alle der gerichtlichen Entschei
dung zugänglichen Streitigkeiten und
Anklagen dem internationalen Gerichts
Hof unterbreitet werden, wahrend vom
Völkerbund bestellte Kommissionen, bei
welchen die neutralen Vertreter die
Mehrheit bilden, einmal die wirtschaft
liche Werte festsetzen, welche von einem
Volke auf daS andere übergehen, dann
die Schutzbestimmungen deutscher Unter
tanen überwachen, ferner die Kontrolle
über die deutschen Flüsse, über die
Steucrbclastung und- endlich ganz allge
mein über die Erfüllung oller Friedens
bedingungen ausüben sei es direkt oder
als RekurSinstanz für alle durch die
einseitig zusammengesetzten alliierten
Kommissionen gefaßten Beschlusse und
Entscheide.
Alle Hoffnungen auf einen Versöh
nungsfrieden sind verschwunden, der
Haß hat in PariS triumphiert, die Eck
steine für einen wirklichen Völkerbund
sind dabei von den Baumeistern deS
Friedens verworfen worden. Sollte es
nicht möglich sein, zum mindesten bei
der Durchführung der Friedensbedin
gungen dem Geiste der internationalen
Gerechtigkeit Rechnung zu tragen und
die vereinbarte Methoden und Grund
sätze deS Völkerbundes zur Anwendung
zu bringen? Vieles Hare, Verletzende,
scheinbar Unannehmbare und Uncrträg
liche würde in anderem Lichte erscheinen
und der Völkerbund, für viele heute eine
Totgeburt. Leben und Wert gewinnen.
Nicht Kritik, nicht Vorwürfe sollen im
Vorausgegangenen enthalten fein, son
der bescheiden Lorschläge zur wohl
wollenden Beachtung der Großen und
Mächtigen bei ihrer übermenschlichen
Aufgabe nd , größten Verantwortlich
keit, welche die zllrchekischt Dichterin
Joh. Siebel in folgende Worte kleidete:
?br, Yrm tat Leben
Sinn ll macht oegcbeit,
Un fce in fcicfpi Heil
,!it Siifttill seid 7
t tu&t u ben Kitim. ' '
tt äffe bfrritini,
jf bitj mchl die &i?ln
tSrnlt flogen lind tsftiieii,
ltTs fucr Serfctt
&at S.ui teilt cuf t rtenl
Barchs.
Kunstber gehört alleS, bei dem man mit
Farben, Tönen, Gedanken und Worten
jonglieren kann, gleichviel ob eS sich um
Religion. Politik, Oper, Philosophie,
Futurismus, Ballet oder Sowjetmacht
handelt. . . Aber da! Hauptinteresse ge
hört dem Theater.
Die Bühne Im Großen Theater ist
wahrscheinlich die zweit oder drittgrößte
der Welt, und Ihre technischen Einrich
tungen sind auf der vollkommensten Höhe.
Ein ganzer Stab Studenten und andere
Leute, die den Eintritt nicht bezahlen
können oder wollen, machen alles, waj
für die Aufführung hinter den Kulissen
zu tun ist.
Der große Saal und alle Ränge sind
Immer gestopft voll. De, größte Teil der
Billette wird regelmäßig den Fabriken,
den Bureaus und den Kaufgeschästen
zur Verfügung gestellt. Die anderenind
auf den kleinen Rest angewiesen. Noch
nie sind Billette unverkauft geblieben.
Die halbverhungerten Moskauer würden
sich sicherlich nicht so um einen Laib Brot
reißen, wie um ein Billet in ein gutes
Theater. Es gibt da Leute, die ihr gan
zes Einkommen einzig und allein davon
haben, daß sie an den Tagen der Auf
führungen die rechtzeitig gekauften Bil
lette vor den Theatern um den doppelten
oder dreifachen Preis verkaufen. Die
Sowjetleute boten alles mögliche auf,
den Zwischenhandel auS der Welt za
schaffen, ober die einzige Wirkung war,
daß die Wieperverkäuferpreise sich erhöht
haben. Und die Moskauer zahlen sie auch,
denn ohne Theater können sie nicht leben.
nach Karlsbad? darum führen die jun
gen Böhmen ihre nagelneuen Uniformen
eben auf der Wiener Ringstraße aus,
gerade zwischen der Oper und dem
Schwarzenbergplatz. Die alte Maho
medaffaire. Oder hat die Weltgeschichte
am Ende vielleicht doch irgendeinen
noch tieferen Sinn? Nicht möglich,
sonst wäre sie ein wenig konsequenter.
Dieser fonnig-trübe Frühling macht
aber auch uns nachdenklich. Und die
Zeitungsblätter, die an jedem Mittag
und Abend gellend durch die Straßen
fliegen, laut und anspruchsvoll, machen
uns viele Sorge. Die Nachrichten, . die
aus Saint Germain kommen, wo wir
eben mit vieler Höflichkeit und einem
geradezu bewundernswerten Savoirv'wre
zum Tode verurteilt werden, lassen selbst
Wien das Aergst befürchten. Der An
schluß an Deutschland, der Gedanke, die
Hoffmrng von Millionen, das deutsche
Slldtirol, Deutschböhmen lauter un
erfüllte Träume? Der Wilsonsche Bluff
eine bittere Enttäuschung für alle
Leichtgläubigen, die in Wien wohl nicht
am seltensten sind. Dazwischen inner
politische Fragen von gewichtiger Bedeu
tung, wirtschaftliche Nöte und mensch
lichcs Sich-bedrllckt und besiegt-fühken.
Dazu haben die Schüsse, die am blutigen
Gründonnerstag um daS Parlament
krachten, Wien siutzig gemacht. Vor
läufig noch nicht mehr, aber stutzig ge
macht.
Erweckt noch nicht! Denn, wenn
Wien erwacht wäre, würden feine Nacht
lokale nicht so zum Bersten (man könnte
auch Brechen" sagen, wenn man
weniger wohlerzogen wäre) gut besucht
sein, daß alle vierzehn Tage ein neues
seine Pforten" eröffnet. Es würden
vielleicht auch nicht alle, die auf' ihren
guten Ruf als Leute von Welt etwas
halten, For-Trott. den Tanz dieser
grausamen Zeit, mit einer Inbrunst, die
einer besseren Sache würdig wäre, zu
erlernen trachten. Die uiisagbar blauen
Augen der ewig süßen Mädeln von
Wien würden einen leichten Glqnz be
kommen, einen Abglanz d.Z unendlichen
Jammers, der einem jeden Tag in jeder
Straße tausendmal aus dem .stieren
Blick hungernder Vetjelkinder entgegen
schreit. In diesem eisten Frühling, in
dem der alte Bösendorfer nicht mehr
vierspännig in den Prater fährt und
Peter Altenberg nicht mehr durch seine
großen runden Horngläser in die Sonn
des Volksgartens guckt, in seinem drei
ten Stuhl gelehnt. Ja. wenn es nicht
,immer so sonderbar lustig bei uns ge
Wesen wäre, dann wäre uns vielleicht
heute wohlcr. Statt dessen ober singen
die Gassenbuben in den Straßen frau
rig-lustige neue Lieder auS der eigen
tümlichen Perspektive einer hcrrlich-be
neidenswerten Philosophie heraus:
Wer w'rd denn tn Wien jetzt regitt'n?
Der TkchechoNovnk
Mit A!idcr imi, ffrnik.
Ter wird in-Wien m regier',
Wer wird denn die Etrag'n cbt kchr'n?
, TIe awsi'n Herr'
Mit die stuldnicn Stern.
Tie hu'fd'n die Strnb'n letzt fcfjr'nl...
ES ist etwaS Eigenartiges uni diesen
wehen Wiener Frühling des Jahre!
1919. Zwischen Krieg und Frieden
ober jedenfalls viel Entttiuschung und
Hunger. Ein Werkcl spielt dazu einen
Walzer oder vielleicht setzt einen Fox
Trott (denn die internationalen Bezie
hungen sollen ja wieder aufgenommen
werden) und die Sassenbuben singen das
lustige Lied vom Tschechoslowaken und
den großen Herren, dasein Wirklichkeit
so unendlich traurig ist.
'ie letzte Weisheit aller Poli5ik und
Sozialpolitik: ein Gassenhauer!
Männliche DicnttmZdchen.
Hausbedienftete sind während der
Kriegszeit nur unter großen Schwierig
leiten zu erlangen gewesen, da der Vm
rat , besonders an weiblichen Tienstbo
ten, der Nachfrage nur zum geringsten
Teil zu genügen vermochte. Und die
Frauen und Mädchen, die seit mehreren j
Jahren in Kriegsindustrien tätig waren 1
Die großen Logen, die früher für den
Zaren und die Großen deS Reiche! be
stimmt waren, sind jetzt von höheren Be
amten der Sowjet besetzt. Man sieht
große wilde Tollen", viele Brille,
aszetische Gesichter, kurzhaarige nd auch
verführerisch schöne .Frauen und über
den Logen leuchtet immer noch die alte
Krone der Romanoffs.
E! wird endlich zum drittenmal ge
klingest. - Aber der Vorhang heb', f
nicht, und da! Orchester bleibt stumm.
Plötzlich hört man au! der Zarenloge
eine tiefe und eindringliche Stimme, und
man bemerkt einen ganz europäisch aus
sehenden Herrn und muß ihm unwill
kürlich zuhören.
Der Mann in der Loge spricht von der
Kunst im allgemeinen, dann von der
proletarischen Kunst" und ihren Aufga
ben, und kommt auf da! für den Abend
zur Aufführung bestimmte Werk. Noch
bevor daö Spiel beginnt, fahren die
Zichörer den Inhalt und den inneren
Wert de! Stücke!, und alle Wege zum
Verständnis und zur Kritik sind ihnen
geebnet. Der Redner hebt die schönen
und wichtigen Stellen heraus, erklärt
alles, was er für notwendig hält, um
der Masse den Genuß zu erhöhen. Erst
nachdem die Stimmung in solcher Weise
vorbereitet ist. beginnt das Spiel.
Und die Leute, die noch vor einem
Jahr ein Operettenlicdchen als den Gip
sei aller Herrlichkeit schätzten, lauschen
andächtig den Tönen einer guten Oper.
Oder ihre Augen ergötzen sich an den
Linien der gut gepflegten Körper und an
den rhythmischen Bewegungen deS in der
ganzen WeN berühmten russischen Bal
letts. und werden künstlerisch angeregt
durch die Farbenpracht der Kostüme und
Dekorationen. Ob da! Verständnis tief
ist, sei dahingestellt, aber per Beifall, den
die Darsteller von den neugebackenen
Kunstkennern ernten, ist nicht kleiner, al?
damals jur Zeit der Ezzellenzen. , ,
und dort täglich fast ebensoviel verdien
ten wie bishoer in häuslicher Stellung,
suchen die ihnen größere! Einkommen
und größere persönliche. Freiheit sichernde
Beschäftigung auch nach wieder eingetre
tenem Frieden beizubehalten, selbst zu
herabgefbtzten Arbeitslöhnen.
Unter solchen Umstanden darf es da
her kaum Wunder nehmen, daß beschäf
tigungslose Männer ihren Blick prüfend
auf die Stellungen werfen, welche von
ihren weiblichen Mitbewerbern so ver
Lchtlich beiseite geschoben werden. In
dieser Hinsicht kommt vornehmlich Haus
arbeit in Beiracht, mit welcher sich die
Amerikanerig der da! von amerikani
schen Ideen ergriffene Mädchen von je
her nur. höchst ungern befaßt hat. Die
Dienstmädchenknappheit war daher in
den Per. Staaten eine feststehende tzr
scheinung, die während des Krieges be
sonders empfunden wurde und sich noch
auffälliger bemerkbar machen dürfte,
wenn das geplante mehrjährige Verbot
der Einwanderung wirklich zur Durch
führung gelangen sollte. In Voraussicht
derartiger Verhältnisse sind seit einiger
Zeit in mehreren Städten Erperimeni,!
unternommen worden, dcren Erfolg es
glaublich erscheinen läßt, daß in absehe
barer Zeit fast überall ein Johann die
Stelle der Johanna, ein JamcZ den
Platz der Jane einnehnien wird. ,
In Flatbufh ünd anderen Kolonien
nahe New Z)ork, in Boston und Balti
more haben sogenannte Padrone eS un
ternommen, den Hausfrauen Ersatz sü,
die ihnen untreu gewordenen Dienftmäd
chen zu liefern. Diese Unternehmer ha
ben eine größere Anzahl älterer Männer
engagiert, die sich nicht körperlicher Ar
beit schämen. , Sie müssen zunächst einen
Kursus in den Haushaltungswissenschaf,
ten durchmachen, und werden dann Fa
milien sü? besondere Arbeiten oder stun
denweise vermietet. Ein solcher Mann
kommt, beispielsweise ein oder zweimal
wöchentlich etwas nach neun Uhr mor
gens, nachdem die männlichen Familien
Mitglieder fortgegangen sind. Ohne Gc
rede und ohne Getue erledigt er die ihm
zugewiesene Aufgabe. Er nimmt die
Teppich? auf. klopft sie im Hofe oder auf
dem Dache, reinigt die Fußböden, scheu
ert das Linoleum in der Küche, wäscht
die hölzerne Wapdbekleidung ab, klärt di
Fensterscheiben nd unterzieht Porzellan,
sachen und Glasgeschirre einer gründ
lichen Reinigung. Er sorgt sür seine
eigenen Mahlzeiten und fällt der Haus
frau so wenig zur Last, daß diese Ein
käufe besorgen kann.' während der Haus
iiiiger seine, oder richtiger ihre Arbeit
verrichtet. Mitunter vermag ein solches
männliches Dienstmädchen" zwei oder
drei Apartments im selben Gebäude an
einem .Tage ;i reinigen, wodisrch nicht
nur dem Padrone, sondern auch ihm ein
anständiges Einkommen gesichert wird.
Den Reinigern wird zur Zeit Unterricht
in der Besorgung der Hauswäsche gege
ben. Die Lehrergebnisse sind soweit
höchst befriedigend, nur mit dem Plät
ten könne sie sich nicht recht vertraut ma
chen. Diese Schwierigkeit soll jedoch spä
ter durch Anstellung von Chinesen be.
seitigt werden. Selbstverständlich schließt
der Unternehmer auch Kontrakte zur Vc
forgunz der Zentralheizung, erschließ,
lich Forischaffung der Asche, Reinhal
tung deS BürgerfteigS von Schnee und
Eis, Instandhaltung der Blumen und
Gemüsegarten. Beschneiden der Hecken
und ähnliche Arbeiten ab. Damen, die
derartige männliche Stützen der Haus
srau in Anspruch genommen haben, sind
deS Lobe! voll llber die dadurch gesicherte
Erleichterung ihres arbeitsamen. dseN
gen und einkaufsreichen Dasein. Da
wird i wohl kaum noch lange dauern, di!
ähnliche Armeen männlicher Tienstmiid
chen liberal! au! der Erde gestampft
werde.