Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, March 22, 1919, Image 2

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    Tögllche Omaha Trinae
t
Line Heije
Sa bet Sari .Nalional.Zeilung,')
Olcfarnfcinbriirfr.
Eine indische Fabel erzählt, daß einst
t;.t Slkde vissc toflCUa, wie ein LK.
ilunt ouiselie. Sie liefern sich zu einem
fcia-fa hinführen und lebet betastete den
Dickuter an einet einzigen Stelle. .Der
'epCiant ist wie ein Baumstamm",
sprach der erste, der ein Bein in die
Mnb gekriegt, .er ist wie ein Korb',
urteilte brr zweite, der das Ohr erfaßt
halte, der dritte verglich den Riesen mit
einem Psluzschar. weil er nur die Stoß
zafrne fühlte, und der vierte, welcher den
Nllsscl. hielt, mit einer Schlange. Die
Zabel warnt unö vor Einseitigkeit und
vor einseitigen Urteilen kann man Über
Haupt nickt genug warnen. Die Wider
sprechenden Nachrichten, die wir während
des Kriege erhielten, widersprachen sich
deshalb, weil sie einseitig waren und auch
mein Urteil über Deutschland wird die
' ,n Vorwurf begegnen müssen, trotzdem
ich alles unternahm, was in drei Wochen
überhaupt möglich war. Ich niste durch
Baden. Württemberg. Thüringen. Sach
!tn, Brandenburg, AleSIenburg. Broun,
schweig. Hannover und Hessen, erster,
zweiter, dritter und vierter Klasse, im
T-Zug und Personenzuq, sprach mit
Lehrern. Pfarrern, Aerzten. Handwer
kern. Fabrikanten. Kaufleuten und Bau,
ern. Soldaten, Unteroffizieren und Ossi
zieren, wohnte in Großstädten wie 8er
, Im. Nürnberg unö Magdeburg, in
Kleinstädten wie Emmendingen, Strelitz
und Hildesheim und in Dörfern, deren
Namen ich vergessen habe, stand zwischen
kampfenden Spartakisten und Scheide.
Männern und vor dem nicht mehr kämp.
senden Hindenburg, setzte mich an den
"Tisch der Armen und an die Tafel der
Stächen, in Wartesäle, Straßenbabnen
und Barbierstuben, besuchte stürmische
Wahlversammlungen und versäumte
auch nicht, in allen Landesteilen die Zei
fangen aller Schattierungen durchzule
scn, von der Roten Fahne" und dem
Galgen" bis zur .Deutschen TageZzei
tung". Natürlich stieß ich auf die der
schicdensten Meinungen, die ich als neu
iraler Gast ruhig hinzunehmen und nicht
zu kritisieren hatte. Eine Verallgemei.
nerung ist nicht IeW. trotzdem kann ich
zusammenfassend folgendes aussagen:
Im Gegensatz zur Schweiz spricht m
Teatschland kein Mensch von der Grippe.
Ich kann husten, daß die noch ganzen
oder gesprungenen Wagenfenster zittern,
kein Mensch steht auf und sucht sich einen
ndttn Platz. Die Grippe ist entweder
abgetan oder tritt zurück vor wichtigeren
Sorgen. Zu diesen gehören die harten
Waffenstillstandsbedingungen, nament
lich die Ablieferung der schönen Wasch!
ton, die auf Nebengeleisen auf die Ab
fabrt harren.
Die größten Widersprüche werden laut
b?rm Suchen nach einem Sündenbock.
Die einen machen, auch ohne die Leit
artikel der National-Zeitung" gelesen
zu haben, den Militarismus, Luden
dorff. Tirpitz. Wilhelm und Sohn ver
an:morllich, die Arbeiter den Kapitalis
.?S.,e. Alldeutschen die Juden, diese
di: vollsverdummende Geistlichkeit, und
ein ganz Gescheiter klagt sogar die Schule
n. daß sie alle feineren Instinkte, und
seelischen Kräfte erstickt und damit
Schuld trägt an löer seelischen Verküm
mcrung des heutigen Geschlechts". Kurz
jeder sucht irgendwo, nur nie bei sich
selbst nach einem Fehler. Daß sie gründ
lich angelegen worden sind, darin sind
wohl alle einig, auch behaupten sie, mi
litärisch seien sie unbesiegt geblieben und
die SÄvolution habe zu Stimmungsum
schwang, Rückzug und Waffenstillstand
geführt. Die einzige hiervon abweichende
Ansicht ist die eines Mannes, dem man
eigentlich eine Beurteilung der militari
scheu Lage zutrauen dürfte, nämlich
Delbrück, der in den .Preußischen Jahr
büchern" schreibt: Kh Feldzug und der
Krieg ist verloren' gegangen, nicht weil
die Stimmung versagte, sondern die
Stimmung versagte, als dit Truppen zu
suhlen begannen, daß sie den Krieg nicht
mehr gewinnen können!" Ich konnte
nieine Staatsangehörigkeit nicht verlcug
r.cn und wurde oft mit Fragen bestürmt,
auf die ich so sorgfältig wie möglich ant
wortete. Bon der Ausrottung der Ar
meniei durch die Türken wußte niemand
etwas, doch werden über diesen Punkt
demnächst sämtliche Aktien des Auswär
tigen Amtes veröffentlicht werden, welche
die deutsche Regierung entlasten.
Den Bolschewismus hörte ich, außer
in einigen Straßen Berlins, allgemein
verdammen. - .
Leute aus okkupierten Gebieten äußern
sich sehr anerkennend über die Besät
zunzstruppe, namentlich über Englän,
der mb Amerikaner. Flüchtlinge aus
dem Elsaß sind allerdings nicht erbaut,
doch beklagen sie sich wenig?! über die
französischen Truppen, als über die
feindliche 'elsäfsische Bevölkerung.
Esse, nd Trinken.
Während der drei Wochen meines
Aufenthalts in Deutschland habe ich nie
n Hunger gelitten, obschon ich mein
Schweizerpakct mit Schinken und Scho
koladk samt und sonders an Freunde
i:nS Bekannte verschenkte, was mir bei
i''elen zu einem früher nie genossenen
Ansehen verhelf. Ei einziges Mal. in
Z'assel, erhielt ich in einem bescheidenen
Akstaurant auf die Frage, ob ich etwas
eisen könne, die Antwort, ja, wenn Sie
!53' mitgebracht" haben" Sonst wurde
nvr überall für mehr oder weniger Geld
ur" ohne daß besonders gute Worte
rZ'.'i gewesen wären, meist auch ohne
)l"sch!atfe, Speise und Trank vorge
t. 7;le,sch wechselte mit Fisch. Kar
wurden hie und da ergänzt durch
Unicti iidei Nüßlisalat ohne Oel.
r:"!.M F.ttmangel enthob mich der
't ZiW.i so langweiligen Abgabe
! ?tt arten. Als ich mich in Süd
, i;iMiGfe wunderte, daß 1 och genug
:i t'tm otie, hieß .es, schlimm steht es
in '.lörddeutschland". Tort sah es aber
- ! nicht Glimmer aus. Ti: Eintönig
f;.;t Nahrung muß aus die Länge
v"- 'UhUw ousuben, der ich mich recht
:;a kiitZikye ourne, Lkazer NA na
i.ilich die Frühstücke mit dem bitter
P, -.ff.'t;rcf und fest er oder flüssigem
i!öl.?ki;'dsch erhalt ich d nd drei
.'.sueforSett dazu ti Tropfen
durch die Deuljclje GepuSttK". '-
Milch, etwas Juck im Schivarzwald.
in Hannover sogar Butter, , und in
Frankfurt Käse ohne Karte. Von einem
Stück Torte mit Schlagsahne" In einem
Berliner Hotel konnte ich nur den ersten
Bissen verschlucken und auch dieser wirkt
bei der bloßen Erinnerung wie ein
Brechmittel. Gewiß gibt es Tausende
von armen Leuten, die wirklich hungern,
und Hunderttausende. denen ob des ein
tönigen Futters der Appetit vergange
ist. Man überlege sich folgendes: Auf
dem Lande gibt eS mehr zu essen als in'
der Stadt. I einer Zeitung las ich
folgende Ilage:
.ES fehlt überall an landwirtfchaft
lichen Arbeitern, trotzdem jetzt viele tau
sende Son Soldaten ohne Beschäftigung
sind. So sollen eS in Ulm etwa 800
Soldaten vorziehen, bei dem Taggeld,
das sie jetzt beziehen, die Uniform bei
zubehalten und die .Beschwernisse" des
Dienstes auf sich zu nehmen, statt sich
als landwirtschaftliche Arbeiter zu mel
den. Dabei hegt man Besorgnisse, daß
die Feldbestellung notleidct."
Ich könnte noch allerhand Erinncrun
gen auftischen von Bratwürsten, Eier
speisen, Huhn und Wildbret. Aber solche
Leckerbissen gehören zu den Ausnahmen,
und ich täte den Deutschen einen schlech
ten Dienst wenn ich sie als Schlem.ner
hinstellte, wo sie fg ungeduldig auf die
Zufuhren der Entente harren. Sicher
sind sie viel übler daran als die Schwer
zer, obschon ich in unseren Bahnen weit
weniger Butter auspacken sehe. Die
glücklichen Besitzer gehamsterter Butter
protzen gerne damit, wie andere Leute
mit einer goldenen Uhr. und so wenig b.'i
unS einer seinen Nachbar um seine Uhr
bittet, so wenig tut es ein Deutscher
feinen Mitreisenden um die zur Stfim
getragene gehamsterte Butter.
Spartakus.
Ebenso ernsthaft und ebenso oussichiss
los wie der Aufstand der Sklaven in
Rom unter Spartacus erwies sich der
Versuch der sozialistischen Minderheit,
die in Berlin und in andern deutschen
Großstädten so viel von sich reden machte.
Ich weilte gerade in einem kleinen meck
lenburgischen Landstädtchen. alS ick die.
Kunde vernahm, Spartakus habe der
sucht, diz Regierung zu stürzen, und
habe eS fertig gebracht, mehrere Zei
tungsdruckenien, den schlesischen Bahn
Hof und die Pionierkaserne an der Köpe
nickerstraße zu besetzen. Ich erhielt die
Nachricht am 6. Januar, und am 7. reiste
ich in neunstündiger Fahrt nach der
Reichshauptstadt. Niemand wußte, ob
der Zug bis Berlin fahren würde, und
es hieß, die Gasthäuser seien alle gc
schlössen. Es hieß überhaupt gar man
chcs. Aber sagte ich mir wenn so
viele Leuke nach Berlin reisen, warum
sollte ich dies nicht auch fertig bringen,
und richtig, abends halb zeh:r Uhr fuh
reu wir in die Halle des Stettinerbahn,
Hofs ein, wo unzählige Soldaten der Re
gierungstruppen mit wichtiger Miene
umherstanden. Da die Straßenbahnen
streikten, standen zahlreiche Pritschen
wagen auf dem Platz. An Pferden
herrscht ja zur Zeit kein Mangel mehr.
Ich kletterte auf einen kleinen Omnibus
und fuhr in 'mäßigem Tempo stadlein
wärts bis .Unter die Linden". Ich stand
mitten auf dein Schlachtfeld, aber die
Schlacht ruhte. Bewaffnete Truppen
sperrten die dunkle Straße nach dem
Brandenburger! hin ab, damit Spar
takus nicht wieder gegen das Reichstags
ebäude oder die Wilhelmstraße mit
ihren vielen Ministerien vordringe.
Spartakus war nur durch einige unent
wegte Maulhelden vertreten, die große
ren oder kleineren Gruppen nächtlicher
Passanten der verschiedensten Art Bol
schewismuS predigten. Hier schon hörte
ich die widersprechendste;: Aeußerungen.
Ich hatte den Eindruck, die Leute wär
den sicb nie einigen, etwa wie wenn
1914 Deutsche und Franzosen miteinan
der über Schuldfrage und belgische
Greueltaten diskutiert hätten. Jede
Partei warf der andern vor, angefangen
und Blut vergossen zu haben. Viele
Leute versicherten, betrunkene Regierungs
truppen hätten Handgranaten unter
die unbeteiligte, wehrlose Menge aewor
fen, also Neutralitätsverletzung; aber im
allgemeinen schien die Sachlage klar.
Spartakus hatte und zwar mit Waf
fengewalt versucht, die Macht an sich
zu reißen, das war ihm nur zu einem
kleinen Teil gelungen. Scheibemann,
nachdem er siclBvom ersten Schreck erholt
hatte, versuchte seinen feindlichen Bruder
auf gütlichem Wege zum Nachgeben zu
bewegen, schon um sich nicht den Vor
wurf zuzuziehen, den er früher, als er
noch nicbt das Staatsruder führte, der
alten Regierung zu machen pflegte.
Spartakus, der wie alle Fanatiker an
den Sieg seiner Sache glaubte, war für
keinen Kompromiß zu haben. Ein Diit'
tel der Berliner Bevölkerung stand ja
auf seiner Seite, und sei: e Agenten mel
deten gute Erfolge aus Schlesien, Tus
lelbors. Bremen. Braunschweig. Etutt
gart und München. Ohne Zweifel war
er der Mutigere, Konsequentere. Zielbe
wußtere, wahrend der allerdings zahl
reichere Gegner n der Wahl seiner Mit'
tel schwankte und eö aus begreiflichen
Gründen weder mit dem Bürgertum noch
mit dem Proletariat verderben wollte.
Schließlich, als alle andern Mittel ver
sagten, holte Scheideman unter dem
Druck der ganzen Nation zum Schlag
aus. Zahlreiche Truppen waren schon
argekommen, neue langte bestänbig an.
Svartakul suchte deren Ankunft in Ber
lu zu verhindern. Mächtig hallten Flin
tenschüsse durch die nächtlichen Straßen.
aver niemand wutzke genau, ob sie vom
Lehrter ober vom Schlesischen oder An
Halter Bahnhof herrührten. Niemand
regte sich Übrigen! sonderlich auf, und
wer hier Sensationen suchte, kam nicht
auf seine Rechnung. Einmal näherte sich
ein Menschmhaufe, eS waren aber nur
die Leute, die vom Tbeaier nach Hause
gingen. Es war 11 Uhr und Zeit, ins
Bett zu gehen. So sprang ich denn
wkder aus inen Omnibus, der zum
Potsdamer Fabnhsf fuhr.
Kaum stand ich wikde. ans dem
Skraß'nxslsftcr. so fing sckon ring! um
mich der eme wasntmnize Tchitßem an,
S
T:e Soldaten und Matrosen, welche d
Straßen, die aus den Potsdamerplatz
münden, besetzt hielten, entluden, vermut
lich auf die Meldung vom Herannahen
des gesiirchtkten Spartakus, ihre oelade,
nen Flinten, und zwar ziellos in die
Luft, was natürlich die Sache nur ge
jährlicher gestaltet Nachdem ich die
Lage begriffen hatte, tat ich, wal die an
dcrn machten; der Nachahmungstrieb hat
auch seine Berechtigung. Em Matrose
und ein Soldat, b t unbewaffnet, kau
erten an ciner Mauer, ich gesellte mich
ihnen bei und mit dem tröstlichen Be
wußlscin. daß die Schüsse jetzt nur noch
von einer Seite her kommen konnten,
wartete ich da Ende ab. Das Ende
war, daß. als nur noch in weiter Ferne
einige Schüsse knallten, ein Matrose mit
blutender Hand auf einen SanitatI
Posten zuschritt. .Schon war eine Rot
kreuzschwester zur Stelle und legte ihm
einen Notverband an. Ich hatte für den
ersten Tag genug ind war froh, in der
Nahe ein offenes Hotel zu finden. AIs
ich schon im Bett' war. hörte ich immer
noch in der Nachbarschaft Scbüss: fallen.
Es liegt auf der Hand, daß bei einer
derartigen Kriegführung viele Leute und
leider gerade die unrichtigen getroffen
werden, nrne Kugel ereilte zum Be,
spiel eine brave Zeitungsverkäuferin in
ihrem Kiosk. Andere verirrten sich in
die Straßenbahnen und in Wohnungen,
eine sogar ins Hotel Adlun", ins Zim
mer eines amerikanischen Offiziers. Nie
mand weiß überhaupt vorher. wi eine
Schießerei beginnt. Sie beginnt da. wo
ein paar Bo;? .nisten ans irgeud einem
Versteck auf Soldaten, die auf der
Straße stehen, zu schießen anfangen, die
Soldaten erwidern das'Feuer, die Ku
geln prallen an der Mauer ob und gehen
dahin, wohin sie nicht sein sollen. '
Besuch bei Spartakus.
Tonnerstag, den 9. Januar machte ich
Spartakus in Berlin meinen Besuch.
Das Komische bei diesem Krieg bestand
darin, daß man erstens ungeniert aus
einem Lager ins andere hineinspazieren
durfte, und daß die Kriegführenden nicht
voneinander zu unterscheiden waren,
wenn man nicht fünf Minuten lang
ihren geistreichen Gesprächen zuhörte.
Im Spartakuslagek standen etwas mehr
Matrosen und Zivilisten, ober zur Be
stimmung genügte dies Merkmal nicht.
Durch die Wilhelmstraße lenkte ich
meine Schritte zum Brandenburger Tor
und Reichstagsgebäude, das alles noch
im Bereich ScheidemannS lag. Boshaft
blinzelten die Mündungen der Maschi
nengewehre auf die Straße hinunter.
Aber alles war ruhig. Ich wandte mich
nach dem Osten der Stadt. Vor den
roten Ricsenbacksteinbauten des Raihau
ses und des Polizeipräsidiums standen
die Massen und diskutierten. Was die
Spartakussektiere predigten, hörte sich
wie alle Irrlehren sehr einfach an. Die
Wahlen sollten auf keinen Fall statifin
den dürfen, weil das deutsche Volk zü -wenig
.usfjcklärt" sei und sich von der
Bourgeoisie genau wie früher wieder ein
seifen lasse. Nur eine kleine Minorität
Spartakus, fci gescheit und folglich
müsse diese regieren, wie in Rußland.
Die Bolschewisicn seien nämlich viel
besser als ihr Ruf, und aus der Nähe
besehen schöner als aus der Ferne. Daß
sie viele Leute umgebracht' hätten, fei
richtig, aber da dies nur Bürger und
baltische Barone seien, habe dies weiter
nichts zu sagen. Ebert und Scheide
mann feien die größten Hallunken und
von der Bourgeoisie gekauft. Sobald je
mand aus dem Zuhöreikreis andere, und
zwar vernünftigere Ansichten äußerte,
Wurde er niedergeschrien, er sei e!n Aent
von Scheidemann und beziehe 30 Mark
Pro Tag. Was ließ sich dagegen ein
wenden? Vor der Anktante" hatten sie
nicht Angst, die sollten nur kommen, die
hätten ja selber Angst. Als ein epregter
Bürger sich beklagte, daß das Bureau
seines Leibblaties von Spartakus be
setzt fei. wurde ihm geantwortet, er solle
sich beruhigen, man wolle nur verhin
dern, daß die Welt angelogen werde, die
Blätter würden bald wieder unier
Spartakuszensur erscheine Der Bür
ger beruhigte sich aber nicht und fragte
wie denn Spartakus entscheiden wolle.
waS wahr und unwahr sei. Spartakus
blieb die Antwort schuldig. Auch Frauen
beteiligten sich eifrig an den Diskussio
nen. zum Teil einfache Arbeiterinnen,
ohne Hut, dann wieder eleganter ge
kleidete Berlinerisch!, die auf die Of
fizicre schimpften. Auch diese Rednerin
nen sympathisierten mit Spartakus, ob
schon sie wohl nie MarrenZ Schriften
gelesen hatten.
Dies einige Eindrücke, die ich erhielt.
als. ich aus dem Aleranderplag von
Gruppe zu Grüppe zog. Auf der andern
Straßenseite spielten sehr unbeschädigt
aussehende Kriegsgeschädigte auf ihren
Leierkasten lustige Walzer. Hie und da
kam eine Patrouille roter Garde und
suchte die Massen zu vertreiben. Der
Platz wird jetzt gleich jeräumt. Die
Scheidemanner sind rm Anzug. Ich
beschloff. ihnen entgegen zu ziehen.
Unterwegs besah ich mir das königlickk
Schloß und den Marstall. die so aus
sahen, wie ich mir die Kathedrale von
Reims vorstelle. Matrosen, die mit
Pässen versehen waren, gingen durch daS
Tor ein und aus, und ab und zu hielt
ein Auto mit Vertretern der fpartakisti
fchen Regierung, vielleicht Radek oder
Liebknecht. Ich bin leider den Genossen
nie vorgestellt worden. Beim Weiterae
hen hörte ich nach kurzer Zeit Schüsse.
und etwas später holte iÄ eine Truppe
Zeldgrauer mit Gewehr, Stahlheim und
Handgranaten ein. die zu beiden Seiten
der Straße den Häusern entlang schli
chen. Der Führer, gleichfalls im Stahl
heim trug Zivilkleider, ofsenbar ein
Offizier, der keine Lust bezeigte, seine
unpopulär gewordenk Uniform durch die
Straßen Berlins spazieren zu führen.
Der Zug bewegte sich nach dem Zei
tungZviertel. wo Spartakus bis auf die
Zähne bewaffnet und mit Munition und
Proviant ausgerüstet, sich auf eine lange
Belagerung gefaßt mackte. An einer
Straßenecke machte der Stoßtrupp balt
iirb sichte in Haustüren Tecküna. Aus
d'i orderen Tiraßenreihen stand, durch
eine Häuserreihe geschützt, da! Publi
kum und sah gespannt, wie die Sparta
kuskugeln in die gegenüberstehende
Straßenecke, einschlugen, in Mauer.
Fensterläden und Scheiben, die ab und
zu klirrend auf Trottoir sielen. Auf
einem großen Umweg gelangte ich
schließlich an eine Stelle, von der man
die verwegenen Schützen beobachten
konnte, wie sie vor dem Haustor deS
MassengebäudeZ, hinter meterhohen Pa
pierrollen ihre tödlichen Geschosse der
schickten. AlleS. was ich biS jetzt gesehen
hatte, machte mir, trotz der unleugbaren
Gefährlichkeit, einen sehr dilettantenhas
ten Eindruck. Je länger sich aber die
Kämpfe hinzogen, desto zielbewußter ge
staltete sich der Schlachtplan der Schei
demänner. Eine Position nach der an
dcrn sollte, mit möglichster Schonung
der Gebäude, zurückerobert werden. Ich
benutzte den Rest des Tages, mir duse
Position anzusehen, lernte ich doch auf
diese Weise BcrNn kennen. Zum Glück
fuhren 'die Elektrischen wieder. Die
Streikenden hatten famoS abgeschnitten,
wie mir schmunzelnd der Kondukteur
erzählte. Einige Schreier hätten immer
noch weiterstrciken und mehr verlangen
Wollen, er jedoch sei froh mit dein neuen
Lohn und der neuen Arbeitszeit. Den
schlesischen Bahnhof im SUdosten der
Stadt erreichte ich erst bei Nacht. Die
Frcischärler hatten alle Zugänge abge
spurt. Schließlich gelangte ich aber doch
auf den ganz in Dunkel gehüllten und
menschmleeren Bahnhofplatz. Nur aus
einigen Kneipen fiel LicM. Ich wagte
mich in eine hinein. Zwei Matrosen
spielten auf Geige und Klavier zum
Tanz und die übrigen Genomen tanzten
mit der Bedienung, ohne den einge
drungencn Bourgeois im geringsten zu
beachten. Hier herrschte in der Tat
Freiheit,- Gleichheit unb Brüderlichkeit,
von der ich schon so viel gelesen- und so
wenig gesehen hatte. Aber mir wollte
scheinen, als hätte sich schon eine gewisse
Berzagtheit ,n den gestern noch so zuver
sichtlichen Hezen eingenistet. Alexander
platz und Polizeipräsidium, das Haupte
quartier der Roten Garde, fand ich nach
acht Uhr abgesperrt, nur die Trams
wurden durchgelassen. Noch nie bin
ich, in einer Stunde so viel-auf der
gleichen Strecke Tram gefahren. Aber
ich kam nicht auf Meine Rechnung, die
sich auf ein paar Mark belief. Frierend
standen die Barrikadenkämpfer, das Ge
wehr an einer Schnur, den Lauf nach
unten gerichtet, um die Schulter gehängt,
auf den nächtlichen Straßen und moch
ten wohl bereits ahnen, daß sie für eine
verlorene Sache kämpften. Das Zei
tungsöiertel, wo die Schießerei die ganze
Nacht andauerte, fand ich von Regie
rungsituppen abgesperrt. Die machten
Ernst. Mir dauerte ober die Sache doch
zu lange. Ich war todmüde. Berlin ist
eben nicht wie Basel, wo man sich von
einem Fenster , der National-Zeiiung'
alle freundlichen und feindlichen Kund
gebungen der Bevolkörung ruhig an
sehen kann. So fuhr ich denn am nach
sten Morgen nach der ruliigen und wohl
tuenden, vom Geist des .Alten Fritz" be
seelten Beamtenstadt Potsdam, wo es
gerade aussah, als wisse man von allen
Ereignissen auch nicht das Geringste.
Ich sah wieder preußische Gendarmen,
preußische Offiziere, von ihren Truppen
gegrüßt, und fchwarz.wciß-roie Flag
gen. Solche Gegensätze sind häufigund
nickt immer so leicht zu verstehen, wie
in Berlin und Potsdam. Hamburg ist
scheidemannisch. Bremen spartakistisch.
und zwischen Hannover und Braun
schweig besteht der gleiche Unterschied.
obschon die Doppelstadt Hannover-Lin
den wohl mehr Industrie ausweist 'als
Braunschweig. Ich kann mir die Sache
nicht anders erklären, als daß die Per
soinichkeit der Arbeiterführer, die den
Ton angeben, in den Städten eine an
dne ist. Trotz kleinen Putschen in Stutl
gart und München kann ich ruhig be
vaupken, daß die russisch-asiatische
Giftpflanze Bolschewismus Spartaci
auf norddeutschem Sandboden lediglich
gedeiht, auf süddeutschen Hügeln aber
viel schwerer. In der Schweiz sollte
das Unkraut erst recht' auszurotten sein.
wenn wir uns alle bemühen, unteren
Garten davon rein zu halten. Wir sind,
ja uffjeklärt" genug, um unsere Politik
selbst zu senken und bedürfen keiner oft
lichen Intelligenzen, um uns darüber be
lehren zu lassen.
Auf der Eisenbahn.
Ein Reife, in Teutscbland otiiaUA
lich etwa folalndermak,?!,? Am &,nit,r
der Auskunftei fragt de Reisende, wie
wie und wann er am best, nach Dings
da reisen könne. Der übermüdete Be
amte antirorte ihm kurz: Morgen früh
4,39 Versonen:na W s5nhns-
Tort gibt es vielleicht 'Schnellivasver
mno.ing! Aue anveren Fragen werben
mit Asel,',ucken veanttreM. mir f,u
chen einen Fahrkartenschalter und stellen
un en oen Hwanz einer endlosen
Reihe d.r Wartenden Der Schalter
soll um V) ober 11 Ule aufgehen, es ist
erst 9 Uhr. Tor mir steht ein Kauf
mann in Uniform. Er behält diese an.
um billiger reisen zu können. Bei ollen
Reisenden erkundigt er sich nach den
Nahrungsseihältjtissen in anderen Ge
genden. Auch wich frägt er: .Wie ficht
es in der Schweiz? Kann man da was
rauskriegen?" Ich kläre ihn auf. mc!
nes Wissens sei nichts rauszukriegen. Er
notiert sich alle Ortschaften, von denen
er durch andere Reisende vernimmt, daß
noch etwS zu ergattern fei: Sehen
Sie erklärt er darauf, ich habe näm
lich einen Laden mit Kleidern und
Schuh'n, die mir in der Stadt niemand
abkauft, andercrfeit kzt meine kranke
Frau keine rechte Kost mehr. Nun reise
ich aufs Land binauS und tausche Le
bensmittel gigez Kleidungsstücke ein.
Geld mögen die Bauern nicht geben
aber mit Butte'' und E'krn rücken sie
eher heraus, wen se Schuhe nd
Strümpfe sehen." Endlich geht' der
Schalter auf. aber nicht der, vor wel
cbem wir warten, sonder der neben
siehende, alle? rennt hinül. Die Rei
hmfolg- der Harrende.! ist dadurch ge
stört. Da ich die Sache früh genug be
merkte, erqalt einen besseren Platz
und komme gleich dran. Jabrtarte
nach Dingsda dritter Klasse" Werden
erst morgen früh ausgeheber,, bemerkte
die schnipp! sä,? Junger am Schalter.
Mein Hintermann sieN die gleicke
Frage und erhält die gleiche Antwort, ,
zeigt sich aber dv Situation besser ge
wachsen. Wachen Sic mir keine Ge
schichten, ich bin Solda' usw."
Kurz, er erhält sein Billet. Am nächsten
Morgen trete ic., sün, Minuten vor Ab,
fahrt dcZ Zgl wudee an und werde
belehrt, daß leine Fahrtarten mehr aus
gestellt werden, weil de: Zug überfüllt
sei. Ich kchre ins Hotel zurück und lege
mich nochmals schlafen. Am folgenden
Tag bin ich früher auf dem Platz, und
das ist gut; denn niemand will meine
Stuttgarter Bonknote annehmen. Man
scheint gar nich. zu wissen, wo Stutt
gart liegt. Heilige, Fortschritt, wie
weit hast du uns gebracht! Wir treiben
Tauschhandel wie die Wilden in Afrika
und müssen un mit Geldschwierigke,
ten plaze, wic zurzeit der Bernerbatzen
und Baslcrtäubkein. Mit einiger Mühe
eryc. .i icu schlicklic tco eine Fahr
karte und mit größerer Mühe auch einen
schlechten Platz im Zug. Obschon die
Veute dichtgedrängt ,n den Abteilen und
auf der Platform sihen und stehen und
der Zug auf niemanden zu warten
braucht, weil niemand Platz hätte,
rührt er sich nickt vom Fleck. Erst eine
yawe totur.d; nach da angekündigten
AM eiilMitk' er sich endlich zur Ab
fahrt, abr einer Aljahrt, die einen
melancholisch stimmt. Wenn doch nur
alle Maschinen ,ns Meer fahren wür
den!" hörie ich einen alle Eisenbahner
fluchen. Noch n! bab ich so lanae Ver,
sonenzüg gesehen, kein Wunder, daß sie
so iang'ai.1 durcez Land schleichen. Wa
turn sie aber überall so lange halten, ist
mir iw liar erworben. Die murr,
fchcn Beamten gckn keinen Bescheid,
llmsnst habe ich mir eine Zeitung ge
kauft. Tic Lande ist zerschlagen und
brennt nicht. Auch di. Fensterscheibe ist
zerbrochen, ein Osiizicr hat mit feinem
Mantel, ö'm Mantel ter Liebe, das
Loch zug'deckt, damit sein Weib und
Kind nicht frieren. Geheizt werden die
Abteile nicht. Dafür fahren aber die
Züge auch am Sonntcg und a'.ißcrdem
leisten sich die Deutschen noch einige we
nige Schnrlliüge. D bequemen Schwei
zer fpiren Koble,'. indem sie Sonntags
die Reise unterbrechen und nur in wohl
geheizten Bummelzügen fahren. Er
kältet habe ich m'ch übrigens erst in den
warw'n Schwnzerzligc!, und gebe un
bedingt der deutschen Kohlensparme
thode den Lorzug. '
Nirgends fand ich e'n interessanteres'
und gesptächibireS Püllilum wie auf
diesen nicht enden zollenden Bahnfahr
ten.' Nie fehlt der Pessimist, der den
gänzlichen Untergang der deutschen Na
tion, den Stcatsbankciott, den Frohn
dienst, oder i-.n Bolschewismus und
Hungertod kommen siebt, so wenig wie
der Optimal, der mein,, wir sind gar
nicht geschlagcr, ick, sass jedem Franzo
scn ins Glicht. Die Sach: ist gar nickt
schlimm usw.' Beiden antwortet zur
Freude aller Anwesenr?!, ein Spaßoo
gcl, der der ganzen Tragikomödie
nur die lcmischc Seite abzugewinnen
versteht.
Einer dankbaren Zubörerschaft er
freuen sich natürlich die vielen Solda
ten, und Halbsoldaten. lnii ich die zahl
reichen Männer bezeichnen möchte, die
zum neuen Hut noch den alten etwaö
umgkrempeltc:, feldgrauen Uebcrzicher
tragen, der noch a- ie bewegten Zeiten
erinnert. Dort in der Ecke sitzt ein
ga,?Z I'.inger schwäbischer Matrose, der
Von Wilh.ImZbafen in Urlaub reist. Er
schildert d:n Abbruch der Revolution,
wie die ausländischen Seeleute in die
Kaserne cmdrangen, toi der er gerade
Wache stand. Au' die Frage, warum
er sie durchgelassen habe, antwortet er
entrüstet: da? hett e scheene Gschicht
gebe!" Der Junge meint? ferner, als
Matrose sei man in Deutschland nir
omds gerü gcfelen. ti Heike überall.
die hätten am beste?- a.Itbt und am we
nigst'ii gelüstet. Nelvn dem Matrosen
sitzt ein Tankfahre?. dr mit beredten
Worten di: Hcllenqual',, schildert, wel
cke die scchZköpigr Mannschaft in der
überhiliten beweglichen Festung, die mit
einer Geschwindigkeit von 20 Km. in der
Stunde über alle Hindernisse hinweg
fuhr, ausstehen hatten. Seine An
sicht geht dahin, die Tanks seien von den
eulschkn ansang? unterschäb.t worden.
Nachher sei e? zu spät gewesen, tüchtige
Wagen herzustellen. Die brauchbarsten
seien immer nock dieserigen gewesen, die
man den Engländern abgenommen
hatte. DaS Fr'iulein aeaenüber mill
auch etwas zum Besten geben. Sie ar
Cfitet auf der Zensurbehorde in Berlin
und tuschelt geheimnisvoll von den kom
promittierenden Akiensti'nen.. die Zekt
unaushör'ich Tag und Nacht in Flam
wen ausgel,en. Große Zeit und Mühe
ersparnis für spätere Geschichtsforscher.
Ein junger Hur. früherer Krieasinter
niert,r in Bern und a'.S solcher bei der
Gesandtschaft angestellt, reist wiederum
in die Schweiz, wo man ihn immer noch
nötig hat und ihm angettich' ß00 Iran
lm für seine Dienste zahlt. Mit den an
deren Intcrniertei' halle man ihn in
seine Heimat gebracht, doch kehrt er lie
ber zu den Frttöpfen der Schweiz zu
rück.
In Norddeutschlauo fehlte gliche
Kon troll.. Jedermann stieg ein, wo er
,wollte. An d?'! Bahiiböfen wurde ein
Fahrausweis des ' Scldalemals der
langt, doch waren die Fahrkarten ach
ohnedies erhältlich. Bessere Ordnung
fand ich in Süddeutschland, namentlich
auf der Rückreise, nachdem die Land
tagsw.ihleu sanierend gewirkt hatten.
j bei den ungeheuren Schwierig
keilen der Lalndienst immer noch so
durchgeführt wird, darf als eine her
vorragende Leistii.iz der deutschen Be
amte bezeichnet werden, und daß so
wenig oder gar hm Unglückssälle ein
treffen, hängt tiifleiAi mit der Tatsache
zuftmmen. daß dr Alkohol fehlt.
5ei einem Wi.te wundermild, di
war Ich jüngst zu Gaste." Ter Wirt
war bis vor kurzem Kammerdiener dek
GroßhenogZ. Seine dort erworbenen
guten Manieren geben ihm einen eige
nen Glanz von Liebenswürdigkeit. Aber
nicht nur gute Manieren Hit er au! dem
großherzoglichen Schloß in das vo
ihm übernommene Hotel mitgebracht,
sondern auch Sophas. Leinlücker. Spie
g!l. Bilder, wal weiß ich. Als wir in
der Residenz nlangten, lief alle? ins
erfte Böhnhofhotel. Die Vorausstür
wenden fans?n UntkNun'!. de ?cach
tränzendk hatten das Nachsehen, die
? Untersten, unter denen auch ich mich be
and. eilten inl zweite Gasthaus, wo
eben der freigelassene Sklave, der Er
laset des Großherzogs, das Gastrecht
übte,' 'Er hich uns willkommen, sorgte
für reichliche Essen und brachte uns
auf den geerbten SophaS unter. Die
geschilderten Verhältnisse sind Auknah
wen; in der Regel werden wir bei der
Ankunst im Hotel eine Treppe mit voll
kommen abgenütztem Läufer hinaiifgc
führt. Im Zimmer hängt ein winziges
Handtuch und die Bcttücher, bisweilen
Flickwerk lind Stückwerk, eignen sich
nicht für unruhige Schläfer. Sie rei
ßen zu leicht.
Wohlmeinende Freunde hatten mix
geraten, in Berlin ja in einem Hotel
erster Klasse abzusteigen, um meines Lc
bens sicher zu sein, zum Beispiel im Ho
tcl Ablon, Unter den Linden". Nun
wurde gerade in diesem Haus, während
meines Aufenthalts in der Residenz ein
gräßlicher Raubmord verübt. Ein Gast,
der drei Zimmer gemietet hatte, er
würgte einen alten Geldbriefträger und
machte sich mit einer großen Geldsumme
auS dem Staube. Geraubt und gestoh
len wirb überhaupt unheimlich viel, im
mcrhin weniger, als viele glauben denn
nur die Tiebstähle werden gemeldet, n
zählige ehrliche Handlungen findet man
sclbstoerständlich. Obschon ich ins osfc
nen Nucksack Butter. Zucker und Aepfel,
sowie Woll und Baumwollwaren trug,
ist mir weder an Bahnhöfen noch in
Gast und Wirtshäusern das Geringste
abhanden gekommen.
Wahlversammlungen. -
Spartakus hat eS nicht fertig ge
bracht, die Wahlen zur 'Nationaler
fammlung zu stören. Nachdem diese sich
vollzogen haben, dürften die geordneten
Juslaiwe nicht mclzr lange auf sich war
ten lassen. Die Wahlversammlungen
boten dem .Kuriositateniammler aller
h:nd ausfallendes. Gemeinsam zeigten
alle das Bestreben, den politischen Geg
ner für das dicke Ende deS Krieges ver
antmorllich zu machen. Die Sozial,
sten hatten es insofern leichter, als sie
den rechtsstehenden Parteien auch für
den Ansang des Krieges die Schuld
beimcssen konnten. . Konsersative Ber
sammlungslester klagten mir, sie mllß
ten immer in Aersammlunacn die Erw,
dcrung hören, was ihr da sagt, ist
ganz richtig, aber ihr seid es halt doch,
die den Krieg ver chulbct haben!" Die
Sozialisten verdanken also ihre Riesen
erfolge weniger den Theorien von Karl
Aiarz als der ungeheuren Erbitterung
der Menge über die Nichterfüllung der
all diese Zahre hindurch gemachten Ber
prechunacn. Mit der gleichen Erbi le
rung wie früher über das Perfide Äl
bion", das treubrüchige Italien" und
das deuischfeindliche Belgien" ent
rüstet man sich jetzt über das alldeutsche
Teutsa,land, obschon auch den andern
ein Teil der Schuld bememessen wird,
Ich wohnte unter anderem einer Bei
fammlung von Professor Schücking auS
wlamua, dem bekannten Paziniicn.
bei. der die Worte Försters von der
Solidarität des Verschuldens" zitierte.
womit er sagen wollte, alle Völker
Europas seien an diesem Kriege mit
schuldig. Lauten Beisall erntete feine
Rtde aber erst, als er hinzufügte, viel
schuld falle allerdings auf Teutschlard.
dessen unglückseliges Verhalten bereits
aus der Haager Friedenskonferenz durch
seinen Militarismus bedingt worden sei.
,e AdrustungZvorschlaqe Amerikas
wurden von Berlin aus bekämpft und
hintertrieben. Tirpitz hat eine schwere
chuld aus sich geladen, denn sein sy
sinn machte uns England zum erbittert
sten Gegner. Das Auswärtige Amt
sah dies sehr wohl ein. und noch im
Frühjahr 1S12,richtcte es an den Kai
ser eine Denkschrift und sprach sich ge
gen die Flottenrustiingen ans; allein, der
Kaiser horte nur auf Tirpitz. Und wo
ist dieser Mann jetzt? Die Deutsche
ageszeitung" erkundigte sich schon neu
lich darnach, da eS ihr peinlich war, im
mer von konservativer Seite zu hören,
daß dieser Englandbesieger jetzt nichts
mehr von sich hören lasse. (Zurufe:
Sehr gut! Und Ludendorfs?) Der
General, der Hunderttause,ii der besten
Deutschen opferte, wo ist er, da er dem
deutschen Volke Antwort geben sollte.
warum dies alles so gekommen ist? Eine
kläglichere oeigheit als diese Flucht kann,
von einem Olsizier nicht gedacht wer
den. Kümmerlicher, ?läglichkk ii ein
stolzes System niemals zusammenge
brechen (lebhafte Zustimmung). Noch
1012 konnte, man eine Verständigung
mit England haben. Haldane, der in
Deutschland studiert halte, und das
deutsche Wesen hochschätzte, hatte alles
hierzu eingeleitet. Aber es war die Po
litik eines Wahnsinnigen, der sich mit al
len Nachbarn verfeindete. Und so mußte
der Weltkrieg kommen, in dem das
Turchhalten den größten Unsinn bedeu
tete .... Aber wehe dem. der solche Ge
danken äußerte, er galt als Vaterlands
Verräter und bestochener Agent dek
fkiiidlichen Auslandes . , Man konnte
dem Battrlande seine Zeit, fein G.'to
und oll feine Kenntnisse opfern; wenn
man nicht dabei auch zugleich Hurra
'schrie, balf alles nichts, man war ver
däcktigl" (Sehr gut.') 1
' DicS eine Stichprobe aus einer Wahl
rede. Den heitern Teil bildete jcweilen
die Tikusston, in der die Angegriffenen
sich wehrten und etwaS Wasser auf
ihre Mühle zu lenken versuchten. Ent
weder war es ein Jude, der versicherte,
scine Brüder seien ebensogute, wenn
nicht bessere Deutsche als die blonden
Germanen, oder eine Frau, die von der
unbedingten Pflicht ihrer Mitschwestern
sprach, sich so politisch zu organisieren,
daß ihre Stimme in allcn wichtigen
Fragen nicht überhört werden könne.
Auch die Frauen schieben die Schulo am
Krieg ihren Gegnern, d. h. den Man
nern zu und versichern, wenn sie mitge
rzdel hätten, wäre alle! anders gekom
wen. Natürlich reißt sich jede Partei
um die Stimmen der Frauen uns sie ,
bekommen in den Lersammlungireden
mehr Kompliiente zu hören als i Pri
Vatgesprächen, wenn vom Frauenstimm
recht de Rede ist. Am meisten soll übr!
glNs, so wurse behauptet, dS Zentrum
vom Frauenstimmrecht profitiert haben,
ouigerechnet die Partei, die sich dagegen
sträubte. Im allgemeinen Verliesen die
Bersammlng', wenn sie nicht von
SxzrtslnS einberufen worden waren. .
'ruhig' und p.illamciitarisch, und unsere
Jiingburschcn. welche kürzlich die Ver
sammlung im MiisiksrZal störten, soll
ten eine Zeit lang im revolutionärer
Deutschland in die Lehrt gehen. A
nahmen kamen vor. Einmal wäre durch
eine Stinlbombe beinahe eine Versanisn
liing gesprengt worden. Die giftigen
Gase deS Krieges haben Schule gemacht.
In einer Versammlung in Frankfurt
stellte sich ein großes Tier, Oberlich
ter, Stadtpräsidcnt oder elvaS ähnliche
auS seiner Nachbarstadt seinen Wäh
lern vor. Die Wahlrede, war ei Er
folg. Aber am Schluß mußte er kon
stalieren, daß ihm sein Pelzmantel im
Wert von 800 Mark gestohlen worden
war. Welche Partei wohl daran schuld
ist?
Bci Hiiidcilburg.
Eine Stunde westlich von Kassel
dehnt sich über einen bis 575 Meter an
steigenden Basaltrücken der berühmte
Pa.t von Wilhclmshöhe mit itm weit
t.in leuchtenden Schloß, das zu den läng
sten Gebäuden' der Erde gehört. Die
Höhe wird gekrönt durch eine zehn Mc
ter hohe Hcikulesstatue .von den Hessen
der große Christoph' genannt. Allein
in seiner Keule finden mehrere Perso
nen Platz und können durch eine Klappe
sich am herrlichen Nundblirk ergötzen.
Wie Saul, der ausgezogen war, eine
Eselin zu suchen und ein Königreich
fand, ließ ich hei meinem Besuch in
Wilhelmshöhe, der dem Herkules galt,
diesen unbeachtet stehen und sah dafür
Hindenburg. Nur um die Wartezeit
einiger Stunden auszufüllen, hatte ich
den Weg nach dem Niescngarten der Kur
surften von Hessen gesucht, in dem vor
etwas mehr olZ 100 Jahren "Jerome
Napoleon zu sagen pflegte: Morgen
wieder lustick". in welchem dann 60
Jahre später sein hoffnungsloser Ncsse
Napoleon III., wie in den deutschen
Schulbüchern zu lesen steht, über daS
Wort Die Weltgeschichte ist daS Well
gericht" dachdcnken konnte. Die Welt
geschichte, oder meinetwegen daS Welt
gcricht hat nunmehr das große deutsche
Hauptquartier zu einem Schattendasein
auf diesem historischen Boden verurteilt.
Ein Nationalpark czlcichsam für die
Ueberbleibsel deS deutschen Militaris
mus. wie der von Amerika für die letz
ten Büffel! In Kassel selbst stehen et
wa sechs sttamme Regimenter, die kürz
lich bei einer Demonstration für die Rc
gierung Ebert-Scheidemann mit Offi
zieren, Fahnen und Musik aufmarschier
"len. Doch ich wollte erzählen, wie ich
Hindenburg fand. Nun. auf die ein
fachste Art der Welt. Ungefähr in der
Mitte des zwei Stunden weiten Parks
schritt ich bergan, da trat aus einem Sei
tenweg ein Offizier mit einer Dame in
die Hauptallee. Der Offizier, eine hohe
.Erscheinung, trug einen hellgrauen Man
tel, eine Tellermütze, einen breiten roten
Streifen an der Hose, gelbe Gamaschen
und Schnürschuhe, und ging an einem
Stock-, auf den Achselklappen wurden
beim Nähertreten die Marschallstäbe sich!
bar. Das Gesicht mit anliegendem
Schnurrbart, oder wie der Berliner sagt
Anleihe", kam mir so, bekannt vor, wie
das meiner frühern Schullehrer und ohne
mich nur zu besinen. griff ich zum Hut
und grüßte den großen Mann, den ein
zigen Großen, über den ich wahrend der
drei Wochen nie ein unvorteilhaftes Wort
hatte äußern hören, der auch groß und
fchön blieb, als die andern, klein und häß
Ob sie ihn bewachten oder Äschützikn
entzieht sich meiner Beurteilung.
Da ich nicht zu den Schweizern gehöre, -die
Beziehungen zu deutschen Militärkrei
sen gepflegt haben, so stand mir auch
nicht iu, htm Fcldmarschall auf die
Schultern zu klopfen und ihn nach Rc
Porterart auszufragen, und so muk ick
befürchten, daß die Begegnung die für
iiiiuj i!N!iiciq,n ein rreuviges Ereignis
war, für meine Lcser herzlich wenig be
deutet. WaS für Gesühle beseelen wohl
den greisen Feldherrn? Sie mögen mehr
Aehnlichkeit haben mit denen Napoleons
Hl. als mit denen feines lustigen" On
kels. Aber wie dem auch sein mag,' Hin
denbura hat wenigstens das bat er
durch sein Verbleiben zur Genüge bewie
scn ein gutes Gewissen. Anderseits
mun eine An gäbe keineswegs eine leichte
stin. Das Rathaus in Kassel war der
Schauplatz sehr lebhafter Verhändlungen,
in denen Hindenburg klipp und klar er
klären Mukte. dak di rüvrft ?,?,ss,i.
'lung in keiner Weife daran denk,, di.
geaenkedoZutionä'ren Bewegungen zu un
terstützen, solche Behauptungen seien bei.
let Wahnsinn. Diese Verhandlungen be
weisen, wie sehr der Feldmarschall gegen
das Mißtrauen vieler feiner Landsleute
sich zu wehren hat. Ich veraak ,u er
wähnen, daß bei meiner Begegnung sm
Park, zwei Detektive in einem Abstand
von m Metern dem Feldherrn folgten.
,,e ii)n oewacyrcn over beschützten ent
an Ii,c,nrr eurieiillNZ.
Heimkehr.
ufuoe ini3 voucr Eindrucke wie nack t
L V f; .. . i i.j -r t . 7 :
Lebt wohl schöne Bahnschgffneri,ien .in
uitU''i .ui iu uic ju.iirme un.
unschöner Uniform, lebt wohl Soldaten
rät?, steht nicht mehr zu lange umher
und kelirt bald zur Arbeit zurück. Lebt
Wohl Butterhamstercr. denkt nicht nur
uoct eilen macht seit". Denkt auck,
neben ist seliger als nehuien." Leb wokl
deutsches Volt, wo jeder tut WaS er Will
und was der andere nicht will, erhol dich
f l r irnnn'.f irnr m r , . . . . i . -r
von Rausch nnd Katzenjammer. Hör t
nicht auf die Sirenengesänge von Spar l
takus. Arbeit allein kann T,tn PnS I
wieder auf die Höhe bringen, yallerlst ff
keine Schande,
aber Liegenbleiben.
E. G.
An der Börse.
Der New Yorker Neffe zeigt seinem
Onkel vom Lande die Sehenswürdigkeit
ten der Metropole:
DaS hier, lieber Onkel, ist die be
zähmte Rem Forker Effektenbörse. Dit
Leute, die da unten i Saale herum
lziifkn. sind die Finanziers. Bankiers
und Makler."
Die müssen schön müde werde.
wenn sie fortwährend da herumlaufen.
Wcshz.'i sejen sie sich nicht?"
DaS i't zu kcftspielig: ein Sitz kostet
ach'ztausend' Dollars."
V