Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, December 16, 1912, Image 2

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    Tögllche Cmatjo Zflltir.
Berliner Plauderet.
tit Ansichten ändern sich. stritt
let hüben und drüben. Angriff
cuf Dr. Muck. Bch't .Mai
lhau Passion.'
V e r l i n, den 23, November.
Man bar mit curopäischt'ii stiinst
(ern, die ein kürzeres oder längeres
lZngagemeiit in Amerika antreten,
kchon allerlei Ersahrunarn gemacht,
soll sich also nicht zu sehr wundern,
wenn wieder einmal rtwaS Befremd'
liches der tftrt paijirt. Garnicht so sti
ren tritt zum Beispiel der fall ein.
daß ein europäischer lriinsller. so lern
e er in Amerika ist, ganz andere An
ichten über die Verhältnisse und Zu
lande seiner Heimath hat, oder we
nigstenö verlauten läßt, als man sie
hier von ihm gehört hatte. Länge,
rinnen nehmen thränenden Auges von
Ihren hiesigen freunden Abschied und
versichern sie, datj mir die leider so
nöthigen TollarS sie vermöchten, das
herrliche Europa aus fünf oder sechs
Monate mit dem barbarischen Ameri
ka zu vertauschen, und wenn sie dann
den Hudson River hinauffahren er
zählen sie strahlenden Auges den Re
portern, wie glucklich sie seien, ihr
geliebtes Amerika wiederzusehen. AIS
Fclir. Mottl in Vegeriff stand, New
'ork u verlassen, gaben ihm die
Kritiker New Yorkz ein Abschiedes,
sen, wohlverstanden, die Kriuker a
den ihm das Essen, nicht umgekehrt!
um ihm noch einmal zu beweisen,
wie sehr sie seine Leistungen schätzten,
vor allem aber auch um ihm so ein
drucksvoll wie möglich an's Her, zu
legen, doch wieder nach New ?)ork zu
rückzukehren, daS ihn dringend benö
thige. Wie gerührt Mottl war! To
etwas sei ihm drüben, also in Euro
pa, denn doch noch nie passirt. jetzt
fühle er erst, wie ernsthaft man in
New Aork nach dem Besten in der
Kunst strebe. Schon lange sei er da
von überzeugt gewesen, daß New Aork
allein die Möglichkeiten für eine wahr
kaft ideale Oper gttvähre, usw. usw.
lmiiiz werde er im nächsten Herbst
wieder kommen. Conried habe ihm ja
bereits ein glänzendes Anerbieten ge
macht, und dann wolle er sich mit
ZZeuereifer an die Erfüllung seiner
hohen Aufgabe mackM. Mit wärm
sten Händedrücken und feuchten Au
ges nahm ir von der Schaar der Kri
tiker Abschied. Als er aber acht Tage
später in Cherbourg an's Land stieg,
erklärte er. daß Amerika ein hoff
nungsloses Barbarenland sei, wo die
Kunst nichts zu suchen Habe, und wo
bin er niemals zurückkehren nrde.
Sein Kontrakt mit der Münchener
Hofoper wir gerade Perfekt gewor
den. Tiefer Fall Mott! war wohl der
krasseste von allen, und der seit ge
stern hier diskiltirte fall Muck spielt
dagegen gu.- keine Rolle. In gesperr
terTchrift verursachte gestern Morgen
die Vossische Zeitung" eine pietätlo
se Störung der Sonntagsruhe durch
die Witth-"uw. Tr. Carl Muck ha
be sich erfrecht, in Amerika zu erklä
ren, daß ihm die amerkamschen Mu
sikkritiker lieber seien, als die deut
sehen. Sie befleißigten sich eines höfli
chen StUs. beschwerten ihre Berichte
nicht mit technischem Ballast, ertheil
ten keine Zensuren usw. usw. Viel
leicht kann ich dieser Ansicht Tr.
Muck'S nicht einmal in allen Punkten
beistimmen, denn mir sind auch ame
rikanische Kritiker in der Erinnerung
neblieben, die an der Höflichkeit viel
weniger Gefallen finden, als an der
Ironie, oder die in endlose technische
Salbadereien verfallen, und umge
kehrt könne ich auf dieser Seite des
, Oceans manchen Kritiker, der alle die
Tugenden besitzt, die Tr. Muck an den
amerikanischen Herren rühmt. Aber
deshalb sollte man doch Herrn Muck
das Recht lassen, solche Ansicht im
Allgemeinen zu formen und zu vertre
ten. Zu verwundern wär's wirklich
nicht, wenn ihm dieser allgemeine Un
terschied zwischen deutscher und ame
rikanischer Kritik angenehm auf die
Nerven gefallen ist: denn so gediegen
die deutsche Kritik in' den be
scen Fällen auch sein mag, Grazie be
sitzt sie selten. Wer Knüppelschläge
kennen gelernt hat. dem ist ein kleiner
Stich des Floretts ein angenehmer
ftitzcl.
Aber nun machte die gute Tante
Voß Front gegen den armen Tr.
Muck und leistete sich folgende, bei
nahe schmutzig zu nennende Jnsimm
tian: Wer die Verbältnifse in den
bereinigten Staaten kennt, weiß daß
dort nur etwa vier oder fünf musikkri
tische Federn ernsthaft in Betracht
kommen. Herrn Dr. Muck find Re
parier, die den Kassenrapport melden
und die Hervorrufe zählen, anschei
nend lieber als astthetisch durchgebil
dete Kunstrichter. Er liefert damit ei
nen Beitrag zur Charakteristik seiner
Persönlichkeit, der wahrlich nicht ge
eignet ist. die Symphonie für ihn zu
mehren." So sprach die Redaktion
der .Vossis 'M Zeitung", und nun!
fcerden Sie doch glauben, daß sie dir
s"?rhältmsse ' in den Vereinigten
taatcn enau kennt. Wenn nur nicht
'x amerikanischen Kritiker einander
:rüber in die Haare gerathen, wer
::t ilmen jene .vier oder fmif" Fe
rs ftin sollen. Hoffentlich geht's
i v rrrgießen ab.,
"rllJS gibt es liier genug Am.e
r, l:t der Tante Aod eu
laute? Vravo zufchreicii werde, und
da kau es nickt schaden, mim man
einmal konstalirt, wie r4,demi rigeut
lich mit dem ästetisch durchgebildeten
iimisirichlerthum" des ersten Uriti
kerö der Zwischen Leitung aussteht.
Crade zwei Tage vorher hatte er, bet
sich Mas MarsckM nennt, die Wclc
genheit zu einer Blainage erhalten,
und siehe da, er machte sofort einen
(Gebrauch davon, der auf seine ästhe
tisch diirckgebildetesKunstrichterthuin''
kein günstige Vicht wirft.
Am Bußtage, am vorigenMittivoch,
hatte Siegfried OchS mit seinem Phil
harmonischen Elior die Bach'sche
.MatthällS'-Passion zum ersten Ma
le seit Bach'S Tode unverkürzt zur
Aufführung gebracht. Ohne Pausen
dauert die gesanimteAusführung über
vier Stunden. Ochs hatte also die
Aufftibrun,, in zwei ,bee zerlegt:
der erste Theil begann um zwölf Uhr
Mittags, der zwei.e um sieben Uhr
Abends. Nun wetterte die Bosnische
Leitung " in ihrer Besprechung gegen
diese Berabreichung des Werkes in
zwei Nationen", nannte das einen
gttvaltsamen Eingriff" und eine
.Pietätlofigkeit". Man bedenke, daß
Ochö für einen Bachkenncr erster Ord
nung gilt, daß er in seinen Ausfuhr
ungut der h-moll Mesze und der -ic-lcii
Eantateil ein Bach-Berständniß
bewiesen hat, wie sonst keinem Ir
renden Tirigettt.-n nachgerühmt wird.
Man weiß auße.-cim, daß er jahrlang
vor solcher Aufführung die sorgfältig
in Studien macht, um cn olle die
Quellen des Werkes zu gelangen.
Wirft man einem solchen Manne
Pietätlosigkeit vor. dann wird man
doch füglich dahinter hersnn. den Vor
wurf auch begründen zu können. Maz
Marsctük hätte also ehe cr seinen
Vonvurs drucken ließ, auöfinden sol
len, ob man sonst schon einmal eine
solche Zwcitheilunz des Werkes vor
genommen hatte, und er hätte bei sei
renNachforschungen sogleich bis zu den
Lebzeiten Bach'S zurückgehen müs
sen. Mendelssohn führte bekanntlich
im Jahre 182 nur eine stark zuwm
mengestrichene Passion auf, und dieses
Streichen hat man dann nachher als
legitime Tradition hingenommen.
Aber zuBach's Zeiten strich man nicht,
wie hatte man's denn damals mir der
Zeiteintheilung gehalten? Nun.' fa
genau so wie Ochs es jetzt gethan:
den ersten Theil der Passion gab Bach
selbst bei der Uraufführung in der
Leipziger Thomaskirche im Jahre
172? in der Mittagszeit, den zweiten
erst nach der Nachmittagspredigt. Ter
Vorwnrf des gewaltsamen Eingrif
fes", der Pietätlosigkeit". den Mar
schall erhoben, bleibt also nicht auf
Ochs sitzen, sondern fällt auf dniKom
ponisten Bach selbst. Na. der würde
diese Tummhcit wenn er am Lo
ben wäre zu den übrigen legen.
Und Marschalk war nicht der ein
zige, der solchen Beweis für seine Dis
positionen zu tadeln und für seinen
Mangel an Information lieferte. Tr.
LeovoldSchmidt bemängelte dieZwei
theilung im Berliner Tageblatt"
fast ebenso heftig; nur den Ausdruck
pietätlos" vermied er. Wäre es al
so nicht vr-nünftiger gewesen, die
Voßische hätte keine solche Lauge über
Tr. Muck ausgegossen, sondern sich
lieber erst vergewissert, ob im eignen
Hause ernsthaft in Betracht kommen
de Federn" vorhanden sind? Jetzt
wird sie auf Wochen hinaus das 0c
lächter der Schadenfreudigen nicht
stillen können. Wie viel besser wäre
Tante Voß gefahrm, hätte sie zu Tr.
Mucks Erguß einfach bemerkt, daß
überall mit Wasser gekocht werde,
und daß es vermuthlich bcachtenswer
the und nicht der Beachtung werthe
Kritiker unter allen Himmelsstrichen
finden werde.
Tie Attacke auf Tr. Muck war eine
Einzclarbeit der Vobischen Zeitung",
während Attacken auf die wundervolle
Aufführung der Matthäus-Pasfion
leider von einer ganzen Reihe von
Zeitungen geritten wurden. Warum?
Das kann ich nicht mit irgend welcher
Bestimmtkeit sagen und ich erkläre
niir das Phänomen so, daß der ner
venmarternde tägliche Frohndienst ei
nes reichslMuptslädtischeil Musikkriti
kers bis zu solchen Grade verstimmen
und irritiren kann, um ihm die rechte
Empfangsfreudigkeit selbst dann zu
versagen, wenn es sich um Größtes
und Schönstes handelt. Tas wäre al
lerdings ein bedenklicher Zustand.
Wenn der Liritiker so weit gekommen
ist, seine Existenzberechtigung vor al
lem dadurch nachweisen zu wollen,
daß er sich durch nichts mehr iniponi
ren läßt, hat er sich aus der Gemein
schast mit der Kunst losgelöst und !st
ohne weiteres zu den Kunstfeinöen zu
rechnen. Nun ist ja in oiescm FalU-,-l
zugeben. daß lange vor der Auf
fiihnmg allerlei aufreizende Minute
oerbrei.et wurden. Ter konkurrieren
de Verein, die Singakademie, sei außer
sich darüber, daß der Philharmonische
Chor es wage, ihr das beste Reper
toiresstück wegzunehmen. Es wurde
sogar erzählt, man habe des Kaisers
Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß
die .Matthäus-Passion" eigentlich nur
in die Kirche gehöre und daß der Lei
ter des Philharmonischen Chores he
bräischer Abkunft sei. Die Anwort soll
allerdings nicht ermuthigend ausgefal
len sein. Aber wie viel thatsächliche
Basis diese Gerüchte besitzen, , kann
ich nicht sagen, wohl aber kann ich
niich dafür verbürgen, daß die
Bubtägliche Aufführuns iu der saifc
Harmonie auf jeden nicht Vorcinge
nommenen wie eine Offenbarung
wirkte. Auch ich gehe aewiß ich: gern..'
jii'riiual ein selben Tage in ein Mut
iert, mid dieser'ns.tag lwr nmierdem
Mit einem Weiter gesegnet, daß man
nicht einmal den sprichwörtlichenHund
auf die Straße hätte jagen mög,',..
s:ck selbst ober brauchte man nicht erst
zu jagen, ti zog einen unwiderstehlich
Iu der Stätte zurück, wo man morgens
o erhoben worden war. Natürlich war!
der Saal morgens und obensi über,
füllt; ja. Hunderte hatten keinen Platz'
mehr bekommen können. Aur schwer
aber wird es mir zu glauben, daß eS
wirklich l!eu!e gicbt. die sich bei d!ks?r
Aufführung heiliger Schauer innerster!
rrezunz haben eniZiein tonnen.
Alle war aei"In. um die Aufü
runa der Vollendung so naht wie
möglich zu bringen, cer Cl;or,ang mit!
ei..er Tonqualität und einer Lharakte
rijierunzssähigkeit. daß die Grenzen
menschlichen Könnens be,e.tigt zu
sei;, schienen, das Orchester war nach
den Muster der Bach'jchen Zeit ,u. j
samnikngesetzt. es fehlten also die alten j
Ji.strumente nicht, und daS Verhä.tn.ß
der Holzbläser zu den Streichern war '
das Bach'sche: endlich war ti auch ge I
lungen, für die Hauptpartien die
besten verfügbaren Solisten zu ge
winnen. für den Christus zum Beispiel
den unvergleichlichen Johannes Meß
chaerr. Als er an sein, .Eli, lami
asllbthani" kam, glaubte man ein leises
Schluchzen durch den Saal gehen zu
hören. Ich hab nirgends und nie eine
wrihevollere Stunde erlebt. Wie hätte
man sich da also am nächsten Tage hin
setzen und einen kleinlich bemängellr
den Bericht schreiben können? Ich be
Haupte, die das gethan, waren über
havpt nur körperlich, aber nicht geistig
bei' der Aufführung anwesend ge
wcsen.
Dabei stehe auch ich nicht auf dem
Standpunkte, daß man diese unge
kürzte Aufführung der Bach'schen
Matthäus" Passion nun stets und
überall zum Muster nehmen soll. Im
Gegentheil, ich bin fast unter allen Um
standen ziemlich leicht für Abkürzun
gen zu haben. Aber hier handelte eZ
sich darum, mit den glänzendsten
?citteln und mit dem hellsten Kunst
verstände eines der größten Werke
deutscher Tonkunst einmal so darzu
stellen, wie es seinem Schöpfer vor der
Seele gestanden haben muß. Ochs
httie die sorgfältigsten Studien ge
macht, um durch alle Entstellungen
hindurch, die sich im Laufe der Zeit
eingenistet hatten, an den Ursprung
lichen Geist Bach's heranzukommen, er
hatte auch Irrthümer in der Partitur
der Bachgesellfchast gefunden und Kor
rekturen nach dem Manuskript Bach'S
(in der hiesigen Königlichen Bibliothek)
vorgenommen. Seine Aenderungen be
zogi..l sich vornehmlich auf Tempo und
Schattierungen in den Chören unZ
Chorälen. So kam er zum Beispiel zu
der Ueberzeugung, daß der Chor der
Priester unv Schriftgelehrten Nur
nicht auf das Fest" nicht wie bisher im
sortissimo herausgeschrien, sondern
gradezu geflüstert werden müsse, llna
eine Argumentation scheint mir im
leuchtend zu sein. Er sagt, diese Herr-
chaften gehörten den höchsten Giell
chaftsklassen an, sie schrien einander
also schwerlich die Vorsichtsmaßrege!
zu. daß man ein Aergerniß erregen
würde, wenn man grade während des
Festes gegen Jesum vorgehen werde;
sie werden sich das nur zugeflüstert
haben. Tie rein musikalische Wirkung
des piono" war wundervoll; wenn
aber trotzdem jemand hier das forte"
vorzieht, so ist das sein gutes Recht,
das man dem Kritiker gewiß nicht ent
ziehen soll. Aber dem Dirigenten
Eigenmächtigkeit vorwerfen, das
geht über des Kritikers Rechte hinaus,
es sei denn, daß er den Nachweis
führen könnte. Bach habe selbst das
forte" vorgeschrieben.
Was aber das Ungekürzte betrifft,
so ist meine Ansicht, daß man von Zeit
zu Zeit, bei entsprechenden Veran
lassungen und unter günstigen Um
ständen jedenfalls das Werk in seiner
Ganzheit ausführest sollte, bei regel
mäßig wiederkehrenden und mit wen!
ger . glänzenden Mitteln zu veranftal
tcnden Ausführungen aber eine ganze
Anzahl Arien weglassen kann. Da,
gegen sollte das Recitativ des Evange-
listen möglichst unversehrt erhalten
bleiben, denn es ist im höheren Wort
sinne so sprechend."
Und nun will ich mit dem, aller
Wahrscheinlichkeit nur fromm" blel
venoen Älluniaze icyiiegen, van man
den Berliner Philharmonischen Chor
auf Reisen schicken könnte, damit aller
Welt einmal offenbar 'werde, wie
Bach klingen kann.
' A u g u st S p a n u t h.
Fein taxirt.
Redakteur: Dieses Jammergedicht
kann ich nicht dringen, ich muß mich
deshalb schon an einen richtigen Dich
ter wenden!"
Dichterling: Um die elendigen fünf
Mark, d Sie mir geboten! Um einen
solchen Preis fällt ja einem richtigen
Dichter überhaupt gar nichts ein!"
Spitz.
Konzertsanqerin: Denkn Sie sich,
die eine Arie mußte ich gestern dreimal
wiederholen!
Freundin: Wahrscheinlich war daS
Publikum der Ansicht. eS wäre ganz
gut, wenn S die Arie noch tm paar
Male durchnehmen."
New Yorker Plauderei.
.Puppe, gieb mir!" waren die ersten
Worte, welche die l'jzhriIk Alma Don.
nelly sprach, als sie auf ihrem Lager
im Schivedischen Hospital au! dem
Schlaf erwacht und aus der Fenster
dank ine Puppe liegen ah. E warer.
die ersten drei Worte gewejen, die
Alma in ihrem Leben gesprochen h,itte.
denn seit ihrer Geburt war die Kleine
stumm gewesen. Bei der Geburt tt
KindeS hatte, wie di Aerzte rkiär
ten. da Auögltiten einet der zur Ver
Wendung gekommenen Instrumente
verursacht, daß eine klein Knochn
sche.b aus txn Theil tti GehirnS.
welcher dal Sprachvermögen kontrol
lirt. drückte, und die ijcat davon
wa- gewesen, daß das Kind nicht
sprechen lernte, obwohl eS körperlich
ganz gut ged.eh. Ali sich vor einiger
Zeit zu der Stummheit des Mädchens
auch noch Gedächtnis, chwund gesellte,
entschlossen sich die Etkrn. ein iißta
angerathene Operation an dem Kinde
vernehmen zu lassen, und diese Ope
lc.tion wurde am vorigen Tienstag
von Tr. William L. Chapman. einem
besuchenden Arzte deS Schwedischen
Hospitals, unter Assistenz der Aerzte
Dr. Georg W. Simrell. Tr. Morris,
und Tr. Post ausgeführt.
AIS die Kleine nach Beendigung der
schwierigen Operation auS der Rar
kose erwachte, war sie derart leidend
und apatisch, daß die Aerzte noch nicht
zu sagen wagten, ob Sie Operation den
gewünschten Erfolg gehabt habe, doch
Tags darauf sahen sie zu ihrer größten
Genugthuung, wie die kleine Patientin
zu der neben ihr liegenden Puppe zu
sprechen begann.
Alma Donnell ist daS dritte Kind.
welchem innerralb weniger Woch.-n
durch eine von Tr. Chapman ausge
führte Operation daS bisher fehlende
Sprachvermögen negeben wurde. Tie
erste dieser Operationen vollzog Dr.
Clapman an dem 7 Jahre alten
Terence Tevitt der seit seiner Geburt
stumm gewesen war und seit der Ope
ration ganz munter plaudert. Die
zweite Patientin war Pearl Thomson.
Bronr, die trotz ihrer acht Jahre kein
Wort sprechen konnte, bis ihr De.
Ek.apman durch eine am letzten
Samstag ausgeführte Operation die
Zunge löste."
Als blühend, kräftige Frau traf
vor mehr als einer Woche Frau Eliza
beth Zuschlag auf Ellis Island ein.
um sich zu ihrem Manne, den sie in
Chicago wähnte, zu begeben. Bier
Kinder hingen ihr an der Schürze.
Doch von dem Gatten hat die Frau,
seitdem sie auf der Elendsinsel fest
sitzt, kein Wrtchen gehört und aus ihr
selbst ist gegenwärtig nur ein Schatten
ihres früheren Selbst geworden.
Wenn meine weinenden Kinder
mich fragen, ob wir nicht bald zum
Papa reifen, geht eS mir durch den
Körper, als ob man mich mit Messern
schnitte. Wenn wir hier nur noch
einige Tage festsitzen, werde ich ent
weder verrückt oder ich sterbe direkt an
gebrochenem Herzen. Ich begreife
nicht, weshalb mein Mann nicht ge
funden werden kann. Die Adresse, die
er mir nach drüben schickte, lautet
deutlich: 16 Willom Str., Chicago."
jammert sie.
Es sind indeß die verschiedenen
Briefe und Telegramme, die nach
Chicago geschickt wurden, als unbestell
bar zurückgekommen, so daß irgend in
Fehler in der Adresse vorzuliegen
scheint.
In fast noch traurigerer Lage be
findet sich Frau Elizaberh Luther, die
mit einem Kind im Alter von ändert
halb Iahren die Amerikareise zu ihrem
Manne, der in Harrisburg Pa., woh
nen sollte, gemacht hat. Aus Harris
bürg ist die Nachricht hier eingetroffen,
daß der Mann von dort verzogen ist
und soweit bekannt ist, sich nach Clev
land gewendet hat. Eine genaue
Adresse hat er indeß nicht zurückze
lassen. Da die Frau bei ihrem Ein-
treffen hier fast mittellos war. ver-
ügte die Inquisition den Ab
chub. Die Ungarische Hilfs Gesell
chaft erwirkte einen Aufschub der De
wrtaiion, um einen Versuch zu
machen, in Cleveland den Mann aus
zuspüren. Viel wird natürlich davon
abhängen, ob der Mann seine Frau
und sein Kind bei ch will, oder ob er
versucht, sein Verpflichtungen von sich
abzuwälzen.
Landsmannschaftlich Vertreter und
Missionare vertreten die Ansicht, daß
daö Einwanderungsgefetz der Abände
rung so bedarf, daß Ehegatten, die
die Deportation ihrer Angehörigen
herbeiführen, indem sie sich absichtlich
nicht um sie kümmern, selbst aufge
griffen und deportirt werben sollten.
Es giebt weni Engländer, die inen
ut verstehen, und noch weniger, die
Witz machen können ' daS heißt gute
Witze; die andere Srte kann eigent
lich Jeder verüben, sogar ein Eng
länder. Da halt sich zur Zeit ein eng-
liscer Schriftsteller hier auf, der zu
jenen Wenigen zahlt, denen die Gabe
des freiwilligen Humor! verliebm ist;
unfreiwillig komisch sind die meisten
Engländer, und daS ganz besonders,
wenn sie witzig sein wollen. Dieser
weihe Rabe, er führt den ziemlich ge
wohnlichen Namen Frank Harris, hat
ein. Anzahl vortrefflicher Anekdoten,
Witze und Histörchen mitgebracht, die
den Reiz der Neuheit und den Borzug
de' Cüte besitzen. Liören wir. waö dic
ser witzige Engländer zu sagen hat:
Die englische Gesellschaft besteht
aus drei Klagen: den Aristokraten, die
weiter nichl! sind ak Barbcr'n; dem
Mittelstand, de: fi au, Ph'.Mkn u
s mmensttzt. und der Hefe de Volkes,
die eben weiter nicht sind. Höchst
komisch ist die '.'hatsache. daß der der
storbent König Edward, ter alle Laster
der Aristokraten besaß, bei dem Mittel
stände beliebt war, und daß sein Sohn.
König Georg, der alle d,e Tugenden
de Mittelstände ausweist, von den
Aristokraten verachtet wird. Man
spricht von ihm und der Königin sie!
al von Georg und dem Drachen."
Ter Fürst von Aale! wurde vor
Kurzem zu seiner w?iteren Ausbildung
nach Pari! geschickt, und seine Mutter,
die Königin, bestand darauf, daß er
ein Tagebuch sühne. Hier ist eine Sit
au! diesem Tagebuch: .18. Septem
ber. Ging um zehn Uhr mit meinem
Erzieher in die Sorbonne. Um ein Uhr
Luncheon mit meinem Erzieher. Um
2 Uhr 30 Minuten besuchte ich ten
Louvre mit meinem Erzieher. Thee
mit meinem Erzieher. Tinner mit
meinem Erzieher. Stuirte mit
meinem Erzieher bis zehn Uhr Abend
und ging um halb elf zu Dett. Ich
begreife nicht, wa mein Großvater an
Paris Schönes gefunden hat!"
ftch war Anwalt in Amerika.
Schriftsteller in England und Hotelbe
sitzer in Frankreich in jedem Falle
di krachtet st Profession deS betref
senden Landes. ES giebt nicht? Nie
drigeS in Amerika als Anwalt, außer
vielleicht ein überführt Verbrecher; S
giebt in England nichts Niedrigere
als Schriftsteller, außer vielleicht Bett
ler; und in Frankreich giebt es außer
Hotelbesitzer nur inen Beruf, der noch
geringer schätzt wird: der Kutscher
dS Omnibus, der die Gäste nach dem
Hctel bringt."
Am herzlichsten muß ich über die
Schauspieler lachen wenn sie nicht
auf der Bühne stehe. Kommt da neu
lich ein Schauspieler ganz verzweifelt
zu mir und jammert, dag er feine
ganze Rolle neu studiren müsse, da
man den Wortlaut verändert habe.
.Und ist die Aenderung wirklich so
wesentlich?" fragte ich ihn.
Ich soll's meinen. Früher mußte
ich sagen: Der König! Hier kommt
er!" und jetzt soll ich sagen: Hier
kommt der König!"
Ein bekannrer Witzbold war Gast
bei einem Diner, das ungewöhnlich
in die Lange zog. AIS leidenschaftlicher
Raucher wartete er sehnsüchtig darauf,
daß sich die Damen zurückziehen wür
de", da er sich eine Cigarre anzündet
wollte. ES wurde später und später,
und die Damen thaten nichts der
gleichen; die Kerzen' brannten schon
tief, und die Dame des Hauses sagte
zu ihm: Wollen Sie bitt, das Licht
vor Ihrem Platze auslöschen, es
raucht."
Beneidens werthes Licht," seufzte
der Gast und blies es aus.
Berliner Brief.
Berlin, End Nov.
Städte haben Gesichter wie die Men,
sehen auch, und von ihren Lippen tönt
verständliche Sprache zu aller Zeit, die
von den Dingen und Vorgängen, von
den Sorgen und Heiterkeiten, von den
Stemmungen und Beklemmungen in
dem Riesenkörper erzählt. Berlins
Sprache klingt in all den Wochen schon
erheblich gedämpfter, als sonst. Und
wenn die fernen, reißenden Stürme,
die über den Balkan fegen, vermuth
lich auch in allen deutschen Städten
windstill-bange Erwartungstage erzeu
gen, so mag doch der Krieg nirgends
trüber abfärben, als just in Berlin, das
sich ja sonst in minder beunruhigter
Zeit vor tobenden Ausgelassenheiten
und schrillem, lärmendem Trubel, die
es auf seine Art für Heiterkeitsbeweise
und Lebensbejahung nimmt, mit zwer
felhastem Geschmack, aber unzweifel
haftem Aufwand kaum zu fassen weiß.
Wir sind recht still geworden jetzt in
Berlin, und die Stadt, di sonst so
selbstbewußt und so überlaut von sich
selbst zu reden pflegt, daß rundum alle
Dinge, auch wenn sie in der Nähe la
gen, wie in verschwommenen, gleichgül
tigen Fernen verglitten, die schnodde
rig redselige Stadt hat sich daran ge
wöhnt. jetzt mehr auf das Horchen nach
außen, als auf da Reden zu Haufe zu
achten. Und vielleicht ist'S sogar mög
lich. daß sich Berliner finden, die nun
mehr doch der Ueberzeugung gewonnen
sind, daß selbst hinter dem Tempelho
Ur tolh und offen nock Menschen le-
ben. ab und zu. wie man rings um
1 v . . . - .
Kirttiliss und Tschataldscha sieht,
recht ungemüthlich Menschen, die nicht
einmal auf die Bars der Motzstraße
W.W. oder auf di Kaffeehausplanta
gen links und rechts von der Gedacht
nißkicche irgend welche Rücksicht üben.
Zwar die Bars müssen immer noch
nicht klagen. Die Schönen der Kokot
tenviertel haben, so viel man erfährt,
noch keinen Entschluß gefaßt, der sie in
stillen Stunden zur Tröstung osmani
ft Mhtn vrhfiiAt'if. Norläufia
werden die Bars also kaum zu Grundes
aeben, die nördlichen Odalisken bleiben:
uns erhalten. Auch wird noch ,eden
zweiten Tag ein neueS Theater gegrlln
dct. eröffnet und geschlossen und. wie
im alten Byzanz, um daS jetzt der
Kampf der Bulgaren geht, hat man al-
lerlei munter entartete Zerstreuungen,
wie etwa die fünfunddreißig Hähne,
die man nächstens in einem natür
lich abermals zu eröffnenden Theater"
bei einem Thierduell auf Leben und
Tod bestaunen wird. Das russische
Ballett mit seinen Tänzern, die be-
kanntlich das europäische Interesse ha
ben, wird gleichfalls nicht versäumcn.Nachfolger jenes Mister Meschuggc
di melancholisch gewordenen Ber
llner zu erheitern. Aber da in
läßt sich trotz der Karsarlna und
iwlowa. trotz Hahnenschnäbeln und
Kokotienbar nicht leugnen: daß die
Berliner wirklich melancholisch gewor
ttn sind.
Da Symbol ihrer Bedrücktheit ist
da Papier. Da Papier in jeglichem
Sinn . . . Al da Balkangewitter
losbrach, flatterten die Tausendmal
schein aus dem Umnxg über die Bors
nur so davon, und man'war nicht min
der theilnedmend bewegt al erstaunt,
wie viele Menschen in Berlin Besitzer
sonst gewiß nicht unangenehmer Pa
piere waren. Man klagte vom Be
kannten zum Bekannten: jeder Dritte,
der den Pulverdampf von dort unten
in r Türkei, wo die Völker sich die
Köpfe zerschlugen, an der kgenen Ras
spürt,. Tu Papier, da die übl An
gewohrheit schwankenderKursempfind
lichkeit hat. trat die Herrschaft im
Kreise jeder LebenLäußerung an, und
da bedruckte Papi-r. da Zeitungs
blatt. da täglich neue Schrecknih.
neue VerwicklungSmöglichkeiten brach
te, ergänzte die Herrfchaft. Niemand
fürchtet den Krieg den .großen",
den europäischen" , niemand glaubt
recht an ihn: aber schon den .kleinen",
der Zehntausende bisher in Jenseits
beförderte und Städte und Dörfer in
Asche legte, schon den kleinen" Krieg
spürten olle. Man merkt ihn nicht
bloß an den Extrablättern, die alle
Weile die Straßen durchlaufen, nicht
allein an den EamelolS, die mit ihren
Rufen von Gefallenen und Gefange
nen, mit ihren verblüffenden geogra
phischen, laut herausgeschrienen
Kenntnissen über Südosteuropa alle
Straßen, alle Tramm. olle Kaffees
erfüllen: man merkt ihn längst auch
außerhalb der Zeitung . . .
In den CafS strotzen alle Gespräche
von Kavalleriebrigaden, von Angriffen
mit bloßem Bajonett, von ganz ge
nauen Beschreibungen dS schweren
ArtillerieparkS. den die Bulgaren nicht
haben. Fast wunderbar ist eö, wieviele
Militärtechniker und -taktiker sich in
unscheinbarem Zivil entpuppen, und
wie mit geradezu moltkescher Sicher
heit die Siege des vcntuellen russisch
österreichischen Zusammenstoßes jetzt
schon vertheilt sind. An den weißen
Marinortischen gerathen sich die Di
plomaten mit den Strategen in die
Haare, und die fremdklingcndsten Na
men fliegen mit einer Selbstverständ
lichkeit umher, als würden Heimaths
orte genannt. Man hat Wetten abge
schlössen und ist jetzt erbittert. Denn
alle fast müssen ihr Zutrauen in die
einst ruhmreichen Osmanenwaffen
diesmal bezahlen. Ein Schriftsteller,
der einige Jahre auf dm Balkan
als Korrespondent großer ausländi
scher Blätter, in Bulgarien, in Athen,
in Konstantinopel gelebt hatte, prophe
zeite und wettete, kaum daß die ersten
drohenden Anzeichen wahr wurden,
am künstlerisch angewehten Kaffee
haustisch binnen vier Wochen" auf
den vollständigen militärischen und
politischen Zusamenbruch der Türkei.
Man lächelte ihm nachsichtig zu, und
einer der bekanntesten Maler Berlins
neckte ihn, wenn der zuversichtlich
Prophet bei den wenigen Meldungen
noch türkischer Erfolghoffnung die
Miene doch auf Halbmast" hißte. Der
Balkansachverständige muß jetzt Tag
um Tag seine Weisheit im Cafe aus
packen. .Persönlich" bürgt er für den
Frieden. Aber kein! wagt diesmal
mehr eine Wette . . . Nebenan ein
Tisch, besetzt mit alten Herren mit be
sorgten Gesichtern. Ein wüthender
Artillerist, der als Antiquitäten
Händler offenbar seinen Beruf ver
fehlte, wirft mit Elevationswinkeln
und Schrapnells um sich. Er zeigt,
wie Belgrad von den Oesterreichern in
sechs Stunden in Schutt und Asche
gelegt ist, und hat noch andere sirate
zische Ausblicke. Aber die alten
Herm bleiben stumm und sorgenvoll,
endlich sagt einer: Herr, Sie haben
keine Söhne" . . .
Der Krieg fährt durch die ganze
Stadt mit und in seinem Lärm wur
den die Geschäft schweigsamer. Nicht
nur die großen Erporthäuser, die nach
ihren Balkangeldern ausspähen und
die schwanke Zukunft der Handelsbe
Ziehungen erwägen: selbst in den
Waarenhäufern, die jetzt erheblich stil
ler scheinen, in allen Luxuszefchästen
glaubt man'S zu spüren. In den
Hochbahncoupes, in ver &tavioap
s'tzt man durch Zufall aber der Zu
t . V . V T1 riJL HakiH VU!
fall wiederholt sich neben Itelsen
den, die einander erzählen, wie sie
aus dem Ausland wieder heimkehrten,
weil die Gesckäfte die Kosten nicht
lohnten. Ein Konfektionär versichert,
daß er sich trotz allem nicht nervös
machend lasse, aber sein Freund klagt,
daß bei seinem Hause in noch nie da
gewesenem Gegensatz zu allen früheren
Saisons kaum ein einziges Ballkleid
bestellt worden sei, em dritter bejta
tiat das Gleiche uno ver erne zuar
mit gestandener Bestätigung die
Achsel .. .
So scheint's freilich, daß die Ber
liner des Winters 1912 nicht mehr die
Stetsveranügten sind, die sonst um
diese Zeit recht lustig beim Todtschla
gen der kaum begonnenen Saison
sich erheitern. Ob auch die bunten
Lichter immer noch über den Kientopp
Palästen flimmern, ob auch die großen
Damen der Liebe immer noch an den
kleinen Tischen im Palais de danse"
mit ausländischen Lebemännern sou
piren und sich noch immer mehr als in
einem dröhnenden Musikcafe geniale
! finden, der sich beim Diriglren
inem Seil an die Decke zog. um ei
nein Pianissimo besondere Stimmung
und Klangschönheit zu besorgen ....
die Berliner Gesellschaft von 1912
weiß nicht von Uebermuth. Sie ist
nicht eingcschUchtert. aber sie ist ernst.
Sie will warten mit dem Festeseiern.
mit den Ballkleidern, mit dem unab
sehbaren. rauschenden Reigen der Soi
reen. Sie passen ersten! nicht so recht
zu Massakersurcht und Schlackten
mord. Und dann: man hat betracht
lich viel Geld verloren . . . E! schickt
sich, zu Zeiten zu sparen ...
Vererbbarkelt erworbener El
genschasten.
Die Ueberlragbarktit von Verande
ninnMi h! hiß llltn im Lauf ibrel
Leben, erfahren haben, auf die Nach-'
kommen, ist ine Frage, die trotz zabl
reicher Versuche noch nicht völlig ge
klärt ist und die Biologen dauernd i
Athem hält. AIS solche erworben Ei
genschaften kommen weniger grob
Eingriffe in die körperlichen Verhalt
nisse der Eltern in Betracht, also Ver
letziingen. Verstümmelungen, obgleich
gerade mit solchen Erscheinungen häu
sig umfangreiche Versuche angestellt
wurden, die wie gleich vorweg ge
nommen sei fast immer ein negatt
des Ergebniß hatten; vor allem fragt
es sich vielmehr, ob die im individuel
len Leben als zweckmäßige Rückwir
kungen auf die Einwirkung derAußen
Welt erworbenen Eigenschaften der El
tern vererbbar sind, also alle die Er
scheinungen, die auf der uns in ihrem
Wesen und ihrem kausalen Zusammen
hang noch so wenig klaren AnpassunzS
fahigkeit der Organismen beruhen.
Für Kid Arten von so erworbeneit
Eigenschaften liegen Beobachtungen
vor. di die Möglichkeit der Vererbung
beweisen. Künstlich bei Meerschwein
chen hervorgebrachte Krankheit von
Fallsucht trat auch bei einer großen
Anzahl von Jungen wieder auf. Ber
letzungen der menschlichen Hand fan
den sich bei den Kindern wieder, uns
ähnliche feststehende Thatsachen wur
den wiederholt beobachtet und berichtet?
aber sie scheinen seltene Ausnahmen zu
sein, denn die meisten in dieser Rich
tung angestellten Versuche sielen nega
tiv aus. So schnitt der Freiburg'r
Zoologe Weismann zahllosen Genera
tionen von Mäusen die Schwänze ab,
und immer traten sie bei den Jungen
unversehrt wieder auf, und auch die
Thatsache, daß die bekannten Ver
stümmelungen mancher Völker, wie wir
sie bei den Chinesen, den Juden, den
Neuseeländern, bei manchen afrikani
schen Stämmen finden, immer wiedc
bei den Kindern von Neuem vorgenow-v
men werden müssen, spricht gegen die'
Vererbbarkeit solcher Neuerwerbungen
oder Verluste. Es scheint, als ob dazu
der Umstand treten müsse, daß solche
Verletzungen auf die Vermehrungszel
len,' das Keimplasma, einen Einfluß
haben müssen, um erblich festgelegt zu
werden; aber da kommen wir wieder
auf ein Gebiet, das noch völlig dunkel
ist, denn weder über die Thatsache
selbst noch über das Wie? herrscht ir
gend welche Klarheit. Mehr Zustim
mung unter den Fachleuten findet die
Frage der Vererbbarkeit erworbener
Eigenschaften in Beziehung auf die
zweite Art, die Anpassung an die ver
änderten Faktoren der Umgebung. Am
bekanntesten sind die positiven Erfolge
der schweizerischen Forscher Standfuß
und Fischer, sowie ihrer Nachfolger an
Schmetterlingen, vor allem am Bären
spinn, der lxi der Aufzucht in d:r
ft'AHm ! rt"f iiK Dtr4mic vav?J
JVUiiV Hl JUfcVfc UJ1V JVlUtUllV) VUlllWf
und diese Abänderung sicher auf einen.
Theil seiner Nachkommen vererbt, so
bald sie unier gleichen Verhältnisse!:
aufwachsen. Sobald die folgenden Ge
nerationen aber in normaler Umge
bung aufgezogen werden, verlieren sich
die durch die Eltern erworbenen Eigen
schaften wieder, und dasselbe hat man
bei Alpenpflanzen bemerkt, die, in un.
ser Klima versetzt, rasch degeneriren
und diese Degeneration auch vererben,
sobald sie wieder in ihre alte Heimath
zurückverpflanzt werden, und ähnliches
gilt auch von unsern Obstbäumen.
Diese uno ähnlich Erfcheiaunzen
scheinen darauf hinzudeuten, daß zwei
Bedingungen vorhanden sein müssen,
falls eine Vererbung eintreten soll:
einmal muß dr. veränderte Faktor der
Aißenwelt so stark wirken, daß er auch
die Fortpflanzungszellen beeinflußt,
und zweitens muß diese Einwirkung
auf die Generationen lange genug
dauern. Ueber beide Bedingungen?
verfügt die Natur, vor allem auch übe,
die Länge der Zeit, denn Jahrtausend
lang erperimentirt sie bereits, weiht
Unbrauchbares im Laufe dieser Jahr
tausend erbarmungslos dem Unter,
gang und läßt Brauchbares sich weiter
entwickeln. Freilich ein gilt dabei
stillschweigend als Voraussetzung: daß
überhaupt eine Beeinflussung derFort
Pflanzungszellen durch die Außenwelt
stattfindet. So gilt, wenn man sich
über das Wie? noch nicht klar ist. bei
der größten Mehrzahl der Biologen die
Vererbbarkeit erworbener Eigenschaf
Itn nfä in fftftfitih Tfrn I.
densalls ist diese Frage nicht nur für
den Thier- und Pflanzenzüchier, son
dern auch für die Entwickelung der
menschlichen Gesellschaft und der
Menschheit überhaupt von so hervorra
gender Bedeutung, daß alle Welt auf
ihre weitere Entwickelung mit größtem
n. .-.rr- tu ml v m
ni;jt cuai. .
Niemand ist vor seinem Tode
ledig zu preisn
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