Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, January 22, 1915, Image 3

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Die Fujsen in
Fsien und Lnropa.
Don Wallher Ivclbcl.
halb europäisch, halb asiaiisch
Reich, da, sich mrnhitillig in die fchiottst
f ! si"s!!sl,1 f-1ftnl-tt'!l"t i- tiiü
w ..w jw.fcf lU4.J ij;l.t.' wifll tfl,
trt selber feinen Ursprung vn jenem
Konglomerat von Tbdlfütfknthiiiimern
ad, die vor neun Jahrhunderten sich um
den rofifürflenfitj von Kiew rcihten.
Ta, ist aber mehr oU zur Halste un.
wahr. Tal Reich von Kiew wurde von
den ftteiimisseii getragen, di bald daraus
dem Ansturm der Pulen von besten und
der monallllsch latarischcn Schaaren von
Osten erlagen und sich in den Hetmann
schoflen der Kosaken eine letzte, trilaeriscke
Stütze zu schassen versuchten. Tiefe
itteich von Kiew hatte auch im worden
srstknthumtt gegründet, an die nach
dem ffall der Älittcrstadt die Führung
überging. Ihre Inhaber waren schlauer
all die Leute im Süden. Sie wußten
den siegreich auch in ihre Gebiete vor
dringenden 2ataren!han besser zu schmei
cheln, sie verstanden et. in deren fcf
lagern die unwürdigsten Cchimpslichtei
ten mit guter Laune zu ertragen. Ta
für erhielten sie die Herrschaft über ihr
Voll, das riskier frei gewesen, unbe
schrankt, wie sich die Tataren die Für
slenmacht überall dachten. Als willen
loser Sklave der voldcncn Horde zog der
erste Großfürst aus Wladiniir in tUicS
kau ein, das der Miltelvunlt .eine Welt
reichet werden sollte. Tie Rnssen haben
später den Europäern vorgelogen, sie hat
ten die Cchildwacht für den Westen ge
halten und hielten sie noch, da ihnen vom
Schicksal die Obhut der ullur übcrtra
gen sei. Aber Hunnen, Tataren und
Türken sind von anderen Stammen, ger
manischen und slawischen, zurückgedrängt
worden, die Russen ließen sich von jedem
Ansturm überrennen, duckten sich und
standen erst dann wieder auf, wenn sich
der Eroberer im furchtbaren Kampf mit
westlichen Vollern zu Tode gehetzt hatte.
Tann freilich drangen sie jedesmal in je
ncr Richtung vor, wo der Widerstand am
geringsten war. bis sie einen Welttheil
zusammengeraubt hatten. Tcr größte
Historiker 'Rußlands, Kljutschcwsli. ver
gleicht das Wcroen des Riesenreichei mit
dem unfreiwilligen Flug eines Vogels,
dcr vom Sturmwind hoch in die Luft und
weit über die Lande getragen wird, viel
weiter und höher, als ihn die Kraft sei
sier Schwingen je getragen hätte. That
sächlich hat Rußland noch nie einem nur
halbwegs ebenbürtigen Gegner standgc
halten. Karl X,, dcr ein tapferes Schwc
denheer nach Rußland führte, war ein
Phantast, der den Nüssen den Sieg zwar
theuer verkaufte, auf die Taucr aber sel
der nicht siegen konnte. Napoleon ist nicht
von russischen Heeren besiegt worden; noch
auf dem Niiekzug schlugen seine Generäle
die Angriffe der Nüssen zurück. Von dem
Nubme dieses Jeluges aber bat Ruß
land ein ganzes Jahrhundert gezehrt,
denn seine Kriegsgeschichte weist seither
siegreiche Jeld.züge nur gegen Perfien und
die Türkei auf. die mit den schwerste,,, der
Macht des Gegners keineswegs ntspre
chendcn Opfern erlauft wurden. Zwei
mal wurde das Reich ernsthaften militä
rischen Gegnern gegenübergestellt,' und
beide Male sagten seine Strafte, obwohl
im Krimkrieg die Wcstmächte Verhältnis
mäßig kleine Anstrengungen machten und
in Ostasien ein Feind stand, der die euro
päischen Waffen zum ersten Male erpro
den mußte. Auch die kleineren Feldzüge
im Kaukasus und in Zentralasicn haben
zwar immer die Tapferkeit des russischen
Soldaten erwiesen,' aber unverhältnis
mäßige Anstrengungen erfordert. Nuß
land aber schien gegen die Folgen jeder
Niederlage gefeit. Noch Im 17, Jahr
hundert war es von den Polen zu Aoden
geworfen, die es bald darauf mit Oester
reich und Preußen abzutheilen begann.
Hir war es freilich weniger die milita
rische Macht des Zarenreiches als die heil
lose innere Zerrütung Polens, die den
Verfall herbeiführte. Mit der letzten
Theilung aber vcrfebwand der Puffer
siaat, der bisher Nußland vom Westen,
Europa nicht von seinem östlichen Thor
Hüter, sondern vom Heertrosse Nordasicns
getrennt hatte.
Eine asiatische Macht ist Nußland 6i?
beute geblieben. Die tatarische Herrschaft
hat in die Kultur des Volkes und die Ge
sinnung seiner Herrscher tiefere Furchen
gegraben, als es Religion, Sitte und
Wissenschaft des Westens verwischten.
Nicht umsonst empfanden gerade die
Größten der Nüssen, die Dichter, deren
Namen auch wir verehren, die unüber
brückbare Kluft, die sie vom Westen
trennte. Tatarisch ist vor allem die dün
kckhafte Mlitarhcrrschaft. die den Staat
als eine einzige Kaserne betrachtet. Daß
seine Insassen später in preußische Uni
formen gesteckt und nach sridericianischen
Reglements gedrillt wurden, war nur
eine Maskerade; dcr Geist der Disziplin,
aus dem heraus Preußen erwuchs, ist den
Russen bis heute fremd geblieben. Eine
sklavisch Unterwürfigkeit, die nach oben
weder Stolz noch Recht kennt, dem Un
tergcgcbenen gegenüber keine Schranke der
Willkür i das ist die Disziplin nicht
nur des russischen Heeres, das ist das
Prinzip des ganzen Staatswesens, das
seine Bauern einigen Herren zur Aus
beutung überließ. Tatarisch ist die un
mäßige Vollem, die von den Sitten an
derer Orientalen so scharf absticht, ta
tarisch sind selbst Einzelheiten dcr Trink
sitten on den Höfen früherer Zaren, von
denen Reste sich bis auf heute bewahrt ha
den. Tatarisch ist die Vergötzung dcS
Fürsten, der bis in die neueste Zeit hinein
fast als unumschränkter Eigenthümer alleS
Landes und aller Menschen betrachtet
wurde. Vor allem aber geht mancher
psychologische Zug der obern so gut wie
der untersten Schichten des russischen Vol
kck auf die Zeit zurück, wo es selber noch
nicht seßhaft geworden war. Die vielge
rühmte weitherzige Gastfreundschaft, einer
'er freundlichsten Züge Rußlands, dcr
ren besticht, der nur auf kurze Zeit das
Reich besucht, Ist ollen Nomaden eigen.
Sie ist in ihren Gebieten eine Nsthwen
diz?'lt. die um 3 weniger fiMsr wird,
al die steigende Kultur den einzelnen
von der freiwillig gewährten Hilfeleistung
des Nächsten unabhängig macht. Auch
die Berschnxndung der Russen, di von
ihnen selber gepriesene .breite Natur', die
heute einfach eine wirthschastliche Verant
wortungklosiakeit sondergleichen bedeutet,
geht auf den'Nomadjsmus zurück, der kein
Anhäufen von Reichthümern in anderer
Form gestattete als in Edelmetall und in
kostbaren Steinen, die thatsächlich auch
dem kotigen Russen das Sizmbol des
Reichthum an sich bedeuten, für den er
keine höhere Verwendung weiß. Die Na
turalwirthschast, die heute noch kaum
überwunden ist, begünstigte natürlich die
Vergeudung von Bodenprodukten, so daß
selbst die Bauern, die in schlechten Iah
ren hungern, in bessern Zeiten rücisichts
los vergeuden. Mit dcr Gastfreundschaft
hiingt die Geselligkeit der Russen enge
zusammen, der Herdentrieb, -t jedem
fremden Beobachter sofort auffallen muß.
Tie Agrarverfassung, die bis vor Kurzem
das Einzeleigenthum am Boden dem
Bauern verbot, hat natürlich seine Aus
bildung zur Persönlichkeit verlangsamt,
aber sie war überhaupt nur möglich bei
einem Volle, das den einzelnen um jeden
Preis der Verantwortlichkeit auch für sich
selber zu entheben sucht.
Wie bei der Arbeit, kann der Russe
auch sonst nicht allein bleibn. Dem No
madcn, der inmitten seines Stammes
durch wüste Gebiete zieht, muß die Ein
samkcit als das Schrecklichste erscheinen,
da er dann schutzlos allen feindlichen
Mächten preisgegeben wird. Dem Russen
ist sie nicht minder unerträglich. Aus
alles kann er im Nothfall verzichten, aber
auf das .Schwatzen" nicht. Vom No
madenthum her stammen aber andere
Seiten des russischen Charakters, die weit
verhängnisvoller wurden. Ihm fehlt die
Liebe zum Boden, den er oberflächlich be
stellt, mit seinem Hakenpflug mehr ritzt
als aufwühlt, nur darauf bedacht, ihm
so schnell als möglich alle Kraft zu ent
ziehen. Gleichmüthig wandert er dann
weiter, ohne Murren erträgt er Ueber
siedelungcn in andere Weltiheile, wenn er
nur Land erhält. Der russische Land
Hunger ist unersättlich, weil der Boden,
der ihm geopfert wird, .nach wenigen
Jahren verwüstet und kraftlos liegen
bleibt. So haben es die Russen zustande
gebracht, eines dcr fruchtbarsten Becken
der Erde, ein riesenhaftes Landgebiet, das
einer der großen Gärten der Menschheit
sein könnte, fast im Zustand einer Steppe
liegen zu lassen, schlecht angebaut, zur
Hälfte brachliegend, baumlos. Wo ihre
Vorgänger Bäume pflegten, haben sie sie
ausgerottet. Schonungslos gegen sich fel
der, schlagen sie nun auch die Walder nie
der, die dem Boden Feuchtigkeit und den
großen Strömen für den heißen Sommer
das Wasser sicherten, so daß sich im Laufe
der letzten Jahrzehnte das Klima fühlbar
verschlechtert und die Ströme versanden.
Die vor einem Jahrzehnt eingeleitete
Agrarreform, die ohne eine gründliche
Aenderung der ganzen staatlichen und so
cialen Struktur des Reiches nicht durch
zuführen ist, hat daran fast nichts geän
dcrt. Die Zahlen, die darüber veröffent
licht wurden, sehen stattlich genug aus,
aber auf dem kernrussischcn Gebiete, wo
die Uebelstände, die man endlich erkannt
hat. am schlimmsten wuchern, ist so gut
wie nichts erreicht. Die Bauern leisten
stummen, aber unüberwindlichen Wider
stand.
Wie sollte auch eine Herrenklasse, die
selber noch die Instinkte des Nomaden in
sich trägt, die Bauern zur techten Seß
haftigkcit erziehen sönnen? Die obersten
Schichten der russischen Gesellschaft reisen
zwar in bequemen Zügen über die Welt
und füllen ihre Koffer mit allen Spiel
zeugen der Bequemlichkeit, die das Abend
land erfunden hat. Ihre Wohnung aber
lassen sie schmucklos, leer, unbehaglich,
wenn sie nicht Sammlungen kostbarer
Möbel, Bilder, Stoffe drin aufhäufen
können. Die Frage nach dem Preis ist,
wie wir das bei den Amerikanern erwar
ten, die erste, die der Russe vor Dingen
der Schönheit stellt. Ein inneres Bei
hältnis dazu hat er nicht. Ihm genügt
der Samowar, der unerschöpfliche Men
gen von Thee spendet, und ein Eisenbahn
wagen, den er mit Kissen bis hoch hinauf
polstert. Diese Dinge sind sein Heim,
mit ihnen zieht er ohne Bedauern von
Straße zu Straße, von Stadt zu Stadt.
Es giebt kein Bürgerhaus in Rußland,
und von den Adelspalästen, die man auch
in den größten Städten an den Fingern
herzählen kann, stehen die meisten leer.
Es giebt aber auch, und das ist weit
schlimmer, kein BauernhauS, das dcr Be
wohncr Stolz und Freude wäre. Von
den echten Nomaden sogar haben manche
Stämme ihr Zelt mit Teppichen und
Filzdecken bequem und schön gemacht wie
ein Haus. Der russische Bauer aber
wohnt in Häusern, die eher Hütten heißen
sollten, wo im Winter das Vieh mit der
Familie die einzige Stube theilt, wo der
Ofen, das einzige aufgemauerte Stück des
Hauses, die Luft mit Rauch erfüllt, wo
ein Drittel der Kinder' im ersten Jahre
des Lebens erstickt und verkommt. In dcr
Waldregion des Nordens und rn klein
russischen Süden sehen die Bauernhäufcr
etwas besser aus, aber selbst hier haben
die Bauern kein Bett. Von allen an
sässigen Völkern sind wohl die Russen die
einzigen, die in den Kleidern schlafen, auf
dem Lehmboden der Hütte ober auf dem
heißen Ofen. ' Die obersten Schichten las
sen wohl von französischen Künstlern ihre
Wohnung ausschmücken, aber auf die
Qualität schauen sie wenig. Selbst dcr
Wintcrpalast des Zaren, in dem er freilich
seit der Revolution aus Angst vor seinem
Volke kaum noch einige Tage gewohnt hat,
ist so liederlich gebaut, wie man höchsten?
Ausstellungsbauteu aufführen darf, die
einen Sommer und nickt länger stekxfl
sl'Nen. Diese Glsichiüliigkcit für die
Güte der Arkeit ist freilich ein ganz all
gemein russtsl er Zug. der nicht nur beim
Häuserbau aufikitt. Man liebt prunkende
Vergoldung, man versieht sich unüber
treulich auf Theater, man hat auch die
Kunst Polemki', eine schone Wirklich
keit mit Koulissen vorzutäuschen, bis zur
Vollendung entwickelt.
Aber noch Schlimmeres haben die
Russen von ihren tatarischen Herren
übernommen, die selber inzwischen zu
tiium friedlich tubilkiiibca Volle bm
Kaufleuten geworden sind. Tie wilde
Znslörungilusl, die selbst bet scheinbar
hochgebildeten Leuten herausbricht, wenn
der Alkohol die schlummernden Instinkte
befreit, ist ei Erbe der Raudschaaren
Mittelasiens. Der mangelnde Respekt
vor dem Eigenthum, der Tag um Tag in
manchmal fast komischen Formen sich
öußert, ist natürlich durch die Thatsache
verschärft worden, daß der Bauer selber
nichls hat. Weit ärger aber als bei allen
freien Nomaden, die trotz der starken Bin
düngen der Stammetorganisation immer
etwas ritterlich Selbstbewußtes haben,
ärger sogar als bet allen andern Jahr
Hunderte lang geknechteten Völkern hat
sich bei den Russe die Lügenhaftigkeit
entwickelt, die eine dcr Formen der Vcr
thcidigung des Sklaven gegen seinen Un
icrdrücker darstellt. Der Russe ist ver
logen bis in's Innerste, er lügt im klei
ncn. aber er scheut vor schändlicher Lüge
auch dann nicht zurück, wenn Schlcksale
von Völkern auf dem Spiele stehen. Und
wenn andere Völker in der Unterdrückung
sich wenigstens den Sinn für Arbeit b
wahrten, erstickte die russische Sklaverei
in ollen, im Herren und im Knecht, jedes
Interesse an der That und am -Werk.
Man kann einen Russen, wenn ihm ein
verhältnismäßig hoher Gewinn vor
Augen steht, wohl für einige Tage mit
gewaltsamer MUKe wirken sehen, dann
aber erlahmt er. für Wochen. Trägheit
und Gewissenlosigkeit wirken zusammen
und schaffen eine innerliche Feindschaft
gegen den Tüchtigeren, den Arbeitsame
ren. Die ethnische Einheit des Slawen
thumS ist ein Märchen, das einige rus
sische Träumer aufgebracht habzn. Tie
Russen selber haben längst ihre indogcr
manische Rasse mit tatarischem, finni
schem, und sogar mit dem Blute von Kal
mllken und Burjaten gekreuzt, so daß der
Typus des hohen blonden Menschen, den
die altrussische Epik besingt, nur noch in
wenigen Landcstheilen überwiegt. Auch
die militärischen Eigenschaften, die in den
Kriegen des letzten Jahrhunderts zu
Tage getreten sind, zeigen im Guten und
Bösen den Einfluß des Nomadenbluts.
Die Standhaftigkcit des einzelnen Man
nes im Ertragen von Strapazen, der
wilde Muth, der bei Angriffen in großen
Verbünden entwickelt wird, die Todesver
achtung, tue aus dem Fatalismus des
Besitzlosen entspringt, die Genügsamkeit
und Geduld reichen aber im modernen
Kriege nicht mehr aus. Der russische
Soldat hat nie gewußt, wofür er kämpft,
er weiß es auch hcutc nicht. Der Schwung,
der auch Mißerfolgen standhält, der der
Truppe immer neue Energie giebt, fehlt
in der russischen Armee. Daß alle tcch
Nischen Ticnstzweige und die Verwaltung
unter dem Mangel ausreichend vorgebil
beten Personals leiden, ist bei dem Tief
stand dcr Kultur selbstverständlich; ver
schärft wird dieser, Nachtheil durch die
Leichtfertigkeit, die selbst argen Mißbräu
chen gegenüber im Frieden ein Auge zu
drücken läßt.
Die russische Armee geht auf Peter
den Großen zurück, der sie bewußt als
Werkzeug der Eroberung schuf, was sie
bis heute geblieben ist. Zunächst wandte
sich der Drang 'gegen -Westen, wo das
morsche Polen rasch genug fiel. Dann
wurde in Europa noch die Krim erobert,
nachdem man sie mit Bestechung, Be
Wucherung und Betrug etwa so gelähmj
hatte, wie man das jetzt in Persien thut.
Die Ostsecprovinzcn konnten keinen Wi
derstand leisten, nachdem Schwedens
Mncht zerbröckelt war, mehr .durch den
Größenwahn seiner Könige als die mili
tärische Uebcrlcgenhcit Rußlands. Fin
land ergab sich, als die Festung des Lan
des durch Verrath gefallen war, freiwil
lig, bevor seine Truppen überwunden
waren, im Vertrauen auf die Ver
sprechungcn Alezanders I. Die Kriege
mit der Türkei brachten im letzten Jahr
hundert als unmittelbaren Landerwerb in
Europa nur noch das rumänische Bessara
bicn an Rußland, das die, übrigen
Früchte der Siege im Balkan an Aul
garien und Serbien überließ, um daraus
Vorposten seiner Macht zu bilden. Wie
schwer es Rußland wurde, die Türkei nie
derzuwerfen, ist bekannt; in allen anderen
Kriegen, die mit den Eroberungen in
Europa endigten, fand Rußland keinen
rechten Widerstand. Dafür gelang ihm
freilich auch die organische Angliederung
dcS Gewonnenen fast nirgends, Polen,
Finland und Bessarabien sind Fremdkör
per im Reiche ge,blicben. In den Ostsee
Provinzen verbündete sich die herrschende
Klasse Rußlands mit den Deutschen, die
dort als Gutsbesitzer die Rolle mittclal
terlicher Feudalherren gegen die eftnische
und lettische Bevölkerung weiterspiclcn.
Die russische Bureaukratie fand bei die
sen abgesprengten Deutschen Instinkte des
Herrenthums. die ihr imponirtcn, und
Eigenschaften der Kultur, die ihr zur Be
herrschung auch des übrigen Reiches
werthvoll scheinen mußten. ' Dennoch
blieb eine wirkliche Assimilirung ausge
schlössen, und vor etwa AI Jahren dehnte
man die Verrussüngspolitik auch auf die
Gebiete der Deutschen aus. Es war, mit
einem Unterschied im Tempo, das näm
liche Schicksal, das Polen und Finland
betroffen hatte. Uebcrall suchte man rus
sisches Volksthum einzupflanzen, nirgend?
ist es gelungen. Wenn heute die- russische
Herrschaft aus einem dieser Gebiete ver
trieben wird, bleibt in Jahr nachher
höchstens noch eine - zwiebelgekuppelte
Kirche al? melancholischer Rest einer
Epoche zurück, die nirgends zu schaffen,
immer nur zu zerstören und zu verhin
der verstand. Eine militärische Erobe
rung war wegen der traurigen politischen
Zustände Europas manchmal möglich,
ine kulturelle konnte den Russen nie ge
lingen. Nicht anders steht es im Kau
kasus, der geographisch zu Asien gehört,
aber von uralte Kulturen durchackert
wurde. Nur inen Theil der Gebiete,
die im Schatten dieses gigantischen Ge
birgej liegen, haben die Russen erobert,
in hundertjährigem Kample g,gen Per
sie und die Türtti, die sich hier gegen
seiiig zum Sterben zerfleischt hatten. Der
größere Theil, das Königreich der Geor
gier, ergcib sich den Russen freiwillig, rief
sie zur Hilfe gegen den Islam, den es
nicht länger aushalten konnte, und
tauschte dasür.eine Herrfckiaft ein. die der
litzle Löschn! htule verachtet. Trotz un
geheuerlicher Summen, die aus dieses
Gebiet verwendet wurden, trotz der
immer wiederholten VesiedelungSoersuche
hat Rußland nicht erreicht, nur die po
lizeiliche Ruhe, die abseits der Heer
streißen schlecht genug gesichert ist und bei
jedem Fieber, das den Reichskörper
durchzuckt, dem offenen Aufruhr weicht.
Wirthschaftlich stehen heute die Kauka
susvölker auf tiefer Stufe, obwohl wenig
siens die Armenier fleißig sich herauszu
arbeiten suchen. An wirklicher Kultur,
an jenen Werthen, die sich nicht in
statistische Zahlen fassen lassen, sind sie
aber alle den Russen ülerlcgen.
Ein anderes Gebiet, das die Rnssen,
halb gegen den Willen ihrer Zaren, schon
im 17. Jahrhundert zu erobern ansingen,
ist dagegen thatsächlich russisch geworden:
Sibirien, das mittlere Nordasien. Hier
haben die Russen ihre Macht weit vor
geschoben, früh schon bis an den Baikal
see, der mit seinem unermeßlichen Was
scrspiegel und der hohen Bergkette,' die
nördlich von ihm die Trenniingölinie fort
setzt, zur Völkcrscheide bestimmt scheint,
im letzten Jahrhundert aber auch darüber
hinaus bis tief in's angestammte Gebiet
der gelben Rasse hinein,, bis an den Stil
len Ozean. Alles begünstigte hier die
Eroberung. Die endlosen Räume könn
ten das Steppenvolk nicht schrecken. Der
maßlose Ncberfluß an Land lockte immer
wieder die Nomaden, die an's Vergeuden
dieses Gutes unausrottbar gewöhnt wa
ren. Bis heute haben die Russen dieses
Gebiet nicht anders ausgenützt als ihre
Vorfahren; ein Gebiet, das einer der rie
sigstcn Fruchtgärtcn der Welt sein könnte,
ist nur Weideland und kaum zum Drittel
korgtragende Steppe. Dennoch ist dieses
Land das einzige wirkliche russische Ko
lonisirungsgebict, das einzige, das ihnen
niemand wieder entreißen wird. Tie
Eingeborenen haben sie, nicht immer mit
sanften Mitteln, vertrieben und ausge
rottet. Erst jenseits des großen Binnen
sees sammeln sich wieder die Mächte des
Widerstandes, denen ein geschwächtes
Rußland, nicht lange mehr widerstehen
wird. Was aber davor liegt, das ge
waltige Reich von Moskau bis Jrtuisk.
reicht auf Jahrhunderte hinaus, um alle
Kraft der Russen aufzunehmen 'und zu
beschäftigen. Im Osten wird ihre M.ichi
daran zerschellen, daß sie hier der Bcsic
delnng der Chinesen im Wege stehen, die
gegenwärtig In dcr Mandschurei eine
wuchtige Probe ihres, Könnens zeigen, die
auch keine gelbe Gefahr" mehr sein wer
den, wenn man ihnen das Land, das ihnen
zur Vesiedeluttg angewiesen erscheint, nicht
mehr künstlich verschließt. Jetzt schon
dringen sie trotz aller Hindernisse über die
russischen Grenzen. Nußland wird diese
Gebiete verlieren, die es nicht braucht, aus
denen es nichts zu machen versteht. .
Vielleicht sind das Aufgaben einer noch
nicht reifen Zukunft. Jetzt aber ist der
historische Augenblick gekommen, wo die
'russische Macht über Europäer gebrochen
werden muh. Daß zwei große Völker des
Westens sich mit Moskau verbünden, an
dcrt nichts an der Thatsache, daß der
große Krieg eine Erneuerung des ewigen
Kampfes der Gesittung gegen Barbani,
des Ackerbauers gegen den Nomaden be
deutet. Nicht die Gelben sind uns eine
Gefahr, sondern das Reich der Steppe, das
nach Asien zurückgewiesen werden muß.
Dort werden sich die Russen, wenn sie tie
fer pflügen, intensiver arbeiten lernen,
noch mächtig genug entfalten können.
Die "Zlngarn
im Krieg.
K. u. k. Kriegspreß quartier.
Ende November.
Auf' meiner. Fahrt vom nördlichen auf
den südlichen Kriegsschauplatz bin ich jetzt
wieder nach Budapest gekommen. Oft
war in mir eine Vision jenes fieberheißen
Juliabends aufgestiegen, an dem ich die
ungarische Hauptstadt zuletzt geseh - hatte.
Ich war von Semlin gekommen, wo an
der Donau und Cabe die ersten Schüsse
dieses großen Krieges losgegangen waren.
Auf dem Donaudampfcr waren mir die
ersten Mobilisirten begegnet. Als ich'über
den Budapest Ring nach dem Westbahn
Hof fuhr, stockte dcr Wagen In den Mas
sen der jungen Männer,, die singend dem
gleichen Ziele zustrebten. Uebcrall hörte
man die getragenen Klänge dcr ungari
schen Hymne, des feurigen Rakoczi-Mar
sches. des Kossuth-Liedcs und der Wacht
am Rhein. Auf der Straße umarmten
die Leute einander, wie wenn ihnen ein
großes Glück begegnet Ware. Als ich spä
ter durch die gesegneten Landstriche Nord
Ungarns nach den Schlachtfeldern Gali
zicns fuhr, sah ich keinen dcr hundert Sol
datenzüge, der nicht mit Blumen ge
schmückt gewesen wäre. Weit aus den
umliegenden Dörfern waren die Frauen
und Mädchen in ihren farbigsten Sonn
tagsstaaie herbeigeeilt, um die scheidenden
Soldaten zu beschenken und anzufeuern.
Es war, als ob sich dieses ganze Land
dem Kriege hingegeben hatte, mit allen
Kräften einer prachtvollen Leidenschaft,
die nur eine Alles beherrschende große
Idee zu erzeugen vermag. .
Freude und Trauer sind seither In
zuckendem Wechsel über die Stadt Buda
Pest hinweggegangen, nur es ist, als ob
mit den herbstlichen Nebeln, die von der
Donau gegen die alte Königsstgdt Ofen
aufsteigen, sich auch ein leiser Schatten
über ganz Budapest lagerte. Der Lärm
dcr Straße ist oft bis zur völligen Stille
abgedämpft, ein ruhiger Ernst scheint über
den Menschen und den Dingen in dieser
Stadt zu liegen, die wir für ewig jung
hielten, und die nun doch Liter geworden
ist. Vielleicht, weil man nur wenige junge
Männer auf den Straßen sieht, vielleicht
auch, weil überall dcr Blick auf Dinge
fällt, die un an den Ernst der Zeit er
innern. In den SckMusenstern Berge von
Wollsachen, schweren Schuhen. Waffen,
KriegSpclzen, Trophien. vom Feinde er
beutet, so kussische Gewehre und Solda
tknmutzen, Patronenmagazine mit den
feingespitzten Geschossen, blinkende Schrap
nellhlllsen Päckchen mit Liebeögaben,
G.ldbÜchsen mit dem rutha Nreuz, und
überall an den Straßenecken Männer und
Frauen, die Zeitungen verkaufe und die
Schlachten zu Wasser und zu Lande, die
Todten, Verwundeten und Gefangenen
mit schriller Stimme ausrufen. E ist
c?ffenbar, daß in dem Sinnen und Trach
ten dcr Mensckxn nickits mehr Platz sin
det als der Kricg. Freilich, es ist nicht
mehr der wilde Rausch der ersten Kriegs
tage, aber es ist ein besseres tieferes Em
pfinden: Der bewußte Ernst, den eine
schwere Zeit über die Menschen gebracht
hat. Wir gewinnen a'ber darum diese
schöne Stadt von Neuem lieb, gerade weil
sie anders geworden ist. Jetzt erst erken
nen wir vielleicht ibr innerstes Wesen, die
heroische Schönheit ihrer Bauten und
Denkmäler, die Vergangenheit dieses tcm
peramcntvollen kriegerischen Volke! und
seine Sendung für die Zukunft.
Die Söhne Ungarns kämpfen und blu
ten im Norden und im Süden dc. Mon
archie. Ihnen und den deutschen Truppen
der österreichischen Alpcnländer begegneten
wir in Galizicn immer In dcr vordersten
Linie, an allen Orten, wo sich Entschei
düngen vorbereiteten. Der Krieg gegen
die Serben wird in Ungarn überhaupt
nur der ungarische Krieg" genannt. Ein
alter historlsckxr Haß ist hier die Trieb
fcder verzweifelten Kampfes, wie ja auch
der Russe seit 1843 als ein Erbfeind der
ungarischen Nation betrachtet wird. In
den Forts von Przemysl fanden wir
graubärtige ungarische Landsturmmönner
zusammen mit Tiroler Landesschützen.
Sie haben hervorragenden Antheil an dcr
Vertheidigung des Festung gehabt. In
Serbien sind die Sturmangriffe dcr ,Ba
kas", wie man die kernmagyarischen Sol
baten nennt, von den Serben am meisten
gefürchtet. In manchen Gefechten' im
Norden und im Süden hat die tollkühne
Tapferkeit der ungarischen Honveds den
Aufschlag gegeben. Freilich hat die rück
sichtslose Verachtung der Gefahr manchen
ungarischen Regimentern schwere Verluste
gebracht, und schon zu Beginn des Krie
ge? mußte den Husaren verboten werden,
Schützengräben zu attackiren. Ganz be
sonders hat sich der ungarische Landsturm
bei Vertheidigung der Karpathenpässe be
währt. In den bedrohten Ortschaften,
Nordungarns griffen Greise und Kinder
zu den Waffen, um dem einbrechenden
Feinde entgegenzuzichen und vom Boden
der Heimath zu vertreiben.
: Wie seine Söhne im Felde, so arbeitet
auch das ganK Land unermüdlich im
Geiste seiner Kämpfer an der Front nur
zu ihrem Wohle. Wir hatten in Buda
pcst Gelegenheit, die großartigen Organ!
sationen zu schen, die für die Pflege dcr
Verwundeten wirken. ' Eines der Hospi
täler, das die Budapest Banken in ei.ier
eben fertig gewordenen riesigen elcktrotech
Nischen Fabrik errichtet haben, dürfte
wohl durch die Vollkommenheit seiner
Einrichtungen in dcr ganzen Welt Be
wunderung erregen. Es bietet für mehrere
Tausende Schwerverwundcte Raum, die
mit Schiff oder Eisenbahn bis vor das
Thor dcr Musteranstalt gebracht werden.
Die Schiffahrtsgesellschaften haben eigene
Spitalschiffe ausgerüstet, schwimmende
Sanitätsanstalten, die dje Verwundeten
nahe dem Kriegsschauplatz aufnehmen und
nach Budapest bringen. Immer' neue Im
pulse für die Vcrwundetenpflege giebt in
Ungarn die Erzherzogin Augusta, Gemah
lin des ungarischen" Erzherzogs Joseph,
der selbst auf dem südlichen Kriegsschau
piatz im Felde steht. Diese zielbewußte
und liebenswürdige Prinzessin genießt die
Liebe ganz Ungarns. In Budapest ist
auch eine der unermüdlichsten Nährmütter
dieses Krieges: eine Konserven und Mu
nitionsfabrik. Hier werden täglich an tau
send Ochsen zu Gulaschkonserven verar
beitct und zugleich der Munitionsvorrath
der kLmpfcnden Armeen durch Tag und
Nacht andauernde Arbeit ergänzt. 15,000
Arbeiter sind hier beschäftigt. Ein Gang
durch diese Fabriken, in der von der Ge
Wehrpatrone bis zur 30 Centimeter-Gra
nate alle Geschosse erzeugt werden, die
Heer und Flotte brauchcn, zeigte uns erst,
wie ungeheuer die Massen an Munition
sind, die in diesem Kriege verbraucht wer
den und damit auch wie wenige Kugeln
eigentlich treffen. Sie zeigte uns aber
auch, mit welcher unermüdlichen Sorgfalk
an jedem einzelnen der verderbenbringen
den Geschosse gearbeitet wird, und welche
ungeheuren Summen an Geist, Geld und
Arbeit eine moderne Schlacht kostet. Ein
sonderbarer Anblick ist, wenn man durch
die Arbeitssäle dcr Gcschoßfabrik geht und
an langen Tischen Hunderte von Mäd
chen und Frauen sitzen sieht, die mit
gleichgiltiger Miene die Schrapnelle und
Granaten mit Sprengstoffen und Kugeln
füllen, glätten und glänzend Poliren, wie
einen hübschen Schmuckgegenstand. Und
doch ist das kein so mechanisches Arbeiten,
wie man glauben möchte; diese Arbeiterin
nen denken oft an die Soldaten in der
Ferne, die einst diese blanken, blitzenden,
knallenden Dinger gegen den Feind schien
dein sollen. In jeden Verschlag geben sie
aus ihren kleinen Ersparnissen eine Lie
besgabe: ein paar Cigaretten, eine Ci
gar, ein Täfelchcn Chokolade. Während
sie still dasitzen und. mit behenden Fingern
dem verderblichen Geschoß den schrecklichen
Inhalt geben und eS danw zu spicgeinoem
Glanz poliren, denken sie an die frohe Ue
berraschung des Kanoniers, der im Don
ner dcr Schlacht den Verschlag' öffnet und
die heißersehnte langentbehrte Cigarette
findet. Ich finde das reizend von diesen
ungarischen Schrapnell und Granatmäd
chen. ,
. . Wl. Mülle,.
Bis in den Anfana des lg. .aKr
Hunderts besuchte die vornehme englische
Gesellschaft Bedlam, die berühmte Irren
ansialt, als Belustigungsort.
Die niederländische Presse.
Mi seit Beginn des großen Völkcrrin
gen die niederländische Presse mit einiger
Aufmerksamkeit betrachtet und die führen
den Zeitungen der größern Parteien auf
merksam liest, wird den antideutschen Un
terton bemerkt haben, der dort leider recht
häusig duichklingt. Oester ist an dieser
Stelle darauf hing'wicsen worden. Ein
Beobachter der holländischen Presse schreib
un! dazu:
Wohl reihen die Zeitungen an die Tele
gramme der Reuter und der HavaS Agen,
tur auch Wolff-Telegramme und solche der
Björnsonschen Korrespondenz Norden;
in welchen in freundlichem Sinne dem
Publikum das eine oder andere aus
Deutschland erklärt und gedeutet wird
oder zum mindesten logische Folgerungen
in ruhiger, sachlicher Form aus dem viel
verbreiteten gegen" und dem weniger be
sprochenen für Teutschland" gezogen wer
den. Im großen und ganzen aber kann
man getrost sagen, daß Deutschland im
Gegensatz zu andern Staaten von der hol.
ländischcn Presse vorzugsweise mit .be
sonderm" Maße gemessen wird. Das gilt
namentlich im Hinblick auf England:
Ueber keine englische Gemaltmaßrcgel ge
gen den Handel Hollands. übr keinen der
thatsächlich vorgekommenen Uebergriffc der
Engländer beim Aufhalten und Durch
suchen holländischer Handelsschiffe ist ein
Wort der Entrüstung in der holländischen
Presse bekannt geworden. Was in den
holländischen Zeitungen wohl gestanden
hätte, wenn Deutschland nach englischem
Muster vorgegangen wäre! Und weiter:
Mit Wohlbehagen wird alle? breitgetreten
und kommentiert, was sich irgendwie zu
Angriffen auf deutsches Wesen eignet.
Was ist nicht alleS über die Strafgerichte
in Belgien und den deutschen Barbaris
mus geschrieben worden! Ein Rotier
damer Lehrer hat in einem langathmigen
Artikel die issische Kultur weit über die
deutsche gestellt. Ach. werther Herr, hätten
Sie die Russen zu Nachbarn. Sie wären
bald geheilt! Niemand ist es dagegen ein
gefallen, das Verhalten dir Belgier et
was näher zu untersuchen, welches erst
den Anlaß dazu gab, Strafgerichte ab
zuhalten. Im Hollandexpreß vom 28.
Oktober 1914 ist über die Heimkehr der
belgischen Flüchtlinge folgendes zu lesen:
Die Sieger versprechen viel- Könnt
ihr es den Belgiern verdenken, daß sie
gegen diese Versprechungen mißtrauisch
sind? Was ist Gutes von einer Nation
wie der deutschen zu erwarten, die zu
schwach, um ihre eigenen Grenzen zu ver
leidigen, unvorhergesehen" eine zehnmal
kleinere unvorbereitete" Nation gegen
Vertrag. Recht und Gerechtigkeit überfällt
unterdrückt, knebelt und mordet, das ger
manische Selbstlos und treu" in das bar
barische Treulos und selbst" verwandelnd,
auf eine Weise, wie dies in der Geschichte
der Kulturvölker ohne Beispiel ist." Am
sterdamer Blätter ergehen sich in gchässi
gen Artikeln; eines spricht sogar von
Deutschland als Erbfeinde.
Die belgische Regierung veröffentlichte
unlängst in dev holländischen Presse eine
amtliche Mittheilung, wonach die deutsche
Armeelcitung sich um. die belgische Bevöl
kerung nicht kümmere und diese dem Hun
.ger preisgebe. Um zu zeigen, wie gründ
los diese gegen die deutsche Hceresverwal
tung erhobenen Anschuldigungen sind,
veröffentlichte die deutsche Regierung ei
nen- Notenwechsel der deutschen Gesandt
sckpst im Haag mit dcr holländischen Re
gierung, aus dem hervorging, daß bereits
kurz nach Ausbruch des Krieges von der
deutschen Heeresverwaltung Maßnahmen,
insonderheit auch Einfuhr pon Lebens
Mitteln aus Holland in das von deutschen
Truppen besetzte belgische Gebiet, angeregt
wurden, um einer etwaigen Hungcrsnoih
unter der belgischen Bevölkerung tiach
Möglichkeit vorzubeugen; daß aber die
Durchführung dieser Maßnahmen inso
weik auf Schwierigkeiten stieß, als die
englische und französische Regierung ge
gen eine Mitwirkung Hollands zur Er
nährung 'der Belgier Einspruch erhoben
unter Hinweis auf die holländische Neu
tralität. Dieser Notenwechsel hat nun
der Tijd einem ultramontanen Am
sterdamer Blatt Veranlassung zu einer
die Tatsachen vollkommen verdrehenden
Artikel gegeben, der die höfliche Ueber
schrift Ungeschickte Diplomatie" trägt.
Wir wollen auf Einzelheiten dieses Ar
tikels nicht eingehen, nur dessen Tendenz
darlegen. Zweimal so schreibt das Blatt,
hätte es diese Noten lesen müssen, um
überhaupt an die Möglichkeit der Existenz
derselben glauben zu können. Im feind
lichen Lande hätte der Bcsitzergreifer für
Leben und Eigenthum dcr Bcvölkcrung
zu sorgen, und Requisitionen so heißt
es weiter müßten nach Artikel 52 der
ll. Haager Konvention nur im Verhält
nis zu den Hilfsmitteln des Landes stehen
Man fragt vergeblich was die Rcquisitio
nen mit dem Notenwechsel zu tun haben.
Von Requisitionen ist in den Noten nir
gcnd die Rede. Diese Frage wirft an
scheinend die Tijd in die Debatte, um zu
einem absprechenden Urtheil zu gelangen
und die Tatsachen zu verdunkeln, daß
man auf deutscher Seite um die Ernäh
rung der belgischen Bcvölkcrung bemüht
gewesen ist. 'Die Tijd stimmt schließlich
den Ausführungen des sozialdcmokrati
schen Blattes Hct Volk" zu. wonach die
Veröffentlichung der Noten die Stimmung
der belgischen Flüchtlinge aufs neue er
regen müsse und geeignet sei, das geringe
Vertrauen derselben zu Deutschland und
deutschen Behörden zu untergraben. Ge
rade das Gegenteil ist richtig: Der Um
stand, daß man sich deutscherseits bereits
seit Beginn des Krieges mit der belgi
schen Ernährungsfrage beschäftigt hat,
muß das Vertrauen der Belgier zu den
deutschen Behörden nicht schwächen, son
dern stärken.
Die niederländische Presse untersteht
keiner Zensur, sie mag frei ihre Gedanken
äußern; man dürfte aber doch von ihr
erwarten, daß sie sich fern hielte von der
artigen Verdrehungen und nicht , unter
dem Deckmantel der Neutralität die Ge
lcgenheit wahrnähme, mit spitzer Feder
allem entgegenzuarbeiten, was zu einem
guten Verhältnis der beiden Nachbarvöl
jcr, dem deutsche und , holländischen, die,
nen konnte. Schon fetzt machen sich In
Deutschlands Handelskreisen !l!crstiinmun
gen bkmcrkbar über die Hallung der hol
ländischen Presse. Eine Haager Zcitung
Hct Vaderland spricht bei der Er
örterung dieser Tatsache von einer Art
Zensur, die man an der holländischen
Vrekle übe, und nimmt daaeaen Stellunei.
Nein, an eine Zensur, ct:t 'Uyn ir'.r an.
eine Bevormundung ist dabei nicht im enk
fnntcsten gedacht. 'Aber weite Kreis
Deutschland verstehen nickt, warum bei
der großen Vorsicht und Rücksicht, womit
in Holland Blättern Angelegenheiten der
mit Deutschland im Kriege befindlichen
Nationen behandelt werden, bei der Ve
sprechung deutscher Fragen bausig ein
Ton beliebt wird, der im vollkommenen
Geqensak: zu dem Begriffe i,ertral"
steht- WaS wir in dies Beziehung der
langen und verlangen können, ist gleiche
Recht für olle. Wir werden un? freuen,
wenn dieser Grundsah künstig von der
holländischen Presse Teutschland gegen
über etwa? mehr beherzigt würde als
bisher.
Wie viele Mohammedaner
giebt es?
Tie Erklärung de? heiligen Krieges hat
die N!ohammcdaner aller Länder und
Erdtheile zum Kampf gegen die tiirken
feindliche Mächte des Dreiverbandes auf
gerufen. Ta ist die Frage von Bedeu
tung, wieviel Bekenner des Islam es zur
Zeit aus der Erde giebt. Berhältnismä
big wenig Mohammedaner leben in der
europäischen Türkei. Ihre Zahl belief sich
vor dem Balkankrieg auf nur zlve! Millio
nen, hat sich aber nach dem Verlust von
Albanien und den Makedonischen Provin
zen noch vermindert. Die auf asiatischem
Gebiete liegenden Theile des türkischen
Reiches, als Kleinasien, Syrien mit Pa
lästina und Arabien, bergen 11.5 Millio
nen. Gehen wir in Asien weiter, dann
werden in Persicn 9 Millionen, in Afgha
nistan 5,5 Millionen, in Bcludschistan
0,5 Millionen Mohammedaner zum heiti
getr Krieg aufgerufen, denn es scheint, als
ob die Rcligionsstreitigkeiten dcr in Per
sicn vnd Afghanistan lebenden auf zusam
men 10 Millionen bezifferten Schiiten
mit den Sunniten Angesichts der bevor
stehenden Kämpfe begraben worden sind.
Groß ist die Zahl der Bekenner des
Islams in dem unter britischer Hoheit
stehenden Vorderindien einschließlich der
abhängigen Tributstaaten Nepal, Sikkim
und Bhutan; sie beläuft sich auf 61.5
Millionen. Hintcrindien birgt 5,5 Mil
lionen Mohammedaner, wovon 1 Million
auf das unabhängige Königreich Siam,
die übrigen 4,5 Millionen auf Britisch
Birma und die französische Kolonie Jndo
china entfallen. Die asiatischen Inseln,
von denen gleichfalls ein nicht unbeträcht
lichcr Theil England gehört, werden, von
31 Millionen Mohammedanern bewohnt
und China mit seinen Nachbarländern, zu
denen die zum Theil schon unter rufst
schem Einfluß stehende Mongolei und
Mandschurei sowie das japanische Korea
gerechnet sind, zählt unter seinen Bewoh
nern 33 Millionen, die sich zum Islam
bekennen. Gering ist die Zahl der Mo
hammedaner in Australien und auf den
oceanischen Inseln; sie beträgt nur 20,000.
Auch in Amerika ist die Zahl dcr aus
40,000 bezifferten, zerstreut lebenden Mo
hammedaner im Verhältnis zur Gesamt
bevölkcrung verschwindend klein.
In Afrika dagegen werden weite Ge
biete fast ausschließlich von Mohammeda
nern bevölkert. So ergeh! in Aegypten
der Aufruf zum heiligen Krieg an 7 Mil
lionen; in Marokko haben 10 Millionen
schon seit Wochen auf den Ruf des
Scheich-ül-Jslam gelauert, um die fran
zösische Herrschaft abzuschütteln, und in
Algier rühren sich 4j Millionen, in Tu
nis anderthalb Millionen Mohammeda
ner. In allen diesen nordafrikanischcn
Ländern ist die Zahl der Andersgläubigen
verschwindend gering . gegenüber d'cr dcr
Mohammedaner. Auch im britischen Su
dangebiet leben 9 Millionen Mohamme
dancr, im Kolonialgcbiet der Franzosen -in
der Sahara und in Mittclafrika ma
chen sie noch die Hälfte der Bevölkerung
aus und selbst unter den 30 Millionen
Bewohnern des Kongostaatcs sind noch
zwei Millionen Jslamitcn. Auch das
große russische Reich birgt zahlre!cke Mo
hammedaner. Im europäischen Rußland
giebt es 8 Millionen, wovon allein 2,2
Millionen in den kaukasischen Gegenden
leben, die jetzt das Kampfgebiet der Tür
ken bilden; 10 Millionen besitzt das asia
tische Rußland. Nach einer Statistik von
Hubert Jansen bolicf sich die Zahl aller
Jslamiten im Jahre 1897 auf 259 Mil
lionen, wovon 171 Millionen auf Asien,
76,5 Millionen auf Afrika und 11,5 Mil
lionen auf Europa entfielen. Da die Ver
mchrung dcr Mohammedaner jährlich im
Durchschnitt 0,5 Prozent beträgt, ist dcr
nunmehr ergangen Aufruf zum heiligen
Kricg an etwa 285 Millionen Bekenne?
des Islams gerichtet.
Schimpfliche Behandlung katholischer
Missionare.
Die Germania" bringt folgende Mit
theilungen:
Vor einigen Tagen sind drei Missions
Priester der Pallotiner und drei Missions
schwestern der Pallotinerinnen, die alle ge
legentlich der am 27. September durch die
Engländer un Franzosen erfolgten Ein
nähme Dualas, der Hauptstadt Kameruns,
zu Kriegsgefangenen gemacht wurden, in
il)"- Mutterhäusern eingetroffen. Die
sehr nothdürftige Ausrüstung dcr Patres
zeugt von der rücksichtslosen Eiligkeit, mit
der sie fortgeschleppt worden waren. Auf ,
einem englischen Frachtdampfcr im Verein
mit noch etwa 750 kricgsgcfangenen Her
rcn im Frachtgüterraum mangelhast un
tergebracht, sind sie in achtwöchiger, entbch
rungsreicher Reise nach England überführt
worden. Die übrigen Patres und Brüder
der Missionsstation der Pallotina in
Duala sind auf einem französischen Dom
pfer als Kriegsgefangene förttransportirt
worden. Ueber ihr weiteres Schicksal ist
nichts Bestimmtes bekannt ,
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