Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 14, 1918, Image 2

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Die AewohnöarKeit
des Maneien Mars.
Der SKatS, der NaWarplanei unsre,
Eide, zeigt mancherlei Züge, die ihn un
serm eigenen Wohnsitz im Welienraum
wesensverwandt scheinen lassen, die
Vermutung nahelegen, daß er eine be
wohnbare Welt sein könnte wie die Erde.
Als nun im Jahre 1S77 Schiaparelli ia
Mailand jene seltsamen schnurgeraden
Linien auf diesem Planeten entdeckte, die
man .Kanäle" genannt hat, war man
hier und da geneigt, diese Gebilde für
die Werke eventueller Marsbewohner zu
halten. Seitdem hat der Streit um die
Marslanäle. ihre Erkläruna und ihre
Bedeutung nicht mehr geruht. Während
, die eine den Nachbar unsrer Erde für
eine von hochintclligcnten Wesen bc
wohnte Wclt halten und dafür mancher
lei plausible Gründe anzuführen wissen,
wird von andrer Seite nicht mind.'r
scharfsinnig nachzuweisen versucht, daß
jener Planet dem Leben keine Heimstätte
zu bieten vermag, daß von allem die
anale tn der Form gar nicht vorhan
den seien, in der wir sie zu sehen glau
ben In den lebten Jahren haben be
sonders zwei Astronomen diesen Kampf
der Gegensatze durchgeführt: der Amen
kaner Percival Lowell, der sehr um
sangrciche Marsstudien gemacht hat und
von der Bewohntheit des Mars über
zeugt ist. und Sie Walter Maundcr, der
hervorragende englische Astronom und
Direktor der Sternwarte zu Greenwich,
. der auf dem absolut entgegengesetzten
, Standpunkt steht. Es schien nötig, dem
Leser diese Verhältnisse klarzulcgen, ehe
er mit der Lektüre der Maunderschcn
VuZeinanderfetzungen beginnt.
AlZ die Erde zum Wohnort für den
Menschen vorbereitet wurde sagt Sir
John Russin in feiner phantasicvollen
Weise in einem seiner Werke, bedürfte
ti vermittelnder Schöpfungen. Zwischen
der Dunkelheit und der Starrheit der
Erdrinde und zwischen der Zartheit und
Vergänglichkeit des Menschen wuchs das
Blatt, breitete sich die .Vegetation; zwi
schen dem leeren Himmelsraum mit sei
neu erhabenen, funkelnden Lichtern und
der menschlichen Kleinheit und Schwäche
kam die vermittelnde Wolke, kam das
Luftmeer. Das ist eine poetische Defi
nition für die Bewohnbarkeit einer Welt.
. Aber auch der Gelehrte kann sich dieser
Auffassung anschließen, wenngleich er
andre Worte gebraucht. Das fallende
Blatt und die schwebende Wolke sind die
Zeichen für die Bewohnbarkeit einer
Welt, bewohnbar für Wesen (denn dar
auf kommt es doch für uns hauptfäch
lich an), die dem Menschen in körper
liehet und geistiger Hinsicht ähneln. Ein
Weltkörper, in dem der nackte kahle Fels
dem Sonnenlichte ausgesetzt ist, ohne
daß eine Luftschicht vermittelt, wird nie
der Wohnort von hochentwickelten Ge
schöpfen sein. Das wichtigste Moment
. 'des Lebens ist die Fähigkeit, toten Stoff
in sich aufzunehmen und ihn zu organi
fchem Stoff in seinem eigenen Wrper
wieder aufzubauen, um so zu wachsen,
zu leben und seine Energie zu erhalten.
Der Unterschied zwischen dem Leben der
Pflanze und dem Leben des Tieres liegt
darin, daß die Pflanze direkt organi
fchen Stoff verwenden kann, während
das Tier zu feinem Lebensunterhalt
eineS Stoffes bedarf, der fchon eine
organische Veränderung durchgemacht
hat. So setzt also das tierische Leben
Pflanzenleben voraus, und Pflanzen
können nur wieder da gedeihen, wo
Wasser vorhanden ist. Wasser in stufst
gern Zustande. So ist ein Ueberfluß an
Wasser und ein Ucberfluß an Pflanzen
notwendig, wenn höherentwickclte For
men des Lebens irgendwo in der Welt
gedeihen sollen.
Aber Wasser in flüssiger Form ejj
stiert nur innerhalb enger Temperatur
grenzen. Auf der Erde gefriert das
Wasser bei 0 und siedet bei 100" C.
Jedoch liegen die Verhältnisse auf Erden
so, daß die Durchschnittstemperatur fast
überall das Vorhandensein des Wassers
in flüssiger Form garantiert. Nur in
den beiden Polarzonen, wo die Durch
fchnittstemperatur dem Gefrierpunkt
naheliegt, wird das Wasser gewöhnlich
in fester Form, als Eis und Schnee ge
funden, und das Leben existiert an die,
sen Punkten unsres Planeten nur des
halb, weil ein halbes Jahr hindurch die
Temperatur über dem Gefrierpunkt
bleibt, weil ein Zustrom aus wärmeren
Gegenden stattfindet.
Wenn wir uns also die Frage vor
legen wollen, ob der Planet MarS be
wohnt ist, so müssen wir zuerst wissen,
wie hoch auf diesem Planeten die durch
schnittliche Temperatur anzusetzen sei.
Da wir die Entfernung des Planeten
von der Sonne kennen, fo wissen wir,
daß er noch nicht einmal die Hälfte von
dem Licht und der Wärme erhält, welche
die Erde von der Sonne empfängt. Su
chen wir unö auf Erden eine Zone in
der Nähe der Pole, die nur die Hälfte
der Wärme erhält, die der Erdäauator
empfängt, so läßt sich leicht ermitteln,
daß diese Zone eine um 28 C. gerin
gere Jahrestemperatur hat als der
Äequator. Demgemäß müssen wir auch
annehmen, daß die Turchschnitistempe
ratur auf dem Mars 28 niedriger ist
als die der Erde, die etwa 15 beträgt.
Daraus gibt sich, daß die mittlere
Jahrestemperatur unsres NachbarfterneS
bei unqcfihr 13" Kälte liegt, mit an.
dern Worten: Vass"r eziftiert auf dem
Mars für wohnlich nur in fester
Form, als Eis oder Schnee. j
Indien eine solche Wklt, die emiz
mit Schnee und Eis bedeckt ist, müßte
offenbar im Sonnenlicht hellweiß fun
kela wie ein. Kristall; der Mars ober ist
der .rötliche' Planet. Hier ist ein M
derspiuch, und wir fragen unS. ob der 1
Mars vielleicht überhaupt (wie der
Mond) kein 52 äffet hat und un nur
nackte Felsen Zeigt. Darauf aber mili
feg wir mit einem Nein antworten. Ein
Blick auf die meisten MarSbilder zeigt,
daß eine weiße Haube jeden Pol de
Planeten krönt, und diese Haube ist so
glänzend, daß sie im Fernrohr zuweilen
wie ein heller Stern wirkt. Diese wei
ben Felder an den Polen dek Planeten
werden nun größer, wenn der Winter
kommt, und schwinden beim Nahen deö
Sommers. Wir können daher nicht n
ders als annehmen, daß es sich hier um
Eis und Schnee handelt. Diese An
nähme wird noch dadurch unterstützt,
daß, man rings um diese weißen Regio
nen dunkle Massen auftreten sieht, wenn
die Sommersonne den Pol bescheint; es
macht in der Tat den Eindruck, als
hätte sich das Eis in Schmelzwasser du
wandelt. Äber diese Eiökapvcn deS
MarS sind nicht ausgedehnter als die
auf der Erde, selbst zur Winterszeit und
im Sommer schrumpfen sie ungemein
stark zusammen, ja manche Partien der
schwinden vollkommen, während an den
Polen der Erde die Eismassen ewic, lie
gen bleiben. Ist das nicht ein Beweis
dafür, daß der Mars wärmer ist als die
Erde? Hier müssen wir in Betracht
ziehen, daß sich uns der Planet gewisser
maßen von der vorteilhaftesten Seite
gibt. Wir sehen ihn eben in seinen
besten Zeiten. Er zeigt uns den Som
mermittag seiner Wendekreise und ver
birgt vor uns den .Winter seines Miß
Vergnügens".
Als Durchschnittstemperatur der Erde
wird 15 C. angenommen, aber die
Durchschnitts Mlttagstemperatur nr
unsern Wendekreisen wird sich im Som
mer wahrscheinlich auf etwa 38 stellen.
Einen ähnlichen Unterschied haben wir
auch auf dem Mars. Wir dürfen eben
nicht nur die mittlere Jahrestemperatur
des Planeten in Betracht ziehen, sondern
auch den Temperaturwechsel zwischen
Tag und Nacht, Sommer und Winter.
Pol und Aequator. Diese Unterschiede
aber müssen viel größer sein als auf der
Erde, vor allen T:ngen. weil den Pla
neten nur eine fehr dünne Luftschicht um
gibt, die also die Ausstrahlung der
Wärme in den Wcltenraum ungemein
begünstigt. Da der Mars kleiner ist als
die Erde, ist auch seine Anziehungskraft
eine viel geringere, und wenn er eine
Atmosphäre von der Beschaffenheit der
Erdatmosphäre hätte, so wäre sie noch
in viel größere Höhen hinauf dichter als
die oberen Partien der irdischen Luft
hülle. Wäre dies der Fall, so könnten
wir aber die Einzelheiten seiner Ober
fläche nicht so deutlich durch die dichte
Luftschicht hindurch beobachten, wie es
tatsächlich möglich ist. Alle Oberflächen
details liegen so deutlich vor unsern
Augen, wie etwa die Oberfläche des
Mondes, der keine Luft hat; ein klarer
Beweis dafür, daß die Lufthülle des
Mars nur dünn und niedrig ist. Wir
müssen annehmen, daß der Luftdruck auf
dem Mars siebenmal geringer ist als
auf der Erde. Demnitsprechend müssen
auch alle Temperaturunterschiede zwi
fchen Tag und Nacht usw. dort viel be
deutender sein.
Die Bewegungen im Luftmcer des
Mars werden fehr langsam bor sich
gehen; denn er empfängt nur wenig
Wärme von der Sonne, und die schwe
reren Luftmassen werden nicht so stark
zur Oberfläche des Planeten niederge
zogen, weil seine Anziehungskraft, wie
gesagt, geringer ist. Manche Schrift
steller haben von gewaltigen Staubstür
men und Wirbelwinden auf dem Mars
gesprochen. Aber sie machen hier einen
sehr unwissenschaftlichen Gebrauch von
ihrer Einbildungskraft; denn niemals
wird eil derartiger Aufruhr die ruhige,
dünne Atmosphäre jener Welt trüben.
Wenn bezweifelt wird, daß die Eiskap
pen des Mars wirklich unter dem Ein
fluß der Sommersonne fortschmelzen, so
habe ich darauf eine zweifache Antwort:
die Schnelligkeit, mit der jene Kappen
vergehen, ist der klarste Beweis dafür,
daß die Sonnenstrahlen hier nicht auf
große Eismassen wirken. Es gibt in der
Tat keinerlei Beweise dafür, daß jemals
beträchtliche Schneefälle auf dem MarS
stattfanden. Bei der außerordentlich
niedrigen Temperatur des Marswin
ters, einer Temperatur, die weit unter
derjenigen stehen mutz, die jemals in
Sibirien empfunden wurde, wird auch
das kleinste Teilchen Feuchtigkeit sosort
zu Rauhreif werden und wird dann
durch feine weiße Farbe Schnee und EiZ
vortäuschen. Anderseits ist es nicht aus
schlössen, daß in manchen Gegenden deS
Planeten zu gewissen Zeiten die Tem
peratur wenige Stunden ein ähnliche
Höhe erreichen kann wie hier bei uns,
und da auf dem Mars infolge des nie
driaen Luftdruckes das Wasser schon
zwischen 40 und 50 ftatt wie bei uns
bei 100 sieden kann, braucht es nicht
wunderzunehmen, daß die dünnen Rauh
reiffchichten der Oberfläche zu solchen
Zeiten sehr schnell schmelzen und ver
dunsten. Tiefe Anzicht über die Be
schaffcnheit des Planeten wird durch
eine Beobachtung unterstützt, die in ähn
licher Weise schon häufig gemacht wurde.
Es ist eine Eigentllmlickkeit einiger e
genden des Mars, daß sie morgens oder
abends, also wenn die Sonne niedrig
über ihnen steht, im Teleskop weiß ftatt
rot werden, also osfenbar irgendeinen
Niederschlaz empfingen, den der Frost
färbt. Es kann sich hier, kaum um
etnzaZ andres als um eine dünne
Schnee oder Rauhrcifoecke bandeln. Da
b'i sehen diese G-bietz ebenso hell au
wie die weißen Pslarkapvea. Es ist
also wahrscheinlich, daß diese sich nicht
wesentlich von ihnen in ihrer Beschöffen
heit unterscheiden.
Unter solchen Vcdinaunaen muh des
Pflanzenleben selbst in seinen niedrig
sten Farmen die größten Schwierigkeiten
haben, den Kampf ums Dasein auf je.
er Welt aufrecht zu erhalten. Aber
für ein Leben von höherer Art müsse j
wir den War als gänzlich ungeeignet
bezeichnen. Höher entwickelte Wesen ver
langen ein hcitercö Klima, eine dichtere,
feuchtere Atmosphäre und einen wen!
gcr heftigen Tempcraturwechsel. Und
diese Bedingungen erfüllt ein größerer,
dichterer Planet, unsre Erde, die mit
Vegetation bedeckt ist und mit Luft um
hüllt, die im reichsten Maße über die
.schwebende Wolke' und das .fallende
Blatt" verfügt.
Bis auf 57 Millionen Kilometer ver
mag der Planet Mars der Erde .nahe'
zu kommen. Aber man wird zugeben,
daß das eine fehr ferne Nähe ist. Von
dieser im astronomischen Sinne verhält
nismäßig kleinen Entfernung vermag
man sich kaum einen richtigen Begriff
zu machen. Eine Selunde verstreicht
ungcmein schnell. 57 Millionen Sckun
den entsprechen aber schon 22 Monaten.
Fast 4500 Erdkugeln nebcneinandcrgc
legt, würden erst die zwischen dem
MarZ und der Erde liegende Strecke
ausfüllen, und doch ist der Durchmesser
unsrer Erde keine kurze Strecke; sie gleicht
der Luftlinie von London nach Hono
lulu. Die ausgezeichnete farbige Dar
ftellung des Planeten Mars nach einer
Zeichnung von Antoniadi zeigt uns seine
Kugel sehr deutlich mit mancherlei Ein
zelheiten. Denken wir uns dieses Blatt
1200 Meter von uns entfernt aufgc
stellt, fo sehen wir die dargestellte
Marskiigel dann in der Größe, die der
Mars für das freie Auge wirklich hat.
wenn er sich in größter Annäherung an
die Erde, befindet. Wir begreifen, daß
es für hns keinerlei Möglichkeit gibt,
bei einer so gewaltigen Entfernung je
mals etwas über die Bauwerke even
tueller Marsbewohner zu erfahren.
Wir haben nun freilich das Fernrohr,
aber eS vermag die Schwierigkeiten nur
zu vermindern, nicht aufzuheben; denn
in den besten Fernrohren sehen wir den
Mark nur so groß, wie sich uns Anto
niadis Farbcntafcl in einer Entfernung
von etwa 5 Meter präsentiert. Ebenso
wenig wie ein Kind mit einem Jahr
marktsfernrohr irgendweleche Entdck
kungcn auf der Sonne oder oder auf
dem, Monde machen könnte, vermögen
wir mit unsern heutigen Instrumenten
direkte Beweise für das Vorhandensein
von Marsbewohnern zu erbringen.
Wepn nun der Mars unter besten
Bedingungen mit einem Fernrohr von
mittlerer Größe betrachtet wird, so zeigt
er interessante Details. Der Planet ist
da mit einem Netzwerk von langen,
schmalen Linien bedeckt, die nach einer
geometrischen Ucberlegung angeordnet
scheinen und einem Svinnwebennetz
nicht unähnlich sehen. Dieses eigen
artige Linicngewirr dünkt nun den Pro
fessor Lowell, den Astronomen der Flag
siaff-Sternwarte in Arizona. , so .un
natürlich', daß er es als einen Beweis
für das Vorhandensein und die Tätig
keit hochintelligenter Wesen auf unserm
Nachbarvlaneten ansieht. Er erklärt,
daß diese feinen Linien, die allbekann
ten Marskanäle, künstliche Wasserwege
fein müßten, oder aber die Vegetations
gürtel. die die Ufer solcher Wasserwege
einsäumen, sich längs ihnen hinziehen
und von ihnen bewässert werden. In
dem ersten Teil unsre! Aufsatzes wurde
gezeigt, daß die Durchschnittstemperatur
dieses Planeten überall unter dem Ge
srierpunkt des Wassers liegt, so daß
seine Seen EiS bis zum Grunde sind.
Eine solche Welt kann kein passender
Wohnort für Lebewesen sein, ausge
nommcn dielleicht für die allerniedersten
und unentwickelten Formen, und eine
Welt, auf der der Frost herrscht, kann
kein Land sein, wo riesenhafte hydrau
lische Jngenieurarbeiten notwendig sind
und ausgeführt werden können.
Dennoch existiert das Netzwerk der
Kanäle und wenn es. wie wir eben ce
sehen haben, "tät den Ingenieur-? de!
Mors sein Dasein verdankt, wie wollen
wir es dann erklären? Nun. diese Er
klörung ist einfach: Diese Kanäle, diese
Linien sind Wabrnehmunqstauscbunaen
unsres AugeS. Sie sehen nur sehr re
gelmawg au?, weil der MarZ so weit
von uns entfernt ist und weil nr.t na
turgemLß so ihre Unregelmäßigkeiten
entgehen. Ein? gerade Linie ist der
kleinste Gegenstand, den wir auf große
Entfernung noch bemerken können, und
so erscheinen uns umgekehrt leicht viele
kleine Gegenstände als gerade Linien.
Die Erkläruna für diese schmalen gcra
den Kanäle des Mars liegt also in den
57 Millionen Kilometer, die uns im
besten Falle von dieser Welt trennen.
ES ist bekannt, daß man einen Telc
graphendraht gegen den Himmelshintcr
gründ noch ziemlich weit sehen kann.
Wir sehen ihn noch auS einer Entfer
nun, die 200,000 mal großer ist als
die eigne Ticke des Drahtes; um einen
technischen Ausdruck deS Afironome,: zu
gebrsucken: wir sehen ihn dann unter
einem Winkel von einer Bogensekunde.
(Wie wenig da ist, wird man begreifen,
wenn man bedenkt, daß die Mondscheibe
einen Durchmesser ton lim Bogen
sekunden bat.1 Im September de!
JahreZ 1806 bildete sich auf der Sonne
eine lange Reibe von Flecken. Dem
freien Auge erschienen diese Gebil" : als
eine lange, gerade Scrramme, im Fern
roh: aber löste sich diese Linie in lauter
kleine Striche und Flecke auf. die deut.
lich getränt voneknander erkennbar wi
t. So hangt die Sichtbarkeit aller
Gebilde auf dem Mars eben von iher
fcheinbaren Größe ab. Sehen wir sie
unter einem Durchmesser von nur fceni
ge BogenseZunden. so stellen sie sich unk
all Lm, ci .Marskanale , der eis
kreisrunde Punkte, als sogenannte
.Oasen' dar.
Je naher wir einem Gegenstände sind.
m sg besser erkennen wir ihn. Die
Wirksamkeit unsrer Fernrohre hängt
demzufolge wieder von ihrer cphfzen
Moritz Wasserstoff litt an einer hoff,
nungsloscn Liebe. Der ganze Mensch
war hosfnungsloS. Man leimte ja Mit
leid haben mit ihm. aber in das Mit
leid mischte sich doch auch, dieses ad
schwächend oder verdünnend, ein ge
wisscr Aergcr. Wenn einem Menschen
so gar nicht zu helfen ist daS ist doch
ekelhaft! Schließlich ist er auch selber
schuld, oder eigentlich doch nicht, oder
recht eigentlich und ganz genau erwogen
am Ende doch. Ist das nicht ärgerlich,
wenn man sich so den Kopf zerbrechen
muß über einen Menschen, der einem
wirklich leid tut und dem nun durchaus
und durchaus nicht zu helfen ist?
Wasserstoff war ein junger Mann
von fünfundzwanzig Jahren und fiu
dielte Medizin an der Wiener Univcr
jitat. Eine völlig hofsnungsloie Äe
schichte. Er stand erst im zweiten Jahr
gang, und die Aussicht, daß er sich bis
zu seinem Diplom durchringen werde,
war eine äußerst geringe. Und wenn
auch! Wenn er schon sein Diplom
hatte, wer sollte sich ihn zum Arzte
wählen? Ein Mensch von schwächlicher.
kleiner, verkümmerter Gestalt, schäbig
gekleidet; denn er war bettelarm; mit
einem nervösen. Zucken im Gesicht, mit
schadhaften Zähnen und namentlich mit
seinem unglaublich festsitzenden, unaus
rottbaren polnisch-jüdischen Deutsch
einem solchen Menschen geht man ueber
aus dem Wege, als daß man ihn eigens
aufsucht und holt, zumal ja sonst wahr
haftig kein Mangel herrscht an tüch
tigen Aerzten ohne derartige erschwe
rende Umstände.
Meister Billroth, der geniale Ehirurg,
hat sich einmal in einer Broschüre mit
Bitterkeit über den massenhaften Zuzug
der armen Studenten aus Galizien an
die Wiener Universität ausgesprochen.
In den heimischen Chassidcnschulen
verbildet und verkümmert, durch spätere
opferreiche und qualvolle autodidaktische
Bemühung notdürftig vorbereitet, ,n
früher Jugend schon gebrochen, körper
lich und geistig gleich untauglich und da
bei meist entsetzlich arm, nehmen sie die
Last des Studiums auf sich, das ja doch
meistens ein ganz aussichtsloses ist.
Wenn dann das Unvermeidliche ein
tritt, sie scheitern, inzwischen meist auch
für ein ehrliches Handwerk und auch für
andere Berufe verdorben sind, dann ist
eben nichts anderes erreicht, als eine
neuerliche Vermehrung des traurigsten
des wissenschaftlichen Proletariates. Der
große Gelehrte hat ob seines Buches
mancherlei Anfechtung erfahren, war eS
doch noch zur Zeit der liberalen Hoch
flut, daß er es veröffentlichte. Es wurde
ihm dös verargt, und groß war daS Ge
schrei, das sich erhob. Ja. er mußte et
was Wasser in den Wein seines ZorncS
gießen und öffentlich erklären, daß er eS
so und nicht so gemeint habe, aber
genau erwogen ganz unrecht hat er
doch nicht gehabt.
Moritz Wasserstoff gehörte zu jenen
Unglücklichen, die der Bildungstrieb und
die verheißungsvolle Ahnung"einer an
dern, besseren und lichteren Welt aus der
trüben Heimat getrieben hatte. Ein cd
les, aber verfehltes und törichtes Stre
ben. Wer bei einem modernen Mara
thonlauf mittun will, der muß dazu
zweierlei mitbringen: die Tauglichkeit
von Haus aus und die entsprechende
Vorbereitung. Ohne diese zwei uncr
läßlichen Vorbedingungen ist die Betei
ligung Wahnsinn er wird sicherlich
Kraft 'ob. Schiaparelli sah mit Fern
rohrcn von 8 bis 12 Zoll Oeffnung zu
erst dicfe Kanäle des Mars; Lowell be
obachtet sie für gewöhnlich mit einem
Fernrohr von 12 Zoll Oeftnung. Bar
nard dagegen und Antoniadi, die mit
Teleskopen von 33 bis 40 Zoll Oesfnung
arbeiten, sehen statt der Kanäle eine un
endliche Zahl vor verworrenen Einzel
heitert, die an sich nichts mit regelrechten
Linien zu tun haben oder gar irgend
welche künstliche Anordnung erkennen
lassen. Auch die Photographien des
Mae!, die neuerdings mit dem großen
Spiegelteleskop von V Meter Durch
meffer auf dem Mouit Wi'son-Obser
vatorium in Amerika gewonn n wurden,
lassen nichts derartiges erkennen, und so
werden sich die ruhelosen Kanalgräber
des Mars bald mit den Gnomen, Kobol
den und andern Fabelwesen auf einer
Stufe fehen.'
ES sei gestattet, diesen Ausführungen
deS englischen Astronomen einige Worte
hinzuzufügen. Man verfährt wohl am
korrektesten, wenn man offen zugibt, daß
die ganze .Marsfrage' von der heutigen
Wissenschaft noch nicht definitiv beani
wortet werden kann. Sowohl Lowell
und seine Anhänger w'e Maunder und
die, die ihm beipflichten, können sich auf
Irrwegen befinden. Auf den ersten Blick
erscheint die Maundersche Erklärung der
Marskanäle bestechend einfach; sie will
dem nüchternen und logischen Geist viel
leicht mehr zusagen als Lowells Ansicht,
die eine gewisse Phantasie erfordert; den
noch aber vermag auch Maundcr eine
ganze Anzahl von Erscheinungen, die
da! Kanalsystem erkennen läßt, nicht z
deuten. So bleibt er un mit feiner.
Ansicht auf die Frage die Antwort schul
big, weshalb die ganze Anordnung der
Linien auf dem Mars so sag'n wir
einmal .planmäßig' ist, neehalb sich
hie und da ganz beitimn te geometrische
Figuren ergeben. Auch die von Schia
parelli und andern häufig beobachteten
Verdoppelungen dieler Kanäle vermag er
un nicht zu enträtseln. Freilich, daß
diesek Liniengewirk von intelligenten
Wesen herrührt, ist auS dielen Gründen
höchst zweifelhaft, aber da besagt nichts
gegen die Auffafsunz, daß auch andere
Gestirne im Raum bewohnt sein können.
Eine Sonderstellung kann die Wissen,
schaft der Erde nicht einräumen.
JB3r 9 ' fi 4L.
HMSS WUWM.
Skizze von Valdukn Groller.
am Wege liegen bleiben oder günstigsten
Falles sich lange vor dem Ziele als ge
schlagen bekennen müssen.
Wasserstoff war schon seit mehr als
vier Jahren an der Universität inskri
bicrt, aber über den zweiten Jahrgang
war er doch noch nicht hinausgekommen.
Einmal war ei ihm mit den Kollegien
gcldern nicht zusammengegangen, dann
wieder hatte er kein rechte! Glück gehabt
mit den Vorprüfungen aus der Mi
neralogie, Botanik und Zoologie, dann
war es wieder wai andres, kurz, eS ging
dabei ein Semester ums andere in die
Brüche. Aber er hoffte noch immer wei
tcr, freilich nicht ganz so zuversichtlich,
wie früher, und über die rosigen Zu
kunftsbilder begannen sich so nach und
nach und schon langsam den Glanz trü
bendc Schleier zu breiten.
Seine Wohnung hatte er nun fchon
seit zwei Jahren im Pappenheimer Hof
in der Brigittenau. Der Pappenheimer
Hof ist ein stattliche! Zinshaus mit vier
Stockwerken, gut gehalten und Treppen
und. Gänge von blitzblanker Sauberkeit,
ein Verdienst der riegelsamcn Hausmei
stcrin. Frau Kathi Bruckner, die da das
Zepter führte. Nicht daß sie selbst die
Treppen aufgerieben und alle groben
Arbeiten selbst verrichtet hätte, obschon
sie tüchtig mit Zugriff, wo es not tat,
aber sie hielt darauf und schaute dazu.
Sie hatte eine Bedienerin aufgenommen
für die schwere Arbeit sie konnte es
tun, da die Sperrgelder in dem großen
Hause recht reichlich flössen und da
genügte es, wenn nur ihre Autorität
über dem Ganzen schwebte. Und diese
Autorität wußte sie auch zur Geltung
zu bringen. Wenn die Kohlenmänner
Kohlen oder die Mägde zum Mittag
oder Abendessen Bier zutrugen und es
sich dabei ereignete, daß schwarze Koh
lcnstllckchcn auf die Treppen fielen oder
etwas von -dem braunen Biere auf das
blank gescheuerte Gestein herausträu
fclte, da gab es immer ein Strafgericht,
daß nur so das ganze,Haus widerhallte.
Dem Donnerwetter folgte immer fcier
liche Stille. Die Mädchen schlüpften
scheu in die Wohnungen, und die mus
kelgewaliigen Kohlenmänner schlichen
sich in ihrem Schuldbewußtsein still da
von und drückten sich, fo gut es ging,
um eine neuerliche Attacke herum. Denn
mit Frau Bruckner war, wenn sie zorn
gerötet und noch immer auf die Ba
gage' scheltend herumwctterte'vder sonst
gerade schlecht aufgelegt war, nicht gut
Kirschen essen.
Und wenn sie dann mit blitzenden
Augen und roten Wangen ich glaube,
kein Mensch auf der weiten Welt ver
mag leidenschaftliche Monologe so gut
herauszubringen, wie eine in ihren hei
ligsten Gefühlen beleidigte Hausmeisie
rin ihre Wohnung betrat, da rich
teten sich aus einer dunklen Ecke zwei
schwarze Augen auf sie in stiller, glü
hender Bewunderung, in brennendem
Verlangen, die Augen Moritz Wasser
stoffs.
Er war ihr Zimmerherr. In dem
stattlichen, lichten Hause bewohnte er
eine kleine, dunkle Kammer, die sie .zu
verlassen' hatte, wie man in Wie sagt,
seitdem vor einigen Jahren ihr Mann
gestorben war. Die gutherzige Haus
frau hatte ihr den Posten belassen auch
nach dem Tode der Mannes, der bei fei.
ner Tagesbeschäftigung als Bankdicner
doch nicht viel auf das Haus fchauen
konnte, und weil Frau Bruckner auch
allein hinreichende Gewähr für die
pflichtgemäße Obsorge bot. Sogar das
wurde ihr auf ihre Bitte gestattet, daß
sie die Kammer verlassen" durfte. Und
da fügte eS sich, daß Moritz Wasserstoff
ihr Zimmerherr wurde.
Sie vertrugen sich ganz gut miteinan
der. .Ich weih nicht, was die Leut'
immer zu reden haben,' pflegte sie zu
ihren benachbarten Bkiufsgenossinnen
anläßlich so manchen willig hcrbcigc
führten Standcrls" zum Tratschen zu
sagen, mein Jud is a ganz a rarer
Herr; da , gibt's kein Klag.' Es gab
wirklich keine.
Es wird ein ewig ungelöstes Rätsel
und ein ungelllfteteS Geheimnis bleiben,
wie Wasserstoff es zusammenbrachte,
immer am Ersten seine Miete zu bezah
len, aber er brachte es zusammen, und
wie er im übrigen hungerte und darbte,
das konnte niemand so recht genau er
fahren, auch Frau Bruckner nicht. Essen
muß der Mensch nicht, kalkulierte er bei
sich, aber, wenn man bei der Frau
Bruckner wohnt die Miete muß man
pünktlich bezahlen, und wenn man daS
Geld mit den Händen au! der Erde gra
ben müßte.
Ein Mensch, der so kalkuliert, ist ver
liebt. Wasserstoff war eS, rasend, gie
rig. leidenschaftlich. Eine nicht bezahlte
Miete hatte die Gefahr der Trennung
heraufbeschwören können, und Wasser
ftoff hätte lieber den Tod erduldet, als
die Trennung. Von seinen Gefühlen
hatte Frau Bruckner nicht die leiseste
Ahnung. Er hütete sich wohl. Denn
außer dem kolossalen Hohngelächter
mein Gott, verhöhnt hatte man ihn ja
schon genug im Leben! war noch et
waS anderes, viel Schrecklicheres zu ge
wältigen wieder die Trennung.
So unbegreiflich war Wassersiosss
Leidenschaft durchaus nicht. Frau Brück
ner war groß und üppig von Gestalt; sie
überragte ihren Zimmerherrn gut um
Haupteslänge. Gutmütig, wie sie im
Grunde trotz ihres vielen und labten
Schelten; war. lachte sie grn, wobei
ihre praivollen Zähne vorteilhaft zur
Geltung kamen. Dann spielten in ihren
Augen auch fröhliche Glanzlichter, und
nicht nur die Augen lachten mit, sondern
daj ganze Gesicht, ja. die ganze große,
ungeschnürte Gegalt. Besondere Sorg
fält wandte die etwa dreißigjährige
Frau nur ihrem gelben, goldglänzenden
Haar zu, daS immer nett und nicht ohne
Kunstfertigkeit so geordnet war. daß e.
flr dai gesunde und ansprechende Milch
und Blutgesicht ein hübsche Bekrönung
und Umrahmung bot. Feine goldige
Nackenlöckchen kosten den edel gezeich
neten HalS, der weiß und rund war, wie
der eineS KindeS. Sonst hielt sie, an
Werktagen wenigstens, nicht viel auf
Toilette. Eine dünne rote Bluse
schmiegte sich um ihre imposante Büste,
und der blaugraue Rock, dr sogar einen
Ansatz zur Schleppe auswies, lieh ihrer
Gestalt, wenn sie auSschritt, etwaS Kö
niglichcS. Die Arme trug sie im Hause
stets bloß, um sich leichter zu tun bei
ihren vielen Hantierungen. ES waren
mächtige Arme von nicht unedler Plastik.
Stundenlang konnte Wasserstoff auf
dem Lugaus in seiner dunklen Kammer,
selbst unbemerkt von ihr, lauern, um
sie zu beobachten und ihren Bewegungen
mit brennenden Blicken zu folgen. Er
lebte wie im Fieber. Diese Thusnelda
Figur hatte es ihm angetan. WaS in
ihm brannte, daS war die Gier, die
Sehnsucht der unterdrückten, getretenen
Rasse, dos war daö TschandalaEle
men!, das nach Befreiung, nach Erlo
ung lechzt durch die Vereinigung, Ver
chmelzung mit der freien, starken, ge
undcn Rasse.
Eines TageS wurde Wasserstoff von
seinem Veobachterposten aus Zeuge einer
Szene, die fein lebhaftes Interesse in
Anspruch nahm. Die Türe seiner Kam
mer war halboffen, so daß er jede!
Wort hören konnte, und der Vorhang
an der Türe es war nämlich eine
Glastüre, die daS bißchen Licht in den
Raum einließ, der fönst keine Fenster
halte war jz immer mit besonderer
Achtsamkeit sc gerichtet, daß der Be
obachter, obne sich selbst preiszugeben,
alle! überblicken konnte. ,
Frau Bruckner hatte tagS zuvor in
ihrer Wohnung gründlich herumgestö
bert und sich nun von der Straße einen
jüdischen Hausierer hereingewinkt, der
durch die laute, eintönige Rufe seine be
sondere Geneigtheit kundgegeben hatte,
irgendwelche Geschäfte abzuschließen,
seien sie welcher Art immer. Frau
Bruckner hatte fürchterliche Musterung
gehalten. Da waren noch einige Dinge,
die ihr im Wege standen oder ihr sogar
noch Motten ins Haus züchteten die
letzten Reste deS Nachlasses von ihrem
Seligen; sein eiserner Waschtisch, sein
Rasierzeug, ein Wintcrrock, ein Paar
Stiefel und fönst noch einige gering
fügige Effekten, als vornehmstes Stück
darunter ein alter Zylinderhut.
Der Mann der Geschäfte trat inner
lich erfreut ein. Die Zeiten sind schlecht;
die Gelegenheiten werden immer seltener
um so erfreulicher, wenn sich eine
darbietet. Er hielt eS aber für ange
messen, feine Freude nicht erkennen zu
lassen. Es war angezeigter, von dorn
herein den Kummer zu markieren über
das jedenfalls schlechte Geschäft, das er
hier machen werde.
Die Sachen seien gar nichts wert,
meinte er nach einer kurzen, gering-
schatzigen Prüfung, die nur die Bestimm
muiig hatte, die Erwartungen der V?r
lauferin mögligst tief herabzustimmen,
aber weil die Frau eine gar fo schöne
und liebe Dame sei, wolle er etwaige
Verhandlungen nicht ganz von sich wci
fen. Frau Bruckner gestand zu, daß eS
keine besonderen Kostbarkeiten feien, die
sie darbiete, aber etwaS sei der Kram ja
doch wert und sie wolle ihn einmal aus
der Wohnung draußen haben.
Es gab ein scharfe! Feilschen, als e!
zur Preisbestimmung kam. Unter einer
Flut von Schwüren, Beteuerungen und
herzbewegenden Klagen versichert der
Hausierer, daß er für den ganzen Krem
pel unmöglich, ganz und gar unmöglich
mehr als acht Gulden geben könne. Man
schuftet und schindet sich wie ein Hund,
lind wenn man abends todmüde nach
Hause komme, habe man nicht einmal
das trockne Brot verdient das Leben
sei überhaupt kein Leben.
Frau Bruckner härte teilnahmsvoll
zu. Ihr gingen die herzzerreißenden
Klagen nahe, und obschon sie sich selbst
vorgenommen hatte, auf ihrer Hut zu
sein, gab sie doch einer inneren Regung
nach und sagte, daß sie gerne einen Gul
den nachlassen und sich mit sieben be
gnügen wMe, da es ihm nun doch ein
mal fo schlecht ginge. Sie tat auch ein
übriges. Sie hieß den Mann sich setzen
und trug ihm einen Imbiß auf. ES
wird ihm doch wohltun, dem armen Ha
scher, dachte sie sich. Mit dem Imbiß
hatte sie freilich kein rechtes Glück. ES
war ein Schweinkkarbonnadel", daö ihr
vom letzten Abendessen übrig geblieben
war. Seine einfchlägigen Aufklärungen
fand sie stichhaltig. A Religion muß
der Mensch haben,' sagte sie, .alleseinS
wa! für eine, wenn er nur eine Religion
hat!'
Als eS zum Bezahlen kam, stellte tt
sich heraus, daß der Hausierer überhaupt
nur fünf Gulden im Vermögen hatte.
Wie er auch feine sämtlichen Taschen
durchsuchte, es fand sich nicht mehr vor.
.Wenn Sie mir nicht trauen, schöne
Frau,' sagte er, .so lasse ich die Sachen
einstweilen hier. Ich laufe in die Leo
poldstadt, verschaffe mir die zwei Gul
den, und hole sie dann ab.'
Wozu sollen Sie erst den weiten
Weg machen! Nehmen S' die Kramuri
nur mit; Sie werden mir die zwei Gul
den schon bringen.'
Seine Schwüre, daß er die zwei Gul
den heute noch' bringen werde, droh
ten. sich inj Endlose zu verlieren; Frau
Bruckner aber schnitt sie ab, indem sie
einfach sagte: .Schon gut; Sie werden
mich nicht betrügen.'
Und dann half sie ihm noch beim
Aufpacken und gab ihm zum Abschied
die Hand.
Moritz Wasserstoff hatte die Szene
mit wachsender Ausregung verfolgt. Als
der Hausierer sich entfernt hatte, begab
er sich zu Frau Bruckner hinein, um mit
ihr tß be. Da erste, ival er ihr
dorxikhalt hatte, tr, daß sie die Es
ehe , billig hergegVbkn hätte,
Da weiß ich eh,' meinte sie gul
mütig; ,?oer toATi gat so ein arme:
Teufel warl'
Gut, ab j ft denn gar so sich.r
sei, daß n die zwei Gulden bringe!,
werde.
.Ganz sicher!'
.Schwören möchte Ich doch nicht d,
aus.'
.Da wZr' ja die höchste Schmube
rei!' eiferte sie. .Nein, arme Leut' siiu
gewöhnlich nobler, als die Noblichtcn,"
, Als Wasserstoff abend nach Haufe
kam, wa? seine erste Frage, ob der
Mann mit den zwei Gulden dagewesen
l'
.Nein; er wird schon kommen,' lau
tcte die kurz abweisende Antwort.
Wasserstoff schlief in dieser Nacht
nicht. Der Mann mit den zwei Gulden
ging ihm nicht aus dem Kopf. Seine
Aufregung wuchs, als er so dalag, und
sie steigerte sich zu einem förmlichen Fie
bei. Der Mann wird nicht kommen,
sagte er sich immer und immer wieder
vor. Und er ahnt nicht, was er für ein i
Verbrechen begeht. Der Schuft, der
Schuft! Er verdiente aufgehängt zu
werden! Er versündigt sich an seinem
ganzen Volk!
Am nächsten Vormittag blieb er cigenS
zu Hause, um abzuwarten, ob der Mann
kommen werde. Er wartete vergebens.
Abends fragte er wieder er war nicht
gekommen. Er knirschte mit den Zäh
nen. Frau Bruckner nahm die Sache
aber gar nicht tragisch und blieb gleich
mütig dabei: Er wird fchon kommen!'
.Ich fürchte, daß er S betrügen
wird, Frau Bruckner.' sagte er, Sie
fchon betrogen hat.'
Sie sann eine Weile nach, dann er
widerte sie: .Ich glaub's noch immer
nicht, und wenn er's wirklich tät wie
schrecklich arm und unglücklich muß ein
Mensch sein, bevor er so etwas tut!"
Sie ahnte nicht, welche Wirkung ihre
Worte auf Moritz übten, zu welcher
Größe sie oor ihm aufwuchs in ihrer
Milde und Barmherzigkeit. Was j)N
bei der kleinen Schurkerei fo erregt hatte,
das war eine Art Solidaritätsgesühl,
und nun empfand er das gute Wort wie
einen Segen nicht für sich allein.
Wieder verging die Nacht wie im Fie
bei und 'wieder der Vormittag im ver
geblichen Warten. Da suchte er sich den
einzigen Ueberrock hervor, den er hatte,
und unterzog ihn einer fachmännischen
Untersuchung. Der Rock war er war
Kenner auch für den Wiederverkäufe:
noch seine drei Gulden wert. Er wollte
ihn, wenn's nicht anders ging, für zwei
Gulden an den Mann bringen.
Als er, von Frau Bruckner unbemerkt.
auS dem Haufe schleichen konnte, machte
er sich eilig davon, und in der Juden
gasse, diesem Emporium des Welthan
dels mit alten Kleidern, schlug er seinen
Rock los, es ging nicht anders, für zwei
wulden.
Nach Haufe zurückgekehrt, fragte er
wieder hastig, ob der Hausierer dage
Wesen sei, und als er wieder eine der
neincnde Antwort erhielt, da schlug er
sich vor den Kopf, lachend über die eigei.e '''s
Vergeßlichkeit. Der Mann sei dagc-,
Wesen, vormittags, gerade als Fra.i
Bruckner mit den Bodenschlllsscln fort-
grwc,en ici, uno yaoe irjm es n zu
dumm, daß er im Moment gar nicht
daran gedacht hätte die ,wei Gulden
für Frau Bruckner übergeben.
Frau Bruckner nahm die zwei Gulden,
dankte ihm. und als er sich wieder in
eine Kammer zurückgezogen hatte,
chüttelte sie den Kopf über seine offen
ichtliche Verwirrung.
Am Abend beim Stander! erzählte sie
ihren Beruftgenossinnen die ganze Ge
schichte. Wie man sich halt doch immer
in echt nehmen müsse, schloß sie. Wenn
sie nicht zufällig ihren Zimmerherrn
ftagt. ob er nicht die zwei Gulden von
dem armen Hausierer gekriegt hätte
wer weiß, ob sie sie je im Leben gesehen
hätte. So sind die Leus!
Wortkarg.
Ein schwäbischer Bauer fährt mit fei
nem Sohn aus der Gegend von Geis
lingen nach der Residenz.
Bald nachdem sie den Zug bestiegen,
deutet der Sohn auf die Felder hinaus
und sagt:
.Da. guck emol. Votier, der schecne
Hafer!'
Der Vater schaut zum Wagcnfenstcr
hinaus, erstaunt über den kräftigen Ha
fer, der bei ihnen auf der Albhochcbene
droben noch weit geringer und spärlicher
steht.
Nach anderthalb Stunden Schwel
genö ist die Hauptstadt erreicht. Die
beiden erledigen ihre Geschäfte, waS bis
gegen Abend getan ist. Nunmehr fetzten
sie sich wieder in einen Bummelzug, um
nachhaufe zu fahren.
Der Zug fährt durch daS Neckartal.
Böller Interesse blicken die zwei wieder
zum Fenster hinaus. Die Neben in
teressieren sie. die saftigen Wiesen, die
Obstgärten. Doch nicht in dem Mas,e,
daß einer der beiden ein unnütze? Won
Über da Gesehene verlieren würde.
So fährt der Zug weiter und weiter
ohne daß Vater und Sohn ein Bet'
miteinander wechseln.
Nach anderthalbstllndiaer Fabrt n
blicken sie wieder da! schöne halttl:;
Dann steht der Bauer auf. um f.-
Pakete aus dem Netz zu nehmen, da s,?
bei der nächsten Stat'ion ciiif.w -müssen.
Dabei sagt er zum Sohne:
.Und der Weize!'
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eint b ältesten Firmen der Baumwr",
borse in New Orleans, sind gestern -'
tag fallit erklärt worden.
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