Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 24, 1916, Image 2

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    TsM Omsha Xrltun"
p-
orö Forlljclisfc.
t?hnraflrrbild dcS möchtigstc ,nglischkn Zkitung'---'.
Von Til Vara.
'r ,Jn England geben einem zur BnirU
tun von Menschen die ungeschriebenen
C'l'lffcf, eigentlich nuftr bis fio üi ff if .Jj-,
Normen Handhabt,,, die foliiii verfugen.
Pin baoon ist: man achte, wo ein Menfckj
wohnt. Nicht, wie (t wohnt auf die
Abrisse kommt ei an.
Lord Northelifft. dr Besitz er der
TimeS", hat sich in t. ami' Place
nnnefiebilt; im Herzen bes vornehmsten
Tcilis bi-t ctabl, eing-nislet in ben Kranz
der b.r CtjsU b.ö
Wo Lorb ElleSmere in Bribgewater Hollle
seine wertvolle Silber bor bet Weit
schlich, knapp bei Slafforb Ho!,ft. bem
Citz bes Herzogs von Tuihcrlanb, im
Schatten von S.l!zrlbnongh Houfe, bem
Palast des Prinzen von Walks, wenige
Schritte vom mittelaltcrlichcn Lt. James'
'-JJalace, ber ehemaligen Ncsidk,, ber eng
Zischen Könige, bort, wo er sozusagen von
seinen Fenstern am immer ein Auge ans'
JSudinnfwm Palace hat, bort wohüt Lorb
NoriKclisse. ber erste Barem bcr Csle of
Tchanet", der noch vor wenigen Jahren '
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Lori, Northclifsx.
ganz einfach Alfred CharleZ William
Harmsidorih hieß.
Er ist, ein starker, massiver Wann vo
über Mittelgroß: mit einem derben, breit
flächigen, glattrasierten Gesicht, das unge
fahr zum Typus ber Cecil Rhobcs-Köpfe
gehört, der zugreifenden Gcwaltmenschen,
der company and state Promoters". Ter
starke Wille des Menschen, der in den
, Backenknochen sitzt, wirb hier durch eine
rundliche Fälle verbectt; bic Augen blicken,
wenn eingestellt, scharf unb kalt, bas Haar
fällt ihm unordentlich in bie Stirne. Er
erbt 'eben seinem Kammerbiemr (einem
Oesterreichs) noch einige Weifungen, e:
verabschiedet seinen fchmedischen Arzt, Dr.
Syloan, ber ihn täglich massiert bann
läßt er sich von einem seiner Sekretäre bie
Aufstellungen reichen, bie den Verkauf
aller feiner Blätter vom vorigen Tage zif
fermäßig ausweisen. Beim Daily Mir
roi" stockt er und bläst den Rauch seiner
Zigarre kräftiger von den Lippen. Sei!
einiger Zeit ist bie Auflage, die ungefähr
ZB0,00 täglich beträgt, um L,".000 Erern
plare gerwger als in den letzten Wochen.
What's wrong with my fhop Window,"
fragt er den Sekretär, eigentlich mehr sich
selbst, denn der elegante jung Mann im
morning coat", in lichter Weste und wei
ßen Gamaschen, weiß keine Antwort.
,W fetzlt'e im Schaufenster? Wer ist
bet. Sub-Redaktcur?" Ter Zunge Mann
nennt einen Namen. In drei Tagen
mutz wieder die alte Ziffer erreicht sein",
sagt der Chef ganz ruhig. Fcs. My
locd," sogt der junge Herr, nimmt seine
große Mappe und verschwindet aus dem
: Zimmer.
Am nächsten Morgen zeigen vor allen
Zeitungssiänben die Plakate des Daily
Mirror" in halbmeterlangen Buchstaben
eine neue Sensation an, rufen die Zei
tunzsjungen ein neues, nie gehörtes, nie
dagewcfcnez Sclilagwort in die Welt. Die
englische Bevölkerung wird zugrunde ae
hcn, wenn sie nicht Standard-Brot ißt!",
oder die 50 schönsten englifchen Frauen
werden . gesucht und prämiiert!", oder
.Deutschland baut 7 neu: Dreadnoughls
und was wird England tun?!!!", ober
Valfour muß gehen!!" Eine Woche lang
ist nun Standard-Brot ober sonst eine
Sensation das Gespräch, die Sorge, di:
Aufregimg, das Problem .der ganzen
Siadt. Jeder will etwas darüber wissen,
jeder hat etwas darüber zu sagen. Die
Auflag: ist wieder gestiegen, und nächste
Wocbe kommt wieder etwas anderes an
di: Reihe.
Man darf nicht glcuiben. daß Lord
Nortlzkliffe, der typische Engländer" (der
vor ZI Jahren in bcr Grafschaft Dublin,
also in Irland Zur Welt kam) ein eng
lasches Idol bedeutet. Ganz im Gegenteil.
?? ist, oder zumindest war vor dem
Kriege, die weitest gehaßte Mackt im
Lande; und manch eine: nahm sich kein
Blatt vor den Mund, um ihm seine Miß
billigung anzudrücken. Die Politiker
fürchten ihn, bit Intellektuellen verachten
ihn. bic Nun st ineibct ihn, bic Nabikcilcn
bilämpsen ihn. bik Unabhängigen verbln
ten sich an ihm, alle beschimpfen ihn iinb
alle lausen ihn.
Aber man mühte eigentlich bie Begg,
bunfl bei? Mannei bewnnbern, feinen Öle
schaftsinstinkt, seine napoleonifche Gier
und Oleberbe bestaunen, seine ungeheure
Energie, sein Organisationstalent in
hockstcn Zonen preisen, wenn er, ja wenn
er, ber so viele Orqane des! izt, mich ein
Crqan siic Siiilichtcit besäße. Aber bcr
Mann, bcr a'.l Iahrig.'r Jugzlmg um;
journalistische Laufbahn mit einem be
scheibenen Artikel über bie dama! aus
kcimenve Amaicllrpholographie in einer
per,oo,schcn Zeitschrift .Für junges Bolt
begann unb bann in fabelhaftem Auf-
chivung ber mächtigste Zeitungsuibustn
eile seiner Zeit wurde, prcbigt taglich alles
nur keine tägliche Sittlichkeit". Sein ein
ziges Gebet, Gebot lautet: Herr, unser
rt.lliifä .t,irfmHiI(Hi'r ik iinä h,-itM"
'VWl.'V - l-ll
Coer sonst eine artbert Sensation,
Unb wenn Standard Brot nicht mehr
zieht unb bie Menschen bequem iytb trage
werben unb seine Schaufenster nicht stür
' - :
' '
""V."
!
C
- - :
X , . '
. 7 f '' -
" 'fr
V 0a'.
men wollen what's wrong with my
fhop windoib? -7- da wechselt er mit über
rumpelnber Schnelligkeit seine Aufmach
ung und stellt grellere Lockungen hinein.
Er gruppiert bunte Fahnen, Embleme und
Wappentiere das sehen die Kinder im
mer gern läßt Trompeten blasen und
Fansaren ertönen die Menschen lauf:n
schon zusammen und läßt heralbische
Löwen brüllen, bcnen angeblich hier uns
bort auf ben Schweif getreten würbe
bie Welt horcht auf. Die sonore
Stimme der .Times", die Norttkliffe als
Echo der Zeit ausgibt, fuhrt dann leiden
schafiliche Neben, wird sehr erregt und
weist auf allerlei Wolken am Horizont;
sie hetzt Klasse gegen Klasse, Volk gegen
Bo!k, warnt, droht und rasselt. Und was
seine großen .Times" am Morgen ora
keln, das zitieren am selben Abend seine
.Evening Ncms" und sein .Obscider",
seine Pariser Ebition und kommentiert am
nächsten Tag seine .Daily Mail" (in Low
von unb Birmingham) unb illustriert am
folgenden fcin ,'Daily Mirror" und repro
buzicrt sein Leebs Mercury", sein Glas
gow Herald", sein Manchester Courier".
Hier wird Northcliffe zur Weltgcfahr.
Die Walzen seines Mammutarammo
phonS sind enorm, und seine Megaphone
sprechen allwöchentlich zu mindestens 30
Millionen.
Er ist ein Baum, der in den Himmel
wachsen will. Alfred Charles Harm!
worth gründete bereits in der Schule ein
Journal. Er studierte in Cambridge
unb sollt: Abvokat werden. Mit 17 war
er jedoch schon Redakteur einer Zcaiuna
unb bezog ein Gehalt von 4XX) Mark.'
Mit '22 wagte er feine Ersparnisse von
3,',X) Mark an eine Wochenschrift, bie
Ansmers" heißt. Den orangkgeldcn
Umschlag bieser Zeitung kennt jeber, über
all, wo der Union Jack weht. Sie ist die
Ausgestaltung einer Idee, die vor ihm
zwei andere Zeitungsmagnaten, Sir
Georg: Newnes und Mr. Pearson, u
geschrotet hatten. Das orangegelbe Blatt
Ariswers", ein Rivale der giftgrünen
Tit Bits", stellt Fragen und gibt Ant.
Worten. .Welches Insekt kann feine Flli
gel am schnellsten bewegen?" z. B., oder
Welche Art Fcdern ist die teuerste?" oder
Warum ist die Jnnenhaut' der meisten
wilben Tiere von weißer Farbe?" oder
Wenn man die einzelnen Nummern einer
Wochcnausgabe von .Answers" anein
ar.derreiht, wie weit würden sie reichen?"
Eine Art Volksbelehrung,, die zur
Volksverdumunz führen kann.
Mit 30 Jahren packte Harmsworih po
liiischer Ehrgeiz und r gründete die
.Daily Mail". Gladstone. der den Zer.
tungsstempel abgeschafft hatte, hatte dal
I-Penny-Blait möglich gemacht.- Sir AI
sied Harmsworih ging auf einen halben
Penny herunter. Eine Bombe hätte in
Fleet Street nicht ärger wirken können.
Die Straße ber Abenteuer, wie sie von
englischen Journalisten oft genannt wird,
'aiiüe, bie ttcbäube ber hundert Zeitun
gen brvl!en einjustürzc,!. Die liberalen
.Daily New" und .Taily öhronicle'
mußten sofort bcm verwegenen Beispiel
folgen! später reihten sich anbere an. Da
i .PeiiiW'tflült fanb ungeheure Kreise o!
willige Käufer; und schließlich mußten so
gar die Nachkommen ber Familie Waltn,
bie bie cschi,ke d,'r Times" feit dem 1.
Iahkhiiiibert geleitet hatten, von ihrem
Picbesial herabstcigen unb e billiger ge
den. TaS große Eityblatt fiel unb langte
enblich auf bcm !1!iveaä ber Penny.Zc
tuna a. Die .Daily Mail", der man
einen rapiden Untergang vorhergefagt
halte, hatte unter Cir Alireb Leitung
einen ungeheuren Sieg errungen; sie hatte
da gesamte englische Zcilungswesen re
volutioniert.
Da packte Alfred Hirmsworth, der ln
zwischen wiederholt von König EbuarS
empfangen worben war, politischer ttrö
ktmuhn und er streckte die Erobercrfauft
nach den TimeS" aus. Die Zeiten wa.
ren ihm günstia. Moberlcy Bell, der Ma
nager der kränklichen Times", ber frühe,
Korrespondent des Blattes In Aegnptcn
gewesen, und der eigentlich die Unterwer
fung des Landes journalistisch vorvcnitek
hatte, und Lord Üeorthclisfe verstanden
einander. Das Geschäft kam zustande
unb ber Herr auf Carmclite Houlc hatte
wieber einmal eine große Sensation.
Ohne die er nickt leben kann. Er hat
die aufgeregte Presse erfunden und' bie
würbige lahmgelegt. Die englische Zei
tung wurde früher von Gentlemen für
Gentlemen geschrieben; aber schon Lord
Salisbury sagte von ber Harmsworih-
Vrcsse. baß sie von Laufdur chen ge chrie
den werde. Als Nach: für bicscn Aus
pruch ließ sich Sir Alfreb Harmworth
vom Neffen Salisburvs zum Lorb North-
clifke erheben. Northcliffe war frcihänb
lisch gesinnt. Eine Tage korke er
Cdambcrlain reben unb war Zeuge, welche
ungeheure Sensation besten Bchemenz aus
eii. vieltausendköpfiges Publikum ausübte;
am nächsten Morgen hatten sich alle Zci
unaen Northeliffes aus Seite der viel
tanscnbkops!gen Sckutzzollnek gk,ch,agcn.
Als die hysterischen Taten ber Suffrage
ten begannen Sensation z erregen. grlln
bete er ein Tagblat für Frauen. Es ging
nicht. Da riß cr feiner Schöpfung in
einer Nacht bie Kleiber ab und drapierte
sie um. Am nächsten Morgen erschien
tait des politischen Frauenblattcs ein mit
minimalem Text und recht viel Bildern
ausstaffierter Frauenspiegel, der .Daily
Mirror".
Daß der Mann der täglichen Sensa
tion als stärkster Blas balg in den Süd
afrikanischen Krieg gehetzt, weiß die ganze
Welt, daß er in der Toggerbank Assare
zum Krieg gegen Rußland gebrüllt, steht
in seinen Blättern ebenso verzeichnet, wie
die Tatsache, daß ihm der Krieg gegen
eutschland nickt unwillkommen war und
ist. ia. daß cr sein redlich Teil tiefster
Verantwortung trägt. Einmal hat er von
Berlin aus deutfäem Charakter, deutschen
Institutionen in persönlich gcschribenen
Artikeln ein Loblicb gesungen, jetzt schreit
er Tob und Vcrnic ;ng. Er liebt den
Krieg, weil r: eine Sensation ist, weil er
auflagcnfördernd ist. ,Unier allen Kriegs
Hetzern ist Northclifse sicherlich der un-
mysteriöseste, von Prinzipien am wenig
im Beschwerte Geradlinig te. i teilt
heute Behauptungen auf, verdcrch,titgt, vcr.
leumdet und widerlegt sich selbst am nach-
ten Morgen mit entwaffnender Wer
aeßlichkeit. Er weiß, daß nichts so erfolg
reich ist. wie der Erfolg, unb daß die
Menschen ein kurzes Gebachtnis haben.
Das ist seine ganze Philosophie. Ihm
schwebt ein Zeitungs Welt . Trust vor;
Rockefeller und der Standard Oil-Trust'
sind seine Ideale. Er hat mit dem ,Ma
tin" einen TelegrammAustousch verein
bart und er hat seinen Einfluß auf die!
Nowoje Wremja" ausgedehnt. Et, der
gegen Rußland genau so wütend gehetzt
hat. wie früher gegen Frankreich und wie
er jetzt gegen Deutschlanb hetzt. - j
Man nennt ihn den Napoleon seiner
Zunft; cr ist eher ein tanzender Derwisch,
ber sich brckt und dreht und dreht, wilde
schreie ausstont unb das Erstaunen der
Menge erregt. Der Schrein, an bem er
eine, Andacht verrichtet Carmente
House . ist eine eigenartige Moschee.
Gepredigt wird die Religion der Skrupel
lvsigkeit,' ihr Gott heißt Vingc. Und
Lord Northcliffe ist fcin Prophet.
Scott'Gcdrnktafcl. 3 der St.
Pauls Kathedrale in London wurde in
Gegenwart des Premierministers Asquith
eine Gedenktafel aus Bronze enthüllt, die
an den Tod des Polarforschers Kapitän
Scott und seiner Genossen gemahnen soll.
Sie zeigt das Bildnis des letzteren und als
Relief die Forscherkolonne auf ihrem
Marsche über das Eis. Den krönenden
Schmuck bilden drei allegorische Figuren,
ie die Disziplin, den Mut und die Glo
rie versinnbildlichen sollen. Die Inschrift
ft von Lord Cuczon versaßt. Sie lautet:
Zum Gebachtnis von Kapitän lodert
Falcon Scott, Dr. Edward Adrian Wil
son, Kapitän Lawrence Ebward Grace
Oatcs, Leutnant Henry Robertson Äow
ers und Offizier Ebgar Evans, die wah
rend ihrer Rückkehr vom Sübpol im Fe
bruar und März 1912 den Tod fanden.
Unbeugsam ihrem Ziele zugewendet an
erschüttcrlich im Mute entschlossen, in
der Ertragung ihres beispiellosen Mißge
chickes verloren sie ihr Leben im ant
arktischen Eise. Die Erinnerung an
hren Tod aber bleibt ein unveraekliches
Monument."
.
Ein Antikcnfunv in Lyrakus. TaZ
griechische Theater in Syrakus ist in seiner
wesentlichen Bausorm sehr gut erhalten.
0 daß man m den letzten Jahren sogar
in ihm ohne besondere Schwierigkeiten
Vorstellungen antiker Stücke hat geben kön
nm. Bon dem plastischen chmun itt
Gebäudes und seinen dekorativen Bestand
teilen überhaupt war Kdoch nichts oder nur
sehr Dürftiges bekannt. Daher wird mit
großer Genugtuung von den Altertums
forfchern ein Fund begrüßt, der in den
letzten Apriltagen bei Räumungsarbeiten in
bem Abzugskanal unter der Bühne ; nb
dem Orchester gemacht würbe; man faid
daselbst den sehr schönen Oberkörper einer
Karyatide aus der hellenistischen Zeit.
Lnglijche Il'ujss.
von Georg Alttnch.
Die erdrückende Gewalt Englands über
die anderen Böller zu brechen, muß
nach all ben vielfachen Erfahrungen, 1 ie
wir gemacht haben für uns ein wesent
ticheS Ziel bes Weltkrieges sein. Ihm sind
wir gerade in der jüngsten Zeit erneut um
ein Erhebliche nähergekommen. Der
Sieg von Kutl,Aniara hat dem britischen
Ansehen im Orient, das schon durch das
verunglückte Tardanellen-Äveiiteuer er
schüttelt war, einen weiteren Stoß versetzt;
auch am Suezkanal geht's nicht nach Eng
land Wunsch; seine Truppen haben vori
eine Schlappe erlitte, bie man in Lon
bon sorgenvoll erörtert. Zur gleichen Zeit
hat der aus Verzweiflung geborene Auf
staub ber Irland unb seine blutige Un
terbrllclunq ber Welt gezeigt, wie es um
das Selbsibestimmiingsrecht und da? Glück
der EiaatöangchorigkN innerhalb der
Grenzen von Großbritannien bestellt ist.
Die brutale Vergewaltigung, die mehr oder
weniger wehrlose neutrale Staaten ducck
den Bicrverband erfahren, namentlich
Griechenlands schwere Nöte, vervollstandt
gen das Bild der Freiheit, bie ber Welt
von ber britisch-franzosisch-rufflschen Ber
brllberung her winkt, wenn sie nach ihrem
Willen schalten und walten könnte. Die
für England selbst folgenschwerste Ent
fcheidung bieser Tage aber ist bie Zuwen
dung zum verhaßten .Militarismus", die
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Sie erkennt man jetzt als bas Gebot der
Stiinbe. nachbem man vor einunbzmanzlz
Monaten ruhmrebig erklärt hatte, baß es
für England einerlei sei, ob es am Welt
krieg gegen Deutschlanb teilnehme ober
nicht. Möglich, a wahrscheinlich zwar,
daß diese Wehrpflichteinfllhiung olle an
deren ernster nehmen, als die Briten selbst.
Ihren Staatsmännern zum mindesten gilt
fit in erster Linie nur als ein neues Mit
tcl, den gesunkenen Mut der Ententege
offen zu heben. Tort die Russen in Mar
seille hier die englische Wehrpflicht.
Beides ist gleichen Ursprunges: Man will
sich und die anderen tauschen.
In bicfe Kategorie von Maßnahmen
gehört ja auch der englische Gebanke bes
Wirtschastekrleges. ber von ben zetzigen
Verfechtern der .Zivilisation" gemeinsam
gegen bie Gruppe der Mittelmächte im
Fricben weitergeführt werben foll. Selten
ist ein Plan ungereimter gewesen, wie bie
ser. Die Einheitlichkeit des europäischen
Wirtschaftslebens, die sich in jahrtausend
langer Gewöhnung entwickelt hat nd
feingliedrig ausgestaltet worden ist, wollen
die Machthaber der Entente kurzerhand be
seifigen.' Die Wirtschaftskonkurrenz in
Paris soll die Vorarbeiten dafür leisten.
Nun, gleichviel, wozu sie gelangen wird,
wir können ihren Entschließungen mit
kaltblütiger Ruhe entgegensehen.
Von Anfanc!- laa es klar zutage, daß
England mit seinem ewigen Handelskriege
gegen Mitteleuropa nur in ,e,ne eigene
Tasche wirtschaften .. will. Sem Plan,
Deutschlands staatliche und gewerbliche
Macht durch den Krieg zu vernichten, ist
gründlich mißglückt. Deshalb foll - der
Hanbelskrieg im Frieden das vollenden,
was durch den Kampf mit den Waffen
nicht zu erreickien war und ist. Teutsch-
land soll als Wä!bcwerl,r gegen England
dadurch beseitigt werben, baß man es o '
politisch isoliert. Dann können die engli
schen Waren überall zu den Preisen, die
London vorschreibt, abgesetzt werden. Und
all die anderen werden sich's ruhig gefal
lcn lassen? Scbon jetzt im Kriege lernen
Frankreich und Italien Englands Unkigen
nutzialeit zur Genüge kennen. Damit die
britischen Bergwerksbesitzer und. Reeder
die Kriegskonjunktur voll genießen 5ön
nen, haben jene romanischen Verbündeten
Phantasiepreise für englische Kohle onzu
legen; und vieles, was sie dringend brau
chen, fehlt ihnen überhaupt. Kein. Land
kann ihnen vollen Ersatz für die Waren
liefern, die sie im Frieden von Teutsch
land erhielten. Was wijrde ferner aus
einem von Teutschland abgesperrten Ruß
land? Wohin foll daS Zarenreich mit fci
ncm eigentlichen Exportartikel, dem Ge
treibe, wenn ihm Deutschland verschlossen
bleibt? Und was würde es den Russen
nützen, von England dieselben Maschinen
und Geräte teuer zu beziehen, die ihnen
Teutschland billig lieferte? Wir wüßten
nicht, was Englands jetzige Freunde für
ein Interesse an einem ewigen Kriegszu
stand' mit den Mittelmächte.,, an einer
Monopolisierung deS Welthandels durch
Großbritannien haben könnten. Sie wer
den mit Nichten die Kosten von Englands
Unfähigkeit, dem deutschen Handel die
Spitze zu bieten, trogen wollen.
Unleugbar Tatsachen sprechen für dhfc
Unfähigkeit. Was hat England seit
Kriegsausbruch nicht alles gegen Teutsch
lands Handel unternommen! Absperrung
der Teutschen vom überseeischen Verkehr,
Pateniraub und Tiebstahl sonstiger Ge
schäsisaeheimnisse, schamlose Eingriffe in
die, völkerrechtlich geschützten Rechte der
Privaten, nichts blieb unversucht und un
getan; staatliche Unterstützung wurde für
die Schaffung von Jnbustrien. die
Teutschlands Fabrikate ersetzen sollten, in
Aussicht gestellt und bewilligt. Doch der
Erfolg all solcher verzweifelten Anstren
aunge'n blieb gleich null. Man betrachte
Englands Exportziffern vor dem Kriegt
und jetzt. Seine Ausfuhr stellte sich in
den (ganzen) Jahren auf:
Ausfuhr englischer Waren km Jahre
1913: 525,245,000 Lftrl. Im Jahre 1914
4,30,721,000 Lftrl. Im Jahre 1915
384,647,000 Lftrl. Wiederausfuhr frem
der Waren 191!?: 1M.575.000 Lstrl. 1S14:
95,474,000 Lstrl. 1915: 538,797,000
Lstrl.
Das volle Kriegsjahr 191?. In welchem
Deutschland gänzlich aus dem Wettbewerb
Uebersee ausgeschaltet war, hat der AuL
fuhr englischer Waren nicht nur keinen
Vorteil, sondern sogar einen Ausfall von
2870 Millionen Mark gegenüber dem
letzten Jriedensiahr 1913 gebracht l Brlngt
man davon selbst dic 870 Millicnen N!ark
in Abzug, die England im Jahre 1933
nach Deutschland an Ware lieferte, so
verbleibt noch immer daS ungsheurr Deji
zit von 2 Milliarden Mark. Seine De
beutung wächst noch dadurch, bah der Wert
vieler Waren sich im Kriege stark erhöht
hat. An der Menge gemessen, ist der Rück
gang der britischen Warenoussuhr also
erheblich starker, als unsere Vergleiche er
kennen lassen.
Doch noch viel schlimmer als das. ist
für England die rllbliche Erfahrung,
daß sich die Bereinigten Staaten und Ja
psn die europäischen Verwicklung zunutze
machen. Amerikanische und japanische
Waren haben ihre Absatzgebiet mit je'.em
neuen Kriegsmonat erweitert. Nicht ge
nug damit, daß Amerika durch KricgSlic
feiung an die Entente dieser ungeheure
Summen abnimmt, gräbt es dem engli
schen Handel in Südamerika und Ostasien
ja, in den britischen Kolonien selbst, den
Boden ab. Und Japan? Nun. seine Wa
ren dringen in Australien, Jnd,en, China
mehr al ic ein ! England züchtet sich so,
in schier unbegreiflicher Kurzsichtigkeit, in
der großen Republik jenseits des Ätlanti
schen Ozeans und in dem sicstatifchcn
Kaiserreiche zvci Konkurrenten, die ihm
viel gefährlicher zu werden drohen, als eS
Deutschland jemals wce. Werden sich dicse
beiden (jetzt zwar mit England befreunde
ten) Staaten etwa nach dem Weltkriege,
freiwillig dem englischen Welthanbelsmo
nopol-Gcbankcn unterweisen?
Um so weniger werben sie es, all
dos hoffen wir nicht nur, fonbern w se
hen es mit Gewißheit voraus die Stoß
kraft bei deutschen Handels solch gckün
steiles Gebäude über den Hausen werfen
müßte. Teutschlands Volkswirtschaft
gleicht heute einem gefesselten Riesen. Der
Krieg zieht ihr überall hemmende Sckiran
ken. Aber er gibt ihr auch eine unabseh
bare Fülle der wertvollsten Lehren. Unsere
Industrie hat nicht nur tn technischer Hin
sicht. sondern auch In bczug auf die Lr
ganisation viel aus den Kriegszeiten, aus
den Erfahrungen dieses ungeheuerlichen
Ringens gelernt. Und wie sie ihre Frie
densproduktion, wo es nur immer anging,
entschlossen auf die Herstellung von
KriegZbedarf umstellte, fo trifft sie jetzt
bereits Vorkehrungen für die Zeit nach
dem Kriege. Daß sie dabei die Wirt
schaftskriegsplänc unserer &i'H sei
Tank sehr redseligen Feinde tn idre
Berechnungen einstellt, ist sclsiverständ
lich. So beugt sie unliebsamen Ucberrc.
schungen vor. Der Unterschied zwischen
dem "deutschen Wesen und dem der uns
feindlichen Koalition zeigt sich auch hierbei.
Während bort die zerstörenden Tcnbcnzen
allein zu Worte kommen, sinb es bei uns
schon jetzt bic deS Au! und Aufbaues, die
sich Geltung verschaffen. In besonders
kennzeichnender Weife treten sie bei der E"
welteruna der Jntcressengemein chan tn
der chemischen Großindustrie hervor. Zwei
große Dreiverbände ad es bisher in ut
fer Industrie. Den eine. bildeten die Ja
difche Anilin und Sodasabnk, die yar
benfabrilcn vorm. Jricbr. Bayer & (0.
unb die Akt.-Ges. für ÄNiliNsabrikakion
in Berlin, den anderen die Farbwcrke
vorm. Meister. Lucius & Brüning in
Höchst a. M.. die Firma Leopold Cassella
& Co., G. rn. b. H., in Frankfurt a. M.
und die Akt.e)es.Kalle & Co. in Biebrich.
Jede dieser Gruppen ist bereits seit 1904
durch Interessengemeinschaft verbunden.
Nunmehr wollen sie sich zu gemeinsamem
Handeln enger verbrüdern. Außerdem
treten ihnen die Chemischen Fabriken Wei
ler-ter-chen rn Uerdingen bei. So entsteht
eine Gruppe, die über eigene Kapitalien
von etwa 400 Millionen Mar! verfügt.
Als ihr Ziel bezeichnet sie die gemeinsame
Bekämpfung der feindlichen onturrenz
beprebungen; die Leistungen de deutschen
Werke sollen durch den Zusammenschlug
derart gesteigert werden, daß sie in Be
fchaffcndeit und in Preisen den Kunden
Vorteilt bieten, die ihnen von keiner an
deren Seite geboten werb:n können . Aus
anderen Gebieten, so in der Schiffahrt
und in der Montanindustrie, zeic.en
die Ansätze zu ähnlicher Zusammenfassung
der Kräste. Während unsere Feinde 'n
vielköpfigen Konferenzen am Seinestranb
.über die Ausschaltung Deutschlands aus
dem Welthandel beraten, vollziehen sich be,
uns wohldurchdachte Vorbereitungen für
die Zeit noch dem Kriege. Deutsche Tat
kraft und deutsche Wissenschaft hab.n sie
zur Grundlage. Auf sie können wir u,,S
verlassen. Gönnen wir den Feinden die
billige Freude an immer neuen Bluffs l !
MjstscyeFuje.
Professor Theodor Wirt, der Marbur
er Philologe widmet in den .Prcußi
schen Jahrbüchern" der LauS im Altertum
eine Betrachtung. In der Biographie, die
das Altertum Homer andichtete, lesen
wir: Der Dichter der Jliade, der weithin
Griechenland durchquert, findet am Mee
resstrand Fischersleute und läßt sich in
ihrer Gesellschaft nieder. Da kommen die
Söhne der Fischer vom Meer, steigen aus
den Booten, ober vhne Beute, und geben
nun das Rätsel auf: .Was wir nicht fin
gen, ist bei uns; nicht bei uns ist, was
wir fingen." Selbst ein Geist wie Homer
löst dieses Rätsel nicht, denn er ist ,u
erhaben für solche Dinge. Plato kannte
die LauS gut, und im .Sophisten", wo
er über verschiedene Künste handelt, stellt
er einmal auch mit der Kunst der Stra
tegie und der Jagd die Kunst deS Lause
fangenS zusammen; neben der Strategie
und Thereutik steht also, von .Phtheir"
die Laus abgeleitet, die Phiheir, til.
Den Schluß aus Birts umfassenden Fest-
stcllungen bildet die Erinnerung, daß
Sulla an der entsetzlichen Krankheit der
Phtheiriasis starb. Es waren Geschwüre,
bei deren Ausbrechcn sich Gewürm bildete,
da! man in naiver Unkenntnis für Läufe
hielt.
Der semeine Mann ist interessant
nicht durch dos. was er sagt, fondern wie
er es sagt, wie er dabei blickt, lacht und
sich gebärdet. Er läßt seine Affekte fchie
ken, in scm Inneres blicken und macht
den Eindruck der Wahrhaftigkeit.
Aas lehle Aelen.
Von Schalom Asch.
Drei Tagt haben sie gewartet, gemeint,
Gott werde ein Wunder tun und die
schreckliche Beifügung werde verschwinden;
sie haben Nichts getan und tn zur letzten
Minute gewartet.
Zwei Tage, nachdem der Äabbiner ge
hängt worden war, hatte der russische
Kommandant den Gemeindevorsteher Be
rechja und Oscr Chassid kommen lassen
und ihnen gesagt: nach drei Tagen dürfe
sich kein Jude mehr in der Stadt befinden.
Das verstanden sie nicht, denn sie konnten
sich nicht vorstellen, daß die Juden einer
ganzcn Stadt mit Wcibcrn und Kindern,
mit Kranken und Alten, die nicht mehr
imstande waren, allein zu gehen, die Stadt
verlassen sollten. Wohin sollte man auch
gehen? Und was würde mit ihren Häu
sein werben, mit ihrer Haie, mit bcr
Synagoge, bem Lchrhause, bem Friedhofe
und allem anderen? Sie bachten, man
wolle sie nur erschrecken, unb sie waren
auch erschrocken. Mit klopfenbem Herzen
wartete das Städtchen auf sie. Eine An
zähl Männer stand am Brunnen auf dem
Marktplätze..
Juden, es steht nicht gut!" rief einer
von diesen, als er die beiden mit flattern
ben Röcken unb zitternden Stirnlockcn lau
fen sah.
.Er befiehlt unk zu gehen,' sprach der
Gemeindevorsteher voll Schrecks.
.Was?!'
.Mit Weib und Kindern, mit Kranken
und Alten, hinaus! Nach drei Tagen soll
keiner mehr hier sein."
Die Leute schwiegen; mit Gesenkten
Köpfen gingen sie auseinander, und schon
nach einer Minute wußte die ganze Stadt
von dem Unglück. Keiner aber glaubte,
daß es ernst gemeint sei; alle hielten da
für, man wolle sie nur erschrecken. Sie
hatten wohl gehört, daß dergleichen im
Innern von Rußland vorkomme, wo Ju
den nicht wohnen dürfen: von dort schickt
man Juden weg. welche dorthin kommen
Aber ihr Städtchen, wo Juden feit llr
zeiten wohnen und einen uralten Friebhof
haben mit gemauerten Stübchen" auf den
Gräbern aller .guten Juden" (chassidischen
Wunderrabbis), wehin unzahlige Juden
zum Beten kommen dessen Einwohner
sollte man am hellen lichten Tage aus
treiben? Und was würde werden mit dcn
Häusern und Läden, mit der Synagoge
und dem Lehrhause, mit den Gräbern der
Eltern und der Wunderrabbic! Ihr:
Hände fingen Nicht an zusammenzupacken,
Was sollten sie packen? Bettzeug. Wäsche,
Kleider? Wenn das Wertvollste, die Stadt
mit dcn Häuscrn, zurückbliebe? So liefen
sie nur herum und dachten nach, was man
tun könne.
In die Gouvernemenisstadt zum Gou
verneur fahren konnten sie nicht; denn da
zu war eine Erlaubnis nötig, und die er
hielten sie nicht. So entschloß man sich zu
einem Telegramm. Man versammelte sich
im Haufe des Rabbiners bei der Witwe,
und Leiser, der Bittschriftenvcrfasser, der
etwas Russisch konnte, schrieb das Tel:
gramm. Alle Juden, die herumstanden,
diktierten; einer sagte, man solle furchtlos
alles aufschreiben, was die Juden jetzt
fühlen, und nicht auf die Kosten sehen,
die das machen könne.
Das Telegramm war lang und rüh
rend und enthielt alles, was die Juben
seit dem Anfang d:S Krieges erlebt hat
ten: Weöhalb man sie verjage? Weshalb
man ihren Rabbiner gehängt habe? Sie
seien dem Kaiser treu und bereit, für ihn
zu sterben. Sie baten den Gouverneur,
der .stets ein Vater für sie gewesen" sei,
er möge sich ihrer annehmen. Tas Tele
gramm wurde zur Post getragen. Alle
Juden gingen mit. Der Postbeamte las es
und lachte. Dann rief er die anderen Be
amtcn zusammen. Diese lasen es ganz
laut und lachten über Leisers schlechte!
Russisch und darüber, daß die Juden den
Kommandanten beim Gouverneur anzei
gen wollten. Schließlich gab man eS den
Juden zurück. Man Ion es nicht ab
schicken. .
.Warum nicht?"
Der Kommandant muß eö unter
schreiben."
Zum Kommandanten sind sie natürlich
nicht gegeikigen. Etliche Juden gingen zu
dem katholischen Geistlichen, andere hatten
einen vornehmen nichtjlldischen Bekannten;
beide aber erklärten, nichts tun zu können.
Nun wurde ein Fasten angeordnet, und
die Juden beteten Psalmen und liefen
auf dcn Friedhof zum Grabt deS Nabbi
ners. Aber gepackt haben sie nicht, denn die
Hände waren kraftlos. Und sie warteten
bis zur letzten Minute. Vielleicht wird
noch ein Wunder geschehen. Die Männer
liefen wie Irrsinnige umher. Was wird
morgen fein? Die Frauen weinten, die
christlichen Nachbarinnen weinten mit.
Aber der Arzt und der Ingenieur gingen
bei den Polen umher, und plötzlich er
schienen Polen, die biS dahin Lastträger.
Trunkenbolde oder Gelegenheitsdicbe ge
westn waren, und schlugen den Juden
vor: sie sollten ihre Geschäfte und Häuser
verkaufen, der Doktor und der Ingenieur
würden zahlen. Die Juden jedoch wollten
davon nichts hören; sie warteten immer
noch auf ein Wunder.
Der letzte Tag war ein Freitag. Die
Juden hatten schon keinen Sinn mehr für
den Sabbat; sie wußten überhaupt nicht,
was für ein Tag es war. Gepackt ober
haben sie immer noch nicht: sie warteten.
Plötzlich entstand ein Schrecken. Gegen
den Nachmittag zeigten sich Soldaten,
gingen in jüdische Häuser und. fingen an,
Hausgeiät und Bettzeug ouf tn Markt
zu tragen und die Juden ebendorthin zu
treiben. Als die Juden das wahrnahmen,
erhob sich ein großes Wehklagen. Dic
Frauen suchten die Kinder; Mütter fchrien
laut: .Wo ist mein Kind? Josele ist nicht
da!" Aber niemand hatte mehr Zeit, ouf
ihr Gemein zu achten. Jeder begab sich in
sein eigenes Heim und begann zu packen.
Aber die Hände wollten sich nicht heben.
Man wußte nicht, waS zuerst zu packen
sei; Schränke, Kommoden oder Bettzeug?
Und wie bei einer Feueribrunst hat rn
Jude ans dem Schrank Frauenkleider und
ein paar Stücke Wäsche glissen und ist
damit auf den Markt gegangen. Ein an
derer hat zwei Mcssingleuchler und einen
Mörser gehalten, gemeint, daß da sein
wertvollster Besitz sei. Knaben haben
Bücher geschleppt; einen Wilnae! gebundc.
nen Talmud. Tort haben zwei Juden et
Bett getragen. In be in ein alter kranker
Mann mit weit geöffneten Augen lag:
baS war Rabbi Aaron Lob Tajjan (Mit
glicd de Rabbinatökollegiumk), tiner von
den 30 ganz Frommen, der schon 20
Johre lag und die heilige Toia lernte.
Ein Knabe führte den alten blinden
Großvater und setzte ihn aus ein Pack
Sachen mitten auf dem Markt; der Alte
tappte mit dem Stock um sich hcrum.
ohne z wissen, wo er war. und redete
etwas, in der Meinung, jemand höre ihn:
aber nicmanb hörte ihn, beim alle waren
mit sich selbst beschäftigt. .
Die Erschrockenheit würbe immer grö
her, würbe einer Fcucrsbruns! gleich; denn
die Soldaten sagten, die Juden müßten
sich beeilen. Zuletzt ließen bit Juben al
lcs zurück, nahmen nur ihre Kmber und
liefen mit ihnen nach dem Markte. Jede
Kind hielt ein Packet tn ber Hanb: die
einen mit Pentaleuchen, Gebetbüchern und
anberen Büchern, die ihnen als wertvoll
st Besitz d,'r Eltern galten; die anderen
mit Bettzeug unb Wäsche. Die Weider
wußten schon gar nicht mehr, waS mit
ihnen war: sie liefen fortwährenb umher,
ihre Kinder suchend, die sie doch on der
Hand ober an ihrer Schürze hatten. Am
ruhigsten waren bic alten Männer und
bie jungen Mubchen: letztere packten still
Wäsche und Kleider und trugen sie aus
bcn Markt; die Vater aber verschlossen
die Türen und Fenster in den Häuser
und Läden, ließen allcS, waS nicht mit,
genommen werden konnte, und ginge
dann auch auf ben Mails.
Nach einer Stunde war der ganzr
!' arkt mit Juden gefüllt: ein und:
schreibliches Durchcinanbek. Sonst war d
auf den Straßen still; nur bie und da
standen etliche Nichtjuden und lachten.
Es war ein schöner, sonniger Nachmit
tag. Dic Sonne schien noch herrlicher al
sonst, mit einem fröhlichen Freitagsglann.
um die Zeit, wann dic Juden zu Ebren
bcs Sabbats zum Babcn gehen; sie wußt:
nicht, daß Krieg auf der Welt ist und
man die Juden aus der Stadt bcrtreibt.
Das große goldene Kreuz glühte in der
Sonne. 1 als ob es Blut wäre und de
Himmel erschrecken wollte. Um die Stasi
aber dehnten sich grüne Felder und blü
hende Baumgärtcn. Das große goldene
Kreuz glüht.' in der Sonne, als ob ck
Blut wäre und den Himmel erschrecken
wollte. Um die Stadt aber behnten sich
henbe Baumgärtcn. Jebes Blättchen und
Blütchen badete sich in der Herrlichkeit der
Sonne. .BlleS aber schien die jübischen
Kinbcr zu höhnen: .Wir stehen, wir Bin
ben; ihr aber müßt fort." ? - - - '
Und damals gcfchsh es. Als alle Ju
den auf dcn Markt zusamtnengetrieben
waren, erinnerten sich einige alte Fami
licnväter an dic alte .Schuhi" (Synagoge)
an die Gesetzesrollen. Einzeln, ohne ic
gendeine Verabredung, kamen sie zur
Synagoge: sie war schon geöffnet; der
Diener stand vor der heiligen Lade und
hatte die Gesetzesrollen herausgenommen
und in Gebetmäntcl gehüllt.
Still traten die alten Juden in da?
alte Haus, ohne ein Wort zu reden. Je
der nahm eine Gcsetzesrolle auf den Arm.
Zehn alte Juden waren es mit zehn Ge
sctzesrollcn. Als sie mit diesen auS der
?,nnn k!n'I?.,fkn hlnfti.tt kiilj,
u.iu.w
sie auf die Wände, und es schien ihnen,
als ob die Wände mit den Jnsckiriftcn
in der heiligen Sprache ihnen Nachschau
ten, a!S ob sie reden wollten. Einen
Augenblick blieben die Juden mit den
Gesetzesrollen stehen. Da sagte der alte
Diener:
ES scheint, cm Minjan!"
Ja, ein Minjan," antworteten die
Juden.
.Laßt uns zum letzten Male da!
Nachmittasgebet sprechen."
Zum letzten Male!"
Mit den Gesttzesrollen auf dem Arm
stellten sie sich hin. Aber das Nachmit
tagsgebet haben sie nicht gebetet. Der
alte Diener hat das Psalmenbuch geösf
net und das letzte Gebe! gesprochen
(Psalm 69):
Gott hilf mir, denn daS Wasser geht
mir bis an die Scclc!"
Und die Wände haben miigewesnt. ,
Ein russischer Lehrstnhl in Sheffield.
Wie die .Mornina Post' schreibt, bat
die englische Reaicruna in Uebereinstim
mung mit der russischen Unterrichtsverwal
tung velchlossen, vom kommenden Herbst
an einen I'ebrftufck für tuffif thf4i
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IltiS (UpfriiAi hu. Ait.m ft.iVvs .? .
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IN yessicio zu.erricyien. Man ya; tsyes
kield und ttirlif fthn Pnnhnn für Viifit
ersten russischen Lehrstuhl in England ge
wählt, weil die Einführung de Russischen
in den Lchrplan der englischen Universi
täten mit der seit einiger Zeit besonders
enrig oenlkvenen yanocispotitischen An
näberuna beider k?,tntn im Quinrnrnm
hange ficht, und es der englischen Regie
rung oayer in erircr x.mt noimenoig er
schien, fcie CSBfmf der n?stb!nd,!?N
Kreise deS LandeS mit der Kenntnis der
ruiiqen praa)e uns iyrer iueryalinistt
bekannt u machen. Nach k!?m Nrkili,
ist für Nußland die Errichtung eines eng
i:rj..- t . n..t .. et t - r M . f
Ulmen eur,iuuies gepiani. voq oll oiezer
Gedanke eist nach dem Kriege tut Wa
führung gelangen. Denn da auS man
cherie, Gründen nur eine westrussische Uni
veksltät in Betrncht kommen fnnn Mi.
stcn aber von deutschen Truppen besetzt ist.
,0 ouior oorers! oie urricylung eme eng
lischen Lkbrstllkles in ffhiftsnnh fcn fci
Engländer am liebsten in Warschau ode?
Wilna sähen, ein frommer Wunsch.
Lachen lernt man nicht, Lachen verlernt
man nur.