Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, January 19, 1918, Image 7

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Tägliche Omaha TrMne
WllWV, läMHj'.j.mtrfH1 fen
Die Erkenntnis. ,
Skizze von Elfe Izöffer.
DaS blauliche Moiidlicht glitt durch
das Oberlicht de Atelier und lief zit
tcrnd iiber die blanken Fliesen des Ao
dkns und huschle iiber die weißen Büsten
und Torfen, die an den Wänden standen.
Tann glitt ti iiber eint gewaltige Mar
inorgruppe und lag darauf fest, wie er
starrt von der königlichen Schönheit dcö
Werkes.
lind dcr blasse Marmor erwachte zu
zauberischem Leben unter dem flimmern
den Lkht, bläuliche Schatten huschten
darüber hin und betonten die edle Plastik
der formen, die weißen Glieder schienen
sich zu regen, gewaltiger wuchs die Ge
bärde der Körper.
Eine Männcrgkstalt, auf ein Knie ge
stützt, erhob sich, wie vom Schlaf er
wacht, und reckte den Arm mit starker,
sehnsüchtiger Gebärde zum Himmel. Je
der Muskel in dem Körper war gespannt,
voll Energie und Kraft, als warteten die
Glieder nur auf den Augenblick des Auf
sprittgens, auf den heiß ersehnten Au
geublick.
Denn in dem aufwärts gewandten
Antlitz lebte eine leidenschaftliche Sehn
sucht, über den Brauen lag ein verhak
tencr Zorn, und um den Mund batte sich
der Schmerz fcstgegraben, ein hosfnungs
loser Schmerz.
Und doch strebte die Sehnsucht auf
wärts, der Körper reckte sich empor, lpn
melan, dem Licht entgegen, die Freiheit
grüßend.
Die Linke deS ManncS hing schwer
und schlaff, wie leblos, am Körper herab,
matt geballt, in gebrochener Kraft. Um
daS feste Gelenk "lag eine Fessel, die eS
'. eng umschlang und an einen schmalen,
fcingcformten Frauenarm band.
Zu Füßen des Mannes ruhte ein
, Weib. Weich glitten die spielenden
" Schatten über den schlanken, anmutigen
Leib und verklärten ihn zu unendlicher
Schönheit. Die Glieder waren gelöst in
holder Nnhe und schmiegten sich mit mü'
der Grazie gegen den Marmorfelsen, der
feine Kopf war nachlässig zurückgelehnt,
um den leise geöffneten Mund lag das
Lächeln seligen, gedankenlosen Behagens.
Das Weib sah nicht auf zu dem
Manne, an den die gemeinsame Fessel es
band; es Wichte nichts von seiner stur
menden Sehnsucht, von seinem wilden
Freiheitsdrang. Auf dcr kindlichen Stirn
lag ein sonniger Friede, über der ganzen
Gestalt schwebte ein weiches, süßes
Glücksträumen, das rührend und quä
lend zugleich wirkte in feiner Ahnungs
losigkcit.
Und neben dem sanft ruhenden Weibe
hoben sich die kraftgeschwellten Glieder
des Mannes um so wuchtiger; es war,
"V als müßte ihm ein Aufschrei wildester
Sehnsucht die starke Brust zersprengen,
ali müßte die Kette, die ihm das Gelenk
drückte, zerreißen.
Und das Weib lächelte im Glüekstraum
und wußte, nichts von .dem großen Kampf
des Mannes.
Die Ateliertür ging leise knirschend
und fiel dann klappend ins Schloß.
Auf der Schwelle stand eine dunkle
Gestalt, weiß leuchtete ein junges, wei
chrs Gesicht aus dem Halbdiimmer. Die
junge Frau sah mit bangen Augen, in
denen das Bewußtsein eines Unrechts
stand, um sich. Sie atmete rasch und
schluckte heftig, denn die Kehle war ihr
trocken vor Aufregung und Angst. Sie
lauschte nach dem Treppenhaus, aber, die
Stille der Nacht war tief und undurch
dringlich.
Sie glitt hastig vorwärts und hob die
Augen zu der Warmorgruppe.
Da schob sich eine Wolke vor den
Mond, und in dichtes Dunkel versank
der hohe Raum.
Negungslos stand die. Frau. Sie
hörte nur das starke Pochen ihres Blutes
und fühlte das feine Vibrieren der er
regten Nerven.
Zum erstenmal seit langer Zeit stand
sie im Atelier des Gatten, zum erstenmal
fejt Jahren wollte sie sein Werk sehen,
bevor er es der Welt übergab.
Das Werk, an dem er mit leiden
fchaftlichem Eifer gearbeitet hatte, ohne
' sich Rast und Auhe zu gönnen, an dem
er seine Kraft zermürbt hatie, und' das
ihn fast zerbrochen hatte. Denn als er
e vollendet hatte, war er zusammen
gesunken, die Kräfte seiner Seele und
seines Körpers waren verbraucht. Und
doch war er klarer und stiller geworden,
als hätte dies Werk ihn von einem schwe
ren Gedanken befreit. Es mußte ein
großes, ein starkes Werk sein, sein Wei
stermeri vielleicht, vielleicht das Beste, das
er zu geben hatte, das 'er mühsam, in
bartem Kampf aus dem Marmorblock
löst hatte.
Und feine Frau, die abseits lebte von
- Ihm und seinem Schaffen, in der hellen
j Wohnung zwischen ihren Blumen und
schönen Möbeln und den fröhlichen, sorg
losen Menschen ihrer Welt, die kannte
'dies Werk nicht, das ihr den Mann ge
nommen, die ahnte nichts von dem zähen
Kampf und dem heißen Sieg des Kunst
las. Bis sie eine dunkle, bohrende Neu
gier oefaßt: sie wollte daS große, streng
gehütete Werk sehen!
Stärker wurde das Herzklopfen der
jungen .Frau. Ihr Mann wollte nicht,
daß sie das Atelier betrat; er wollte nicht
'In seiner Arbeit gestört werden. Früher
halte sie ihn oftmals leise bettelnd darum
gebeten, mit Schmollen und Weinen, da
hatte es wohl gutmütig-spöttisch um sei
nen Mund spielt:
Aber. Kleinchen. ,di, verstehst es doch
nieU!"
Und er hatte ja auch recht, sie verstand
wenig von seiner Kuüst und wenig von
dem 'starken, le!denschas:lichen Leben sei
- r,es Geistes.
Nur li.bbaben konnte sie iljn.
Sie lächelte leise verstohlen ein glück
l!ch,-s Üji.'n.
i stieg der Mond llöir die Wolke
Und lag wieder lebend und lebenspendend
aus dem weiß'N Uskrk
Die Fieiu hob die Aiig'n, ein leiser
Schrei klang durch den weiten Raum,
und sie sank in die Knie und faltet die
Hände wie vor dem Altar.
Und sie schaute und begriff die er
schlitternde Schönheit des Werkes, die
Kühnheit dcr großen Linien, den Adel
der Formen und den gewaltigen Zanber
des seelischen Ausdrucks. Sie trank die
Schönheit in sich hinein voll frommer
Andacht, und demütig wurden ihre stil
len Augen.
Dann dann begriff sie den Gedan
seit. Und der Gedanke ergriff sie mit
grausamer Wucht und warf sie zu Bo
den, bis ihre Stirn auf den kalten Jlie
scn lag. ,
Doch von den weißen Gestalten kam
ein Bann, der sie aufhob, der ihre Blicke
bannte auf daS schöne, lcidenschaftdurch
bebte Antlitz des Mannes, in dem Zorn
und Schmerz kämpften, und über beiden
war die Sehnsucht.
Die große Sehnsucht, von der die
kleine Frau nichts gewußt zwischen ihren
blühenden Blumen, und die sie nun ah
nend begriff, die große Sehnsucht, die
den stillen Frieden verlacht, die hinaus
strebt aus dem behaglichen Glück, die kein
Resignieren kennt und kein sattes Genü
gen, für die wir dcr Kampf und das
Aufwärtsdringen Leben bedeuten, die die
Fessel fühlt zu jeder Stunde und sie
jauchzend zersprengen möchte.
Die junge Frau hob langsam die
Hände an die Schläfen.
Ihr Auge löste sich mühsam von dem
Antlitz deS Mannes und glitt angstvoll
iiber das ruhende Weib. Und ihre Au
gen wurden weit, ihr Herzschlag setzte
aus, ein leises Wimmern verklang zwi
schen den hohen Wänden.
Ihr war, als sähe sie plötzlich ihr Le
ben in hartem Licht: ihr Leben ohne
Ernst und Tiefe zwischen Blumen, schö
nen Toiletten, lachenden, flachen Mcn
schen, ihr Leben ohne Größe und Tragik
ein leeres Leben. Ein sattes Genie
ßen, ein kampfloses Glück, Friede ,
Seelcnträghcit, das Leben der netten,
keinen Frau".
Sie hob zitternd die Hand gegen das
Marmorbild.
Ah trug dies Weib nicht ihre Züge,
ihre holden, weichen Züge, die nichts
spiegeln konnten als das kindliche
Lächeln des Behagens, in tödlicher Mo
notonic? Ueber die kein Wetterleuchten
des Zornes fuhr, kein Erbleichen tiefer
Seelcnqual sich je gebreitet und nie das
Zucken und Beben höchster Leidenschaft
gezittert!
War das nicht ihr Leib, ausgestreckt
in träger Lässigkeit, ohne Kraft und
Schwung, ein wuchtendes Gewicht an
eine Hand gefesselt, die sich in ohnmäch
tigcr Wut geballt? -
Und diese Hand wie kannte, wie
liebte sie diese harte, ausdrucksvolle
Hand!
Die junge Frau schloß, die Augen,
aber das Leuchten, das von dem Mar
mor ausging, zwang' sie zum Schauen,
und das große Werk sprach mit heißen
Worten zu ihr. Und sie fühlte: der
Marmor gewordene Gedanke war erlebt,
nicht erdacht, nur ein gewaltiges Zeugnis
großer, heimlicher Leiden.
Denn neben ihrem Leben hatie einer
gelebt, fern von ihr und ihrem kleinen
Alltagsireiben, und nur mühsam hatte
er den Schnsuchtsschrei unterdrückt, der
ihm in der Kehle saß, doch die Fessel
hatte er immer gespürt, wahrend ihre
Seele ruhte. Ihr Gatte war er gewesen,
und immer war n ihr ein Fremder ge
blieben, denn ihr kleiner Sinn reichte
nicht bis in seine Welt. Sie war ihm
nichts gewesen als ein holdes Spielzeug,
das zur Bürde ward, wenn eine Fessel
es an ihn band.
Und diese Last hatte ihn geknechtet.
Wie sich der stolze Marmorkörper leise
zur Seite bog, dem Gewicht des ruhen
den Weibes nachgebend, so hatte seine
Seele ihren Flug gehemmt unter der
Bürde des Alltags. Er war ein einsamer
Mann geworden, während sie fröhlich
mit den Fröhlichen war. Er hatte ge
schwiegen all die Jahre hindurch.
Kleinchen, das verstehst du ja nicht!"
Sie zitterte. Er hatte geschwiegen, weil
es nicht lohnte, an dies kleine, leere Herz
chen zu pochen, weil er ihren Kindersinn
nicht trüben wollte und ihr Behagen
nicht vernichten.
Und die Sehnsucht war gewachsen in
ihm. göttlich hatte ihm die Freiheit ae
leuchtet ln weiter, weiter Ferne. Da
hatte er ein Werk geschaffen, das Zeugnis
gab von seinem Schicksal, da hatte sich
die Qual seines Herzens ausgelöst zu
einem Meisterwerk.
Und das Werk stand vor seinem Weibe
in leuchtendem Marmor, voll königlicher
Schönheit und überzeugender Kraft.
Dies Werk sprach ihr von dem tragischen
Geschick, das sich dicht an ihrer Seite er
füllt hatte, und vor dem sie blind gcwe
sen bis zu dieser Stunde.
Auf den Fliesen kniete die Frau mit
gefalteten Händen wie vor dem Altar,
' Ihr kleines Gesicht war tief erblaßt,
die bangen Augen waren tränenleer. Wie
zerbrochen lag sie von der Wucht der
schweren Erkenntnis. Und ihre kleine
Seele wuchs im Frühlingssturm des
Schmerzes.
Ich habe ihn lieb murmelte sie ton
los. Doch wenn sie die Augen hob zu
dem düstern Männcrantlitz, zuckle sie zu
sammen und rang nach Kraft.
Jl,re Liebe wollte der gefesselte Mann
ja nicht; er rang nach Freiheit, zur Höbe
wollte er, ohne Fessel, ohne wuchtende
Last allein.
Die ran erhob sich taumelnd, ein
leises Schluchzen stieß sie. Sie trollte die
Auien abwenden von dem weifen Antlitz.
daS so Uneieheukres von ihr heischte, doch
ihr Blick hing fest daran, und ihre Seele
ward groß und stark und mutei.
Sie hob die Hand und strich leise über
das Handgelenk des Mannes, a!Z wollte
sie die Fess.l lösen. Sie schmierte bei
der Berührung des eisigen Stein.
5w I) V c
Nee, liebst Kinder," sagte Haupt
mann von Findeling, mich lasset aus
dem Spiele. Nee, nee, nu laßt man
daö Quälen, ich gehe margen nicht mit.
Ich bin doch gewiß kein Spielverderber.
Aber wenn ich mal nein sage, dann hab'
ich meine Gründe."
Ueber der kleinen Stadt lag eine frost
scharfe Januarnacht. Die Sterne blitz
tcn so blank, wie auf der Knopfgabcl
geputzt. So halte der jüngste Leutnant,
Wagner II, berichtet, der eben erst ge
kommcu war. Der hatte sich in Damen
gescllschaft bei seiner Tante niedlich ma
chen müssen.
Nach der geistigen Strapaze mit den
alten Damm heimelte ihn die Jieisino
stube an mit ihrer billigen Tapete, den
abgewetzten Lcdersiühlen um den gelben,
polierten Tisch. Darüber summten leise
die drei Gasflammen, dcr frisch geheizte
Patenteisenofen bullerte es wär doch
so unter den Kameraden ganz gemütlich,
nota tVnc für einen krassen Neuling
wie diesen jüngsten Leutnant.
.Aber laßt euch durch mich nicht stö
ren," fuhr der Hauptinann fort, .ich
habe da mal was mit solchem Tinge!
tangel erlebt wenn auch meinerseits
ganz passiv , das hat mir den Appe
iit auf solche Scherze verdorben."
Gott, Tingeltangel ist wohl 'n biß
chen grausam ausgedrückt, wenn ich ge
horsamst replizieren darf," meinte Wag
ner II, die Blada.Ponarska ist doch
'ne europäische Berühmtheit."
Nu doch wohl schon gehörig abge
welkt," protestierte der kleine schwarze
von Ohlenhusen. Wenn sie zu uns
kommen, sind sie wohl reichlich passiert."
Solche Brettldamen sind alle hin
term Gelde her," sagte der Oberstabz.
arzt, die wissen genau: des Lebens
Ma! blüht einmal und nicht wieder.
Diese Diva wie heißt sie doch schon
hat immer och 'nen gewissen Ruf.
Sie soll nie viel gekonnt haben. Alle
ihre Liederchen und Couplets sind
mordsmäßig frivol, und die plaudert
und singt sie jedem Hörer so intim zu,
als ob dessen ganze na, sagen wir
mal Weltanschauung auch nur auf
der frivolen Wmschtigkeit gegen alle
höheren ethischen Leitsätze aufgebaut
wäre. Ich habe so was öfter beobachtet,
das kitzelt den Philister, natürlich nur
so lange, wie er da auf feinem Parkett
platz sitzt. Nachher oho! Wirklich,
das soll die ganze Kunst der Dame sein."
Genau den Ruf hatie die Vlada
Ponarska schon vor dreißig Jahren;
und so .vor zirka zwanzig war sie die
Heldin einer Geschichte, an die ich nicht
ohne bitteren Nachgeschmack denken kann,"
sagte der Hauptmann und legte feinen
Zigarrcnrest in den weißen Porzellan
becher, das ist solche Person gewesen,
ihr jungen Herren, gewesen! , um die
sich Männer die Hälse brechen, und die
selber eiskalt bleiben. Ucbrigens ist
meine Geschichte kein Eifersuchtsdrama,
weit entfernt!"
O bitte, erzählen, Herr Hauptmann,
erzählen," riefen die junge Leute, und
der kleine Ohlenhusen sagte noch nc,
denklich: Spannende Geschichten erzäh
len hören, das ist immerhin ein starke!
Surrogat für Leben. Wenn das Leben
einem so viel schuldig bleibt wie uns
hier."
Der Hauptmann ließ sich nicht not!
gen. Er hätte gar nicht von der alten
Chofe nein doch, von der Tragödie
anfangen sollen, nun war es mal ge
schehen.
Wie ich noch im Korps war," fing er
an, in Bciisbcrg am Rhein, da hatt'
ich 'nen besonders guten Kameraden,
Dietrich von Ninghart hieß er oder
so will ich ihn hier benennen. Lang und
schmächtig und fast so blond wie Sie,
lieber Richter. Augen hatte dcr im
Kopse, die waren grau und wirkten
schwarz; kam dcr Junge aber in Erre
gung selten und immer nur in Din
gen innerer Ueberzeugung , dann legte
sieh sein Blick auf einen wie eine Löwen
tatze.
Alles Lernen wurde ihm leicht, der
Generalstäbler" war , sein Spitzname.
Aber alle hatten ihn gern. Als Streber
galt er nicht, wie sonst so leicht, die
viel hinter Büchern und Karten hocken.
Und lind und gütig war er zu den
kleinen, Muttersöhnchen, die sich zuerst so
einsam und unglücklich fühlen und die
fo viel von den Großen einstecken müssen.
Natürlich war er Soldaienkind, wie
die meisten von uns, und dazu Voll
walse. Dabei hatte er es kümmerlich.
Wenn wir vor Ungeduld zappelten vor
den Ferien er blieb kühl, denn er
Haiti nichts zu erwarten. Dann ging er
immer zu derselben Urgroßtante in
einem hinterpommerschen Marktflecken.
Solche verflizie t?nge der Verhält
nisse trug er mit stoischem Gleichmut.
Er hielt sich an die Zukunft.
Ich tue meine Sach', wie sich's ge
hört," sagte er zu mir, und wir haben
einen guten Namen, wir zwei Brüder.
Es kann uns gar nicht fehlen."
Mit dem guten Namen meinte er nicht
etwa Vornehmheit, denn die Familie
war von jungem Beamtenadel. Aber
a::f ein paar Angehörige war er stolz,
weil die sich in ihren Aemtern ausgc
zeichnet hatten, noch von Anno dazumal,
wo Amtsperfonen siockpreußisch dachten,
und wo die Leute spartanisch lebten,
auch die es gar nicht nötig gehabt hat
ten. weil das mal zum anständigen und
korrekten Lebenswandel gehörte.
Freilich," sagte er dann, mein Al
brecht hat eine Schuß Franzenblut.
Dem wird es blutsauer, sich nach der
Tann glitt sie zur Tür, unbörbar,
wie sie geiommeii. Sie wanvle sich noch
einmal um und sah zurück auf die leuch
tenden Gestalten.
Tann senkte sie den Kopf und giiig die
Trerpe hinab, icsch und flüchtig.
Und als die sliwere Haustür hinter
ihr ins Schloß fiel, blieb sie stehen und
laus! zitternd dem dumpfen Klang
K'"1 li- .st I -.1 f,".r';
kurzen Decke zu strecken. Unser Aaler
hat ti noch gekonnt ja, wenn dcr
Bat noch lebte!"
Dann sah er sorgenvoll auS und schob
die Brauen in die Stirn. Sein Mund
formte sich voll und trotzig wie ein blü
hender Kindermund; bis das strenge Ge
ficht wieder der Glanz überflog wie
immer, wenn er an seinen viel älteren
Bruder dachte.
Der alte Herr von Ninghart hatte
zwei Frauen gehabt. Eine lebhafte,
dunkle Halbfranzösin, als er in den
Neichslandcn gestanden hatte. Das war
die Mutter des Albrecht gewesen.
Lange nach deren Tode heiratete er
dann seine Hausdame, ein Fräulein, das
den Schwcsternbcruf gewählt, aber zart,
wie sie gewesen, nicht lange hatte aus
üben können. Diese stille und ernsthafte
Dame war meines Dietrichs Mutter gc
Wesen. Erst viel später habe ich mir
das so zurechtgedacht, daß er Wohl vom
Vater die Eisenköpfigkeit in Standes
und Ehrenfachen geerbt haben möge,
von dcr Mutter aber die grenzenlose Ge
nügsamkeit."
Hauptmann von Findeling drückte auf
die Glocke, und die Ordonnanz brachte
frisches Bier. Der Hauptinann sah an
feiner geraden Nase entlang, ganz In
schwere Erinnerungen vertieft.
Dcr Albrecht." fuhr er fort, acht
Jahre älter als mein Dietrich, war
schon längst Leutnant und stand bei den
Sechsundzwanzigern in Magdeburg, als
wir unser Bündel für Lichterfclde
schnürten.
Mein Freund hatte ein ganzes Schub,
fach mit Photogrammen von dem bild
schönen jungen Offizier, der so 'ne Mi
fchung schien von Grieche und Pariser.
Vom Deutschen hatte dieser junge
Mensch rein gar nichts in seinem Ezte
ricur. Gott man bildet sich ja nach
kläglich manches ein; aber so erklärt sich
mir. daß für den Albreckt von Ringhark
unsre festen Staudesanschauungcn bloße
Vorurteile bedeuteten.
Die beiden Ringharts standen zuein
ander im umgekehrten Verhältnisse wie
sonst Brüder. Der Aeltcre hatte in sei
nen seltenen Briefen einen freundschast
lichnachlässigen Ton.
Sorgen machte sich auch immer nur
der Jüngere um den andern, und jeder
dieser vergnügten und selbstgefälligen
Briefe entlockte dem Dietrich schwere
Seufzer. Denn natürlich mit den paar
Kröten von Zinsen, wenn auch noch dii
Königszulage dazukam, war so ein
Hopvhcr nicht zu bestreiken. .
Tann tröstete er sich Wohl, da wären
Uebergänge. Denn der Albrecht war so
ganz, fo von innen heraus, musikalisch.
Wer solchen Schatz besaß, so genial und
rassig Musik machen konnte, mußte sich
schließlich doch mit dem Leben zurech!
finden können. Ach jawohl!
In Lichterfelde, in dem großen Ka
sten. durch den wir ja alle durch müssen,
ging eS Dietrich nicht vergnüglicher als
vorher. Wenn wir andern Sonntags
nach Berlin schwirrten, wohin ia fast
alle Verbindungen hatten, dann blieb
der Dietrich allein oder mit ein paar
Leidensgefährten auf Stube. Das focht
ihn weiter, nicht an. Er blickte uncnt
wegt auf eine Zukunft, die ja doch Er
füllungen bringen mußte. Er arbeitete
rastlos, zuletzt, als wir in der Selekta
saßen, fieberhaft. Er war noch schma
ler geworden, und der blühende Mund
im strengen Gesicht preßte sich herbe zu
sammen.
.Du machst dich krank, Dieter." sagte
ich, ob du nu 'n halb Jahr eher Ge
neralstabschef wirst "
Wenn ich nicht unausgesetzt arbeite,
werde ich verrückt," sagte er und sah
mich mit hoffnungslos traurigen Augen
an.
'Wir hielten sehr viel voneinander. Es
muß so 'n Märchen geben: Die Prin
zcssin oder ist's ein Gänsemädchen
hat keine Gottesseele, ihr Leid zu
klagen. Da erzählt ste's in den tiesen
Brunnen hinein, daß sie es doch irgend
wie los wird. Und . so ein stummer
Brunnen war ich für meinen HerzenS
freund.
Dabei lasen sich die Briefe vom Al
brecht unterhaltlich genug. Der lebte
seinen lustigen Tag, schrieb von vielerlei
Festen? um Pfingsten von einer Tour
nach Baden-Baden. Dort hatte er ic!j
mal wieder photographieren lassen, in
Zivil, zur Seite einer sehr schönen jun
gen Dame.
Zeige das Bildchen nicht 'rum, Die
terchen," schrieb er, denn dieser reizende
Vogel ist nichts für einen Königlich
Preußischen Leutnant. Ich studiere ihr
auch nur ihre Liedchen ein, denn sie ist
vom Brettl. Sie sagt, ich solle auch
den großen Sprung tun da hinüber.
Das Zeug hätte ich schon. Noch liegt's
mir wie ein Graben dazwischen und ko
stet doch nur einen Entschluß. Oft denie
Ich dran wenn ich hundsmiioe aas mei
ner Bude sitze und mein Plack steht
stramm: Befehl, Herr Leitnam, Abend
brot fartig."
Die Flasche Bier warm, d.'s Eckchen
Butter weich so sitzt der glänzend
Schmetterling at liomo hol's dieser
und jener.
Beim Herrn Oberst, vor zwei Tagen,
singt man Schumanns Grenadier'
und Schuberts Allmacht". Danach,
daß doch die hübschen Mädel auch was
haben, Hugo Wolfs Zigeunermusilan
ten", zuletzt Tosiis ..Vorri m,.r!r"
da schmelzen sie hin; und spielt den
Raüenwalzer aus der Dingsda-Operette.
Da prickelt's ihnen in den Füßchen.
Alle hab' ich sie am Bändel, naiurlich
in ollen Ehren. Ueber den Orden im
Tamenwalzer geht ti iicht liiuaüs.
Cola va iliie. Aber ich weiß,
manche träumt sich was. Was hilft'
Heiraten will ich nur, wenn mich die
groß; Passion pack!, w.'nn's in zwei
Hein zum Sprenien Hämmer:. Tu,
mein Brüderchen, bis! ein Ehurakier
Hast auch die E,lige davon. Ich bin ni.r
ein Mensch mit allen Sehnsüchten n.ch
Schönheit und Genusz."
Novelle von
Else 8ranken.
Ich hatte den Brief mehrmals gele
fen. Helfen kannst du ihm nicht," sagte
ich kleinlaut, und gleich danach schämte
ich mich meiner Banalität. Aber w.is
sollte man sagen!
Bald darauf, es war im Speisesaal,
blieb der Offizier du jour bei seinem
Wandelgange zwischen den dichten Rei
hen der Speisenden an unserm Tische
stehen, wo wir beide als die Tischälte
sten saßen, und sagte zu Dietrich: Sa.
gen Sie mal, Kadett von Ninghart,
woS hat denn Ihr Herr Bruder vor,
daß er seinen Abschied genommen hat;
er gilt doch als ein sehr befähigte: Offi.
zur?"
Dietrich stand auf und hielt sich am
Tischrande fest: Befehl. Herr Haupt
mann ein Studium schlvebt ihm
vor. Mehr weiß ich nicht zu sagen."
Unser Hanptmann Schlözer sah be
troffen, daß Kadett von Ringhart weih
war wie die Wand. Da schritt er lang
sam weiter, fühlte wohl selbst, daß. seine
Frage an dieser Stelle ein bißchen lap
perig gewesen war.
Nächsten Sonntag morgen machte
Dietrich sich Patent: Ich fahre auch mal
nach Berlin," sagte er; aber nach fröh
licher Erwartung sah er nicht aus. Ich
wußte, daß er dort feinen Bruder tref
fen wollte. Der Albrecht hatte geschrie,
ben: Was würdest du sagen, wenn '.Jj
zur Bühne ginge?"
Gegen die Oper hätte er weiter nichts,
sagte mein Freund, obschon ihm per
fönlich der Gedanke peinlich sei. Denn
sein Vater ach, Herrgott, der Bater
sein Vater! Aber wenn Albrecht
nun doch mal und jetzt in der
Zwangslage
Er hatte sich in letzter Zeit ange
wöhnt, Satze unvollendet zu lassen, wohl
weil er immer versunken im Chaos sei
ner trüben Gedanken war.
Im Bahnabteil waren wir. weiß Gott,
eine fröhliche Gesellschaft. Da freute
sich jeder auf das Haus, in das er ein
geladen war, auf das gute, reichliche
Familienessen, daS weibliche Element,
von dem man im Kadettenhause nicht
viel zu sehen kriegt. Dann ging man
nachmittags zu Josty. Kranzler oder ins
Böhmische Brauhaus, mit Onkeln oder
Vettern, wie es eben traf. RiSkiert's
auch mal allein; steht stramm, wenn
Offiziere am Tischchen vorbeigehen;
lügt sich 'raus, wenn ein rigoroser einen
stellt. Humane Offiziere sagen gleich
von selber: Sie erwarten wohl den
Herrn Onkel?" Zu Befehl." sagt
man, und der Jnquirent beruhigt sich.
Ist auch mal Lichterfelder Selektaner
gewesen.
Abends auf der Rückfahrt wird er
zählt. Renommiernaturen haben da
immer die tollsten Chosen erlebt. Die
ganz Geriebenen schweigen, lächeln viel
sagend, streicheln ihr keimendes Bärichen
oder den Fleck, auf dem es später mal
sprossen wird.
Kannst du mich in Berlin irgendwie
gebrauchen?" fragte ich zaghaft.
Ringhgrt schüttelte nur den Kopf.
Wenn aber doch, Dieter," sage ich
zu ihm, ich bin bis nach drei bei mei
nem Onkel Brederlow, du weißt ja.
So lange dauert der FamilienschmauS.
Da triffst du mich."
Wir saßen noch beim Mehlpudding
mit roter Sauce, da wurde ich 'raus
gerufen, ein Kamerad wolle mich spre
chen.
Natürlich war eS der Dieter Ring
hart.
Herrschaften, habt ihr mal einen völ
lig verstörten Menschen gesehen? Förm
lich graue Flecke hatte er um Schläfen
und Augen, so wie die bigotten spani
schen Maler ihre Heiligen und Märtyrer
malen. Er hatte sich in einen Leder
sesscl fallen lassen; wir waren in Onkels
Arbcitsstube.
Ich lief und holte ein Glas Surius
vom Tische; aber er kriegte sich schon
wieder zusammen und schob den Wein
beiseite.
Es ist richtig," sagte er heiser, Al
brecht hat den Abschied genommen."
Lieber Himmel," meinte ich und hielt
seine eiskalten Hände in meinen warmen,
so schlimm ist das doch nicht. Jeder
paßt mal nicht in den bunten Rock."
Zur Bühne will er gehen."
Na also," sag' ich. wenn er doch die
Prachtstimmc hat und den Gustus da
für! Und so 'ne große Bühnenlaufbahn
höre mal, wenn er nachher zu den
Großen gehört, die tauschen mit keinem
Bataillons oder Regimentskomman
dein!" Er unterbrach mich brüsk: Möchtest
du einen Bruder auf dem Brettl haben?"
Na, fc! fo gut," sage ich ganz benom
mcn, auss Brettl springt doch wohl kein
Albrecht von Ninghart! Ist doch ein je
der Mensch in eine bestimmte Sphäre hi
neinqeboren. 'rauf kann r aber 'run
ter "
Die zwingt ihn," damit zieht dcr
Junge mit flatternden Fingern ein Bild
chen aus der Tasck)e. Dadrauf sah ich
dieselbe impertinent schöne Person wie
auf dem Photogrannn aus Baden-Baden.
Und sparsam war die Dame nicht niit
ihren Reizen! 'ner Schwester oder Mut
ter hätte ich das Bild nicht zeigen mögen,
auch wenn es mich persönlich gar nichiö
angegangen wäre.
Gott," sag' ich, wir im Korps sehen
ja nicht viel von dcr Welt. Es wird wohl
mancher junge und honorige Mensch so
ein Liebchen zweiter oder dritter Güte ge
habt haben und ist hernach noch ein gan
zer Mann geworden. So schlimm,' wie
du dir's denkst "
Er will sie heiraten. Meines Vaters
Sohn will die Vlada-Ponerska heiraten."
Da war nun der Name gefallen. Von
der sprach alle Welt, und ihr Bild
prangte an den Litfaßsäulen.. Pikant
sollte sie schon sein und Vorurteile
sollte sie nicht kennen. Wißt l)x, junge
Herren, was ich so die Bremsvorrichtung
einer gewissen ästhetischen Moral nennen
möchte, dllZ fehlte dcr völlig. Tas ist
auch ein ganz bestimmter Typ: fortreißen
um jeden Preis, auch wenn die großen
Mittel fehlen Genie und Ausbildung.
So eine wird dann zuchtlos.
Komm mit zu ihr," sagte er, geh'
ich allein, dann erwürge ich da Weib,
daS meinen Bruder zugrunde richtet."
WaS willst du denn bei der?" fragte
ich ganz durchschüttelt.
Ihn losbetteln."
Ganz klein saß er da, in sich zusam
mengekrochen; und dann stand er schwer
fällig auf, als ob ihm alle Knochen im
Leibe entzwei wären.
Meine Verwandten wohnten In der
Hohenzollernstraße und die Vlada-Po
narska in einem Lindenhotel.
Wir fuhren unter den Bäumen hin.,
durch die lebendige, bunte Conntagswclt.
Das ist alles wie auf meiner Netzhaut
unverwischbar zurückgeblieben: alle die
Scharen von Menschen, die ihrem bißchen
FeicrtagsvkrgnUgcn nachjagen; alle die
verliebten Pärchen und die spießigen Ehe
lcute mit ihrem Kindersegen. Equipagen
und Radler slogen vorbei, und rechter
Hand lagen hinter ihren feierlich gepflcg
ten Vorgärten die vornehmen Tiergarten
Villen, heute doppelt reserviert denn
der Sonntag ist ja nicht dcr Tag der
feinen Leute.
Und wir zwei sorgcnbeladen, Ich aus
Hcrzcnsfreundschaft mit. Achtzehn Jahre
waren wir.
Im Lift fuhren wir hierauf in den
zweiten Stock und standen einen Augen
blick auf dem roten Läufer bor einer
weißlackierten Flügeltür. Singen hörten
wir und Klavicrspiel. Das Stubenmäd
chen stand auch vor der Tür und sagte,
jetzt dürfte sie die Herrschaften nicht stö
ren; den Abend sei Vorstellung ob
gnä' Frau vorher noch Besuch annähme
Mein Dieter schob die kleine Person
beiseite. Er hatte seinen Löwentahcnblick.
. Danach standen wir in einem Vorzim
mcrchen und konnten durch einen Spalt
zwiselzcn den Portieren den Nebcnraum
übersehen.
Drin trällerte eine behende, bestrickend
reizende Stimme ein französisches Gas
senhauerchen. Ich war zu aufgeregt, um
genauer zu hören, aber so viel weiß ich
noch heut, daß ein Junger gehätschelt und
ein Alter verhöhnt wurde. Denn es gibt
nichts Engeres und Einseitigeres als der
art K.unst, die frech und zugleich scnti
mental ist. Ja, lieber Richter und lieber
Ohlenhusen, wenn Sie auch den Kopf
schütteln. Kriegt nur erst das Tonsür
chen. auS dem langsam aber sicher ein
Vollmond wird," und Hauptniann von
Findeling strich sich von hinten her über
seinen Schädel.
Dazu trällerte und kicherte ein ganz
raffiniertes Spiel auf dem Flügel. Das
stand himmelhoch über dcr ärmlichen No
tierung solcher Couplctkunst. Das stieg
und fiel kaskadenglcich, sprühte und
perlte, lachte und schluchzte und nahm
Stimme und Temperament der Sängerin
auf seinen Flügeln mit.
Kein Wunder, daß die Diva sich dieses
Menschen bemächtigt hatte, dessen sinn
lich-frivolcs Zigeunergenie zum Sprung
brett ihrer kleinen Scharmierungskünste
wurde.
Dann ging das Trällern der Sängerin
in übermütiges Lachen über. Seide ra
schelte, und die spielenden Hände wurden
offenbar von den Tasten fortgezerrt, denn
es gab nur noch ein paar tappige Disso
nanzen. Die Dame mochte wohl zärtlich
werden wollen.
Dazu kam es nicht. Dietrich Ninghart
hatte den Türvorhang beiseitcgcrissen,
und da sprangen die drin aus; der Al
brecht so ungestüm, daß der Stuhl hinter
ihm auf den Boden polterte.
Haben Sie mal versucht, meine Her
ren, einem Gespräch oder einem verwik
kelten Vorgang nachzuspüren, wie man
gerade auf diesen oder jenen Punkt ge
langt sei? Dazu gehört ein besonderer
Ariadnefaden. So geht es mir mit je
nem Sonntagnachmittag in dem banalen
Hotelzimmer Unter den Linden.
Ich weiß nur noch, da stand eine strah
lend reizende Blondine, schlank und fein
gliedrig. Ich sehe sogar noch ihr Kleid
vor mir, von so 'nem chartreusegrllnen,
schillcrigen Seidenstoff, und die Rosen im
Gürtel, große offene Rosen, krankhaft
blaurot, fo wie Zentifolien nach unbarm
herzigen Regengüssen werden.
Dann sagt diese Dame, sehr scharmant
und ein bißchen von oben herab: Tiens,
Albrecht, dieser rasende Roland ist doch
wohl mein kleiner liebenswürdiger
Schwager Dietrich?"
Wenn ich doch wüßte, was du noch
willst," rief der Bruder und stampfte mit
dem Fuße auf. wo wir uns immer auf
demselben Flecke drehen! Kommst du,
um eine Dame zu beleidigen?".
In dem dunkeln Gesichte des älteren
Ringhart loderten die Augen, und mein
Dietrich wurde klein; die Frage des Bru
dcrs hatte seinen ritterlichen Sinn ge
.weckt. Ich will diese Dame gewiß nicht be
leidigen," sagte er endlich rauh, ich will
sie nur anflehen, meines Vaters Sohn
freizugeben. Die Ehrbegriffe eines gan
zen Geschlechts von Männern protestieren
gcgen diesen Bund."
Will er denn frei fein?"
. Schlank und scharf wie ein Gertenhieb
fiel die Frage. Die Vlada-Ponarsla
stand aiisgercckt, die dünn verschleierten
Arme fest über der Brust verschränkt. Die
Augen hatte sie zu einem Spalt gcschlos
sen. Aucki in ihr loderte sichtbar ein
Stolz: Sie junger Mensch und wir!
Denn Albrcckt gehört nicht mehr in Ihre
Welt!"
Weil Sie ihn verderben," brach Die!
rich aus, weil Sie ihn lehren, zu be
spötteln, was uns heilig sein muß "
Zu spät, mein junger Herr Sie
kommen zu spät," rief die Dame klin
end. Der arge Bund ist schon geschlos
fen, daran ist nickt zu rütteln. Die al
ten Herren von Ninghart aber können
unbekümmert in ibren Särgen weiter
schlasen. Kein Albrecht von Ninghart
wird heute abend aus dem Podium
stehen, nur ein obskurer Albrecht von Po
narsü."
Ich sah, wie mein Dietrich auf einen
Stuhl fiel, wie seine Augen hilflos zum
Bruder irrten. Wie der düster, mit rot
Lbcrflammtem Gesicht, zu Boden starrte.
Wie er sich endlich in einen Trotz hinein
rettete und rief: Aas willst du denn
von mir, du Grüner du Unreifer
mit deinem Popan, von Ehre! Willst
du mich gängeln willst du mein Hü
ter, mein Richter sein!"
.Ja," sagte Dietrich endlich und stand
mühselig aus, Ich will dein Richter sein,
an VaterS Stelle will ich dejn Richter
sein."
Ich weih nicht, wie wir hinuntcrgekom
men sind.
Auf der Straße ging Dietrich erhöbe
nen Hauptes. Ich sah, daß er zitterte
und im Fieber glühte. Er hatte auch
sicher den ganzen Tag nichts über die
Lippen gebracht. Ich sah ihn immer von
dcr Seite an; so stolz, schön und ernst
steht er für Immer vor mir. Nie sah
ich wieder ein so bedeutendes Jüngling!
Haupt.
Dann standen wir In dem kleinen
Thcaterchen. irgendwo In dcr Nähe der
Linden. Dcr ganze Jnnenraum wirkte
wie eine große, rostg schimmernde Wu
schel. Weitgeschwungene Ränge waren in
viele kleine Logen eingeteilt. Unten im
Parterre standen gedeckte Tischchen.
Es brannten einstweilen nur ein paar
Lampen an der Rampe und im Orchester,
Auf der Bühne probte sich gerade ein
Ventriloquist die Akustik deS Raumes
aus. Er brauchte Ruhe und zankte da
rum mit einem jungen Menschen in sil
bergrauem Trikot, der an einem langen
Tische auf und ab lief und mit belederten
Hämmerchen überaus virtuos das Hack
brett bearbeitete.
DieS war die nunmehrige Arbeitsstätte
des Albrecht von Ponarski".
Ich sah wieder nach meinem Freunde:
Dieter, du fieberst stark, komm mit zu
Brederlows. Tante Luise ist die gebo
rene Pflegerin, .die hilft dir gleich."
Er wandte sich scharf zu mir um:
Nein, danke," sagte er, unsre Wege
trennen sich hier. Ich danke dir für deine
gute Freundschaft, Findeling, du bist mir
viel gewesen."
Um Gottes willen." rief ich, w!
hast du denn vor, Dieter "
Nichts Besonderes, aber ich muß nun
mal erst mit mir selber ins reine kom
men."
Ich verlasse dich nicht sagte ich, aber
doch ziemlich unschlüssig. Ich wußte doch
nicht recht, ob ich mich so einfach an ihn
hängcn sollte.
Er stampfte mit dem Fuße: .Du
quälst mich."
Wirst du auch 'ganz sicher am Zuge
sein?" drängte ich.
Aber ja doch!" Er wendete mir den
Rücken.
Auf dem Bahnhofe war er nicht. Wie
immer ging es lebhaft genug zu in un
serm Abteil. Nur ich saß schwermütig
in meiner Ecke. Offizier konnte er auch
nicht werden, wenn sein Bruder auf dem .
Brettl abenteuerte. Er wäre ja vogelftci
gewesen, und jeder Hitzkopf hätte ihm an
feine Ehre greisen können. Es sind nun
mal zwei Sphären, die keine Berührung
vertragen.
Am andern Tage standen die Offiziere
und Lehrer der Anstalt flüsternd in
Gruppen zusammen. Uns wurde kurz
mitgeteilt, Selektaner von Ringhart sei
in Berlin erkrankt und liege im Garni
sonlazarett. Am Abend las ich in der
Zeitung: Im Muschclkabarett hatte oben,
vom zweiten Range aus, -ein blutjunger
Mensch den Partner der Vlada-Ponarska
erschossen. Ein Meisterschuß, mitten ins
Herz. Er hatte getobt und im Fieber
geglüht, als man ihn packte. Ein Irr
sinniger offenbar oder ein in Eifersucht
Rasender.
Das nächste Absätzchcn berichtete von
einem Brande im Scheunenviertcl," so
schloß der Hauptmann feine Erzählung.
Und der junge Dietrich?" fragte
Wagner li.
Der ist nicht wieder zum Bewußtsein
gekommen. Im höchsten Fieber hat er
gegen einen Feind gerungen, hat viel
phantasiert, flink und stoßweise. Das
Wort Ehre" kam immer wieder. Er
hatte kein Bewußtsein seiner Tat ich
helf' dir. Bruder " das waren seine
letzten Worte."
Der Oberstabsarzt war der erste, der
das Schweigen brach: Da müht man
sich oft mit zähestcr Energie, einem
Greise sein ausgelebtes Leben noch um
Stunden zu verlängern und bei der
Jugend stehen Menschenleben oft so nied
rig im Preise. Und ist ja doch dcr Güter
höchstes, das kurze, kurze Leben. Ein
Glück für Ihres Freundes Andenken.
Hauptmann, dies Gchirnfieber sonst
wär die Tat einfach Mord."
Möglich," sagte Hauptmann von Fin
deling und erhob sich, um heimzugehen,
wir aber haben ihn betrauert, ehrlich
und tief, wie er's mit seinen achtzehn
Jahren verdiente."
Rssenschwtndel.
Für den Roscnduft schwärmen die
meisten Menschen, Rosenöl bildet eines
dcr Zostliarsten Parfüms. Hin und wie
der begegnet man jedoch Leuten, denen
dieser Wohlgeruch durchaus nicht ange
nehm ist. Die Abneigung ist mitunter
in einer besonderen Empfindlichkeit der
Geruchsnerven begründet, und dieser
kann so stark entwickelt fein, daß die be
treffenden Personen vom Rosengeruch
krank werden. Am Ausgang des Mittel
altcrs muß diese Nervcnverstimmung
häufiger gewesen fein als heute, denn für
Unpäßlichkeiten, die auf dieser Grund
läge entstanden, hatten die damaligen
Aerzte sogar besondere Namen geprägt;
sie sprachen vorn Nosenschwindel und
vom Rosenschnupfcn. Die erstere Art
des Leidens war häufiger und äußerte
sich in Kopsschmerzen und Schwindelan
fällen. Der Rosenschnupfcn dagegen be
gann mit starkem Niesen und Äugen
tränen, dem sich ein regelrechter Katarrh
anschloß. Man berichtete von Kranken,
die von dem Leiden geplagt wurden, so
lange die Rosen blühten.
Gewiß handelte eS sich dabei um eine
dem Heufieber ahnliche Erkrankung.
Man hat behauptet, daß auch verschieden:
Tiere an Nosenschwindel leiden. Es gibt
Hunde, denen der Rosenduft höchst unan
genehm ist. Dem Rindvieh soll er auch
nicht behagen. Daß dcr Skarabäus und
andere Mistlüfer durch Roscndust ge
tötet werden, ist Wohl eine Fabel; so
viel akr steht sest, daß dieser Wohle
ruch für sie nichts Anziehendes hat, ihnen
vielmehr äußerst zuwider ist.
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