Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, September 02, 1914, Image 2

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Manöver.
Norelle ron l)enry perl.
Ctt Vormittag erwartete man bal Re
imml. Fern von den Zentren fc Zi
:ia( o. kort, ico da Vttxn friedlich
if f!n mur-Aflnbft Bach binfüfH wird
betgtrchen um Ereignisse. Selbst der
V'ftcftir.ann, Vt von Hau otil zum Geize
tiütteitit, fnlji nicht ungern, wenn in
''ii,d",, !'!, cm paar lujligk Soldaten
tnnt Riji unkt feinem Toche halten.
Man trinkt iiiid schwatzt miteinander und
Iji'tl, itnf in txf lutll, in der ai)t bet
riif'ftibni Maschine zugeht. Wiewohl
U'iiie April, war d,k Lust doch schnkidknd
Im. Tllis den nahen Bergen lagen große
Massen Schnee und der Wind kam dem
Norden; babei schien die Sonne in Hellem
rjiubImcjatan-,( und verklärte allcs ringt
umher. Tie Aägdt hatten sich an dicftm
Tage al besonder! flink erwiesen, denn
sie wollen frei sein und die Soldaten in
ziehen sehen.-
.Jetzt meint' die Tonne gut!" kies ein
Hübsches Mädchen einem andern über den
ildea. Hinüber zu und Wie ihr: von der
ßalt? steifen Finger warm.
,7ai ist gescheit." gab die Bnaeredele
juMk, .da werden sie lustig sein!
Sie?" wer sonst als die Soldaten!
Und da Herz hüpfte beiden vor Freude
m diesem Gedanken. Pferdegetrappel,
Tromrttenstösze sie sind' sie sind'!.
Da Regiment.
Da ganze Dorf tjiifj die Einziehenden
iDilllcmmen. Alt und jung erwies sich
hilfreich und gcschäslig; überall Waffenge
klirre, frohes Lachen, ein Durcheinander
Her Miindarvu der Halbinsel. Leben und
Fröhlichkeit, wohin man blickte.
I dem langen, niedrigen Cpeisesaal
der Jnttcria .Älla Lima" saßen die Cf
sifirtt in der Kampagne.-Uniform. vom
Marscb ermüdet und wärmten ibre hohen,
dlirchnäsztcn Stiefel an der wohlthätigen
Flamme kinc lustigen Naminscuers.
Flotte Leute durch die Bank, die ftch's
Wohl sein licszen nach den überstandenen
Strapazen bei einem leidlichen Mahl, dein
sie mit dem Appetit ihrer Jugend und Ge
snndhcit jusprachen. Man war beim
schwarzen Kaffee angelangt. Leutnant
Ürevisarü hatte seinen Stuhl an Fenster
gluckt und rauchte schaukelnd eine Ziga
rette, den Blick der Strafze zugekehrt.
.Seftrelli! Schnell komm da
schau " und er zeigte dem herbeieilenden
Kameraden zwei Damen, die auf der ent
gegengeschien Seite über den Marktplatz
schritten. Hast Du je Reizenderes ge
sehen,' Höchst fnmpathisch fürwahr und diese
lZleganz!" Seftrelli hatte die Worte kaum
gesprochen, als sämmtliche Offiziere sich
uch schon erhoben hatten und an! Fen
fier eilten. .Höchster Schick !" .Diese
Füßchen, per bacco!" .Vornehmer
Gang!' .Allerliebst!- .Sehens
werth!- Tarin waren olle einig.
.Wirth! Padronc! Schnell! Her da
ju uns'.- rief der blutjunge Leutnant
Mondello und klemmte fein Monokel st
ster Auge.
Wer sind diese Damen, d da drü
den?- fragte Trellisani den rasch herbei
geeilten Wirth.
Dieser, ein gutmüthiger, beleibter Fünf
ziger, strich seinen röthlichgrauen Spitz
fort zärtlich abwärts und sprach langsam:
.Die eine ist Signora Corati di Giojoso,
die Dochter des Besitzers jener Villa, die
der Herr Leutnant da drüben auf dem
Hügel sehen, und, die Schwarze, die an
dere, ist ihre ältere Schwester, die War
chese Gamberti, eine Dame, die "
In diesem Augenblicke trat die dralle
Hausmagd mit dem Likör herein. TaZ
Gespräch wurde unterbrochen und mit
Anita gescherzt. Uebrigens wußte man
nicht genug? Dieser stille Erdenwinkel
.barg zwei hochgeborene Schönheiten, die
sich nach der neuesten Wode kleiden. Der
Hauptmann schob jetzt das geante Glas
ehe bei Seile; er war noch ein junger
Wann, erst kürzlich zum Hauptmannsrang
vancirt u.rd noch auf kamaradschaftlichem
Fuße mit seinen Offizieren.
Wie steht'S allseitig um die Quartier
frage, meine Herren? Da unser Hunger
gestillt ist, können wir ja auch darüber ein
Wort dcrknen seid Ihr zu Euerer Zu
sriedenheit untergebracht? Wir bleiben
zwei volle Tage hier!"
Jeder der Offiziere nannte die angcwie
fene Behausung und machte seine störn
mentare dazu.
.Unglücklicher Sestrelli! Es steht also
eschrieben, daß er allemal zu einem Fri
seur kommt. Nun, feine Haare vertragen
gerade wieder das Schneiden was?-
.Sestrelli. hörst Du, liefere Dich gleich
dem Friseur aus anstatt Dich feiner
Ehehälfte in die Arme zu werfen? Du
Kcifzt schon ... wie damals."
Schallendeö Gelächter von allen Seiten.
Man kannte ja die famose Geschichte mit
der Friseurin.
.Bedauert mich, anstatt zu lachen
da ist Latachi, dem ein freundlicher Stern
wi?!t: immer unter Aristokraten! Heute
beherbergt ihn wieder Baron Corati di
Giojoso. Glück muß man haben!'
Wie sagst Du? Corati Giojosa! Das
Ist ja der Vater der reizenden Blondine,
die eben vorüberging."
.Du bist ein Glückskind. Batachi,"
Kurde dem hübschen Leutnant von seinen
Kameraden zugerufen .ein Glücks
kind !'
Und Du? Zu wem kommst Du denn?"
fragte Trevisani den blutjungen Offizier
mit dem ?1!onokel. Beide hatten gleichzei
tig die Kriegsschule in Modena besucht
und ihre freundschaftlichen Beziehungen
ans dieser jüngsten Vergangenheit beide
halkn.
Ich." erwiderte der Gefragte und seine
Stimme klang wie die eines Mädchens,
oh, ich bin sehr zufrieden, man hat mir
ein Quartier bei der verwittwete Mar
refa arncrt-'t angewiesen." Er mühte
sich bei diesen letzten, mehr geschnarrten
als gesprochenen Worten seines noch im
Keimen begriffenen Schnurrbartes habhaft
zu werde.
Wittwe! Was Wittwe? Eine verwitt
wete Marchksc, ist die schöne Gamberti?
Der Trottel von einem Wirth hätte uns
däs 006z gleich sagen können" und Tttvi-
. ' ' '.
sani schien über diese f uteeduna, ganz au
dem Häulchen gerathen u sein,
.!ll!t,me. sagst Lu?' forschte er den
geeund weiter au; .aber Du muht ws
skN. da ist gerat mein Iall! Ich mache
mir gar nicht au jungen Mädchen, hin
g'gen eine Wittwe, und' diese Wittwe
Paolo, lieber, guter Paolo, tritt mir Dein
Logi ad ... ich werde Dir Zeit meine
Leben diesen Jreundschaslödienst nicht
beige ijenl
.Abu nein, tausch' mit Batachi. da
kommst Tu ins Hau der schönen Blon
dine vielleicht deirathest Tu sie. Mir
gssallen auch Wittwen besser, sie sind pi
kanter" und der kleine Ofsizier klemmte
sei Ang.'Ngla unternehmend fest.
.Ich beschwöre 7)' Paolo, thue mir
den Wallen, lasse mich za der verwitt
rüsten Maichefa ziehen; el bandelt sich
möglicherweise um mein Lebensgluck
veritchst Du. Junge?"
Nun. so geh' in Gottes Namen hin
Ich trete Dir meine Wohnungnweisung
ab; erwärme Dein Herz am Anblick der
schönen Wittwe und Deine Stiesel an
ihrem Kaminfeuer!" Und da Leutnant
chen erkünstelte eine Gleichgültigkeit, die k
weit entfernt war. zu empfinden. 2rev,
sani aber hörte nicht weiter auf da, was
jener sprach; im Nu war er draußen aus
der Suche nach seinem Koffer und nahm
in einer der leeren Wirihsstuden einen
vollständigen Toilettenivcchsel vor. Eine
Viertelstunde später stand er, jetzt en
pleine parade. abermals in dem langen
niedrigen Saal, wo eben die Ossiziers
tasel abgeräumt wurde, und ließ sich die
ungefähre Richtung des Schlöffe Gam
berti angeben.
Ach, Sie, Herr Leutnant, sind der, der
dort einlogirt ist?" forschte der dicke Wirth
und unterzog den Offizier einer genaueren
Musterung, wie um sich zu dergewiffern.
ob er einer solchen Auszeichnung auch
werth fei. .Sehr wohl sehr wohl! Ganz
in der Nähe der Valazzo, sehen Herr Leut
nant dort, wo die vielen Lichter her
überglänzen!" Trevisani eilte fort und stand bald vor
einem vornehmen, brrschaftlichen Bau des
vorigen Jahrhunderts.
Läßt nichts zu wünschen übrig," dachte
er; die Behausung einer großen Dame,
ganz und gar!"
Ein Kammerdiener im schwartn Frack
und weißer Halsbinde empfing den angk
meldeten Krieger mit feierlichem Zeremo
nicll.
Kann ich der Frau Marchcsa meine
Aufwartung machen?" fragte Trevisani
den dienstbeflissenen Vorauseilenden.
Die Signora Marchefa ist in diesem
Augenblicke drüben in der Villa Giojoso."
Damit geleitete der Kammerdiener den
Leutnant in ein großes Gemach, dessen
Wände mit altem Brokat bekleidet und mit
kostbaren Möbeln angefüllt waren. Ein
lustiges Feuer in einem hohen Marmor
kamin verbreitete Wärm und Helligkeit.
Treibhauspflanzen grünten in allen vier
Ecken und der Duft blühender Hyazinthen
gemahnte an die Gegenwart einer elegan
ten Frau.
Wenn der Herr Leutnant zu lesen
wünschen." schlug der korrekte Diener der
kindlich vor. hier find Zeitungen in gro-
ßer Auswahl und dort auf den Regalen
auch Bücher. Darf ich Herrn Leutnant
dielleicht Thee, Kaffee oder Litör auftra
gen?"
Danke Danke,' erwiderte der Offi
zier wie geistesabwesend.
.Herr Leutnant sind vielleicht ermüdet
und wünschen sich zur Ruhe zu begeben ?"
.Tanke, danke, ich gehe nie vor Mittcr.
nacht zu Bette." Tie letzte Phrase wurde
mit Absicht gesprochen. Trevisani wollte
gerne wissen, ob Aussicht vorhanden sei.
die Frau des HauseS vor Ablauf dieser
Frist zu sehen. Allein der Diener zog sich
anstatt aller Antwort mit einer stummen
Verbeugung zurück. Sobald Trevisani
allein war. setzte er sich auf einen niedri
gen und bequemen Armstuhl, und ließ
seine Blicke über den vornehm und ge
schmackvoll kigerichteten Raum schweifen.
.Da wäre eine Häuslichkeit, wie ich sie
träume, und dieser Diener dazu, einen
Anstand, ein Taktgefühl!
Ja. ja wer das Glück hätte und '
Er unterbrach sich selbst und grisf nach
einem Zeitungs blatte, allein Aufregung
und Erwartung verhinderten ihn, das Ge
lcsene zu verstehen.
Er rückte den Armstuhl näher an! Jen
sier und stierte in die lodern Flamme, die
in blauen, gelben, rothen Zungen empor-
leckte und tausend übermüthige Gedankn
in seinem Kopfe wecken half.
Die Zeit verflog da öffnete man die
Thür, und siehe da. die Erwartete trat
herein.
Die Marchcsa in höchst eigener Per-
son!" sagte sich Trevisani, dessen Erwar
tungen von der Anmuth und Schönheit
der Schloßherrin Llxrtroffen wurden.
Sie ist in der Nähe noch schöner," dachte
er weiter und stammelte einige verbindliche
Worte, mit denen er sich selbst bei der
Schloßherrin einführte. Mit der Unge
zwungenheit einer Weltdame reichte sie ihm
die Hand zum Kuffe hin.
.Sie sehen", sprach sie verbindlich, .ich
habe mich beeilt, nach Hause zu kommen,
um die Pslichten der Gastfreundschaft zu
erfüllen, da ich drüben in der Villa Gio
joso bei den Eltern mit einem Ihrer Ka
meraden zusammengetroffen bin und von
Ihrer Gegenwart verständigt wurde."
Der junge .Wann verneigte sich, sichtlich
geschmeichelt, unter dem Blicke dieser schel
mischen braunen Augen, die sich eingehend
mit seinem äußeren Menschen zu beschaf
tigen schienen.
.Wenn ich nur wüßte, welchen Eindruck
ich auf die interessante Wittwe hervor-bringe!-
dachte der eitle Offizier und
suchte vergebens, hinter diesem liebenswur
digen Lächeln der Dame Gedanken zu le
scn.
Herr Leutnant." sprach die HauIscau
nua nicht hi Koketterie, es sollte mir
leid thun, wenn Sie ermüdet, wie Sie
offenbar sein müssen, meinetwillen Ihre
Ruhe opfern wollten."
Oh Signora!" beeilte sich Trevisani zu
iret kannte in einrt (HfsrU.
der Ihrig'n Müdigkeit fat).
Ob,, es), in inrr tt.scllschast wie dcr
meinigen urtheilen Sie da nicht etwo
zu vorschnell? Ich kann ja die Person, si
zirte Langnveilk i!n; jcdensal! wissen
Tie noch nicht da Gegentheil!" und die
schone Frau lächelt, schelmisch.
Nein, nein. Signora, e genügt. Sie
gesebkn zu hoben, um
Sehr gut. Herr Leutnant, ich sehe
schon. Sie sind um eine ntmori nicht
verlegen und nun genug der Neckerei! Ich
will Ihnen vifen lkmkN. daß auch ich
mich sreue, nach der Einsamkeit diese end
losln Winter, hier an diesem Orte, ein
mal mit jemandem, der nicht vnn der Fa
milie ist. meine Gedanken austauschen zu
können."
.Wir steuern mit vollen Segeln!" ju
belle Trevisani im stillen und setzte laut
hinzu: Aber wechalb sich zu dieser Ein
famkcit verdammen, gnädigste Frau?"
Wa wollen Sie? Der Hausarzt hak
meine Familie zu überreden gewußt, daß
die Landluft, die Rübe absolut nothwendig
für meine Gesundheit seien und ich muß
gestehen, die Lang'weile hat sich an mir
al probate Heilmittel erwiesen. Betracht
ten Sie nur mein Kolorit," setzte sie kotel!
hinzu, würde et nicht jeder tbäuerin Ehre
machen"
Trevisani prolcstirte, sprach natürlich
von .Rosen und Alabaster" und siikrte
das Gespräch mit Geschick zur ländlichen
Langeweile zurück. Die Tame ging darauf
ein und entwarf eine plastische Schilde
rung von der Einförmigkeit de Land
leben.
Oh. ich verstehe Marckesa. ich verstehe
volllommen!" und der hübsche Leutnant
schloß, wie um seinem Mitgefühl mehr
Nachdruck zu geben, halb und halb die
schmachtenden Augen und gab seinem
Schnurrbart den unternehmenden Aus.
strich. Konnte wirklich nicht gelegener hier
ankommen!" dachte er seelenvergnügt.
Die Konversation zwischen den Beiden
wurde immer lebhafler; man sprach von
der Gesellschaft, vom Reisen, vom Thea
tcr. fand heraus, daß man gemeinschast
liche Freunde in Rom und Neapel habe
und unterhielt sich ganz vorzüglich.
Der Offier schwelgte im siebenten
Himmel. Ich gefalle ihr augenscheinlich
und sie gefallt mir! Morgen erkläre ich
mich; sie ist offenbar der Wittwenschaft
überdrüssig!" vertraute Trevisani seinem
geliebten Ich an. als er gegen Mitternacht
in das mit feinstem Leinen überzogene
und nach Jreos duftende Bett stieg, das
ihm der korrekte Tienzr' für diese Nackt
als das Sciniae bezeichnet hatte. Lei
seinem Erwachen fand er eine Einladung
zum Frühstück in der Villa Giojoso vor.
.Immer besser!" rief er wonnetrunken.
Dem Frühstück sollte eine Fuchsjagd fol
gen. Die schöne Wittwe wird natürlich
von der Partie sein!"
Trevisani wich nicht von ihrer Seite.
erzählte ihr seinen Lebenslauf, sprach mit
großer Sentimentalität von seinen Em
psinoungen, icvilverke Die 2roltioMc,t des
Junggcsellenlebens in den grellsten Farben
und malte die Freuden der Ehe im rosig
sten Lichte. Die Familie Giojoso schien
diesen Anschauungen vollkommen beizn
stimmen. Tie Marchcsa Gamberti
lauschte ihrerseits voll Interesse, wie sich
denn überhaupt gegen diese vielleicht et
was verfrühten, aber in Bezug aus Mo-
ral unantastbaren Bekenntnisse des jungen
Mannes nichts einwenden ließ.
Und wieder war es Abend geworden
und abermals saßen Leutnant Trevisani
und die Schloßherrin in dem von Tube
roscn und Hyazinthen durchduftetcn Ge
mach vor dem Kaminfcuer. Vierundzwan
zig Stunden lagen zwischen diesem ersten
und zweiten Tete-a-tete, vor der helllo
dcrndcn Flamme.
Morgen schon leider marschircn
wir aus! Ich habe keine Zeit zu verlie
r:n!" sagte sich Trevisani. Eine Gele
genheit. wie diese, darf man sich nickt
entgehen lassen. Zudem ist die Marchefa
bezaubernd, geistreich und ich bin auf dem
besten Wege, mich sterblich in sie zu der
lieben, denn ich schwärme nun einmal für
junge Wittwen!"
Die Schloßherrin entriß ihn seinen G:
danken, indem sie ihm mit bestrickender
Anmuth eine Tasse Thee überreichte.
Oh. wie würde er in feinem einsamen
Junggcsellenleben diese Augenblicke der
missen! Er gab diesem letzten Gedanken
beredten Ausdruck und wagte es. sein
dunkle Auge, aus dem leidenschaftliche
Gluth sprach, auf der schönen Frau ruhen
zu lassen. ,
Gestehen Sie es nur geradezu," sagte
die Marchcsa mit der ihr angeborenen
Schalkhaftigkeit, ohne die geringste Beun
ruhigung. da leiseste Zürnen, zu verra
then: .Sie sehnen sich nach der Ehe!"
,O. Marchesa, Sie lesen in der Men
schen Herzen! Ja, ich gestehe, ich bin der
wegen genug, ein solches Glück zu trän
men. Ich weiß, ich habe nicht daS geringste
Anrecht, 'mich solchen Hoffnungen hinzu
geben, allein ich bin ein Mensch, dem nur
das Schönste das Vornehmste
Edelste zu gefallen vermag, wiewohl ich
mir bewußt bin, dessen nach keiner Rich
tung hin würdig zu fein."
.Sie thun sich unrecht." unterbrach die
Marchefa den von seinen Illusionen Hin
gerissenen, und wenn Sie mir die Zeit
hiezu lassen, glaube ich fast, die Perle, die
Sie eben schildern, für Sie erobern zu
können."
.Marchesa Ihre Worte machen mich
zum Glücklichsten oller Sterblichen!"
Schritte wurden im Vorsaale hörbor.
Trevisani, der darum und daran gewe
fen war, auf die Knie zu sinken, horchte
auf. Die Tame aber fuhr mit holdseli
gem Lächeln fort: Nicht weit von hier
entfernt lebt eine für Offiziere schwär
mende. licbenswcrthe kleine Fee, die "
Die Salonthür wurde mit einer ge
wissen Heftigkeit aufgerissen und herein
sprangen zwei schlanke Knaben, denen ein
stattlich schöner Mann, in besten Jahren,
auf dem Fuße folgte. Tie Marchesa er
hob sich eilig und stürzte mit ausgebreite
ten Armen auf die Gruppe zu.
Marchese Gamberti, mein 9JJxn,
nieine beikn Söhne Leutnant Trevi
sani. unser lieber Gast seit gestern," stellte
die schöne Frau vor. Ter Marchese streckte
dem Offizier mit der Jovialität des v,Ä
endeten Edelmannes die Hand zum Will-
verftZrn.
schasl wie
len,!'
kwmasß entgeg'N, wahrend Jener, tt
nkl.!i,sch,ing shiek sprach!, sich der.
vkisite,
3 it March's, lächelt botk,st. erfaßte
die Hand Zrevilant't und. auf eint kch.
betagte Dame gehend, die. In Rcije,
mantel und Zlapuze. von einem Diener ge
folgt, soeben da Gemach betrat, rief sie:
lrk'hstk Sckmieqermam, Leutnant
Trevisani wünscht sehnlichst, der verwitt.
wete Marchesa Gamberti. der Herrin
diese gastlichen Schlosse seine Verehrung
kund zu gedrn ("und zu diesem gewendet):
.Nicht wahr, S'gnor Zenente, ich habe
Ihre Gedanken errathen?"
Wohlwollend streckte die alte Molkgrä
sin zwei Fingkr ibrer behandschuhlen
Alujf
Eine geheimnisvolle Geschichte von ?onsevrez.
Sie schen. meine Helien. mein Bureau ! Geschworenen erscheinen."
ist ganz amerikanisch eingerichtet: die
chreidmaschine tu eine amerikanisch:,
ebenso der Tikch. aus dem sie steht, der
elektrische Läuieapparak. ja. meine Blei
stiste sind soaar amerikanischen Ursprung
Und ich wünschte, daß meine Zeitung nach
amerikanischen Systemen rcdigirt wird;
kcine liierarischen Artikel, denn das Pu
blikum versteht nicht von Literatur und
will nicht lesen, wo e nicht versteht; e
will Neuigkeiten haben, Sensationen.
Man muß verstehen, mit seinen Nerven
zu spielen, jede Nulgabe muß eine neue
:nsation bringen. Amerikanisiren Sie
sich, meine Herren, amerikanisiren Sie
sich..."
In seinem Privatkontor hatte der Ver
lcger der Vviksstimme" seinen um ihn
versammelten Redakteuren diese Rede ge
halten, und er war, als er die erstaunten
Gesichter um sich herum musterte, mit der
Wirkung zufrieden.
Einige Tage später ließ sich Gaston
Longuq, einer der Mitarbeiter der Volks
stimme", in dringender Angelegenheit bei
dem Direktor melden. Schon einmal halte
er die Aufmerksamkeit des amerikafreund
lichcn Verlegers erregt, als er anläßlich
des Königsmordes in Serbien da wun
dervolle Origin"t'e'wm übersandt
hatte, da nackber auf allen Boulevards
ausgerufen wurde: Sensationelles Jnter-
iem des Prinzen Peter Karageorgemiisch.
Er will nicht sagen.
Tcr Mann hat Talent." hatte schon
damals der Verleger gesagt, und er war
neugierig, mit welchem Vorschlägen Lon
gut) jetzt an ihn herantreten würbe. Kühl
gemessen, jeder Zoll der echte Fankee, em
pfing er den Redakteur.
Was dringen Sie? Fassen Sie sich
kurz!"
In Courgeoille, der Hauptstadt von
Oije-et-Somme, 60 Kilometer oon Paris
entfernt, ist in einem kleinen Wäldchen an
der Babn
ein Verbrechen verübt wor-
Iden .
Jeden Tag werden Verbrechen began
gen." bemerkte der Direktor phligmatisch,
Aus diesem könnten wir aber etwas
ganz Besonderes machen, eine Sensation
für mehrere Tage, für Wochen, die Auf
läge muß sich verdoppeln. Ich habe be
reits einen Plan."
Lassen Sie hören, aber kurz . . ."
.Da Opfer des Verbrechens, das nackt
.und verstümmelt aufgefunden wurde, ist
bis tetzk noch nicht rekognoszirt worden;
der Kopf, die Hände, die Füße sind der
schwunden; es ist unmöglich die Identität
festzustellen. Man weih nur, daß ei eine
Frau ist, eine junge Frau ist. Von dem
Mörder fehlt jede Spur, die Polizei weiß
nichts oder will nichts wissen."
Nun. und Ihre Idee?"
Ich reise nach Courgeville, ich mache
mich dort durch Redensarten verdächtig;
man verhaftet mich, eine Untersuchung
wird eingeleitet, ich widerspreche vorläufig
nicht der Anklage, und sende täglich der
.Volksstimme" durch Vermittlung eines
Aufsehers, den ich besteche, die Eindrücke
dieses Untersuchungsgefangenen, ohne na
türlich ein Wort über meine Schuld oder
Unschuld zu sagen. Sie erlassen sofort
ein Riesenpreisausschreiben: Hunderttau
send Franken demienigen Abonennten, der
am besten aus meinen Briefen meine
Schuld oder Unschuld begründet. Wohl
verstanden, den' Preis erhalten natürlich
einige Bekannte, die uns für einige Iran
ken oder für ein Souper die nothwendigen
Quittungen geben. Ist das amerikanisch?
Was?"
Longun, Sie sind ein genialer Mensch!
Gehen Sie sofort an die Arbeit, selbstver
ständlich wird der Verlag während der
Tauer Ihrer Haft die Kosten für die
Selbstbeköstigung zahlen."
Longun kannte Courgeville und seine
Umgebung ganz genau; er hatte vor ei
mm Jahre von einer jungen hübschen
Frau die Erlaubnis halten, sie in ihrer
Heimath zu besuchen in allen Ehren
natürlich und dort, in Courgeville,
hatte sie ihm versprochen, die Seine zu
werden, wenn daö Gericht die Scheidung
von ihrem Manne, der seit zwei Jahren
spurlos verschwunden war, ausgesprochen
oder ihn für todt erklärt hatte.
Tcr Reporter löste seine Aufgabe so
gut, daß er bercits einen Tag nach seiner
Ankunft als des Mordes verdächtig der
siel und vor den Untersuchungsrichter
geführt wurde. Longuy war entzückt über
seinen schnellen Erfolg, und er sah ein,
daß er nun alles vermeiden mußte, was
eine schnelle Freilassung herbeiführen
konnte. Sein erste Verhör verlief daher
vollständig resultatlok.
Mein Herr, ich werde mich nicht der
theidigen; Sie erheben Anklage gegen
mich; an Ihnen ist eS also, die Anklage
zu begründen."
Drei Tage hatte Longuy allen Fragen
seines Richters einen stummen Eigensinn
entgegengestellt, am vierten loS er in sei
nen Mienen, daß er irgendeine Neuigkeit
zu erwarten habe.
Schade!" dachte er. .Der Richter Hai
den ganzen Schwindel entdeckt und wird
mich jetzt freilasZen."
Heute," begann der Beamte, ist ek
CMl gleichgültig, Longuy. ob Sie spre
chen oder nicht. Unsere Ermittlungen
sind abgeschlossen, der Indizienbeweis ist
komplett. Sie werden demnächst vor dcn
Re.hisn dem junge Cirt zum Jtujji
rziii.
All Im Morgengraue de gchstsvl
senden Tage da eziment antmar
chirte, siogte da dlond Leutnantchen
mit dem Monokel seinen älteren Kani?
ra.',; ,age. Trevisani, wie ist' Dir im
Hause Kamberti ngangen? Wann sin
det Teine Hochzeit mit der verwittweten
Marches, statt i"
Ich werde mich nie verheiratken.
Paolo, merr TirH die Weiber sind
z perfide!" erwiderte der Gefragte, und
al er sich allein sah. setzte er düsteren
Tone hinzu: Auch diese war trügerisch,
wie da Meer!"
Der Reporter konnte ein Lächeln nicht
unterdrücken.
.Sehen Sie." fuhr der Untersuchung!
lichter fort, .ein einiiaer Vunkt bereitet
mir Schwierigkeiten, da Opser des Ber
brechen zu identisiziren. Es ist schwer,
des Morde anzuklagen, wenn man nicht
weiß, wer der andere ist, aber jetzt kennen
wir die Person der Ermordeten."
.Wirklich? Und können Sie mir den
Namen verrathen?"
Sofort, aber zuerst werde ich Ihnen
genau schildern, wie Sie das Verbrechen
begangen haben."
.Ich bin in der That neugierig," ant
watete Longuy lächelnd und überzeugt,
daß er mit enem Wort das ganze Ge
bände deS Untersuchungsrichters zusam
menwerscn konnte, mit dem Worte: Das
ist alles ja nur ein fauler Witz; ich habe
Niemand ermordet und beantrage, den
Verleger der Volksstimme" als Zeugen
zu laden.
.Die Unglückliche hat den Tod gefunden,
ali sie glaubte, daß Liebe sie erwartete,
sündige, strafbare Liebe, für die ihr Ver
sührer sie selbst bestraft hat..."
Ah. also ihr Geliebter hat sie . . ."
Ja, Longuy, ihr Geliebter hat sie am
Abend des 10. Oktober ermordet."
Ich glaube, e war der 12."
Die Leiche wurde am 12. entdeckt, das
Verbrechen ist am 10, begangen worden."
Woher wissen Sie das so genau?"
fragte der Angeklagte neugierig.
.Weil Sie in der Nacht vom 10. zum
11. heimlich aus Paris verschwunden sind.
und weil man seitdem die Frau, die Ihr
Opfer wurde, nicht wieder gesehen hat.
Dieses Zusammentreffen ist kein zusälli-
ges, ist für Sie sehr belastend, wenn nicht
vernichtend.
Longuy schwieg nachdenklich, aber der
Richter fragte ihn brüsk:
Wo haben Sie die Nacht vom 10. zum
11. Oktober zugebracht?"
Diese Frage setzte den Angeklagten au
genscheinlich in Verlegenheit.
Ich habe darauf nichts zu antworten;
sagen Sie mir doch, welche Beweise Sie
haben, daß ich es gewesen sein soll."
Sie sind um 7 Uhr AbendS aus Paris
abgereist vnd um 9 Uhr in Courgwille
ankgmwen; um lli Uhr sind Sie mit
dem Schnellzug wieder zurückgefahren, und
um 1 Uhr Morgen m Paris eingetros
sen. Um 71 Uhr Morgens suchten Sie
Ihre Wohnung auf."
Wer hat mich reisen sehen? Niemand.
Wahrscheinlich, weil Sie sich verkleidet
haben und diese sorgfältigen Vorbereitn
gen sind ein Beweis Ihrer Schuld. Ein
anständiger Reisender braucht sich nicht zu
verstecken und vor aller Welt zu verbergen.
Zwei und eine halbe Stunde haben Ihnen
genügt, um Ihr Opser, da mit Ihnen
Paris verließ, abzuschlachten und zu ver
tummeln.
Was die Polizei doch alles ermittelt."
'agte Longuy ironisch; die ganze Erzäh-
lung des Richters schien ihm eine unglaub
liche Groteske. Aber plötzlich wandelte sich
sein Sarkasmus in Staunen und Ent
setzen, denn der Richter fuhr in seiner Er
zählung fort:
Sie find erst um 7j Uhr nach Hause
zurückgekehrt, weil Sie die Nacht in einem
uns ebenfalls bekannten Hotel zubrachten.
Und warum thaten Sie das? Um sich ein
Alibi zu verschaffen. Sie hatten unter
falschem Namen am vorhergehenden Tage
ein Zimmer bestellt, Sie sind mit einer
Frau, die man seitdem nicht mehr gesehen
hat, dort abgestiegen. Um I.Uhr Nachts
sind Sie wieder im Hotel erschienen, und
Sie glauben, daß Niemand Ihre Anwesen
heit bemerkt hat, daß man Ihnen die
Reise nach Courgeville nicht nachweisen
kann. Ihr Plan ist sehr fein angelegt, zu
sein- ein Reisender, der sich nichts vorzu
werfen hat, ist nicht so sorgfältig bemüht,
seine Anwesenheit in einem Hotel zu ge
wissen Stunden so auffällig bemerkbar zu
machen. Oder wollen Sie mir jetzt diel
leicht erzählen, wo Sie in der Nacht vom
1. zum 11. Oktober waun?"
Longuy schwieg verlegen; die Ermitt
lungen des Richters stimmten auss Haar.
Er hatte in der That ein Zimmer in dem
Hotet bestellt und war dort mit einer
Frau erschienen, um zu foupiren, aber
nur, weil er jede üble Nachrede vermeiden,
sich öffentlich nicht mit ihr zeigen wollte.
Und seine und ihre Ehre verboten ihm,
darüber zu sprechen, ihren Namen preis
zugeben; sie war es gewesen, die ihn vori
ges Jahr nach Courgeville eingeladen hatte
und die ihm nur den einen Abend geschenkt
hatte, um sich mit ihm über ihre Zukunft!
Pläne zu berathen. Wenn diese Frau nun
erschien und vor dem Richter erklärte: An
jenem Abend war ich von 811 Uhr mit
Gaston Longuy zusammen, was blieb
dann von der Anklage gegen ikn übrig?
Aber diese Aussage war unmöglich, wollte
er die Geliebte nicht kompromittiren, und
sie war uch nicht nothwendig? Genügte
nicht ein Wort, um der ganzen Komödie i
ein Ende zu machen? Schon wollte er die
scs Wort aussprechen, als der Richter, der
da schweigen des Angeklagten sur
Schuldbewußtsein hielt, den letzten entschei
denden Schritt that.
Diese Frau, die Sie ihrer Pflicht ab
wendig machten, die Sie erst nach Paris
und dann nach Corgeville führten, um sie
jzu ermorden wir kennen ihren Namcn;
Irrtz aller VesstmVeknnz,, ist sie rekso
tuliicl weide: il ist Frau Henris!
o3!in, bore Cardevsche."
.Hevrielkl Frau Ballestin! Unmög
lich. t kann nicht todt sein!"
.De, spielen. Ctt hier keine jtcmb'b!e
Sie ist todt, und Ci wissen ganz ge
na weil Sie selbst sie ermordet haben.
Ader nein, hier liegt ein Irrthum, e.
entsetzliches Mißverständnis vor. Ich soll
der Mörder sein, da ,st darer Unsinn.
ein Reportertrick ist e, den ich angewandt
habe, um mich über den Stand der Unter
suchungen zu informiren, der Verleger der
Bolttstimme wird eS Ihnen bestätigen
daß ich die ganze gar mit ihm orde
vereinbart bade . . .
.Gut. gut. Ihr Märchen können Gte
oen Ge chworenen erzählen."
Aber mein Herr, nicht wahr. Krau
Ballest! Ist nicht todt?"
Hier ist die Todelurkunde und die Aul
sagen ihrer Bekannten, di sit wieder.
eriannk yaoen.
Aber dann," rief Lonauv. muß sie
spater ermordet worden sein. Sie hat j
erst den Zug um 12 Uhr 15 Minuten be
nutzt, um ach Courgeville zurückzukeh
ren.
Tel Richter zuckte die Schultern.
T .Volke stimme konnte ein vnge
wohnlich sensationelles Interview mit dem
muthmaßlicken Mörder der Frau Balle.
Pin veröffentlichen; die Nummer fand ei
ßenden Absatz, der Direktor war im sie
benten Himmel.
Lieber Freund. Sie haben allerdings
viele Trümpfe in der Hand," sagte der
Vertheidiger zu Longuy vor Beginn der
Gerichtöderhandlung. Der Staatsanwalt
bal absolut keine Beweise: die ganze An
klage Ist auf Indizien, auf moralische
Schlüsse aufgebaut, deren Glaubwürdig
keit man leicht erschüttern kann. Aber er
zählen Sie um Golteiwillen nicht dem
Gerichtshöfe und den Geschworenen da
Märchen, da Sie sich spaßeshalber ge.
macht haben; ich könnte in diesem Falle
für nicht einstehen.
Aber ei ist in der Thai so.' rief
Reporter, ich wollte mir damit einen ?!a
men machen. Können Sie sich denn über,
Haupt vorstellen, wie mir zu Muthe ist
Henrictte todt, die ich anbete! Ich könnte
den Elenden erwürgen, der da! Verbrechen
begangen hat.
Und eS kam in der That, wie der Ver
theidiger ihm vorausgesagt hatte. Kaum
hatte er im Verhör seinen Plan entwickelt
wie er der .Dolksstimmc" eine noch nicht
dagewesene Sensation verschaffen wollte.
wurde er brüsk vom Präsidenten unter
brocken.
.Man spielt nickt mit den Behörden,
dal ist eine Verächtlichmachung staatlicher
Einrichtungen.
.Habe ich es Ihnen nickt gesagt? flu
sterte der Vertheidiger. .Jetzt haben Sie
daS Gericht vor den Kopf gestoßen und
selbst auf mildernde Umstände nicht mehr
zu rechnen.
Auch aus den Banken der Geschworenen
zeigte sich lebhaste Entrüstung.
Der Direktor der Volksstimme be
stätiate alle Angaben de! Angeklagten.
.Sehen Sie wohl?" rief Longny.
.Mein Herr." wandle sich der Staats
anwalt an den Zeugen, .ist es möglich,
daß ein Mann wie Sie. ein Mann, der
selbst seinen amerikanische Scharfblick
rühmt, nicht sofort die Falle gemerkt hat,
die der Angeklagte Ihnen stellte? Mit er
ner fast unglaublichen Frechheit glaubte er
alle Beweise, die sich gegen ihn erbeben
konnten, damit abzuthun, daß Ihnen
sagte: Ich selbst habe sie ersunden. kon
struirt, um der Justiz ein Schnippchen zu
schlagen, um dem Publikum zu zeigen, wie
leicht man da Gericht hinters Licht suh
ren kann."
Tcr Direktor wurde verlegen; es war
ihm peinlich, daß man ihn sür naiv und
leichtgläubig hielt, und nach kurzem Ueber
legen antwortete er:
Im stillen, ber mir selbst, dachte ich ja,
daß man Longuy nicht glauben dürfe,
aber ich sagte mir, wenn er sich selbst in
den Rachen des WolseS wirst...
O, entschuldigen Sie, wenn ich einen
solchen Vergleich wagte...
ES ist gut; setzen Sie sich!" befahl der
Präsident.
Im Zuhörerraum war die Aufregung,
die Wuth aus da Höchste gestiegen, und
auch die Geschworenen betrachteten , den
Angeklagten mit feindlichen Blicken.
Die Beweisaufnahme war geschlossen,
und der Richter beschloß Vertagung bis
zum nächsten Tage. Als Longuy von vier
Gendarmen abgeführt wurde, scholl hinter
ihm Geheul der empörten Menge:
Auf das Schafott mit dem Mörder!
An sich und der Welt verzweifelnd,
kehrte der unglückliche Journalist in seine
Zelle zurück.
Am nächsten Morgen ließ sich vor Bd
ginn der Verhandlung eine tief verschleierte
Dame bei dem Staatsanwalt melden.
.Mein Herr, ich bin Frau Ballestln."
Sie, Frau Ballestin? Ausgeschlossen;
hier habe ich alle amtlichen Dokumente,
daß Frau Ballest todt ist.
Und hier sind die Papiere, die meine
Identität beweisen. AIs ich vor ungefähr
zwei Wochen aul Paris, wo ich mit Herrn
Longuy zusammengetrosfen war, nach
Hause zurückkehrte, fand ich ein Telegramm
vor, daß mein seit Jahren verschollener
Mann im Sterben liege und mich zu spre
chen wünschte. Ich eilte sofort, ohne Zeit
zu haben, irgend jemand zu benachrichti
gen, zur Bahn, reifte nach Havre und
nahm den nächsten Schnelldampfer ach
Amerika. Ich traf meinen Mann nicht
mehr lebend an, und sofort, nachdem alle
Formalitäten erledigt waren, kehrte ich
nach Europa zurück. Hier erfuhr ich don
dem schmählichen Verdacht, der aus Longuy
ruht, und hier bin ich, um Zeugnis sur
den Mann abzulegen, d mein Gatte wer
den fall . .
Eine halbe Stunde spat verließ Longuy
am Arm der Frau Ballestin da Gefäng
niS. begleitet von dem Verleger der
VoltSflimme-.
Al sie am Bahnhof, die Ankunft deS
ZugeS erwarteten, um nach Paris zurück
zukehre, sagte der Verleger:
.Aber wissen mochte ich doch, wer die
Ermordete und ihr Mörder gewesen
sind?"
Mein Ehrgeiz ist gestillt.', erwiderte
Longuy, den Arm um die Geliebte fchlin
gend, ich überlasse gern einem anderen
den Ruhm.. ,
iine neue Zarjlcssung her
f..iti.-i".:i..:-
mui m ?;ait.uH iiiicim.
Aul dem Nachlaß milie Ollivier ver
össentlicht die Revue de Deux. Monde
einzelne Kapitel, die den Schluß sein, ge
.Daltigen Werke über da zweite Haiser
reich bilde sollten. Lo besonderem In
teresse Ist darin seine Schilderung der
Flucht der Kaiserin, die vor allem in t
Äussassung der CNmmung der Menge tot
anderen Berichten abweicht. Die Leute,
die, ffch an jenem unheilvollen 4. Septem
der vor den Tuilcriea in Pari drängte
und dere Erschline so große Beunruhi
zung im Kaiserschloß hervorrief, hatten
nach der ünsichl dtl ehemalige,! Kiitisla
Präsidenten durchau lein feindlichen Ab
sichten, bekundeten in nicht ihren Haß.
Die Bevölkerung von Pari! hatte noch
nicht verg'ffen, daß sie den Kriez gewollt,
herbeigerufen, ja fast erzwungen hatte,
und sie fühlte leinen Grimm gegen die, die
nur dem Impuls der Massen nachgegeben
hatten. Tat entsetzlich Unglück der Herr
scherin. der Gattin, der Mutter, flößte der
Menge Rührung und Mitgefühl ein. und
nicht ein einziges Mal horte man irgend
wo den Schrei: Nieder mit der Kaiserin!"
.Wäre sie in den verlassenen Tuilerien
angetroffen worden, so hat einer der
Haupisiihrer der Revolution geschrieben,
sie wäre nicht die geringste Gefahr gelau
fen. E ist nicht einer unter un, der
sich nicht zur Ehre angerechnet hätte, sei
nen Körper zum Schutzwall sür sie zu
machen."
Nichtsdestoweniger war die ganze AnA
sammlung beunruhigend: die Massen, r
Pulvermagazinen ahnlich, sind nieme?
stiller al eine Minute vor der Ervlosi Ii.!
und unter ihnen finden sich immer, in all '
Winkeln versteckt, Räuber, die zu ollen
Verbrechen bereit sind. Die Umgebung
der Kaiserin war jedenfalls darüber sehr
erschrocken. Eugenie hatte zu gewohnter
stunde ihr Frühstück eingenommen und
befand sich im Kreise ihrer Getreuen, die
ihr den Zustand der Dinge alt höchst be
drohlich darstellten. Da die Herrschaft
verloren war. so fürchtete man, die Revo
lutionare wurden sich ihrer bemächtigen.
um sie als Geißel festzuhalten." Die Kai
ferin konnte sich noch nicht zur Abreise
entschließen. .Glauben Sie." sagte sie,
daß ich meine Pflicht bi zur äußersten
Grenze erfüllt habe, daß ich mich mit Eh
ren zurückziehen kann? Wenn Jemand
denkt, daß ich noch irgend etwa! j thun
habe, dann soll er ei mir sagen." Mit
Ausnahme von BussonBillaut, der einige
Beobachtungen mittheilte, antworteten alle:
jcein, e gier nicyii meor zu roun. Wa
hätte auch wirklich die Unglückliche, von
ihren Ministern, von ihrer Kammer, do
ihren Freunden, von Jedermann, mit
Ausnahme ihrer intimen Diener, verlas
en. vorbringen können? An den vorher
gehenden Tagen, ja selbst in der Nacht
und noch am Morgen, wäre noch etwas zu
versuchen gewesen, aber in dieser Stunde,
im Innern der Tuilerien, blieb nicht üb
riq, als daS Haupt unter daS unabwend
bare Schicksal zu beugen."
Wie sollte aber nun die .Abreise vor
ich gehen? Jemand schlug vor, man solle
einen Sonderzug bis zur Grenze ablassen,
aber die Kaiserin weigerte sich: Ich will
nicht die Geschichte von Larennes wieder -
ansangen. Ein Anderer meinte, man
olle das kleine kaiserliche Schiff aus der
Seine, die Puebla. benutzen. WaS der')
sen Sie." antwortete die Kaiserin, ma:,-
muß da verschiedene Schleusen passieren,
wir würden gepflückt werden wie ein Veil
chen. In diesem Augenblick erscheint
Mme. Lebreion, die Vorleserin der Kai
erin. die den Kopf und daS Herz ihre
BruderS, Bourbaki, hatte, im Reisekostüm.
Nachdem sie einen Moment mit Metier r
nich gesprochen hatte, nimmt sie die Kaisk'
rin beiseite, erklärt ihr, daß sie besohlen
habe, man möge die Eisenthüren ösfnen,
die die Tuilerien vom Louvre trennten,
um von dort den Kai zu gewinnen, wo
man den Wagen des Fürsten Metternich
mden wurde... Die Kaiserin nimmt
von ihren Ministern Abschied, dann tritt -
te in den Empsangssalon. und ohne zu
aaen, daß sie selbst abreist, sagt sie zu
allen: Reist ab!" Sie umarmt ihre Da
men und schüttelt die Hände der Herren..'
Gehüllt in ihren Reisemantel, da Gesicht
unter einem dichten Schleier verborgen,
einen kleinen Beutel in der Hand, verließ
die Kaiserin, von Metternich, Nigra. ge
olgt. ihre Gemacher. Conti und der Ma
rineleulnant Conneau in Uniform gingen
mit Mme. Lebreton hinterher.
Der Theil deS PalaiS. durch den man
mußte, der linke Flügel der Tuilerien.
wurde gerade umgebaut. Mühselig tastet
man sich durch die Gänge, findet die Ver
bindungsthür mit dem Louvre verschlos
en, irrt weiter umher in diesem öden La
byrinth und gelang schließlich zu dem Git
ter des Louvreportals. wo die Menge war
tet. Während Jurien versucht, den Sin
gang freizumachen, findet man unterdes
en den Schlüssel zu der Verbindunasthiir
bei Louvre. und die Kaiserin gelangt nun
unbemerkt auf den Kai und dann auf den
Platz Saint-Germain-l'Auzerrois. Die
Hofetikette vergessend, nimmt sie den Arm
Nigra. Habe ich denn wirklich Angst''
agt sie. sehen Sie. wie mein Arm ittnR
Aber jetzt thut Muth noth." Der Platz ist
voll von Volk. Metternich eilt vorau und
uchl einen Wagen, da der scinige zu weit
entfernt ist. Zwei Droschke kommen
vorbei: Nigra halt sie an. schiebt die Kai
erin in die erste und will sich neben sie
etzen. Aber Mme. Lebreton schwingt sich
vor ihm hinein und ruft: .Boulevard
Malesherbes!" Da war die Adresse de
-.raatsralhes Bcsson. Kaum sind sie ei
nige Schritt gefahren, so schreit ein Gas-
ennmge: .Da sitzt die Kaiserin!" Nigra
packt ihn an der Gurgel und schreit:
Still, Du Bengel. Da sind zwei mir
befreundete Damen, willst Du schweigen?"
Die Kaiserin sährt nun zu Besson, trifft
ihn aber nicht zu Hause, ebenso wenig ei
nen anderen Freu?ch. den Marquis de
PienneS. Erst bei dem Zahnarzt Evans
ndet sie Unterkunkt. der denn auch In der
Morgenfrühe de nächsten Tage! die
Flucht über Deauville nach England glück-
cy bewerkstelligte.
Wir sollen vergeben und vergessen . . .
und es ist doch fa schwer zwei Dinge
gleichzeitig zu thu,' ... , . -