Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, November 18, 1916, Image 2

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    TöMe Okhe Tribsne
B e r l i n, im ScpicmKr.
Hcut ist dir Tag der Lust. Wir fitzen
ki:n Morgentrunf, bet unnatürlicher
weife noch immer Kasse heißt, obgleich,
et nur eine illegitime Verbindung
friegäfteiet Bitterstoffe der deutschen
Pflanzenwelt ist und ungefähr so nach
Kasfee schmeckt, wie der neu erfundene
norwegische Kaviar aus Dorfchrogac
nach ttikm Beluza oder Malvssolkavmr
nuS Ctör.
Es gibt ja auch eine mlirkifche
Schweif ohne Berge, Einige Meilen
östlich von Berlin unterbricht ein lau!
, wllld.niine Naturfpiel heiter den dunk
lcn Ernst der brandenburgischcn Ebene
mit ihren sandnichen 0treidefelvern
und rndantfiolischcn Kiefern. Ein in
dorgeschichtlichcr Zeit ausgetrocknetes
Alußlal senkt sich mit lcichicr Boden
eniing in dir Tiefe; seine hügeligen
Anschwellungen aus der Talsohle gucken
mit ibrcn fröhlich bewaldeten Buckeln
n',t über den alten Uferrand bis zur
E&ci'.e hinauf. Ihr Leben blüht in der
Tiefe, wo es um jene .Berghäupter' be
reiis dunkelt, wenn auf der höheren
Ebene ringsum noch die Abendsonne
sanft verglimmt. Trotzdem tragen diese
Hligelche der Tiefe halb ironisch gar
herrliche und berühmte Beignamen, z. B.
Monte raprino. Silberhorn us!r. Auf
dem Ausfichtsturm des Monte caprino
wird sogar Alpenglühen durch rote Yen
sternloser zur vollsten Befriedigung sei
ncr Besteiget geliefert. Weshalb soll also
in jetziger Blockadezeit unser Morgen
Mokka durchaus echt sein, wenn's mit
williger Illusion auch andere geht?
Also wir saßen beim bitteren Morgen
Kaffee mit geöffneter SacharinSebach
tcl. welche zur Zuckcrstrcckung fcifcjlst,
und löffelten an einer Warenhaus
. Wertheimschrn Orangen-Marmelade, de
ren ursprüngücher Wassergebält durch
energisches häusliches Nachbeben um ge
nan "50 Prozent herabgemindert werden
konnte, ohne daß mit dem bereits be
'zahlten Preise die gleiche Prozedur vor
zunehmen war. Ta empfing meine liebe
öausehre vom Hcusmart, der früher
Portier hieß, die neuen Brotmarken.
Und damit begann der Tag der Lust.
Für die vier Kopfe unseres Haushal
tes erhielten wir 4 Stück Karten, von
denen jede zum Einkauf von 1500
l5rmm Brot und 250 Gramm Mehl
für die nächste Woche berechtigte. 33er
a;if das Mehl verzichtete, erhält dafür
400 Gramm Brot mehr.
Seitdem der Magistrat von Berlin
den Bäckern unter Androhung von
Strafe sehr energisch ins Gewissen ge
redet hat, mit der Herstellung von Ge
back sorgfältig zu dttfahren, da die K!a-g.-n
der Verbraucher sich häuften, wird
der Ksrtoffelzusatz lieb?voller verarbei
kl: Man begegnet nicht mehr-groben
Stücken der schätzbaren Knollenfrucht im
Ur-.ustande innerhalb deS Kriegjbrotes,
sondern alles ist wohl zerrieben und der
tatet und paßt sich dem Roggen- und
Weizenmehl des gemischten Gebäckes an.
Auch der hohe Wasserzusatz, der das
Arot yemichtsschwerer und , Kitschiger,
d. h. schlechter verdaulich und unschmack
hast machte, ist verschwunden. Das r
gameßt der städtischen Machthaber, wer
nicht kiöentllch backt oder backen kann.
dem wird die kostbare Gottesgabe künf-
tra nicht mehr zur Verarbeitung anver
, traut, hat gewirkt. Das Brot ist wie
der besser und schmackhafter geworden,
und ewe Reche wissenschaftlicher Autori-
taten, die zur Untersuchung aufgefordert
wurden, hat sich über Nährgchalt und
Verdaulichkeit günstig geäußert. Preis
, per Kilo Krieasbrot 40 Pfg.
Mi! der Brotkarte ist das Kartoffel.
BezugZrccht verbunden. In der laufen'
den Woche sind für den Kopf 4V2 Kilo
iiariokfel ("zum Preise von 18 Pfq. per
Kilo) festgesetzt. Die Fleischtarte ist
auf 2X) Gramm per Kops für diese
Woche rationiert, das ist wieder k!0
Gramm mehr als vor Kurzem und elf
: zwei Brotkarten gibt es pek Woche jetzt
drei Eier, was zwar verwünscht wenig
ist. aber es sind städtische Eier für 22
Pfg. das Stück. Haben wir Glück, sind
HauZfrau und Köchin findigen Geistes
und willig etwa 40 Pfg. per Stück an-
zu!:gen, dann läßt sich wohl noch etwa
an au-wärtigen Eiern" irgendwo auf-
t: n.
I.v'nsall' ist die häusliche Sorge um
cit eine schwierigere; das rationierte
:t betragt wöchentlich zurzeit 60
,iamm Butter und 30 Gramm Marg
r v Crliweinefett und Speck sind an
- - ' nt Eriraerungen der eVrgangeir
d für den. der nicht im vorigen Jahre
bei eimie Sveckseiten hamsterte. Wer
un redlich als berliner Stadtkind
c f Oo!t und die vorgesetzte Stadtbe
! cit dertrsnte und nicht unter 3000
.! Jahreseinkommen belikt, der muß
? , ' r t er seine Fe'.lluft mit obigen
'" , befriedigt, wenn er keine
anrst s Beziehungen. aus dem ,!a
i Unv.H hat, die ihm Mit stillen Lie
' gelegekitlich das '...nziem
: n. tis izt jchi eine Kit, wo ca-j
i-- - Tiennpersonal, welches vom
('- f stimmt, und dort nahrhafte Fa,
pUC b zngkn hat. die sich 'ruktifi-
' t L" n, im Sau-Kalt des ivroh
"3, 1 Orders eeaijt wird. Denn
- ' - n Reicher und Speisekam
. "i h,:rn ickm noch msnnlgftchi
...jtt.
t
', 1,'-"'- Tfj ich cuis
r ? r r '!? Co.le pro
, h z.!g,b.ll'.:te Ration
i : ' k1, c:
i"' :-riirn s".i-"m.
, , . 7 ( -i x
V 5 'o,
Aerliner Slreijlichler.
von tZugs Herold.
Tie Ncichshauptstadt im dritten Jahr des Weltkriegs. Tie arge
um das tägliche Brot vnd andere Tclikatesscn. WaS man mit
gutem Humor lleS erträgt. Die schlanke Tamrn von Berlin W.
Zucker. 230 Gramm. Eier. V2 Gtul,
Konserven. Fische. Gemüse und.
sind fteihändig zu erwerben. Milch und
zwar Magermilch, erhalten wir täglich
pro Kops ouS der Mölleret y8 vit.
Der Versuch kondensierte dänische Sahne
zu kaufen, die hier mannigfach angebo
ten wird, scheiterte an der Jorduurg,
einen polizeilichen czugSMin veizu-
bringen, wonach ein höheres Uuanium
laut ärztlicher Beglaubigung aus c-
suiidlitögründe durchaus nötig fei.
Speiseöl ist im öffentlichen Berühr so
rar wie Goldgeld geworden und eine
Forderung des TagrS besteht darin, alle
ölbcdiirstige Salate trotzdem mcnicucn
würdig zu koniponicren.
Wir bcacbcn unS an den äöochcn!i!
Wurf des Küchenzettels unter Berückjich
tigiing der fleisch- und fettlosen Tage.
Letztere brauchen von der Behörde kaum
nocd beionders borge chr,cvcn in weroen.
da sie sich auS Rationierung von selbst
ergeben.
Tas Fleisch für die vier iict un,e-
rc, VaustMes, aijo zu,ammcn iwi
Gramm, wird auf zwei Tage verteilt.
Tonnerstag und Sonntag sind die dei
den Ilcischtage mit je MO Gramm, nie
mit Gcmuse zusammcngeiocht werden.
Aus Knochen. Suppengrün und Grics-
mehl wird daneben ein kräftig duftende
Süpplein hergerichtet, als Nach p:ise
gibt es eine Schüssel Heidelbeeren odr
sonstiges Obst frisch oder gcichinorr.
Montag und Mittwoch werden als reine
Gemüse- und Pilz-Tage in Aussicht
genommen; für Dienstag und Freitag
ist Fischessen angesetzt, mit einer Mais
oder Mchlsupde vorher und einem S
lat als Nachlisch. Der Sonnabend. cIs
der Vorabend der sonntäglichen Fleisch-
Sckwclacrci. ist dem freien (-piel rer
Phantasie preisgegeben für kübne Kam
dliiationcn mit Eicriuchei, ovne ier.
Nahmstrudcl ohne Rahm, Mandclkloß.'n.
wobei die Mandeln ourcq genaair
Kirsch- und Pflaumcnkerne ersetzt ,rr
den nebst Fruchtsäften und gkkochtem
Obst. Die Köchi ergeht sich in üppigen
Träumen von einer rbsen- oder oq
nenfuvbe. denn der Magistrat hat be
sannt gemacht, daß für jeden Haushalt
auf eine gesondert ausgegebene Lebens
mitteUarte eine bescheidene Menge Mais
oder Hasergrühe oder Erbsen oder Boh-
nen (soweit der Borrat reicht!) zum
Verkauf gestellt werden. Das Stuben
mädchen behauptet, sogar etwas von
Reis gehört zu haben. Ta wir ucht
in Hamburg leben, wo bei Kartoffel
Mangel gelegentlich noch Reis abgegeben
werden konnte, weil dort stattliche ne
mengen lagerten, so ward die Stuben
maid auf das härteste vermahnt, derar
tige falsche Vorspiegelungen zu unter
lassen, durch welche die häusliche Ge
mu'tsruhe außer Gleichgewicht käme.
Immerhin spielen wir a eonw ecr
besonderen Lebensmittelkarte noch mit
allerlei lüsternen Gedanken und erinnern
uns daran, daß einzelne der zu Groß
Berlin gchörigcn Vorstädte große Men
gen Gänse zur Mästung Zausten. Auch
Kaninchenzucht Wird im rohen ve
rrieben. Einer feiner Hausgenossen bat
sich sogar in der Badcstube eine Kanin
chenzucht angelegt und in der Nachbar
schaft sehe ich wie frühere kleine Rofen
gärten in Sonnenblumen - Plantagen
umgewandelt wurden, wegen der seit
haltigen Samenkerne.
.
Dies ist der Tag der Lust. Lieber
Besuch vom Lande hat eine Knackwurst
von Handlänge als Morgengabe mitge
bracht und erwartet dafür eine Einla-
düng ins Theater, weil rn den Kam-,
merfpielen jetzt ein gar zu schönes Stück
gegeben würde: .Der Floh im Panzer
haus". Ich erkläre mich zu einem Thea
terabend bereit gegen Nachlieferung von
einem Kilo frischer Landbutter, worauf
der Besuch etwas von Erpressung mur-
melt und auf das neugefchassene riezs
Wucheramt zu sprechen kommt, das der
preußische Minister des Innern aus
Zentralstelle zur Bekämpfung deS Wu
cher- und Kettenhandels mit weitgehend-
sten Vollmachten einrichtete. Wir eml
gen uns auf eine zweite Knackwurst und
ein viertel Kilo Butter unter Verglich
tung gegenseitiger Diskretion.
Auch die Waschfrau ist eingetreten.
es soll gewaschen werden und riesengrog
taucht die Seifenfrage auf.
Beim Selbftrasiercn habe ich schon
einiges von ihrem Druck gespürt. Ein
Stänglein Rasierfeife früher 60 Ptg.,
jetzt Mk. 2.50 habe ich noch vor Ein-
fübrung der Seifenkarte; sie wird gleich
einem Edelstein behütet. Handseife wird
durch Mitbenutzung von Karolin-Präpa
ratm gestreckt, doch gegen diese m e-
fenform gebrachten Tonerden wesre sich
die Bartstoppeln wie der Teufel g?s
das Kreuz. . Für das teiuck Kacn
Seifensurrogat, etwa 4 Zentimeter im
Quadrat und lj Zentimeter dick find
trn Kleinverkauf 3-j Psg. zu zahlen; dem
Fabrikanten kostet, wie au-gerechnet
wurde, ein Kilo Karlin etwa 7j
Pfennig.
Tu behordtichr Eeisenkarte beiechtigl
nur zum Bezuae von monatlich 50
Gramm Toilettenseife oder 100 Gramm
Sckmlerseife resp. Seifcnpulver. Als
Kunurmatzstad wie früher in der feei
fenver brauch also vorläufig in die Ecke
gsflelli uns ber gern an un enr mis
wüsche wird diesmal mit der Erdsvrte
esrgelismme wttdin ni Kiä för.it
MeiZzener : PsrzkLSN genannt werd,
Bleibt noch die dsn der LaiZsskäu ausge
wrrfene Frage nach . einem neuen
Scheuertuch ,,u erledigen. Es kostet einen
Gang zur Polizei, zur üom ms
TezugsfckieintS, denn Cchenerlappen sie
nSn m Kapitel der efpentea Tex
tilwsrcn u,,cine (Sirgabe csi tie Im
W
W
iralstelle für den B'ikchr und Bezug
dcrartigcr Gttvebe. Mit den erhaltenen
BcwiUigugkPiPicrcn kann dann der
Einkauf In Irgend einem Ladengeschäft
bclöirkl werden.
Inzwischen hat der Briefträger die
zweite Post gebracht. Tante Marie hat
geschrieben, wir sollen ihr blaues Sei
denkleid und den alten Abendmantel mit
Pelzbesatz eiligst nackischickcn. in dem
bökiuischcn Bzde. wo sie sich bcsindct.
würde es kühl. Das Eilxaket wird schleu
nlglt gemacht, denn Tante Marie ist Re
spcftbprrson In der Familie und ihr
Wunsch wirkt wie ein Befehl von Hin
dknburg. Tie Post weist das Paket zu
rück, denn nach der Jnba!tangabe alte
Klcidungsslückc' handelt es sich um
Webwarcn. deren Ausfuhr ohne amtli.
chen BcwilligiinzSschein verdrien ist.
Ich nehme Hut d Stock vnd wandle
ins Zentrum der Stadt zur Anskunftö.
stelle, welche die Berliner Handelüam.
mer in ihrem großen Büropalaft. nahe
Unter den Linden, zu Nutz und From
men unkundiger Stadtgciioffcn eingerich
tet hat. Tort trage ich einer mitfühlen
den Autorität mein Leid wegen der alten
Kleidungsstücke vor, die Tante Marie
durchaus baten will und erhalte den Be
scheid, mich zunächst an den .Verein
deutschen Damen und Madchcnmäntel
Fabrikanten' zu wenden, um dort mit
den nötigen Formularen ausgestattet zu
werden, die eS mir ermöglichen, einen
Antrag on die .Zentralstelle für Aus
fuhrbcwilligung von Oberklridung für
Frauen und Mädchen' zu stellen, damit
Tante Marie in den Besitz ihrer alten
Garderobe kommt.
Erneutes Palaver mit Biirodamen,
die Verständnis für den Fall haben.
Endlich schwimmt der Antrag niit aus
'führlicher Beschreibung der in Frage
kommenden Gegenstände und meiner mit
Namcnunterschrift gegebenen feierlichen
Versicherung, daß alleS der Wahrheit ge
maß dargestellt wurde. Nun hätte eine
höbe Ainisflclle allerdings noch das
Reckt, einen Vertrauensmann zur
Nachprüfung" abzusenden. Aber ich
hoffe, man wird angesichts der Unser
dächtigkeit des Absenders darauf verzich
ten. und das Reichsamt des Innern be
willigt großherzig, fcifz Tante Marie in
ihrem alten Blauscidcnen und dem
Aberdmantel mit ePlzbekatz nota bene
Modeschnitt vor dem Kriege unsere
österreichischen Bundesgenossen bezau
bert.
Uff! Das Geschäft kostete drei Stun.
den Zeit und SticselsohUn, wovon letz
tere auch nur gegen .Bezugsschein' zu
erneuern sind. Doch ist jetzt der Vorteil,
daß die Schuhgeschäfte ihre Ware mit
genauer Angabe verkaufen müssen, eb
und wieweit Lederteile durch Surro
gate z. B. Sohlen aus Linoleum, Hak
ken aus Holz usw. ersetzt sind.
Also heute ist der Tag der Lust.
Obgleich wir eigentlich keinen fleischlichen
Genüssen nachgehen wollten, verzehren
wir das Knackmürflchen und freuen uns
der vortresflichen Käse, welche teils als
echte Holländer- und Schweizer Fabri
kate, teils als inländische Produkt: wie
der reichlicher zu haben nnd, zum Preise
von 4 bis 5 Mark pro Kilo; feinere
kleinere Sorten teurer. Tas WUrstlein
hätte größer fein können, aber eS war
redlich mit Schwein- nd RiNdsteisch
gefüllt. -keine Pferdewurst, die ohne Bc
ziigfchein auch 2.50 Wart per y2 Kilo
kostet.
Schon früher erwähnte ich, daß Ber
lin in erster Reihe zu den deutschen
Großstädten gehört, die es mit der Er
nährung am schmierigsten und kostspie
ligsten hoben. Daß es knapp hergeht,
namentlich im Mittelstande, ist kein
Zweifel. Tie kleinen Leuten in der Ar
beiterwelt sind berhältnißmößig diel
besser daran. Trotzdem ist es groger
Unsinn, von einer allgemeinen Unterer
Nahrung der gar von Hungere! zu re-
den. Einer der stärksten Beweise da
gegen ist, daß die billigen und bequemen
Masscnkuchen Großberlins bisher eryev
lich weniger in Anspruch genommen
werden, als sie zu leisten willig und im
stände sind. Die neueste kann übrigens
täglich 40.700 Liter Mittagessen lie
fern. Gewiß sind viel früher überer-
nährte Leute, namentlich Damen au?
Berlin WW. eroeblicv ichtanier aemor
den. Tas erweist der Augenschein bei
einer Vromenade auf dem stimm ten
dämm. In diesen Kreisen bildet die
Gew chtsabnahme den gepilegte ten lln
terhaltungsgegenstand. obgleich sie ihnen
gut steht. Auch ich kenne etliche, denen
die KrieasZoit eine Marienbadr Kur er
sparte. Nun hört man die Äerzte. be
sonders die mit Kundschaft in jenen
takelliebenden Gesellschaftskreisen. waS
die lagen: Niemals sind unsere Pa
tienten so gesund gewesen, wie jetzt, wo
sie schmaler leben müssen!
Starke Fleischcsser kommen heute frei
licb. nickt auf die Kosten und verwünscht
teuer ist alles. Aber auch die Berliner
Armenärzte wissen nichts von einer ge
wacksenen Verelendung ihrer Klientel zu
berichten. Die Verdienftmöglichkeit. ist
aus Manael an Handen größer als in
Friedensjahren, sogar die Hausbettelei
ist zur ?.eit aerinaer als früher, viel
leicht wegen der vielen Notstandsküchen
und der ausgebreiteten öffentliche Für-
forae.
. ?irft iflltirn öfloo!.- fclel öeflaot
ftrfö. ist erklärlich. Neulich teSrente
unZ.i Saftbsus'trN'tUkrer Kellner,
der früher als, seldstZtidiqnSarkch
ein ernte! Gslchatt mit ftarZek Kn&
schaft in bessergestellte Kreisen hatte.
.Jcht werden keine Gastmähler gege
i'n. also schw ich mich während des
fkkkpeS als Kellner durch", meinte der
Man. Einer der Echquftnftkrvichkr.
der mit Leiter und Lischlapse bei uns
durch die Straße rennt, war ehedem
geschätzte Mitglied einer Musikkapelle
usw. Wenn da Lamentieren rasch
enden soll, braucht man bloß zu sagen:
.Denen im Schützengraben gehs
schlechter'
Beim Nachmittag! (es ist noch
echter, schwarzer, russischer Karawanen
lee ohne Zusatz von Erdbeer., Brom
beer oder sonstigen Gesundbe'itcblät
tcrn) la ich den Aufzeichnungen
eines Neutralen, der 1L70 in Paris die
Bclagkrung mitmachte. Ein Hühner
ragout kostete damals 1(5 Frcs. als,
s diel wie im vergangenen Winter auch
in Berlin ohne Belagerung eine Ratte
1 Ire., eine fctte Ratte lj Frcs.z ein
Kohlkopf 4 Frc! ein Kaninchen 13
Frcs. Fast alle Tiere des Iardin des
Plant wurden verzehrt und ihr Fleisch
mit 14 yrcs. per Kilo bezahlt. In un
scrcm Zoo brauchte der Würgengel un,
ter dein mannigfach verzebrbaren Ge
tier noch keine Umsc!?au zu halten, nd
in dem kleinen Teich unseres Schöne
beiger Sladtparks zählte ich gestern
afonv einige sechzig zahme Wildenten,
dir nicht als Sonntagöbratcn c'mgefan
gen. sondern von den Spaziergängern
reichlich gefüttert werden. Noch manches
andere las ich in den Aufzeichnungen
jenes Neutralen aus Paris vom Oktober
170. Zum Beispiel wie dort erzählt
und geglaubt wurde, daß die östliche!,
Departements vom Rhein bis zur Seine
mit Leichen verhungerter Prcußen bc
sät seien. Am 11. Oktober meldeten
die Pariser Zeitungen. Moltke sei tot.
der Kronprinz liege am Fieber im Ster
den. der Kanzler brenne auf Friedens
Verhandlungen, denn die preußischen
Polen liefen massenhaft aus ibren Re
aimentern zu den Franzosen über. Me
Württemberg!? und bayrischen Truppen
machten offene Rebellion u. s. w.
A!so schon damals derselbe Schwindel
wie heute.
Zum
Abendessen hatten wir eine
ältere Dame zum Besuch. Sie brachte,
wie jetzt üblich, ihr eigenes Brot mit
und erzählte, neulich sei sie in Gesell
schaft gewesen, wo jeder auch noch andere
Lebensmittel wie bei einem Picknick bei
steuerte, so daß der Gastherr nur daö
Getränk besorgte. Die Vcrköstigung der
guten Dame war etwas schwierig. Voi
den Konserven auf dem Tisch wollte sie
aus Angst vor Konscrvenbergiftung
nichts genießen. Räucherware fürchtete
sie als schwer verdaulich; ebenso mißfiel
ihr Gemüse, weil der Holzstoff der
Pflanzen den Darm belaste. Meine
Frau warf schüchtern ein. daß im Zoo
logischen Galten beobachtet wurde, wie
Eulen und anderes Getier, um dauernd
gesund zu bleiben. Haare, Federn und
sonstiges unverdauliches Zeug als .Ge
woll' im Magen aufspeichern. Aber
unser Besuch verzichtete auf jegliä-eZ
Gemoll. Eine- Buchse guter srznzo!,
scher Sardinen von Philippe Eanaud,
die ich jüngst trotz Entenie-Bkockade in
einem Berliner Delikatessengeschäft er
stand, fand endlich Gnade vor der
wählerischen Dame. Daran Ware sie noch
nie gestorben! Sie aß die ganze Büchse
allein aus, be!am hinterher natürlich
Magendrücken und grollte dann auf
Heeresleitung und Diplomatie, welche
eine arme alte Frau der Untck'EinLh
rung preisgäben. Shließlich wollte sie
wissen, ob der Teutsche National-Aus
schüß mit Geh. Rat Harnack oder der
patriotische Verband mit Prof. Scharfer
für Abichluß eines ehrenvollen Friedens
forderlich seien. Ich empfahl ihr. ab
wechselnd daS .Berliner Tageblatt'
und die .Deutsche Tageszeitung' zu I?
sen. Da würde sie, wie in amerikani
schen Blättern bei der Präsidentenwahl,
die gründlichste Aufklärung über die ge
genseitigen Geistesaaben und Charakter
eigenschasten der beiden Parteien sin
den . '. .
. '
Im Bett lieg?nd notiere ich als Ab-
schluß des Tagcs aus den Zeitungen aus
dem Nachttisch: In einem unserer großen
Gefangenenlager werden trotz gründlich-
ster Entlausungsprozcduren die Russen
nicht gänzlich läuscfrci. WaS die Aerzte
wegen der Gefahr von Kranlhcitsüber
tragungen beunruhigt. Endlich wird ent
deckt, daß etliche Russen in Schachtelchen
heimlich Laufe-Kulturen Pflegen und
daraus die lieben Tierchen an ihre Ka-
meraden verkaufen! Der Handel gkht
schwunghast, weil, wie sich im Verhör
herausstellt, geglaubt wird, daß ein
Mensch ohne LLuslein nickt gesund sei.
Im Vorort Rirdorf-BcrliN hat ein
Hausbesitzer auf Öedland eine Hühner
zucht aufgetan. Wer von seinen kleinen
Mietern den Monatszins pünktlich zahlt,
erhält als Prämie ein Hühnchen.
Unsere Nachbarstadt Steglid ist in zit
ternder Aufregung. Als die ewig lustige
Anna Schramm, die berühmteste komi
sche Alte der deutschen Buhnenkunst,
hochbetagt und wohlbegiitcrt im vorigen
Jahr sich mit festem Engagement in die
Gefilde der Seligen begab, hinterließ sie
ihrer getreuen Wirtschafterin aus Erden
drei gehamsterte fette Schinken im Ge
wicht von 30 Kilo und in zeimchem
Wert von 400 Mars. Die Erbin der
steckte daS kostbare Gut trn Keller, um
es pietätvoll erst nach Ablauf es Trau
erjahreS zu verspeisen. Jetzt ist das Erbt
verschwunden, von schnöder Hand gestoh
len und die Wellen der Teilnahme schla
gen bis nach Berlin.
Dieser Tage verlor ine Dame vom
Berliner Westen in der Droschke einen
Brillantenschmuck von 80,000 Mark;
man svrach weniaer davon alS von Anna
Schramm'S schönen Schinken. Wenn sie
noch lebt,, würde ich wetten, sie hälee die
T ebesaeschichte der Reklame kalber er
funden. Denn such darin war die Ver-
storbene eme sehr große trni,mn,
ZianaM in Luzkmbur,. tyi
solae der manöewdea kupferscheidemün
zen in Luiemburg hat sich die Regierung
t?& GfroRhmnatutnS deranlastt aesehen.
für 200.000 Fr. Zinngeld herstellen las-
sen zu muffen.
Ter Anzug. daS Lachen und der
Gang eines Menschen lassen schon au
pnm Charakter MeAn.
M
Nach einem 23 Monate laugen äußerst
blutigen und rivstu Kiig. &. ix
Zarenreich an den Rand des Abgrunde
gebracht hat, träumen führende Russen
von einem neuauskrstkhenden Reiche, das
das größte Staategebilde der Welt sein,
soll, das die Geschichte je gekannt hat.
Ju der russischen Presse wird jetzt
iibcr die Möglichkeiten von morgen irit
einem Optimismus diskutiert, der
geradezu verblüffend ist. wenn man ke
denkt, daß nur englisches .'kapital, sran
zölisck militärische Schulung und ame
rikanisck, Munition das von dem Krieg
zermürbte Zarenreich vor dem .ähen
Ruin bewahrt haben. Namhafte cussi
sche Polizisten finden es für zeitgemäß,
gerade j'tzt ihre Pläne über ein Groß
Rußland zu entwickeln und über die
Organisation der slavischen Rasse Bc
tracktungen vuzustcNen. wo auf d'i
Balkan dek russische Einfluß f gut wie
eliminiert ist und große Stämme der
slavischen Rasse sich unter germanischer
Herrschaft befinden.
Ei ganz besonders anziehend"?
Thema für russische Publizisten aber ist
da Kapitel Polen. Bor 6 Monaten
och hatte es den Anschein, als hätten
die Russe Polen schon ganz vergessen.
Die Rubrik Polen war aus der kussi
schen Presse fast schon verschwunden. Es
schien, als bätten die Russen sich m:t
dem Verlust Polens abgesunden. abr
urplötzlich erinnerten sie sich, daß Pglen
ein7 zum russischen Reich gehörte und
beginnen nach Mitteln zu suchen. w:e
dieses Polen wieder an Rußland gekettet
werden könne.
Der russische Ministcrrat. der sonst
auf die Wünsche dcs Volke wenig Rück
sicht nimmt, hat eS sogar jüngst für rö
tig befunden, in Anbetracht der neuauf
gekommenen Polcnbegeisterung die pol
nische Frage wieder aufzunehmen nd
ernstlich über sie zu debattieren. Die
Russen begnügen sich aber nicht mit Po
lcn allein, sondern sie gehen aus das
Ganze los und wollen gleich bei der Ge
lcgmheit die ganze slavische Frage losen.
Und merkwürdigerweise stimmen ille
russischen Publizisten darin Uberein. daß
sie uf der einen Seite Rußland unan
greifbar macht und aus der anderen
Seite Rußland die erste Wcltmachtstcl
lung gewährt. Es muß nicht nur ein
Grofz-Polcn unter russischer Hcrrschast
entstehen, sondern auch ein GroßS?r
bien auf Kosten Bulgariens. Albaniki's
und Kroatiens. Um die slavische Vor
Machtstellung auf dem Balkan zu sichern,
muß Konstantinopel russisch werden.
Tarin stimmt d?r lib'rale Miliukolf
mit dem Finsterling Menschikofs über
ein. Dieses Größenwahn-Geschmatz ist für
slawische Politiker sehr charakteristisch;
welches auch sonst die Tendenzen der
Slawen sein möaen. zur historischen
Wabrhaftiglcit haben sie noch nie die
richtigen Beziehungen gesunden, und
auch jetzt sind sie bei ihren politischen
Betrachtungen an der historischen Wirk.
IlchZcit reckt wenig orientiert. Ter
Rädelsführer dieser Größenwab,-Poli-tik
ist der bekannte russische Politiker
Tlchichatschosf. der vor dem Krieg der
best gehaßte Mann in Polen war, weil
er zum großen Teil für die gewaltsame
Losreißung des Gouvernements CholmS
vom Königreich Polen verantwortlich
war. Wabrend des ersten russischen
Einfalls in Galizien hat Tschichaischoff.
der zur rechten Partei der Duma ge-
hörte, die Rolle des Russifizicrers ge
spielt und zusammen mit dem Grafen
Boblinsky an der gewaltsamen Ver-
russung Galiziens geardtitel. ie,er
berlichtiole Volenfeinb trat pictzü vor
einigen Monaten mit der Idee eines
,selbstand aen' Volen vervor unv ver-
anlaßte die russische Presse daS Kapitel
Polen' von Neuem auszunemen.
Tfchickatscholk befürwortete ein auto
nomes Polen unier russischer Souvera
nität. Wie russische Souveränität In
Polen mit polnischer Unabhängigkeit sich
re mt. st allerdings imwer zu tmn.
Dieses .unabhängige' Polen, soll Tfchr
ckatschoss usolge. eine poln, che Nalio
nal-Admin,!tration baden und in ouen
Fragen der inneren polnischen Politik
so gut wie souverän, nur die Armee und
die auswärtige Politik sollen gemein
sam sein. Um die russische Industrie
,u schüken. soll zwischen Polen und
Rußland eine Zollgrenze errichtet wer
v. Als ffiifiifff fnff Nnlen freie fianb
viti. ' . . . n i . " " X
in der Lösung seiner Nationalitäten
Frage haben. Bei dieser Gelegenheit
eben Tschichaischoff und feine An
Hanger den Polen den Rat, die Frage
der Nalionslitaien naco ruman,,cyer
Art zu lösen: Die rnchtpolrnfchen Na
tionalitoten sollen einfach als .geduldete
Fremde' behandelt werden; sie sollen
aber zugleich alle Pflichten nnd Lasten
dem Staat gegenüber tragen. Diese
unabhängige' Polen soll aus dem
früheren Russisch-Polen. aus Galizien
und auS dem Herzogtum Posen be
steh."'
Aehnliche Pläne entwickeln russische
Publizisten für dos zukünftige Groß
Serbien. Es versteht sich don selbst, daß
Mazedonien und ein großer Teil von
Bulgarien, sowie Kroatien, Herzoge
wina und Bosnien dem neuen Groß
Serbien angegliedert werden! Auch
wird essen angedeutet, daß Saloniki
dem zukünftigen Groß-Serbien Zugefügt
werden muß, kenn e3 gehe nicht an,
Mazedonien $tf teilen und Griechenland
habe es nicht verdient. Saloniki fürder
hin zu ichslti. SZon kimm snbZfchen
Saloniki konnte Rußland bet viel pr
fitieien! Es gibt nun aber Russen,
die in ibien Forderungen noch biet weit
gebender lind. Diese wollen von einem
inU,Znnnti Wnlfn ichts Wille UNS
ff ti j1 13' " r r i!
- iifnrint tiitf i&lisl lasikN. Nflff)
f der Mimwg wsek Rnszrn liien die
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PM.iLe.lM 2?jnMnd
Gussisclje Mume und
russische Wirkttchlieit.
von Dr. . m. Melamed.
gegenüber große Undankbarkeit an den
Tag gelegt und verdienen kdiurlei Nach
sicht. Die Polen, so behaupten e. ob
gleich Slawen der Rasse nach, schielen
immer ach dem Westen und stehen mehr
unter germanischem als unter russischem
Einfluß. Wenn man ihnen Autonomie ,
gemährt, schasst man von vornherein
eine ui, sichere Situation, die in Zeiten
einer Krisis sich z eminenter Gefahr
verdichten könn. Rußland habe die histo
riscke Mission, die versprengte slawische
Raste zu vereinigen und diese Vereint
gung muß eine solche sein, daß sie. statt
eine Gefahr für Rußland zu werden,
ein russisches Bollwerk werden muß. Nur
wenn die Russen in Polen absolut frei.
Hand haben, kann da Reich vor Gefahr
gcfckibt werden.
Ein Jahrhundert lang konnten die
Russen iu Polen nach Gutdünken Wirt
fchaficn; sie hatte dort absolut freie
Hand, und doch konnte die russisck?e Herr
schaft in Polen den Siegesmarsch Hin
denburgs nicht oufhalten. Abcc der
Russe kann wohl politisch träumen, okr
sehr selten politisch denken. Wenn man
die jitzige polnische Diskussion in der
russischen Przsse licst, muß man unwill-
kuhrlich zu der ucbcrzeugung kommen,
daß den Russen jeder Sinn für die Wirk
lichkkit fehlt. Oder ist diese politische
Ausschneidcrei von einem zukünftigen
Groß-Rußland (all wäre Rußland jetzt
ein kleiner Staat) und das Geschwätz
von einer Russifizi'rung dks Balkans
nur ein politisches Manöver, um den
darbenden russischen Massen Cand in
die Augn zu streuen und sie aus eine
herrliche Zukunft zu vertrösten?
Tie russisch! Wirklichkeit ist jetzt so
öde und trostlos, daß selbst ein Stür
mer. um das Volk nicht auf eine gar zu
harte Prob zu stellen, sich dazu beque.
men mußte, scincn Liebling Lhwosiols,
den Führer der schwarzen Hundcrtschaf
tcn vom Ministerium des Jnrnrn fort
zuschicken und statt s,iner einen liberalen
inliiZirr llrrtirrnnnnH mm Winiflte hri
Innern zu ernennen. Chwostosss real
tionäre Ideen, seine Talentlosigkeit und
Brutalität haben ausgereicht, um s'lbst
die russischen Massen aus ihrer Lethargie
zu wecken und zu scharsen Protcstkund
gedungen zu veranlassen. Noch ein paar
Monate Ebwostoss und die ru st che Re
gicrung hätte sich wahrscheinlich bcmü
szigt gssck,!. einen großen ifil ilzrer
Truppen gegen den inneren Feind zu
dirigieren.
Unter Chwosiosfs Regime ist die in
nere Anarchie ins Unglaubliche gemach
sen. Seine administrative Talenllosig
keii war groß genug, um selbst die ruf
siscke Bureaukratie noch mehr zu demo
rolissereN und den ganzen Verwaltung''
apparat de russischen Reiches in Frage
zu stellen. Unter seinem Regime ist eS
vorgekommen, daß wahrend tn kleinen
unbedeutenden Provinzstädten Nah
runqsmittel in Hülle und Fülle waren.
die Hauptstädte des Reiches buchstäblich
hungern mußten. Und die Durchsteche,
reien und Diebereien, die waizrend seiner
Verwaltung vorgekommen sind, spotten
seilst in Rußland jeder Belchrtikirg.
Es ist unter ChmostossS Aegtde wieder-
holt vorgekommen, daß ganze Fracht-
wagen don Zügen gestohlen wurden
und daß z. B. statt eineS Waggons
Mehl ein Waggon Sand angekommen
ist. oder talt eines Waggon iicin
Steinkohle, ein Waggon Steine. Unter
Chwostoff ist es vorgekommen, daß
aan Eifenbahnzüge incl. Lokomotive
gestohlen worden sind, lange Fcschtzllge
sind wie von der Erve ver,cymunden.
obnk da k der Regierung möglich war.
die D ebe. die natürlich nur in den
Kreisen der Eisenbahnverwaltung zu
finden waren, zu erwi chen. iese un
glaublichen Diebereien-haben dazu ge
führt, daß ganze Provinzen Wochen
und oft monatelang vucyiiaviiaz nun
oern mußten. Wer die russischen Zu
stände kennt, wird sich über die ost be
richteten Hunaer-Revoiten tn den ver
schicdenen russischen Stadien nicht wun
dein. Diese Vorkommnisse haben Stür
mer direkt gezwungen, seinen Liebling
Chwostosf zu entlassen und einen ihm
persönlich unangenehmen, weil libera
len Politiker. Monsieur Protopoposf ln
das Ministerium des 'innern zu ve
beruft n.
Man muß nuN ober nicht glauben,
daß die Berufung Protopopofks einen
Wech el des politischen ur,es in uiz-
land bedeutet. Stürmer pal Proropo
Loks ins Ministerium berufen, weil er
ein methodisch geschulterer Kopf ist als
Chwostoff und mehr von Europa ge
sehen hat als sein Vorgänger. Stürmer
1 i.. ' ,. m l ' f. tl. ..r
yottt mit yn?e Prolopopo,,s ik
tische Verwaltungsma cyine in ro
nung zu bringen, er wird aber schon da
für sorgen, daß Protopoposf sich Nicht
zu groke ffreiheiien yerausnimmi.
Tie russisch-liberale Presse ersteh,
sehr kohl, daß Cluermer den liberalen
llZrolovovoss für sein eigenen Zweckt
ausnützt und daß Protopoposf nur dazu
aus'.rsehen ist. die Stellung iswermn,
zu befestige. Aut diesem Grunde ist
sie von der Ernennung Proiopoposfs
anz und gar nicht erbaut. Die ansäe
sprachen liberal-russischen Blätter zeihen
Protopoposf des Verrats an der liberalen
Sache, wul sie wissen.. vag leine r
Nennung zum Minister des Innern der
liberalen Sack? nichts fititzen , dagegen
bet Sache bet Reaktion seht die! nützen
wird. Prstopvpoff hak bald nach seiner
Gnusunz WS 'Ministerium in einem
öntervi.,, erklärt, daß n gnz uf be
Standpunkte des Kabinettt stehe nd
daß man von Ihm keine Wunder erwar
ten dürfe. Dieses Interview scheint die
Angrifft der liversien 'rene zu recyr
fertigen. Denn wenn ein liberaler Fiih
r?r in NMand erklärt, daß er auf dem
Boden M PnrarnmZ d Ctiikrmer
'
chen ?.:lt:;i petze, ssz! ei sich g m
von iiiut M( ins uiiu uji iv
Ncallic iibn. Es ist n?ch j beacht",
... ..... ... w . (.i ,,,
daß mit dem Eintritt Proiopopvs,, ,n
die Regierung die hinter ihm stihcnd,
Partei sich der Regierung nicm nugi
schlössen hat. Nach wie vor n,R !"r
mer mit der eztremen Rechte wirtschafte,,.
Wenn also die Ernennung Pioiv-
popoffs zum Minister des Innern a3
plne roarammalilche Aenderung der
Politik der Negikruiiq gesehen werden
kann, kann sie nur eine rein vo,!i"
lVK tUClurn( lyui'in. " j""'
also, inwieweit es dem Neuen Minister
gelingen wird, dem Demoralisations
prozß in der russischen Verwaltung
Einhalt zu tun nd bessere Äcdiugungen
,u schaffen. In normalen Zeiten hätte
ein fähiger Ad,slrator ini kn,me!
Ministerium des Innern große Möglich
keilen ud einen großen Spielraum.
!VM ober, wo große Zweige der Ad-
ministration vom Miliiarfielu verftben
werden und wo d,e Grenze der uris
diktion nicht scharf bestimmt ist. kau
selbst ein Berwaliungs Genie in Ruß
land ivcnig ausrichten.
Tie nroken Tiebereien und ura)
sieckereien in der russische Verwaltung,
iibcr die die russische Prcsse bereits sei,
zwei Jahrcn berichtet, gehen zum großer
Teil vom Militär aus. oder wcrven mu
Wissen und Willen bei Militär vi.
geführt. Protopotoff kann nur zusvm.
men mit dem Kr,egsm,n,stkr,um g'gen
die organisierten Schurkcr,ien vorgehen,
aber gnade das russische Kriegsministc-
num ist der Sitz aller Ztorrupiion.
Man darf nickt vergessen, daß der rufst
sche Ei'Mittister und der mächtigste
Mann im Reiche. Suchomiolinoss. heut,
im Gesäiignis sitzt und sich bald wegen
Dieberei. B'.rrat und Bestechung zu ver
ontworte haben wird. Es ist natürlich
klar, daß Suchominoloff nicht der ein
zige in feinem Rcssor! war, der sich soi
cher Verbrechen schuldig gemacht hat,
man muß vielmehr lo,?ischweise so!
gern, daß der Chef des Ressort! nr mit
Hilfe anderer Mitglieder solche verbreche
rächen Handlungen vornehmen kann, und
daß da! russische Kr!egZininÜ!rium eine
regelrechte Organisation von Marodeuren
und Tikben besessen hat. Bis jetzt hat
man nur don der Einkcricrung Sucho
Minolosss und einiger Beamtin scineS
Departements gehört. Tie riesigen
Durchstechereien, die unter Chwostoff
vorgekommen sind, beweisen, daß im ruf.
si'chkn Ministerium rne Tiebts'OrgaNi
sation noch stark und mächtig ist. ES
darf daher mit Recht bezweifelt werden,
ob Prolopotizss das leisten wird, was
-turmer von ihm erwartet. Wenn aber
Protopotoss versagt, wird die Hof-Ka
marilla aus diesem Versagen gegen den
Liberalismus Kapital schlagen. Da! ist
für die liberale Presse ein Grund mehr,
den neuen Minister anzugreifen.
Ueber Protopotoff selbst ist ilinu" in
Europa sehr diel gc sprachen vorden. Er
stand an der Spitze der Parlamentär!
schen Kommission, die die russische Rc
gierung vor einem halben Jahr nach den
Ländern der Alliierten gesandt hat. um
die Bedingungen zu studieren und um
die Annüherung zwischen Rußland und
feinen Verbündeten zu einer Lollstumli
chen zu gestalten. Protopotoff hatte Ge
legcnheit, sich in London. Paris und
Rom mit den führenden Persönlichkeiten
zu unterhalten, und deren Meinung über
Rußland zu hören. Wie Pro'opotosf
selbst nach feiner Ankunft in Petrograd
berichtet hat, hat man ihm viel Bngc
nehmcS und Unangenehmes über Ruß-
land gesagt. Einflußreiche Franzosen
haben in ihren Gesprächen mit ihm die
Klagen der in Rußland lebenden Fremd
Völker vorgebracht und darauf hingemie
sen. daß die barbarische Fremdvolker-
Politik der Russen den Alliierten im
Westen, die doch angeblich für die Rechte
der kleinen Nationen kämpfen, ungemein
schade. Eine solche Aeußerung Protopo-
iosr gegenüber wird auch PoincarS zu
geschrieben. Ob sich der Präsident der
französischen Republik zu einer solchen
Aeußerung verstanden bat. mag dahinge
stellt bleiben. Die russische Presse hat
aber diel über den Bericht Protspotosss
geschrieben und bei dem russischen Lebe-
Publikum den Eindruck hervorgerufen,
daß man im Westen Europas von den
inneren Zuständen in Rußland nicht sehr
erbaut Ist. Es mag fein, daß Stürmer
und seine Hintermänner, um den Alliier
ten ihre Bereitwilligkeit, ein liberales
Regime einzuführen, zu zeige, einen
Mann inS Ministerium berufen haben,
dem sie ihre Klagen vorgebracht haben.
BiS jetzt hat man noch nichts davon ge-
hört, datz die unterdruckten Völker in
Rußland feit der Berufung Protopotoffs
leichter aufatmen. Flüchtlinge, die jüngst
auS Rußland hier eingetrosfen sind, be-
richten vielmehr vaS Gegenteil und auch
auS Zuschriften an die russischen libera
le Blätter kann man ersehen, daß die
Unterdrückungspolitik den kleinen Ratio,
nalitätea gegenüber unter Protopotoff
genau so weitergeht w unter Chwostoff.
HebnngKvkrscht esnnkener Kriegs
schisse. I Schweden hat sich eine
Attiengesellschast gebildet, die unter an
derem ein 240 Jahre alteS Kriegsschisf
vom Meeresgrunde heben will. Dieser
Anregung -ist nun. wie das .Svenska
Tagbladet' berichtet, such der Direktor
der Norwegischen BergungsGesellschost
gefolgt. Er beobsichtigf, daS vor der
Zollstal? don Fredritstadt gesunkene
schwedische Kriegsschiff .Ttenbock'n".
daö 171g in der Schlacht bei TyNekilen
von Tordenskjold alS Prise genommen
wurde, zur Hebung zu bringen. Vor
einigen Jahren sah man bei schr niedri
ffkm Wasserstande die ober?!, Teile d:i
Schisses iibcr dem Waller, nd
konnt feststellen, daß das 5lz sehr g,.,
eM'ten war. " '