Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, October 17, 1918, Image 6

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Tägliche Omaha TrlbSie
Ms -KUderbucb
' A Da schabt her! Der liebe Gott fitzt
l Im Gärtlein des Vaterhauses, hält sein
; Kindlcin. das Menschenkind, auf dem
l Schoß und zeigt ihm dos große Bilder
uch. Tarinnen ist abgebildet seine schöne
- -SStlt, alle Geschöpfe seiner Hand, der
Himmel mit seinen Sternen, die Berge
mit den wandernden Wolken, die raii
schenden Flüsse in den Tälctn. die Ziere
der Luft, b:3 Wassers und der Erden.
. und mitten unter ihnen der Mensch, sein
liebstes Geschöpf, um deswillen alle an
' bereis und das ganze Weltall gemacht
j ( sind. Ta blättern sie zusammen, und
! ' daS Kindlein ist selig in des Vaters
. . Arm. klatscht in die Hände von Freuden.
denn so wie es die Dinge alle schauen
kann, schauen zum Greisen nah und zum
j , Begreifen so einfach, wird ihm die Welt
vertraut und Ikb, alle Geschöpfe wie
Brüder und Schwester, denn es schaut
i sie mit den Augen des Vaters, aus denen
. die Liebe leuchtet, schaut sie gleichsam
- auS des Vaters Herzen heraus und um
i fasst sie mit seiner, des Schöpfers, Freude
an allem Geschaffenen. Und wenn der
! Äater dem Kindlein die Namen nennt
all der geschaffenen Dinge, so ist's, als
oh die Namen aus dem innersten Kern J
f AM--, t a i"-J- 'r.- (ir:- ,f , i
: uct jyingt oeraus lonicn uno iqr ccn
' schon im Wort offenbarten. So wird
- die Welt des Vaters zu des Kindlcins
eigener Welt und es fühlt sich selbst
1 eben Teil, von ihr, ja mitten drin in
ihrem Kern, als ob sein eigen Herz das
Herz der Welt wäre und von hier aus
- tausend goldene Fäden sich spannten
nach den Dingen hin und sie ihm zu
eigen machten durch das Gefühl: ich bin
in euch und ihr seid in mir und wir sind
alle zusammen des himmlischen Vaters
Eigentum,
Aber siehe da. waS geschieht? Ist
daS das Kindlein noch, das selig war im
Arm des Vaters? das nickts Schöneres
wußte, als des Vaters Bilderbuch und
; seine Geschichten dazu? Der Trotzkopf
kt sich losgestrampclt von des Vaters
, Schoß, hat ihm das Bilderbuch aus der
Hand gerissen, will keine Bilder mehr
schauen, keine Geschichten mehr hören.
Ganz betrübt läßt der Vater es machen,
sieht ihm zu. wie es an dem Faden rupft
und zerrt, der die Bilder zusammenbin
det, und an dem Leim knuppert und
kratzt, der sie Zusammenhalt. . ,Wa will
der Eigensinn? Die Blätter auseinan
dezerren? Schauen wie das Buch oe
macht ist, wie die Bilder von hinten aus
sehen, ob die Farben durch und durch
gehn oder nur so angemalt sind? Seht
wie gierig es knuspert und zerrt, eine'
wahre Zerstörungsmut hat es erfaßt, es
ruht und ruht nicht, bis die Blätter her
aus sind aus dem Heft, die Bilder los
gekratzt, das ganze schöne Buch in Fetzen
herum liegt.
Z?cb. wch!
Tu &nst sie zerstört
Sie schone Wett!
Du hast gescheit sein wollen, gescheiter
als das Bilderbuch und der es gemacht
hat, haft die schöne Gotkesivelt, die deine
Lust und Freude war, von hinten und
von innen sehen wollen, durch und durch
begreifen, wie eine Maschinerie, damit
dein Hochmut sagen könne: O, ich wfz
Wohl, es ist alles nur geheftet und ge
leimt und gemalt und aufgeklebt, es ist
. weiter nichts dahinter. Und da liegt sie
min im Drech deine schöne Welt und ist
selber nicht diel mehr als Treck, den die
.Magd mit der Kehrichtschaufcl wegkehrt.
'Uno statt daß du selbst mit und in den
Bildern der schönen Welt lebst und glück
lich bist in ihnen, sind sie nun tot, leben
weder in dir noch an und für lich, und
dein Heiz ist arm und leer und alles,
was du gewonnen hast, ist die jLmmer
liebe Weisheit, dafz die Welt ein Treck
sei und dafz sie's nicht verdiene, dafz wir
. uns an ihr freuen. Und jetzt ist auch
das Gärtlein im Vaterhaus kein lieber
Aufenthalt n?ehr für die Kindlein, es ist
ihm zu eng. zu traulich, Zu kindelig ge
worden. Die Bäume und Blumen, die
so schön dufteten und im Winde sich
wiegten, die Vöglein, die zum Himmel
sangen, die Fischlein, die im Wasser
spielten und die Häslein.. die so drollig
das Männchen machten, sie haben keine
Sprache, kein Inneres mehr; die Bäume
sind einfach Holz, das man zum Bren
nen verkaufen kann, die Vögel und die
Hasen einfach Fleisch, das man braten
und essen kann; alles Lebendige, Lieb
und Freudenreiche ist eine Sache gewor
den. die zum Nutzen dient, besonders
.zum Geldmachen. Tie Seele ist weg aus
den Geschöpfen, weg aus der Welt; das
Menschenkind selber spürt kaum eine
Seele mehr in sich. Das war auch nur
so ein frommer Wabn; der Mensch ist
ja auch nur so ein Fleiichklumpen, der
herumläuft, ein besseres Tier, und übn
aens weiß man es jetzt, daß er vom
Affen abstammt, ein Entwicklungsprodutt
- ist, wie alles Lebendige, und damit ist
er wissenschaftlich erledigt und was ra
noch von Seele in ihm geistert, ist ein
letzte? L:berbleibfel, ein Atavismus aus
früheren Zeiten, mit dem die zunehmende
Bildung auch bald einmal aufräumen
wird.
Aber wohl wird's ihm trotz allcdem
nicht in der Welt der leblosen Sachen
und Flk'scbklllinpen. dem Menschenkind,
in der Welt der wissenschaftlichen Tefi
nitionen und Lehrsätze, der mathemati
fchen Auflösung alles blübenden Leb?ns
in lauter Formeln. Statistiken nd Na
turg?setze. Es kann kiicbt heimisch wer
den' in dieser entseelten Welt. Xai n
doch anders, als es im Gsrilein des
Vaterbaufts ft'n Büdcrbuck scheute und
ein war 'im Vetrachtea mit dem li?b'n
Vater, der ihm die Welt lckenüe n?d der
im Betrachten und Erkläre etwas vom
la ?,ldsk!iH (riif ff
st-n I jmeT.Tft fl. I 4.
warst Uiiitcr. l'ttiaj von
jjr? Zöltlkk -Lichislz.
(imt. tfttfc
'.'alt Hrr
ftii&rt, .
, . ... .m. , r7;.; i
:.g g a-jj: f. :,..'. juiu
Von Hermann Auiter).
göttlichen Schöpftkgcist. von der seligen
Künstlfteude in das Kindlein hinüber
strömen ließ. War die Einfalt von da
mals, die alles mit liebendem Herzen
erfaßte, nicht mehr wert? Jener glo
ckenhelle Einklang, der .aus dem Busen
dringt und in sein Herz die Welt zurücke
schlingt." war er nicht das Glück, das
volle Glück, nach dein das Herz verlangt
und nicbt ruhen tann. bis es ruhet in
ihm? Wäre es nicht schön, wieder Kind
zu sein und reich im Gcnusz der sckönen
Welt, reich im Glauben cn ihre Güte?
Kann diese harte, lieblose Welt der ent
seeltcn Sachen, der bosbaftcn Wider
stände, der An und für Sich-Realitäten
zur Heimat werden für ein Menschen
herz? Ist nicht das Herz die eigentliche,
ja die einzige Realität in dieser Welt?
3t die ecle wirklich nur so eine be
bäuerliche Schwäche, die der stolzen Spe
zics Memch och von früher her anhaf
tct, oder im besten Fall so ein Fcuerlein,
an dein man sich wärmt, wenn's einem
schwach wird? Ist nicht doch die Seele
das eigentliche Leben, das Unsichtbare in
uns die Wunderkraft. aus der alles
Sichtbare seinen Wert schöpft, ja von ihr
die Wirklichkeit empfängt? Was ist
wirklitier als unser Sehnen, Hoffen und
Lieben? als unser Trauern. Fürchten
und Hassen? Versuche es einer, diese
Wirklichkeit zu leugnen, und sehe dann,
was übrig bleibt! Versuche es einer,
sein Leben aufzubauen auf Grund von
Formeln. Naturgesetzen, Morallebren.
Grundsätzen, Ethiken und Methodiken!
Dieses bloße Wissen um die Ding, ist ge
rade der Tod oes unmittelbaren Lebens,
des Lebens von innen heraus; diese Mo,
ralität aus Prinzipien ist gerade das
Gegenteil des wahren Gutseins. das sich
von selbst versteht, das in Einfalt übt.
was kein Verstand der Verständigen
sieht: Gott lieben von ganzem Herzen
und feinen Nächsten wie sich selbst.
Die Sehnsucht, die das entlaufen
Menschenkind überkommt nach der son
nigen Terrasse vor dem Vaterhaus?, nach
dem lieben Bilderbuch und nach dem
Schoß des himmlischen Vaters, in dessen
Arm es glücklich und geborgen war
ist die Sehnsucht der Menschen unserer
Zeit, ihr fieberhaftes Suchen nach
Wahrheit und Wirklichkeit. Tie Mensch
heit hat sich ins Wissen ohne Tun hin
einschulmeistern lassen und hak es nun
im Weltkrieg erfahren, wobin diese
Trennung führt. Daher das tiefe Miß
trauen gegen den Wert alles Wissens,
das nicht Tat und Leben ist; die Ver
achtunq alles in Dogma, Theorie. Schule .,
und System festgeronnenen Denkens.
Niemand will mehr einen kirchlichen,
katholischen oder protcsiantisckien Gott.
Aber Gott, der die Wabrbcit ist. wollen
'sie alle. Das Leben, nicht die Kirche,
soll heute voll werden der ewigen Kräfte.
Taten, nicht Worte. Die Liebe soll
berrschcn. Die Gerechtigkeit hervorbre
chen. Tie 'Seele ist das Leben, nicht
das Geld. Die innere Welt des Geistes,
nicht die äußere Klumpmwelt. Das
Hrz? das ist die Sehnsucht des modcr
nen Menscben.
Niemand, der mit Hermann Kutters
Schriften in Berührung gekommen ist,
wird an diesen Gedantengängen etwas
Befremdendes finden. Von seinem wis
senschastlichen Hauptwerk an (über Das
Unmittelbare", Berlin 1902) zieht sich
dos selbe Bekenntnis durch alle seine Bü
cher (Sie müssen", Zürich und Berlin
1904. Gerechtigkeit'. Berlin 1205, .Wir
Pfarrer". Leipzig 1907, Tie Revolu
tion des Christentums", Jena 1908.,
Reden an die deutsche Nation". Jena
1916 und eine Anzahl einzeln gedruckter
Predigten, die im Verlag der Grütli
buchhandlung in Zürich erschienen sin,
z, B. Die soziale Frage", .Geld und
Geist". Leben"). .Was immer und
allein wirklich ist. was allein gelten soll",
heißt es im Unmittelbaren" (S. 48).
ist das Leben selbst, in welchem sich un
endliche, das Gesetz der Freiheit spielend
'herstellende- Kräfte ein wechselndes, nie
zerstörtes Gleichgewicht halten und daß
von einem Sinn sich nichts träumen
läßt, der ihm nur von außen, nicht ftus
der Tiefe seines eigenen unmittelbaren
Wesens und Seins zuströmen würde.
Wäre unser Geist wieder das oberste
Glied an der Kette des Lebens, würde er
wieder seine intuitive Fühlung mit den
Sachen erhalten, statt sie als tote Objekte
aus dem angemaßten Bereiche seiner re
flektierten Selbständigkeit zu , weisen, so
würde sich in seinem Bewußtsein das
Unmittelbare zur Offenbarung drängen,
während er jetzt ein unverstandenes Ge
beimnis seelenloser Dinge in seelenlosem
Denken umsonst bei sich bewegt." ,
So oder anders, bald mehr schulmäßig
abstrakt, bald rednerisch andringend oder
im Farbenspiel einer glühenden Einbil
dungskraft wird die Mcnschheitsfrage
noch dem höchsten Gut in Kutters Schrif
ten besprochen und im Grunde immer
gleich beantwortet: Tie Wahrheit ist nur
eine: Gott; und sie erschließt sich dem
Menschen nur im unmittelbaren Erleb
nis. nicht als ein im Tenken ruhendes
Sein, ein vom Erleben losgelöster 58e
griff oder Lehrsatz, sondern als beseli
g?nder Inhalt des Erlebens selbst. Sie
läßt sich nichk beweisen und nicht-er-studieren,
sie setzt ein Unbewußtes, Kind
liches, ein Jenseits von iut un Böse
voraus, ein urkräftig Quellendes, wie
vom Paradiese her. ein reines Herz, wie
man es bei ganz kleinen Leutlein trifft,
oder einen ursprünglichen. Gott dem
Schöpfer verwandten Geist, wie bei gro'
ßen Genies, wie bei Sbakespear z. B..
dem herrlichen großen Kind,
Tas Neue am ..Bilderbuch Gottes" ist
die Absicht des Verfassers, zu Kindern
zu reden. Das Buch ist eine Art Kon
f'rmandenunterricht über die vier ersten!
Kapitel des RömerbrifeZ: darum hebt
die Rede in kindlichem Tone an und
nimmt immer wieder auf die kindlich:
Erfabrunz Bezug, auf daä Familien
und Schulleben, auf die Mutter und den
'ük''s, l. ,"!! j" 71 1 ''''fsM''!)'s WMMflW
Lmili Lüi iiJ LuuiL JUuiü tuauu luWiii kmiu iatuliiiMaiuUi kiiüiiuliMilt
Gottes.
Vater, den Lehrer und die Lehrerin, daö
Lineli und den Fritzli; und da fiuvct
Kutter manchmal eine Kinderstube?
spräche von einer Herzlichkeit. Traulich
keit und purzelbäumigen Drolligkeit, von
einem Humor, sg urkräftig und über
mutig und so ungeniert .mit dem Hei
ligen gepaart, daß dem grämlichsten Le
scr etwas vom fröhlichen Christentum"
aufgehen- sollte und er das Wort Kutters
verstehen lernt: die Kinderstube ist die
Hochschule der Weisheit Gottes. Es
mahnt einen an biblische Bilder der ita
lienischen Renaissance, wo über den ecn
stcn Heiligen und Kirchensürstcn in der
Mitte die pausbackigen Engel in den
Wolken herumtollen. '
Aber für K'indcr ist das Buch doch
eigentlich zu tief gedacht, zu schwer ver
ständlich; es ist mehr, wie das Borwort
sagt, für das Kind geschrieben, das wir
Großen auch noch sind, und drum, weil
das Kindliche unser eigentliches Wesen
ist, das Lachen der Sinn unseres Lebens,
nicht der Ernst, in den wir durch die
Großmannssucht des eigenen Wissens von
gut und böse hineingeraten sind", daruin
Kai der Bersasser dem Buch eine kind
liehe Form gegeben. Ta werden selbst
die schwersten Rätsel der Erkenntnistheo
rie und Ontologie oder die Frage nach
dem Ursprung des Uebels in kindlichen
Ausdrücken und Satzsormen behandelt.
Ta heißt eS B. einmal, wo der Be
grisf eines unzeitlichen Anfangs des Bö
sen erklärt werden soll: Dieser Anfang
ist nicht ein Anfang, wo man sagt: Zu
erst und dann nachher, erstens, zweitens,
drittens; lein Anfang, wie jetzt die An
fange sind, einmal und nachher nicht
mehr. Nein, der Anfang, von dem wir
im Sinn des Apostels reden, ist immer
da und ist alleweg ein Anfang. Er ist
das, was um alles herum ist. wie der
Himmel die Erde einschließt, der Anfang,
der auch das Ende ist." Oder ein ander
mal über das Wesen des Guten, das
man liebhaben müsse aus lauter Heimat
gefuhl, wißt ihr, wo man gar nicht
fragt: Was ist gut? weil man es nicht
vor sich in Buchstaben an der Wand hän
gen sieht wie eine Examenaufgabe, die
der Lehrer mit Kreide an die Wandtafel
geschrieben, fondern bevor man fragt, ist
man schon mitten drin" u. s. w. Oder
endlich über die Liebe: .Es gibt gar keine
l'npersönliche Liebe, keine Liehe, wo man
so sagt: die Liebe", fertig! Wie wenn
kein Jemand dahinter wäre, der liebte,
nur so, um in der Gclehrtenspracke zu
reden, ein ethischer Begriff, ein oberstes
Gebot, der wichtigste Paragraph im
Lehrbuch; nein, sie ist kein Gebot und
kein Begriff, sie ist Gott selbst und Gott
ist sie."
Ist von religiösen und philosophischen
Dingen jemals ' in dieser Sprache ge
schrieben worden? Es ist wohl eine Ber
wandtschaft zu spüren mit Luthers Brie
fen und Gesprächen, mit den Kalender
betrachtungen des Wandsbecker Boten,
mit Hebels biblischen Geschichten und
nicht zuletzt mit Jeremias Gotthelf
von der Sprache der Evangelien, von der
sie alle gelernt haben, nicht zu reden:
Kutters Stil im Bilderbuch" hat auch,
wie der Luthers, die altertümliche Kraft
des volksmäßigen Satzbaus, die schall
hafte und zarte Heiterkeit wie Claudius,
die burleske Derbheit wie Jeremias Gott,
helf. Aber er ist doch anders als alle
und auf jeder Seite kenntlich, am besten
wohl durch die kühnen Sprünge vom Er
habenen ins Gemeine, Alltägliche, vom
feurigen Ernst ins spielende Geplauder,
vom Uebersinnlichen ins Sinnliche.
Welche hinreißende Kraft strömt durch
seine Erzählung von des Apostels Pau
lus Leben bis zu seiner Bekehrung! Ich
halte diesen Abschnitt (Seite 16 bis 47.)
für die Perle des ganzen Buches, für ein
dichterisches Meisterwerk, das für sich
allein unverwüstlichen Bestand Hai und
das unsere Anthologien und Lesebücher
mit ganz geringsügigen Streichungen
unter die besten Muster der Prosa auf
nehmen sollten.
Die Streichungen betreffen polemische
Aussalle, die ,'nicht von innen heraus
nötig scheinen und dem Gesamteindrucke
schaden. Daß der Versasser sein streit
baxes Temperament selbst in dieser er
leuchteten Darstellung nicht ganz im
Zaum zu halten vermochte, ist . bezeich
nend für inen künstlerischen Mangel, der
seinem ganzen Werk anhaftet. Ich meine
die unablässige Einmischung eines feind
seligen Tones selbst bis in die VerHerr
lichung der Liebe binein. Am zähesten.
unerbittlichsten hakt sich sein kritischer
Stachel in die faulen Stellen der Wis
senschaft. besonders der Philosophie, der
Theologie und der Naturwissenschaft ein.
und nicht nur in die faulen, auch in die
gesunden. Es liegt darin eine Ungerech
tigkeit gegen die ehrliche Wissenschaft, die
es auch gibt, und eine Undankbarkeit ge
gen die großen Vorgänger, auf deren
Lebensmerk Kutter selbst steht. Von
Plato, der mehr Dichter als Gelehrter
war, und von den Apologeten der patri
stilchen Zeit, denen die wissenschaftliche
Grundlage fehlte, will ich nichts lange
reden, obgleich Kutter, der sie gründlich
durchforscht hat. ihnen die tiefsten An
regungen verdankt. Aber Kant, Fichte
und besonders Schelling. ohne welF
Kutter's transzendentaler Idealismus,
seine Lehre von der Immanenz des Go
tesbewußtseins und von der Identität
des Sichtbaren nd Unsichtbaren nicht z
denken wäre er beruft sich häufig auf
sie im Unmittelbaren" , sollten auch
in seinen Augen die vielgefchmahte Wis
senschakt vom Geilte gegen ein allgemein
wegwerfendes Urteil bewahren. Auch
die Theologie, so jämmerliche Irrtümer,
Starrheiten und Feigheiten ihr dorzu
w'rsen sind, verdient es nicht, vor ein?r
Zuhörerschaft von flindern und andern
Uneingeweihten nur lächerlich gemackt zu
werden. Es ist nicht nötig, einem Theo
logen von Kutters tiefzründsger und um
fassender Fachbildung vorzuhalten. waS
er den wirklichen Meisterg seiner Wissen
M Klagclicd. '
Au dem Schrribhrst de kinr
Freddie.
Oorot clssr!
Die schönen Tage von Rockaway sind
leider zu Ende. DoZLied ron der Frei,
heit der amerikanischen Jugend ist playcd
out und die SchulTyraniiei beginnt
wieder. Statt wie bisher im Schwimm
kleide in der breiten, blauen See zu plät
schern, bin ich verdammt verzeihe den
Ausdruck Tags über an die Schulbank
gefesselt zu sein, und wenn der Abend
lächelnd niedersinkt, wo jeder Vogel sein
Nest aufsucht, muh ich noch auf meiner
Stube am Arbeitstische sitzen, Aufgaben
machen, Büffeln und Ochsen. (Ich weiß
nicht, ob es 0. K. ist. diese beiden Worte
groß zu schreiben, da ich sie als Berbum
gebrauche, aber die Größe meiner Auf
gäbe erfordert es.) Das dauert gewöhn
lich so lange, bis das Glöcklein des Er
löser. als welches ich die iinner-boll
betrachte, mich abruft von meinem ermü
denden Berufe.
O Laura cigr! bedauere mich, daß
mein Pappa nicht der Mister Vanderbilt
'ist, 'ich könnte dann meinen dummen Job
einem Eontractor übergeben und indessen
on tlis siree gehen oder in den Eircus,
wohin ich Dich, mein Darling, miineh
m:n würde; wir könnten dann in Eiga
retten und Jce Cream schwelgen. Eo
aber muß ich schwere mathematische Auf
gaben machen und zwei Seiten voll mit
Geographie auswendig lernen. Und e!
nützt ja nichts, denn bei dieser Hitze ver
schwitzt man doch Alles wieder, und zwei
tens brauche ich nur die geographische
Kenntnis von New Nork, welches ich von
der Battery bis zum Harlem River und
bis in die A, B, CAvenues bereits
genau kenne.
Mein c)d pentlernan will nämlich,
daß ich mich zum distriet. messenger
ausbilde, wozu ich aber nicht die mindeste
Lust verspüre, denn es steckt nichts drin
in dem Busineß. Die Jungens sind alle
schlecht ab und haben keine Zukunft, weil
man doch nicht ewig mes?ns?er-ix
bleiben kann, und wenn man lange genug
dabei ist und höher hinauf will, muß
man piestr!sn werden oder Briefträ
ger, wozu man aber nur einen Arm oder
ein blindeS Auge haben muß, und das
.möchte ich schon Deinetwegen nicht. The
iilea!
Du solltest einen Krüppel heiraten
nein, lieber will ich mit graben Gliedern
mit Dir verhungern. Viel besser gefällt
mir das Zeiiungsgeschäft. There is Mil
lion? in it, besonders wenn ein Boom"
in Extra's kommt, da mach! man in we
Niger denn gar keiner Zeit seinen Quar
ter bis zwanzig Cents. Später wird man
dann Editor. Siehst Du, Laura dearling,
das wäre so ein Fressen für mich, ich
würde Dich dann wie Mister Schiller
seine Laura öffentlich bedichten und stolz
Alles in das Päper hineindrucken, was
ich hier over tks lest für Dich fühle.
Ich habe auch schon ein Gedicht an Dir
angefangen, aber mein Pappa, hat mich
dabei erwischt und mich geprügelt, was
ich ohn: Schmerzen ertragen habe, da es
für Dich war. Ware ich nicht durch das
Sitzen auf der harten Schulbank schon
so abgehärtet, müßte ich voll blauer Flecke
fein. Aber nur Geduld, ich bin ein Mann
und werde ihm schon zeigen, daß man
seine Kinder nicht nur so Lber's Knie
brechen und hauen darf. Ich werde ihm
einen Brief schreiben, daß ich ihn ver
klage und er zehn Dollars Strafe zahlen
muß, wenn er nicht mit fünfzig Cents
mit mir fettelt. Thut er das nicht, dann
fmali ich meinen Liste und gehe durch
und schicke ihm mein Testament, worin
ich ihm nichts vermache als meinen söhn
lichen Fluch.
Für heute good l,ve und wenn ich
kann, komme ich Samstag Abend,
wenn Mamma .lioiipiu geht, zu
Dir und überrasche Dich mit Etwaö
ich spiele nämlich schon auf dem Kla
vier das "Over there! Qvet liiere!"
und zwar mit einem einzigen Finger,
womit ich verbleibe
Yours ever f ruly .
Freddie.
. Freude fehlt nicht lange, wo Arbeit,
Ordnung und Treue ist.
Ter Mammon ist wie das Feuer. d:r
nützlichste Diener, der furchtbarste Herr.
schüft Verdankt. Er selbst ist eben doch
auch Theologe, so stark er Tichter und
Denker aus Intuition ist, und wenn sein
Buch für Groß und Klein" nicht lesbar
ist, wie er es sich wünscht, so liegt das
auch an feiner Theologie, d. h. an seiner
wissenschaftlich philosophischen und histo
rischen Denkweise, an einem gehörigen
Refo von Intellektualismus, der feiner
Wirksamkeit in die Quere kommt.' Viel
leicht hängt mit dieser wissenschaftlichen
Denk und Redegewohnhcit und -Leich
tigkeit auch der andere künstlerische Man
gcl zusammen, der sein Buch schädigt:
eine allzu ungezügelte Weitschweifigkeit
und Breite, die selbst einem innig teil
nehmenden und gefesselte Leser den 0c
miß trübt. Es kommen nicht nur im
einzelnen sehr viele Wiederholungen vor;
die ganze Anlage des Buches, wie schon
die Kapitelüberschriften zeigen, hak etwas
Lockeres, nicht gerade Planloses, ober
Ambulatorischkk. das, wie beim Spaz
rengehen, den Verfasser verleitet, immer
wieder auf seinen Lieblingsplätzen zu ver
weilen.'
Es wäre anmaßend und lächerlich
"!i"!i5.,,t y ;j
'!""!!!
!'!!!
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HL
JUfiBArfljL
Der
Er lebte nur noch fllrS Spiel. Richt
vom Spiel.' Dazu hatte er nicht genug
Glück. Auch früher nicht, als er ndch
jung nd reich war. Im Gegenteil,
Das Spiel verschlang allgemach, WaS die
einst noch mehr bevorzugten Pferde und
Weiber übrig gelassen hatten. Pferde
und Weiber vorbei, vorbei! . . . Nur
das Spiel war geblieben, der Klub und
das Jeu. Der Klub, der ihm zugleich
die verjeute Heimat ersetzte.
Schon neunundsiebzig war er, der alle
Baron Fellenbrock, in ein paar Monaten
achtzig, aber immer noch ein liebenswür
diaek, fescher, alter Herr, tadelloser Ka
valier, Aristokrat durch und durch und
unverwüstlicher Lebemann. Er spielte
und dinierte, diniert: und spielte. Das
war sein Lebensprogramm. Bald spielte
er Baccarat. bald Ecartö.'wie es die Ge
lcgenheit ergab, aber er spielte täglich.
Das war ihm Lebensbedingung. Bald
spielte er hoch, bald um lächerlich kleine
Beträge, je nachdem es mit seiner Kasse
bestellt war. In der letzten Zeit spielte
er nur noch um geringe Einsäbe, denn es
langte nicht mehr. Richt mal zu guten
Diners, die er ebenfalls liebte. Bcson
dcrs am Abend, vor dem Jeu . . . Das
alte Gut war fort, dahin, vertan, auf.
gezehrt. Im Kastell zu Fcllendors hau
sten findige Leute, die auS dem alten,
feudalen Herrensitz eine Anilinfabrik
gemacht hatten. Das warf immerhin
noch etwas ab. Tann waren noch dii
Wälder übrig, aus denen Einiges her
auszuschlagen war. Schließlich sandte
Baron Jtfans, ein Neffe des alten Fellen
brock, an jedem Ersten pünktlich fünf
hundert Mark. Tas war alles. Wenig
genug für den alten Herrn. Aber man
konnte immerhin leben, wenigstzns schein
bar nach altgewohnter Art und herqe
brachtcm Stil, wenn auch zuweilen
Schulden dazu gemacht werden mußten
Und man machte Schulden, oft foaar,
und recht große. Wer konnte auch dem
Herrn Baron v. Fellenbrock den Kredit
verweigern, wenn er in seiner unnach-
ahmlrch vornehmen Art Geld dder Wa
ren lieh!
Aber am Spieltisch war er korrekt bis
zur absoluten Tadellosigkeit. Er spielte
nur gegen Kasse. Er zahlte bar, viel
mehr er richtete es stets fo ein, bar zah
len zu können. Bald spielte er um Hun
dert: von Mark was immer am An
fang des Monats zu geschehen pflegte
bald um zehn Pfennige, zur Zeit der
Ebbe. Aber er spielte immer. Langte
es auch manchmal für die drinaendsten
Erfordernisse des Alltagslebens nicht, der
alte Baron wußte es mit crsiaunlickcr
Spitzfindigkeit einzurichten, daß er für
den Spieltisch immer etwas übrig hatte.
Und wenn auch nur ein p'aar Groschen
zu einem Ecartö mit dem tauben Major,
der nie höher als zehn Pfennige die Par
tie spielte ...
Gestern war es wieder einmal sehr
spät geworden im Klub, und er hatte
auch viel verloren. Sehr viel sogar mit
Rücksicht darauf, daß die nächste Sub
vention erst in zwei Wochen fällig war.
ffast alles was er hatte. In diesem Mo
nat ging es überhaupt ziemlich schief.
Weder im Ecart, noch im ' Baccarat
wollte es gelingen. Er saß immer auf
der Außenseite. Und gestern ging der
letzte Hundertmarkschein drauf. Kaum
ein paar Taler waren geblieben.
Der alte Baron befand sich in gries
grämiger Laune. Es war schon fast
Mittag, er lag noch im Bette, schlafen
konnte cr aber nicht. Er vertrieb sich die
Zeit damit, daß er auf dem Plumeau
nach alter Tpiclerart Kartentombina
tionen zusammenstellte. Phantastische
Glücksfälle. Ach, wenn er gestern diese
Karten bekommen hätte und seine Part
ner jene! Seine , Laune wurde noch
schlechter, je schöner er sich die Illusionen
vorspiegelte, lind- woher heute Geld zur
Revanche nehmen? Seinem Neffen tele
graphieren? Nein, nein, lieber wieder ein
mal beim alten Meyerfcld probieren . . .
Wenn nur der letzte Wechsel schon hono
riert wäre. Er dürfte längst fällig sein.
. . Ach. die Wechsel und das Podagra !
Wie schön wäre sonst das Leben auch mit
acktzig Jahren . . .
Da klopfte es an der Türe. Der Klub
dicner einen eigenen konnte sich Jcl
lenbrcck lange schon nicht mehr leisten
trat herein und meldete, ter Geldbrief
träger sei da und hätte an Herrn Baron
was abzugeben.
Der alte Herr drückte das Monöcle
ins Auge und winkte mit eisiger Ruhe.
Lassen Sie ihn nur herein."
Kaum war der Diener ober draußen,
verließ ihn auch schon die Haltung. Ter
Geldbrieftrager! Herrgott, von wo denn,
von wem denn? Er hatte ja für jetzt
obendrein, ein geniales Werk, wie Kut
ters Buch ist. mit Rezepten für künstle
rische Oelonomie schulmeistern zu wollen
und dem Verfasser zu sagen, wie er es
hätte machen sollen. Werke von solchem
Wurf, fo aus der Seele heraus entspinn
gen und mit dem Stempel der starken
Persönlichkeit gekennzeichnet, müssen sein
wie sie sind. Ta ist , nichts zu wollen.
Wie denn auch eine grundsätzliche Kritik,
selbst auf breitester philosophischer Basis,
einem Glaubensbekenntnis von solcher
Innerlichkeit und Wucht, nichts, auch
kaum im Einzelnen, anzuhaben ver
möchte. Allein der Wunsch ist wohl er
laubt, denn er beruht auf der höchsten
Einschätzung: es möchte dem Verfasser
des Kindirbuches" in der geplanten
Fortsetzung vergönnt sein, das intuitive
Schaffen mit künstlerischer Weisheit In
Zucht zu nehmen, den Feuerstrom der
augenblicklichen Eingebung in 'die Guß
formen eines durchdachten Planes z?l
lenken und die Schlacken, die allzu treuen
Spuren des menschlichen, allzu mensch
lichen Ursprungs vor dem Guß zu bes-i
tigen,
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Rein ini doU bt Stimme schntie.
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Skizze von Armin Nsnak.
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Her, es kam jedenfalls zur rechten Zeit.
Der Baron zitterte doch ver freudiger
Erregung, als er in den Schlafrock
schlüpfte. Als aber der Briefträger in
Zimmer trat, zeigte er wieder seine gleich
gültig vornehme Ruhe.
Also ein Brief. Ein Geldbrief. Ganz
recht, über oh der alte Herr wankte
einen Moment über 6273 Mark . . .
So, da wär's. Er unterschrieb in kräf
tigen Zügen, .gab dem Post mann ein
fürstliches Trinkgeld sein ganzes Rest
vermögen von gestern und blieb dann
allein mit feiner Uebcrrafchung.
Nun konnte er sich gehen lassen. Him
mel. welche Summe! 5273 Mark! Ein
feit langen Jahren nicht mehr gesehener
Schatz. Und gerade jetzt, zur Zeit tota
lcr, Ebbe. Wer war denn der Rcttungs
engel? s s
Er öffnete den Brief und suchte die
Unterschrift. Seine Fabrikleute warcn's,
die aus dem Kastell eine Anilinfabrik ge
macht hatten. Sie haben einen Teil des
Cchloßwaldcs, der noch sein Eigentum
war, umhauen lassen und das Holz für
Jabrikzwecke verwendet. Nach umständ
lichen Verrechnungen, Abzügen, Spesen
u. dgl. bleiben noch so viel übrig, die
anbei übersendet werden . . . Den
Schloßpark Himmel, feinen Wildpark,
die Fasanerie, das nennt der Anilinmann
das Holz"! Einen Moment wollte er
aufbrausen, es lehnte sich etwas in ihm
gegen den Handel auf doch er besaun
sich rasch auf seine Lage. 5275 Mark!
Eigentlich recht nett von den Herren, und
wie anständig abgerechnet ... Ach was,
Fasanerie, wozu denn überhaupt Fasa
nen? So überflüssiges Geflügel . . .
aber Geld, daS brauchte er, unv das hatte
er nun, niehr als seit langer, langer Zeit.
Und wie vernünftig wollte er den Schatz
verwenden. Nicht verspielen. Nein, ganz
g?wiß nicht. Im Gegenteil. Sich ran
gieren. War auch schon hoch an der Zeit.
Seine Finanzen befanden sich stark in
Unordnung, und dem Kredit mußte durch
Einlösung einiger alten, längst fälligen
Verpflichtungen , nachgeholfen werden.
Freilich wollte er es tun und dann den
Schneider bezahlen, die letzten drei An
ziige, und auch die Waschfrau . . . Ei,
die hatte ja der Baron ganz verpesten.
Baron Fellenbrock schuldete der Wasch
frau, einer armen Witwe, feit sechs Mo
natcn das Waschgeld! Das mußte ge
tilgt werden. Wie konnte er das so lange
vergessen. Wahrhastig, es war ja nur
Vergeßlichkeit, sonst hätte sie sckon längst
ihr Geld die arme Wäscherin ....
Es war schon spät am Na mittag, als
der alte Baron in tadelloser Abendtoi
leite seine Wohnung im Parterre des
Kllibgebäudes verließ. Er wohnte gleich
da, was viel Bequemes hatte. Dem
Klubdiener drückt: cr ein paar Goldstücke
in die Hand. Er war ihm mit einem
solchen Händedruck wohl schon lange im
Rückstand. Tann schlenderte er gemäch
lich die Straßen entlang, ein altes, längst
verschollenes Li?dcken vor sich hinträl
lernd. Vor einem Blumenladen blieb er
sinnend stehen, als wäre in ihm plötzlich
eine alte Erinnerung aufgestiegen. Dann
trat er rasch in den Laden, bestellte ein
prächtiges Bukett, lciutcr La France
Rosen; abzugeben in der Oper an Frau
Hediich
In der Oper gab man heute den
Troubadour", natürlich als Lücken
bllher. Gewiß ist irgend eine Absage
schuld daran, daß nicht die .GLtterdäm
mcrung" gespielt wird oder sonst ein
Wagner. Bor zwanzig Jahren oder
dreißig freilich, damals, als der Trou
badour" noch jung war, und auch die
Hdrich noch die Leonort sang und nicht
die Azucena, und wie prächtig fang sie
damals, wie schön, wie elegant war sie,
wie jung ... ach, wie wehmütig ihn der
Gedanke stimmte ... vor dreißig Iah
ren . . . Aber die Hcduch soll sehen, daß
Baron Nellcnbrock Freundschaft zu hal
ten weiß und ihrer auch im Glück nicht
vergibt. Darum die Rosen, und auch in
die Oper will er gehen, um sie als Azu
ccna zu hören und hernach, dielleicht,
nein ganz gewiß, da will er sie zu einem
Souper laden nur auserlesene Ge
richte, Austern, Champagner das soll
wieder ein Abend werden, wie eigentlich
alle Abend: sein sollten, um lebenswert
zu sein.
Ter Baron ging richtig am Abend in
die Oper und dachte gar nicht daran, daß
er sich schon so lange keine Oper geleistet
hat. Er faß in der Loge mit der vor
nehmen Blasiertheit eines Erztheaterhabi
tucs. Immerhin, der erste Akt inieres
sierte ihn sehr und auch das Zigeuner
lager mit der Szene der Hedrich als Azu
cena. (sie lang wundervoll, die vedrich.
und spielt: so lebhast, als wäre sie nicht
schon wie diel denn? Ter alte Herr
mußte gestehen, daß die Hedrich Wohl
schon nahe dm Sechzigern sein mochte.
Also auch schon etwas angejahrt, die gute
Hedrich, di: lustige Badette von da
mals". Und wie kokett sie die La France
Rosen angesteckt hatte und immerfort zu
seiner Loge hinaufblinzelte. Genau wie
damal-j". Sie hatte ihn sofort erkannt,
trohdem sie sich schon so lange nicht mehr
oeseh'n hatten. Nun ja. später wollte er
auf die Bühne, sie begrüßen und zn einem
Souper laden, sa ganz gemütlich . . .
Aber schon während des zweiten Akteö
ergriff den alten Baron eine sonderbare
Unruhe. Troubadour und Azucena der
loren immer mehr an Interesse. Er
dachte an den Klub, wo eS eben Wohl
lebhaft zu werden begann, an daS ge,
wohnte Milieu mit Zigarrcndampfund
Sportgkträtfchk als Präludium zum
Spiel... Schon nach dem zweiten Akt
hatte er da Thester verlassen, die Hed
rich vergessen. Oper. Weiber vorbei.
Nur noch das Jeu hatte Reiz für ihn.
Im Klub em rasch tingenommenel
Abendbrot, dann hinein ins. Shielzim
mer, wo gerade ein solenne! Baccarat in
Gang gebracht wurde.
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"'!
f'!f!j!
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mmmmm
MMMMlmllä
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liW
mJäik
Bis in den hellen Morgen hinein
dauerte da . Spiel. . Baron Fellenbrock
stand als letzter vom schmutziggrünen
Tisch auf. Er hattemit tadelloser Hal
tiing bis zum letzten Moment gespielt
und das Glück hatte ihm diesmal für
manchen Possen, den es mit ihm im Lc
ben getrieben. Revanche geboten. Gläii
zende Revanche. Als er auf seinem Zim
mer die Klubmarkeg. sicherer und besser
als Geld und Kassenscheine, zahlte, fand
er. daß er so an, die dreimalhunderttau
send Mark gewonnen hatte. "
Merkwürdig, wie kalt ihn der Man,
mon ließ. Nun spielte er sozusagen sein
Lebe lang ollabendlich mit der Hingabe
und Geduld, mit der man ebm mir eine
Lebensaufgabe erfüllt, läuft fortwährend
.vcm muac nacy und ichimpst gewaltig,
weil es sich nicht. zwingen, nicht fangen
läßt, und da es ihm endlich gelingt und
er nun mit einem .hauptcrfolg sein Stre
ben krönen kann, bleibt er kalt, glcichglll
tlg, und vermag sich nicht einmal ordent
lich zu freuen. Welch Vergnügen berei
tete es ihm sonst, am Vaccarattisch hun
dert oder zwcihuudzrt Mark zu gcwin
likn, ja er hatte auch ein Nicscnpläsier,
wenn er zuzeiten bedenklichen Kassen
schwunds dem tauben Major im Ecartö
drei Mark abnehmen konnte und nun
bat er ein Vermögen ! der Hand und cr
bleibt ganz ruhig, nüchtern, fast verlegen, ,
als wüßte er gar nicht recht, was mit so
viel Geld anzufangen.
Ta fällt ,ihm' die Wascbsrau ein.
Wahrhaftig, di: soll bczalilt werden,
königlich bezahlt. Ist er ihr doch seit
e,nem halben Jahre den Wäscherlohn
schuldig, oder vielleicht ftt einem ganzen'
Jahre? . . . Ja, ja, die arme Frau soll '
heute noch reichlich entschädigt werden.
Sie hatte ja so viel Geduld und arbeitet
so gut und so prompt die arme
Waschfrau . . .
Tann denkt cr an sein Ahnenschloß,
in welchem jetzt Mengen Anilin fabri.
zieren. Eigentlich sollte er das Kastell
säubern von dem Geist der Industrie
nd des Handels, der dort eingezogen ist.
Und das kl?in: Gehölz hinter der Oran
gerie, das allein noch vom Wildpark
übrig ist. sollte auch gerettet werden.
Gewiß, er wird kategorisch schreiben, so
fort, noch beute oder morgen dann
sollen die Maschinen aus dem Schloß,
und Tampf und Rauch soll nur aus der
Hcrrschaftsküche dringen, Gewiß . . .
Ta übermannte den alten Baron der '
Schlaf.
Es war IQ Uhr. Klubzeit. Baron
FeWbreck hcitie opulcut diniert. Für
den ganzen verschlafene,, Tag. Während
d?s Aiitü'idens. während drs Essens und
des gewohnheiteiiiaßigen Turchbläüerns
einiger Zeitungen hatte er wohl hin und
.wieder daran gedacht, daß er in seiner
Tasche einen ungeheuren Schatz mit sich
führte. Aber das war nur blitzartig
in ihm aufgestiegen. Ter Gedanke an
die kolossale Summe drang nichk tiefer,
zeitigte bei ihm keine Schlüsse, keine un
ruhigen Ideen, keine Reflexionen er
freute sich ger Vorziiglichkeit des Diners,
der angenehmen Kühle des Champagners,
blieb im übrigen vornclim, reserviert, ge
messen, wie er es immer war. auch wenn
er erst für den nächsten Tag frischen Zu
schuß zu gewärtige hatte . . '
Im kleinen Salon spielte mm wieder
Baccarat. Die Fortsetzung von gestern.
Fellenbrock schleuderte erst ein wenig
durch die Säle, plauderte mit Bekann ,
tcn. erkundigte sich gewohntcrmaßen nach
gleichgültigen Spvrtangclcgeiiheiten. hielt
es aber überall nur sekundenlang aus.
Wieder dauerte es bis zum hellen Tag.
Um 7 Uhr früh knöpfte der alte Baron
seinen Rock zu. stülpte seinen Ziilinder
auf und begab sich ins Parterre, in sein:
Wohnung. Daheim setzte er sich eine '
Weile auf den Rand des Bettes, eh: er
sich entkleidete. Er griff unversehens in
di: Taschen und überzeugte sich davon,
was er ohnedies recht gut wußte. Tie
Klubmarkcn- waren dahin, die dreimal
hunderttausend Mark verspielt mitsamt
den fünftausend Mark von chcgestcrn
Kaum ein paar Mark waren geblieben,
traurige Zeuaen aus -der Ärif kz
"Gluck auf so' kurzen Besuch bci ihm ei
,ll,n,ic ,viir ...
Einen Moment lang bemächtigte sich
seiner -ein unbcsiimmlks. unhehnnVusi
Gefühl, seine Nerven Vibrierjen so una
genehm, aber nur einen Moment l.
dann hatte er sein vornehmes Gleickge
wicht wieder und cr vermochte ganz ru
h'g weiter zu denken. ,Tie Fabrikleute
sollen nur bleiben, das Schloß ist ohne '
dies feucht, und cr hat sich noch jedesmal
dort einen Rheumatismus geholt. Auch
das Wäldehen hinter der Orangerie mö
gen sie nur abholzen. Wozu denn auch
diese alten, morschen Bäume noch stehen
lassen, sie versperren 1a nur die Aussit.
Aber einen besseren Preis müssen sie zah
len, war er doch mit der letzten Abrech,
nung nicht so ganz zllsricdcn gewesen . .7
Freilich. Baccarat wird er heute nickt
spielen. Nur EcartS mit dem tauben
Maior die Partie zu zehn Pfennig:
ist ja auch ganz amüsant ...
Er war schon im Einschlafen bearif
fen. da fiel dem alten Baron die Was,
srau ein mit ihren unversorgten . Kin.
dein. Hm, allerdings, das arme Weib
. . . nun wird sie wieder etwas warten
müssen aber aber diesmal nein,
s lange dürfte sie nicht mehr warten !
besser sofort wenn man der Baron ,
Fellenbrck ist 4
Und er erhob sich noch einmal tau
melte zu seinem Tisch suchte ein Blatt '
Papier und schrieb, sg gut als es eben
ging, an feine fZabritleute und wies der
Frau durch sie das Gelo an. 'So war eS
sicherer.
Und dann sank er mit einem Lächeln,
a?S hätte er eine Heldentat verriebt, t
die erste seine Lebens in den Stuhl
zurück und seine Auaen schlössen sik?
und er schlief, schief riihig und f'st. !,!,
ti wieder Abend wurde Klubzeit . . ,
irf.y;
s-jf";:-- - -rWv.,
r-nicK '
. f v-