Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, February 15, 1913, Image 7

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Die ZNode.
Besieht in diesem Winter eine
Mode, der die Zeit ihre Prägung
givti Xtm oberflächlichen Veobach.
itt maa die neue Üoilkttekunst IS
ein Potpourri erscheinen, zu dem sich
bekannte Modemelodien lose verbin
den. und doch durchzieht diese leichte
Modemusik ein tieferer künstlerischer
Klang, der freilich deutlich nur dem
verwnnvicn Gefühl wahrnehmbar
roiro.
ES ist nicht zufällig, daß die Bor
e7rsch7.st tti steifen ?!ackenkoNm
und toiil rilleiniae Neaiment der Uni
ZEtosse aufgehoben ward. Die Dra,
VNttn. die dem An, vorn Zufall
eingegeben und jeder Zlörperform 6e
onver angepaßt zu sein scheinen,
ind auf der Grundlage unserer 6e
ten Trachtenvorbilder aufgebaut, in
Anlehnung an die griechischen For
wen. Da Walten einer lebhaften
Phantasie gibt sich in Geweben und
Farben kund, die on die prunkvol
len Stoffe der italienischen Nenais
sance erinnern. Und über alledem
breitet sich ein neuer bunter Farben
sinn mit unverkennbar orientalischem
Ei''-Hlag aus. Diese Trachten-Re-
n.,niszenzen wollen als Vorstufen zu
den- Neugebilden eines modernen
,,; KünstlertumS in der Mode gedeutet
sein.
Die umwickelnden griechisch dra
piertm Gewänder aus weichem
CrSpe-Satin von hellen Farben, wie
?itron-gelb, Schnecken-grün oder
Schildpatt-blond mit lang und schmal
nachschleifenden Enden und nur von
Schleierstoff verhüllten Schultern,
kiner wehenden schwarzen Tüllschärpe
und Perlengirlanden als Putz, der
keist der moderne Künstler in die
Festsäle und Theaterlogen. Für die
intimeren Stimmungshintergründe
des kleinen Salons schafft er hinge
gen Kleider in lebhaftem Kolorit und
verbindet Uni'Stoffe mit bunten Mu
sterungen seidener Gewebe oder orien
talischen Stickereien. Die Form des
EewandeS ist leger, fast ohne Tail-
H.
. lenschweifung und doch mit sckjmül
kendem Gürtel, das schmale Decollctö
ergibt sich aus der kreuzweisen Be
ileidung der Büste und der enge Rock
Mri
i oicioi iimu oorr MII iuii uu i
c r . i r. . v ii iiuauu
Schleppe. Als Empfangstoiletten
Mögen sich als apart geltend machen:
Tuniques aus Schleierstoffen über
Ngen Röcken in japanischer Stickerei
von bunten und doch diskreten Far
ben, oder lebhaft gemusterte Seiden
geweoe uver ronjaiicnocm ,cnacm
Rock und all Haarschmuck weite far
' . , rr . . , . , . . , i ivrt- w : . Off. .i.
ome üseuerneiicn. i wie vcn
Mäntel sind die originellsten Zusam
t! mensetzungen aufgespart. Bei Ki
f mir. oder Dolman-AacanS ist die
j obere Hälfte au dunklem Samt und
, die untere rniS orientalischer bunter
Stickerei oder da Gewand wird
l oben durch pompösen Brokatstosf und
weiter unten durch glänzenden Sei
i denplüsch gebildet.
' Ein hübscher Mantel ' aus blauem
ZQKetin, bei welchem Kleidsamkeit
Jfj
J I
3
in
und Einfachheit in schönster Weise ge
paart sind, ist der Gegenstand unserer
ersten Skizze (Fig. 1). Der vor
nehme Eindruck dieses GewandeS wird
hauptsächlich erzielt durch den eigen
artigen Schnitt, besonders des Kra
genS und der Aermel. , Ersterer. ' an
sich schon breit, tritt noch prominen
ter hervor durch die ruschenartiae
Einfassung aus eigenfarbiger Seide.
Einen ebensolchen, aber noch breite
ren Saum hat der untere Rand des
Mantels, während bei den weiten
Puffärmeln der untere Teil aus die
ser Seide hergestellt wurde
Ter tm nächsten Bilde (7?iq. 2)
vorgeführte Hut ist für Damen im
mittleren Alter bestimmt. Die Krone
ist in reicher Fülle " mit braunem
Samtbrokat überzogen und die ein
wenig aufgerollte Krempe mit ein
sachem Samt m dunklerer Schattie
TV.
rung, der leicht gekräuselt ist. Die
einzige Garnierung besteht aus einer,
auf der linken Seite angebrachten
Straußenfeder in brauner Farbe.
'tt stoss des nächsten Kleides
(Fig. 3) ist schwarzer Samt, dessen
Eleganz durch die einfachen Linien
nur noch gehoben wird. Die schlichte
Bluse wird auf der linken Seite
durch klare Glasknöpfe geschlossen
und der Rand ist mit einer schmalen
Rüsche auS weißem Muslin besetzt.
Der enganliegende, ebenfalls mit ei
ner Rüsche verzierte Unterärmel reicht
bis einen Zoll unterhalb des Ellbo
gens, wo er mit dem etwas gepuff
en, mit ver Biu e aus einem Stück
geschnittenen Oberärmel . verbunden
st. Um den HalS legt sich ein brei
er Kragen aus weißer Seide, dessen
Enden durch eine Krawatte aus dem
elben Stoff verbunden sind. Der
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iÄs-s.
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Rock ist vorn und hinten in je zwei
(juucii yucui.
Amethyst arbiger Samt, garnier
mit eigensarbigem Chiffon, wurde für
das Kleid de nächsten Bildes (Fia
4) verwandt. Die rechte Seite der
Tattie t st auf der linken Häl te dra
piert und wird dort durch eine aol
dene Knotenquaste festgehalten. Eine
Ecke dieser Drapierung fällt bi un
ter die Taillenlinie herab und ist mit
einer ahnlichen Quaste verziert. Auf
der rechten Seite bildet der Samt
einen kurzen Aermel. unter welchem
e,n Unterarmel aus Chiffon in hel
lerer Schattierung hervortritt; auf
der unken Seite jedoch ist der Samt
am Aermelloch weggeschnitten und der
ganze Aermel auS Chiffon gefertigt.
Die Einfassung der linken Hälfte der
2aille bildet ein Streifen Goldsticke
rei. Besetzt mit einer Chiffonrüsche
Der Rock weist keinen Besatz auf.
Das nächste Bild (Fig. 5) zeigt
einen Kindermantel aus weißem
Serge mit breiten Schulter und
schmalem Halskragen. Beide, sowie
die Ausschlage der etwas eingezogenen
Aermel sind mit seidener Soutache
Lide verziert, aus welcher in den
m r
YL
Kragenecken kleine Schleifchen gebil
det sind. Der Schnitt des Mantels
ist geradlinig.
Ein reizendes russisches Blusenko
stüm für ein jugendliches Mädchen
ist im letzten Bilde (Fig. 6) skizziert.
Der Stoff ist dunkelgrüner Serge.
Die Bluse wird auf der linken Seite
durch einen einzigen Knopf geschlos
sen und ein Gürtel aus in Falten ge
legier Seide in kontrastierender Farbe
umfaßt die Taillenlinie. Die- abge
steppte Seitennaht geht bis über die
Schultern; die Aermel sind am Hand
gelenk etwas gepufft. Der untere
Teil der geschweiften Seitennaht, so
wie der mit Seide ausgefüllte Schlitz
auf der linken Seite des RockeS sind
mit kleinen seidenüberzogenen Knöp
sen besetzt. Ein mit Doppelrüsche
eingefaßter weißer Leinenkra'gkn mit
Jabot erhöht den zugendlichen Ein
druck des Anzugs.
Vor kurzem wurde in
Petersburg durch einen Zirkularbefehl
der Verkauf von Tuchern mit der
Abbildung von Mitgliedern des kai
serlichen Hauses verboten. Durch ein
neues, an alle Gouverneure und
Stadthauptleute versandtes Zirkular
wird ergänzend erklärt, daß nur der
Verkauf von Schnupftüchern mit Ab
blloung von Mitgliedern des Kaiser
Hauses verboten wird, da die Verwen
dung solcher Taschentücher eine Un-
ehrerbietigkeit darstelle. Der Verkauf
von anderen Tuchern mit Abbildun-
gen von Angehörigen des Kaiserhau
ses ist nicht nur nicht verboten, son
der erwünscht, wenn es ausgeschlos
sen ist, daß die Tücher zum Schnäu
zen verwendet werden. Daß es dem
Zaren und den andern Mitgliedern
seines Hauses nicht angenehm ist, von
jedem beliebigen Untertan", wenn
auch nur in tffigie angehaucht
zu werden, ist begreiflich.
Der älteste Arzt. Geh.
Sanitätsrat Dr. Körte, beging dieser
Tage in Berlin feinen 95. Geburtstag.
Er gehört zu den geachtetsten und
glücklichsten Aerzten, nicht nur Ber
lins, sondern vielleicht der gesamten
deutschen Aerzteschaft. Von seiner Ju
gend an zählte er zu dem intimen
Freundeskreise Rudolf Virchows, und
mit den langst ahingeschieöenen Be
rufsgenossen Klatsch, Wegscheider
und WilmS bildete er gewissermaßen
das Elitequartett unter den praktischen
Aerzten Berlins wahrend des zweiten
Drittels des abgelaufenen Jahrhun
derts Als ein vom Schicksal unge
wöhnlich Begünstigter ist er aber um
feiner Söhne willen zu preisen, die
allesamt in hervorragenden Lebens'
stellunaen sich befinden. Zwer seiner
Söhne sind Universitätsprofessoren,
ein dritter ist der ausgezeichnete chirur
gische Leiter am UrbankrankenhauS,
der vierte ist der vielgenannte Königs
berger Oberbürgermeister.
M U
i
Mein gerr Felnd.
Bon Paul Cchlesingrr.
Ich gehe sehr in Träumen über den
Boulevard Saint . Germain. Die
schnurgeraden Häuserreiben geben mir
die Gewißheit, daß Ich in den näch
sten Minuten nichts Aufregende er,
leben werde. Unbehelligt von allen
äußeren Reihen, lasse ich meine Au,
gen nach ihnen schauen. Da weckt
mich ver laute Jurus: (,HHor,
mnir!" cki tofnb rnirfi um
und sehe auf der Bordschwelle deS
Burgerlleiges einen !vtann stehen, der
sich behaglich an einen kleinen mit
Waren beladenen Handwaaen kennt.
Der Mann lächelt und nickt mir zu,
uno da Ich stehen geblieben bin. ohne
seinen Gruk iu erwidern, löst er lick,
langsam von seinem Handwagen.
kommt mit der ausgestreckten Rechten
auf mich zu und wiederholt sein herz
liches Ilonjour. Ich lächle nun auch
und schlage in seine treuherzige repu
blikanische Hand ein. Der araue
Krauskopf. daS schlechtrasierte Kinn.
die runden, fröhlichen Augen, die
ganze herzerquickende Liebenswürdig,
keit daS war mir alles irgendwo
begegnet. Doch wo?
.Na. wie aebt's ?lbnen denn? be.
ginnt er die Unterhaltung.
Gut. aut. sehr gut. mein Alter
na. und Ihnen?"
.Ausgezeichnet. Wie Sie sehen,
bin ich iekt Reisender. Oder, um
mich genauer auszudrücken, die erste
stutze, die rechte Hand eines Reisen
den. Er macht die Besuche, und ich
schiebe den Wagen. Wie sollte er
ohne mich auskommen? Oder Kalten
Sie es für eine Kleinigkeit, in Paris
einen Handwagen zu schieben?"
.Wie soll ick so etwas für eine
Kleinigkeit halten?"
.Sie haben recht, mein Herr, es
st kein Kinderspiel. Dafür ist es
auch gut bezahlt, und für mich ist
sozusagen ausgesorgt. Wenigstens
für die nächsten vierzehn Tage."
.Da gratuliere ick ?lknen von aan
zem Herzen, mein Freund. Aber
sagen Sie mir eines wir kennen
uns doch " ,
Er lachte froh und breit heraus.
,Und ob wir uns kennen! Wenn Sie
mich freilich fragen, wober. so weik
ich das nicht so ohne weiteres zu be
antworten. Aber wir kennen uns so
grt, so ausgezeichnet "
Gewiß, gewiß nur möchte ich
gern wissen, woher?"
Er denkt ein Weilchen nach, dann
sagt er ein bißchen listig: .Lieber
Herr, haben wir nickt einmal in der
Rue Lafayette einen Schnaps zu
summen getrunken?
.Bestimmt nicht,' denn ich trinke in
der Rue Lafayette sozusagen gründ
südlich keinen Scknavs. Aber wenn
Sie auf dem Boulevard St. Ger
main emen mit mir trinken wol
len
Mit Veranüaen. mein öerr. mit
Vergnügen!"
Nun siken wir auf der Terrasse
des kleinen Cafös und vassen auf.
daß der Handwagen nicht gestohlen
wno. rauchen Zigaretten und irrn
ken Scknävse. Dabei treibt mick, nur
das Vergnügen, zu wissen, woher ich
meinen charmanten Gast kenne. Er
will jedoch seinen Schnaps ehrlich
verdient haben und denkt eifrig mit.
,Saaen Sie." beainnt er. sind.
Sie nicht der Herr, der mir vor fünf
wahren einen aan.n Waaen voll
Blumenkohl abgekauft hat?"
.Aber nein, mein Freund, wie
wäre ich darauf verfallen?"
..Schade, dak Sie es -iickt sind, es
war einer der bedeutendsten Augen
blicke meiner Laufbahn, als ein Herr
schworen hatte ich mögen, dan
Sie es waren mitten in der Rue
Blanche auf mich zutrat und mich
fraate. was der aanze Waaen Blu
menkohl koste. Das war ein Ge
chast!"
.Aber ich war's nicht."
Wder verfiel er in eiiriaes Sin
nen. Plötzlich leuchten seine Augen
auf. .Ah, Sie sind der Maler aus
der Rue d Assas Nummer neun, aber
natürlich; wo hatte ich denn meine
Äugen: via, yaven Kie Ihr Bild
gut verkaust?"
.Welches Bild?"
Na. erinnern Sie sich denn nickt?
Sie saaten. ich bä'tte so einen ausae
zeichneten Judaskopf. Eigentlich war
ix. clx.. ..:t.!i i. ijc
io) ein uijjujui uciuuiyi, ornn ia)
hätte viel lieber als Jesus Christus
dosiert trok allem, wai man für
die Trennung von Staat und Kirche
sagen mag. Ich schmeichelte mir
immer einer wenn auch nur entfern
ten Aehnlichkeit mit dem Herrn.
Aber Sie wollten durchaus .Judas
Jschariot" unter das Bild setzen.
Nun. daS war icklieklich ?ihrt Sacke.
und ich hatte kein Recht, mich hinein
zumischen, da Sie prompt zahlten.
Sie müssen sich irren, denn ich
habe niemals einen Pinsel anae
rührt."
.Aber das ist doch nickt möalicki.
Sie stehen so deutlich vor meinen
Augen, mit der Palette hinter der
Staffelei. ?ka. eS war eine aroke
Zeit in meinem Leben, als ich noch
v.. st.n (m:......ii.
IIHCI Ulk yiUlllI.U JVIUIIIICIUIIC
war, die es je auf dem Montparnasse
aab. Denken Sie. ick konnte dies
Tätigkeit auf die Dauer nicht ver
tragen, aq em ooer zwei istun
den fiel ich einfach um. Zuerst dacht'
.ch, öu mutzt dir Mit Schnaps aus
helfen, aber da fiel ich erst recht um.
Eine große Zeit war eS doch. Ueber
Haupt finde ich, daß der Berkebr mit
Künstlern außerordentlich bildend
uno genußreich ist.
.Ganz ohne Zweifcl. Schade nur.
daß ich so wenig Künstler bin."
Mein Gast trank den dritten
Schnaps und zündete sich die vierte
Zigarette an. Plötzlich ober blin
zelte er fröhlich mit dem Au
gen und sMte: Sie sind der Herr
von dem kleinen Fräulein in der Rue
Georges Bizet 25."
Doch im selben Augenblick verfin
sterte sich seine Miene. Sehr verle
gen rückte er auf dem Stuhl hin und
her. ab und zu sandte er mir einen
scheuen Blick zu. und ich wußte durch.
auS nicht, was ich dazu sagen sollte.
Endlich entschloß er sich zu einigen
Andeutungen. .Sie haben recht, ich
habe mich damals nicht sehr schön
gegen Sie benommen."
Ich schwieg hartnäckig, weil ich
hoffte, ihm irgend ein lustiges Ge
ständnis ablocken zu können.
.Sie haben mir damals ein sehr
anständiges Trinkgeld gegeben. Drei
Franken für einen Brief von der
Etoile bis zur Rue Georges Bizet
und zurück. Es war fürstlich. Und
Sie einfach im Stich zu lassen! Ich
habe mir die längste Zeit die heftig
sten Vorwürfe gemacht."
.Nun, lieber Freund, ,ich kann Sie
beruhigen, ich bin nicht der Herr von
der Dame aus der Rue Georges Bi
zet."
.Sind Sie es nicht?" Und er war
schon wieder von der alten Fröhlich
keit. .Na, da kann ich Ihnen ia
überhaupt die ganze Geschichte erzäh
len. Sie war aber auch zu komi ch.
Denken Sie nur, ich sitze unter dem
großen Triumphbogen und schaue auf
Paris hinab. Es war ein wunder
schöner Sommerabend, so weich und
warm die Luft. Um mich Tausende
von Droschken und Automobilen, al
les war so lustig und schön. Die ver
liebten Paare gingen so nahe an mir
vorüber. Auf den Bänken um den
Triumphbogen saßen sie, und alles
kukte sich. Und die Herren m den
Kutschen sagten ihren Damen unver
schämte Dinge, und die Männer in
den Droschken benahmen sich sehr un
geniert, und die kleinen Mädchen wa
ren ganz erhitzt. Mein Herr, ich bin
Pariser, und es ist für einen Pariser
keine Kleinigkeit, an so schönen Som
merabenden derartige Sachen zu
sehen. Trotz meiner fünfzig Jahre
fühlte ich mich wunderbar bewegt,
und nun denken Sie sich rn einer sol
chen Situation auf der Etoile sitzen
ohne einen Pfennig Geld, ohne ein
Obdach, ohne eme Gewebte. Ich war
wohl traurig, da sprach mich plötzlich
ein Herr an; ein glattrasierter Aus
länder. Ob ich wohl drei Franken
verdienen wolle. Ich habe mir die
Sache nicht weiter überlegt. Einen
Brief zu einer Dame in der Rue
Georges Bizet, und mit der Antwort
auf die Etoile zurück. Die Sache
war abgemacht. Ich begebe mich also
auf den Weg. Nun müssen Sie be
denken, mein Herr, daß hin und zu
rück wohl eine gute Stunde in An
spruch nehmen konnte, und daß ich
Durst und Hunger hatte, wie alle
anderen Leute an einem so schönen
Sommerabend. War es mir übel
zunehmen, daß ich beim nächsten
Ausschank Station machte? Ich
wollte ja gleich weitergehen, sofort.
Aber ist es meine Schuld, daß man
sich für drei Franken in Paris drei
Stunden lang hintereinander verkö
stigen kann? Paris ist eine wohlfeile
Stadt, man muß nur die Quellen
kennen, und ich kenne sie. Ich war
in eine Quelle gefallen. Zuweilen
dachte ich auch an meinen Auftrag
geber. Nun, da fiel es mir ein, wie
schön es für ein sehnsüchtiges Herz
ist, an einem warmen Sommerabend
auf eine Antwort zu warten. Diese
schöne Sehnsucht, der große
Schmerz! Wenn ich ein Vermögen
hätte, ich würde es hingeben, um das
einmal wieder zu empfinden! Und
so ließ ich ihn warten. Nach zwei
Stunden begab ich mich auf den
Weg. Es wurde mir nicht ganz
leicht, die Rue Georges Bizet zu fin
den, aber ich fand sie und ich fand
auch das Mädchen. Zuerst war ste
ein bißchen böse. Sie selbst hatte auf
eine Nachricht ihres Freundes gewar
tet, und nun war ihr der ganze schöne
Sommerabend verdorben. O, mein
Herr, ich bin nicht schön und nicht
elegant, aber ich weiß immer die
Dinge zu wenden und zu drehen.
.Mein schönes Fräulein," sagte ich,
Sie warten auf einen Ausländer,
Sie wollten mit ihm die Lust dieses
Sommerabends genießen; aber ge
stehen Sie offen, daß die Befried!
gung Ihres Herzensbedürfnisses mit
einem Engländer oder einem Schwe
den oder einem Deutschen nur sehr
unvollkommen sein kann? Es ist
wahr, mein schönes Fräulein, er ist
jünger, er ist eleganter, er ist schöner
als ich. Aber die Sprache Ihres
kleinen Herzens,. dieses süße, zärtliche
Geflüster, das verstehe nur ich. dar
auf kann nur ich antworten. Oh,
dieses Pariser Her., es ist kein Pri
vileg der besitzenden Klassen, es ist
kein Privileg des Aliers oder der
Bildung. Es schlägt, es pocht, es
hüpst. Geben Sie mir Ihre Hand,
mein schönes Fräulein, fühlen Sie
selbst, wie es sich regt!" So sprach
ich, mein Herr und wir saßen langst
lange an dem offenen Fenster, die
Düsie auS den Gärten kamen zu unö.
und sie machten mich so jung, so
jung! Zuweilen dachte ich auch an
den wartenden Herrn an der Etoile,
und da sagte ich mir: Sind wir nicht
beide glücklich, er und ich? Er hat
den 'süßen Schmerz der Erwartung,
ich die in meinem Alter immer etwas
melancholische Freude der Erfüllung!
Nun habe ich Ihnen auch diese Ge
schichte erzählt, aber eS tut mir auf
richtig leid, daß Sie nicht der Herr
von damals waren; wie gern hatte
t&j ihn wiedergesehen und meine An
sichten mit ihm getauscht."
Er trank seinen fünften Schnaps.
und ich zahlte. DaS Problem unfe
rer Bekanntschaft war nicht zu lösen.
Wir schieden von einander unter der
gegenseitigen Versicherung unserer
völligen Hochachtung, in der Hoff
nung auf baldiges Wiedersehen.
Ich ging. Immer noch peinigte
mich die Frage: Woher kenne ich den
Kerl? Ich wußte, das einzige Mit
tel, zum Ziel zu kommen, ist: Rasch
an etwas anderes denken. Da sehe
ich einen Möbelwagen vorbeifahren,
und mit einem Male ist mir alles
mit allen Einzelheiten klar.
Es war der Tag, on dem mein
Mobiliar in Paris angekommen war.
Vor der Tür des Hauses, in dem sich
meine Wohnung befand, stand der
ansehnliche Möbelwagen, fest ge
schlössen, umlungert von sechs höchst
fragwürdigen Gestalten. Aus dem
Kreis löst sich eine leicht schwankende
Gestalt, mein Freund von vorhin.
Er stet stch vor: .Mein Herr, ich bin
der Chef der Mannschaft: bevor wir
an die Arbeit gehen, gedenken wir ein
kleines Frühstück einzunehmen.
Wenn Sie die Absicht haben sollten.
oie Arbeit durch eine gewisse finan
zielle Beteiligung an dem Frühstück
zu fördern, so wäre wohl jetzt der
reazte Augenblick gekommen.
Ich war sehr kühl und sagte: .Ich
glaube zu bemerken, daß Sie bereits
reichlich gefrühstückt haben; wenn Sie
so freundlich sind, die Arbeit gleich zu
beginnen, so wird eS am Ende an
meiner Erkenntlichkeit nicht fehlen."
Er verneigte sich lächelnd. Es
ist wahr, mein Herr, daß wir schon
ein oder zweimal gefrühstückt haben;
aber das war gewissermaßen inoffi
ziell. Jetzt ist die gesetzliche Früh
stücksstunde. und ich kann als Chef
der Mannschaft die Leute nicht zum
Arbeiten zwingen."
.Gut denn, so frühstücken Sie."
.Und das Trinkgeld?"
.Wenn Sie gearbeitet haben."
Sie irren sich, mein Herr, wenn
wir frühstücken müssen, um bei der
Arbeit kräftig zu sein, müssen wir
auch vorher das Geld bekommen, um
das Frühstück bezahlen zu können."
Ich gebe keinen Pfennig."
Gut denn, so gehen wir nach
Hause.".
Sie werden nicht nach Hause ge
hen, Sie werden arbeiten."
So begann dieser wahrhaft schreck
liche Tag. Der Chef gab feiner
Mannschaft einen Wink, man nahm
eine drohende Stellung ein. Die
Unterhaltung wurde immer heftiger,
aber ich setzte meinen Willen
durch. Nach acht Stunden der hef
tigsten Streitereien, Verwünschungen
und Bedrohungen waren die Trüm
mer meiner Wohnungseinrichtung ge
borgen. Auf die fast unkenntlichen
Reste meines einstigen Küchenfchran
kes, den ich im Salon fand, zählte
ich das ortsübliche Trinkgeld. Kei
nen Sou mehr. Wütend protestier
ten die Männer. Und mein Feind
sagte das schreckliche Wort: Wir
werden es dem schmutzigen Deutschen
noch besorgen."
Das machen Sie, wie Sie wollen,
aber jetzt hinaus!"
Und allein war ich mit meiner
wehklagenden Familie, meinen zer
schundenen Möbeln, meinem zerbro
chenen Porzellan, meinen durchlöcher
ten Polstern.
Monate sind vergangen. Mein
Freund hatte es mir nicht besorgt.
Er hatte es wohl vergessen. Und da
wir uns wiedersahen, wußten wir
beide nicht mehr, welch harte Worte
zwischen uns lagen.
Aber ich erachte die Vergeßlichkeit
als eine der gütigsten Einrichtungen
Gottes. Sie gab mir die Erkennt
nis, daß die wenigsten Menschen
ganz unliebenswürdig sind. Werden
sie durch irgend welche Verhältnisse
zu unseren Feinden, so ist keine
Frage, daß sie unter .anderen Bedin
gungen uns die freundlichsten Seiten
ihres Wesens öffnen können. Von
allen unseren Feinden, die wir wegen
der politischen, künstlerischen, wirt
schaftlichen oder sittlichen Anschauun
gen haben, kennen wir nur die eine
böse Front. Wie reich könnten wir
an Freundschaften sein, wenn wir
vergeßlicher wären und öfter die
Menschen zum Lächeln bringen könn
ten, die uns das erste Mal drohend
und gefährlich erschienen. Und wie
lieben wir das Lächeln! Wie bewah
ren wir es in unserem Herzen, und
ist es auch nur das Lächeln eines
Schnapsbruders. Vielleicht ist auch
dein nach einiger Zeit die Erinne
rung gekommen, vielleicht hat er sich
auch all das gesagt und sich am
Schluß eingestanden, wie menschlich
doch zuweilen die Deutschen sein kön
nen, wenn man nicht gerade ihre Mö
bel über die Treppe .schleppen muß.
Spitzbergen
tat Klima aus der Insel in der h
de Nordpol.
Durch die traurigen Nachrichten
über daz Schicksal der deutschen Er
pedition nach Spitzbergen hat sich die
allgemeine Ausmerksamkeit dieser In
selgruppe zugewandt, und eS ist des
halb angezeigt, das Wichtigste über
die klimatischen Verhältnisse daselbst
zusammenzustellen. In diese? Be
ziehung sind vor allem die Arbeiten
von Prof. v. Hann lehrreich, weshalb
vorzugsweise auf diee hier zurück
gegriffen wird. Dre erste Ueberwin
terung. von der meteorologische
Beobachtungen vorliegen, war die
von Nordenstjold, die in der Mos
felbai (79 Grad 53 Min. n. Br.,
16 Grad 4 Min. östl. L. von Gr.)
187273 sich vollzog. Dort brach
der Winter schon im September
plötzlich und mit größter Strenge
herein, und der Temperaturgang war
im Winterhalbjahr äußerst unregel
mnhin
Gleichzeitig mit der schwedischen
n?rhfhHinTt iifrvntntrtfti fiihltA im
Eissiord Walfischfanger, die aber
gegen Ende des WinterS sämtlich dem
Skorbut erlagen. Bon 1882 bis
1884 überwinterte die schwedische Po
larerpedition unter Ekholm im Ei
fjord (78 Grad 23 Min. n. Br.).
Sie beobachtete im Dezember als
niedrigste Temperatur 3o,5 Grad
C.. als höchste im August 13.6
Grad. Die Sonne verschwand am
21. Oktober und erschien wieder am ,
21. Februar, aber die lange Winter
nacht blieb ohne schädliche Folgen
für die Gesundheit der Ueberwin
ternden. Nach allen bisherigen Er
fahrungen ist dort der Winter die
heiterste Jahreszeit, der Sommer die
trübste. Die größte Kälte wurde in .
Beisund (77 Grad 42 Min. n. Br.)
mit 45 Grad angetroffen, iin
März. Die höchsten auf Spitzbergen
beobachteten Temperaturen erreichten
12 bis 14 Grad und ausnahmsweise
einmal 16 Grad, im Monat Juli in
Widefiord. In allen Monaten des
Jahres kommt es aber dort zu
Schneefall, auch ist das Wetter dort
von großer Unbeständigkeit. Auf
Windstille folgen dort nicht selten
heftige Windstöße und Nebel sind
häufig, feucht und durchdringend kalt.
Dennoch ist die Witterung zur Som,
merszeit überaus gesund. Es gibt
keine Erkältungen, obgleich man sich
fortwährend Temperaturveränderun-
gen ausgesetzt sieht. Während der
drei Sommer, in welchen die schwe
dischen Erpeditionen jene Gegenden
besucht haben, ist kein Fall von Ka
tarrh. Diarrhöe. Fieber oder einer
anderen Krankheit aus den Schiffen
der Erpedition vorgekommen. Das
selbe wurde von anderen Spitzberg
fahrern bestätigt, trotz der großen
Temperaturwechfel, denen die Jäger
sich aussetzen, und. trotz manchem un
freiwilligen Bade in eiskaltem Was
ser. ohne Gelegenheit, die Kleider zu
wechseln.
Den Grund für diese in hygieni
scher Hinsicht beispiellos günstigen
Verhältnisse sieht man in der Rein ?
heit der Luft und dem Fehlen von
ansteckenden Krankheitsstoffen. Zwi
schen dem Klima des nördlichen und
des südlichen Spitzbergen besteht ein
merklicher Unterschied, im ' letzteren
gibt es ziemlich große Täler, die frei
von Gletschern sind, was nach To
rell im nördlichen Spitzbergen nie der
Fall ist. Ueber das Sommerklima
bemerkt Kükenthal, daß, so wie der
Sommer auf Spitzbergen beginnt, die
Landschaft sich wunderbar schnell
verändert; Moose. Gräser, die arkti
sche Rose und manche bekannte Pflan
ze der Alpen bedecken die Hal
den, und selbst einige Weidenarten
wachsen an geschützten Stellen einige
Zoll hoch. Der Frühling und der
kurze Sommer sind die goldene Zeit
für daz Renntier, welches, bis da
hin spindeldürr, nach acht Wochen
unter seinem braunen Sommerkleiv
eine zwei bis drei Finger dicke Speck
schicht trägt. Bei einer gleichmäßi
aen Temperatur von 6 bis 6 Grad C.
und ausgezeichneter Reinheit (Keim-
freiheit) der Luft sind Erkaltungen
unmöglich, Gesundheit und Appetit
vorzüglich, und es wird, wie Torell,
Rordenskjold und Kukenthal oeto
nen, wayrfcyemtlcy eme Mt iom
men. m welcher die Aerzte Spitzber
gen als Sommerkurort empfehlen.
Italienische Blätter
berichten ein amüsantes Vorkommnis,
das sich gelegentlich des Neujahrs
empfanges bei der Königinwitwe von
Italien zutrug, die bekanntlich die
meisten und schönsten Perlen besitzt.
Während die Königin Cercle hielt, riß
ihr Perlenkollier und die Perlen roll
ten zu Boden. Natürlich beeilten sich
die anwesenden Herren und Damen,
Jagd auf die davonrollenden Schätze
zu machen, trotzdem die Königin in
ihrer liebenswürdigen Art bat, man
möge sich doch nicht um eine solche
Kleinigkeit" bemühen. In . kurzer
Zeit konnten die Anwesenden der KL
nigin ihren Schatz vollständig ein
händigen. Aber sie bat. daß jeder
seinen Fund behalten und als Neu
jahrsgeschenk betrachten möge, eine
Aufforderung, der allseitig gern nach
gekommen wurde , .. , , - , .
- - - . c
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