Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, June 17, 1916, Image 3

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    Tägliche Omah, ktliünt .
Der Fliegerangriff.
von Aarl $v. Z?owak.
2 1 i e st , Cslan 101 'J.
Nachmittagsschlaf übet der ganze,,
Ctabt. Tot ließt die lay,ix OSuiitDe, mit
leten, motten Fenster ba 'UMiilcipio.
RegungSloL aus bm Glmscii darüber, mit
Verschlafenen ftliialn unb einnniifitai
Köpfen, ein Schwärm önti Tauben, nn
deren Fütterung ut stllni einet beult,
Foul an die Glastür gclrhnt, schlaft
drüben bet Barbirr Im G testen, Manch
mal, wenn von bet UJiafe her, don ba
See het,' bie dennoch keine Meile träufelt,
(iit laset Wmdituch foiuiiit, jiiiiut uu
merklich bie Fächer bet Palmen, die da
grllnk Blumenboetclt umrahmen. Ni.'
mand an den Kaffeehaufitifchen vor ben
Atkaben. Ab und zu bleierne, Tropfen
n bet Glitle bie hallenden Schläge bet
Rathausuhr. Bot bcn Spiegelscheiben
bet Alltistellung noch immet da kleine
Fräulein. Alö hätte sie sich seil gestern
und hnr.vsfrn nrrfif hnn hi-r Citüt nn
kühlt.
Wa! für eine Ausstellung. Gigno
tino?"
Bilbet, Gignote, Bilder von Tricsicr
Künstlern."
Eine Rnnbe burch den kühlen Nanm.
Hasenbilbet und bie ssischhalle. wie sie in
trieben war, Goldschmicdearbeitcn und
Miniaturen, bann, miedet das Modell zu
einem Denkmal aus Doberd. Nirgend
diel Schwung, nirgend viel Ku'nsllcrschast,
vom Süden kein heifzct ffarbenslrich.
Aber die Eignorina ist siebenjährig, iht
Augen sind voll Fröhlichkeit und Ueber
mut, helle ttlockkn, schwingen in ihrer
Glimme. Sicherlich ist sie froh, bah sie
Mit irgend jemand sprechen kann sie
Plaudert und sie plappert: Lange war ich,
biZ vot 14 Tagen, gat nicht weit vom
Plateau ... In einem kleinen Dorf hin
'.rt Toberbo: Bei meinet Tante . . . O,
das wat ein Lärm ben ganzen Tag und
jede Nacht. Und so schön war das. Gig
nora, und so lustig
Jählings steht, wie stc's ausspricht, in
meinet Erinnerung eine galizische Land
schüft. Balbina kommt mir wieder in den
Gin: vot einem Jahr war's im Mai,
mitten im Botmarsch zu Blazowa tn &a
lizien. Mt kamen rechts ins Torf hin
ein, links liefen die Russen noch zum Dorf
hinaus. Buch Balbina war sicbzehnzah
ng, auch in ihrem Sümmchen waren
helle, jubelnde Kinderglocken auch sie
hatte es damals so geschildert, mit bli
senden Augen, froh und voll Uebermut:
Und dann kamen unsere Soldaten bort
iiber die Hügel. Es wurde geschossen,
immer nur geschossen , . . Und das war
ss schön, wie unsere Soldaten kamen,
mit dem ganzen Lärm, ben ganzen Tag
und bie ganze Nacht, so schon unb so
lustig ' Die alten Männer, bie zu
Hause bl'.iben müssen am Rande deZ
Krieges, die Alten in unmittelbarer Kano
nennähe sind alle wortarm und fast ge
druckt im Blick. Die Frauen haben kein
Lachen in den Städten, deren Hauset un
tetm Geschützkampf beben. Abkt in ben
jungen Mädchen hat bet Krieg an bie
Heiterkeit nicht tasten können. Ueberall
ist ihnen da! Lachen, spät im Kriege noch
in Zutrauen und ein Rausch geblieben.
Sie denken nicht an Sterben. Sie
blühen weiter, wie die Blumen blühen,
darußen auf den Feldern, übet die die
Granaten sausen. Und schimmern und
leuchten: auch wenn die Haubitzen dröh
nen.
.Fürchten Sie sich, denn gar nicht, Sig
noriita?"
Die Tut wird aufgerissen. ' Verwor
reneS tönt herein. Irgend etwas ist auf
ebrocken in der Stadt. Bia . . . Via
... Sie kommen! Eins zwei drei
Captoni ..."
Plötzlich ist die ganze Stadt aus dem
Schlaf gerüttelt. Ein wildeS Rollen,
Knallen und Tonnern hebt an, schwillt
in, zwei Augenblicken zu hundertsiimmi
gein Chot und fegt auch schon in klirren,
den Scherben die ganze unwahre Stille
vot sich her, von der man jetzt erst spürt,
wie sehr sie nur ein Lauern, ein Horchen
und Warten hiutet geladenen Geschützen
wat. Det Schrei der Abwehrbattericn
iiberrast plötzlich die Stadt aus allea
Richtungen. Sekundenschnell fallen die
Schläge, sie fallen ineinander, sie jagen
hintereinander her, nur die Maschinen
qewehre sind manchmal noch aus dem Gc
stach herauszuhören als unsichtbare,
tönende Schnüre, aber doch unwillkürlich
als Schnur empfunden. Sie springen,
sie knirschen und zischen quer in die Luft:
Ritt . . . rt . . . tr . . . Ra . . . Rrrrrt
... Und wieder ein neuer Klang in dem
plötzlich losgelassenen Chaos, gläsern und
schrill. Aha: die ersten Schrapnelle . . .
, Sie sind jetzt alle auS den Häusern ge
rannt. Sie sind alle toll und verrückt,
sie hocken nicht hinter Tür und Tot, in
bombenfesten Kellern t nein: sie steigen
auf die Stühle vor dem dose Spccci".
Det, Barbier ist auch aufgewacht und
sucht, die Hand vot den Augen, den Him
mcl ab. ' Es wimmelt auf der Piazza
Gtande seit einer Minute von Menschen.
Es ist wunderlich, wie die Tauben er
schreckt von den Simsen aufgefahren
sind, wie sie unsicher flattern und schwe
ben, wie sie auf einmal nicht wissen, wo
hin, ratlos in dem Höllenlärm. Sie wol
leu zum Platz hinab und es sieht aus, als
fielen sie alle von den Simsen herunter,
in einer schiefen, verworrenen Kette. Und
auf einmal ist auch die Bewegung der
Menge auf det Piazza. die Furcht und
Flucht det Menschen genau so, wie die tat
lose TaubenkeHc. Denn es gibt nichts
meht zu lachen. Die Neugier wird Anflst,
denn oben hoch oben sind schon die ersten
Flieget da. Langsam schweben sie, sehr
gemessen und unbeirrt, vom Meer her
iioer die Stadt, zwei große, fchmete.
schwarze Döc,el, hinter denen die Sonne
steht, dunkle Raubslieget von aufreizender
Gelassenheit, die ruhig sich die Opfer wäh
len. Durch die Menschen peitscht ein un
sichtbarer Sturm. Sie schäumen h grö
len Bogen rechts und links, wie Wellen
unterm Wind in krausen, schnellen Linie
über ben Secspicgel flüchten, sie schäumen
im den Uferbord der Hauset zurück. Aus
dem ffliegerpaat abet sind v!et Flieget,
siild sechs Flieget geworden. Sie kom
men von drei Seiten, jetzt sind sie alle da,
genau Über det Stadt.
Da Schieben und Böllern, die Ab
wehrgrschiitze und die Maschinengewehre
sind endlich ein atemloses Fauchen, ein
Poltern und Krachen ohne Sekunden
Unterbrechung geworden. Das Echo aus
rcm Meer haut wie aus eine große Trom
mel drein, dann kollert und rollt es tsstch
das Winkclwerk dct Straßen, das, die
F.'nstct klirren. Lbcrlaut. wie durch einen
Holzlraui.
Die Menschen steigen nur mehr auf die
Stühle dicht a der Kafsechauswand.
Viele renne in die offenen Tore, rennen
in Panik davon, ober im nächsten Augen
blick kommen sie doch wieder zurück: Wo
sind die großen schwarzen Böget? Ge
rade iiber uns? Oder schon darüber hin
loen,? Die Neugier treibt sie aufs neut,
läßt sie immer wieder stärket kreiseln olä
die Furcht. Mitten auf dem Platz allein
ein altes Weib. Stumm steht es da,
starrt wie versteinert zu ben schwarzen
Untieren empor. Bor den Arkaden spannt
ein Heer Im Äehrock seinen Regenschirm
auf. Pia lacht. Wegen der Schrapnell
stücke"
Die Beleuchtung ist fahl geworden.
Drüben stchbie Sonne genau so, bah sie
den Abwchrkauonieren, all den Leuten on
den Maschinengewehren in die Augen
fallt, mit einem bleiernen, maltflimmri
gen Glänzen hinter Dunst und Schwelen,
aber stark genug, um nicht in ihren Um
kreis schauen zu können, wo die Flieget
gleiten. Ueber der 'Stadt dichtgcballtc
Wolken, Grau und kalt. Und mitleidlos,
wenn die Flieger zielen wollen.
Auf einmal fallt irgendwo ein schwerer
Schrank herunter. Ein dumpfes Auf
schlagen, das am Boden kleben bleibt.
Eine riesige Bücherkiste, die auS den Fu
gen kracht. Jemand krallt sich in meinem
Arm. Halloh? Es ist Pia.
Bombet!" schreit sie auf. Mehr über
rascht als bange, mehr aufgeregt. Und
noch einmal, noch einmal, noch einmal.
Ein Dutzend Bücherkisten gehen rechts und
links, neben unS, hjnter uns aus den Fu
gcn.
Bomba! Bomba? Bomba!' Jetzt
schreien sie es von allen Seiten, und Pia,
zitternd vom Erlebnis: Ecco . . . dort
oben . . . alle sechs!"
Die Schrapnelle besäen den ganzen
Himmel. Oben ist ein Ballett. Rauch
flocken tanzen, Rauchbälle fliegen in der
Luft. Sie wehen als Schleifen und Bän
der, einmal ist's sogar ein großer, weißer,
geometrisch tadelloser Ring: immer näher,
an den schwarzen Flieger ., . . Einmal
will einer tiefer gehen. Da platzen die
Schrapnelle unheimlich nah schleunigst
geht er wieder nach oben. Jawohl, euch
herunterzuholen, mit Abwehrgeschützen
und pfeifenden Maschinengewehren, die
Sonsie obendrein im Gesicht, ist mehr als
schwer. Selten gelingt dies Zufällige.
Aber so sicher, so haarscharf gefährlich
schießen doch unsere Leute, daß ihr gern
dort oben bleibt, 3000 Meter über den!
Dächern! Und ein Kampfflieger steigt
auf. schraubt sich höher und höher. Einer
gegen sechs ... Ein Ticken und Tacken
von oben her. Jetzt beginnt auch unser
Flieger seine Arbeit. Er hat das Gefecht
sofort aufgenommen.
Die sechs Caproni schweben nunmehr
genau über der Piazza Grande. Eine
Windwelle fegt die Menschen auf die an
dere Seite. Das alte Weib auf dem Platz
schrickt, sie setzt sich in Trab. Ein Pins
sein und Knattern. , Schropncllfetzen ha
geln auf den Platz, FUllkugcln kollern und
rollen herum. Ein echter, rechter Gassen-
bub, achtjährig, mir braunem, lustigem
Spitzbubeugesicht, den Glimmstengel im
Mund, einen Korb mit Gipsfiguren in
det Hand, bildhübsch und schmutzig, Sa
vostardenlnabe ohne Salonmalerel. zieh!
endlich die eine Hand aus der. Tasche. Be
ginnt kreuz und quet übet den Platz zu
laufen. Et sammelt Schrapneustucke und
Füllkugeln. Und jetzt sammeln alle Leute.
Klirrr ... Ein Platzregen von Eisen. Ein
Stuck schlägt an einem Telegraphenmast.
Gcspensterhaft ist der Klang: ein zersplit
terndes Glas, scharf und hell und kalt,
nicht zu überhören. Tückisches und uner
wartet. Bon irgendwo her . . . Und die
Symbole haben recht: so rührt er einen
an . . . Ruhevoll steuert ein Auio vurcu
die Streulegel. Ruhevoll und unbelüm
wert. Rundum klirrt es. Aber es ist ,a
nichts . . . Der verwundete Offiziet im
Auto lächelt.
Und dann gleiten die Flieget davon.
Schneller, immer schneller, übers Meer
weg. Und unser Flieger treibt sie: Einer
die sechs . . . Die Stadt aber ist schon
wieder totenstill. Vorbei das Gewitter.
Dreißig Minuten waren sie über Triest.
fünfundzwanzig Bomben warfen sie. Da-
hin und dorthin, in die Salisianerkirche:
fünf Kinber tot, viele blieben mit zersetz
tcn Gliedern.
Wer weiß, wie viele starben." sagt Pia.
Nachdenklich ist sie doch geworden. Aber
wir holen uns bald die Vergeltung." Sie
sperrt den Laden der Ausstellung.
Jetzt geh' ich schnell zur Mama. Sie
hat sicher wieder geweint."
Aus dem Molo San Carlo spähen nocq
mmer ein paar Mensckien in die Weite.
Nichts mehr zu sehen. Die Sonne zer
reißt den Duft und kommt hervor. Und
der Abendkorso beginnt.
Der Anfang der Erziehung fällt
schon in jenen Augenblick, wo das Kind
ans Licl't und mit der umgebenden Welt
in Berührung tritt, und wo die Liebe
pflegend und leitend auf dasselbe wirken
kann.
Die Zögerung beim Ueberlcgen, ob
ein Wunsch zu gcwayren, eine Bitte zu
erfüllen fei, wird häufig durch -den
schein vermehrter Bereitschaft, den
Ueberschwang' der Zusage wettzumachen
und zu massieren gesucht.
Die Erfahrung lehrt, daß burch
Liebe weit mehr ausgerichtet werden kann,
als durch knechtische Furcht und durch
rm
uu
. Prichrt et. trottet fi, ilir ftanoiiitr.
iüeiiei 0i'uet, ui et tonnest, tun r Irrtest,
(colMtriill'o.)
Rank aus dem Stroh. Rauf ans den
Schinder. Waschen und Frühstück sinb
ueverslutz unb Wohlleben. Kultur ich
verlache bich.
.An bie Pserde." .Fertig zum Aus
sitzen." .Ausgesessen." .Batterie zu
einem rechts brecht ob marsch,"
.rechts schmentt marsch." -
Wenn man den Sattel wieder eine
Weile unter sich knirschen hört und der
Säbel leise klirrend an bie Bügel schlägt,
bann kommt wieber Stimmung. Immer
vorwärts. Nur zeigen, wa man gelernt
hat, zeigen, baß man ein Kerl ist. Der
Tag kommt unb für viele wird es
Nacht werden. Finstere, lange Nacht.
Trotzdem ist einem leicht zumute leicht
und sicher. So aufgeblasen das klingen
mag, aber es ist so. Man kennt die Gc
fahr noch nicht. Es dauert ziemlich lauge,
ehe der Soldat das Wesen des Krieges
ganz kennen, lernt, ehe det Schändet
in grellsten und gräßlichsten Farben deut
lich wird. Die Kugeln, die da treffen kön
neu, nun ja 'davon macht sich ein
jeder ein Bild. Aber das andere, das ahnt
noch keiner. Und überhaupt in dem Kriege.
Und die Kugeln. Aber warum soll es
benn gerade dich treffen? Schließlich, mixn
es trifft, gibt es doch viele Aerwundctc.
Warum gleich totgehcn! DaS Totschießen
ist ja eine häßliche Sache. Aber noch lebt
man ja, noch kreist das Blut. Im Augen
blick des Einrückens in die große Schlacht
ist jeder aller Sorge ledig Warum denn
eigentlich? Das Persönliche tritt , scharf
in den Bordergruud, dann bie Span
nung, bie Erregung und der Augenblick.
Das alles nimmt einen so in Anspruch,
baß Gebanken nicht weit fliegen können.
Unb gut, baß eS so ist.
Im fahlen Morgen kommt ein franz'öst
sches Dorf. Die Fensterhöhlcn in ben
Branbruinen grinsen so irmein. Schweine
und Kühe laufen, nach dem Stalle su
chend. auf der Straße umher. Bor einem
zerschossenen Hause sitzt ein Hund, auch
den Trümmern noch treu. Er verkriecht
sich angstlich. Katzen streifen umher.
Das ganze Bild ist so unsagbar traurig.
Tore hängen aus den Angeln schief
und zerbrochen. Det Krieg hat angeklopft
mit hartem Knöchel. Und auf sein Po
chcn sind die Bewohner geflohen sinn
los, planlos und arm ganz gleich wo
hin nur sort. Hausrat liegt aus ver
Straße. Weggeworfen haben die Men
schcn das alles s und es gehörte ihnen doch:
sie hingen daran.
Born ist es Imon lebendig. Es beginnt.
Die Kanonen bellen in der Frühe wie hei
scre Hunde. Noch ein Dorf vielmehr
seine traurigen Trümmer. Vielleicht ein
trafgericht. Oder lag es mitten im
Kampf?
Weiter immer weiter dahin, wo
donnert. Alle Augenblicke schreit es
von hinten: Rechts heran. Autos kom-
men von allen Seiten geiagt. Wagen und
Kolonnen traben. Kavallerie reitet. ,m
mer rechts heran." Ich reite vor die Bat
terie. Am Straßengraben liegt ein To
tcr Ein Franzose. Er ist durch den Leib
geschossen und liegt auf dem Rücken. Im
bloßcir Haar spielt der NIorgcnwind.
bein? Finger haben sich im letzten Kamps
in den Rasen gekrallt. Sein Gesicht ist.
qelb ganz gelb, und weit und starr
stehen seine Augen offen. Der ganze Tote
ist ein Bild der Anklage, das furchtbar
mahnt: Warum? Man müßte so viele
still bei der Hand nehmen und sie einen
Augenblick an den Zoten stellen manch
Unzufriedener würde still werden und zu
frieden, mancher Sinn würde sich'wcnden!
Weiter! An einer Gartenhecke liegt gleich
ein ganzer Haufe. Alles Franzosen. Sie
liegen durcheinander, wirr und bunt. Da
ein blutiges Gesicht, da ein Arm, ein
Stiefel, eine abgeschossene Hand , det
blutige Stumpf ist nach oben gereckt. , Da
zwischen leuchten die roten Hosen und wei
ßen Gamaschen. Schlecht paßt das Bunt
der grellen Uniformen zu den gelbblassen
Gesichtern. Man kann fast kein Mitleid
haben mit den bunt ausgezogenen Leichen."
Die Farben passen nicht zum Ernst des
Todes. Sie sehen so verzweifelt unschön
ans. Denn auch der Tod ist etnst und
schön. Abet die buntbehosten Feinde ha
ben etwas von einem Schauspielet in einet
Komödie an sich. Im ganzen wirkt det
Massentod det bunten Franzosen gräßlich.
Ein Befehl reißt uns aus den Bctrach
tungen. Ein Gefechtsbefehl. Schon saust
der Hauptmann los und erkundet. Wir
halten und warten auf das, was kommen
soll. Das Kanoncnfeuer rollt immer stär
ker. Dazwischen ein unaufhörliches Trom
meln ein Rasen und Ticken Jnfan
tcriefeuer. Deutlich hört man das Tack-Tack-Tack
der Maschinengewehre. Sonst
vergeht jedes Geräusch in dem großen,
wirren und wahnsinnigen Knattern. In
fantcrie zieht nach vorn vorbei im Eil
schritt. Sie rufen uns zu. ,W!r rufen
und winken. Immer feste druff!" Den
armen Kerlen hängt fast die Zunge zum
Hals heraus wet weiß, von wie weit
sie schon kommen. Aber auch die langen,
grauen Schlangen der Bataillone drän
gen vorwärts, über Stock und Stein, alles
mit erhitzten Gesichtern und vorgebeugtem
Kopf. Wie vor uns das Feuer rast! Man
hört kein Knallen mehr, kein Rollen
nur ein einziges Brodeln und Pfeifen. Es
heult und rasselt. Feuer spritzt auf, Flam
men und Rauch. Immer neue Infanterie
kommt; sie biegt von der Straße ab und
marschiert querfeldein. Marschiert nein,
läuft läuft; ein Waldstück nimmt sie
auf. Rechts vor uns in der Luft erscheint
ein kleines Wölkchen noch eins Tioch
eins. Mein Pferd zuckt nervös zufam
men. Schrapnells aber sie tun uns
noch nichts. Da kommt der Meldereiter
von vorn; sein Pferd fchäumt. Endlich
ein Befehl. Und vorwärts geht es. Die
Batterie trabt an, die schweren Gäule pu
sten und schnauben, die Peitschen klatschen.
Der Trab wird immer länger. Zuletzt
Ikht Siiil'nt feilbct eilten ?ilifcfnitt bc
ync .Ic? Jiif(K McfiAl" von Chrrliitt
miiit meniiwi, in nur bei Gcrkard
clalliitfl in CINMtbiitd i'tlitirilim wirk, ' Äon
tii-t Cmtif IrblMtr tti)Cfltri: und nnickaI,cher
ilsrru!ia. die bett äifiiati aiiäüciamcl.
4cuat auch diese Probe.
i
... Die große Macht').
sagt die ganze schwere Batterie Im Stech
trab. Der Teusel ist in alle gefahren.
Selbst der lange Trab artet au, aber ich
bin selbst daran schuld, denn ich jage
vorneweg. Zuletzt ist ein schöner Galopp
da , die Batterie if nicht mehr zu hal
ten, denn der Drang nach vorwärts ist
stärker, als alle andere. Mit Mühe nur
kann man das Rennen kurz vot bet Feuer
stellung verhalten. Wir fahren geschlltz
weise ein. Abprotzen, Es ist eine ver
deckte Randstellnng, Eigentlich für schwere
Artillerie nicht richtig. Bor uns ein gro
ße Haferfeld. Die guten Lehren des
Schießplatzes und der Aucbildung scheinen
vergessen zu sei eine gute, brauchbare
Stelle ist nicht in der Nähe. Eile tut
not. Die Geschütze werden Ins Haser
seid hineingezogen. Die Batterie steht
ohne Deckung frei vor dem Feind. Es ist
eine ungewohnte Sache für unsere Kerls,
Die sind gewöhnt, in dichtem Wald oder
hinter einem Berge zu stehen und zu feu
ein, ohne einen Feind zu sehen und ohne
zu wissen, was vorn am Ziel los ist. Wir
sehen den Feind vor uns, das heißt die
Wälder, in denen er steckt und aus denen
das verderbenbringende Feuer bricht. Die
Schrapuellwolken werden immer häufiger,
sie kommen immer näher mit ihrem
Kfleitßlichen Niesen. Ein paar Infanterie
salven fegen verirrt über uns weg nicht
für uns bestimmt. Die Kanoniere reißen
die Augen auf, aber es wird niemand ge
troffen. .
Endlich kommt ein Kommando durch die
Jernsprechleitung endlkli. Es ist eine
Erlösung, Mit einem Ruck fliegen die Bei
schlusse auf. Die Schrapnells fahren in
die Rohre. Einige Selnnden nur, dann
Erstes Feuer!" Ranch und Feuer
spritzen aus dem langen oyr ei
markerschütternder Knall kurz, abgeris
sen und jäh ! Das Erste" hat das
erlösende Wort gesprochen. Und wie die
Kanoniere arbeiten. Die Kerls hahen
ordentlich Freude. 'Das ist auch eine
Wonne für den Richtkanonier er sieht
seinen Schuß einschlagen. Ein Jauchzen
kommt von den Kanonen. Zweites
Feuer!" Der Schuß klatscht. Hurra
brüllt die Mannschaft. Und dann ein
rollendes Feuer aus den vier Schlünde.
Es ist eine Lust, Soldat zu sein, wenn
es auch barbarisch klingt. Wie die Kerls
arbeiten. Im Aug'nblick folgen die La
fetten jeder Scitenänderung das Hoch
kurbeln der Rohre grenzt an Taschenspie
lerei. Die Gesichter tropfen von hellem
Schweiß die Augen weiten sich
Schuß auf Schuß. .Die Koppel fliegen
auf die Erde. Das Jcucr der Batterie
rollt wie rasend. Kommandos fliegen
scharf in das Gewirr. Der Haufe gehorcht,
niVmand sieht auf. niemand besinnt sich.
Ein Stöhnen geht durch die Reihen
Feuer Feuer Feuer. Wie bas brüllt
unb faucht ohne Pause ohne
Halt ! Man ist bem Wahnsinn näher,
als man glaubt.
Wie lange es so acht! Stundenlang.
Auf einmal stehen rechts und lin! auch
Batterien: erst letzt wird man s gewahr.
Es ist unser ganzes Bataillon, die zweite,
dritte, vierte Batterie. Die ganze lange
Linie ist in Dampf gehüllt. Ob es über-
Haupt noch kracht? Man. weiß es nicht
mehr, man kann sich nicht besinnen, wie es
ist, wenn kein Gebrüll durch die Luft zit
tcrt. Jedes Bewußtsein des eigenen Men
schen. alles, alles ist ausgeschaltet. Drei
Dörfer sieht man brennen die Flamme
rast an einem Kirchturm hinauf. , Rauch
ballt sich und walzt sich zum blauen Him
mel. Feuer, Dampf, Geschrei, Knattern
und Gebrüll. Mechanisch sehe ich durch
das Glas in da nächste Dorf; ich
fahre zusammen , das Bewußtsein
kommt wieder. Im Dorf fliege Ziegeln
und Staub; Rauchsäulen fahren zwischen
den Häusern in die Höhe. Eine jähe Lohe
richtet sich kerzengerade auf. , Es sind die
ersten Schüsse, die in ben Ort fallen.
Feuerpause. Die Mannschaft sinkt m
Geschütz zusammen wach werden zu
sich selber kommen aus bem Wahn wie
der Mensch werden, Bor der Batterie
schlagen ein paar Granaten ein. Schrap
nclls vlatzen. Aber das ist gleichgültig;
niemand hat acht darauf. Man ist stumpf
geworden. Ueber uns surrt es in der Luft.
Ein Flieger. Erst ein Punkt in der blauen
Höhe, dann nimmt er ein wenig Form
an , er kommt auf uns zu. Wir sind
alle neugierig geworden, denn diesen Gcg
ncr kennen wir noch nicht. Die Nasen der
ganzen Batterie sind nach oben gerichtet;
mancher sperrt den Mund auf vor Span
nung. Da ein neuer Fcucrbefehl ;
er fesselt alle Gedanken. Der Flieger ist
vergessen. Schon kracht das Erste" wie
der. Da schreit der zunächst stehende Gc
schützfllhrer: Achtung, das Luder
schmeißt." Der Flieger ist über uns; ruhig
fahrt er die Linie entlang. Etwas Schwar
zes löst sich von ihm ein Punkt ;
rasch fallt er abwärts ; ein Knallen in
der Luft. Wir ziehen den Kopf ein. Aber
es ist nichts. Wir merken nichts. Pein
lich ist er aber doch, der surrende Bursche
da oben. Noch dreimal wirft er ohne Er
folg. Später wußten wir besser Be
scheid , Zeitzunderbombcn, die nicht so
wollten, wie der fliegende Bombcnschmei
ßer. Trotzdem ist so'ein Kerl reichlich un
angenehm. Der Ruf: .Paß op Jupp,
dä fchmieß!" ist noch oft späterhin erklun
gcn. Natürlich wurde der Flieger bcschos
sen, ohne Erfolg freilich; er sah so niedrig
aus, aber uns ging das Verständnis für
den Flug eines solchen Vogels noch ab.
Karabiner wurden auf ihn abgeschossen,
sogar die Pistolen knallten; kurz, jeder,
der Zeit und eine Handkanone hatte,
machte Dampf. Dort zieht der große
Vogel. Schrapuellwolken begleiten seine
Bahn.
Wir schießen noch immer. Das Zweite
hat noch acht Schuß." Das Dritte
noch sechs Schuß." Wie die Kerle brüllen.
Der Reiter nach den Munitionswagen ist
ja schon sort. Da kommt's auch schon
an! Die schweren Gäule liegen in den
Geschirren, daß das Leder knirscht. Die
Peitschen wedeln, die Schenkel sind am
Gurt; und herein keucht die Staffel im
halben Galopp, .eiiintcr mit den Ge
schössen." Hei. wie die von den Wagen
fliegen. Die Munitionswagengespanne
m
.(?. ,5
stehen dicht neben den feuernden Kanonen
Die Pserde zitiern und bäumen sich; ei
nige schlagen; aber eisern hält die Faust
den Zügel. Ein Gewirr von Pferden, Wa
gen, Geschoßlörben, Mannschaften und
Reitern, von krepierenden Granaten, Der
Dreck fliegt. Jetzt ist das letzte Schrap
nell in den Haser geflogen. Kehrt mit
bcn Wagen unb sort sort in Deckuni,
An ben Kanonen häufen sich wieder die
uahikrnen Todvringer. Immer noch brlll.
len die Kanonen. Wir bekommen jetzt fast
lern ranalseuer nicht; wit wundetn uns
Aber bald kommt die Nachricht, daß un
fcr scharftr Geaner. die französische Ar
tillerie hinter dem Berge, zerschossen ist.
:Mcht einmal olle anoncn hat sie mit
nehmen können.
.Langsamer feuern!" Ich sehe unsere
Schrapnells jenseit eines DorfeS platzen
auf einer Höhe. Die ganze Höhe ist ein
clbks Getreidefeld mit Garben. Rechts
st ein Wald. Von dem Ist nicht viel zu
sehen. Der Rauch sangt sich in den Baum
Wipfel und den grünen Buschkronen.
Das Gefecht scheint abzuflauen. Das
Knattern nimmt mehr Form an. Ans
den Dörfern sind die Franzosen zurück
geworfen. Ein armer Kerl von Franzose
kommt über die Straße durch bas Haser
seid gekrochen, mitten zwischen den feuern
den Kanonen hindurch; blutig; erschöpft;
voll Schmutz und Staub. Hinter dem
dritten Geschütz bleibt er liegen. Unser
kleiner Medizinmann springt zu Ihm; er
schleppt ihn mit an den rechten Flügel.
Die Uniform wird ausgerissen. Bauch
schnß. Die Gedärme kommen heraus,
bald rechts-, bald linksseitig. Der Doktor
müh, sich. Wir blutet dieser Mensch. Ein
Verband wird gemacht: dann kommt die
j Morphiumspritze, die letzte Linderung.
Weiter kriecht der Todwunde; wir verlie-
rcn ihn. Am nächsten Tage steckt er mit
dem Kops in einer Strohpuppe, mit dem
Gesicht nach unten, verendet wie ein weid-
wundes Tier, ohne Handreichung, ohne
Beistand. Der Krieg ist eine harte Sache.
Immer mehr Zerschossene kommen von
vorn. Schweiß, Schmutz, Blut, müde Ge
sichter, von Schmerz und Wut verzerrt.
Rohre frei!" Jäh blitzen die vier K
noncn auf. Sofort ein hastiges Kmm
mando, noch eins. Was ist los?
Trüben über der Hohe mit dem Hafer
feld kommt es herüber. Linie auf Linie,
Kompagnie auf Kompagnie. Der Kamps
lärm verhallt einen Augenblick. Tausend
Männer holen Atem, tief und schwer. Es
ist eine ungesunde Stille mit einem Male
in der Lust. Von drüben tönen Hörner
wie deutlich es zu hören ist , tau
send Baionette buken , ein großer,
I gräßlicher unvernünftiger Schrei ein
Toben, ein wildes, wahnsinniges Gurgeln,
und die franzosischen Sturmbataillone
stürzen die Höhe hinab mit blanker Waffe
auf die deutschen Linien.
Schuß." Verflucht, der war weit,
Schuß." Gott sei Dank, der war kurz.
Die Haare sträuben sich unter dem Helm
Rohre frei!" Die ganze Batterie Brenn-
zunder 2250." Schnellfeuer." Die Erde
zittert. Alles wankt. Zwischen Schuß
und Schuß ist kein Raum, kein Unter-
schied. Jeden Augenblick muß man ver
ruckt werden. Der Hügel drüben ist nur
Dampf, weißer, dichter Dampf. 16 Ka
nonen halten dorthin. Ein paar Auf
schläge fallen dazwischen. Erde und Dreck
spritzt. Und immer wieder Rauchballen
auf Rauchballen. Man hört nur noch
ein einziges langgezogenes schweres Ge
räusch, keine Gewehrsalve mehr, lein
Ticken der Maschinengewehre.
Feuerpause!" quakt der Lautsprecher.
Tcr Kampf drllben verstreicht. Das große
Feld liegt im Abendschein. Wo sind die
Stürmer? Viele schwarze Punkte liegen
auf den gelben Stoppeln. Masscnopfcr
militärischen Ruhmes. Da liegen die.Bra
den Feind und Freund überall.
Blutige, schmutzige, zusammengeballte
Fetzen, wahnwitzige Knäuel. Gottes Eben
bilder. ? Heulen und Schreien Tod
wunder , Brand, Rauch und Zusam
menbruch. Die Nacht kommt. Vor uns
brennen noch immer drei Dörfer. ,Wir
protzen auf und fahren ein Stück zurück.
Warum? Weil es so befohlen ist. Ich
reite von mir selbst weiß ich nichts.
Ich sehe ein Bild von mir ein großes
Feld im Dämmcrschcin. Leicheuhaufcn
verzerrte Gesichter Blut zerschlagene
Glieder. Und dann einen weinenden
Christus, der darüber hinschreitet. "
Unser Heiland hätte einen weiten Weg.
wenn er alle die Leichenfclder des hcuti
gcn Tages mit seinen Tränen befeuchten
wollte, einen weiten Weg.
Die Schlacht von Longwy war geschla
gen! Frankreich zum ersten Male in den
Staub geworfen. Tausend Herzen schla
gen nicht mehr, Tansende von Augen wei
nen in der Heimat, tausend anklagende
Hände recken sich im Todeskampf gen
Himmel. Morgenkühle macht manchen
Mann starr !
Ueber Deutschland drllben ging die
Sonne auf!
Das englische Noucn. In der ,,Ba
taille" macht Le Folliculaire de Bellcvillc
folgende nachdenkliche Betrachtung: Einer
meiner guten und alten Freunde, der Nor
manne von Geburt ist, sagte mir: Wenn
der Wintcr uns flieht, fo gehe ich alljähr
lich in die Normandie. Ich liebe es, sie
wiederzusehen. Auch dieses Jahr bin ich
dort gewesen. Ich komme eben von da
zurück. Aber welche Enttäuschung! Rouen,
meine schöne Stadt Rouen, sie, die ich
iiber alles liebe, ist nicht mehr Rouen. Da-
bei sind ihre Straßen am selben Fleck.
Die Seine benetzt noch immer ihre Rais.
Aeußcrlich ist nichts verändert. Und den
noch gibt es etwas Unbestimmtes, was zur
Folge hat, daß sich der dort Geborene
nicht mehr auskcnnt. Du willst z. B. ins
Restaurant gehen. Unmöglich! Es gibt
keine Restaurants mehr. Dort, wo frü
her Restaurants waren, gibt es nur noch
Aftcrnoon tca" oder Grill Rooms".
Tort, wo man früher guten Apfelwein
der Normandie verkaufte, gibt's nur noch
Refrcshmcnts". Kenn dich nun einmal
aus.
.npassllng im Wellkrieg.
' Berlin, 5. Slkai.
Man dird da Wunder dieser Zeit, die,
alle Theorien umstürzend, zeigt, daß mo
derne Kulturvölkik jahrelang die mör
derischste, zerstörendste KricgSsührung
aller Zeiten seelisch, körperlich, finanziell
und wirtschaftlich aushalten können, vor
allem in der Anpassung zu erblicken haben.
Die Berichte unserer Aerzte au dem
Felde lehren, was über die durch die mo
derne Kultur verursachte Entartung bei
Böller gerebet wurde, falsch war. Es ist
heute erwiesen, daß keine Entwicklung
denkbar ist. in der die höchste Wahrhaftig
kett de deutschen Bolle verloren gehen
kann. Die Zeitrichtung, in der mehr als
früher daS Geld Ziel und Maßstab der
menschlichen Tätigkeit war, hat die idea
listische Hingabt und den Schwung der
Gesinnung nicht zu ertöten vermocht. Die
Treue, die auch unbelohnt und ungesehen
va cywersie ersullt, ist nicht erslorven
Ucbcrraschend, wie die unveränderte Be,
Wahrung der kriegerischen Eigenschaften
und die sabellpste Anpassung an die von
der Kriegführung geforderten Leistungen,
Ist auch die Anpassung des Lebens hinter
der Front an Erfordernisse, für die jedes
Beispiel fehlt. Wenn wir den Ablauf von
Handel und Wandel in Stadt und Land
verfolgen und dabei auf den Durchschnitt
der Gesamtleistungen blicken, können wir
feststellen, daß die Lasten und Vorteile des
ttriegszustandes für die Zurückgebliebenen
in bczug auf Arbeitsqelegenlit, Hcrstel
lung und Abatz von Waren, Gcsamtlauf,
sich soweit ausgeglichen haben, daß es der
hältnismäßig gut weitergeht, daß zahl
reiche Unternehmungen blühen, unzählige
Männer, Frauen und Jugendliche mehr
verdienen .als im Frieden. Wenn man
Günstiges 'und Ungünstiges zusammen
rechnet, die Gcsamtlage der Nation in Be
tracht zieht, und den Umfang der feind
lichen Unternehmungen dagegen hält, gegen
die wir uns fortwährend siegreich bchaup-
ten, und zwar offensiv behaupten, so
drängt sich die Erkenntnis auf, daß uuZ
die Frage der Rricgsdaucr weniger be
drücken braucht als unsere Gegner, so gut
ist die Anpassung vonstatten gegangen.
Das Leben des beutschcn Volkes ist so auf
bcn Krieg eingestellt, wie sich bet Feld
soldat aus det früheren Tätigkeit in das
Kriegshandwerk eingelebt hat, so daß es
gar nicht abzusehen ist, auf welche Weise
es den vereinigten Feinden gelingen
könnte, unser Leben so zu gestalten, daß
wir zum Friedensschluß gezwungen wür
den. Man weiß jetzt, daß der Krieg, wie
für die körperliche und seelische Verfassung
des Soldaten, so auch für die Verfassung
von Wirtschaftsleben, Handel und Wandel
seine eigenen Entwicklungsgesetze in sich
trägt, die dem ungewohnten Zustand ge
statten, anzudauern. Wer vor zwei Iah
ren vom europäischen Krieg als von einem
Dauerzustand, einer Sache von ändert
halb Jahren und länger, gesprochen hätte,
bei der nach Jahr und Tag das tägliche
Leben, ruhig seinen Gang, gehen könne, den
hätte man für einen Phantasien gehalten.
Als eine ebenso fürchterliche wie notwen
digerweise kurze Krise dachte man an den
großen, Krieg, soweit man ihn überhaupt
für möglich hielt.
Ein Berliner illustriertes Blatt hat den
hübschen Einfall ausgeführt, in einer
Reihe von photographischen Bildern das
Siraßenleben der Reichshauptstadt im 21.
Kricgsmonat zu zeigen. Von diesen Bil
dern stellt das bezeichnendste die ungeheure
Menschenmenge dar, die sich am Ostermon-
tag auf dem Platz vor dem Totalisator
auf der Nennbahn in Berlin-Karlshorst
drängte, nd die auch der ' mißtrauischste
Blick weder in ihrer ungeheuerlichen Fülle,
noch in ihrem Aussehen und Gehaben von
den gewohnten Besuchermassen der Frie
denszeit unterscheiden kann. Wer an die
sen herrlichen , Frühsommcrabenden, die
durch die Einführung der praktischeil
Sommerzeit aufs angenehmste verlängert
sind, durch die Straßen wandert, die bis
zum letzten Platz besetzten Wirtsgärten
mit ihrem heitern Treiben mustert, wer
die Menschenfülle beobachtet, die sich
abends ins Theater drängt, dem wird die
Anpassung an den Krieg als Dauerzustand
besonders deutlich. Die Schwierigkeiten
der Ernährung, die unsern Feinden als
einziger Vossnungsiiern leuchten, ange-
sichts der nun wohl allgemein anerkann
ten Unmöglichkeit unserer militärischen Be-
zwingung, werden öffentlich mit einer
Rücksichtslosigkeit erörtert, die beweist, daß
nirgend das Gefühl herrscht, sie scheu ver
bergen zu müssen, weil hier eine wirkliche
Gefahr drohe. Die zahllosen Fälle von
strafbarer Zurückhaltung von Lcbensmit
teln, die jetzt die Behörden feststellen, und
von denen unzählige sich gewiß ihren
Blicken zu entziehen wissen, beweisen nur,
daß es bei vielen Nahrungsmittclhändlern
leider an der anstandigen Gesinnung, aber
nicht, daß es an den Nahrungsmitteln
selbst fehlt. Daß man, sofern man Brot,
Kartoffeln, Gemüse, Fische. Zucker, Eier
und Butter in ausreichender Menge besitzt,
wie das in Deutschland glücklicherweise
nachweislich der Fall ist, längere Zeit hin
durch mit, sehr wenig Fleisch ohne jeden
Schaden auskommen kann, ist eine so fest
stehende physiologische Tatsache, daß die
Hoffnungen, die sich an die vorübergehende
Fleischknappheit klammern, sehr , brüchig
ind. Wir DeutWn sind, seitdem wir ein
reiches Volk sind, im Fleischverbrauch
rasch an die Spitze der europäischen Völ
ker getreten, und der ehemalige tägliche
Flcischcrenuß, den die Aerzte übereinstim
mend für überflüssig, ja sur unge und er
klären, ist eine ganz allgemeine Erschei
nung gewesen. Die jetzige Lebensweise der
meisten Deutschen ist gesünder, als sie es
in der letzten Periode vor dem Krieg war.
Wenn die endlich einsetzende eifrigere Tä
tigkeit der Polizeibehörden endlich die
Hamsternestcr aufstöbert und eine zweck-
mähigere, sparsamere Verpflegung der
breiten Massen durch zentralisiierte Zube
reitung der Hauptmahlzeiten geschaffen
wird, wenn die Konservierung aller Nah
rungsmittel, die sich dazu eigne, ebenfalls
in großem Umsanqe vorgenommen wird,
und die Rationierung dies kricaacbo
ne Fremdwort wird wohl mit dem Frie
den wieder verschwinden alle dessen,
was irgend knapp werden kann, rücksichts
los durchgeführt ist, dann können wir mit
Ruhe abwarten, bis die Feinde auch die
letzte Hoffnung ausgeben, da Gesetz der
Kriegsanpassung siir Deutschland unwirk
sain z machen. Die Erscheinungen in der
beutschen Vollsernährung. beren sich die
feindliche Presse frohlockend bemächtigt,
sind Verteilungösehlei, die sich von Woche
zu Woche bessern. Wo wirkliche Not
, herrscht, geht nicht da Leben fg ruhig
feinen Gang, wie die unbestechliche Platte
des Photographen ans bet Neichöhauptstabt
zeigt, unb wie unsere neutralen Freunde
au dem Treiben in den zahllosen Stätten
der Erholung und Verpflegung feststellen
tonnen. Diese Zeugnisse sind nicht zu sä lo
schen, denn den Neutralen sind unsere
Grenzen und unsere Häuser offen. Sie
können frei und unabhängig alle die über
raschenden Tatsachen der 'Kriegsanpassung
studieren und tun es in Berlin, wie im
Reiche. Sie können die Speisekarten der
Wirtshäuser auf das Borhandensein aller
notwendigen und der meisten überflüssigen
Nahrungsmittel prüfen, und wenn sie wol
len, diese geprüften Beweismittel in die
Heimat senden.
ES kann von unsern Feinden durch kein
Mittel gehindert werden, daß sich der bei
spiellose elastische Organismus, als wel
chen sich Deutschland erwiesen hat, jedem
Erfordernis und jedem Druck des Krieges
restlos anpaßt. Ein neues Zeugnis dafür
bietet die hocherfreuliche Nachricht aus dem
rhcinisch-westfälischen Jndustrieaebiet daß
es nunmehr gelungen ist, einen Schnellar
beitöstahl von höchster Leistungsfähigkeit
ohne das für teures Geld aus dem Aus
land bezogene Wolfram herzustellen. Zwei
Firmen, die Stahlwerke Richard Linden
berg, A.G., Remscheid-Haften. und Hein
rich Nemy, G. m. b. H., Hagen, genießen
gleichzeitig den Ruhm dieser Erfindung.
Was das für bie- Muniiionsinbustrie Sc
heutet, wird man Im Ausland wissen.
Welche Forderungen können noch an die
deutsche Anpassungsfähigkeit gestellt wer
den? Die englische Wehrpflicht? Was
sie auch immer an militärischer Kraft auf
bringen kann, wir haben es schon. Muni
tion feindlicher oder neutraler Herstellung?
Es gibt keine Verschwendung von Leschös
sen. der die deutsche Industrie nicht mit
einer größeren begegnen könnte. Ein neuer
Feind, den wir uns, wie der heutige Tag
bewiesen hat, gewiß nicht wünschen, der
uns aber auch nicht schreckt? Er kann we
der mit seinem Geld, noch mit feinen Lie
ferungen die Tore der Festung Deutsch
land aufreißen. Unsere menschlichen, tech
Nischen, wirtschaftlichen und finanziellen
Angriffsmittel vertragen, ohne zu brechen,
eine noch stärkere Inanspruchnahme, denn
sie werden, wie einundzwanzig Monate ge
lehrt haben, immer neu erzepgt, immer
neu organisiert. Unsere Anpassung reicht
aus, bis unsere Feinde ihr Verhalten der
Tatsache angepaßt haben, daß. ihr Spiel
verloren ist und verloren bleibt, so viel sie
den bisherigen Opfern ,auch noch hinzu
fügen. ' "
Der Slreit um die Zouvre
Schatze in Toulouse.
Die panikartig überstürzte Flucht, die
mit einer bedeutenden Anzahl der Haupt
kunstschätze des Pariser Louvre Ende Au
gust 1914 nach Toulouse angetreten
wurde, beschäftigt gegenwärtig, da man
eine Zurückbiingung dieser Kunstwerke
nach dem Louvre erwt, die Gemüter der
Pariser. Obgleich nämlich in immer neuen
Gutachten versichert wird, daß die Werke
sich in Toulouse in bester Obhut befinden
und keine Beschädigungen erlitten haben,
erzählt man sich doch die merkwürdigsten
Dinge über die Schicksale, die die Schätze
in der Verbannung erlitten haben. Die
Bilder Raphaels sollen von den Ratten
angefressen fein, in den wundervollen mit
telalterlichen Tapisserien sollen, sich die,
Motten befinden usw. Im ganzen sind
17 Gemälde des Louvre, die Tapisserien
und Gobelins don Reims, Chantilly, Com
Pik'gne, dann zahlreiche Skulpturen und
kunstgewerbliche Gegenstände aus dem
Louvre und den genannten Schlössern in
nerhalb von drei Tagen nach Toulouse
überführt worden. Daß es schwierig nr
in solcher Eile alle nötigen Vorsichtsmaß
regeln anzuwenden, leuchtet von von
herein ein. Nun aber wird durch eine Ver
öffentlichung der Zeitschrift La Re
naissance" bekannt, daß sich die maßgcben,
den Persönlichkeiten der überstürzten Fort'
schaffung der Kunstschätze energisch wider
setzt haben.
Die Zeitschrift veröffentlicht eine vom
25. August 1914 datierte, von dem Dirck
tor der Nationalmuseen Henri Marcel und
sämtlichen Konservatoren des Louvre un
terschriebene Eingabe an den Unterrichts
minister Sarraut. in der sie dringend bit
ten, von einer Wegbringung der Kunst
werke abzusehen. Es seien, in den letzten
drei Wochen, erklären sie, alle erdenklichen
Vorsichtsmaßregeln zum Schutze der
Kunstwerke angewendet worden., .Die
Skulpturen befinden sich hinter den feste
sten Mauern; die in Kisten eingcschlossc
, ..N,Nüi. r.w: r:j..
iit.il .nuiiiyi9uiiuiiuc uiv in lllijuKuiy liujt
Verstecke gebracht; etwa 90 Gemälde sind
in den Kellergewölben zwischen dicken
Mauern eingeschlossen." Der Transport
der Gegenstände nach Toulouse sei nur .
eine neue und höchst bedenkliche Gefahr
dung dieser unschätzbaren Kunstwerke.
Ucbrigens lasse sich vor den Deutschen ja
doch nichts verstecken, denn sie wüßten ganz
genau, was für Kunstwerke der Louvre
und sämtliche französische Museen enthiel
ten. Wenn es notwendig wäre, in das
Lösegeld für Frankreich auch unsere Mei
stcrwerke einzubeziehen, dann wäre die
Liste der Werke, die die Deutschen fordern
könnten, sicherlich schon fertig." Dieser'
Eingabe wurde kein Gehör geschenkt, son
dern der Minister ordnete die Ucberfllh
rung der Schätze nach Toulouse an.
Der unglücklichste Zustand ist, der
Menschen überdrüssig sein und sie doch
nicht entbehren können.
'-sy.'-it" 'v'i3 iV ,----:'1'.
y -ifs-SPtW
X-i-Z&i-w, inrfr; M