Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, May 16, 1919, Image 2

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    Vlglliht ?m?e
'' y"32r
IHilitärifcfjc und politische Erwägungen. Die
Grcnzregulicrung in West und Ost. Vrock
dorffs Berufung auf die Völkerliga. Clemen
aus wort von End- und Weltgültigkeit."
Eine neue Weltkombination. Lloyd George
und der Vertrag. Deutschlands kateaorische
Pflicht. Die Punkte.
von R. R. von Ibellenwitt.
'an wird die Besprechung
und Bewertung des von
d Pariser Friedenskon-
terenz fcftge stellten Ent
wurfes" für den Friedensvertrag mit
Deutschland in einen doppelten Gesichts-,
Winkel einstellen müssen. Der eine ist
zurück-, der andere ausschauend. Ans
' der Rückschau ergibt sich die Tatsache.
daß Deutschland der im Kriege, unter-
; leget Teil ist., Ter Ausblick in die
Zukunft .wird die Frage gn den. Ver-
, nagemtrrarf stellen müssen, ob er in
sianSe ist. eine Grundlage zu schaffen.
ans- welcher die Sicherung der Weltzu
kunft durch die Stabilisierung der SBelt
, derhältniffe und die Gewährleistung der
; Tauer dcj Friedens aufgebaut werden
.- kann. '
In der Ansprache, mit welcher der
sranzostiche uinmsterpraildent am ver
gangenen Mittwoch der deutschen Ab
dnung in Versailles das Dokument bei
Vertrage übermittelt hat, hat Herr Cw
menceau die Redewendung enD- und
. wettgültig' gebraucht. Auch das ist ein
großes Wort gelassen ausgesprochen.
denn das wirklich weltgultige Wort wird
erst die Wettgeschichte sagen. AlZ end
und weltaiiltig wird der Bertrag er
steinen, falls seine Bestimmungen und
; deren Durchführung , endgültig mit der
Zeit , aufräumen, deren vergiftetem
Schoß sich daS Monstrum des Weltkrie
cis entbunden hat. Weltgültig wird die
Liga der Nationen sein, falls sie ihre
Aufgabe füllt, dem Frieden die Tauer
zu gewährleisten.
Graf Brockdorff-Rantzau, das Haupt
der deutschen Friedensabordnung, hat in
seiner Beantwortung der Ansprache Cle
menceaus gesagt: .Wir geben uns über
die Größe unserer Niederlage und das
vollständige Schwinden unserer Macht
leinen Illusionen hin. Wir wissen, daß
die Stärke der deutschen Armee gebro
chen ist." Heute weiß man, daß die mili
: täusche Aussichtslosigkeit mehr noch als
rie Hungerlage in Deutschland zu dem
Änerdieten des Waffenstillstands seitens
: Deutschlands geführt hat. Mag weiß
auch, daß diese Auksichtslosigkeit zusam
inen mit der drohenden Verelendung des
VolkcS den politischen Umschwung in
Deutschland herbeigeführt hat. Die
deutschen Männer, welche bor die furcht
dare Alternative gestellt sind, ob sie den
Vertrag unterzeichnen oder ablehnen sol
l::i, werden , von der Eeschichie einmal
mit der Verantwortung dafür, belastet
. werden, ob sie durch die Unterzeichnung
oder durch die Weigerung ihr Volk vor
der Verelendung, daZ heißt dem Unter
gang, behütet oder diesen heraufbeschwo
ren haben. Der Standpunkt, daß es für
Deutschland ganz gleichgültig sei. ob es
den Vertrag unterzeichne oder verwerfe,
iveil seine Lage in beiden Fällen die
gleiche Verelendung sei, kann keine Gül
tigkeit haben, den er spricht Deutsch,
lirnd jede Entwicklungsmöglichkeit und
jese Kraft, sich aus der heutigen Not
wieder zu erheben, ab. Er negiert die
gesamte bisherige deutsche Geschichte. In
dem Graf Brockdorff die Größe der Nie
dnlage zugibt, konzediert er auch dem
Sieger das Recht auf die Beute. Aber
die Notlage Deutschlands ist heute eine
derartige, wie sie die Weltgeschichte kaum
je auszuweisen hatte, weil ein Volk von
tiS Millionen Seelen in der ganzes Welt
leinen Freund hat. welcher ihm in seiner
Not beispringcn könnte. Aus dieser Lage
erzibt sich ober nicht eine Rechtfertigung
der Verzweiflung, sondern für das deut
sche Volk die kategorische Pflicht, die ihm
gelassenen Kräfte , bis zur äußersten
Cnergieentfaltung anzuspannen. Reichen
diese Kräfte auch nur für die Möglich
kett des Wiederaufbaues, auf welche
Deutschland besteht, nicht aus. so aller
dngI würde ein Zusammenbruch erfol
si'N, welcher an der nunmehr in dem vor
liegenden Vertragsentwurf um viele!
enger gezogenen deutschen Grenzen nicht
$-J.t machen dürfte. Sollte solche Mög
l'chkeit auch, den kommenden Ezneratio
vn genommen sein, dann wäre auch die
nächste Zeit geschwängert' mit den Gif
itn. deren Pfuhl die Kriegskatsstrophe
cn! stiegen ist.
Eräf Lrockdorff hat gesagt:' .Ein
Frieden, welcher sich im Namen des
Si:ch3 nicht verteidigen laßt, ruft im
, mer neuen Widerstand gegen ihn selbst
Terror. Niemand wird imstande fein,
vn mit gutem Gewissen zu untcrzeich
nen, denn seine Durchführung würde
eine Unmöglichkeit sein. Niemand
könnte die Gewährleistung seiner Aus j
frung, feie doch in der Unterschrift j
I ',:?n soll, aus sich nehmen." Aber der
Qfvin der deutschen Friedensabord i
r.rj bekennt sich auch zu dem .erHabe
Ki'zznk'n, der seiner schrecklichste
Heimsuchung in " der - 'Geschichte der
5.'.'ef45eit entsprungen ist, der der Vgl
hxm In ihr sei der größte Fort
schütt der Menschheit, zum Ausdruck ge
1mmtn und dieser Fortschritt werde
sich st!?'? Weg izhnen, falls die Tore
itr LWrzemelnschsst allen geöffnet
t .:::.
Die LJlkerkig, wird ine schwere Auf
(;bt zu erfüllen baSea, will sie die ihr
:ksts?tk Lösung aller der in der
ZiZiit g'hliebenkn Preilwe vorneh,
rn n-. Tei? der dorliegerde Entwurf
hl ::??rä2ntrng'f ist nicht imstande.
ht Vt;k'-:.'ifft zutiabilisienn. Mit den
v tUn stk.stk. wich in dem Vertrag
f-"Z-':;tUi stt?j ex töensttiek Wech.
f;I e::j t'.va ukmtjt au, eiche ganz
CTr
rieden von
von Unsicherheit und Ungewißheit ange
füllt ist. Mit tat Belastung kommen
der Generationen ist ei wie mit der
Vergeltungs-Androhung bis ins dritte
und vierte Glied, welche 'längst durch
"die Vergebungsbotschaft beseitigt ist.
Kt,llt h'rr Sin?sr1ii nntfi bm 5MiNii
Wilsons und der Meinung Brockdorsss,
wirklich, den , größten Fortschritt in der
Mcnschheitsentmicklung dar, ist sie der er
babene Gedanke, welcher dieser schreck
lichsten Heimsuchung in der Geschichte der
Menschheit entsprungen ist, so wird sie
Front machen gegen den Gedanken der
Belastung kommender Generationen, Der
Hungerkrieg hat Hunderttausende von
Neugeborenen dahingerafft. Der Friede
wird sich nicht an noch Ungeborenen
rächen. Es wird dem deutschen Volk
nicht die Möglichkeit genommen sein,
sich an den Kräften, welche ihm gelassen
sind, wieder emporzuarbeiten. Auch
ihm wird die neue Zeit das Recht auf
Arbeit nicht vorenthalten, oder es wird
keine neue Zeit sein und die alte mit
ihren Katastrophen andauern.
Heute macht der Sieger das ihm von
allen Zeiten gewährleistete Recht auf die
Beute geltend. Die Gebietsfragen sind
geregelt unter der Erwägung der eige
nen Sicherheit. Deutschland ist militä
risch entmachtet und wirtschaftlich bis
uf das äußerste eingeschränkt. Mit
seiner östlichen Ennze will Frankreich
sich gegen jede Angriffsmöglichkeit schü
tzcn, mit der Kontrolle über das Saar
kohlenbeckcn sich wirtschaftlich stärken.
Frankreich weitz aus eigener Erfahrung,
waö in dem Begrisf und schon in dem
Wort .Revanche- sür eine leidenschaft
lich: Kraft steckt. Zu allen Zeiten ihrer
Gschichte hat solches Wort das Ver
hältnis zwischen dem französischen und
dem deutschen Volk bestimmt; an ihm
hat sich die .Erbse'.ndschaft ntzundet.
Die Völkerliga ist Frankreich nicht als
hinlänglicher Schutz erschienen, darum
hat es auf das Bündnis mit England
und den Bereinigten Staaten gedrängt,
welches für den Fall eines unprooizicr
ten Angriffs seitens Deutschlands gegen
Frankreich in Wirksamkeit treten soll.
Die Grenzregulierung im deutschen
Westen ist ganz in den Anschauungen
der Zeit vorgenommen, welche die mili
tärischen Notwendigkeiten als aueschlag
gebend anerkennt und dem Sieger die
Beute zuweist. Ansprüche und Rechte,
welche unter solchen Erwägungen unan
sechtbar sind., aber die die Gegensätze
hervorgerusen haben, welche dem Frie
den die Tauer versagen. Auch die Aen
derung dieser Anschauungen, welche der
Friedcnsoertrag nicht zustande gebracht
hat, wird der JGölkerliga vorbehalten
bleiben.
Es sind die militärischen und die Poli
tischen Augenblickscrwägungen, welche
die Schwächung Dsutschlands jm We
sten und im Osten diktiert haben. Diese
Erwägungen haben den volklichen An,
spruch, der auf die Selbstbestimmung
ihrer Geschicke Polen unterstützt und er
weiten. Die Notwendigkeit, dem neuen
Polen einen Zugang zum offenen Meer
zu schaffen, hat zur Beschränkung der
gleichen Rechte auf der anderen Seite ge
fuhrt. Gegen die Möglichkeit einer Wer
fiändiaung zwischen Deutschland und
Rußland ist'ein möglichst starkes Polen
reich errichtet worden, welches, ganz ab
gesehen von der eigenen Ezistenzberech
tigung als Pufferstaat fungiren soll.
Darum auch wird Deutschland in dem
Vertragsentwurf zur Annullierung al
ler jeiner etwaigen Vertrage und Ab
machunqen mit dem Soviet-Rußland
verpflichtet.
An Deutschland rächt sich heute. Im
Entwurf des Friedensoertrages von Wer
sailles. die Sünde an der Zukunft der
deutschen Volkheit, wie sie begange wor
den ist durch die Hintanfetzung der War
nuna VismarckZ vor dem Cchlbeifen in
die Ferne, solange daS eigene Haus noch
nicht fertig sei.. Das deutsche Volk soll
mit den Milliarden der Entschädigung
lezahlen für die Eztravaganzen eines
Militarismus, welcher sich siaatsmän
nifch verkleidet hatte. Es soll mit der
Beschränkung seiner wirtschaftlichen
Möglichkeiten, wie sie sich darstellt in der
Bestimmung des Bertrogsentmurfs über
die Meistbegünstigung bezahlen für die
Ausschreitungen und Ausschweifungen
einer internationalen Schacherei, an wel
chen sich der Weltkrieg entzündet hat.
Die lyternationalen Verhaltnisse ha
ben sich heute derartig zusammenaezo?en.
daß sich zwei Interessengruppen gebildet
haben. Auf der einen Seit die See,
siaaten, aus der anderen die reinen Fest
landstaaten. Zu den letzteren gehören
Deutschland, Rußland und China, und
schon möchte das politische Kalkül auj
loiazen Gegensaen eue. Weltteile um
spannende Machtckombinotionen ob
leiten.- Die Kombination der genannten
fsis....h. 1. C f.- L!.'4;.. ' .
ir.iiaiiuüiüay!c qikFk ei oee einer von
Nord nach 'Süd, von der Nordsee lii
Zum Persischen elf, sich erstreckenden
Interessengemeinschaft in der Richtung
von West nach Oft (Berlin-Pktro?rd
Peking) verlegen. Aber die erstere
Idee hat Bankerott gemacht, und die
,!!- iiwMita der augenblicklichen
Verhältnisse und der Bestimmungen dek
nireurics ve, iZZieLerssertragez vi'n
Versailles legt dem deutschen Volk die
Verpfückwng auf. ekle seine Energie zu
konzentrieren o:is die Wiidersufr'ichkurg
iti i'üfmn f'rtiif'i
Die Bedingungen, welche Zeittshknd I
sür die Zurückgewinnung dek Friedens
gestellt werden, "sind äußerst harte. Aber
man kann ein Volk von so buken Mil
lione, wie das deutsche an Seelen zählt,
mit den Paragraphen eines Vertrages
nicht erschlagen, solange es sich nicht
selbst ausgibt. Immer noch wird aus
Morgen und Abend ein neuer Tag. Und
immer muß sich das Dasein auch der
Völker nicht nach Paragraphen, sondern
nach ewigen Gesetzen vollziehen, diZen
Geltung den Fortschritt der Weltgc
schichte gewährleistet.
'
In zwei Artikeln ist, in den beiden
letzten Nummern des Sonntagsblattcs,
das europäische Triumvirat besprochen
worden. Der Dritte neben Clcmenceau
und Orlando ist David Lloyd George,
der britische Premier. Eine Erörterung
seiner Stellung in solchem Triumvirat
dürste grade unter der Erwägung det
vorliegenden Friedensvertags-EntwursS
von weitergehendem Interesse sein, denn
seine Persönlichkeit hat dem Entwurf mit
ihren Stempel aufgedrückt.
Ueber dem gesamten bisherigen Leben
und Wirken David Lloyd Georges hat
das Notsignal S. O S. . gestanden.
Immer hat er sich in irgend einer Ge
fahr befunden, irqend eine Krisis durch
gemacht. Als Knabe schon hat er mit
dem Pulver und als Mattn um den
eigenen und anderer Leute Kopf und
Kragen gespielt. In allen Biographien
zwo Georges nt solgendcr Vorgang
aus. feiner Kindheit aufgenommen, wie
der kleine David selnn noch jüngeren
Schwester vorschlug, sie wollten Pulver
unter die Ture des armseligen Eltern
Hauses legen, als der s fentliche Auk
tionator erwartet wurde, um den gan
zen Plunder der Hauseinrichtung zu
versteigern, während drinnen noch der
fahrende alte Schulmeister, der Vater
Davids, umgeben von den letzten Ueber
bleibfeln eines verfahrenen Lebens und
des Schifsbruchs deS eignen Geschicks und
des seiner Familie, 'tot auf dem letzten
und armseligen Lager lag.
In der Biographie Lloyd GeorgcS.
welche das irische Unterhausmiiglied T.
P. O'Connor seinem Freunde geschrie
ben. heißt es: .Es war etwas vorlau
tes in dieser Frühreife und zugleich
symbolisches und prophetisches. In
diesem Vorfall aus den Tagen der Kind
heit erblicke ich ein Prognostikon fast der
gesamten Zukunft des Mannes, in be
sonderem Sinne war der kleine Knabe
der Vater des ManneS, welchen wir mit
53 Iahren als Premierminister des bri
tischen Reich kennen. Welche waren
die Eigenschaften, die ihren Schatten
damals. bereits vorauswarfen: Erstens
der Geist der Rebellion gegen Ungerecht
tigkeit; zweitens Blindheit Gefahren ge
genüber; und drittens die Zähigkeit,
welche, ohne sich je um die Chancen zu
kümmern, im Streit festhält,,im, Kamps
nicht verzweifelt und niemals am Siege
zweifelt."
Die Kampfnatur. Gefahrverachiäng
und Siegesgewißheit machen die Natur
David Lloyd Georges aus. Er hat sich
von einer Gefahr in die andere begeben,
von einem Kampf in den anderen ge
stürzt und er hat um die Fahne, welche
er vorangetragen, manchen Siegeskranz
gewunden. Aber auch er ist mehr ein
Geschöpf feiner Zeit, als daß diese
gemeistert hätte. Die Entwickelung und
die Geschehnisse seiner Zeit haben den
Landgdvokaten von Llanystymday.
Nord-Wales. bis in das Amt deS all
mächtigen Ministerpräsidenten deS Bri
tenreichs emporgehoben. Sie haben
aber auch aus dem Vorkämpfer der Te
mokratie. den Mann der Revolution",
den Parnel von Wales", den Diktator,
den Einmacht-Mann und den Knockout
Mann gemacht. Die Geschehnisse und
die Entwickelung seiner Zeit haben den
Mann, welcher im Kampf gegen die ri
siokratischen Ueberlieferungen der briti
schen Politik die Macht des niederen Mit
telstandes auf den Thron geatzt, zum
Mitläufer gerade jener Ueberlieferungen
gemacht. Die Anzeichen mehre sich,
daß auch seine Zeit vorüber ist. Heute
sind andere Hände damit beschäftigt, un
ter die Tür zik der amtlichen Behau
sung. Kelche der Premier sich eingerich
tet, Pulver zu legen, und dringlicher als
je zuvor lassen die Notsignale sich ver
nehmen. Mit der alten Zeit wackelt
auch die Einmann-Herrschaft David
Lloyd Georges. Die Resultate der letz
ten Ersatzwahlen zum britischen Unter
Haus sind wie Zeichen an her. Wand,
und. die Deuter lassen auf sich nicht war
ten.
David Lloyd George hat wenig per
sönliche, aber viel politische Feinde. DaS
englische Junkertum, dessen Macht Lloyd
George gebrochen und in dessen Gesell
schaft er sich heute befindet, hat ihn
einmal den .verruchtesten Volksbetrü
ger" und das Unglück des britischen
Reichs' geschimpft Daß er die Union
isten. in dessen Reihen sich die Junker
breit machen. ouS der Macht gestqßcn,
das galt ihnen natürlich als Betrug"
und das eigene Schicksal, welches sie vt'.'
dient, war daj .Unglück des Reichs".
ÄAber auch auS anderen Kreisen ist dem
Krisenmacher und Umstürzler die Kri
tik nicht erspart geblieben. So hie es
in einer Besprechung seiner von ihm
selbst gesammelten Reden: .Sollte man
den politischen Grundzug deS Wesey!
und Strebens dieses britischen Staats
mann! auf eine knappe Formel bringen,
so wäre ei die: klare, scharfe, erbitterte,
wirksame und in letzter Linie doch
ohnmächtige Feindschaften sich zu er
werben. In der Wohl seiner Feinde
war Herr David klopd George ebenso
glücklich wie geschickt. Er wußte genau,
daß es nicht so, schwer war, sie zur
Strecke zu bringen: sie sahen zwar aus
wie Riesen, aber ihre Rüstung war alt
und morsch und den neuen demokrati
schen Angriffswaffen nicht mehr gcwacki
fen. Der Kampf gegen sie war also
nicht sgodeiliS riskant: aber man konnte
mit ihm die glänzendsten politischen Ge
schafte machen, wenn wen ihn mö'glick'it
d'swsiisch inszeniert,, tai tat Herr
Llttd George. S m5te u dem Zu
sammtnirnch dzr Feudglölutskratie. de;
Versailles. G
sich sonst vielleicht allmählich und be!
nahe unvermerkt vollzogen hätte.' einen
parlam'ntakische Eklat ersten Ranges.
Er warf den Gegnern mit einem Schlage
soviel Knüppel vor die Füße, daß -lj
empört ouffuhrcn und sich verzweifelt
zur Wehr setzten. Und er war nach
ihrer Niederlage .Englands Großer
Mann . Der Sieg über dnö Junker
tum. den Lloyd George auf dem Ge
biet der Steuerpolitik davongetragen.
war sicherlich durchaus honett und er:
freulich; ein Meisterstück war er nicht
Es war. wie, die Dingt lagen, keine
Kunst, seine Leute zusammenzuhalten,
solange dag Feldgeschrei hieß: der Feind
steht rechts. Bekanntlich aber hat diese
Losung auch für den britischen Llbera
lismuS feine Fortsetzung, die da lau
tet: der Gegner links. Von diesem
zweiten Teil will Lloyd George freilich
wenig wissen. Nur in einer einzigen
der in der Sammlung wiedeigeacbenen
Reden gehalten in Cardorff im Ok
tober 191 beschäftigt er sich mit
rn . t i .'.t.- ajrti..
oem Dcrqailnis zwiicyen rociierpar
tei und Liberalismus. Man darf an
nehmen, daß Herr Lloyd Gsprge, und
mit ihm der gesamte, gouvernemcntale
engliscbe Jungliberalismus daS Pro
blein dieseS Gegensatze! zu würdigen der
steht. In wenigen Perioden ist der An
tagonismus zwischen Kapital und Ar
beit in England so traf und trotzig
hervorgetreten, wie in diesen Jahnn, in
denen man, nach dem Wort Hobscffis, zu
der primitiven Kampfweist eines Klas
senkriegs. "foufjbt by crudcr weapous
and attented by greater violence
and erntn tterrnent of feelins;" zurück
gekehrt ist. Zögernd und verlegen sieht
der Liberalismus zwischen den beiden
Streitern. Die Frage, welche Lloyd
George so geflissentlich umgangen hat.
die Frage nach der Grenze liberaler und
proletarischer Sozialpolitik, wird jetzt
zum Kardinalproblem. In Zeiten jäher
Entwicklung welkt alter Lorbeer rasch.
Der Triumphator über den Geldbeutel
der Peers und Brauherren.wird bald zu
zeigen haben, ob er imstande ist, sich auf
schmierigerem Kampfterrain neue zu
holen." '
Diese Kritik stammt aus der Zeit, da
Lloyd George als Schatzkanzler (1909
bis 1910) mir seinem sensationellen
Budget den Kampf gegen die .historisch
erworbenen und- festgelegten Jnteres
sen" und gegen das OberhauS führte.
Er bezeichnete das Budget damals
als .Kriegsbudget gegen die Ver
armung. welche dem britischen Volk fern
bleiben müsse, wie die Wölfe den Wäl
dein". Die obige Kritik tut dem Wesen
ud Streben des britischen Staatsmann
wesentlich Unrecht an. Aber sie er
scheint im Licht der Entwicklung, welche
die allgemeinen Verhältnisse seit jener
Zeit genommen haben, unter Erwägung
der heutigen Zustände und im Ausblick
auf die Zukunft,, wie eine. Prophezeiung.
' .
Die Unrast. Kelche sich der .Völker be
mächtigt Hai, ist hervorgerufen durch den
ganz bestimmten Willen der Massen nach
einer Stabilisierung der Verhältnisse auf
der Grundlage der Forderungen einer
ganz neuen Zeit. Der Antagonismus
zwischen Kapital und Arbeit tritt in den
Vordergrund der Weltbühne und über
schattet selbst die Bedeutsamkeit von
Vertrags Paragraphen. Die Frage,
welche Lloyd George früher so geflis
fentlich umgangen hat, die Frage nach
der Grenze zwischen liberaler und pro
letarischer Sozialpolitik, wird laut. Die
Kraßheit und der . Trotz solchen Anta
gonismus' muß beseitigt und die
primitive Kampfweise des Klassenkrie
ges. welcher im Bolschewismus in seinen
schärfsten Formen in die Erscheinung
tritt, muh .der Evolution Platz machen.
Die Not. in welcher sich David Lloyd
George heute befindet, kam gar nicht von
der Seite der Unioyisteg, mit welchen
zusammen er die Epoche der Katgstro
phea en leitender , Stelle durchgemacht
hat. Denen ist er der verhaßte Mann
geblieben. Das britische Land berief in
ver Stunde seiner eignen Not den Mann,
welcher keine Gefahr scheut, in keinem
Kampf verzweifelt und nie am Siege
zweifelt. Die konservativen Leute möch-
ten ihn nun, da der Kampf vorüber und
der Sieg erfochten ist sobald gls möglich
wieder loS werden. Aber nicht von
ihnen droht Lloyd George heute die
wirkliche Gefahr. Die liegt vielmehr da
rin, daß er von den Genossen der Krieg
fübrung nicht loskommen kann, daß der
Knockaui-Mann sich nicht auf den Weg
zurückfinden kann, aus welchem nutzer
der .Revolution smann' geschritten ist
und welcher heute in die neue Zeit hinein
führen soll.
Darum bildet eS die Tragik seines
Geschicks, daß er den Krieg für England
gewonnen und für sich selbst verloren
t.
.. ' '
Ter Krieg, wellber kür die Alliierten
aewonnen ninm, ist hnrl fiir tot
Menschheit nicht verloren gehen. Die
Erde bewegt sich doch, und die Prin
!ivien. deren Durckiseduna dem Krieae
als Ziel gefetzt worden, 'werden nicht Ver-1
iren geizen. MSN reazner ven von
Woodrow Wilsog für den Frieden fest
gestellten 14 Punkten nach, daß sie in
dem Entwurf deS Friedensoertrages von
Versailles keine Durchführung gefunden
hätten. Aber sie werden doch der Leit
ftern und der Wegweiser in die neue
Zeit der Stabilisierung der Verhältnisse,
der Sicherung der Dauer des Friedens
nd der Gewährung ttß RkchtS auf Ar
beit für lle bilden. Denn ohne sie
würde die Völkerliga, der größte Fort
schritt und. der erhabene Gedanke, wel
cher der schrecklichste Heimsuchung in
der Geschichte der Menschheit entspinn
gen ist, ein tönernes Erz und eine !in
cende Schelle sein.
Die Demokratisierung der Welt und
die Gewährleistung deS dauernde Frie
den werden die zwei lebendigen Treib
liemen des Rades der Wettaeschich:
bleiben, nackdem die Tinte vieler jßer
träoe längst festen verbliOen fn wird, '
. Die folgenden 14 Punk! sind, ob sie
sich nun Kerte ieZaiS oder nicht, dej
unauslöschlich auf die Tafeln der Ge
schichte eingezeichnet: ,
1. Offene Frikdensverträge', offen!
lich erzielt, nach denen ei keine privaten
internationalen Abmachungen irgend
welcher Art mehr geben soll, sondern nur
mehr Diplomatie, die stets offen und vor
aller Welt vorgebt.
L. Absolute Freiheit der Schiffahr
auf den Meeren außerhalb der territo
rialen Gewässer, und zwar im Frieden
wie rm Kriege, der Fall ausgenommen,
daß behufs Erzwingung der Beobach.
tung internationaler Verträge die Meere
ganz der zum Zeit vuraz miernanona
IeS Vorgehen emilossen werden.
3. Die Entfernung soweit wie
möglich aller wirtschaftlichen Echran
ken und die Schaffung gleichmäßiger
Handelsbeziehungen unter ollen Natio
nen, welche dem Frieden zustimmen und
sich zu seiner Aufrechterhaltung zusam
mentun. . .
4. Angemessene Garantien gegeben
und genommen daß, die nationalen
Rüstungen bis aufs äußerste, mit der
Sicherheit zu Hause vereinbare Maß
eingeschränkt werden.
5. Eine freie, nicht engherzige und
absolut unparteiische Adjustierung aller
kolonialen Ansprüche., basiert aus der
strikten Befolgung deS Grundsatzes, daß
bei der Entscheidung über alle solche
Fragen der Souveränität die Interessen
der betreffenden Bevölkerung genau is
ins Gewicht fallen, wie die , gerechten
Ansprüche der Regierung, über deren
Besitzrecht entschieden werden soll.
6. Die Räumung des ganzen russi
schen Gebietes und die Lösung. aller
Rußland berührenden Fragen in einer
Weise, die die beste und freieste Koope
ration der andern Nationen der Erde
sichert beim Bemühen. Rußland eine ün
gehinderte und zwangsfreie Gelegenheit
zur unabhängigen Entscheidung über
seine eigene politische Entwicklung und
nationale Politik zu verschaffen und eS.
mit den nach eigener Wahl getroffenen
Einrichtungen, eines aufrichtigen Will
komms in der Gesellschast freier Ratio
nen zu versichern; und mehr noch als
eine? Willkomms, auch der Mithilfe jeg
licher Art, die ks benötigen und selbst
wünschen mag. Die Behandlung, welche
Rußland in den kommenden Monaten
seitens der Cchwesternationen zuteil
wird, wird die Goldprobe auf ihren gu
ten Willen, auf das Begreifen der Be
dllrfnisse Rußlands im Gegensatz zu
ihren eigenen und uf ihre intelligente
und selbstlose Sympathie fein.
7. Belgien darin wird die ganze
Welt übereinstimmen' muß geräumt
und wiederhergestellt werden ohne ir
gendwelchen Versuch, die Souveränität
einzuschränken, deren eS sich gemeinsam
mit allen andern freien Nationen er
freut. Keine andere einzelne Tat wird,
wie diese, dazu beitragen, unter den Na
tionen das Vertrauen in die' Gesetze 'wie
derherzustellen, welche sie selbst zur Re
gelung ihrer Beziehungen zu einander
aufgestellt und beschlossen haben. Ohne
diese heilende Tat ist die ganze Struk
tur und Geltung des Völkerrechts Zur
immer geschwächt.
8. Alle französischen Gebiete sollten
geräumt, und die- Teile, in welche eine
Invasion stattiand, wiederhergestellt
werden, und das Unrecht, das jnbezug
auf Elsaß-Lothringen 1871 Frankreich
durch Preußen zugefügt wurde, daZ den
Frieden der Welt seit nahezu fünfzig
Jahren erschüttert hat, sollte guigemacht
weiden, damit der Friede noch einmal
gesichert werde im Interesse Aller.
ö. Eine Readiustieruna der Grenzen
Italiens sollte gemäß klar erkennbarer
Linien der Nationalität bewirkt werden.
10. Den Völkern von Oesterreich-Un
garn, deren Platz unter den Nationen
wir gesichert und zugesichert ,u sehen
wünschen, sollte die freieste Gelegenheit
zur selbständigen Entwicklung verschafft
den.
11, Rumänien, Serbien und Monte
negro sollten geräumt, besetzte Gebiete
wiederhergestellt werden; Serbien soll
freier und sicherer Zutritt zum Meere ge
währt werden? und die Beziehungen der
verschiedenen Balkanstaaten zu einander
solle durch freundschaftliches Abkom
wen gemäß den .historisch festgelegten
Richtlinien der Zugehörigkeit und Natig,
nalitöt geregelt werden; und internatio
nale Garantien der politischen und Wirt
schaftlichen Unabhängigkeit und terrt
iorialen Integrität der verschiedenen
Baltanstaaten sollten gegeben werden.
, 12. Den törkischen Teilen deS gegen.
Wältigen ottomanischen Reiches sollte
eine sichere Souveränität zugestanden
werden, aber den andern Nationalitä
ten, welche jetzt unter türkischer Herr
schaft stehen, sollten , eine unbezmeifelte
Sicherheit deS LebenS'und eine absolut
unbelästigle Gelegenheit zur autonomen
Entwicklung zugesichert weiden, und die
Dardanellen sollte permanent geöffnet
sein als eine frei Fahrstraße für die
Schiffe und den Handel aller Nationen
unter internationalen Garantien,
13. Ein , unabhängiger polnischer
Staat sollte errichtet werden, der alle
bon unbestreitbar polnischen Elementen
bewohnten Gebiete einschließt. Diesem
Staate soll ein freier und sicherer Äu
tritt zum Meere zugesichert werden, seine
politische und wirtschaftliche Unabhän
gigkeit,und terriiorigle Integrität sollte
durch internationalen Vertrag ' garan
tiert werden.
14. Ein allgemeiner Verband der Na
tionen muß durch besondere Verträge
gebildet werden zum Zizeck der Gewäh
rung gegenseitiger Garantie sür die po
litisch Unabhängigkeit und territoriale
Integrität großer wie kleiner Staaten.
Die 14 Punkte und Deutschland we
den den Frieden von Versailles über
leben.' -
; Unbescheiden.
Onkel: .Hör' 'mal. Karl, dal ist denn
dflch ine starke Zumutung!... Ich soll
irii also Geld ouf&oraen, um Dir wel
che zu leihen?;... Ick, meine. Tu-bist
doch alt genüg, um selbst Schulke ma
ju firmen
Ach haß' es
!
Novelle von Ha
Beim Kegeln war daß Gespräch auf
Erziehung gekommen, und di Gegen
jät'e waren hart aufeinander gestoßen.
Wenn man dem Dr. Wiegand glau
ben wollte, so dürfte man überhaupt
keinen Jungen mehr bestrafen. Danach
wären alle mehr oder weniger belastet
7ind jede! Kind von Geburt abnorm.
Nun, der war eben Spkzialist für Neu
ropathie und Bangemachen gehört ja
für die Zum Handwerk.
Oberamtsrichter Biethan und Haupt
mann a. D. Cydow hielten ihm kräftig
das Gegenteil. Ersttrer aus Gründen
der gefährdeten Sittlichkeit, der alte
Ofizier aber meinte, die Jugend würde.
heute überhaupt zu sanst angefaßt,
müßte viel mehr .sparr tanisch" er
zogen werden. , .
Z. B. in Punkts Wahrheitsliebe.....
Aber was wollen Sie machen, wenn
so'n Bengel nun einfach nicht gestehen
will?" warf man ihm ein. .
Der Hauptmann lächelte überlegen
martialisch, der Jurist aber erklärte:
Den schicken Sie nur zu unS. Wenn
wir immer alles, wa uns vie Jaae vou,
lügt, freisprechen wollten...!" '
Und alle waren einig, daß es da nur
einen Weg gäbe. Aber gewiß! Natur
lich! Zum Donnerweiter noch mal!
Da nahm Oberlehrer Pfklndtner das
Wort.
Darf ich den Hemn eine kleine Ge
schichte zu dem Falle erzählen i -
Natürlich dürfte er. Man hörte ihn
immer gern, weil er ehrlich und ohne
Ausschmückung zu berichten pflegte.
In Quinta." so begann er. hatten
wir letztes Jahr emen Schüler, der mir
von vornherein durch seinen Blick auf
siel. -
.Haben die Herren mal auf die Au
gen solch eines heranwachsenden Wen
schen geachtet? Wie sie sich allmählich
ändern, gewissermaßen schließen, das
werdende Selbst decken, bis dann eines
Tages die gereiste Persönlichkeit als
sicheres Ich wieder, offen und frei ins
Leben schaut?
.IN Serta das sind fast alles
och die richtigen Kinderaugen, aber
ludj in Quinta sind sie meist noch hell,
harmlos, vertrauend? Noch nicht ge
trübt von der Sorge ums tägliche Pen
sum und dem Kampf gegen unS Lehrer.
Einige Jungen sind aber doch da
zwischen die das Zeichen des Lebens
schon auf der Stirn tragen. Meist
spiegeln sich in ihrem Blick trübe Zu-
lande des lternyau es. o t yat le
Krankheit. Schwäche, Nervosität früh
alt und wissend gemacht.
.Solch einen Schüler hatten wir vo
kiges Jahr; Emil Henking hieß er.
Er war fleißig, gewissenhaft, auch
nicht unbegabt, aber man wurde feiner
nicht froh. Unsichere Hast lag in feinem
Wesen, und auf seinen Lippen spielte,
wenn er aufgerufen wrde, ein kümmer
liches, besorgtes Lächeln. "
Wir mußten aber doch mit ihm zu.
frieden sein und hatten nur einen Feh
ler zu rügen: er gab nie eine Schuld,
ein Versehen, eine Nachlässigkeit zu, son
dein stritt immer ab. Hatte er ein ,Ge
dicht nicht aufsagen können, so wurde
er noch blasser als sonst, bis in die dlln
nen Lippen. und murmelte mit seinem
gewohnten Lächeln: .Ich Habs gelernt!"
Konnte er eine Frage nicht beantwor
ten und man warf ihm Unaufmerksam
keit vor. so fingerten seine Hände ner
vöS auf der Tischplatte seitwärts, und
er sagte: .Ich habe aufgepaßt!", und
immer lächelte er dabei, ein geradezu
hartnäckiges Lächeln.
.Eines laati aö ich, wie er vkiin
lateinischen Extemporale die Hand un
ter dem Tisch hatte. Ich glaubte es we
igstenS zu sehen. Ich bog mich schnell
zur Eeite, und nun fuhr er mit oer
Hand empor und legte den Arm auf
den Tisch, auf sein Heft. Diesmal
habe ich mich nicht getauscht, diese Bewe
gung habe ich genau gesehen. Ganz,ge
nau! Und s!S ich nachsah, lag der
Oftermann" aufgeschlagen unter dem
Tische. Und dennoch, behauptete der
Junge steif und fest, die Hand nicht un
ter dem Tisch gehabt zu yaven.
,Mein, öerren. ick, bin Odmann ver
Geschworenen bei wichtigen Verhandkun
gen gewesen und muß sagen nehmen
Sie es nicht übel. Herr Oberamtsrich
ter -: ich pfeife auf jeden Indizien
beweis, aus alle diese Eidsussagen un
gebildeter Menschen, die in ihrem Zeug
nis Rechenschaft über jede Minute
längstvergangener Geschehnisse geben
wollen. ' ' '
.Ich weiß, daß Beobachten eine sehr.
ehr schwere Kunst tst, und bin miß
trauisch gegen jede Beobachtung von mir.
zu der ich mich nicht besonders gerüstet
habe, und die ich mir nicht im leiben
Augenblick.,!) ich sie mache, gewisser
maßen natiere. deutlich und klar meinem
Bewußtsein einpräge. Hier in diesem
Falle aber Ist dies geschehen, und war
ich und bin ich noch heute meiner Sacke
zweifellos sicher und dennoch stritt
der Junge eS ab, nicht nur daS Buch
aufgeschlagen, nein überhaupt die Hand
anders als auf dem Zische gehabt zu
hoben. Er sagte nur immer: Ich habe
die Hand auf dem Tische gehabt. Da
bei blieb r. ,
AuS übergroßer Vorsicht aber be
strafte ich ihn nicht, sondern ließ die
Sache unerledigt und beschloß, ihn noch
genauer zu beobachten.
.Acht Tage spater, beim nächsten Er
tempornke.' ereignete sich folgendes: kurz
he die Heste abgegeben werden sollten,
chlug Emil Henking seinen Ostermann
unter der Bank auf, schaute hinein,
chlug ihn, als er sich ertappt fühlte, er.
chreckt zu und sah mich, da ich näher
trat, mit entsetzten Blicken an.
.Diesmal aestand r ohne weiteres
alles ein. aber, fügte er sofort hinzu, er
habe Nicht abschreibe wollen, sondern
nur nacksehen. b da, was er geschrie
fcen, richtig sei. ;
"fn der Tat war er mit seiner Arbeit
bereits fertig; aber eS war gar nicht ai. ,
'.schlössen, kiß er rech vachZioglich tU '
wel Lerbenern konnte. Ich sag! ihm i
a-f den K;?f zu, d:k jl iilt sichre 1
nicht getan
N5 Nlr!ch Veer.
ben wollen, und verbat mir energisch
die dummen Ausflüchte. , , ''
Er ober blieb bei seinem: .Ich habe
nicht abschreiben wollen."
Das ärgerte mich, ich verlor die
Ruhe nd fuhr ihn an: .Schweig still,
jetzt weih ich. daß du. auch vor acht
Tagen hast abschreiben wollend Zur
Strafe werde ich beide Fälle ins Klas
senbuch eintragen!"
.Do wurde er still und sank gleichsam
in sich zusammen.
.Die Weihnachtsferien waren da; am
ersten Ferientage kam mit Emil Hen
king ein Herr zu mir -- sein Vater. Er
beschwerte sich in ruhiger Form über die
Note, die sein Sohn erhalten: hat
zweimal versucht zu täuschen". Täu
schen, das 'heiße ja betrügen, da? könne
doch nicht möglich sein.
Ich sagte, daß dieS die übliche Be
Zeichnung sei. und sehte ihm die beiden
Fälle auseinander. Der Vater sah sei
-, Jungen an. und dieser fragte be
scheiden, ob er antworten dürfe. Er
gab dann den zweiten Fall zu, mit der
bekannten Einschränkung. eS ohne böse
Absicht getan zu haben, den ersten stritt
er rundweg ab.
Ganz wie in der Schule.
.Ich redete ihm im guten zu, es half
nichts. " -
Nun ließ ich ihn hinausgehen und
sprach mit dem Vater allein. Ich legte'
ihm dar, was ich Ihnen vorhin gesagt
habe, daß ein Irrtum sür mich einfach
ausgeschlossen fei. ' Ich fragte, ob die
Eltern vielleicht zu streng seien und der
Knabe aus Furcht vor Strase leugne.
Ter Vater meinte, daran wäre nicht zu
denken. Aber der Emil habe solch ein
unglaublich seines Ehrgefühl. Und bei
seiner sonstigen Weichheit einen uner
bittlichen Gerechtigkeitssinn. Er wollte
die Sache nur des Zknaben wegen rle
digt habender fürchte böse Folgen,
wenn dieser' nicht .sein Recht" bekäme.
.Ich konnte mir die Sache nur so er
klären, wie vorhin schon der Herr Amts
richter ausgeführt hat, daß der Junge
subjektiv von seinenk Rechte überzeugt
war, sich aber über sich selbst getäuscht
hatte, vielleicht sich sogar erst später in
feinen Glauben hineingeredet hatte.
Natürlich, so etwas muß nachdrücklich
bekäckpft werden, die Knaben müssen
lernen, zuerst gegen sich selbst streng ,
fein. Ter Vater, dem ich dies auseincui
versetzte, war zweifelhaft, aber er ließ
mir auf meine Bitte den Sohn zurück,
daß ich ihn nochmal vernehmen könnte.
DaS tat ich; ich stellte ihm meine
Gründe in der schoncndstcn und doch
eindringlichsten Art vor, mahnend, sast
bittend; er mußte inerten, daß sch, das
Beste wollte. Aber cs half alles nicht.
Er hotte, mir immer sein altes: Ich
hüb' es nickt getan."
Aergerlich !ß ich ihn endlich gehen,
die Note im Betragen aber wurde nicht '
geändert.'
Bei Cchulanfang fehlte Emel Hen
king. Es hieße, er wäre krank.
, .Ich fürchtete schon, die Krankheit
Könnte mit feinem Erlebnisse mit mir'
zusammenhangen. Hort: dann aber, es
wäre Blinddarmentzündung. Er hatte
sie schon öfter gehabt.
Am Abend kam der Vater zu mir.
.ängstlich,- niedergeschlagen. Ich möchte
seinen Sohn nochmal besuchen, er lägt
in der Klinik, und es stände sehr schlecht
mit ihm.
Er war eperiert, und wie meist bei
Blinddarmoperationcn, war diese selbst
richtig gelungen, der Patient aber zum
Tode geschwächt. .
.Ich fand ihn i? einer verdunkelten
Kammer, eine Pflegerin gab ihm Milch
mit Wasser verdünnt zu trinken. Er
fieberte, daS Herz hetzte sich ab, der Puls
war kaum suyibar. k
Als er mich fah, ging ein Lächeln
über sein Gesicht. Nicht das alte angst,
liche Lächeln, mehr wie Freude oder Be
friedigung. V ,
.Dann aber kam wieder dek ge
spannte Ausdruck in sein Gesicht, tzr
wollte mit mir- ollein sein.
Als die andern daS Zimmer perlas
sen hatte, sagte er: .Ich möchte',..
Herr Oberlehrer..." ''
Ich saßte seine Hand, die kalt und
feucht war.
Sie sollen ... mir ... nicht bös:,'
lein.
Das bin ich auch nicht, Emil, wie
sollte ich wohl!"
.Eine Pause.'
Sagen Sie mir... ob Sie glau
ben... daß ich daS Buch... unter der
Bank...'
Und dabei sah er mich, trotz seiner
Schwäche, mit ängstlicher und dch bei
nahe zuversichtlicher Erwartung, an.
Sehen Sie, meine Herren , ick'
sagte Ihnen ja schon, daß Ich meine
Sache vollständig sicher war und imme
noch bin. Und der Junge hat von mir
auf dem Sterbebette noch hören wollen,!
oa meine eigene Wayrneymung w,
derrief."
DU Herren waren eine Weil still. A
Nun, und was haben Sie gesag,,?
Was ich gesagt habe? Ich wuite.
waS der Junge wollte, und sah den ?r
in seinen Augenwinkeln warten. J' t
sagte fest und überzeugt: ' I
Viern, mein Junge, du haft eS nich'i
getan." y
.Da lächelte er: iV
Sagen Sie i auch.. meinen
tern ...daß Ich 3 nicht getan . . .
Seine Stimme' versagte, aber
Auge glänzte. .
) .Bald nach Mitternacht pari. r.
Späne.
. Das Schöne mit Gesehrtenblicken
' Zu messen und wählen.
Das heißt die Rose zerpflücken,
Um ihre Blätter zu zahlen.
Raschelnde Rocke haben oft mehr t.
i
k
möcht als donnernde Kanonen. ,
Verkleinernd schmäht, Wal du getn
Manch' neid'ger Wicht;
Und zündet doch sein Kerzcheg o
An deinem Licht.
ii
Vi
i.