Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, May 16, 1914, Image 3

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Iio HlOckon der Koimatl).
, CrzZhlunz ron Zllbrecht Aantsen.
Clil schläft unter den allen, hohen
Sinbfli in der weiten Rliderlände,
Marsch hoch oben im Nordwesten zivi.
scheu Emt und Holland ein großer
Bauernhof. .Uhlenplaatse" nennen ihn
die Leute. Seit mehr als lninbert Jahren
wohnen hier, kleinen Fürsten gleich, die
stolzen, freien Bauern au dem Geschlecht
der van dessen. Udo van Lessen ist jetzt
'ixn aus brt .Ublenvlaalle". ein stall
heftet, junger, rascher Mann, gar nicht so
Vn. wie sonst Rheiderländer Art ist.
ie Leute erzählen sich, da habe er von
der Muticr fyr, die eine Deutsche" war.
d. h. außerhalb Oslsrieiland geboren, dort,
vo die Menschen fingen und tanzen.
Nacht liegt über der grünen, leeren
"Marsch: Herbstesnacht. Au den vielen
Gräben steigt langsam der Nebel nd
quillt ime Wasserslulh über Land. Kühe
lind Pferde, die sich noch nicht niedergelegt
haben, raaen mit den Köpfen darau her
vor. Es sieht au, als wollten sie in der
yluttj untergehen. Hoher und höher steigt
vai Nedelmeer nun ist alle! ertrunken.
Eine Kuh brüllt dumpf, au der Ferne
ertönt Antwort, dann stille .
' De harten Kleiweg eniland. von,
.Dorfe her, rennt lenchend ein Mensch.
'Jrit ist er neben dem Kemüsenarien.
springt über den breiten Graben und rennt
cte Warf hinan, auf der die .llrlen
ploatse' erbaut ist. Nun ist er neben der
Grstndekammer, die oben in der Ecke der
Scheune, in der Grenze de Vorderhausei
liegt. Leise klopft der Mann an da
Fenster, wo die Großmagd schlaft.
. Drinnen rührt sich etwa, Frauke ist
noch wach. Sie weis;, die Knechte, und
unter ihnen Hajo, der Großknecr-t, ihr
Bräutigam, sind nach dem Wirthshaus?
im Dorfe. Und den jungen Herrn, den
Vur. wie die Leute ihn nennen, hat sie
ebenfalls hingehen sehen. Hajo redet
manchmal so sonderbar von ihm, und
seine Augen sind dann nicht mehr blau.
Tag und Nacht quält sie die geleime Angst,
daß ihr Gliick noch in Trümmer gehen
lind datz es zwischen Herr und Knecht ein
Unglück geben wird. Und sie lat doch
leine Schuld. Wa kann sie dafür, wenn
dek Bur freundlich mit ihr thut. Auch
damals, als er sie Abend im dunklen
Stall mit einem 1tole in feine Arme riß
und sie küssen wollte, geschah eS gegen
ihren Willen, und mit Gewalt hatte sie
sich losgemacht und gesagt: Schämt Euch.
Bur!" Aber sonderbar, den ganzen Abed
mufz sie an Hajo und den Herrn denken
'lind kann nicht schlafen. Auch geht es ihr
so im Kopf herum, dah die Haushälterin
Nacht schon dreimal hintereinander 23ör
loop" gesehen hat. Ein Licht ist vom
Dorfe her den Weg zur Uhlenplaatse"
entlang gekommen. Und jeder weih, daß
die Alle künftiges vorausaknt und siebt.
' Nun hört Frauke e mit einem Male
klopfen und springt nacki dem Fenster. Sie
sieht sofort in der dunklen Gestalt ihren
Hajo und reiht das Fenster auf. Die
kaue, nermge 'Aaciimi'i Magl nicver a
Zhre bloßen Füße.
,0 Gott. Hajo! waZ ist geschehen?"
.GiklZ- Um GotteS willen, da g uns
keiner hört? Schnell in meine Kammer
und hole meinen neuen Anzug! Er hängt
schon für Sonntag am Nagel. lind
dann aus meiner Kiste die hundert Reichs
lhokr Du weißt wohl hier ist der
s.chlüssel!"
"Nein, erst will ich wissen '
rt .m
U'Uüt "W
.Ich will erst Antwort."
.Ich hab' ihn todtqescklagen.' '
-.O Gott'. wen?"
Dffi Bur er sprach allerlei von Dir
da kam's In mir hoch wie warmes
Vlut - geh'. Frauke 1"
.Hajo!" stöhnt das Mädchen. .Was
nun?"
.Jch will gleich über die Grenze, dann
nach Amerika."
.Und unsere Hochzeit?"
.Soll ich die im Gefängnis feiern?
Sollen Kinder und alte Weiber hinter mir
herlaufen, wenn der Gendarm mich holt?
Frauke, von uns sah noch nie einer im
Gefängnis und lieber "
Jch geh' schon. Hajo." sagt das 'Mäd
chen leise.
So. nun ist sie glücklich in der Knechte
kammer. Sie fühlt an die Wand : dort
hängt dn Anzug. Doch ihre Hände und
Knie zittern. Jetzt stößt sie gegen die
Kiste. Nein, er schnarcht ruhig weiter,
der kleinste Knecht, der Hühnerjungc",
wie er im Nheiderlande heißt. Er muß
schwer arbeiten und ist noch im Wachsen,
sein Schlaf ist tief und fest. - Nun schnell
den Schlüssel! Das Schloß knarrt
nicht, Hajo ist ein ordentlicher Bursche
und hat alles in bester Ordnung.
Jetzt ist Frauke wieder in ihrer Kam
mrr und reicht dem wartenden Mann die
Sachen hinaus. Sie beugt sich weit aus
dem Fenster, zwei starke Arme schlingen
sich um ihren Hals. Wien Leb!"
Frauke fühlt des Mannes Brust in kurzen
Stößen erbeben, sie fühlt das verhaltene
Schluchzen. Noch ein langer Kuß, Hajo
verschwindet im Nebel.
DaZ Mädchen hört ihn über den Gra
den springen dann ist, alleS still, nur
ihr Herz hämmert laut.
Noch immer steht das Mädchen im
Nachigewand am Fenster. Es weint nicht,
eö denkt nicht, es suhlt die Kälte nicht: e
ist erstarrt . Der Hund schlägt an.
man pocht n der Hausthür. Frauke
schrickt zusammen, streicht mit der Hand
über die Augen, Horch! sie schlagen
mit Macht gegen die Thür, wüthend bellt
Leo. Frauke wirst einen Rock über,
schlüpfi in die .Trippen" und nimmt ihr
Wolltuch von der Wand.
Gleich ist sie im langen Hausflur und
schreit: .Ja! -ja!" x .
Da bringen sie den y ig.cn Herrn. Sie
sieht nur immer die ge, I,lossenen Augen
in dem weißen Gesicht und das gräßliche
blutige Tuch aus der Stirn. In der 3hm
und im Gange drängen sich die Männer,
auch Frauen' stehe,, draußen, die Hände
unter der Schürze, mit rundem" Rücken
nd'Schuliern. Da Lidit der Windlater
ven huscbt gespenstig hin under und malt
große Schatten an dcr wcißgetünchtkn
Wand. Der Hund beschnüffelt seinen
Herrn und winselt leise.
Die Haushälterin kommt, halb angeklei
det und zitternd.
,O. Gott! Ja. ja. ich hab' Licht ge
sehen. ich wußte, e mußte ein Unglück
geben. Hier ist sein Bell! Ist schon
jemand nach dem Doktor?"
Ja, Beninga Kneäjt ist hingeritten.
Er sagt auch dem Genvarm Bescheid."
Einige Knechte bleiben im Hausflur.
Frauke erkennt den vom Nachbarhef, sie
sind au derselben Gemeinde. Sie zieht
ihn am Aermel. sieht ihn bittend an und
spricht: Lllppo, sag', wie kam ei?"
.Ja, da wissen wir selbst nicht reclit.
Betrunken war er nicht, er hatte nur zwei
las Gkiiever gehabt. Aber der Bur
redete so allerlei. Mit einem Male tau,
weite er zu Boden, Hajo hatte ihn mit der
Bierflasche über den 5lopf geschlagen.
Dann rannte er hinaus." Leise ihr in
Ohr: .Keine Angst! Hajo weiß, wo Hol
land liegt."
.Bleibt der Bur am Leben?"
.Wer weiß? Geh' zu Bett. Frauke.
Du stehlt aus wie Kalk an der Wand,
Und so wenig Zeug an, kannst Dir ja den
Tod holen,"
.Es wäre gut."
Frauke schleppt sich den Gang entlang,
Der Knecht sieht ihr mitleidig nach und
murmelt: .Arme Wirts."
Erschöpft sinkt da Mädchen in ihrer
Kammer aufö Bett, vergräbt den Kops
in die Kissen und weint.
Unterdessen rennt Hajo über die Wiesen,
springt über Graben, schleicht sich in den
Poldern durch die großen Kornselder, auf
denen man mit der Ernte beginnt, und
entkommt glücklich den wachthabenden
Krenzlern. den Kommisen. Als in Nhei
derland Dörfern die Morgenglocken lau
ten, ist er in Sicherheit und Freiheit. Er
steht jenseits der Grenze und schaut nach
der Heimath. Die Morgenfonne übcrflu
thet mit ihrem goldenen Licht, das sich
tausendfach in den Millionen blitzernder
Diamanten an den grünen Halmen bricht,
das weite, gesegnete Land. Die Kühe tra
ben brüllend zum Melkplatz. wo die Mägde
mit dem alten Ruf locken: .Kumm'r her
Oll. kumm Oll, kumm!" Hajo denkt an
die .Uhlenplaatsc". Jetzt gehen sie auch
zum Frühmelken. Er sieht FraukeS &t
stalt dabinschreitc, dies Wiegen in den
Hüften
Die Glocken der Heimath sind der-
stummt. Nun erst bemerkt Hajo, daß er
mit dem Hut in der Hand am Wege
steht. Er dreht sich um und geht lang
fam, mit gesenktem Haupte weiter, in die
Fremde hinein, ins Iflenö.
Zwanzig Jahre find verflossen, Hajo
haust drüben im Urivald als Farmer.
Einsam wohnt er mitten unter Jrländern
und hört kein deutsches Wort mehr. Und
doch ist er ein guter Teutscher geblieben;
denn er ist ein Friese. Durch Ausdauer
und Flriß ist er ein wohlhabender Mann
gkworden. aber kein gliietlicher.
Wie gewöhnlich siht'er auch heute Abend
wieder aus der Bank vorm Hause und
raucht aus dcr ollen Pfeife, dem letzten
Andenken an daheim. Es ist ein Ge
schenk von Frauke. In der Nocllascke hat
die Pfeife gesteckt und ist so mitgckom
men. An die Hcimath muß er heute ganz
besonders denken, denn deutlich hat er im
Traum die Glocken der Heimath vernom
mcn, ist ausgestanden und zum Fenster
gelaufen. Aber draußen hat der dunkle
Wald gelegen und nicht die weite Marsch.
Ten ganzen Tag hat er sich ükrlegt, ob
er nicht einmal schreiben solle. Aber wie
manchmal hat er daS schon wollen? Doch
heute Nacht, die Glocken der Heimath
Mit einem Ruck erhebt sich der Farmer,'
geht in Haus und schreibt. Dann steckt
er einen geladenen Revolver ein, sattelt
sein Pferd und jagt durch den nächtlichen
Wald nach der nächsten Poststation. Lange
nach Mitternacht kommt er zurück ' und
entkleidet sich. Die ganze Nacht hört er
im Traum die Glcjcn der Hcimath klin-
gen und lächelt selig
'
Frauke ist damals auf der Uhfrn
plaatse" geblieben; denn dcr Bur, der sich
langsam erholte, wünschte es ausdrücklich.
Und als die Haushälterin starb, wurde
Frauke ihre Nachfolgerin. Oft sprach
man von dem fernen Hajo, und die Braut
legte sich keinen Abend schlafen, ohne des
fernen Liebsten im Gebete zu gedenken.
Udo van Lessen war ein ganz anderer ge
worden, ein Stiller, Einsamer. Er fühlt
eS als schwere Schuld, das Glück zweier
Menschen zerstört zu haben. Sonntag
für Sonntag fuhr der Bur in dcr hohen
Kutsche mit seiner Haushälterin zur
Kirche. Die Leute meinten kopfschüttelnd:
dem ist oben doch sicher etwas von dem
Schlag bringen geblieben. Franke wußte
es aber besser, ' sie sah im Winter die
Abende mit ihm allein am flackernden
offenen Herdfeuer und iin Sommer drau
ßen unter den holten Linden.
Eine Abends, so gegen Weihnachten,
brachten die Leute den Herrn der .Uhlen
plaatse" heim, todt und nah. Beim
Schlittschuhlaufen war er in eine Waake"
(eine offene Stelle im Eise) gelaufen und
ertrunken. In der großen Stube lieh
Frauke ihn aufbahren und ging bis zum
Begräbnis jeden Abend mit der 'Kerze
in Zimmer, nahm das weiße Tuch vom
Angesicht des Todten und sagte leise:
.Schlaf gut. Bur!"
' Als der Hof verkauft wurde, i zog
Frauke nach dem Dorfs und erstand für
sich ein kleinetz Haus an, dcr Kirche. Udo
van Lessen hat sein, Testament dafür
gesorgt, daß ' seine Haushälterin leben
konnte. Blitzblank war eS in deren
Hause, die Dielen weih gescheuert, von
kunstvollen Sandverzierungen ringe
rahmt. In der Wohnstube stand unterm
Fenster Hajos ttistc, das H. T. erst kürz
(ich wieder vom Malermeister Luitjen
Janssen davor gemalt. Nachmittags sah
das alte Mädchen am Fenster und strickte.
Alle Vorübergehenden nickten ihr freund
lich zu. Kleine Kinder hoben sich manch
mal gegenseitig auf und lugten neugierig
in ihre Stube. Fzauke von der Uhlen
plaatse' war für sie eine besondere Pu
sönlichkeit, ähnlich einer verVunschen
Prinzessin im Märchen.
Ein, schönen Nachmittags im, Herbst
sah Frauke den Burmester, dn, Gemeinde
Vorsteher, aus ihr Hau zukommen und
in der Hand eiaen Brief schwenken.
Ma mag der tvohl wollen?
Kommt er vielleicht wegen Steuer? Wal?
ich alleinstehende Frau soll auch noch-?'
- Tag! Wißt Ihr das neuste?
Hajo hat geschrieben."
Burmester, schämt Euch, mit einer
alten Fra Späh und Kindereien zu
treiben'."
Nun. wenn Ihr nicht glauben wollt,
lest doch!"
Und da alternde Mädchen, mit der
ewigen stillen Sehnsucht im Herzen, liest,
und sie liest noch einmal, Und dabei
rollen ihr die hellen Thränen iiber die
runden Backen.
Und wie sie sich umsieht, ist sie allein.
Sie hat die Thür gar nickt gehört.
Ali vierzehn Zage um waren, ritt
Hajo jeden Zog nach der Post. Dreimal
kam er vergeblich, dann war ein Brief
da. Als er ihn aufriß, schlug fein Her,
bis zum Halse, und seine Hände zitier
Im. Mitten aus der Strahl stand bei
formet und la. Nun sing er leise an za
singen, ein altes Tanzlied aus der Hei
math. Zanzte er auch? Kopfschüttelnd
saln sich die Leute den finstern, menschen
scheuen Farmer an. der eben noch lang
und nun in die Stadt hineinjagte, daß die
Kinder schreiend zur Seite stoben.
Bei Mister Brown hielt der Reiter,
und nach einer halben Stunde war die
form verlaust.
AI die Sonne im Westen sank, hielt
das Roh zitternd und schaumbedeckt vor
dem Blockhaus.
Hajo packle die ganze Nacht und fuhr
Gin exxixdXtev.
Von 0). Aehnpfund.
Es war an einem Sommertage kurz
nach sechs Uhr Abends, um welche Zeit
in der Oranienstrahe, nahe der Linden
strahe in Berlin ein riesiger Berkehr
herrscht, die Elektrischen waren bis zur
äußersten Fassungskraft besetzt, innen so
wohl wie oben auf den Dächern der Auto
omnibusse drängten sich die Menschen bei
derlei Geschlechts zusammen. Auf einem
dieser Omnibusse kam es zu einer erregten
Szene, denn ein Mann im blshen Kops
hatte den grauen Zylinder eines elegant
gekleideten Herren ergriffen und dieser
Herr suchte nun sein Eigenthum wiederzu
erlangen, was ihm aber erst mit Hilfe
j einiger Anderer gelang. Der Mann im
bloßem Kops wollte sich gar nicht zusrie
den geben. Den Vorgang dort oben hat
ten nur wenige Strahenpassanten beob
achtet.
Plötzlich hörte man einen entsetzten
Schrei einer Dame, die neben dem Manne
in bloßem Kopfe gesessen hatte und jer,t
sahen zu ihrem Erstaunen auch die Ande
reu, was geschehen war. Der Mann war
von dem in schneller Fahrt befindlichen
Auto heruntergesprungen, schlug unten
ans dem Fahrweg noch einige Pur,,!
bäume und trabte eng hinter einem ande
ren eleganten Herrn her, der ebenfalls i
neu grauen Zylinder trug. Er riß ihm
denselben vom Kopf und im gleichen Au
genblick packten ihn auch schon zwei starke
Arme.
Das alles geschah im Zeitraum einer
Minute. Nun drängten sich die Menschen
und stießen sich und jeder wollte erfahren,
was. geschehen war. Zwei Schutzleute
standen in der Mitte, der eine schrieb, der
andere hielt den Mann im bloßen Kopfe
beim Arm.
Ich heiße Wcrdi und bin Gesandt
schaftösekrctär," sagte : der Mann im
grauen Zylinder. Daraufhin konnte er
gehen. Der Mann im bloßen Kapf nannte
sich Munser und gab an, Besitzer eine?
Htgeschäftes zu sein, was ih'm jedoch nicht
geglaubt wurde, denn einige, die bei dem
Borgang auf dem Autoomnibus zugegen
waren, behaupteten, der Mann sei der
rückt, weil er es auf Menschen mit grauen
Zylinder abgesehen hatte. DaZ Wort
verrückt" verfehlte seine Wirkung nicht,
denn bald war es in Aller Munde und
Munser gcbärdete sich thatsächlich wie ein
Verrückter, denn eben hatte er wieder einen
grauen Zylinder entdeckt, und der Schutz
mann hatte feine Noth, ihn zu halten.
Einige Stunden später sah Munser in
der .Gummizelle des Polizeigefängnisses
und der Polizcigewaltigk hörte im Bureau
den Bericht der beiden Beamten an und
vernahm einige Zeugen des Vorganges in
dcr Oranienstrahe. Der Arzt, der
Munser beobachtet hatte, erklärte, der
Mann sei zwar sehr nervös, aber verrückt
sei er durchaus nicht. So wurde denn
Munser hereingeführt und vernommen,
(.kr blickte sich im Zimmer um und
im nächsten Moment stand er an dem
Garderobenständer, auf dem ebenfalls
ein grauer Zylinder hing diese Hüte
sind in Berlin, sehr in der Mode .
Er faßte den Hut, untersuchte das
Schweihband und zog aus demselben
ein LotterielooS heraus, das er wie ein
Besessener in der Luft schwang und in
einem Fort rief: Gelobt sein Jesus
Christus ich habe mein Loos wieder."
Jetzt klärte sich alleS auf.
Munser hatte vor kurzer Zeit von einem
Händler ein LotterielooS gekauft und
heute war Ziehung gewesen. Im Laufe
des Nachmittags war der Händler mit der
frohen Botschaft in seinen Hutladen ge
kommen, daß das Loos und somit auch
er den Haupttreffer gemacht habe. Jetzt
suchte Munser sein, Loos, das er in da
Schweihband eines grauen Zylinders ge
steckt hatte, und zu seinem großen
Schrecken erfuhr er. dah sein Angestellter
vor einer Stunde diesen Zylinder verkauft
hatte, er konnte aber nicht sagen, wer der
Käufer war und wohin dieser gegangen
sei. - .
So wie er war, in bloßem Kopf,
stürmte er aui feinem Laden auf ie
Strahe und alle, die einen grauen Zylin
der trugen, mußten still halten, bi! er das
Schweihband untersucht hatte.
Der Arzt, dem dieser .Hut gehörte, be
stätigte, dicscn am selben, Nachmittag in
TIsOWchs-ZMSAk
m and Morgen nach der nächste u
Bahrkstatto, immer fcra klang der Hei,
matha)ockeu km Ol
Lls der BrttfUagcr wieder einen Brief
aus Amerika brachte, zo sie ihr schwar
ze Kleid an, setzt die Spitzenhoude aus
und band vorm Spieal die langen
Sommtbonder zu einer kunstvollen
Schleife unterm Kinn.
Dann ging sie hinüber zur Pastorei
und bestellte Ausaedot und Hochzeit.
Mit einem glücklichen Lächeln im Ge
ficht, da riun nicht imeder verschwand,
ging Frauke nach einer Stunde heim und
sing an zu nisten für den großen Zag.
Das ganze Dorf gerieth mit ihr in
AufregunK. Wer nur ein bespann besah,
erbot sich, den Bräutigam von der Bahn
zu holen. In alle Häusern spuch man
von nichts anderem mehr, und schon am
anderen Tage war Hajo in Millionär.
Als er nun endlich ankam, der neue
Bur von der .Uhlenplaatse" fuhr ihn.
schrien die Kinder, die weit binausgelau
sen waren: .Sr kommt! Er kommt!"
Und' an dem Mittag gab e in manchem
Hause, angebranntes Essen.
Jeder wollte den Heimkehrten bis
zum Hochzeitstage im Hause haben. Hajo
ging reitnlnr) und wen er eine Familie
beglückte, riefen die Kinder aus der
Straße: .Heut' ist er bei un! Heut' ist
er bet uns!"
Am Hochzeitstage ' flaggte da ganze
Dort, und vor dem Hause stand ein Eh
renbogen. Selbst aus der nächsten Umge
bung waren Leute herbeigeeilt. Und als
nun die Neuvermählten au dem Hause
des Geistlichen kamen, schrien die Kinder
Hurra, und von allen Seiten streckte man
ihnen die Hände entgegen. All sie aber
die Schwelle überschreiten wollten, da
setzten mit machtvollen Akkorden die Air
chenglocken ein, die Glocken der Heimath.
Munser Laden gekauft zu haben, und so
mit war die Sache erledigt. Munser
zahlte drei Mark Strafe wegen groben
Unsungs und wurde entlassen.
Er bestieg eine Elektrische, die ihn nach
seinem Heim zurückbrachte.
Am anderen Tage erschien der Händler,
der ihm das LooS verkauft hatte, in seinem
Laden und e hätte nicht viel gefehlt, so
hätte ihn Munser umarmt. Vierzig
tausend Mark war auch keine Kleinigkeit
und er konnte sie sehr nöthig gebrauchen.
Der Händler erhielt eine Belohnung von
Hundert Mark mit dem Versprechen, in
vierzehn Tagen, wenn da Geld ausbe
zahlt würde, weitere hundert Mark zu be
kommen. Er empfahl sich und der glück
liche Gewinner erwartete mit fieberhafter
Ungeduld den grohen Tag.
Endlich war eS so weit. Munser begab
sich schon zu früher Morgenstunde nach
dem Bankhaus, das die Gewinne ausbe
zahlte, wie eS auf der Rückseite des Looses
angegeben war. Er drängte sich durch die
Menge anderer Gewinner, die gleich ihm
ihre Preise holten.. Endlich war er am
Schalter angelangt.
Er schob mit lässiger Gebärde, als
handle es sich um ein Bagatelle, sein Loos
durch das halb hochgeschobene Schalter
fenster und wartete und trommelte dann
auf dem Fensterbrett einen Marsch
Nach kurzer Zeit hob der Schalter
beamte den Kopf und sagte lachend:
Nischt jewonnen," und lieh Munser's
Loos in den Papieriorb fallen.
.Detis en juter Spaß," sagte Munser.
der annahm, daß der Beamte einen
Sckrz machte. .Jeden Se nur det
Klümpchen raus, ick kanns jebrauchen."
Doch der Beamte griff nach dem nach
sten Loos, daS ihm durchs Fenster ge
reicht wurde, und zahlte zwanzig Mark
aus,
Munser blieb noch immer, wartend
stehen. Nach einer Weile sagte er: Ma
chen Se nur keenen Quatsch un jeden Se
mir mein Jeld."
Der Beamte achtete aber gar nicht auf
ihn, sondern zahlte einen Gewinn nach
dem andern aus.
Jetzt wurde Munser grob: .Wenn Se
jetzt nicht jleich mein Jeld rausjeben, dann
haue ick Dir in die Aisage."
Wai wollen Sie denn, Mann, Sie ha
ben nischt jewonnen," der Beamte nahm
Munseri Loo aus dem Papierkorb, zeigte
ihm die Liste und deutete auf eine Num
mer: Da, Sie haben Nummer 175,314,
sehen Sie? Es fehlen nur sechsund
zwanzig Nummern, dann hätten Sie den
Haupttreffer jemacht. 175,34 hat den
Haupttreffer -"
Munser erwachte wie aus einer Betau
bung. Er schlug mit der geballten Faust
die Fensterscheibe deZ Schalters in Trum
mein und rief:
.Betrüger, jieb mir mein Jeld oder ick
bringe Dich um."
Eine Stunde später überführte man ihn
nach dem Irrenhause und diesmal war er
wirklich verrückt.
Das Moskauer Findelhaus kann
jährlich 13,000 Kinder aufnehmen.
Die arabische Chemie kannte schon
ausgezeichnete Rezepte zur Verfälschung
von Nahrungsmitteln.
Die Narben, die der Student auf
der Mensur oder der Mann in der
Schlacht erhielt, zeigt er stolz der ganzen
Welt. Die Wunden, die das Mädchen in
der Liebe oder die Frau in der Ehe da
vontrug, sucht sie ängstlich vor der ganzen
Wett zu verbergen.
Die kommende totale Sonnenfinster
nii vom 21. August wird der Wissen
schakt Gelegenheit z interessanten Beob
achtungen Über die Einwirkung de Lichtes
und des Dunkels aus die Ausbreitung der
Wellen der drahtlosen Telegraphie geben.
Die British Association hat durch ihr
radiotelegraphisches kommittee alle in Be
tracht kommenden Funkenstationen zu einer
organisirten Zusammenarbeit eingeladm,
so daß die Bcobachwngen und Versuche
am Tage der Sonnenfinsternis im bre)
testen Rahmen stattfinden werden. Die
totale Finsternis wird in Schweden, Nor
wegen, Ruhland, Persien und Grönland
sichtbar sun.
Tom Walters
Novellettc von
E w nicht ganz leicht für Tom und
Hetty Walter mit dem kleinen Gehalt
auszukommen, das ersterer vom Krieg!
mtnifterwm dafür bezoq, daß e sehr we
nig that und immer sehr vornehm aui
sah.
Sie gehörten zu der Art von jungem
Ehepaar, die recht beliebt ist, waren amü
sante Gesellschafter, gutherzig und nett
anzusehen.
Er spielte da Banjo und sang mit
ziemlich wohllautender Stimme dazu. Sie
war sehr geschickt im Wahrsagen aus dcr
Hand, d. h. sie hatte eine scharfe Be
obachtungögabe für den Ausdruck dcr Ge
steter und wußte da Richtige oder fast
Zutresfende zu verkünden; deshalb hiel
ten die Leute sie für eine Zauberin, Sie
aber lachte sich oft ins Fäustchen ob ihres
Scharfsinns und dachte, was für Närrin
neu es doch gäbe.
Da! erste Jahr ihrer Ehe verbrachten
sie in ein paar möblirten Zimmern und
schauten sich nach einer passenden Woh
nung um und ließen sich endlich im fünf
ten Stock eine Etogenhause nieder
e war eine Behausung, die aus vier Zim
mern, einer Küche und einem Wand
schrank für das Dienstmädchen bestand.
Die Miethe war sehr hoch, und die
Stuben waren niedrig und leicht mus
sig", aber sie sahen .durchaus anständig
au", wie Tom sagte, und Hetty, mit
ihrem Kunstsinn und ihren originellen
Einfällen hatte sie wirklich reizend ausge
stattet.
Das spottbillige Porzellan sah im La
den nach nicht aus, aber auf den hohen
Wandbörtern waren die blauen Zeller
und wunderlich geformten Vasen ganz
wirkunqZvoll, und die sanft abgetönten
Musselinvorhänge vor den Fenstern, die
saft nichts kosteten, eigneten sich sttr das
niedrige Zimmer weit besser als kostbare
Stoffe.
Hetty war daher sehr stol, auf ihre
Etage und durchaus nicht neidisch auf ihre
Nachbarn? die wahrscheinlich viermal so
viel für ihre Einrichtung ausgegeben hat
ten wie sie.
Sie schob die Möbel in ihrem Borzim
mer oder Salon, wie sie es mit Bor
liebe nannte hin und her und betrach
tete die dadurch entstandene Veränderung,
als ihre Freundin Frau Forster eintrat.
.Was? Noch immer dabei?" rief diese
und sank, in einen Korbstuhl, der unter
ihrem Gewicht krachte, denn sie war recht
rundlich.
.Ja, ich wollte gern daS Klavier so stel
len, dah man die Rückseite nicht sieht. Mir
gefällt der Stoff nicht recht, den ich zur
Drapirung gekauft habe er paht nicht
zur Tapete, und doch finde ich es schau
derhaft geschmacklos, ein Klavier an die
Wand zu schieben. WaS soll ich thun,
Ethel?"
,O Liebste, ich bin auher Athem
warum agitirt Ihr nicht wegen eines
Fahrstuhls? Diese fünf Treppen sind
wirklich zu viel des Guten! Kein Mensch
wird Euch besuchen," sprach Frau For
fttt, Vttn Busen noch immer wogte.
',f,t ist nicht bange, dah unsere
Freunde uns fallen lassen. Sonntag fa
men elf Personen zum Fünfuhr-Thee, ob
wohl wir kaum in Ordnung waren, und
jeder war entzückt von der Etage. Tom
hält die Treppen für eine sehr gesunde
Bewegung. An Regentagen z. B., wenn
wir nicht ausgehen können, wollen wir die
Treppen auf und nicderlaufen."
.Und werdet für ein paar Verrückte ge
halten. Mir mihfällt die Drapirung
durchaus nicht, Hetty sie ist nur ein
bihchen zu hell. Rücke das Piano nicht
fort, es steht dort so gut, sondern stelle
ein paar Palmen davor, um den Stoff
abzutönend Du brauchst noch mehr Grün
im Zimmer daS ist fo wohlthuend für
das Auge." ' '
Dabei schaute sich Frau Forster mit kri
tischen Blicken um.
Hettys Gesicht hellte sich auf.
.Da hast Du recht! Warum bin ich da
rauf nicht selbst gekommen? Aber die Pal
men wie in aller Welt soll ich die er
schwingen? Ich habe keinen Heller mehr
übrig, und Tom erklärte heute Morgen,
daß er mir auch nicht einen Pfennig
mehr geben könne."
. .Altes Zeug, meine Liebe. Darauf
komme ich wieder zurück, wenn Ebbe in
einer Kasse ist, und diese BlumenverkUufer
pflegen. Dir für ein altes Kleid und ein
paar Hosen genug Pflanzen zu geben um
einen kleinen Wintergarten zu versorgen,"
lautete die Antwort.
.O. Ethel, Du gute Seele! Wo kann
ich solch ein Individuum anftreiben
ich wollte, ich hätte den Menschen schon
hier!" rief Hetty und klatschte entzückt in
die Hände.
.Er ist auf dem Korridor; bitte, komme
mit mir, Ethel, und sieh, was ich losschla
gen kann," bat Hetty, und im nächsten
Augenblick öffnete sie Schränke und zog
Schubladen auf, um nach Kleidungsstücken
zu suchen, die abgelegt 'werden konnten.
.Ach, die sind immer unterwegs ich
meine die Männer mit den Schubkarren.
Ich glaube wahrhaftig, da höre ich einen
unten rufen. Dabei stand sie auf und
guckte aus dem Fenster auf die Strahe
hinab.
.Ja, lauf hinunter, Hetty, und halte
ihn an und laß ihn mit seinen Pflanzen
heraufkommen. Er hat zwei wundervolle
Palmen, wie ich sehe. Gerade, was wir
brauchen!" . ,
Im Handumdrehen war Frau Walter
aus dem Zimmer und flog die steinernen
Treppen mit geradezu, tzalsbrecherisckier
Geschwindigkeit hinunter und kehrte nach
wenigen Minuten trrumphirend zurück, in
Begleitung des Mannes und der Palmen.
Mit einem Rock über dem einen Arm.
ein Jacke über dem anderen und einem
Haufen Sachen außerdem ging Hetty hin
aus, um mit dem Manne zu unterhan
dein, gefolgt von Frau Förster.
- Der Händler stellt seine Pflanzen aus
der Hand und machte sich an die Bcsich
tigung der Kleidungsstücke.
.Ein Radelrock nützt mir nickt viel,
meine Dame, meine' Kunden befassen sich
Nicht mit Radeln."
Irackanzng.
. Hsppe.
,O, aber er kann auch auf der Straße
getragen werden." erwidette Hetty.
.Viel zu kurz, und Du meine öüite,
wie eng in der Taille! Don Hüften gar
keine Rcdc! Hier, meine Dame, diesen Ge
ra.ium will ich Ihnen dafür geben
kostet 80 Pfennig!"
.Aber ich brauche eine Palme!" rief
Hetty empört.
Der Händler lachte.
.Sie glauben doch nicht, dah ich Ihnen
eine Palme, die 7sü Mark werth ist.
für einen Rock geben werde, der keinem
erwachsenen Frauenzimmer passen kann!
Haben Sie denn keinen Herrenonzug.
nicht einen netten Gehrock, der blank an
den Nähten geworden, odr aus dem der
mir Alles klar! Du Tu hast meinen
neuen Frackanzug öerkaust!"
Herzbrechendes Schluchzen war die ein
zige Antwort, die Tom erhalten lernt'.
Hettys Kcsicht war in die Kissen des Bet
tei '."rgrcrcn.
Es wurde an die Schlasstubenthüre ge
klopft.
.Bitte, gnädiger Herr, der junge Herr
Dolchett ist im Salon, er möchte Sie ein
paar Augenblicke spreche. Ich sagte ihm,
Sie zöx.'n sich an, weil Sie zum iScn
aus wären, aber er sagt, er wolle Sie
gar nicht aushalten, tönte es durch die
geschlossene Thür.
.Datchett! Wai zum Henker will cr
denn ?" rief Tom ärgerlich.
.vielleicht passen ihm die Sachen nicht,"
stammelte Hetty mit einem Hoffnungs
schimmer, denn ein alter Frackanzug würoe
bei der augenblicklichen Lage der Dinge
immerhin besser als gar keiner sein.
.Nun, ich bin kein Schneider ändern
kann ich sie doch nicht!" lautete Toms zor
nige Erwiderung, während er mit großen
Schritten aus dem Zimmer ging und die
Thüre so heftig hinter sich in Schloß
warf, dah die ganze Etage bebte.
Fünf Minuten vergingen und dann kam
er mit strahlendem Gesicht zurück.
.Tröste Dich, Hetty, und zieh' Dich um.
Ich bin ein großer Esel gewesen, habe
die Anzüge verwechselt und Datchett mei
nen neuen geschickt. Der gute alte Junge
hat ihn selbst wiedergebracht, weil er
wuhte, dah ich heule aus fei und sich
dachte, dah ich durch mein Versehen in die
gröhte Verlegenheit gerathen sein würde.
Es thut mir wirklich sehr leid, daß er
den alten nun nicht bekommen kann. Wir
müssen ihm wohl als Entschädigung die
Palmen anbieten was meinst Du?"
Das thaten sie, aber da der junge Tat
chett entdeckte, daß sie keine Wurzeln hat
ten, lehnte er dankend ab.
Der Ring.
- Skizze von Julia BürenHahn.
Der Untersuchungsrichter Richard Grey
besah in seinem Pavillon im Trafalgar
Square eine Vitrine, die von Liebhabern
und Kennern gerechterweise bewundert
wurde. ' Wahre Schätze fanden' sich hier
vereinigt, die mit der Sorgfalt und Liebe
eines Gelehrten mit Etiketten versehen
und nach Katalog geordnet waren. Der
würdige Mann war vor allem stolz auf
seine Ringsammlung. Die ältesten Ringe
von dem schmalen florentinischen Reifen
bis zu dem der schwersten abessinischen
Goldschmiedearbeit, waren darin vertre
ten. Er hatte sie selbst klassiert und mit
bewunderungswürdiger Sorgfalt geord
net. Es wäre unmöglich gewesen, an
dieser Sammlung, die eines Museums
würdig war, nur das geringste auszu
setzen; ihr Werth war unermeßlich und
vc: allem war es das interessanteste, Mas
man sehen konnte.
Wenn Richard Grey in glückseliger Be
trachtung vor seiner Vitrine sah, so ver
gah er alles, essen, trinken und schlafen,
und er wäre vollkommen glücklich gewesen,
wenn er nicht jedesmal, wenn er seine
Schätze betrachtete, an seinen Freund den
Baronet Hughes Adenel hätte denken
müssen.
Der letzte Baronet Avenel war vor
einigen Jahren auf feinem Schlosse in
Schottland auf geheimnisvolle Weise er
mordet worden, und bis heute war es niqt
gelungen, den Mörder zu entdecken.
Der Baronet hatte zu seinen intimsten
Freunden gezählt; dieser hatte wi? er die
richtige Sammelwuth gehabt. Ihre
gleichen Ncisungcn hatten sie zusammen
geführt, und schließlich hatte engste
Freundschaft sie verbunden.
Dcr Untersuchungsrichter erinnerte sich
besonders eines Ringes mit einem dicken
Edelstein, den der Baronet sehr geschätzt
und gern getragen hatte. Die Arbeit und
Form des Ringes waren ziemlich plump
und von geringem künstlerischem Werth,
aber er verdiente Interesse; es war ein
merkwürdiges Stück. Der Stein war be
weglich; wenn man auf eine, nur dem
Kenner bekannte kleine Feder drückte,
öffnete er sich fast wie der Deckel einer
Tabaksdose.
Wozu mochte diese geheimnisvolle
Schmuckstück früher gedient haben?
Zu welchem romantischen Abenteuer?....
Hatte dieser hohle Ring einen Tropfen
orientalischer Essenz enthalten, die die
Fähigkeit besaß, dem Besitzer herrliche
Träume vorzugaukeln?... oder war sein
Inhalt Gift gewesen für einen Verbrecher
oder einen Unglücklichen, Verzweifelten im
Augenblick der Roth? Vielleicht war er
ein Fetisch fllr einen Abergläubischen ge
Wesen!
Was es auch fein mag, jedesmal, wenn
Grey feine Vitrine besichtigte, mußte er
unwillkürlich an diesen Ring denken und
sogleich auch an Hughes ,Avmel; eine
theils mit ein wenig Melancholie iiber den
Verlust des Freundes, anderntheils mit
Aerger über sich selbst, dah eS ihm bis
heute nicht gelungen war, den Mörder des
Freundes zu finden..
Er würde erst wieder ruhig und seines
Lebens sroh werden, wenn er den Wer
brecher entdeckt und ihn seiner gerechten
Strafe überliefert haben würde!
EincS Tages führte man dem Unter
suchungkrichter einen sefesseUenlöcfcmgc-
nen v, der. nach einem heroischen Kampf
mit den Polizisten, unterlegen war. E
war dcr gefürchtet . Einbrecher Bob
Ecratcher, der König der Einbreche? in
höchsteigen Person.
Bob Serakcher. unlcr dem Spitznamen
.The Windy Man' allgemein bekannt,
weil er seinen Verfolgern stet mit Leich
tigkcit entkommen, war endlich sestgenom
men. London und seine Vororte athmete
erleichtert auf.
Er trug sein Unglück mit der Ruhe eines
Gentlemen.' Seine Augen blickten noch
ebenso hell; er war nicht zynischer oder
herausfordernder als fönst. Er war
ruhig, überlegen, und sein Auge begegnete
stolz dein des Untersuchungsrichters, als
dieser ihm einige Fragen stellte.
Plötzlich wurde der Richter leichenblaß,
seine Hände begannen zu zittern und sein
Blick umflorte sich. Er hatte plötzlich n
dem Ringfinger der kräftigen ober wohl
gepflegten loeißen Hand des Gefangenen
genau denselben Rmg bemerkt, der ihn
feit Jahren Tag und Nackt verfolgte uns
dcr seinem Freunde, dem Baronet Avcncl,
gehört hatte.
Damit war aber noch nicht erwiesen,
dah das Schmuckstück, wclchcs sein Freund
vor fünf Jahren an seiner Hand getragen,
einzig in seiner Art oder auch nur ein
seltenes Stück war. Alt gewiß, aber . . . ?
Gab ei nicht in jeder Familie alte Ringe,
an welche sich Erinnerungen knüpften?
Konnt Bob Scratfcher dieser Ring nicht
bei einem nächtlichen Besuch, den er in
so vielen aristokratischen und bürgerlichen
Familien in der Stadt und Umgegend ge
macht hatte. , in die Hände gefallen fein?
Es wäre gewagt gewesen ihn des MordeS
zu bezichtigen, weil er einen Ring derlc!
ben Form und Arbeit trug, wie der Ba
ronet HughcS Avenel ihn getragen hatte.
Trotzdem war der Richter im Innerste
seine Herzens fest davon überzeugt, daß
seine Annahme richtig, und er den lang
gesuchten Mörder seine? Freundes vor sich
habe.
Er gab dem einen der Polizisten einen
Wink, und dieser gehorchte und begann
dem Gefangenen den Ring vom Finger zu
ziehen.
Der Mann ließ es ruhig geschehen, zog
die Schultern verächtlich in die Höhe und
sagte murrend:
.Durch dieses kleine Ding wird der
Schatz seiner Majestät sicher nicht bereichert
werden. Ich will mich hängen lassen,
wenn dieser Ring mehr als vier Pfund
englische Gold enthält!"
Der Untersuchungsrichter antwortete
nicht. Mit zitternden Händen hatte er
den Ring in Empfang genommen und war
ans Fenster getreten, wo er einige Augen
blicke mit abgewandtem Antlitz stehen
blieb, um die Erregung, in welcher er sich
befand, nicht merken zu lassen. Tann be
gann er den Ring näher zu betrachten und
zu untersuchen.
Endlich war cr damit fertig; er wandte
sich dem Gefangenen wieder zu und sagte,
sich die gröhte Mühe gebend, gcfaht zu
bleiben, in möglichst ruhigem Ton:
.Bob Scratcher, Sie haben am 27.
April 1907 den Baronet Hughes Avenel
in feinem Schloß High-town in Schott
land ermordet!"....
Bob Scratcher wurde erdfahl; er war
fo übcrrrascht über die Wendung der
Dinge, dah er nicht zu leugnen wagte.
- Der Untersuchungsrichter - hatte- den
Ring, als er ihn in der Hand hielt, gleich
wiedererkannt, mit Hülfe dcr unsichtbaren
Feder, von welcher Bob niemals eire
Ahnung gehabt hatte, den Stein geöffnet
und im Innern das Wappen deS Avenel,
eine Stechpalme, eingraviert gefunden.
Die Untersuchung brachte noch voll
gültige Beweise, und Bob Scratcher, der
König der Einbrecher, wurde zum Tode
durch den Strang verurtheilt
Und so kam es. daß Bob nach der alten
englischen Formel so lange am Kopf auf
gehängt wurde, bis feine Seele sich von
seinem Körper getrennt hatte, obschon der
elende Ring, der ihn verrathen, wirklich
nicht mehr als für vier Pfund gutes, eng
lisches Gold enthielt
Eine Weltstatistik des Buchdrucks.
Im Aprilheft des Bulletin de I'Jnstitut
international de Bibliographie" findet sich
eine Abhandlung über die Zahl aller seit
der Erfindung der Buchdruckerkunst er
schienenen Büchet. Daraus geht hervor,
dah feit dem Jahre 1450 nicht weniger als
11.638,810 gedruckte Bücher in den ein
zelnen Ländern der Erde erschienen sind.
In dieser Zahl sind naturgemäh auch die
Inkunabeln" einbegriffen, wie man die
bis zum Jahre IM gedruckten Bücher
nennt, und zwar steht, was die Jnkuna
beln anbetrifft, Deutschland als Mutter
land der Buchdruckerkunst begreiflicherweise
an dcr Spitze. Wahrend man 20,000
deutsche Inkunabeln zu kennen dorgicbt,
eine Zahl, die freilich nicht unbestritten
dasteht, sind aus italienischen Druckereien
nur 6636 hervorgegangen, aus Holland!
schen 2049. und erst in weitem Abstände
folgt Frankreich mit 1123. Um das Jahr
1500 herum bezifferte sich die Zahl der
jährlich erscheinenden Bücher auf 1200,
zweihundert Jahre später, um 1700. war
sie bereits auf 10.000 gestiegen, 1887 wa
ren es 100.000 und 1908. in dem Jahre,
mit dem die Statistik deS .Bulletin" ab.
schließt, waren nicht weniger als 174,373
Neuerscheinungen zu verzeichnen, eine Zahl,
die nicht mit Unrecht in dem Verfasser deS
Aufsatzes bange Befürcktungm über die
Zukunft unserer Bibliotheken hervorruft.
DaS Ideal.
Ein Farmer, der als Geizhals bekannt
war. hatte für wenig Geld eine alt
Schindmähre cckauft. (jr spannte sie vor
sein Wögelchen und fuhr nachhause.
Unterwegs machte er an einer Tränke
Halt damit daS Pferd trinken möge, aber
eS blieb ruhig vor dun Trog stehen und
trank nicht. Zuhause angekommen, führte
n eS in den Stall, schüttete ihm daS Fut
ter auf ti blieb ruhig vor der Krippe
stehen und frah nicht.
,Hm brummte der Farmer wenn
ich wüßte, dah du gut bei der Arbeit bist,
dann wärst du nach meinem Geschmack ein
ideale, Pferd."
Wenn txtxt Frau behauptet, sie ver
lange nur ihr Recht, dann ?..'i"?t sie ge
wih ein Vorrecht.