Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, July 20, 1917, Image 2

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    Ife fcpci Die W nilJTsrijc Ifciife?
Von "einem ehemaligen Generalstabssffizlee.
Tie russische Offensive eine Ucbcrraschuug dcS FeldzugeS 1917. Momente, welche den Zusammen
halt des HecreS bewirkten. Cinfluß des Kriegsministers Kerensky uud deö Obcrkommandantcn -Bnissilow.
Beleuchtung der Gründe für die jetzige Offensive. Waren mehr politischer als mili
tarischcr Natur. Erwägungen für die Wahl der Angriffsfront. Resultat der Offensive mehr auf
moralischem als militärischem Gel'ict.
Unzciftlhaft bildet d!e fefet in gro
ßem Maßstabe im , Gange befindliche
offensive Betätigung dcr Russen an der
g, ttizifchcn Front eine mehr oder minder
bedeutend: Ucberraschung in dcr Weiter
entwicklung des sich nun schon dem vier
ten Jahre nähernden KriegSdramas in
Europa. Noch bor einigen Wochen war
die Ansicht, selbst unter sachverständigen
Beobachtern, ziemlich allgemein verbrei
H daß in diesem Iahn mit der russi
schen Hecresmacht als einflußreichem
militärischen Faktor nicht mehr gerechnet
werden tönne. Viele, ja die Mehrzahl
derselben, erhoben die These, dafz die
Revolution Unbedingt einen zersetzenden
Einfluß auf den Zusammenhang und
die Schlagfertigkcii der russischen Streit
(raste ausüben würde, beinahe zur un
umstößZich feststehenden Tatsache. Man
sah bereits das langsame aber unauf
Kaltsame Abbröckeln der Wehrkraft
Rußlands, das völlige Einschlafen jeder
kriegerischen Aktivität auf dem östlichen
Kriegsschauplätze und ein endgültiges
Ausscheiden der jüngsten Republik auS
den Reihen der 'Kämpfenden. So grofj
auch dieser Irrtum, wie , sich jetzt her
a,!si'tellt. war. ist er jedoch ziemlich leicht
erklärNch. Die pessimistischen Kommen
tare der alliierten Presse über die un
sichere Position, dcr provisorischen Re
gierunz und den Parteienhadcr in Pe
trograd, ferner die Meldungen per das
bäufige Fraternisieren dcr beiderseitigen
Truppen an der Kampffront ließen di
rett keine anderen Schluß zu. als daß
da innen Gefüge der Armee zweifellos
gelitten haben mußte. Diese Annahme
gewann noch durch die Erwägung, daß
das russische Scer aus ungleichartigen
h, 'tcrogencn Völkcrelemcnten zusammen
gesetzt ist. bedeutend an Stärke. Außen-
Ziehenden mag auch die offenkundige
Zerfahrenheit der innerpolitischen Lage,
die Beteiligung der Soldaten an der
Entscheidung politischer Fragen und der
häufige KommanZowechsel als ii.ntriig
lichkZ Anzeicben des Zersetzungsprozesses
erschienen sein. Hinsichtlich des Stern
des der Schlagfcrtigkeit der russischen
Truppen berechtigte vie in oen eriKii
N''vo?uiionS-Mon'ateu eingetretene, bei
nahe völlige Stockung des Transport
wefenS ebenfalls zu keinen besonderen
Erwartungen hinsichtlich eines baldigen
aktiv Auftretens des angeblich auch
ni.:..r:-1r.i.:i kk!.
durch usirett'noe isjip!iliiv,L Uj,
zierten? Heeres.
Es ist aber anders gekommen. Und
es flies; Vogelstrauß-Politik betreiben.
wollte man die Tatsache, verkleinern, daß
die russische Armee hcutzulage noch
einen, wenn auch nicht in ezkichem Maße
wie früher, recht formidablen Gegner
der Zentralmächte vorstellt. Die Hoss
nung, daß ein Separatfrieden zustande
kommen und die Zentralmächte noch in
diesem Jahre ihre an dcr Ostfront ge
bundenen Streitkräfte zu Bekämpfung
ihrer westlichen Gegner verwenden tön
n'en würden, muh scheinbar endgültig
zu Grabe geiragen werden. Von einer
Entblößung der Ostfront kann keine
Rede mehr sein, die Zentralmächte miif
fen sich vielmehr mit dem Gedanken der
traut machen, an ihrer jetzigen Haltung
der strategischen Defensive an allen
Fronten für längere Zeit noch ftstzu
halten,-
Untersucht man die Gründe für die
seg ziemlich unerwarteten Beweis der
ungebrochenen militärischen Kraft Ruß
lands, so kann man deren mehrere so
woh! in historischer als politischer Hin
ficht' schon jetzt herauskrystallisieren.
Wie schon im Frühjahre wiederholt her
roigehoben. weist die russische Revolu
tion viele verwandte Züge mit der fran
zösischen am Ende des 1. Jahrhunderts
aus. So auch, wie sich jetzt gezeigt hat,
hinsichtlich der militärischen Leistung!
fähigkeit des Heeres. Die Sanskulotten
der ersten französischen Republik waren
ebenbürtige, wenn nicht sogar überlegene
X Gegner der stehenden Heere der Monar
Sien, der damaligen Zeit pnd, hielten
trotz mangelnder Ausrüstung Und Cr
ganisatwn dem Ansturm ihrer zahlrei,
chen Feinde nicht nur wacker stand, son
drrn gingen selbst zum Angriff über.
In der Weltgeschichte kann überhaupt
kein Präzedenzfall gefunden werden, daß
eine Armee während einer Revolution
einem äußeren Feind gegenüber ent
schiede versagt hätte, wenn ein solcher
Krieg dolZstümlich war. Und dafz der
jltz'ge Weltkrieg mit vielleicht nur we
nig Ausnahmen sich zu einem Ringen
der Nationen ausgestaltet hat und nicht
nur lediglich ein Kampf herrschender
5'cwaZteis vorstellt unterliegt heute wohl
keine Zweifel mehr,' Der ruffischen
Kirnt ist tan den jetzigen Machthabern
in Petrograd und von ausländischen
Einflüssen in geschickte? Weise das
C ::'-Tfrt suggeriert Word', daß der
KsNpf flegen die Zenttalmackte zur
D?rteid'aung der neugeborenen Freiheit
cei ruffischen Volkes notwendig sei und
kr Jzubertlanz des Wortes scheint den
kickitiam Ltkerd in der russischen Sol
ssteiifo'e angeschlagen, damit dem Zu
lammcnhalt der Wehrmacht den erfor
a'iNianl Litt aeaeben und dem
m Unskwisse tavvenden Betätiauna
:rs?ge"k!kd eine bestimmend Tire!
Ken gewusk zu haben.
Ein weiterer Grund, daß sich die Htz
Mf d,s unvermeidliche Ausammen
de Wehrkraft RunZandk it
r.""-:rfsii,t bat. mag vielleicht - so
rr'wrtfa bkl uZz klingt gerade
iVw rf.tSrenficit der innerdoWsche
!-L-n werden kennen. Tk
neugewonnene Freiheit und dcr beinahe
mühelose Sturz des verhaßten Zaren
Regimentes berauschte die Gemüter,
fand aber die große Masse des Voltes
und der Armee unvorbereitet, in ziel
bewußter Weise an den Ausbau eines
neuen Staates hcranzutreten. Daß sich
infolgedessen die weitgehendsten Mei
nungsvcrschiedcnhciten bezüglich der Ge
staltung der Zukunft ergaben, war selbst
verständlich, umsomehr, als die neuen
Männer in Petrograd in den ersten Zei
ten der Revolution den auf das immense
Territorium Rußlands verteilten Böl
kerschaften im Allgemeinen noch ziemlich
unbekannte Größen waren. Interessen
Gegensätze zwischen den drei großen
Ständen den Intellektuellen, den Ar
bcitern (Soldaten) und den Bauern
führten, wie bekannt, zu einem Chaos
und es machte sich, nachdem der erste
Freudentaumel vorüber, das Bedllrnis
nach einer energischen populären Per
sönlichkeit geltend, welche mit kräftiger
Hand in das politische Wirrwarr ein
zugreife imstande war. In dem
Kriegsminister Kerensky scheint nun
Rußland der Mann erstanden zu sein,
welcher zu dieser Rolle berufen ist. Da
die Stimmungen im Lotte sich, wie
selbstverständlich, in der Armee wieder
spiegelten, war sein erstes Bestreben,
wie das alle großen Führer in der Ge
schichte getan haben, sich derselben' zu
versichern. Seine Agitationsleisen an
den Kampsfronten sind, wie jetzt erficht
lich. von Erfolg begleitet gewesen und
feine Mahnung zur Einigkeit gegen den
äußeren Feind offenbar auf fruchtbaren
Boden gefallen. Als geschickter Schach
zug behufs Wiederherstellung der
Schlagfertigkeit des Heeres kann auch
die Talfache angesehen werden, daß Ge
neral Brussiloff, dcr einzige soweit er
folgreiche und daher unter den Soldaten
populäre militärische Führer, von der
provisorischen Regierung als Oberkom
mandierender in den Vordergrund gc
schoben wurde. Diesen beiden Männern
ii't es, wie die Ereignisse dcr letzten zwei
Wochen gelehrt haben, gelungen, den
weitaus größten Teil des Heeres für sich
zu gewinnen und denselben zu einer
umfangreichen Offensive zu befähigen.
Kerensky begnügt sich während der ge
genwärtigcn Operationen augenschcin
lich mit der Rolle des Agitators und
enthält sich jeder Einmischung in die
Anlage und Durchführung der neuesten
russischen Offensive. Für Vermehrung
nncr Popularität hat er icdoch durch
die moderNkwestlichen Anschauungen ver
wunderlich erscheinende, aber aus die
empfängliche russische Volksseele zuge
ckmittene theatralische Inszenierung des
Offensiv-Unternehmens Indem er in
den vordersten Graben persönlich den
Befehl zum Angriff gab gebührend'
gesorgt. Ob aber die Harmonie des
Zweigespannes Kerensky Brussiloff
auch in Zukunft bestehen bleiben wird,
sei dahingestellt. Gelingt es Brussiloff.
im Lause des Sommers einen dem
Jahre 1316 ähnlichen Erfolg zu erzie
len, fo scheint die Voraussetzung nahe
liegend, daß er nicht geneigt sein dürfte,
den Löwenanteil des Ruhmes dem ju
.endlichen Kriegsminister zu überlassen.
sondern darnach tracbten wird, aus die
Armee gestützt, die führende Stellung in
Rußland an sich zu reißen. Ueber das
politische Glaubensbekenntnis des jctzi
gen russischen Oberkommandierenden
liegt noch keine authentische Nachricht
vor und dcr Umstand, daß er aus der
Schule des Zaren-Regime s heröorgc
gangen ist, laßt seine Umwandlung zum
waschechten Republikaner noch etwas
problematisch erscheinen. Andererseits
wird man Kerensky kaum zumuten tan
ncn, etwaige Napoleons-Abnchtcn des
eventuell sicgreichen .Generals gegenüber
widerstandslos das Feld zu räumen.
In der Möglichkeit eines militärischen
Erfolges liegt daher anscheinend der
Keim eines gefährlichen Konfliktes zmi
fchen den beiden, jetzt Hervonagenden
Persönlichkeite Rußlands. : Schlägt
hingegen die russische Offensive in Ga
lizien unter großen Verlusten fehl, oder
hat, unter großen Verlusten fehl, oder
ergibt sie kciu nennenswertes Resultat,
fo mag der leitende Geist der provisori
fchen Regierung zwar Brussiloff als
Sündenbock hinstellen und abfetzen las
fen, der Geist der Armee aber dürste
unter dem neuen Schlage abermals lei
den und die Rolle Kerensky's als Be.
fllrworter der Fortsetzung deS Krieges
beim Volke ausgespielt sein. Auch die
Idee der Verteidigung der russischen
Freiheit durch eine Angrisfs-Kampagne
dürfte durch ein Mißlinge deS Unter
nehmen! wen: Anklang bel den jetzt
einigen Parteien mehr finden und vor
aussichtlich wesentlich modifiziert wer
den.
Offensive durch politische Gründe
veranlaßt.
Mit der Feststellung der Tatsache.
daß die Heere Rußlands wieder als ge
wichtiger Faktor in den Weltkrieg ein
gegritien haben, tauchen zunächst mcy
rere Fragen auf, welche sowohl die poli
tische als militärische Tendenz des neue
sie 'Offensiv-Unternehmens tangieren.
Dieselben lassen sich zusammenfassend.
die solgi, formulieren:
a) Zu welchem Zweck traust die Of
fensioe unternommen
b) Waren hierfür politische oder le
diglich militärische Gründe maßgebend?
r) Wurde sie im Einklänge mit dem
t'.:i'.n KsnixasnePla in Entente
eingeleitet oder stellt sie eine isolierte
Aktion vor?
d) WaS bestimmte die Wahl dej Zeit
Punktes und welches militärische Ziel
wird mit dem Angriff angestrebt?
Eine vollständige Beantwortung oller
dieser Fragen ist naturgemäß erst mög
lich, wenn diese jüngste russische Kam
Panne einen deutlich tonstaticrbarcn
Abschluß gesunden hat. Vorläufig soll
hier nur auf gewisse Umstände, teils
politischer, teils militärischer Natur,
hingewiesen werden, welche Fingerzeige
für das Wesen der Gesamt-Aktion ent
halten.
Nachdem Kriegsminister Kerensky,
wie aus neueren Nachrichten erhellt,
schon bor mehreren Wochen den alliierten
und der Washingtoner Regierung mit-
geteilt hatte, daß Ansangs Juli eine
Angrisss-Aktion Rußlands zu erwarten
fei. wäre eigentlich die Voraussetzung
berechtigt, daß die Gegner dcr Zentral
machte die Gelegenheit benutzt oaben
würden, einen gleichzeitigen Angriff an
allen Fronten zu'machen und derart im
Sinn des ursprunglichen FcldzugS
Planes für 1.917 zu handeln. Dies ge
schah icdoch nicht und das russische Un
ternehmen trägt daher vorläufig dcn
Eharakter einer isolierten Operation.
Man darf seiner dem Fldhcrrn-Talent
eines Brussiloff nicht den irrigen Kalkül
zumuten, daß er imstande zu sein
glaubt, nach den Erfahrungen der letz
ten drei Kriegsjahre allein mit der ruf
sischen Armee die Front der mitteleuro
paischen Verbündeten zu durchbrechen,
während letztere nicht wesentlich auf den
anderen Kriegsschauplätzen engagiert
sind. Umsomehr als er über die Kräfte
Gruppierung des Gegners wahrscheinlich
soweit orientiert war, daß trotz der an
scheinenden Gefahrlosigkeit keine um
fangreichen Verschiebungen deutscher
Ctreitkräste von Osten nach Westen
platzgegrjsfcn hatten. Als einzig an
nehmbarcr militärischer Zweck der rs
sischen Offensive kommen vernunftgemäß
daher mir Schwächung der feindlichen
-treiikrafte an dcr Ostfront und die
Entlastung der britisch-französisch-ita
lienischcn Fronten in Hinblick aus eine
geplante zukünftige Aggression aus hen
selben im Rahmen des großen Entente
Kampagne-Plancs in Betracht. Es ist
aber fraglich, ob obige Zwecke überhaupt
eine Lssenstv-'ktion ui dem großen
Stile wie sie die Russen einleiteten,
rechtfertigen würden. Denn es liegt aus
der Hand, daß die russische Heeres!
tung viel größere Erfolge zu erzielen
vermöchte, wenn sie ihren Angriff zu
einem spatere Zeitpunkte gleichzeitig
mit den übrigen Entente-Miigliedern
ansetzen würde. Alle bigeik Ermägun
gen zusammengefaßt lassen daher die
Vermutung logisch erscheinen, daß mit
der Ansehung des russischen Unterneh
menZ mehr gewichtige politische als mi
mansche Zwecke verbunden waren.
Eine nüchterne Beurteilung der mo
mentancn politischen Entwicklungen in
Rußland bietet genügend Tatsachen zur
Begründung dieser Behauptung:
Tie durch die Bemühungen Kerensky's
und der alliierten Emissäre bewirkte vor
läufige Beseitigung der prinzipiellen
Partei-Differenzen bedürfte einer be
deutungsvolleren Tokumcntirrung als
lediglich schöner Reden und Proklama
tionen, allein schon um die Stellung der
provisorischen Regierung zu festigen.
Ein bedeutender militärischer Erfolg
war zu allen Zeiten das wirksamste
Mitte! zu letztgenanntem Zwecke, umso
mehr als durch kriegerische Betätigung
die Aufmerksamkeit des Volle! von der
inneren Lage abgelenkt wird. ' Kamps
gegen einen äußeren Feind stellt am ehe
sten Einigkeit im Innern her. Im spe
ziellen Falle Rußland's bildeten die sich
mehrende Separations-Tendenzen dcr
beherrschten Fremdvolker, hauptsachlich
der Ukrainer, Finne und Kaukasier,
eine ernste Gefahr für den Fortbestand
des großrussischen Reiches. Schließlich
wird durch eine Engagierunq der eig?
nen Streitkrafte mit dem Feinde ein
Einflußnahme des militärischen Elemen
tcs auf die Entwicklungen im Inner
fo gut wie ausgeschaltet und damit bil
det sich der provisorischen Regierung eine
weitere Gelegenheit, ihre politischen
Gegner tn den Hintergrund zu drangen
Wahl der Angriffsfront.
Auch die Wahl des anzugreifenden
Frontabschnittes scheint mehr von poli
tischen als militärischen Gründen diktiert
worden zu sein. Zwar muß diesbezüg
lich zugestanden weiden, daß wahrschnn
lich die Argumente General Brussiloff'?
ebenfalls ausschlaggebend mitgewirkt
haben. Wahrend des oesammten rieas
Verlaufes hat der Genannte, soweit be
kannt, nur aus dem südlichen Flügel der
russischen Heere tn Verwendung gestan
den. Seine Vorliebe für und seine prak
tischen Erfahrungen aus diesem Teile
der Front möge daher vielleicht eine
Faktor vorstellen. Naheliegend scheinen
zedoch folgende politische Erwägungen
der Kampf findet beinahe ausschließlich
aus gegnerischem Territorium statt, der
Eindruck'der Verluste unv Schaden au
das Volk ist daher nicht unmittelbar,
wie anderswo; mit einer Eroberung
ganz Ost-Galizieni wäre die Vereini
gung dcr Ukraine unter russischer Herr
fchast bewirkt; eine Besetzung Lemdergs
wäre unter den kgenwartigen um tan
den einer der bedeutendsten, wen nicht
der bedeutendste politische Erfolg im
, iste Europa,
Militärische Gründe für die Wahl de,
Abschnittes östlich und südöstlich von
Lemberg zur Angrifssfront können nur
wenig inS Treffen geführt werden. Avsr
ist die Terrain-Konfiguration dort der
Entwicklung großer Massen günstiger
als beispielsweise i den Karpathen.
Diese Rücksicht sviclt aber im modernen
Grabenkriege und der Durchbruchs
chlacht mit ihren Tiefstassclungen keine
olche Rolle mehr wie früher. Anderer
scits sind von einem eventuell gelingen
dcn Durchbruch in Ost-Äalizicn feine so
weittragenden strategischen Jolgewirkun
gen zu erwarten, wie in Wolhynien, den
Karpathen oder in Rumänien; ferner
sieben den Streitkiastcn dcr Zentral
mächte In Galizien vielleicht da im
Osten dichteste Vrrbindungsnetz zur
Heranführung von Reserven unv m&
terial zur Verfügung, so daß notwen
digerweise eine Reaktion derselben aus
inen russischen Angriff dort viel ra,cycr
zu erwarten ncyi, ais noüvY.
schließlich gestaltet sich die allgemeine
'tratecnsche Situation der russischen Ar
meen, je weiter letztere gegen Westen in
Galizien vorkommen, infolge der Kar
pathkn-Flankicrung wieder bedrohlicher.
Beurteilt man den Verlauf der
nun zwei Wochen andauernden Offen
swe in Ost-Galizien vom rein miMäri
chen cianopunile, so saui vic
nimität der von Brussiloss angemanb
ten Angrisss-Taktik mit jener in dcr
zweiten Phase des russischen Sommer
cldzuaes 1916 sofort ins Auge, nach
dem damals der auf der ganzen Front
zwischen den Pripet-Sümpscn und Kar
pathen gleichzeitig angesetzte strategische
Angriff zeitweilig ins Stockn geraten
war. versuchte er es mit der Verlegung
des Druckes abwechselnd an einzelne
Teile der Kampffront und erzielte da
mit bekanntermaßcn auch recht nennens
werte Erfolge in dcr Bukowina und
Wolbynien. Diese seine Taktik ist. wie
die Ereignisse des Frühjahrs bewiesen
baben. von den Entcntc-JUHrcrn an dcr
Wesisront nachgeahmt worden, ohne ic
doch ähnlich? Resultate zu zc,li?en.
Nichtsdestoweniger hat der ruNische
Obcrkommandant bei seiner gegcnwär
tiaen ONensire wieder aus das Versah
ren der Truckverlcgung zurückgegriffen.
Als Unterschiede gegenüber dem Vok
iadre wären nur die bedeutend geringere
Breitenausdehnung der gewählten An
grisss-Obiektk, ferner Tas bezüglich o
dengewinnes ebenfalls kleinere foweitige
Resultat des ganzen Unternehmens her
vorzuhcben. EZ ist jedoch nicht ausgc-
schloffen, sondern eher sehr wabrschnn
lich. daß sich die Osscnsiv . Betätigung
dcr russischen Truppen im Verlause des
Sommers nicht nur aus das galizüche
Kriegstheatcr beschrankn, sondern ve.
stimmt auch auf die Karpathen und den
rumänischen Schauplatz und meglichcr
weise auf Wolhynicn ausdehnen wird.
Schon der wiederholte Bericht über die
durchgeführte Reorganisation der rumä
Nischen Armee laßt eine baldige Akuvi,
tät in jener Richtung vorausahnen.
Daß die bisherigen Ereignisse der ruf
sischen Angrissslampagne Im Verhältnis
zu früheren Operationen geringer sind,
mag mit dem Umstände erklärt werden,
daß das strategische Ucvcrraschungemo
ment diesmal beinahe ganzuch wegsicl
und die Tesensiv-Linien der zentraleuro
paischen Verbündeten aus Grund der
Erfahrungen der Vorjahre noch um ein
Erhebliches stärker ausgebaut sind. Tie
Frage, warum es den Rusien unter die
fen Umständen geZungen ist, überhaupt
Gelände Gewinne von 35 Meilen
Tiefe mit ihren Allgriffen zu erzielen,
kann mit dem Hinweis, daß im modcr
nen Grabenkriege die vordersten Sie,
lungen infolae der ungeheuer verstärkten
gegnerischen Artillcrie-Aorbereitung ein
fach nicht zu halten sind, ftrner dag vie
russischen Kommandanten unverriickt an
dem bekannten Verfahren der rücksichts
losen Aufopferung von Menschenmassen
zur Erreichung des angestrebten Ziele!
festhalten, leicht beantwortet werden.
Offenbar macht sich dabei auch die Tat
fache geltend, daß die russischen Streit
fräste, wie auch von dem amerikanischen
General Scott l.Iont wurde, diesmal in
technischer Hinsicht besser ausgerüstet
sind, als früher.
Brussiloff's Entschluß, die Breiten
ausdehr.ung dcr Angriffäobjektk geringer
zu wählen, dcr Abschnitt zwischen
Brzezany und der Eisenbahn Tarnopol
Lemberg ist nur 20 Meilen breit, jener
zwischen dem Tniestcr und dem Ober
lauf der Byftrytza Svlotwina auch nicht
diel großer, mag aus den Umschwung
der Ansichten moderner Strategen be
züqlich der Möglichkeit der Durch;
brechung starker Vcrteidigungsfronten
zurückzuführen sein. Die jetzigen Ope
rationen stehen ossenkundig unter dem
Zeichen zwar ausgedehnter, ihrem We
fen nach aber nur als lokal zu dezeich
nendcr Turchbruchsversuche, welche für
leichter ausführbar gehalten werden und
eher den Charakter einer Ausreißung als
einer Turchstoßunq der gegnerischen
Front annehmen. Die Ereignisse beim
Torse Komuchy. wo die Runen ansang
lich eine nur wenige Kilometer breite
Bresche in die verbündete Front schiu,
gen und hierauf diese Bresche zu erwei
tern versuchten, scheint ein Beweis für
obige Annahme zu fein. Auch die ste
tig zunehmende Tiefen-Staffelung der
Angrinstruppe, welche das konstante
Vorsenden sukzessiver Angriffswellen
auf verhältnismäßig beschränktem
Raume nach sich zieht, spricht für das
Austreten der neuartigen Bresche,
lcgungs-Theorie.
Wie bekannt, haben die Russen die
erste Woche zu dem Anstürme zwischen
Brzezany und der obenaenannten Eisen
bahn, die zweite zum ossenswen Auftre,
ten im Raume zwischen Tniester und
den Karpathen verwandt, roße nxa
tegische. Ziele konnten diese Teilangriffe
allein ihrem Wesen und ihrer Ansehung
nach nicht haben, da jedem Einsichtigen
klar ist. das, eine Erreichung Lembcrg's,
deS angeblich großen Objektes des an
ze Unternehmens nicht durch eine iso
licrte Aktion zu bewerkstelligen ist. so
lange die andere Frontteue der Ver
viindeten zwischen dem Polesie und den
Karpathen erschüttert geblieben sind.
Zit bisherigen Unternehmungen , der
Lindrücke eines Feniralen aus Denijchall!).
Von Theodor Lehman, Diplom-Ingenieur.
Berlin. Mitte Mai.
Der Reiseverkehr von der Schweiz
ins Ausland dürfte in den letzten Mo
iialen wohl aus ein Minimum zurück
gcgangen sein. Der Dampfer, dcr uns
Ende Januar von Rorschach nach in
bau führte, beförderte sechs Passagiere,
ein Dampscr, der auf ebensoviel Hun
dert berechnet ist. Man hätte un samt
dem Reisegepäck auch hinübcrgondcln
können. Allerdings die llcberschrei
tung dcr Grenze wird einem nicht leicht
gemacht. Hat man doch mit Einlieft
rung von fünf Photographien samt
Leumundszeugnis ein halbes Nutzen
Amtsstellcn zu passieren, wobei der
Zweck der Reise, dcr nur ein rein gc
schästlich.'r oder amtlicher sein darf, dem
deutschen Konsul absolut einwandfrei
erscheinen muß. Ferner darf man mit
Ausnahme von Geld und dcn Ausweis
papieren knncilei Schriftstücke und Bü.
cher persönlich mitnehmen, damit keine
Möglichkeit besteht, die Zensur zu um
gehen.
Wenige Schritte von dcr Hasenmauer
in Lindau entfernt ist ein kleiner Holz
bau errichtet worden für die Revision
der Reifenden. Nach der Gepäckvisita
t,on, die in den meisten Fallen rascy
erledigt ist. wird man in "einen winzig
kleinen Raum geführt, in dem man sich
kaum rühren kann und der ring! von
dunklen Vorhängen begrenzt ist. Von
einem der Beamten wird man nun
examiniert, von zwei ander beobachtet.
Dabei wird manche unerwartete Frage
gestellt, die sich gar nicht auf dcn Zwcck
der Reise bezieht. Hat man keinen
Grund, über irgend etwas zu schweigen,
so gibt man gleichwohl fließend Aus
kunft. Wer einen Moment stockt, um sich
auf eine passende ausweichende Antwort
zu besinnen, oder wer gar dabei die
Farbe wechselt, ist verdächtig und wird
einer noch minuziöseren Prüfung unter
worfcn. So gibt S hm und wieder
Leute, die sich ausziehen, und andere,
die sogar ein Bad nehmen müssen, um
etwaige, mit chemischer Lösung aus die
Haut geschriebene Schristzeiche aulzu
decken. Wer aber unverdächtig aussieht
und vbn? Zogern aus Verlangen auch
seine Taschen leert, wird hcslich und
zuvorkommend behandelt und nicht ein
mal abgetastet.
Tritt man endlich nach Erledigung
aller Formalitäten ins Freie, so ist der
erste Eindruck, den man in Deutschland
gewinnt, nicht gerade ein bielversprc
chender. Man sieht dann nämlich direkt
vor d:m unvollendet gebliebenen neuen
Lahnhof. Zwar im Rohbau ist er fertig
Russen stellen vielmehr Teiloperationen
im Nahmen des Gciammiplanes vor,
welche anscheinend lediglich die Ein
drückung der gegnerischen Linien an
verschiedenen Teilen der galizischen
Front bezwecken. In den letzten Tagen,
nachdem der Angriff bei Brzezany miß
lungen ist, iid dcr Welt von London
aus die Behauptung oktroyiert, daß die
Einkreisung des Tnikster-BrückenlopfcS
Halicz. als wichtigsten Schlllssclpunkics
zu Lcmverg. nie Vauxiaviieyr mr neue
den russischen Unternekmuna sei. Tat
sächlich hat Halicz, auf Grund einer Be
urteilung des strategischen Verlaufes der
verbündeten ront in !taiizicn yeui
zutage keine größere Bedeutung als ir
aend ein nnderer Ucberaanasvunkt über
den Tniestcr. Ncbslbei ist es noch sehr
fraglich, ob eine glaniicrung der narten
deuisch-LstkireichischkN Narajowka-Linie
durch einen Ucbergang russischer Streit
kräfte bei Halicz angesichts der Terrain
Konfiguration am nördlichen iDmeuer
User besondere Erfolgs-Chanzen aufzu
weisen hat.
Auf dem südlichen Tniester-User, im
Raume westlich und nordwestlich von
Stanislau ist eS den Russen in der letz
ten Woche elunacn. eine arößeren lo
kalk Eisolg als nördlich von Brzezany
zu erringen, und näher an die Lomnica
Linie beranzurllckkn. Der Abschnitt
zwischen Tniestcr und Karpathen hat
stets o!S ein wunder Punkt m ver e
kammtkront oeaolten. da die Verbin
dunaskerbältnisse mit demselben wegen
dcr oroken natürlichen Flankenhinder
Nisse deS Tmesters unv der arpaiaen
nie' besonders glänzende waren. Es ist
daher erklärlich, daß es dem mit bedcu
tend überlegenen Massen auftretenden
russischen Angreifer jedesmal gelungen
ist, in jenem Raume im ersten Anstürme
die verhältnismäßig größten Fortschritte
zu machen, da die Heranbringung ersor
derlich starker Sieserve unv uniernug
ungsgruppen durch den obenerwähnten
Umstand verzögert wurde. Dafür ist
aber vom strategischen Gesichtspunkte je
der russische Erfolg im bezeichneten Ge
bietsstreifen von beinahe gar keiner er
lieblichen Bedeutung, da sich einer ru,
sischen Offensive kein große! strategisches
Objekt bietet, und ein zu weitgehende
Vordringe ohne gleichzeitige Koopera
tion am nördlichen User de Tniester
und ohne vorhergegangene Besitznahme
und ehne vorhergegangene Bksgnalmk
der KarpathenÜebergänge die Vor
marsch-Gruppe bald in eine sehr schwie
rige Situation bringen würde.
AIS Ganze betrachtet liegt da so
weitige Resultat der momentanen russi
schen Offensiv.Vkiion mehr aus mvrali
fchem als aus militärischem Gebiet. Die
große Lage auf dem östlichen Kriegs
schauplatze ist durch sie vorläufig nicht
im Geringsten geändert worden und ftra
tkgifche Fernwirkunge auf die Ereig
Nisse an d'en westliche Fronten hat sie
ebenfalls nicht gezeitigt. Die letzthin ge
meldete ,erhhte Artillerie Aktivität der
Russen an der Karpathensront gestattet
zwar die Voraussetzung, daß sie wahr
scheinlich eine Ausdehnung ihrer Beiäli
gung in jener Richtung planen, ei ist
ober kaum anzunehmen, das, dieselbe auf
den Ausgang der Ereignisse in Galizien
tksondk.it tinslußübend wirken dürsik.
gestellt, aber in den öden Fensterhöhlen
wohnt das Grauen Im Bahnhos ist
wenig Verkehr Lindau scheint eben
momentan eine verlorene Ecke zu fein
im Deutschen Reich.
Im Zuge nach München Wird'S aber
bald lebendig. Feldgrau herrscht vor.
Meist Urlauber, die sich Zivilisten gegen
über mit einer gewissen Reserve bench
men. Sicht man doch in allen Bahn
Höfen Anschlage: .Soldaten, schweigt
über militärische Angelegenheiten! Spio
nengcsahr!' Immerhin über einen
Punkt, dcr jetzt im Vordergrund dcS
Interesses sieht, erfährt man doch man
mei: über die Ernährung der Armee.
Das gute Aussehen der Leute gibt in
den meisten Fällen schon die Antwort
aus diese Frage. Blasse und kranke Ge
sichtcr sind allerdings auch darunter
wie könnte es auch ondcrS sein! Sehr
gut gclebt zu haben scheinen die Glück
lichen, die vom Vormarsch durch Ru
mänien kamen. In manchen kleinen
rumänischen Törscrn sei es der Bevölke
rung nicht klar gewesen, ob sie die ein
ziebendcn Deutschen ick . nie gesehenen
Uniformen als Freund oder Feind be
trachten sollen; jedenfalls hätten die
Leute von den früliir durchgereisten
Rußki" nicht viel Gutes erzählt.
Sehr reichliche Verpflegung muß auch
die Armee in Polen genießen; eine
Dame wußt, von regelmäßigen Fleisch
fendungen zu berichten, die sie von
ihrem dort im Felde stehenden Vater
erhielt. (Daß fosche Sendungen von der
Front nach Haufe eher Regel als Aus
nähme bilden, wurde mir später noch
oft bestätigt. Einen guten Freund an
der Front zu haben, bedeutet jetzt bei
nahe so diel wie ein guter Freund auf
dem Lande.) Im Waggon-Rcstau
rant wurde für 2 Mk. 50 ein zwar
fleischloses Mittagessen allsgetragen, das
ober wenig zu wünschen übrig licß, mit
Kaiserschmarren als. Nachtisch, bci denen
weder das Fett noch die Eier gespart
worden waren.
München. In dctr Korridoren der
Hotels und Theater fallen vor allem
rote Plakate auf mit der hinweisenden
Aufschrift: .Zu den Kellern". Im ersten
Moment ist einem der Sinn nicht klar,
denn wer wollte sich bei der Fülle der
Kriegsereignisse gerade daran erinnern,
daß im September ein französischer
Flieger die Stadt heimgesucht hatte.
Von einer Lebensmittelknappheit spür!
man in Bayern wenig; bis in die jüngste
Zeit ist von hier auS noch eine Menge
von .markensreicn" Lcbensmittcln nach
dem nördlichen Deutschland fortgc
hamstert worden. Im übrigen empfin
det man die Rationierung durch die
Karten schon nach ein paar Tagen als
etwas Selbstverständliche. Da heißt es
einfach: Haben S' Fleischmarkerln und
Brotmarkcrln? Auch dcr Biergenuß ist
limitiert, wenn auch noch nicht mit Kar
ten. Die Kellnerinnen im HosbräuhauS
laufen aber auch entsprechend niederge
schlagen herum, denn sie finde es doch
zu unerhört, einem Gast zum Mittag
essen nur noch einen halben Liter, zum
Abendessen nur noch anderthalb Liter
Vier vorsetzen zu dürfen, ein solch'
lächerliche Klcinkinderquantum!
Sehr ausfallend ist die Tendenz, mit
Fremdwörtern und allem dem abzufah
ren, waZ an das feindliche Ausland er
innert. DaS Hotel, in dem ich abgcstic
gen, hat den allerdings wenig zeit
gemäßen Titel Russischer Hof' abge
legt und nennt sich Eden". Direktor ist
ein blutjunger Schweizer, den die
Kriegsverhältnisse unerwartet rasch von
untergeordneter Stellung zu diesem lei
tenden Posten habe avancieren lassen.
Statt Auto fährt man Cd. h. den
Wenigen, denen daS noch gestattet ist)
.Kraftdroschke", und sitzt im Theater
in einer Laube" oder .Saalplatz".
Außer dem geheiligten unantastbaren
.Ponr le mörite" findet man nur noch
ein Fremdwort erhalten, da? sich dazu
noch besonderer Beliebtheit erfreut: daS
PralinS". DaS ist nämlich die einzige
Form, in der im freien Handel hin und
wieder noch ein Mundvoll Schokolade
erhältlich ist. Sehr wohltuend be
rührt e, daß im Deutsche Museum die
französischen und englischen Verhak
tungsvorschristen und Weisungen nicht
entfernt worden sind: denn e läßt doch
daraus schließen, daß man nach Jahr
und Tag die jetzigen. Feinde doch auch
wieder als Freunde und Gaste empsan
gen will.
Besonderen Interesses erfreuen sich
jetzt auch die Kriegsausstellungen, die
sich in allen größeren Städten Teutsch
landS aufgetan haben. Tiefe Ausfiel
lungen muten einem eigenartig an
diese verrostete, verstaubte Kriegsbeute
von alle möglichen Fronte macht den
Eindruck. akS stamme sie au einer um
Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurück
lugenden Zeit her. Man hat beinahe
Mühe, zu denken, daß man sich in einem
Gegenwartsmufeum befindet. Einzig
die von Kugeln und Granatsplittern
durchlöcherten Automobile und Flug
zeuge drücken diesen Schaustellungen
da Siegel der Gegenwart auf. Gra,
rmtsplitter kann man für wenige Psen
riige erstehen und bekommt dazu eine
amtliche Beglaubigung Übn die .Echt
beit". Diese Granatsplitter durften die
Briefbeschwerer der nächsten Jahrzehnte
werden.
Leipzig. Von dieser Stadt wird
man gleich mit kiner europäischen
Sehenswürdigkeit empfangen: ES ist
der neue Heuptbahnhaf, der mit feinen
26 nebeneinander liegenden Perron
unter fechl mächtigen Hallen punkto
Umfang und Uebersichilichkeit zugleich
in unserm Erdteil unerreicht vgsteyi.
Ei KoLege, dessen Sympathie ich
gleich gewonnen hatte durch ein halbe
Pfund der .mitgenommenen Echokolade.
verschaffte mir schon am ersten Son,
tag meine Hiersein die Möglichkeit,
tg Gefangenenlager, betreten zu könne
Die Russen und die Franzosen zu
fammen mit den Engländern sind in
getrennten Holzgebäuden untergebracht,
deren innere Einrichtung an die Aus
wandererräum von große Dampfer
erinnert, immerhin mit dem Unterschied,
daß sie viel besser gelüstet werde tön
nen und ordentlicher aussehen als ei
Zwischendeck. Bei den Gefangenen, die
besonders bei den Russen die vcrschie
dcnartigsten Typen ausweisen, macht sich
zwar eine gewisse apathische Stimmung
geltend, unglücklich sehen sie aber keines
wcgs aus, und sie beklagen sich auch nicht.
Die Engländer, Aristokraten wie sie sind,
scheinen sich von einem Verkehr mit den
Bundesgenossen möglichst fernzuhalten.
Hingegen freute cS sie sichtlich, so uner
wartet von einem Neutralen in ihrer
Sprache angeredet zu werden. Nach
vollendetem Nundgang ließ ich mir in
der Küche daS Gefangcnen-Mittagcssen
reichen, eine ausgezeichnete Suppe, be
tehcnd auS Gerste, Kartosfeln, Kohl
rüben und feingehacktem Fleisch.
Wenn neutrale Delegierte hochossiziell
Gesanaenenlaacr besuchen, so ma die
Möglichkeit naheliegen, daß vom Kam
Mandanten aus dafür gesorgt wird, dag
da Alltagskleid des Lagers da und dort
ein wenig zurecht gezupft wird. Daher
haben manche Kreise gegen solche osfi
zidle Berichterstattungen ein gewisse
Mißtrauen. Hier in diesem Falle war
das ausgeschlossen, denn der Leiter dk
LagcrS hat mich für einen Deutschen ge
halten, der zufällig hierhergekommen
war; erst beim Abschied habe ich ihn
über meine Nationalität aufgeklärt.
Vom 5. bi; 10. Mär, hat in Leipzig
die Frühlings-Engros-Messe stattgefun
dcn. Wer eine solche Messe nicht selbst
gesehen hat, wird sich kaum einen richti
gen Begriff davon machen, namentlich
dann nicht, wenn er dabei an unsere hei
matlichcn .Markte" denkt. Dieser Markt
spielt sich ab in ettva zlvanzig Mcnpa
kästen, meist modernen Eiscnbetonbauten,
bci deren innerer Ausstattung unter an
denn geschmackvoll abgetönter Marmor
eine bei oiwcnderifche Verwendung ge
funden und deren Komfort demjenigen
erstllassigek Hotels entspricht. Dabei
dienen diese Paläste nur im Frühling
und Herbst je eine Woche ihrem Zweck
fünfzig Wochen im Jahre stehen sie
leer. Das gibt schon einen Begnsf von
dem Umsatz, der in diesen zweimal scchS
Tagen errcimt werden muß, denn trotz
dieser kurzen Mictdauer erzielen die Be
sttzcr dieser Millionenbauten eine glaii
zende Verzinsung.
Schlangelte man sich in jenen Tage
in dicscn lichtvollen und wohlig durch
wärmten Prach.raumen durch all d:t
Musterkollektionen, durch das Gedränge
der Käufer und Fabrikanten, so mußte
man sich unwillkürlich sagen: dieses
Teutschland, das nun schon mehr als
22 Jahre lang den enormen feindlichen
Druck an allen fronten aushakt, das
von aller Rohstoff und Lcbensmiltelzu
fuhr abgeschnitten ist und gleichwohl im
Innern diese industrielle Arbeit leistet,
dieses Teutschland kann überhaupt nicht
besiegbar sein. Auch scheint die Kaus
kraft des deutschem Volkes ungebrochen;
schon am dritten Tage der Messe begeg
nete man da und dort einer Aufschrist:'
.Neue Kunden können nicht mehr angc
nommen werden" oder .Jahresprodu!
tion 1917 ausverkaust."
Stark vertreten waren vor allem die,
Porzellan und Glasindustrie, Korbslech
teiei, Lenchikörpcr, Spielwaren, Schmu.k
u.s.w. Tann die Ersatzstoffe: Autorei
fen aus Leder oder federndem Stahlge
bilde, Tranömissionsriemen aus einem
Gewebe von Hanf, Netze und Tasche
aus Papiersasergewcbe usw. Und all
diese Ersatzstoffe erfüllen ihre Aufgabe
kxou ?j uzqiscu UZzizainF 'quZöguzS
mit geeigneten Chemikalien imprägniert,
mit irgend einem .Tauerfol" bestriehen.
Tann die Nahrungsmittclmesse. Man
staunt, was da alles auf den Markt
kommt: Buttcrol" und Zoniz", ein
Menge von .Sülzen", .Käscgcschmack"
und .Hcr'ulcskrast", .Kasfcersatz" und
.Kasfeersatz-Ersatz", wobei die erste
Potenz" Malzkafsce bedeutet. .Herkules,
krast" ist eine wohlschmeckende Brühe,
auf der die Fettäuglein ganz lustig he
rumtanzcn, ivorauf der Fabrikant mit
besonderem Stolz aufmerksam macht.
Deutschland hätte in diesen drei Kriegs
jähren mehr gelernt al vorher in eben
foviklen Jahrhunderten, behauptete dieser
bewegliche Berliner Fabrikant.
Im übrigen war es eine gewaltige or
ganisatoiische Leistung für Leipzig, zu
dieser Zeit die 28.000 Meßbefucher eine
Woche lang mikzuernahren. und zwar
nicht zu knapp, sondern reichlich. E!
waren sogar markenfreie Brötchen er
hältlich während jener Woche.
Recht ansprechend fand ich die Act
und Weise, wie jetzt die Familienfeste
gefeiert werden: mit einem ruhigen
Ernst, gepaart mit fröhlicher Zuversicht,
mit einem gewissen Aufwand, der doch
ohne üppicj zu werden. Tie Hochzeitsge
fellschaft einer Kriegstrauung. zu der ich
als einziger Neutraler geladen war. trug
schon äußerlich da Gepräge deS Kriege
durch die Anwesenheit inizer Offiziere
mit dem Eisernen Kreuz und einer
Krankenschwester. Auch der Bräutigam
selbst erschien feldgrau. Der Geistliche
redete herzergreifend von der Großen
schweren Zeit" mit all ihre Verlusten
(ein Bruder, dcS Bräutigams war vor
kurzem gefallen) und do den Pflichte
der Ucberlebenden. Dem erste Teil
der Feier folgte der fröhliche, bei dem
die nimmer zurückzukämmende Lebens
freude der Jugend auch zu ihrem Rechte
kam. .Gehungert" wurde dabei auch
nicht; der Inhaber dc Hotels Häufst
hatte da Kunststück fertiggebracht, uiii
Leckerbissen auS der Schweiz, aus Däne
mark, Holland, Normegen nd sogar auf
Rußland auf die Tafel zu zaubern, eil
Vorläufer ine solide deutschen Gänse
braten.