Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 14, 1919, Image 7

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    TMiye Omaha TrIVssne
!
v
Aas AHaos in
Von Dr. S. Melameö.
Ueber den riedensvertrag von Versailles. Präsident wilsons
Position. Frankreich und Deutschland. Polen als Großinacht.
i.
AU Präsident Wilsoa zum ersten Mal
' in Pari und Rom erschien, die herzliche
Begrünung der Massen der zwei roma
ischen Hauptstädte entgegenzunehmen
und ihnen einen ruß dc amerikani
schen Volkes ,u überbringen, da zitterte
die Luft von dem Echo mefsianischer
Stufe. Sieaer und Besiegte zugleid) er
Karteten und erhofften den Anbruch
einer wirklich messianischen Zeit. Die
Worte: dauernder Frieden, gerechter
Blieben," Gerechtigkeit für alle, gleiche
Chancen für alle im Kampf um Da
1cm waren in dem Uciinö. Woovrow
Wilsan ist mit Recht als eine Art Dies
sianisch ttiaur. als eine Art Erlöser It
trachtet worden. Es geschah zum ersten
Mal seit den israelitischen Propheten,
da eine kraftvolle und ausgeprägte Po
tentateN'Persönlichkeit ausstand und den
kriegSmüden Menschen und Boilern zu,
rief: Genug der Gewalt- und der wann
volitik. Lakset unS einen gerechten Jrie
den baden. Niemals wohl war die
Menschkxit solchen Worten der Versöh
nung zugänglicher wie am Morgen nach
dem Wettvranv, ver Europa an oen
Rand deS Abgrundes brachte. Unsere
Kindeskinder werden noch von dem tiefen
Eindruck erzählen, den da? Erscheinen
Wilsonk auf feine fricdensfehnsüchtigen
Zeitgenossen machte. Er hat der kriegs
müden Menschheit auS der Seele gcspro
chen.
Heute, am .Vorabend des Friedens
schlusseJ, protestieren hundert angeschene
und emslukreiche Engländer gegen ven
ungerechten Frieden, protestieren die in
Jurich versammelten Frauen gegen oen
ungerechten Fneden. protestieren amen
ton, Liberale, gegen den Frieden, weil
er die Keime neuer Kriege in sich birgt.
T Mannn, d den Fncdensvcrtrag
abgefaßt, sind auch nicht zufrieden und
sind von ihrem Werke keineswegs vegei
siert. Aber noch mehr: die verschiedenen
Nationen, die zum siegreichen Teile der
Menschheit gehören, sind ebenfalls unzu
frieden. Italien ist nicht begeistert. China
protestiert, die Serben sind deprimiert.
Rußland ist ein großes Fragezeichen,
Rumänien ist unzufrieden usw. In
jedem politisch denkenden Menschen lebt
heute das Bewußtsein, daß dieser Friede
kein gerechter und kein dauernder ist.
nicht weil er Deutschland um einige Pro
vinzen beraubt und dem deutschen Volk
Nicht bietet, was es mit Fug erwarten
durste, sondern weil er ganz Ost und
Zentral'Europa balkanistert und einen
großen Teil der Menschheit zu Sklaven
herabdrückt. Man kann sich selbst diesen
Frieden im Westen für eine Zeit lang
gesichert denken, aber nicht im Osten,
jjtt -- rn . iC i . f -. ... ! .
nicyl im (Lilien Ukvpa ccuiunniig im
im weiten Asten. So wenig die Pro
vinz, in der Jmmanutt Kant gelebt unv
gewirkt, polnisch bleiben kann, selbst
wenn der Friede dies vorschreibt, so we
nig kann Shantung, die Provinz, in der
ConfuciuS geboren, japanisch bleiben,
Noch kann man annehmen, daß die zehn
y neuen (Staaten m Centren uno u r
europa als Frievenssakloren ucy erweiicn
werden. Kurzum: dieser Frieden, selbst
wenn er von allen Parlamenten der am
Kriege beteiligt gewesenen Nationen
ratifiziert wird, kann kein dauernder sein,
r weil er kein ftaatsmännischn, sondern
ei politischer Frieden ist, weil er kein
gerechter Frieden ist.
v Ich kenne viele Leute, die grneigt sind,
$. Woodrow Wilson für diesen gefährlichen
- und gefahrvollen Frieden verantwortlich
3 zu machen. Diese Leute sagen, daß
f. Wilson als Messias gesprochen, aber als
' Caesar gehandelt habe. Diese Ansicht
1 iist eine kurzsichtige und unhistorische zu
'gleich. Sowenig historisch denkende
Menschen eine einzige Persönlichkeit für
tt Krieg verantwortlich machen werden,
14 wenig werden sie eine einzige Person
t lichkeit für diesen punischen Frieden ver
antwortlich machen. Es ist wahr. Wood
rsw Wilson' hat noch vor sechs Monaten
ntssianisch, biblisch gesprochen, allein
'.ian darf nicht vergessen, daß die Bibel,
tttt Sprache und Gedanken Wilson ge
AttttchU und uns deshalb als messiani
,)t Figur erschien, ein Buch nicht des
ieges. sondern der Niederlage ist. Die
Bibel ist daS Buch einer besiegten ?ca
''tion und, vom christlichen Standpunkt,
luch das Buch eines besiegten Apostels.
, 'Ig Sieg durch 'daS Schwert gefeiert
; zird, da muß die Sprache der Bibel, die
, i brache bei Messias, verschwinden. Sieg
iirch daS Schwert und messianische
' Mische Verheißungen sind Gegensätze
, f'und selbst ein Wilson konnte sie nicht
ifö röhrten. Die Geschichte wird nur zu
fide haben, ob er um die Aus
öynung dieser Gegensake so ernst
gemüht war, wie wir ti von ihm er
l . . t. ..!.
-WllUClt UUlIU
; , Nicht Wilsoa hat den Weg der Bibel
.' Zerlassen, nicht er ist persönlich verant
' ,rtlick kür die Niederlaae seiner melna
che Ideale, sondern der uberwälti
J.y. v. a i
i .iUt C-ittf uuiuy uu Wieweit... uuu
geschieht auch nicht zum ersten Mal,
,lß eine historische Persönlichkeit sich
roß zeigt im idealen Streben und nur
ienschlich, allzu menschlich. Wenn eS da
jj, kommt, daS hoch erstrebte Ziel zu der
f rklichen, Weil tausend geheime Kraft
h, Verwirklichung der großen Ideale
1 hindern.
23 ist also doch an dem Uebel schuld,
' r für diesen kriegerische Frieden ver
. .atworilich?
Aus diese schwerwiegende und alle Ge
uiiter erregende Frage können nur Zah
fen antworten: Zahlen und Tatsachen
nicht Pe'sonen. Achtzig Millionen
, ?,'rmane stehen fünsunddreißig Millio
' i Franzosen gegenüber. Die achtzig
Dienen Lerminen.. sind durch eine
'k'üunz ven verschiedenen Ursachen
)f spät all moderne europäische Groß
- I cht erschiene - und gleich Schiller
' ,
Poem waren sie bei der Verteilung der
Erde nicht anwesend. Wie alle junge
Nationen sind sie unternehmungslustig
und oft draufgängerisch.
Die sünfunddreißig Millionen Iran
zosen rivilisatorisch und kulturell gesät
tigt und Partner am Geschäft der Ver
teilung der Güter der Erde, sind nalür
lich nicht mehr so unternehmungslustig,
sondern im Gegenteil langsam in ihren
Bewegungen, sparsam, haushälterisch.
Die Franzosen, als Volk wie als Jndi
viduen, wollen nicht als unternehmungs
lustige Jndustrie-Kapitäne leben, son
dein als Rentiers und Bankiers. Jeder
Franzose will sich mit fünfzig Jahren
von den Geschäften zurückziehen und ein
schönes Leben der Kontemplation leben.
Kann ein fünfunddreißig Millionen.
Volk, das ein Rent!erLeben führen will,
in gut-nachbarlichen Beziehungen mit
einem unternehmungslustigen, recht akti
den achtzig MillioneN'Volk leben? Man
kann auch natürlich die Frage umgekehrt
stellen. Diese Frage kann jeder für sich
beantworten. Aber die Franzosen ehö.
ren zum siegreichen Teil der Menschheit
und als solche müssen sie natürlich dar
nach trachten, den Sieg so auszunutzen,
daß die dynamische germanische
Ordnung keinen zu großen Gegensatz zu
ihrer etwas statischen Ordnung bildet.
Wie die Dinge heute liegen, kann Frank
reich entweder die erste kontinentale
Großmacht sein oder gar keine Groß
macht, und da es an Bevölkerung nicht
stark genug ist, feine Weltmachtstellung
aus eigener Kraft zu erhalten, muß eS
sich auf andere verlassen und sich auf an
dere stützen, auf Jugo-Slawen, Tschecho
Slowaken, Polen und Rumänen. Aber
diese Weltmachtstellung Frankreichs mit
Hilfe der verschiedenen slawischen
Stämme bedeutet die Einkreisung
Deutschlands, und die Einkreisung
Deutschlands, die zetzt nicht mehr eine
Fiktion von pangermanistischen Dipla
maten ist, sondern eine steinharte Wirk
lichkeit, bedeutet Krieg aus Leben und
Tod. Wer will es aber den Franzosen
verübeln, daß sie bestrebt sind, ihre Welt
Machtstellung mit ollen ihnen zu Gebote
siehenden Mitteln zu erhalten? Hätten
die Teutschen anders gehandelt? Noch
leben wir politisch ,n einem status
naturalig und nicht in einem messiani
schen Zeitalter. In diesem politischen
Status naturalis, den das antike Rom
systematisiert und. wie es scheint, perpe
tuiert hat. herrscht die Macht des Star
leren, und die Sphäre des Rechts ist
durch die Sphäre d Macht umgrenzt
und bestimmt. Zu dieser Ansicht hat
sich schon selbst der große Amsterdamer
Sonderttng Baruch Spinoza durchge
rungen. solange dies untere mora
lische' Weltordnung ist, kann man es
Frankreich Nicht verargen, daß es mit
allen Mitteln bestrebt ist, seine Welt?
macht-Stelluna. nicht nur zu erhalten.
sondern auch auf Kosten der Bewegungs
Freiheit Deutschlands zu befestigen.
Eine ganz andere Frage ist. ob vom Ge
sichtspunkt der reinen Realpolitik die
anderen Mächte klug daran tun. dem an
Bevölkerung und an Bewlkerungsmog
lichkeit kleinen Frankreich zur Erhaltung
und Befestigung seiner Weltmachtstel
lung auf Kosten des an Bevölkerung
großen Deutschland zu helfen, und da
durch dem Ausbruch politischer Leiden
schaft Vorschub zu leisten und den Zu
kunftSkrieg heraufzubeschwören. Aber
Frankreich selbst- darf niemand seine ge
genwartigen politischen Aspiration
verargen. Jeder Torfpfarrer mochte
Papst sein und wenn einer schon Erz
bischof ist, träumt er gewiß von dem Pe
trusstuhl...
Aber daS Problem der Erhaltung und
Befestigung der französischen Welt
Machtstellung entzündet sich gar nicht an
Deutschland allein, sondern auch an,
Italien. Um diese zweite Seite de!
Problems zu verstehen, muß ich wieder
zu Zahlen und zu Ziffern greifen.
eit dem Ende des echzelmten Jahr
Hunderts war Frankreich die führende
romanische Großmacht und bis 1903 war
eS die älteste Tochter der Kirche. In
folge des Krieges hat Frankreich auch
diese Vormachtstellung terloren, denn die
Bevölkerung Italiens ist heute bei wei
tem größer als die Frankreichs. Die
französischen Kriegsverluste belaufen sich
aus rund drei Millionen, wahrend die
Italiens kaum eine halbe Million über
steigen. Die Bevölkerung Frankreichs
vor dem Krieg war achtunddreißig Mil
lionen, die Italiens fünfunddreißig.
Während deZ Krieges ist die Geburtsrate
in Frankreich sehr stark gesunken, aber
nicht in Italien. Die Bevölkerung Jta
lienS übersteigt heute bet weitem die
Frankreichs, den die neuangegliederten
Provinzen der Habsburger Monarchie
an Italien weisen zum großen Teil eine
rein italienische Bevölkerung aus, und
wo die Bevölkerung nicht italienisch ist.
ist sie leicht assimilierbar. Aber die von
Frankreich ueroberten Provinzen wei
sen eint germanische Vevölkkrung auf
und sind Nicht leicht assimilierbar. EI
saß und Lothringen waren an Frank
reich angegliedert von IM bis 1870
und während dieser zweihundertjährigen
Herrschaft ist eS Frankreich nicht gelun
gen, diese zwei Provinzen zu romanisie
ren. Heute, wo da! nationale Bewußt
sein der Bevölkerung dieser zwei Pro
binzea stark entwickelt ist. ist ihre' Assi
milieruna ei Sache der Unmöglichkeit.
Die packte Tatsache ist einfach diese, daß
heute Italien Frankiert, den Rang ab
gekausen. daß die Bevölkerung Italiens
größer ist als die Frankreichs. Kommt
noch hinzu, daß Italien durch seine neuen
Erenzen so notürlich geschützt ist, daß ,j
fast unangreifbar ist, während Ut Rhein
immer deutsch sprechen wird, weil er ein
deutscher Fluß ,', die Bevölkerung
am Rhein zine fiassifä sein, er ist ein ,
Kuropce.
deutscher Fluß und die Bevölkerungen
an beiden Ufern ist eine rein, deutsche.
Im Kriegsfalle wird sich die französisch
Rheinwache im Feindesland befinden.
Und da der Rhein aus rein ethnischen
Gründen keine natürliche Grenzlinie
Frankreichs sein kann, ist die strategische
Grenze Frankreichs Im Fall: einer Krisis
nicht besser als Im Jahre 1914, und in
jedem Falle nicht besser als im Jahre
1870. Diese Grenze erfordert die Er
Haltung einer großen Armee, während
die heutige italienische mil einer kleinen
Armee geschützt werden kann. Die neue
französische Grenzlinie mackt die Ent
stehung einer deutschen Jrredenta unver
weidlich, weil sie gegen jede ethnische
Ordnung ist, während si. italienische
Grenze keinerlei irrcdentistische Bcwc
gung hervorzurufen braucht. Italien
Ist als die kleinste europäische Großmacht
in den Krieg getreten und tritt aus ihm
als die stärkste kontinentale und als die
stärkste romanische Großmacht hervor.
Dabei hat Italien nicht den sechsten Teil
der französischen Verluste erlitten. Also
dafür,, daß Frankreich so furchtbar geblu
tct, tritt es ans dem Kricg als die zweite
romanische Großmacht hervor, während
Italien, das relativ wenig gelitten, als
die sllhrende romanische und stärkste
kontinentale Macht aus dem Krieg her
vorgeht. Könmn die stolzen und selbst
bewußten Franzosen eine solche Ent
Wickelung ohn Protest hinnehmen. Wllr
den es die Germanen tun? Sicherlich
nicht. Also wer kann da Frankreich der
argen, daß es nach so vielem Leiden und
Bluten mindestens nicht geschwächter aus
dem Kricg hervorgehen möchte? Es hat
aber auf der andern Seite soviel im
Verlaufe des Krieges eingebüßt, daß es
eben verblutet und geschwächt das
Schlachtfeld verlaßt und um sich von
Italien den Rang doch nicht ablaufen zu
lassen, greift es zum alten Mittel zu
Krücken. Elsaß, Lothringen, das Saar
gebiet, die französischen Vorposten im
Osten und im Südosten Europas sind
nur Krücken, mit deren Hülfe Frankreich
sich in seiner früheren Position halten
will. Also an deutschen und italicni
schen Zahlen entzündet sich das Problem
des französischen Imperialismus".
Es muß ferner in Betracht gezogen
werden, daß auch große Summen fran
zösischen Geldes, in Rußland investiert,
Frankreich geradezu zwingen, eine ost
europäische Politik zu verfolgen, die die
permanente, Einkreisunq Deutschlands
zur Folge haben. Rußland schuldet
Frankreich zweinndzwanzig Milliarden
Francs. Rußland kann die Schuld nicht
bezahlen, weil die russischen Finanzen
einfach heute die möglichst schlechtesten
sind. Zudem haben die Bolschewik! die
auswärtige russische Staatsschuld repu
diiert, und wir wissen aus Erfahrung,
daß wenn ein Staat einmal eine Schuld
rcpudiicrt, selbst wenn dies durch eine
rebellische und nicht anerkannte Regie
rung geschieht, der Akt der Repudiation
zu Recht bestehen bleibt, weil die nachsol
gendk Regierung immer nur zu froh ist,
großen finanziellen Pflichten enthoben zu
sein. Denken wir uns, daß die Bolschc
wiki heute gestürzt werden und morgen
eine liberal-bürgerliche oder eine ' ge
maßigt-sozialistische Regierung zur
Macht gelangt. Sie sinket die Staats
lassen leer und muß große Summen für
den Staatshaushalt aufbringen. Kann
sich da jemand denken, daß sie die Zah
lung der bereits repudiiertcn Schuld
verlautbaren wird? Werden die verarm
tcn russischen Bauern ihre letzten Gro
scherz an Steuern hergeben, damit sie nach
Frankreich wandern, während in Ruß
land die Not so groß ist? Hat die fran
zösische Juli-Monarchie di von der
französischen Revolution rcpudiierte
Staatsschuld gedeckt? Frankreich weih
also sehr wohl, daß Rußland die Mil
liarden nicht zurückzahlen wird, einfach
weil eS nichts kann, aber die französischen
Milliarden in Rußland stellen einen be
trächtlichen Teil deZ französischen Ratio
nal-Vermögens dar. Wenn Frankreich
inen Teil von dem ii dc". Krieg inve
stierten Gelde und die russischen Milliar
den nicht eintreiben kann, steht eS vor
dem finanziellen Ruin. Das heutige
französische Budget beläust sich auf acht
zehn Milliarden Frana,, also auf das
Vierfache des ante-bellum Budgets. Im
günstigsten Falle kann der französische
Fiskus sieben Milliarden auftrciben.
Also wo nimmt Frankreich die andern
elf Milliarden her? In Teutschland
und O Ihr Götter! in Po.:n. Die pol
nischen Führer haben in Paris verspro
chen, daß Polen die russischen Milliarden
zahlen werden. Aber wie kann das
arme, ruinierte Polen diese vielen Mil
liarden aufbringen? Polen kann eS
nicht, aber wenn Polen Schlesien, Ost
und Westpreußen und Po,en, einen Teil
der Ukraine, einen Teil Weiß-Rußlands
und Lithauen kriegt, dann vielleicht?
Um Polen zahlungsfähig zu machen,
muß eS ein Groß-Polen werden. Daher
der Wunsch Frankreichs. Polen so groß
all möglich zu machen. Aber dieses
Groß-Polen ist nicht vereinbar mit dem
Rech! der nationalen Selbstbestimmung,
denn die Bew.hner deZ ..tlicivi Teutsch
land!, Lithauens, Weißrußlands und
der Ukrainia wollen bestimmt nicht unter
polnischer Herrschaft leben. WaS soll
als Wilson tun? Frankreich finanziell
zu Grund gehen lassen oder aus die
Ctipulation de TelbstbesiimmunoS
rechts der Völker verzichten? Er hat sich,
wahrscheinlich der Not gehorchend, für
dai letztere entschieden, und so ist auS
der idealen Politik de Selbstbkstim
mungsrechtS der Völker ein bloßer
Traum geworden.
Tie Franzosen wissen heute, daß
Deutschland für Jahre hinauZ mililä
nsch ohnmächtig ist" und brauchen vor
Deutschland Um Angst zu haben. Also
wozu die Allianz mit Vea. die die
Skizze
Der Herbstwind jagte draußen die
Blätter von den Bäumen. Die Saison
dek kleinen Badeortes war vorüber, nur
noch wenige Sommergäste waren in den
Hotels und Pensionaten zurückgeblieben.
Die herbstliche Stille hatte daS leb
hafte Treiben der Hunderte und Tau
sende abgelöst, die sich während der Sai
fonmonate In der beliebten Sommer
frische getummelt hatten. Die Angestcll
tcn des Hotel! dachten bereits an die
Abreise und den Antritt der Stellungen,
die sie sich für den Winter besorgt hat
ten.
In dem Kroßen Speisesaal deS Ho
tels .Bcllevue' dunkelte es bereits, und
der einzige Kellner, der noch servierte,
knipste das elektrische Licht an.
Er sah fast vorwurfsvoll nach dem
großen blondbärtigen Mann mit dem
eigentümlich braunen Gesicht, der jetzt
den Speiscsaal betrat und an einem der
Tische Platz nahm. Dieser Gast war
auch ein Saisonspätling, der erst am
Bormittag im Hotel eingetroffen war;
anscheinend ein Sonderling, der die
nächsten Wochen hier in Einsamkeit der
bringen wollt.
Der Gast beorderte eine Flasche Wein
und wählte ein Gericht von der Speise
karte. Während der Kellner hinaus
ging, um die Bestellung auszuführen,
setzte sich der Gast an das Fenster und
sah draußen dem Tanz der vom Wind
herumgewirbelten gelben und braunen
Blätter zu. Es lag etwas in der Natur
draußen wie Scheiden und Vergehen.
Wenn aber solche sentimentalen Gedan
ken den Fremden etwa bewegt hatten, so
schüttelte er sie jetzt mit Gewalt ab. Er
nahm eine Zeitung und sctzte sich so, daß
er genügend Licht zur Lektüre hatte.
Der Kellner brachte die Flasche Wein,
und der Gast dankte mit einem Kopf
nicken. Als dann der Kellner nach der
Küche ging, war eS in dem weiten
Speisesaal unheimlich still. Man hörte
ein paar verspätete Fliegen summen und
das feierliche Ticken der Regulatoruhr.
die in den letzten Wochen hier so viele
heitere Stunden sür die Gäste angezeigt
hatte.
Eine der doppelfliigeligen Schwing
tiiren, die nach der Gartenterasse hinaus
führten, wurde geöffnet, und das Knar
rcn erweckte die Aufmerksamkeit des Ga
stcs. Ein kleines, vier- bis fünfjähriges
Mädchen, ganz in Weiß gekleidet, mit
einer riesigen Puppe auf dem Arm, be
trat den Speisesaal. Die Kleine sah
sich neugierig um und kam dann nicht
direkt, aber mit kleinen Umwegen auf
den einsamen Gast zu. Das Kind war
ein allerliebstes, gesund aussehendes,
pausbäckiges Geschöpf mit' langen blon
den Locken, dunkelblauen Augen und
einem Stumpfnäschen. Kleine weiße
Mausezähne wurden zwischen den halb
geöffneten roten Lippen sichtbar. Die
Kleine bot ein Bild von Gesundheit und
kindlicher Grazie.
Sie nickte dem Gast zu, und dieser er
widerte freundlich den Gruß. Dann
kam die Kleine heran und gab dem
Fremden ohne Zögern die Hand. Nach
dieser zwanglosen Begrüßung hob sie die
Kleiderröcke der Puppe in die Höhe und
sagte: Sie hat einen seidenen Unter
rock."
Den Fremden schien diese Bemerkung
unaemein zu interessieren. Er faßte
prüfend den Stoff mit Daumen und
Zeigefinger und anwortete: Es ist
wirklich Seide."
Darauf streifte die Kleine eilig ihre
eigenen Kleider zurück und zeigte mit
den Worten: Ich habe auch einen seide
nen Unterrock," dem Fremden dieses in
time Kleidungsstück.
Sehr iniercssant!" meinte der Gast,
wie es schien, nicht wenig belustigt über
die drollige Zutraulichkcit der Kleinen.
russische Allianz ersetzen soll? Die Ant
wort ist eine einfache. Frankreich will
und braucht keine militärische Hilse Po
lens, weil Deutschland militärisch gebro
chen ist. Polen will nur dann die russi
schen Milliarden 'an Frankreich zurück
zahlen, wenn es seiner imperialistischen
Lust Genüge tun darf und sagt daher zu
Frankreich: Laß mich ein Grvß-Polen
werden und ich zahle die Milliarden.
Frankreich sieht auch ein, daß nur ein
Groß-Polen die Milliarden zahlen kann,
und ist mehr als einverstanden, daß Po
len ein Groß-Polen werde. Aber ein
Groß-Polcn kann in erster Reihe auf
Kosten Deutschlands ezistieren. Deutsch
land ist nicht mehr in der Lage im We
sten zu kämpfen, wohl aber kann eS sich
schnell genug erholen, um seine Stcl
lung im Osten wiederzugewinnen. Min
bestens halten es Franzosen und Polen
für möglich. Also um Groß-Polen
Dauer und Existenz zu sichern, um einem
polnisch-deutschen Konflikt vorzubeugen,
schließt Frankreich mit Polen eine Al
lianz, nicht daß polnische Divisionen
Frankreich helfen, sondern umgekehrt.
Bom Gesichtspunkte der französischen
Interessen ist diese politische Rechnung
eine richtige. Wenn ein GroßPolen
die russischen Milliarden zahlen will,
dann soll ein Groß-Polen entstehen, und
wenn eS auf Kosten Deutschlands sein
muß, dann soll Groß-Polen französi
scher Hülfe sicher sein. Aber ist diese
Rechnung vom Gesichtspunkt der ost
europäischen Wirklichkeit eine richtige?
Deckt sich die französische Kalkulation
und Theorie mit der polnischen Praxis.
Tie Beantwortung dieser Frage allein
kann unS darüber Gewißheit biingen, ob
der von französischen Interessen diktierte
Frieden ein für Frankreich guter oder
sckilechter Frieden ist. Wenn der Friede
für Frankreich kein guter ist, 'isi er sür
Deutschland gewiß kein guter. Aber hier
ist gar nicht die Frage von Deutschland,
das ich in diesem Zusammenhang ab
sichtlich außer Acht lasse ünd die Frage
vorläufig nur bom Gesichtspunkte der
französischen Interessen nd Gesichts
Punkt betrachten will.
Auf diese wichtige ffrage komme ,ch im
weite Teil dieser Abbadluna üiriil
Milde.
von Zl. Oskar Rlaubmann."
Mein Mama hat sechs seidene Un
terröcke," erklärte daS Kind.
Außerordentlich interessant! Und der
Papa?"
.Der Papa ist beim lieben Gott, der
ist tot, weißt du? Vorgestern waren eS
zwei Jahre, daß er gestorben ist. Die
Mama ist oben und weint. Ich bin ihr
fortgelaufen, das Weinen ist so langwei,
lig."
Da hast du recht, mein Kind, man
muß das Leben von der lustigen Seite
nehmen.
Die Kleine nickte, obgleich sie die letz
ten Worte wohl kaum verstanden hatte.
Der Kellner erschien und brachte die de
stellten Speisen.
.Sieh da, Hilde," sagte er, bist du
auch wieder da? Mama wird dich gewiß
wieder überall fuchkn.
Hilde schüttelte den Kopf und trat
naher an den Tisch, um neugierig die
aufgetragenen Speisen zu mustern,
Was ist das?" fragte sie.
Wiener Schnitzel." erklärte der Gast,
.DaS esse ich sehr gern," meinte Hilde.
Willst du mitesscnZ"
.Ach ja."
Kellner noch ein Besteck für die junge
Dame.
Der Kellner, amüsiert von der Art
und Weise, wie sich die kleine Hilde bei
dem Gast anfreundete, ging lächelnd da
von und brachte für Hilde 'ein hohe!
Polster, das ihr ermöglichte, bequem am
Tisch zu sitzen, sowie Teller. Serviette
und Eßgcräte.
Hilde nahm die Serviette und sagte
zu dem Gast: .Du mußt sie mir um
binden und hinten zwei lange Ohren
machen, weißt du, daß ich aussehe wie
ein kleiner. Esel."
.Soll besorgt werden," meinte der
Fremde belustigt und band dem Kind
die Serviette um. ,
Hilde schien sich darüber sehr zu amll
sieren, aber sie verlangte nach ihrer
Puppe, die unterdes auf dem Boden
sitzengeblieben war.
Sie muß mitessen," erklärte das Kind
bestimmt.
Selbstverständlich," entgegnete der
Fremde und sctzte die Puppe auf den
Tisch.
Kellner, geben Sie der Puppe auch
einen kleinen Teller."
Mit dem gleichen Lächeln wie vorhin
holte der Kellner einen Kompotteller her
bei und sctzte ihn vor der Puppe nieder.
Der Gast schnitt ein großes Stück von
dem Wiener Schnitzel ab und legte es
auf Hildens Teller.
Nun gib der Puppe etwas ab, und
wir wollen essen."
Hilde schnitt ein winziges Stückchen
von ihrem Anteil ob und legte es auf
den Teller der Puppe.
Sie darf sich den Magen nicht ver
derben," meinte das Kind, sie wird
sonst krank und mutz Medizin nehmen.
Du, Medizin schmeckt scheußlich, nicht
wahr?"
Selbstverständlich, Medizin ist kein
Vergnügen."
Hilde ergriff ihr Weinglas und hielt
es dem Gastgeber hin. .Prost!" sagte
sie.
Prost!" klang die Antwort des
Fremden; schmeckt es dir?"
Sehr gut. Wie heißt du denn?"
Ich heiße Alfred."
Hilde ergriff wieder ihr Glas und
sagte: Prost, Alfred!"
Der Fremde lachte laut auf, und der
Kellner erlaubte sich im Hintergrund
ebenfalls vornehmlich zu kichern.
..Wie heißt du noch?" fragte Hilde
weiter, ohne jedoch dabei das Essen zu
vergessen.
.Rumpelstilzchen."
O du Lügenbart!" rief Hilde, das
ist ja gar nicht wahr, Rumpelstilzchen,
das ist ja der Mann au! dem Märchen"
und sofort begann sie höchst drollig
zu singen:
Sich wie ct, fcnft niemand weiß,
Tb ich Numpclliilzchcn heib,"
.Ich bin auch nicht der Mann aus
dem Märchen," sagte Alfred, sondern
ich bin der Sohn von ihm."
Hilde lachte so lange und so lustig,
dnß Alfred mitlachen mußte. Du bist
gut!" rief Hilde, du kannst aber einmal
lügen. Weißt du, ich heiße mit Zu
namen Schrader, so wie mein Papa
hieß; und wie heißt du?"
.Ich heiße Weber."
Siehst du, was du für ein Lügen
bart bist! Erst sagst du. du heißt Rum
pelstilzchen."
.Ich wollte mir nur einen Spaß mit
dir machen."
.Du bist gut. prost!" sagte Hilde.
.Nun wollen wir noch etwas essen,"
sagte Alfred Weber, etwas SüßcS,
nicht wahr?"
Hilde klatschte in die Hände und sagte:
Pudding, weißt du, mit Vanillesauce,
das schmeckt gut.''
Kellner, haben Sie Pudding mit Va
nillesauce?"
.Jawohl."
Bringen Sie unS zwei Portionen."
.Wohnst du immer hier?" sragte We
her, um die Pause, bis die süße Speise
nafi &l VmiivV, a i2 ii Ulfs am I
yiuiuuji iuuiui, uu30Uuuiu. 5
Hilde schüttelte den Kopf. .Nein, wir
wohnen weit weg, in Hannover! Weißt
du, wo das ist?"
.Jawohl, ich bin schon dort gewesen,"
meinte Weber.
.Und wir sind nur hierhergekommen,
weil der Papa Hier begraben liegt, und
da muß alle Jahre die Mama auf fein
Grab und muß einen Kranz hinlegen
und sehr viel weinen. Möchtest du eine
Witwe sein?"
.Ich kann nicht sagen, daß ich Net
gung dazu hätte," meinte Alfred Weber.
.ES ist , scheußlich." erklärte Hilde.
.Mama hat ganz rote Augen vom Wei
nen, und dann sieht sie gar nicht hübsch
aus, und Großmama sagt immer, Mama
soll nicht so viel weinen, und sie muß
wieder heiraten. Sie ist viel zu jung,
als daß sie ihr Leben vertrauern sollte.
So sagt Großmama. . Hat sie nicht
recht V.
Ganz gewiß, daran ist gar nicht zu
zweifeln," antwortete Alfred Weber.
.Hast du eine Frau und Kinder?"
.Nein."
.Warum denn nicht?"
Mein liebes Kind, ich bin lange fort
gewesen. Zch war in Asien. Weißt du,
wo da ist?"
.Ja, ganz weit," meinte Hilde.
Was hast du denn dort gemacht?"
Ich habe dort Eisenbahnen gebaut
und Häßcn. Ich bin Ingenieur."
Das war mein Papa auch."
Wie? Dein Papa war Ingenieur?
Und wie hieß denn dein Papa? Wart
mal, du sagtest es ja schon: er hieß
Schrader. Wie hieß er denn mit Bor
namen?"
Emil hieß er, aber Mama sagte im
wer Mile zu ihm, weißt du."
Ich habe deinen Papa gekannt," er
klärte Weber, ich habe ihn sogar sehr
gut gekannt, und ich hatte keine Ahnung
davon, daß er tot ist. Nun freut es
mich erst recht, seine Tochter kennen zu
lernen.
Prost!" erklärte Hilde energisch und
stieß wieder mit ihrem Glas an.
Der Kellner brachte die beiden Por
tionen Pudding, und Hilde machte sich
euria über die fuße Speise her. E
schmeckte ihr so ausgezeichnet, daß sie
eine kleine Eßpause machte, Weber sehr
liebenswürdig ansah und endlich erklärte:
Ich habe dich lieb, du bist eine famose
Unke.'
Das Wort hast du von deinem
Papa," meinte Weber, der sagte auch
immer ..famose Unke.
Hilde nickte energisch mit dem Kopf.
.Ja, das sagte er immer. Aber du bist
wirklich ein famoser Kerl. Dich habe
ich sehr lieb, und ich werde immer mit
dir zusammen essen."
Das ist außerordentlich freundlich
von dir, liebe Hilde." meinte Weber,
und ich will es als Glück betrachten,
daß ich mir deine Zuneigung erworben
habe, nachdem ich erst seit wenigen Ta
gen wieder in der Heimat bin."
Hilde nickte eifrig mit dem Kopf und
sagte: Ich werde immer mit dir essen,
zum Frühstück, zum Mittag und zum
Abendbrot."
Sehr angenehm," fagteWcber, wenn
schon, denn schon. Wenn man erst zu
sammen ißt, dann immer."
Der Kellner, der draußen war, hatte
vor der Tür, die nach dem Korridor
führte, eine Unterredung mit irgend
einer Dame, deren Stimme aufgeregt
klang.
Der Kellner stieß die Tür auf, und
es trat eine schlanke, jugendliche Frau
von stattlicher, voller Figur, schwarz ge
kleidet, in das Zimmer.
Aber Hilde!" rief die Frau, die
kaum am Ende der Zwanziger stehen
konnte. Aber Hilde, was machst du
hisi? Mein Herr, ich mutz Sie drin
gmd um Entschuldigung bitten, wenn
die Kleine Sie belästigt."
Mama, komm und setz dich hier,"
rief Hilde, er ist eine famose Unke, und
ich esse immer mit ihm zusammen, zum
Frühstück, zum Mittag und zum
Abendbrot."
Weber war ausgestanden und ging der
sehr verlegen dreinblickenden Dame ent
gegen.
Ich habe die Bekanntschaft Ihrer
Fräulein Tochter gemacht, und wie Sie
sehen, ist es mir gelungen, mir das Ver
trauen der Kleinen zu erwerben. Ge
stakten Sie. daß ich mich Ihnen vor
stelle: mein Name ist Alfred Weber.
Wenn ich nicht sehr irre, bin ich ein
Freund Ihres verstorbenen Gatten. Ich
war mit Emil Schrader zusammen auf
dem Polytechnikum in München und
vannover. Ich, bin lange Satire im
Osten gewesen und erst seit gestern nach
der Heimat zurückgekehrt. Ich erfahre
von Ihrer Tochter den Tod meines Ju
gendsreundes." Wie war doch Ihr Name?" sragre
Frau Schrader.
Alfred Weber, Ingenieur.
.Ick, erinnere mich. Ihren Namen von
meinem verstorbenen Mann wiederholt
gehört zu haben."
Dann darf ich woyl, gnädige tfrau,
mich bei Ihnen als alten Bekannten ein
führen und Sie bitten, der lieben Hilde
keine Vorwürfe zu machen, die mich
ausgezeichnet unterhalten hat. Darf ich
Sie bitten, bei uns Platz zu nehmen?"
Weber schob Frau Schrader einen
Stuhl zurecht, und diese nahm Platz.
.Er ist eine famose Unke," wieder
holte Hilde, .wir haben Pudding mit
Vanillesauce gegessen. Wenn du früher
gekommen warst. Mama, hatte dir der
Onkel auch was abgegeben."
Frau Schrader wollte Hilde gleich mit
i nehmen, ober diese erhob energisch
Protest, und Weber bat so sehr, die
Kleine noch bei ihm zu lassen, daß Frau
Schrader nachgeben mußte. Sie war ja
auch genötigt, etwas zum Abendbrot zu
genießen, und das tat sie nun n Gegen
wart Webers und der Tochter. Man
plauderte über die gemeinsamen Be
kannten, die man besah, und anderthalb
Stunden verflogen außerordentlich rasch.
Dann drängte aber Frau Schrader dar
aus, daß Hilde zur Ruhe ginge.
Hilde versicherte nochmals dem Onkel,
daß sie von jetzt ab täglich mit ihm zu
sammen essen würde, und gab ihm einen
herzhaften Kuß. Tann mußte Weber
auch die Puppe küssen, lind schließlich
kommandierte Hilde: Die Mama auch
küssen!"
Weber begnügte sich natürlich mit
einem Handkuß und sagte der Witwe
Auf Wiedersehen."
Noch an der Tür drehte sich Hilde um
und erklärte: .Ich werde immer mit dir
essen, zum Frühstück, zum Mittag und
zum Abendbrot."
Man behauptet, Kinder und Narren
sprächen die Wahrheit. Bei Hilde traf
dies wenigstens insofern zu, als am
nächsten Tag in der Tat Frau Schrader
mit ihrem Töchterchen und Weber ge
meinsam alle Mahlzeiten einnahmen.
Hilde bestand darauf, und weder die
Mutter noch Weber konnten Protest er ,
heben, weil diel verletzend für die ans
der, Partei gewesen wäre. Sie schie
nen auch gar nicht die Absicht de? Pro
testel zu haben.
ES war nur natürlich, daß man auch
am Nachmittag einen gemeinsamen Cpa
ziergang machte. Hilde ging zwischen
der Mutter und dem neu gewonnenen
Onkel, ließ sich zeitweise von ihnen n
den Händen hochheben und strecken
tragen, sorgte durch ihren drolligen Hu
mor für Abwechslung und bildete so
eine Brücke der Verständigung zwischen
Mutter und Onkel.
Dieses Programm deS ersten Tage!
wurde auch an den nächsten drei Tagen
innegehalten.
Dann wollte Frau Schrader .eigent
lich' mit Hilde abreisen; aber daS Kind
hing bereit mit solcher Zärtlichkeit an
dem neuen Onkcl. daß es grausam ge
wcsen wäre, eS schon von ihm zu tren
nen. DaS Wetter war auch sehr schön
geworden, es gab einen so prächtigen
herbstlichen Nachsommer, daß Frau
Schrader gern noch eine Woche zugab.
Wcber hatt ohnehin die Absicht ge
hadt, in dem linden Klima der thiiringi.
schen Sommerfrische den Uebergang zum
europäischen Aufenthalt, nach dem lan
gen Verweilen in dem heißen asiatischen
Osten, sich vollziehen zu lassen.
Es verging abermals eine Woche in
angenehmem Zusammensein, ja sogar in
Fröhlichkeit.
Die dritte Woche brach! eine Ver
änderung, sowohl bei Frau Schrader
wie bei Weber, eine Veränderung, die
der klugen Hilde nicht entging.
Mutter und Onkcl wurden nämlich
eigentümlich schweigsam und schienen die
Sprache verloren zu haben, wenn sie zu
sammen mit ihr Epaziergänge machten.
Hilde sühlte mit dem seinen Instinkt
des Kindes, daß sie etwas tun mußte,
um ihre beiden erwachsenen Begleiter
anzuregen und zu erheitern; aber ihr
Programm war natürlich gering und
bald erschöpft. ,
Drei Wochen deS Zusammenlebens
waren vergangen, als nachmittags Hilde
wieder mit Mutter und Onkcl den üb
lichen Spaziergang machte. Auf dem
beliebtesten Aussichtspunkt stand eine
Bank, auf der man fast jedesmal nach
mittags gesessen hatte. Der Ausblick .
hinunter in das Tal und auf die gegen
überliegenden Höhen war köstlich.
Hilde saß zwischen dem Onkel und
der Mutter und blickte erstaunt von dem
einen zum andern.
Mama hatte Tränen in den Auugen,
und der Onkel sah so ernst, so finster
drein, als beabsichtigte er, etwas FUrch
terliches zu begehen. Hilde mußte irgend
etwas sagen, um die großen Leute zu
einer Unterhaltung zu bringen.
Weißt du, Onkel," begann sie,
Mama träumt jetzt jede Nacht von dir.
Ich höre sie nachts immer sprechen, und
heute nacht hat sie gesagt: .Mein lieber,
lieber Alfred, er war ja dein Freund." .
Im' nächsten Augenblick schrak Hilde
aber doch, glitt ängstlich von der Bank
herunter und suchte Schutz hinter dem
guten Onkel. Die Mutter war susge
sprungen, sie schien ganz außer sich zu
sein vor Aufregung und Verlegenheit.
Hilde verbarg ängstlich ihr Gesicht in
dem Rockschoß deS Onkels. Deshalb sah
sie nicht, wie der Onkcl plötzlich seinen
Arm um' die Taille der Mutter legte
und diese sanft zur Bank herniederzog:
Er war mein Freund, und ich werde
dem Kind ein Vater und dir in treuer,
liebevoller Gatte sein."
Hilde wartete ängstlich auf irgend,
einen Zornesausbruch der Mama. Als
aber die unheimliche Stille anhielt,
sireckte sie schüchtern daS Köpfchen hinter
dem Rockschoß deS OnkelS hervor und
sah zu ihrem Erstaunen, daß die Mama
ihren Kopf an die Brust des OnkelS ge
legt hatte, daß Mama weinte, und daß
der Onkel ihr die Tränen aus den
Augen küßte, aber aucb nicht vergaß,
dem Mund der Mutter recht herzhafte
Küsse aufzudrücken. DaS kam Hilde fs
fürchterlich komisch vor, daß sie laut zu
lachen begann.
Die Mama sagte sehr ernst: .Du bist
ein abscheuliches Kind, Hilde."
Aber der Onkel erklärte auffallenti
feierlich: Nun, meine liebe Hilde, wr
den wir immer zusammen essen, mor
gens, mittags und abends."
Einem Wilzling.
Frech thronst Du auf dem krit'schen Sitz,
Umgibt Dich mit der Weisheit Schein,
Und bist ein Sklave Deiner Witze.
Statt Deines WitzeS Herr zu fein.
Ein guter Kerl. .
Prinzipal: WaS, Sie molestieren
mich schon wieder, trotzdem ich Sie vor
drei Jahren hinausgeworfen habe!"
Agent: .Großartig. waS Se for t'
Gedächtnis haben!"
Unnahbar.
Diener: .Ein Journalist wünscht den
Herrn Baron zu interviewen!"
Gesandter: Und Du sagtest ihm
nicht, ich sei heiser?"
Diener: .Jawohl, aber r will nu
Fragen vorlegen, worauf der Herr La
ron einfach nin oder den Kopf schüt
teln können!"
Gesandter: .Dann sag' ihm doch,
daß ich einen steiscn HalS habe!"
Trost.
Während eineS Gewitter? schlug bei
Blitz in den Stall eine! Gutsbesitzer!
und tötete ein Pferd und drei Kühe. Da
tröstet ihn sein Nachbar mit folgenden
Worten: .ES ist freilich ein großes Un
glück, das Sie getroffen, aber et ist
doch auch wieder ein Glück dabei! Denke
Sie sich, wie traurig wäre ei erst gcwe
sen, wenn der Stall Ihr Wohnhaus.
das Roß Ihr Herr Sohn und die drei
Kühe Ihr Fräulein Töchter wären!" ,
Hciratöantrag.
Junger, gut situierter Man wünscht
sich zu verheiraten. ES wird rnehr uf
gute Behandlung als aas Vermöge gi
lehrn.