Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 22, 1918, Image 2

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Gin fpommextxattm.
Novelle aus dem Finnischen von Znani .Aho.
- Mein schwermütiger Kamerad er
r : zahlte:
, Wer von unS hat nicht einmal in sei
,nem Leben davon geträumt, Bauer zu
'werden und sich mit tinem Bauernmäd
'cfen zu vcrhciratm!
' ;j Mich ergriff diese Luft, ali ich in der
-crsten Klasse der Schule war. Das
fernen quälte mich, die Fortsetzung
' ! wurde mir so unüberwindlich schwer bis
iich Student war, und anderseits zog
;- 'mich das frische Leben deS Bauern un
täglich an. Wahr genug, dah ich von
'. ifcern Leben nur die hellen Seiten kannte:
! Fahren und Reiten, Heuernte, Spiele
- ,im Freien, Fischfang, Jagd und das
, Hindämmern in der Gartcnschaukel
wahrend der hellen Sonntagsnächte.
! Aber -ich meinte, es müsse so gesund
sein, ganz und gar Landmann zu wer
den, sich in Fries und langschäftige EH:
sein zu kleiden und die Herren" gering
zu schätzen. Und endlich war ich
, verliebt .
;l Wir hotte einander auf einer Kirch
fahrt kennen gelernt. Ich wohnte im
Hause meines VatnS am Ufer eines
großen Sees, und auf der anderen
Seite desselben diente Marie aus einem
kleinen Hof.
Die Bauern auf der anderen Seite
des Sees ruderten mit ihrem Kiichboot
an unserem Hause vorüber und eines
Sonntag vormittags schloß ich mich ih
nen an. Ich erhielt Platz auf der be
! sten Stelle, gerade zu Füßen des Boot
; ' führers, und Marie saß gleich vor mir
- und führte das Hinterruder.
Sie schien ein wenig schüchtern zu
sein und warf mir nur verstohlene Sei
ten blicke zu, während sie ihrem Ruder
folgte, das sie nur hier und da ruhen
ließ, um auss neue ihr Kopftuck, zu
knüpfen, welches sich zuweilen auflöste.
- .ES wäre doch besser. daZ Kopftuch
ganz abzunehmen, wenn es nickt fest
schcn will," sagte ich. um die Bekannt
.fchaft einzuleiten. Sie fagte gar nicht!
dazu, aber als ihr Nachbar mir auf
mein Verlangen sein Ruder reichte, setzte
,ich mich neben sie, um zu rudern.
.Können wir zusammen rudern?"
. fragte ich und zog kräftig an meinem
Ruder.
? Ich denke nicht daran, mit dem Herrn
M wetteifern," antwortete sie, sirengte
sich aber doch aus allen Kräften an. was
-ich als ein Zeichen ansah, daß sie mich
gerne an ihrer Seite haben wollte und
sich Müh gab, und dies schmeichelte
'.vr.it.
Sie war blond; daS flacsgelbe Haar
lling in, langen Flechten, die muskulöse
Hand erfaßte kräftig die Ruderstange
.und die Hacken der Lipokka waren fest
cen die Bootspante gestemmt. Der
';Ha?ssaum des Hemdes war rot, da!
.i'V!vder hatte sie abgenommen und die
Kniee überspannte der schwcrzgestreifte
Untcrrock.
Die Sonne strahlte hell auf ihre kräf
tigen Schultern, die von der Sonne
'Iraun gebrannt waren. Sie hatte blaue
Augen, angenehme und frische Züge und
sie duftete von frisch gemähtem Heu und
reinem Linnen. ,
Zuerst faßen wir so weit von einem
? der, als wir nur konnten, jedes auf dem
LHbt der Bank. Aber nach kurzer Zeit
' rückten wir uns näher und ehe wir recht
wußten wie, scherzten und spielten wir
f Miteinander wie alte Bekannte.
Die Bootsmannschast behandelte mich
i: ls einen Ebenbürtigen und hatte mich
- mitgenommen, wie einen von den Jhri
- gen, etwas, das ich wie eine Ranger
; höhunz betrachtete. Am Kirchstrande
,' belohnte ich ihre Freundschaft, indem
ich für eine ganze Mark Weizenbrot
k kaufte, das wir dann alle orinnen in
einem Erlengcbüfch an einem kleinen
, Bach verzehrten.
Die Zeit während deS Gottesdienstes
' vertrieb jeder nach feinem Belieben. Wir
Männer lagen am Strandabhang und
. lauschten dem Orgelspicl ode, standen
' euch neben dem Steinwall und sprachen
mit den Bauern von der anderen Seite
des Sees über die Sommerarbeiten und
f das Wetter.
. Von Zeit zu Zeit sah ich Marie in
' der Mädchenschar und wenn wir an
' inander vorübergingen und ich mich
,' nach ihr umsah, blickte auch sie mir nach.
' Sie schien so fein und nett, und mehr
und mehr beschäftigten sich meine Ee-
danken mit ihr. Ich dachte an sie. wäh
rend ich drinnen auf der Kirchenbank
saß. und kurz nach ihr schlich ich mich
aus der Kirch hinaus, alZ ich sie nach
Schluß der Predigt gehen sah. Und als
' wir uns wieder neben unserm Boot der
sammelten und alles zur Heimfahrt zu
rüsten begann, verstand es sich wie von
selbst, daß wir beide wieder auf die
; gleiche Bank zu sitzen kamen, um zu
rudern.
' An dem stillen Sonntagabend glitten
w'k ohne Eile heimwärts. Die Boote
drängten sich fcharenweise vor und hin
H uns, das Kreuz der Kirche tauchte
' funkelnd vor unfein Augen unter und
die Ufer bei Sees spiegelten sich unbe
weglich in der Wasserfläche. Draußen
gus einer kleinen Landzunge lag ein Hof
gr.d ich sagte zu Marie:
Li'gt der Hof dort nicht auf einer
: .blichen Stelle?"
.Ja, es sieht recht schon aus.
1 .Wie. wenn er uns gehörte?"
.Ja. das darf man schon denken, selbst
wenn keine Wahrscheinlichkeit darin ist
Warum konnte denn das nicht ms
's "lilaf dem Hof tknltN Sie nicht out
s nli Heu leben, selbst wenn er der Ich
lint ra'dxt." .
'2er saat Ihnen, daß ,ch als Herr
Icb'n will man tonnte ja schlicht und
xtii als Bauer leben, diescS Wunder
-- zl man schon gesehen."
Es findet sich wohl kaum ein Herr
' schäftäftäulein. da? hinausziehen rnd-an
kinm solche Ort Frau fein mochte
ja'? dfr Bootführer. der kor uns saß
und unser Gssprach g?HLrt hatte.
! 'j.''
IuUuL
,f, '?,!
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iiLui
i s
' 'i
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nehmen, das möchte."
So müßte man eben ein Mädchen
Es hatte nicht den Anschein, als ob
meine Worte sonderlich Eindruck mach
ten. aber in meinem Herzen beschloß ich
steif und fest, daß es so werden müsse.
Marie nahm das Echöpfgefäß am
Hintersteven und füllte es mit Wasser,
um ihren Durst zu löschen, und als sie
getrunken hatte, bot sie es mir.
Trinken Sie nur, das wird Ihnen
wohl auch gut tun."
Da war ein Beweis von Gunst, den
ich damit erwiderte, daß ich eine Hand
voll Wasser in ihren Schoß spritzte, und
als ich das Gcfäß an meine Lippen
führte, rächte sie sich, indem sie meinem
Ellbogen einen Stoß gab. so daß das
Wasser über meinen Hals und meine
Kniee nicdcrfloß. Und als ich an der
Raststclle in der M'.ttc zwischen der Kir
che und der Heimat ihr Tannzapfen an
den Kopf warf, während sie mir den
Hut vom Kopf riß und weit in den
Wald hinein schleuderte, da war kein
Zweifel mehr möglich: sie war in mich
verliebt.
'
Schon am nächsten Abend saß ich mit
meiner Angelrute im Schilf vor dem
Hofe, wo sie diente. Dort saß ich lange
und unbeweglich, genau auf jeden Laut,
jede Bewegung im Hof acht gebend, wäh
rend ich nur selten einmal einen Barsch
in das Boot heraufzog. Ich sah Ma
rie nach der Kcldpforte gehen und durch
dieselbe hinaus auf die Wiese schlüpfen,
um droben von einem hohen Stein die
Kühe zum Melken zusammenzurufen.
Sie antworteten wieder aus dem nahen
Birkengehölz und kamen am Waldsaum
eine nach der andern zum Vorschein.
Tann ging sie ihnen voran nach dem
Brachfeld hinab, wo eine Hürde war,
zündete ein Feuer gegen die Mücken und
begann zu mellcn. Während sie die Milch
aus ihrem Kübel hinüber in den Eimer
goß, schien sie mich entdeckt zu haben, sie
blieb mit dem leeren Kübel in der Hand
stehen und blickte nach dem See. Später
hörte ich sie wieder leise singen und mit
den Kühen sprechen, während sie weiter
molk. Aber als sie fertig war. trug sie
die Milchgeschirre hinein in den Hof und
verschwand dort für längere Zeit. Das
einzige lebende Wesen, das man auf
dem Hof zu sehen bekam, war der Mei
ster. der hinüber nach der Sommcrbude
schlich, um zur Ruhe zu gehen, und einen
Augenblick später folgte ihm seine Frau
nach. Selbst die Kühe streckten sich
schläfrig auf dem Felde aus und der
Rauch des Mückcnseuers stieg in einer
schnurgeraden trägen Säule in die Luft
empor, um sich hoch droben zu zerteilen.
Ich war schwermütig geworden und
hatte schon im Sinn, fortzurudern. als
Marie auf einmal auf dem Pfad nach
dem See herab zum Vorschein kam, wo
ihre Schlafbude halbwegs zwiscken dem
Strand und dem Hofe lag. Sie ging
an der Bude vorüber, kam ganz heraus
auf den Stcinbela? und begann Kleider
im Wasser zu spülen. ' Mich schien sie
nicht zu sehen. Auch ich tat. als wenn
ich sie nicht sähe. Aber zuletzt schlug ich
doch mit meinem Steuerruder auf den
Bootrand und hustete einmal.
Gujen Abend!" sagte ich.
Guten Abend!" antwortete sie und
erhob ein wenig den Kopf, nun, wollen
sie anbeißen?"
0, nickt gern."
Ich schob das Boot an den Steinbe
lag heran und fragte:
.Schlafen sie schon drinnen bei euch?"
.Ja. das tun sie wohl sicher." ant
wartete sie. während sie ihr Linnen
spülte, sich empor richtete und das Wasser
cusrang.
,Na. es sind doch einige Barsche aus
dem Boden des Bootes."
.Wollen wir zusammen hinaus und
angeln. Marie?" schlug ich vor.
.Wozu, so spät in der Steckt?"
.Aber wenn ich bei Tag komme und
dich hole?"
.Bei Tag habe ich keine Zett."
Darf ich da einmal in deine Bude
hinein kommen, Marie?"
- .Wenn der Meister es sieht, wird er
zornig."
.Er sieht es nicht, wenn wir still sind."
.Ja. aber es sind Mädclien von Ber
wandten des Bauers auf Besuch, sie
schlafen dort in der and'.ren Bude, wenn
sie es nun borten
.Ziehen sie nicht bald fort?"
.Nein, vor Samstag nicht, dann rei
fen sie mit dem Meister fort, wenn er
zur Kircke rudern."
.Nun. so komme ich Samstag Abend.''
.Nein. nein, das geht nicht an."
Aber sie wehrte so schwach, daß es
eine deutlichere Ausforderung. als reine
Zustimmung war.
.Warum waschest du so spät am
Abend. Zeug. Marie?"
Anderer Leute Sklaven haben keine
Ruhe bei Tag."
Sie nahm den Weg hinauf nach dem
Hofe, ich rickitete den Booissteven heim,
wärts und frohen Sinnes ruderte ich
langsam fort.
. .
Die Woche war lang und düster. Ich
schlenderte wie ein richtiger Müßiggän
ger auf dem Hofe und den eingezäunten
Wegen umher. Ich streckte mich, so
lang ich war, auf den Rasen des Feldes,
ich versuchte zu angeln, bekam ober kei
nen einzige Fisch. .Tu solltest etwas
vornehmen," sagten meine Brüder. Aber
ich mochte ihnen nicht einmal antworten
und fühlt! auch kein Bedürfnis mit je
maud zu sprechen. Ich girg nur und
wartete auf den Samstag. Endlick kam
er und verlief glücklich bis zum Abend.
Ich hatte am Cullfer Wache gestanden
und den Meister mit seinen Gästen vor
über rüder 'sehen. Und damit mich
niemand zur Nachtzeit draußen herum
streichen sehen und dabei eine Ahnunz
von meinem ZZorhaben erhalten sollte,
ruderte ich mein Boot vom heimatlichen
tijltne'i'l!
",',, ",! '','I'N,,','.",,N,','!,,,',,''N
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Strande hinüber hinter ein kleines Er
lcngcbüsch und verbarg meinen Hut und
meinen Rock in einem Heuschober an der
Feldgrenze.
Ich ging zu Bette wie alle übrigen.
Ich tat. alZ ob ich schliefe und 'narrte
auch meinen Bruder. Als alle im Hause
schlummerten und ich die Uhr an der
Saalwand im unteren Stockwerk Zwölf
schlagen hörte, sprang ich vorsichtig aus
dem Bett, schlüpfte hinab in das Bor
zimmcr, schob den Riegel an der Türe
zurück und in Hemdärmeln und bar
häuptig lief ich kühn über den Hof und
verschwand hinter dem Wöhngebäudc. Es
lies mir kalt den Rücken hinab, es
rauschte in den Ohren, die Beine wollten
mich kaum tragen, aber mit einem langen
Sprung setzte ich über das Zabakland
in die Wiese hinein, wo ich auf dem
Boden eines Grabens landete.
Niemand hatte mich gesehen, niemand
etwas von meinem Ausgange bemerkt:
der Hund. 'der im Hofe schlief, hatte
bloß die Augen ein wenig aufgesperrt
und sie dann wieder zugedrückt, ohne mir
nachzufolgen. Ich fand mein Boot ne
ben dem Erlengcbüfch und meine Klei
d an der Feldgrenze. Sie kamen mir
vor wie Verbündete. Und als ich das
Boot über die Wasserfläche ruderte, wäh
rend die kleine Stcvcnwelle gegen das
Hinterteil plätscherte, da tönte es in
meinem Ohr wie liebevolles Flüstern
von einem Munde, der einem zustimmt
und Glück wünsckt. Eine kleine Tros
scl sang in den Bäumen am Ufer, als
überredete sie: rudere nur, rudere nur
. . . keine Gefahr ... alle schlafen, alle
schlafen . . . niemand bört es. niemand,
niemand!" Und von dem andern See
ufcr stiegen bereits die Nacbtncbel um
mich empor, verbargen das Schilf und
die Bäume des Ufer5, aber den Hügel
kämm erreichten sie nicht und hier streckte
eine mächtige Tanne ihren Wipfel nach
dem klaren Himmel empor, fo daß ich
die Richtung nicht verfehlen und mich
unmöglich verirren konnte.
Irgendwo hörte ich RudcrfchlLge, ich
konnte nicht unterscheiden wo, aber zu
meiner Freude bemerkte ich, daß sie nach
dem andern Ende des Sees hin erstar
ben. Ich fühlte mich wie aus einer Ge
fahr erlöst, als der Nebel sich dicht um
mich, lagerte und das Röhricht an den
Planken des Bootes zu rascheln begann.
Ich zog mein Boot zwischen zwei
Weidenbüsche hinein, verbarg die Ruder
hinter einem naheliegenden Schuppen
und begann der Feldgrenze entlang hin
auf nack dem Hof zu laufen.
Tort hatte ich einen Roggenacker und
einen Graben vor mir der hinauf nach
der kleinen Bude führte.
Ob sie mich wohl hineinlassen, ob sie
wohl ihre Tür offnen und mir erlauben
würde, sie zu küssen ob sie mir wohl
glauben würde, daß ich sie liebe.
Nicht einen Laut hörte man. weder
von der Bude noch vom Hofplatz
Eine Kuhschelle klingelte plötzlich, die
Kühe standen wohl eine kurze Strecke
entfernt im Felde, obschon man ihre Um
risse nur schwach durch den Nebel unter
scheiden konnte.
Ich nahm einen Erdklump vom
Acker, warf ihn gegen die Wand und
drückte mein Ohr fest an eine Spalte.
Da war fchon jemand, der sich drinnen
bewegte. Noch einmal warf ich einen
etwas größeren Erdklumpen qegen die
Bude. Nun stand sie auf und ging nach
der Türe.
Ich eilte um das Haus herum und
hörte sie an der Türspalte flüstern: .Wer
ist es?"
Ich bin es. laß mich hinein, Marie!
Sie sind doch gekommen, und ich habe
Ihnen ja gesagt, daß Sie nicht sollten."
Ja. aber ich sagte ja, daß ich kom
men wolle."
Gehen Sie doch sort. denken Sie,
wenn uns jemand sähe."
Laß mich hinein in die Bude, dann
kann uns niemand sehen."
Ich stieß mit der Stiefclspitzc schwach
gegen di Tür. sie widerstand nicht und
ich schlüpfte hinein.
Es war tiefdunkel, nur unter dem
Vordach leuchtete ein schmaler Lichtstrci
fen. Marie war in eine Ecke der Bude
gehuscht. Ich tastete dem Geräusch nach
und erfaßte mit der Hand ihr Haar, sie
lachte, wie mich dünste, mit einem un
terdrückten Kichern, bis ich endlich Mut
faßte und mich zu ihr setzte.
Aber warum kommen Sie doch?"
Ich war so. atemlos, daß ff nicht ein
Wort hervorbringen konnte. Und ich
war auf einmal beschämt, ich wußte
nicht. waS ich tun und wie ich's sagen
sollte, was ich vorbringen wollte.
Endlich konnte ich fragen, ob der
Meister daheim fei. Nein. daS wäre er
nicht, er sei schon am frühen M,rgen
zur Kirche gerudert, es wäre garnie
mand daheim, außer feiner alten Frau.
Aber warum wollen Sie das alles
wissen?" fragte sie mich ein wenig ne
ckisch,, als ich dasaß und mich abquälte,
um alles zu sagen, was ich auf dem
Herzen trug.
Nie zuvor hatte ich ein Weib geküßt,
aber häufig und oft hatte ich davon ge
träumt und es mir ausgemalt. Ich
umfaßte mit den Armen ihren Kopf
und beugte mich auf sie nieder.
Marie, höre doch Marie?"
Ich ließ mich an ihrer Seite nieder
sinken, schlang den Arm um ihren Hals,
zog sie an mich und küßte sie eifrig und
ungesck.ickt auf die Livpen, die Wangen,
die Stirne und die Nlse.
Nein, nein, nicht mehr. hren Sie
auf und lassen Sie mich in Ruhe."
Aber ich gab nicht nach.
.Ich liebe dich. Marie. Marie, hörst
du. ich liebe dich!"
Sie halten mich nur zum Narren!'
Aber ich versicherte sie unter heißen
Tränen meiner Liebe und verlangte, daß
sie mir glauben sollte.
Sie lieben mich vielleicht eine
. i ; i u , III! i , t u. "i . u.n : i l' III
fLUUUJ lj wwl . HMill l.i HUUlU
flüchtigen Augenblick und später haben
Sie mich wieder vergessen."
Du darfst nicht so sprechen, ich der
heirate mich mit dir nun gleich aus der
Stelle, kenn du nur willst."'
Sie sagte nicht, ob sie wolle oder nicht,
ließ sich ober nun ohne Widerstand kllf
sen und gestattete mir, meine beide
Arme um ihren Hals zu legen und sie
zog ihren Arm nicht fort, als ich .ihn
um meinen Nacken legte.
Ich glaube, daß ich nie so glücklich
gewesen bin wie in dieser Nacht. Ich
glaube, daß ich nie wieder so voll und
ganz und so rein geliebt habe, wie in
dieser frischen Sommernacht in der
halbdunklen Hütte, durch deren lllckcn
Haftes Dach das Licht in Streifen her
einfiel, und deren Sparren ihren ge
ringen Vorrat an Kleidern trugen,
während kraftvolle Arme mich mit fast
kindlicher Zärtlichkeit preßten und die
Wangen von heißen Küssen glühten und
ein rufender Kuckuck aus der Ferne seine
Töne in uns unschuldiges Gespräch
verflocht.
Als der erste Morgenvogel mit flat
terndcn Flügeln aus dem Schilf vor der
kleinen Türe empor flog, da bat sie mich,
zu gehen, und ich gehorcht nachdem sie
eingewilligt hatte, daß ich wiederkommen
dürfe, i
Sind wir also Freunde für die Zu
kunft?" fragte sie.
Ja. recht, recht gute '
Sie öffnete mir die Türe und reichte
mir durch die Tllrfpalte die Hand zum
Abschied, und voll glücklicher Gedanken
ruderte ich langsam nach Hause, wo noch
olle schliefen, und ohne jemand zu wc
ckcn, schlüpfte ich wieder ins Bett. Die
Sonne war gerade aufgetaucht und der
früheste Morgenwind rütelte die Espen
blättcr unter meinem Fenster.
Dieser Besuch wurde mehrere Nachte
erneuert. Sie glaubte bereits an mich.
Wir bauten im Geiste ein Ausmärlcr
haus, kauften Höse. Kühe und Pferde
und fuhren in eignem Wagen zur Kirche,
um getraut zu werden. Denn jedesmal
blieb ich länger bei ihr, ich kam früher
und ging später. Sie war nicht mehr
bange vor ihrem Meister und ich nicht
mehr vor denen daheim. Ich ruderte
auch bei Tag hinüber zu ihr, saß mit
dem Meister in der Kammer, wo sie .
Kaffee herumreichte und am Sonntag
Abend stahl sie sich hinüber zu uns.
Ich war fest entscblossen, meinen
Schulgang abzubrechen und meinem Ba
tcr alles zu sagen, wenn die Schule im
Spätsommer wieder beginnen sollte.
,
Aber er hatte es von anderer Seite
vernommen.
Eines Morgens, als ich wieder bei
Tagesgrauen heimlehrte, sah er auf der
Verandatreppe und wartete auf mich.
Irgend jemand hatte meine nächtlichen
Fahrten gesehen und aus der Schule ge
plaudert. Woher kommst du jetzt?" fragte er
barsch.
Von ... ich bin nur draußen sischcn
gewesen . . ."
Tu lügst, du bist auf Abenteuer auS
gewesen ..."
Wer hat dir daS gesagt?"
Wagst du noch zu leugnen? Du
bist auf tollen Wegen. Junge . . . aber
es wird dich selber am teuersten zu ste
hen kommen! Was machtest du in der
vorigen Nacht in der Bude des Rantal
Mädchens? . . ."
Man hat dich mitten in der Nacht
von dort zurückkehren sehen ... Ist das
nicht wahr?"
Ja. das ist wahr, ober es ist nichts
Böses geschehen."
Ich stand gerade meinem Vater gegen
über in einer Stimmung, als hätte ich
sagen mögen: Schlag zu, wenn es dich
gelüstet!"
Aber mein Vater war ein edler Mann;
nie war ein böses Wort zwischen uns
gefallen. Mein freimütiges Bekenntnis
hatte eine gute Wirkung, er bezwäng
sich, wich meinem Blick aus und ersuchte
mich, auf der Bank neben ihm Platz zu
nehmen.
Ich glaube dir. wenn du es selbst
versicherst . . . falls du nicht die Wahr
heit gesprochen hast, fo, magst du das
Ding mit deinem Gewissen abmachen."
Ich habe die Wahrheit gesprochen.
Aber ich habe im Sinn zu heiratenund
nickt wieder zur Schule zu gehen."
m??!n Nntrr betracktcte mich lange und
forschend: Tu hast im Sinn, die Sckule
zu verlassen?"
Ich will Bauer werden."
Ich weiß nicht, ob nrein Vater viel
leicht seiner Zeit das Gleiche durchge
macht hatte, oder ob er sich blos an
meine Stelle zu setzen verstand; ich hatte
erwartet, daß er mir gerade ins Gesicht
lachen und das Ganze als einen törich
ten Spaß betrachten würde, aber er
nahm die ganze Sache ruhig und ernst
und begann mit mir darüber zu spre
chen. als verdiente sie wirklich nähere
Erwägung.
.Nun. so sehr wird eS wohl nicht
eilen, daß du deinen Schulgang nicht 5e.
enden kannst ... du hast doch noch Zeit
genug ..."
Ich konnte natürlich nicht out sagen,
daß ein Jahr zu lang zum Warten fei.
Und so wurden wir schweigend darüber
einig, daß. wenn ich Student geworden
sei. wir näher über die Sache sprechm
könnten.
Aber da mein Geheimnis so allgemein
bekannt geworden war. so verschwand
sein ganzer Zauber und als ich genauer
nachzudenken begann da schämte ich mich
soaar ein wenig. Ich hatte mich auf
Widerstand und Kampf g"saßt gemacht
und es war nicht das Geringste daraus
geworden. Es peinigte mich auch, daß
mein Vater vielleicht bei sich selber über
mich lachte und mich ung'heucr iVo
fand.
Marie sah ich gar nicht mehr, sie tam
auch laicht mehr zu uns verübe: und ich
nceU nicht, sie cn'u'uchen. E'n paur
Wochen später reist: ich uuf die Schule.
Und als ich im folgenden Sommer
mit der Studentcnmütze auf dem Kopfe
von Hlsingsor zurückkehrte, da war gar
keine Rede mehr von meinen letztjäh?ige
Plänen. Auch machte es keinen deson
mmmMMMMMmmmMMMmsmm
Lin Slücli aus dem Leöen.
.Angela ....
Angela! Ucbcrrascht heftete sich mein
Blick auf die- zarte Mädchengestalt,
welche im Sträf!inggcwande vor mir
stand. Hellblondes, lächtgelocktcs Haar
umrahmte ein Gefichtchcn von selten fei
ncm Schnitte, welchem die etwas dunkler
gefärbten Brauen und die langen Wim
pcrn, die sich über die niedergeschlagenen
Augen senkten, einen besonderen Reiz
verlielzen. Ein Bild kindlicher Anmut
und rührender Unschuld. Und dies sollte
die Corrigcnde sein, deren düstere Aus
kunftstabclle vor mir auf dem Schreib
tische lag? Angela! entfuhr es bei die
sem Gedanken unwillkürlich meinen Lip
pcn. Das Mädchen schlug müde die
Augen auf.
Ein Blick aus den tiefblauen Sternen
traf mich gleich einem eisigen Wasser
strahl. Dieser Blick sagte mir alles.
Hier Irrn?' jeder Irrtum ausgeschlossen;
wenn Angela je ihren Namen verdient
hatte, war sie jetzt doch nur mehr ein
gefallener Engel.
Wie alt sind Sie?"
.Sechzehn Jahre."
So jung und schon..." Es wider
strebte mir, den Satz zu vollenden.
Ein bitteres Lächeln glitt um die
Mundwinkel des Mädchens und ließ
dessen Antlitz um Jahre älter erscheinen.
So tief gesunken, wollten Sie wohl
sagen. Natürlich, sonst wäre ich ja nicht
hier."
In dem Tone, in dem sie diese Worte
sprach, lag ein Cynismus, der mich der
letzte. Sie sollten sich schämen, daß es
fo weit gekommen."
Ich? Und warum nur ich und im
mcr ich allein? Was sollten dann die.
welche mich zu dem gemacht, was ich ge
worden?" fuhr sie erbittert auf.
Wie oft habe ich die gleiche Entschul
digung in meinem Berufe schon gehört.
Immer sollen Tritte die Verantwortung
für Fehltritte 'tragen, welche tatsächlich
das Individuum aus freier Willensbe
stimmung begeht Und doch schien in
diesem Falle die große Jugend der Un
glücklichen dafür zu sprechen, daß ihre
Worte keine bloße Phrase waren.
Also ein Opser der Verführung?"
fragte ich wieder milderen Tones.
Der Verfüdrung? Nein. . Ich bin
zu dem, was ich bin. erzogen worden."
Ich starrte über die Ungeheuerlich
kcit dieser Anschuldigung aus dem
Munde eines den Kinderschuhen kaum
entwachsenen Mädchens. Wie. Sie wa
aen, Ihre Eltern solcher Schuld zu
zeiken?"
Das Mädchen preßte die Lippen zu
sammcn. Ich bin Waise."
Tann obwaltet ein Irrtum. Im
Familienstand: Ihrer Auskunftstabelle
ist bemerkt, daß Ihr Vater tot. Ihre
Mutter jedoch noch am Leben sei."
Es mag sein. Ich weiß es nicht
fürmich ist dieselbe tot. seit sie mich vcr
lassen, dem Elende preisgegeben hat."
Unglückliches Kind!"
Wie eine Zauberformel schienen diese
Worte die Eiskruste gebrochen zu haben,
die sich starr um das Herz der Korri
gende gelegt. Äusschluchzend sank sie
auf einen Stuhl und bedeckte das Antlitz
mit den Händen. Ich ließ diesem Aus
bruche ungekünstelten Schmerzes freien
Lauf. Erschien er mir dock, als ein
Hoffnungsstrahl, daß die Seele des
Mädchens noch nicht verloren fei.
Als Angela sich etwas beruhigt hatte,
forderte ich sie auf. mir ihre Lebens
geschickte zu erzählen. Sie tat es in
abgerissenen Sätzen, von Tränen häufig
unterbrochen. Es war ein tieftrauriges
Bild, das sie vor mir entrollte, ein Ka
pitcl aus dem großstädtischen Leidens
romane, der stets nur Fortsetzungen, nie
aber einen Abschluß sindet.
Ihr Vater war ein deutscher Maler
gewesen, der in Rom seine Studien ge
macht. Tort hatte er ihre Mutter, eine
kleine Schauspielerin am Apollotheater,
kennen gelernt. Für ihre künstlerischen
Leistungen hatte sie nur eine klein: Gage
bezogen, war aber schön gewesen und
hatte zahlreiche Verehrer gehabt, mit
denen sich der deutsche Maler an Frei
oebigkeit nicht messen tonnte. Tasür
aber hatte er ihr eins geboten, was wert
voller schien als alle Geschenke der an
deren feine ehrliche Hand. Die kleine
Schauspielerin hatte ohne lange Ueber
legung danach gegriffen, der Bühne und
ihren frühern Beziehungen Lebewohl
gesagt und war mit dem deutschen Maler
eine Eke eingegangen, welcher nach dem
ersten Jahre Angela entsprossen. Die
Mutter hatte ihr selbst dies erzählt und
beigefügt, daß die erste Zeit ihrer Ehe
um so glücklicher gewesen sei, als ihr
Gatte gegen Erwarten eine bedeutende
Erbschaft aus der deutschen Heimat er-
ders tiefen Eindruck auf mich, als ich
vernahm, daß Marie sich verheiratet
hatte.
Abli mein Sommertraum ist doch nie
ganz in meiner Erinnerung erloschen.
Marie und ihr Mann wohnten an ver
Straße als Häusler in einer kleinen
Hütte. Fast jedesmal, wenn ich vor
über fuhr, sah ich ihr helles Gesicht durch
das niedrige Fenster. Es sah aus, ls
magere sie mit jedem Jahre mehr ab.
Und jedesmal ftürmtt eine Schar flachs
haariger Mädchen aus der offenstehenden
Tür der Hütte heraus an die Straßen
Pforte, um diese zu öffnen und den Vor
überfahrenden anzustarren.
Ich hörte, daß sie in Armut lebten
und wurde von Mitlnd erfüllt, ich. der
ich h meiner schaukelnden-Kutsche saß.
leichzeitig empfand ich Mitleid mit mir
selber und mnnem eigenen Leben.
Manchmal denke ich noch, wenn der
Sommertraum Wirklichkeit geworden
wäre und wenn ich olle Versprechen ge
halten hätte, die ich Marie in ihrer luf
tigen Bude gegeben hatte, dann wäre
vielleicht ein fleißiger Bauer, ein braver
Landmann aus mir geworden, wähcnd
ich jctzt . . . nun nichts von dem bin.
was ich hatte fein mögen und fein sollen.
urnen ine angenehm, sor
genlose Existenz ermöglichte. Die Erin
nerung Angelas bestätigte dies. Sie sah
sich fein gekleidet in schönen, farbenpräch
tig ausgestatteten Räumlichkeiten, der
zärtelt von ihren Eltern, umschmeichelt
von den zahlreichen Freunden, welche das
gastfreie Haus besuchten, zugelassen zu
den opulenten Diners und Soupers, die
dort häufig gegeben wurden. Der Vater
sei dies seiner Zukunft schuldig; daS
Kapital müsse auf diese Weise angelegt
werden, damit es den einstigen Künstler
ruhin als Zinsen trage, sei der Rat der
Mutter gewesen. Der Vater, welcher
nur seiner Liebe zu ihr lebte, habe den
selben befolgt und mit künstlerischem
Leichtsinn in wenigen Jahren in Ver
mögen vergeudet.
Eines Tages. Angela erinnert sich
noch mit Schrecken deS furchtbaren Aus
tritts. habe der Vater erklären mllsscu.
daß er ruiniert sei. Und dein Kunst?"
habe ihm'di, Mutter höhnisch zugeru
fen. Ja. seine Kunst, die reichte eben
hin, daß sie, nachdem olles verkauft wor
den war, in einer armseligen, dem Dache
nahen Wohnung ihr Leben fristen kann
ten. Es waren bittere Stunden, die
nun kamen, für Angela um so bitterer,
als sie das Alter erreicht hatte. daS ihr
das Verständnis sür alleS erschloß, was
um sie vorging. Die Mutter weinte erst
zahlreiche Tränen, als sie ober mit
Schrecken bemerkte, daß' ihre Schönheit,
die sie noch immer bewahrt, darunter
litt, gewann sie ihre Fassung wieder.
EineS Morgens verließ sie die Wohnung
und kehrte erst spät am Nachmittage zu
rück. Dem Vater, welcher sich um sie
geängstigt, schnitt sie einen liebevollen
Vorwurf mit der Erklärung ab, daß sie
nun gehandelt und wieder ein Engagc
ment an ihrr früheren Wirkungsstätte
angenommen habe. Der arme Mann
halte darüber aufgeschrieen vor Zorn
und Schmerz, hatte sie auf den Knieen
gebeten, ihren Entschluß rückgängig zu
machen, ober alle Bitten und Drohungen
waren vergebens geblieben. Er mußte
froh sein, daß sie ihm gestattete, ihn auf
ihren Wegen zu den Proben und Vor
stcllungcn zu begleiten, und er tat dies,
gestachelt von wildcr Eifersucht, mit
einer Ausdauer, unter welcher fein eigc
ner karger Broterwerb am empfindlich
stcn litt. Unter diesen Verhältnissen war
es begreiflich, 'daß Angelas Mutter im
wer unduldsamer wurde, das Leben der
Schauspielerin forderte von ihr freiere
Bewegung, es machte sie nervös, sich in
allen ihren Schritten von den Argus
-äugen ihres Mannes beobachtet zu sehen.
Eine Katastrophe erschien unvermeidlich.
Sie trat auch in schrecklicher Gestalt ein.
Eines Abends hatte der Vater in außer
gewöhnlich erregtem Zustande die Woh
nung verlassen und war die Nacht nicht
mehr nach Hause zurückgekehrt. Am
nächsten Morgen hatten ihn zwei Män
ner auf einer Bahre nach Hause gebracht
blutüberströmt, eine Kugel im Her
zen. Was geschehen war? Er sei im
Duelle gefallen, ha'te die Mutter bleichen
Antlitzes, doch tränenlosen Auges gesagt.
Von Nachbarsleuten hörte aber Angela
behaupten, daß er selbst freiwillig seine
Qualen geendet habe. Weder sür das
eine, noch sür das andere hatte sie das
-rechte Verständnis, sie sühlte nur, daß
etwas Schreckliches vorgegangen sei, das
ihr Unglück noch vermehren müsse.
Nur zu bald sollte sie es bitter er
fahren. Eines Tages war die Mutter
verschwunden, ohne für ihr Kind zu sor
gen, ohne von demselben auch nur Ab
schied zu nehmen. Sie war fort, hatte
ohne Kündigung ihr Engagement vcr
lassen, niemand wußte, wohin sie ge'
gangen.' Angela wurde der Polizei über
geben, einige Zeit in einem Asyle unter
gebracht, dann mit dem Schube unter
Vagabunden über die Grenze nach der
fernen deutschen Heimat geschickt, von
welcher ihr Vater einstens nach Italien
gekommen. Entfernten Verwandten des
selben, einfachen Bürgersleuten, wurde
sie übergeben, die sie als unerwünschten
Eindringling mit sauren Mienen em
pfingen und danach auch behandelten.
Ihr Fühlen und Denken blieb ihr fremd,
sie verstand nicht ihre Sprache, derab
scheute die kalte, rauhe Gegend, die mit
dem sonnigen Lande, wo sie ihre Kind
heit verbracht, einen starren Kontrast
bildete. Hier zu verkümmern, schien ihr
der Tod, daher floh sie fort aus der Fa
milie und Heimat, die man ihr ausge
zwungen. Niemand verfolgte sie, ihre
Verwandten waren wohl froh, daß sie
freiwillig gegangen war. Eine Seil
jänzertruppe, die nach dem Süden zog,
nahm das verlassene Mädchen auf. Sie
glaubte, an dem elternlosen Kinde einen
guten Fang gemacht zu haben, aber der
schwächliche Körper desselben vermochte
die Kunststücke nicht zu leisten, die man
von ihm fordert?. Angela mußte in V.
von der Truppe krank zurückgelassen
werden. Eine Frau, welche den Lebens
unterhalt der Seiltänzer während ihres
Aufenthalts besorgt, hatte gegen das
Versprechen einer Entschädigung das
Mädchen bei sich behalten. Als dasselbe
zu Kräften kam, die Seiltänztttruppe
aber weder Geld schickte, noch überhaupt
, etwas von sich hören ließ, zwang das
Weib Anqela als Blumenmädchen ihr
Brot zu "suchen. Was sie verdiente,
mußte sie abführen, und war es wenig,
fo erhielt sie statt der kärglichen' Nah
rung Schläge. Um dies zu vermeiden,
ahmte sie daS Beispiel anderer Genos
sinnen nach und bettelte. Wiederholt
wurde sie deshalb von der Polizei arre,
tiert und vom Gerichte abgestraft; was
lag ihr aber daran, wußte sie doch, daß
sie kingsperrt ihr ausreichende Verpfle
gung i'md ein menschliche Behandlung
erhielt.
Eines TageS" dann..." schloß daS
Maschen ihren traurigen Bericht, indem
ihre bleichen Wangen im slammenden
Ütot erglühten. Aber nein, erlassen
Sie es mir, meine Schinde ,u gestehen.
Glauben Sie mir, deß mir die Erinne
!"MMli! , !
iuii
r;:::g fcaiar l',; bittersten Qualen berei
tet, wenn ich auch tief gesunken bin. Sie
finden ja alle, in den Akten; deshalb
eb ick auck, bier. um die Strafe zu
mpfangen, die S bestimmen."
rA.. .-r- C..:ift .v.
auie iiarc qaoen wenn
halten, t soll Ihnen nun der Weg zur
Besserung erschlossen werden."
Durch das Korrigendenhaus?"
schluchzte daS Mädchen auf. '
Jawohl, durch das KorrigendenhauS.
Es ist nicht das übel verrufene Gcsäng
niS. welches Sie fürchten, sondern ein:
Anstalt, in welcher Sie die Prinzipien
deS Guten, Lust und Liebe zur ehrliche
Arbeit wncn sollen, welche Ihnen d':
Rückkehr in die menschliche Gesellschaft
sichern wird. Betrachten Sie eS als das.
waS es tatsächlich ist, als eine Wohltat,
die Ihnen der Staat gewährt, der Sie
nicht in dem Sumpfe, in den Sie sich
hrnri-t WrknmmkN lassen will."
' - Angela weinte leise vor sich hin. Die
Ueberzeugung, daß das 'avcyen rnvr,
gerettet werden könne, wurde in mir im
mer mehr befestigt.
Unterschreiben Sie hier da! Erkenn!
NiS. welches Ihre Abgabe in die Besse
rungsanstalt verfügt."
, DaZ Mädchen nährte sich und ergriff
die Feder, die ich ihr mit diesen Worten
gereicht. Mit zitternder Hand setzte sie
auf die von mir bezeichnet Stelle unter
die für sie als Korrigende bestimmte
Nummer
113
' t
Wie? Sie sind nicht deS Schreibens
fähig?"
Nein ... ich habe gar nichts gelernt."
Die Tochter eines deutschen Kllnst
lers! ArmeZ. ticsbedauernswertcs Kind!"
Und wie lange werde ich im . . . dort
verbleiben müssen?"
Drei Jahre. Vielleicht, wenn Ihr
Verhalten ein gutes, auch kürzer."
Vielleicht...?!"
Vielleicht?! Als ich nach etwa zwei
Jahren die weibliche Besserungsanstalt
in Z. besuchte, erkundigte ich mich nach
der Korrigende No. 113. Ah. Sie
meinen Angela F.." erwiderte die Ob:- '
rin, sie war eines der bravsten Mäd
chen. das je unsere traurigen Räum:
aufgenommen. Leider hat sie die Prü.
fungszeit nicht überstanden und ist in
ein besseres Jenseits übergegangen, wo
nach der heiligen Schrift ein reuiger
Sünder mit größerem Jubel empfangen
wird, als neunundncunzig Gerechte," '
Ich konnte nicht umhin, mir die Grab
statte Angelas zeigen zu lassen.
Es war ein einfacher Stein in dr
Korrigcndenabteilung des Ortsfriep
Hofes. Roh war auf demselben ge
meißelt: 113 '
t
Eine in ihrer Schlichtheit ergreifender:
Inschrift hätte der Erdhügel, unter wel
chem die arme Angela nun den ewigen
Frieden gefunden, nicht erhalten können?
Von der ukrainischen
Sprache.
Die Unterschied: 'zwischen der ukrai
nischen Sprache einerseits und der rus
fischen und polnischen andererseits sind
bereits im elften Jahrhundert dcutli,t,
zu erkennen; trotzdem drehten sich he
Auseinandersetzungen russischer und rcw
nischer Gelehrter immer darum, ob das
Ukrainische als eine Mundart der eineu.
oder anderen Sprache anzusprechen sef.
Erst 1832 wies der Slawe Franz Mit
losich darauf hin. daß es sich um eine
völlig selbständige Sprache handelt; er
fand Ivenig Beachtung, bis im Jahre
IM eine aus hervorragenden russischen
Sprachforschern zusammengesetzte Kom
Mission der Petersburger Akademie der
Wissenschaften die Selbständigkeit der
ukrainischen Sprache rückhaltlos aner
kannte. Das erste Aufblühen einer eige.
nen ukrainischen Dichtung im siebzehn
ten Jahrhundert wurde durch das will
kürliche Druckverbot für alle Werke
ukrainischer Sprache im Jahre 1720 un
terbunden; immerhin rettete die münd
liche Ueberlieferung, die besonders den
Volkssängern zu danken ist. so viel, daß
die neuzeitlichen Schriftsteller der Ukra
ine zu Anfang des neunzehnten Jahr
Hunderts eine Quelle vorfanden, aus der
sie köpfen konnten; die reiche Poesie der
Volkslieder konnte ihnen wertvolle An
regungen geben.
Iwan Kotlarewskyi trat im Jahie
1798 zuerst mit einer Travesti von Ver
gils Aeneis hervor, in der er wie in
seinen beiden bald folgenden Dramen
eine neue volkstümliche ukrainische
Sprache schuf; sie wurde von allen sti
nen Nachfolgern übernommen. Ji
Charkow, bald darauf in Kiew, fandest
sich dann die ersten ukrainischen Schrist
sieller zusammen, die an der geistigen
und auch an der nationalen Wieder
geburt ihres Volkes arbeiteten; doch die
im Jahre 184 in Kiew gegründete
Bruderschaft zur Wiedererlangung der
staatlichen Unabhängigkeit, der Ukraine
wurde schon im folgenden Jahre von den
Behörden aufgelöst, ihre Mitglieder ver
bannt. Darunter befand sich auch der
bedeutendste Lyriker und Dichter der
Ukraine. TaraS Schewtschenko. Die
Vergangenheit feines Volkes schildert
Schewtschenko ebenso eindrucksvoll wie er
zum Kampfe gegen die Unterdrückuni
ruft; sein jöamachtms", in dem t
seine Landsleute auffordert, werft die.
Ketten nieder, tränkt mit bösem Fiü
desblute. Eure Freiheit wieder" ist All'
gemeingut aller Ukrainer geworden, m
,zarischer Ukas vom Jahre 187 v.'r!
'neuerdings die ukrainische Literatur,
spräche. daS 2iin dieses Volkes sollte
mit einem Federstrich aus der Welt (
schasst werden der Versuch konnte t i
der Eigenart der Ukrainer nicht gklin--:
bis im RevolulionSjahr W)Z dai 3!rr.
bot wieder aufgehoben wurde, ersck.i'n'
eben die Werke ukrainischer St riif'.. ' ?
im Auslande, und so war e! mögliS o -macht,
daß die 'Ukraine auch heute ti
Reihe von Schriftstellern mit durchvZ
modernem Gepräge ausweist: Jiwü
Franko. Olena Kosatscb, Tobikemiztsc!.
KociubinZyj und OlZj sind wohl d
bedeutendsten.
,n!,!!ttI!!I!'1!!!!,Ij!!!iIi'!!lItl!l!!IM!!!lZ
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