Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, January 07, 1916, Image 7

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    l
An Laus der Aissenjchajl".
Die öeulschen Urososssren in Aonstantinope.
von Dr. Wilhelm Feldmann.
4-
Kanstantinopel. Ende November.
Tar"Iil-Füun, da Haui der- Wissm
schast. So nennen unsere tllrlischen Bu
beSgfnofffrt in blühender E Pracht die
Glätte, die wir mit einem langweiligen
mittelalterlichen Fremdwort ali Universi
tät bezeichnen. J,n Herzen von Stambul,
nicht weit vom NriegSministertum, dessen
ffeuerturm die große Türkcnstidt .nit
ihren Moscheen, Palästen und zahllosen
Häuschen beherrschend überragt, liegt di
Gebäude, das diesen arabischen Namen
trägt. Früher wohnte hier eine reiche
ägyptische Prinzeffin. Seit zwei Jahr
zehnten etwa dient daS Hau der Wissn
schast. Von ihm soll jetzt die große Er
muerung des türkischen Vildungswese S
ausgeben, zu der die Tür! i den Beistand
' Deutschlands erbeten hat.
Zum Tar-ül-Fünun gelang! man mit
der elektrischen StrOhenbahn durch die
Hauptstraße von Ctambul, Diwan-Jolu,
, an der daS Untcrrichis-Ministerium eben
der Tllrbe des Sultans Mahmud liegt.
Diese Nachbarschaft hat Anlaß zu einem
boshaften Witz gegeben. der einst viel .
lacht wurde. Man erzählte, ein Fremden-
.11 r. r.-
, unrer PTiege i.iaj an oiq icuc vim
7 Stambul immer zu versprechen und d.,l
Fremden zuzurufen: Hier ist das Grab
des Sultans Mahmud und dort ist das
Grab des Unterrichts.- Und man gab zu
verstehen, daß der Führer mit seinem Ver
sehen durchaus das Richtige treffe. Heute
wird daS niemand mehr behaupten wollen.
D jungtllrkifche Unterrichts-Minister
Schükri Bei, ein Schulmann von Beruf,
übernahm sein wichtiges Amt vor zwei
einhalb Jahren mit dem festen Entschluß,
die längst geplante Erneuerung Schul
wesen in der Türkei endlich anzubahnen.
Und .k hat blöher mehr getan, ais man
in so kurzer Frist, bei so vielen Schwie
rigkeiten - und Hindernissen erwarten
konnte.
Schükri Bei war von Anfang an davon
überzeugt, daß es geboten -sti, fremden
Rat für das Reformwerk in Anspruch zu
nehmen, und der Min,istcrrul war damit
auch grundsätzlich einverstanden. Aber
welche, Macht soute um Beistand ersuü,t
werden? Das war die große Frage, bei
deren Behandlung der Minister deZ
Aeuhern das entscheidend Wort zu spre
chen hatte. Lange Monate hindurch blieb
die Angelegenheit in der Schwebe. Ich
hatte damals bei einer Unterredung mit
dem Untcrrichts-Ministcr den Eindruck,
daß Schükri Bei persönlich die Berufung
eines deutschen Beirats. wünschte, und 'aß
die Mehrheit des Ministerrats feine Auf
sassung teilte. Aber .die Berufung unter
blieb zunächst aus sinanzpolitischen Grün
den. Man wollte Frankreich , nicht ver
stimmen. Der große Krieg Hai auch diese Frage
gelöst, und seit dem 8, März, besitzt der
i.-i.lls.JC- 1fMUtä,()DmifT?i rnn hlllf
. llUllUjC MllttHiUJia'v tvv fciufc
I schen Müschawir" (Beirat) in der shm-
pathischen .- Person des Gehnmrats
Schmidt, der früher die deutsche Schule in
Bukarest leitete und dann neun Jahre
fang' als Schulrefcrent des Auswärtigen
Amts in Berlin tätig war. Ucberraschend
schnell ist es Jschmidt Bei Efsendi". wie
die türkischen Torwächter den deutschen
Herrn mit dem schwer abzusprechenden
Namen nennen, gelungen, sich in seine
schmierige Stellung einzuleben und das
Vertrauen der Türken zu gewinnen. Er
tragt den Fcs mit solcher Sclbstoerständ
lichlät, als hätte er nie einen Hut geira
gcn. und der Fes steht ihm ausgezeichnet.
Geheimrat Schmidt ist keineswegs mit
einem fertigen Programm in der Tasche
hier angekommen. Er wollte zunächst
nur sehen, um Rat spenden zu können für
die Fälle, in denen man feinen Rat erbit
ten würde. Er hat stets im Auge, daß er
als Müsckiawir" nur zum Beraten, nicht
zum Beschließen, da ist. Der Minister
gab seinem MUschawir bald Gelegenheit,
im C-lj.I.
f um leine rnepgen inoruae zu pcnajiin
!, und vergleichend auf deutsche Verhältnisse
'.i hinzuweisen. Bei solchen Unterhaltungen
f muhte der Unterschied zwischen Lehrweise
I nd Oraanisation der deutschen Universi-
't, täten und lm Betrieb des Dar-ülLü,,un
. gestreift werden. 'Ter turiiWe unicr-
richts-Minister erfuhr bei dieser Gelegen
. hit jedenfalls, daß die deutschen Lehr.
Grundsätze der Kritik und der Anleitung
Izt eigener Arbeit von deutschen Gelehrten
' schon an fremden Universitäten mit Er
i folg eingeführt worden sind, und daß die
' deutschen Hochschullehrer sich in manchen
Ländern, zum Beispiel an der Universität
Buenos-Aires. beim Vortrag der Landcs
spräche bedienen.
? Für den Glauben der Türken an ihre
Zukunft spricht auch die Tatsache, daß hie
; Omanisch Negierung mitten in einem
, 'chweren Kriege den denkwürdigen . Be
Äß gefaßt hat. jdie Reform des Bil
'mngswescns sofort in Angriff zu nehmen,
'im Laufe des Sommers arbeitete Unter-
- ichts-Mimsicr Schükrt ei, natürlich im
' Unverständnis mit dem Ministcrrat. das
i ieformprogramm aus. z dessen Durch--1
ührung siebzehn deutsche Gelehrte an die
' ' lniöersität Konstantinovel berufen wor-
ftti sind. Ich glaube zu wissen, daß auf
. Virkischer Seite der Wunsch bestand, eine
, rheblich größere Zahl von Fächern mit
' 1 eutschen Professoren zu besetzen. Aber
- Deutschland war bei oller Bereitschaft zur
. rfllllung türkischer Wünsche wohl kaum
'.!dcr Lag?, zumal in ttricgszeit, eine
- frosjfte Zahl. von Hochschullchrern adzu
J den. Die Bedingungen, zu denen das
i rkische Untenichts'Ainiflcrium die deut
,c Prosessoren verpfl,?et hat, sind be
.'nni. Der Vertrag gilt für fünf Jahre.
' ii erste Jahr wird als Vorbereitungs
'.'iyt betrachtet und soll hauptsächlich zur
i Erlernung der türkischen Sprache dienen.
' e Professoren halten ihre Vorlesungen
liirlischer Sprache. Sie übersiedeln zu
.zinn bei WintrsciNksters nach j!n
. l;ilincp;, 7
snsei uoii d?n sirbzkh d'uksck!', Gclh?
' siiii) seit langem in dr Tiirtci onsäs
1 AIs Prof:sjor der Geschichte wurde
'
der frühere deutsche Generalkonsul in
Smyrna, Mordtmann, ein Sohn des ein
stigen hamburgischcn Gesandten bei der'
Hohen Pforte, verpflichtet. Er Is in
Fachkreisen als hervorragender Kenner der
osmanischen Geschichte bekannt. Der
langjährige Erste Dragoman des deutsc'en
Generallviisulis in KonNaiiliuüpcl, Dr.
Nord, dessen Abhandlungen über türkische
Rechtsfragen sehr geschätzt sind, hat die
Vorlesungen über europäisches öffentliches
Recht übernommen. Er begann seine
Lehrtätigkeit als erster der deutschen Pro
fessoren am 8. November in der Rechts
fakultät, die ncuerdinas nach Pera in das
HauS der Union franyaise" verlegt wor
den ist, mit einer Einführung in daS
deutsche bürgerliche Recht in türkischer
Sprache. Von den fünfzehn aus Deutsch
land berufenen Gelehrten wird einer, der
bekannte Berliner Orientalis Professor
Dr. Giese, in der Lage fein, ,,ch sofort
der türkischen Sprache zu bedienen.
Bis jetzt sind sechs dieser Henen hier
eingetroffen. Der Lehrer der Philoso
phic, Professor Lizentiat Dr. Günthers
Jacoby, war bisher Privatdozeirt an der
Universität Greifswald. Er besitzt für
seine hiesige Stellung den besonderen Bor
zug, daß er bereits zwei Jahre in Amerika
und ein halbes Jahr in Lavan als Hoch
schullehrer tätig war. Pädagogik und
Psychologie hat der bisherige Privat
dozent am Kolonialinstitut in Hamburg,
Dr. Anschütz. der bekannte Assistent des
jüngst verstorbenen Begründers der ezpe
rimentellen Pädagogik, Ernst Meumann,
übernommen. Für anorganische Chemie
wurde Dr. Arndt, bisher Privatdozent
an der Universität' Brcslau, für organt
sche Chemie der bisherige Privaidozent an
der Technischen Hochschule in Charlotten
bürg, Dr. Hoesch, verpflichtet. Zoologie
wird Professor Dr. Zarnick, bisher außer
ordentlickzer Professor an der Universität
Würzburg, lehren. Professor Zarnick,
den seine Gattin als Privatassistentin un
terstützt, beschäftigt sich besonders mit
Scetieren, zu deren Studium er hier
reiche, bisher kaum je verwertete Gelegen
heit findet. Er erhofft für später die
Gründung einer zoologischen Station in
Konstantinopel, nach dem Borbild der
Station in Neapel, und die Einrichluno
von Kursen für deutsche Studenten. Als
sechster ist der Professor der vergleichenden
semitischen Sprachwissenschaft. Dr. Berg
strLsser, bisher Privatdozent an der Uni
vcrsität Leipzig, kürzlich in Konstantine
pel angekommen.
Weitere vier Herren werden in den
nächsten Tagen hier eintreffen, nämlich:
der bekannte Erforscher der Geschichte alt
orientalischer Böller, Professor Dr. Leh-mann-Haupt,
bis zum Kriege ordentliche
Professor der Geschichte in Liverpool; der
bisherige Privatdozent der Geographie gn
der Universität Marburg. Dr. Obst, der
als Afrikäforscher bekannt ist; der durch
seine Kordillcrenforschüngen bekannte Eeo
loge Dr. Pcnck, bisher Privatdozent un
der Universität Leipzig, und der bisherige
außerordentliche Professor des öffentlichen
Rechts an der Universität Tübingen, Dr.
Schönborn, der wiederholt zu Fragen der
großen Politik in viel beachteten Abhand
lungen Stellung genommen hat. ,
Der Zeitpunkt, des Kommens der übn
gen fünf Herren ist leider noch unbe
stimmt. Der Botaniker Dr. Leick. bisher
Privatdozent an der Universität Greifs
wald, ist im Felde verwundet worden und
wartet seine Genesung ab. Der Professor
der technischen Chemie. Dr. Fester, der
als ordentlicher Professor an die Univer
sität Tientsin berufen war. steht noch im
Schützengraben. Der schon erwähnt
Professor der u"altaischenSprachen, Dr.
Giese. bisher Professor 6m orientalischen
Seminar in Berlin, steht als Hauptmann
beim Gouvernement Brüssel. Der Volks
Wirtschaftler Professor D. Hoffmann,
bisher ordentlicher Professor an der Tech
nifchen Hochschule in Hannover, und der
Professor der Finanzwissenschaft, )r.
Fleck, bisher , Direktorialassistent am In
stitut für Seeverkehr und Weltwirtschaft
in Kiel, werden ebenfalls noch für kurze
Zeit verhindert sein. v ,
Jedem deutschen Professor so? ein ti!'
kischer Hilssprofessor beigegeben werde...
Man fürchtete, daß eS schwer fallen werde,
für diese Stellen geeignete Persönlichkeiten
zu finden, die zugleich ausreichende? Fach
wissen und genügende Kenntnis der deut
schen Spracht besitzen. Es fehlt aber
durchaus nicht an solchen Persönlichkeiten.
So konnten den Professoren der Chemie
drei, türkische Hilfsproscssoren beigegcben
werden, die"mehrcre JaHre lang bei Ejc
zellenz Fischer in Berlin gear' jtet haben.
Zum Hilfsprofessor der Pädagogik wurde
ein Schüler Reins. Ali Haidar Bei. aus
der bulgarischen Rosenölstadt Kasans,
ernannt, der drei Jahre in Jena studiert
hat. HilfSprofcssor der Flnanzwisscn
schast wird Tekin Alp, der bekannte Ber
trcter'dcr pantiirkifchen-Bewegung, wer
den. Als Hilfsprcfessor der Philosophie
ist Dr. Ahmed Emin Bei. augenblicklich
Kriegsberichtersiatter des .Tanin" bei der
Heeresgruppe v. Mackenscn, auserschen.
Die glückliche Ermittlung geeigneter
tiirkischer Hilfsprofessoren ist von größter
Bedeutung, da die osmanifche Regierung,
entgegen der frühcren Bestimmung über
das Vorberntunasjahr.' neuerdings den
Wunsch geäußert hat, daß die deutschen
Proscfforcn ihre. Lehrtätigkeit in bc
fchränktem Umfang sofort beginnen. Trotz
der unvermeidlichen Schwierigkeiten soll
dicker Wunsch der türkischen Regierung
nach Möglichkeit erfüllt werden. In dem
Vorlesungsverzeichnis für das Winter
Semester, das im Z:ar-iilFiinlN am 27.
November eröffnet wurde, sind die deut
schen Professoren mit ihren Fächern denn
auch schon aufgeführt. Diese Frage kann
wohl nur in der Weise gelöst werden, daß
die deutsche Gclchrten orlksuugcn aus
arbeiten, - dic dann von hi, 'türkischen
Hilssprofcssoren vorgctrag? werden.
Aber es handelt fich nicht nur um die
Aranzösijclje
Wenn ich schon die ginzenlose, haß
erfüllte Verblendung geschildert habe, der
alle, wa? deutsch ist, bei der öffentlichen
Meinung Frankreichs begegnet, so konnte
ich doch darauf hinweisen, daß ich gerade
au dem Munde einfacher Leute gelcgcnt
lich eine mildere, gerechtere Beurteilung
gehört habe. Ich tat dies um fo lieber,
als ,ch in den Kreisen der französischen
Wissenschaft vergeblich auf die Stimme der
Vernunft gehorcht habe. Dies mag frei
lich zum Teil auch darauf beruhen, daß
die gemäßigteren Elemente, die ihre Ob
jcktivität und klare Einsicht nicht völlig
eingebüßt haben, es gegenwärtig nicht wa
gen dürfen, mit ihrer Meinung an die
Öffentlichkeit zu inten. Die anderen, zu
denen leider gerade die Bekanntesten und
Gelehrtesten gehören, haben dadurch um
so freieren Spielraum, und' sie haben ihn
nach Kräften ausgenutzt. Au,ch hier be
obachtet man wieder dieselbe Einmütigkeit,
die schon bei der Propaganda der Presse in
Erstaunen setzt. Da Ziel ist ihnen allen
gemeinsam. Es genügt den französischen
Gelehrten nicht, daß uns Bcrtragsbrüchig
keit, Treulosigkeit. Falschheit, Heuchelei,
Lügenhaftigkeit, Grausamkeit, Kultus der
brutalsten Macht und ethischer Materialis
muS vorgeworfen wird, sondern es kommt
ihnen darauf an, dieses alleS zu shstemati
sieren, zu zeigen, daß alle diese Eigen
schaften nicht etwa nur zufällig oder ver
einzelt in diesem Kriege zutage getreten
sind, sondern daß sie den deutschen Na
tionalcharaktcr ausmachen und daher not
wendig und unausrottbar sind. Es soll
bewiesen werden, . daß sich diese Eigen
schaften in unserer Geschichte, unserem
Staatenbau und öffentlichen Leben ebenso
deutlich gezeigt haben und noch zeigen, wie
in unserer Dichtung, , Wissenschaft und
Philosophie, ja, daß sogar die Beson?er
heit unseres religiösen Empfindens diesel
den Züge unseres Wesens kennzeichnet.
Zur Förderung dieses - Beweises dient
ein bedeutender gallisch-rationalistischer
Scharfsinn, aber eine gewiß noch bedeu
tendere Unkenntnis unserer Sprache, un
screr Sitten und unserer Geistesgeschichte.
Die Argumente reichen von Tatsachen zu
gröblichen Irrtümern und Mißverstand
nisscn. und endlich oft zu zweifellos be
wußten Entstellungen und Fälschungen.
Bon den Schriften französischer Gelchr
ter über den Krieg ist manches auch in
Deutschland bekannt geworden. Ich be
schränke mich dcher hier darauf, einiges zu
erwähnen, was ich in Frankreich selbst
von Vertretern der Wissenschaft habe vor
tragen hören. Es wird um so eher in
tcressant sein, als das gedruckte Wort
immerhin doch noch vorsichtiger formuliert
wird, als die mündliche Rede.
In dem großen Amphitheater des,Pa
riscr Nationalmuseums für Naturge
schichte im Jardin des Plantes wurden
mehrere Vorträgt unter dem Gesamttitel
.Die deutsche .Mentalität" abgeholten.
Emile Boutroux. einer der bekanntesten
französischen Philosophieprofessoren, Mit
glied der Academie Francaise. des Institut
de France und der Berliner Akademie der
Vorlesungen. Sehr wichtig sind die
nfbirnm hie den deutschen Vioiessoren
Gelegenheit geben, die Wirkung 'hrer Vor-
lelungen zu kontrollieren, can oais
nicht vergessen, daß es' hier weniger auf
die Vermittlung von Wissen. "M auf die
Erziehung zu methodischer Wissenschaft
licher Arbeit ankommt,
iir Wxt lMiinnen soll ieder Professor
ein Institut erhalten. Es ist aber bei den
beschrankten Mitteln, die zu Gevote liehen,
nicht so leicht, die erforderlichen Räume,
Lehrmaterial und Hilfspersonal zu fchaf
fen. Der P?vstssor für experimentelle
Psychologie bmucht. um nur ein Beispiel
anzuführen, allein sechs Raume. Ein
ganz ansehnliche? chemisches Laboratorium
war bereits von den erwähnten Schülern
Fischers im Dar-ül-Fünun eingerichtet
worden. Aber zwei weitere Laboratorien
sind erforderlich, da organische, anorgani
sche und technisch) Chemie getrennt werden
müssen. Eine wissenschaftliche Bibliothek
fehlt ganz. Die Deutfch-türkische Ber
cinigung hat jetzt aber 80,000 Mark ;ur
Begründung von Fachbibliotheken für die
deutschen Professoren zur Beifügung ge
stellt. Die Bücher bleiben Eigentum der
Universität Konstaninopel. Sie werden
später wahrscheinlich in einem Lescsaal
nach Berliner Muster vereinigt und bil
den den Grundstock für die zukünftige
Universitäts-Bibliothek.
ES fehlt naturgemäß auch nicht an ri
tischen Einwendungen gegen die Reform
maßnahmen. So wird gesagt, daß die
Erneuerung besser bei der Volksschule he
gönnen hätte, um mit der Universitöts
Reform erst später ihren Abschluß zu sin
den. Darauf wird entgegnct. daß jede
Schulentwicklung außer der selbstvsF änd
lichen Grundlage ei Ziel brauche, wenn
die innere Organisation des gesamten
Schllluxsens Bestimmtheit erhalten soll.
Die HochschulRcform sei zunächst auch
aus mehr als einem Grunde allein mög
lich. Ihre Bedeutung für die Reform
der mittleren und höheren Schulen liege
auf der Hand. In den nächsten drei bis
vier Jahren werde in der erneuerten Uni
versität ein Stamm von Oberleh.-ern
herangebildet werden, die sich dann auf
die Mittelschulen verteilen würden. Im
übrigen fei die Reform der unteren und
mittleren Schulen, die von jeher ein
Hauptpunkt des jungtürkischon Parteipro
gramm? war, längst beschlossen. ?ie
werde erfolgen, sobald günfligere Zcitum
stände es gestatten.
Von türkischer Seite Ist Bedauern dar
über kaut geworden, daß die deutschen
Professoren sich nur für fünf Jahre der
pflichtet haben. Die Türken hatten ge
hofft, so wurde weiter betont, die deut
schen Gelehrten würden sich dauernd dcm
Dar-ül-Fünun widmen und nicht nur
vorübergehend als Resorner in Konstan
tinopel "weilen. Dieser turkische-Wunsch
entspricht, wie mir versichert wird, durch
ans den üicigungen der deutschen Pro-fessoren.
Gelehrte über
von Dr. lzans vorft.
Wissenschaften, sprach dort über ,(Zr
miuii'm et Ifurnaiiitß", wobei es na
türlich darauf hinauslief, das Deutsch
tum in Gegensatz zur Menschheit und
Menschlichkeit zu setzen. Das Deutschtum,
behauptete er gleich zu Beginn seiner Rede,
sei durchaus identisch mit der Sucht, zu
erobern und sich die ganze Welt zu assi
milicrcn". Taß dies im politisch-natio
nalen Sinne wahr fei, dürfe als hinläng
lich erwiesen gelten. Niemand zweifle
mehr daran, daß es d'aS Bestreben der
Deütschen sei. die Welt und die Mensch
heit zu unterjochen. Er wolle nun nach
weisen, daß derselbe Grundzug deutschen
WesenS im gesamten geistigen und ethi
schen Leben der Nation zum Lusdruck
komme. DaS Mittel, alle geistigen Werte
den engen persönlichen Interessen zu un
terwerfen, stehe dem Deutschen stets zur
Vcrsiigung in seiner ureigensten Ersin
dung der Intuition. Wenn ihm irgend
eine geistige Tatsache, ein ethischer Wert
nicht passe, so sei der Deutsche eben stets
in der Lage, sie einfach abzuleugnen, in
dem er sich auf seine .intuitive Erkennt
nis" berufe. Um sich Gott zu assimi
lieren", d. h. ilm so zu erkennen, wie es
ihm bequem sei, brauche er nur intuitiv
in sich selbst hineinzublicken. So sei es
ihm ein Leichtes, über die göttliche Msch!
nach Gutdünken zu verfüge und sich für
das allein auscrwählte Bolk zu halten,
das Gott zur Herrschaft über die Welt
gesetzt hätte. Genau so sei es mit der
Wahrheit. Der Deutsche sei überzeugt,
daß er allein, krast seiner Intuition, im
stände sei, die ganze Wahrheit zu erkennen
und die einzelnen Wahrheiten daraus'ab
zuleiten. Der Inhalt der absoluten
Wahrheit aber bestehe für ihn im wesent
lichen in der Superiorität Deutschlands.
Auf dieselbe Weife verkehre der Deutsche
die Gerechtigkeit m ihr Gegenteil, indem
er den Grundsatz Macht geht vor Recht"
auf den Thron erhebe, und vergewaltige
selbst die Schönheit. Denn die Schönheit
sei, nach der germanischen Theorie, der
Ausdruck des Absoluten, und dieses wie
derum könne nur der Deutsche kraft seiner
Intuition erkennen. Gegenüber diesem
allen entwarf Boutroux, vom Publikum
immer wieder durch lauten Beifall unter
brochen, ein rührendes Bild von dem
idealen Verhältnis, das die ganze übrige
iNenschhcit, insbesondere aber die fran
zösischc, zu ihrem Gott, der Wahrheit,
Gerechtigkeit und Schönheit habe.
Es ist gewiß nicht leicht zu glauben,
j daß ein namhafter Gelehrter, der oben-
drein zu den franzosischen Unsterblichen
gehört, allen Ernstes derartige Dinge vor
getragen haben soll. Aber ich kann leider
dafür einstehen, daß mein Referat die
Grundgedanken der einstündigen Rede
Boutroux' durchaus getreu und ohne jede
tendenziöse Färbung wiedergibt. Dies
ist umso erstaunlicher als Boutrouz viele
Beziehungen in Deutschland hat, sich noch
kurz vor dem Kriege bei seiner persön
lichen Anwesenheit gern von uns hat
feiern , lassen, 'und weil er seinerzeit in
Heidelberg studiert hat. WaS er dort
profitiert haben mag. ist freilich nicht recht
einzusehen, denn, wie seine Rede deutlich
bewies, beherrscht er die deutsche Sprache
fo mangelhaft, daß ihm immerfort die
allerelcmentarsten Mißverständnisse be
gegnen. So erwähnte er bei seiner Dar
stellung unserer Gottesidee, es sei ihm
schon im Frieden am Berliner Dom die
Inschrift aufgefaNen: Unser Glaube
ist's, der die Welt überwunden hat." Mit
gleich überraschender Unkenntnis der Bibel
und der deutschen Sprache verkehrterer
diese Worte in ihr Gegenteil und über
setzte sie so ins Französische, daß sie nun
bedeuteten: Unser Glaube ist's, der die
Welt unterworfen hat." Der transzen
dente Sinn des Spruches war diesem
Philosophen völlig verborgen geblieben.
Seine Unkenntnis des Deutschen enthüllte
sich ebenso deutlich, als er so weit herab
stieg, die Niedertracht des deutschen Volks
charakterS durch zwei kindische Sprachver
gleiche darzutun. Er erklärte nämlich,
daß wir für die französische önörosits"
nicht einmal einen Ausdruck besähen. Da
für hätten aber die Franzosen kein Wort
für unsere Schadenfreude". An dieser
Stelle ging ein hörbarer Schauer des
Entsetzens und Abscheus, gleich einem lei
sen Rauschen, durch das ganze Publikum.
Herr Boutroux übersetzte nämlich falsch
zoie de nuire", während die Schaden
freude nicht die Lust zu schaden bedeutet,
sondern das Vergnügen, das man bei dem
Schaden eines anderen empfindet. Taß
die Franzosen für diese' allgemeinmensch
liche Empfindung keinen Ausdruck be
sitzen, sollte Herr Boutroux bedauern.
Denn daß sie den Franzosen gut bekannt
ist, bezeugt uns einer ihrer größten Psy
chologen, La Rochefoucauld, wenn er sagt:
Haus l'aclvereitä do nern incilleurs
arnis nous tronVona toujows qutlque
cliose qni tic nous dönlait p."
(In dein Mißgeschick unserer besten
Freude finden wir immer etwas, das uns
nicht mißfällt,) Wenn man diese Fälle
noch als Irrtümer selten lassen will, die
allerdings schon bedenklich genug sind, so
kann eS wohl nichts andres als eine be
wußte Fälschung sein, winn Boutroux im
Faustzitat: Vom 5zimmel fordert er die
schönsten Sterne und von der Erde jede
höchste Lust" die letzten Worte einfach mit
les joies les plus bnsses" die nied
rigsten Lüste übersetzte. Denn dazu,
um hoch und niedrig zu unterscheiden,
müßten doch seine Kenntnisse wohl aus
reichen. Als Kuriosum möchte ich noch, erwah
ni. daß der Redner seinen lebhaskn Er
folg gerade einem deutschen Witz ver
dankie. Als er von der Intuition sprach.
zitierte er nämlich Heines Scherz darüber,
wie die verschiedenen Nationen verfahren
würden, wenn sie em Kamel beschreiven
wolltkn. Der Nranose würde in die Me-
nagerie gehen und ein amüsantes Feuille
ton darüber schreiben, der Engländer
-große Reisen nach Afrika unternehmen
und eine gründliche Abhandlung versassen.
Der Deutsche aber würde in seine Stu
dierstube gehen, sich in die Tiefe seines
Inneren versenken und gu ihr durch in
Deutschland.
tuitive Anschauung das Wesen des Ka
melS ntivickkln, um kS hu im In rmm
dicken Buch niederzulegen. Das Pub
likuin brach dabei in lebhaften Beifall
aus, offenbar ohne sich über die Deutsch
freundlichkeit" dieser Kundgebung klar zu
sein.
Womöglich auf noch tiefer Stufe
stand eine andere EonfSrence", die an
demselben Ort und in demselben Rakimen
von Professor Edmond Perrier gehalten
ivuroc. r i,i jviemDre os iinsmui
und Präsident der Academie dos
inioniv und nid fiiv in'n btt nslm
haften französischen Naturforscher. Er
begann damit, daß er die Deutschen für
eine Mischrasse erklärte, die von den Ur
bewobnkrn Euratofl ui de Eiszeit und
den Hunnen abstamme. So sei es denn
f i r n . p . . . .l
oegrelttim, vag ue vssen eruari
hätten, din Krieg ohne Mitleid und
Menkcklicbkeit kllbren. mordbrennen, ver-
gewaltigen und vernichten zu wollen. Nun
kam eme esseltvolle Antithese der eul
turo" und der Kultur". Die cultive
könne man in die drei Worte zusammen
fassen: Freiheit. Gleichheit. Brüderlich
keit, die Kultur" dagegen in die Worte:
stumpssinniger Gehorsam, brutaler Egois
muS und stupider Hochmut. Mit der un
glücklichen Liebe, die heutzutage viele Na
turforfcher für die Philosophie hegen,
vertiefte sich nun Perrier in dieses ihm
offenbar völlig verschlossene Gebiet und
nahm den deutschen Idealismus her. Er
verstieg sich dabei zil folgender einfachen
Schlußfolgerung: da die deutsche Philo
fophie von Kant, Schiller, Schilling
idealistisch sei bis zu dem Grade, daß sie
die Wirklichkeit hochmütig zu beherrschen
vermeine o geve ti sur oen s;eutcoen
eben keine Realität und leine Wahrheit
mehr. So verstehe man denn, daß lügen,
fifrrrttfrt si-kl-n und morden in Deutsch-
land kein Verbrechen ser. Diese Possen,
für die Perrier nicht einmal Originalität
beanspruchen kann, da sie schon anfangen,
Allgemeingut deS halbgebildeten Teils der
französischen Nation zu werden, würzte
er noch mit erbaulichen Anekdoten. So
hatte zum Beifpiel em franzosilcher Ve
lehrter vor dem Kriege einmal eine fast
voll-ndeie Arbeit kurze Äeit in einer Ber-
liner Bibliothek unbeaufsichtigt liegen
lassen. Nun hatten die AeulWen, lyrer
Philosophie getreu, diesen Augenblick be
nutzt, um ihm die Grundgedanken seiner
Schrift zu stehlen, und sie vor ihm in
einer deutschen Zeitschrift zu veröffent
lichen. Die französischen Gelehrten möch
ten dies nach dem Frieden nicht vergessen,
und nur ja in Berlin keine Manuskripte
herumliegen lassen. Endlich verkündet
der verdiente Gelehrte noch, die Deutschen
hätten sich auch die Lehre des Darwinis
mus in der Weise zu eigen gemacht, daß
sie. in ihrem Kultus der rohen Kraft und
in ihrem Glauben an die eigene Stärke,
daraus das Recht ableiteten, die anderen
Menschen wie Haustiere zu behandeln.
Weit würdiger als die vorhergehenden,
gestaltete sich ein Bortrag, den der Baron
Denys Cochin in den Galeries George
Petit in der Rue de Söze veranstaltete.
Dieser sympathische und gemäßigte Den
ker. der im neuen französischen Minister
kabineit in den Rat der Alten" berufen
worden ist, gehört nicht eigentlich zur
zünftigen Wissenschaft. Er hat sich aber
durch im Reihe philosophischer Schriften
in der Gelehrtenwelt einen solchen Namen
geschaffen, daß er sogar unter die Unsterb
lichen der Akademie Francaise aufgenom
mcn worden ist. Er hielt sich in seiner
Rede über Ten deutschen Gott , eine
Verirrung des religiösen Gedankens",
von allen Schmähungen und absichtlichen
Entstellungen fern und war der einzige,
der wirklich Gelehrsamkeit, Schorfsinn,
und Geist zur Begründung seiner Ansich
ten ins Feld führte, die dadurch um so
deutlicher beweisen, wie schwer es im e
gebenen Augenblick auch für die gemäßig
ten Elemente in Frankreich ist. die deutsche
Art mit rechtem Verständnis zu beur
teilen. Der Raum fehlt mir, um auf
seine interessante Rede näher einzugehen,
die manche Bemerkung über deutsches We
sen enthielt, die ich als fein und lehrreich
anerkennen mußte, obgleich sie nicht gerade
schmeichelhaft für uns'waren. Der Grund
gedankt beruhte aber zweifellos wiederum
auf einem Mißverständnis. Unsere Aus
drücke unser Gott" und der alte Gott"
können scheinbat in Frankreich nicht richtig
verstanden werden. Daß sie nichts anderes
ausdrücken, als Elemente eine jeden
Gottesglaubens. nämlich das Vertrauen
auf Gott, der sich schon früher oft (daher
.der alte") in unserem Leben, an uns
selbst (daher unser") so sichtbarlich be
währt hat. das begreift der Franzose
nicht. Wenn er diese Ausdrücke französisch
in die Worte zusammenfaßt I viu
tlieu allemand", so verlieren sie natürlich
diese Niiattce. und der Franzose wird dazu
Verleitet, zu glauben, daß wir uns einen
ganz besonderen nationalen Gott halten,
eine Art Wotan, und noch einen alten
oder alttestamentlichen dazu, damit er uns
die Länder unserer Nachbarn Verspreche
und Verschaffe. Von diesem Mißverstand
nis ging auch DenyS Cochin autz und ver
glich die vermeintliche deutsche Gottesidee
mit jener Urform des religiösen Gedan
kens. die sich bei gewissen australischen
Völkerschaften gefunden hat. wo der an
gebetete Totem zugleich den Geist des
Stammes verkörpert. Aehnlich, meinte
der Gelehrte, hätten auch wir in verhäng
nisvoller Weise die ftaatlich-nationale
Idee mit der religiösen verquickt. Da
durch würden wir verführt, uns einerseits
in gefährlichem Grade für daS auser
wählte Volk zu halten und andererseits
ilftprhaiiöi ieden Wert nur noch auS dieser
religiös staatlichen Idee abzuleiten. Darin
beruhe auch unser grundlegender wegen
sah zu dem französischeff-Wesen, für dessen
durch Descartes geformte Gedankenwelt
immer daS Individuum den Ausgangs
punkt bilde. .
Auch hier wiederholte sich der Fall, daß
,!n?m drutscken Gedanken lauter, spon-
taner Beifall zuteil wurde. Cochin ver-
dich nämlich die Entwicklung des deut
schen Volkes mit dek Faustidee. Er leg.tt
Die Zerßötung von Hörz.
Das Todesurteil gegen die Stadt. , Dreitägiges Bombarl
ment. Brennende Straßenzeilen. ' Zerstörte Kirchen rnid
Paläste. Die Not der Bewohner. verhinderte Flucht.
Der Schrecken aus der knft: Bomben und Flisgerpfeile.
von Iosef Segens.
ff. u. k. Kriegipressequar-
t i k r. 25. November.
Nichts ließen Ue Italiener unversucht.
um wenigstens eine Stadt aa der Jsonzo
front in ihren Besitz zu bekommen. Dz
alle ihre Anstrengungen vergebens waren,
Görz zu erobern, Görz, das lebendige, ver
urteilten sie eS zum Tode. Auf den Tag
genau haben sie die Vollstreckung dieses
Urteils vorausbe stimmt. Ein zu eg?nn
der vierten Jsonzoschlacht gefangener ita-
lienischer Unteroffizier hat mir schon vor
Tagen gesagt, wenn sie biS zum 18. No
vember Görz nicht nehmen können, so
würden sie die Stadt durch Bomben ver
nichte. So kam es auch. Genau am 18.
November begann die zielbewußte systema
tische Vernichtung. Daß die iHienische
Heeresleitung feit längerem dieses Zer
störungswerk vorbereitete, geht äugen
schcinlich daraus hervor, daß Mienische
Batterien ihre Stellungen nur zu dem
Zwecke wechselten, um besser die Stadt be
schießen .zu können. Das jüngste Gericht
kam am 13. November über Görz. Mit
Morgengrauen um die fünfte Stunde war
die Feuerhölle los. Vier Stunden lang
prasselte sie in Feuergarbcn über die Stadt
nieder, dann war es still, totenstill. Nach-
mittags zwischen 5 und 7 llyr brach
neuerlich der Feuerreaen los, und nach die
sem Tage blutete die unglückliche Stadt.
aus 3000 durch Granaten geiqiagenen
Wundem Dasselbe schaurige S"'el wie
dcrholte sich auch am nächsten Tage. Kaum
kam die Morgendämmerung heran, als
auf Görz sich wieder dunkle Trauer senkte.
In einer einzigen Stunde fielen 400 Gra
naten ein, und auch am dritten Tage noch
wütete der Wahnsinn. Aus allen Ge
schützen, die bereit standen, donnerte es eine
Stunde lang wieder auf die Stadt nieder.
Die italienische Heeresleitung hat Görz ein
für' allemal zum ode verurteilt, un in
der Pein einer dreitägigen Bombardierung
vollstreckte sie ihr Urteil.
Die Leidensgeschichte von Görz ist eine
Chronik, die von Zerstörung und Vernich
tung erzählt. ),e italienischen Geschütze
schössen meistens mit Brandgranaten.
Dort, wo eine solche Granate einschlägt,
ist nicht nur alles zu Staub zermalmt,
sondern auch zur Asche gebrannt. Ganze
Straßenzüge werden von den züngelnden
Flammen erfaßt. Auf das Rathaus flog
mit einer Brandgranate der rote Hahn.
Im Flammenmett stand das S'minar.
Vom brennenden alten Luzzato-Palais
fiel der Feuerschein auf die nahen Cypres
ser des alten Friedhofes. Auf das Ka
stell fiel Granate um Granate. ie Ker
zenfabrik Bader schmolz wahrhaft im
Brande. Das größte Hotel, das Rar!
Hotel st abgebrannt. Sechs Granaten
haben es getroffen. Die Via Morelli. die
Via Labarta schienen brennende Straßen
kulissen zu sein. Die Italiener zerschossen
das erzbifchöfliche Palais. Sie zerschossen
das alte Palais der Grafen von Cam
?ord. sie legten den Feuerbrand in das
Vereinshaus der Slovenen. Keine der
Kirchen blieb unverletzt in Görz. Die
Turmuhr der Jesuitenkirche fiel vom Luft
druck ein Granate auf das Pflaster
Rouck und Flammen erfüllten die Stra
ßen. ' Die Bia dcl Ponte Nuovo, die
baumcgesäumte Skaße zur Jsonzobrücke.
wurde zur Allee des Todes. An der
Piazza Grande, dem weiten alterwürdi
gen Platz, blieb kein Haus unverletzt. Der
ist heute ungangbar, denn er ist
Übersät von den Trümmern der eingesillrz
ten Hausmauern. Die Granaten warfen
mit den Trümmern der Häuser ganze
Barrikaden auf dem Platze auf. Die
Quadern des Pflasters sind aufgerissen.
Halbe Zimmereinrichtungen, Möbelftücke
sind hingestreut. "Hier auf der Piazza
Grande ist sonst alljährlich am 30. No-
vember am Sankt-AndreasTage der Jahr-
markt. Bon der Ebene un von den Ber
gen eilt hier das Volk zusammen zur fro
ben alten Ficra". Der Sankt-Andreas-
Tag steht vor der Tür, aber di Piazza
Grande wird nicht ein Uiiatz ver greuve,
sondern ein Tal des Jammers sein.
Seit Wochen leben die Einwohner von
Görz im Kanonenfeuer. Seit Beginn der
dritten Jsonzoschlacht. seit dem 18. Okto
ber, fielen fortwährend Granaten auf die
Stadt nieder. 58 Civilpersonen sind ge
storben, 50 wurden verwundet wahrend
dieses langatmigen, aber immer wieder
einsetzenden Zerslorungswerks. isn diel er
Zeit verirrte sich der Tod nur gelegentlich
in die Straßen von Görz. Dann und
wann kamen versprengte Geschlltzkugcln
wie böse Vagabunden. Doch jetzt war es
anders. Die Vernichtung war zum Pro
gramm erhoben. Jetzt gaben die Italiener
ihren Geschützen absichtlich die Richtung ,n
das Weichbild der Eladt. Bom 18. no
vember n war der Schrecken Herr der
Stadt. Die Bewohner verschlossen sich in
ibren Läufern vor den Granaten. Die
Einwohner der oberen Stockwerke flüchte
ten in die Keller. Aber auch daS war ver
gebens, denn die Granaten mordeten nicht
nur auf den offenen Straßen, sie töteten
auch mitten in den Häusern. In der Via
Castello schliefen in einem Zimmer 4 in
der. alle vier tötete eine Granate. Im
Vaternolli-Haus lag ausgestreckt der Leich-
nam einer alten Frau. Zwei Soldaten
hielten bei ihr die Totenwacht. So hau-
fig war der Tod in der letzten Zeit Gast
in Görz, daß nur rastende Soldaten die
ausführlich dar. wie Faust sich aus dcm
Denker und Forscher zum Mann der Tat
entwickelt habe und endlich, erblindet, auch
dann noch die Lemuren zu Tat und Arbeit
ansporne, als sie ihm schon das eigene
Grob graben. Auch bier vergaß das
Vublikum die deutsche Provenienz dieses
Gedankens und hielt mit seinem Bcisall
nicht zurück.
freiwillige Totenwache übernehmen könn-
ten. In dieses Aodtenztmmer fiel eine
Granate und neben der Toten lag ein
neuer Toter. Einem Wächter war von
einer Granate der Kopf vom Rumpf ge
rissen. Aber wer könnte alle dies Schreck-
nisse aufzählen, wer könnte jetzt l ion be-
stimmen, wie viele am Schrecken gestorben,
wie viele durch Granaten, wie viel: durch
Feuer? Manch einer war tot Schrecken
wahnsinnig geworden. Alle Arten des
Grauen hatten sich gesammelt. Men-
schen, die wegen der verschlossenen Hgu-
tore auf der Straße geblieben waren, irr
ten jammernd von Tor zu Tor, fast Wahn-
sinnig vor Angst, um Einlaß zu erbetteln.
Kein Herd war warm an diesen Tagen in
Görz, und sehr viele hatten nichts zu essen.
Alle Geschäfte waren geschlossen, alle
Märkte verlassen, kein Mensch wagte sich
auf die Straßen. Besonder hart traf
die die armen Leute, dtt keine Borrate zu
Hause hatten. Aber auch das. ist noch
nicht alles, auch daS läßt sich noch übexdie
ten, veun kaum hatte der Donner der a-
nonen sich gelegt und die Menschen sich
wieder aus die Straße gewagt, erschien
plötzlich über die Stadt in Luftaeschwa-
der. Die großen italienischen Kampsflie
ger blieben nicht zu einer Flott vereint,
jogvern sie zerstreuten sich über die ganze
Stadt. Aus ihren Maschinengewehren
gaben sie gcnze Salven ab und warfen -büschelweise
Fliegerpfeile in die Straßen.
Es war so, als wäre ein utppisch-phanta-stischer
Roman zur Wahrheit geworden.
An der Piazetta schöpft ein Frau aus dem
Brunnen Wasser. Ein Fliegcrpfeil trifft
sie. Vom Scheitel bis zur Sohle bohrt
sich in einer Sekunde der totbringcndc '
Pfeil. Ueber denselben Voror!platz eilten
drei Kindlein an der Hand einer anderen
Frau. Ob der italienische Flieger es
wußte, dajj er eine Mutter und drei kleine
Kinder getroffen? Hier auf der Viazetta
Pflegt daS dörflich behagliche Görz im
Sommer allsonntäglich große VoWöälle '
abzuhalten. Sang und Tanz, Spiel und
Geschäker, Obst und- Wein erfreuen hier
das derb fröhliche, friaukische Volk. Ob
der italienische Flieger auch dann noch
seine Pfeile hierher herabgesandi. ivenn er
das gewußt hätte? Die unglücklichen
Görzer waren in ihrer Stadt wie in einer
belagerten Festung eingeschlossen. Sie
konnten nicht flüchten, denn auch die aus
der Stadt führenden Wege wurden von
den italienischen Geschützen ständig unter
Feuer gehalten. Tollkühne Tapferkeit war
nötig, um zu flüchten; denn auf jene, die
sich auf die Heeresstraße begaben, warteten
hundert Tote. Eine, die diesen Leidens
weg zurückgelegt, erzählt mir: Es war
schrecklich; wohin wir nur blickten, überall
schaute uns der Tod entgegen. Unr:
Fenster zerschellten und Flammen loderten
i unsere Zimmer. Mein Bruder wurde
durch ein Schrapnell verwundet. Meine
Schwägerin wurde zweimal ohnmächtig."
Eine andere Frau sagte mir: Das Lär
,?,en der Kanonen war kaum zu ertragen,
und jetz' erscheint eS mir ganz sonderbar,
daß ich 5 nicht mehr höre."
Das ist das Schicksal deS zu Tode bom
bardierten Görz, und von diesem Trauer
spiel meldete die italienische Heeresleitung,
daß die italienische Artillerie im Artille
rieduell die Görzer Kasernen" bombar
dierte, daß sie die zahlreiche in Obstkultu
ren und Gärten versteckte feindliche Ar
tillerie" bekämpfte und schließlich, daß sic
Truppcnkolonnen" beschoß, die in großer
Eile aus Görz zurückfluteten. Aber es ist
ein trauriges und empörendes Art"!eric
duell, wenn auf den Kanonendonner nur
das Jammern und Weinen von Frauen
und hindern antwortet, und sonderbare
Kasernen sind wahrlich die in Görz zu
sammengeschosscnen Kirchen und alten Pa
löste. Was die zurückflutenden Truppen
anbelangt, so waren eS fliehende C'vilein
wohner von Görz. Wie schade um das
schöne Görz. So wußten also die Italic
ner es doch, daß in der Umgebung der
Stadt schöne Obstkulturm und wunder
bare Gärten liegen, und trotzdem deschos
fen sie sie? Merkwürdige Festungen find
die Blumenhäuser. Wissen es also die
Italiener, daß Görz die Stadt der Leil
chen ist und daß die unglückliche Stadt
einst daS öfterre'hifche Nizza genannt
worden war? Sie selbst sagen ks, daß sie
es wissen, und trotzdem vernichteten sie die
duftende Stadt der Veihzen und Kir
schenblüten. Darauf sollen sie nicht ant
Worten, daß das der Krieg sei; denn das
ist schon unnütz: und traurige Zerstörungs
Wut der Besiegten. ,
Die Entstehung des Schönherr'schc
Werkes Ter WeibSteufel". Einen
interessanten Beitrag zur Entftehungsge
schichte des jetzt diel angefeindeten und
vielfach von der Zensur verbotenen Schön
herrschen Werkes Der Wcibsteufel" ver
öffentlicht jetzt ein Wiener Blatt. Es geht
daraus hervor, daß sich die von Schönherr
geschilderten Ereignisse vor einigen Iah
ren in der Nähe des SommeraufenthalteS
des Dichter! zutrügen. Allerding. kan. es
nicht zu einem Totschlag, vielme'' wurde
der Konflikt durch einen zufälligen Un
gliicksfall ohne Schuld der Beteiligten ge
löst Die Kristenalm im bayrisch-iiroli-schen
Grenzgebiet ist der Schauplatz der
Begebenheiten' gewesen. Der Mann"
aber hatte sich die Frau' dadurch errun
gen, vah er sich durch trt Reis, nach
Magdeburg und Hamburg die WeWLufig
keit aneignete, die ihn vor den Burschen
deS Gebirges auszeichnete und di: ihn die
stattlichste und jüngste Schönheit der Ge
gend gewinnen ließ. Der Jäger war aus
dem Steirischen gekommen und machte sie
dem Alternden dann streitig...
Englands mittlere Temperatur
nimmt ftit einem Jahrhundert stetig zu.
firfmtmvafmg'tfJej--m''!?
mirAmwmäfsrmim
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