Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 23, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Ännikktie
Roman von Jst III-Eh
(9· Isolierung-)
Ich ja. die Hand. Es ift abs
fcheulich. . .'
»Wie tnm es vermi«
Sie befchrieh. ioie fie sich nitf ihre
Schreihtifchplntte habe ftiihen wollen
nnd die Hand dndei förmlich umge
inicti fei; es tue bis zum Ellenbogen
hinauf weh.
«Dnrf ich bitten, nbzulegeni«
Anna zog ihr innppes Jackett ab,
das Seidenfutter trachte und kni
tmtr.
»Auch bitte die Taille, wenig
tens fo weit. daß ich den rechten
ern frei habe.« Er wendete sich zu
steich feinem Experimentiertifch zu
Irn die Patientin nicht etwa zu gerne
.ren.
. Anna biß sich auf die Lippen. Sie
mußte sich nun htamieren und ein
geftehen — over die Komödie durch
fii ren.
hne Zaudern entfchlofz fie fich zu
iefterem. Sie knüpfte ihre Iaille
auf, zog den rechten Arm hertsns und
sagte:
.Bitte, Herr Dottoe. . .«
Und er befühlte den herrlich gebil
deten weißen Frauennrm und driielte
hier und driidte dn mit fnchgemäßem
Ernst· ,
»Es ift nicht die Rede oon einer
lierftnnchung oder nur- von einer tei
fen Sehnenzerrung,« fprach er end
lich, »die Schmerzen, welche Frau
Gräfin hefchreihen, miiffen fchon neu
rnlgifchsrheumntifcher Natur fein,
nnd ich roiifzte nichts dagegen zu ver
ordnen wie eine EinreiMllte
es fchlimmer werden« empfehlen fich
natürlich Bettruhe rnit gleichmäßiger
Wär-me nnd Sulspyrinpuloer oder
dergleichen.«
»Es wird schon nicht schlimmer
werden. Ich neige nicht zu derglei
then-"
.Wayricheintich ver Klimmen-tel
bie Meeresluit . .«
»Ich tann mich wieder tiiiziehen3«
»Bitte-«
Und er erinnerte sich Mr wohl, daß«
Patientinnen mit dein Ablegen im-’
mer ralch znftande trmmen, daß vasi
Anlegen ver Gewanvitiiete aber ihnenx
oft mühielig ist.
,Soll ich meine Tochter schicken?«
selber nein. . .ich tann ielbst..
Er zog sich indessen vistret zuriick
und ging nach nebenan, um dort dem
Leutnant Normann nnd feiner Joch-;
ter zu sagen, daß es sich bei der MIC- »
sin weder um eine Veritauchun1, noch
um eine Verzerrnng tyanvte i
Anna stand inmitten ver melanchoi !
lilchen Stube, lnöpite langsam ihre
Taille zu und fah oabei immer aus
jene Gruppe tleiner Fläschchen in be
nen das Gift fein sollte
Die gleichmäßige fimnenloie Helle,
die das Zimmer erjiillte, ließ jeden,
auch den tleinlten Gegenstand tlar
ertrnnen. Aber die Beleuchtung hatte
doch etwas Rattes Iotes. Kein Licht
reilrx brannte auf den Glasleiberchen
der lleinen Flaschen
Und gerade das gab ihnen vielleicht
etwas geheimnisvoll Lockendes. Es
schien, als ständen sie in still sicherem
Warten.
Anna tonnte ihren Blict nicht da
von wenden.
Ganz mechanisch nahm sie ihr
Janett vom nächsten Stuhl.
Wer so ein - löschchen beiaßl Der
war aus gewi e Art auch her- iiber
Leben und Tod!
Der Fedbanty Fee vän vielen trei
nen, m räunl e liissigteit ge
fiiclten Phiolen zu besitzen, hatte ei
ses Wteuerlichen Reiz file fie.
Was soll ich damit? sprach sie in
sich hinein.
Aber ihr Auge lonnle lich nicht
davon trennen.
Was soll ich inmit? Dummer
Sei-ante. Nicht-. Man hat vieles,
tout man nicht braucht. lind es ist
doch interessant, es zu haben. Wer
braucht all die Mordwafsen, die in
der lle hängen? Sie beschäftigen
die hantasie, das Augen. heimlich
Gift haben —- ivie romantisch. . .
Und sie lachte lautlos, ihren gieri
sen Wunsch seihst verspottend.
Unsinn! schloß sie ihre Gedanken
reihe. Dann nahm sie ihre hand
schade, zapfte n das tnappe Jöcki
chen zurecht und chritt ans die Iiir
. .«
Aber biihschnell wandte sie sich noch
einmal, trat rasch an vie Wand, nahm
vom Vorde eine der tleinen Phiolen
aus der zweiten Reihe nnd liesz sie
in ihre Tasche gleiten.
Alles ganz ohne Kampf und Ueber
legt-um
«So,« strach sie heiter, indem sie
in das nächste Zimmer trat, .da wä
ren wir wieder. Tut- schiinen Dant,
here Doktor. halten Sie mich nicht
r verziirtelh daß ich gleich zum Arzt
e, wesen dem bischen Schmerz.
II liebes Fräulein! hoffentlich
tnir bald einmal wieder das
iiqem Kommen Sie doch auch
tin-not von selbsti Mus- man
Serdenn immer Fest feierlich einla
Eine Einladung fitr heute sur
Teilnahme on der Partie nach tub
lsentntnrnee erfol te nicht.
Obgleich Sop ie entfchloffen gewe
fen war. die Aufforderung jedenfalls
abzulehnen tnt ihr dnt Ausbleiben
doch weh. War et nicht ein Zeichen.
das die Greifin fte doch nicht be
fonders gern mochte. daß bei der
Griifin leinenfnlls die Absicht vor
lag, fie viel hernazugiehent Ach.
ei war wieder ein Symptom fiir
den traurigen Ausgang ihres Liebes
romant.
Sophie halte alle ihre Hoffnungen
begraben — sie fagte es, sie glaubte
ei feft. Aber folche hoffnungen hu
ben es fo an fich: sie miissen immer
wieder von neuem begraben. werden;
denn fie leben immer wieder auf.
Auch Stephan war enttiiufcht. Er
bildete fich ein, jedes Zufammenfein
der Geliebten mit feiner Familie und
feinem Wohltöter müßte ihrer glitrti
lichen Vereinigung vorarbeiten. Denn
mufzte Sophie nicht aller herzen ge
winneni
Aber fehl gestatteke feine Begleite
rin ihm nich« so fchweigfnm zu blei
ben wie auf dem Verweg
.Wns habe ich nrir unter dem Dol
lvr Schüler vorgeftellt,« fprnch fie,
,fo eine Art Ungliicklichem von den
Erinnyen Verfolgten. Das ift ja
aber ein fehr netter, verständiger
Mann.«
Er hat, während er noch feinen
Beruf out-übte, das Außerordentlichs
fte nn Selbfilofigteit und Menfchens
liebe geleiftet, hörte ich einmal. Das
er fich Jhnen gegenüber fehr zufam
mennnhm und nicht fein ewiges tran
riges Thema gleich besprach, ift ni
tiirlich. Der Mann ift ja bei vollem
Verstand Es geht ihm nur wie fo
vielen ltngliictlichen —- ihr Unglück
ift ihr liebstes Gefpräch·', antwor
tete er.
»Damit Sie bemerlt, wie rein es
da wur? Nur roch es greulich nach
Petroleuni auf dem Flur. Scheint
eine brave tleine Perion, die Tochter
—- nur etwas httlelftolz. . ."
»Sie ift der höchsten Verehrung
wert'«, sagte Stephnn mit flnrkeru
Ausdruei. Das war mehr, als er er
trngen tonnte, in diesem Ton von
der Geliebten sprechen zu hören.
Es wäre Vlnna gewiß nnfgefallen,
wenn nicht gerade im selben Augen
blick ihre Aufmerksamkeit vollkommen
abnelentt worden wäre.
Graf Bnrchard und Wolf tarnen
ihnen entgegen, fehr eilig ausfchreii
tend.
Die hohe ftolze Erscheinung des
Gatten fiel Anna in diesem Augen
blick vefonders auf. Itirsttichl dachte
sie befriedigt.
Und der gute Wolf! Zu viel blon
der Bart, zu fehr »Rese« nnd »Ger
mane" in der Erfcheinnngl
Was hatten denn die reinen, difz
sie fo eilig daher lamen? lind iyn
Grunde: wie fatall Denn nun mußte
Anna wohl fagen, daß sie beim Dot
tor Schüler gesoefen war.
.Anna!" rief Wolf schon von wei
tern, «dir fehlt etwa« Du leideft?"
Mein Gott, Urfnla und Greti
Wenderoth hatten alfo doch die Ge
fchichte von der «verftanchten Hand«
erzähltl Natürlich, ilrfula lonnte nie
fchroeigeni
Anna — mein Liebling —- ich
höre, du haft Schmerzen — ein Un
fall? Jch bin außer mir vor Sor
ge«, fagie Graf Burcharo nun, als
er vor feiner jungen Gattin ftand.
Sie erglühte. Welche Beschämt-vgl
Alles, was gesund in ihr war, tatn
aus dem Uniergrund ihrer Seele
herauf und wandelte sich in Scham.
»Ja, wir kriegten einen Todes
fchrecl«, erzählte Wolf, »dein Mann
und ich, als Urfche fagte, ou Iviireft
rafch zum Doktor gegangen«.
»Warum haft du ihn nicht hol-n
lasseni' fragte Graf Burchard und
nahm den Arm feiner Frau.
»Weil es vielleicht ein Nichts war
nnd ich dich nicht eeft damit dehelligen
wollte. Ei ift richtig auch nur ein
wenig Neuralgie, vom Klimawechfel,
meinte Schüler«.
Die liebevolie Beforgnie des Gat
ten vernichtete fie gerade«u.
llnd gefiohlen habe ich auch nocH
dachte fie und erinnerte sich drei
Flälchchenö in ihrer ttleioertnsche, von
dem sie nicht wußte, ob es ein prur
Pfennig oder wie viel Wert habe.
Nun, das ließe fich bezahlen. Mor
gen kain eine Sendung Schnepfrn
aus Ostrnu und eine Sendung Deli
tatefsen aus Berlin. Man konnte ei
nen «Friibstiiaetorb" packen und mit
einer verbindlichen Karte zu Schülers
senden.
Mit dieser praktischen Erwägung
beruhigte Anna ihre Geivissenobifse
wegen bes entwenoeten Flopchchens.
Und die tiefe BefchiimunY die sie
wegen ihrer Jntrige und Lüge vor
dem Gatten empfand, löste sich nach
und nach in Ungeduld auf. -
Erst hieß es, bie Portie nach Stub
benlamrner sollte aufgeschoben wer
ben —- Annac «Reurnlgie« wegen.
Dann gab jeder feinen guten Rat
gegen derartige Schiner en. Greti
Wenberotb bgtte drei Re epte in ib
rein Kasten. Sie selbst, Frau von
Reinheit unb Wolf suchten fieberhaft
danach, fanden sie aber nicht "hermis.
auch las Frau von Reinbeci sich bald
feft bei allen Teini- und Dankt-siege
mitteln, die ihr givis en bieaginger
kennen. Da Anna a r var f be
stand, wurde der Ausflus endlich
doch eingetreten.
Einige der Tellnehinee fuhren-« dk
Griifin Ren-te, der Baron und die
saronin Wendeestln sowie here von
Reinheit Dieser hatte bei dem Ad
marfch der Fussgsnger genau die Mi
nute festgestellt und ropdeseite ih
nen, dasz sie eine halbe tunde länger
unterwegs sein tviirden als sie sich
tächten Streitluftig und jodial,
iider sein ganzes rötliche3, von Nar
den überauertes Gesicht lachend, stand
er unter dein Poetal und fah den
Freunden nach.
Seine Frau gesellte sich anfangs
Anna zu. Sie sollten sich ja de
rennden. Das war ihr Programm.
Die tleine dunkle Frau mit den
braunen Funtelangen und den Sou
brettendewegnngen hatte eine rasche,
fast zwitfchernde Art zu sprechenJ
Jhre Interessen drehten sich um KleisJ
der, hutpreife, den dorteilhafteften»
Schneider nnd dergleichen. Anna
og sich sehr gut an. Aber in rn
r Wahl, mit ungeborener Sicher
heit« traf sie das Gefchmaeldolistr.
Viel darüber zu reden, tain ihr uns»
niih vor.
Entweder sie weiß nichts zu sagen
oder sie ist gräßlich bedeutend, dachte
die tleine eFrau endlich mit einein
Seufzer und Wnßte sich geschickt von
der loorttarge Anna zu trennen.
Zu Annae efriedigung schloß sie
sich an Stephan Normann an. Wenn
die einen Kavalier neben sich berief,
beanspruchte sie ihn auch ganz, das
hatte Anna schon beobachtet.
, Urfula, geträntt und dem Weinen
nahe. blieb neben der Gräsin Her
dete. Sie fand eine Art vorlvurfsi
voller Resignation darin, mit dein
alten Fräulein zu gehen»
Graf Bnrttxsard hatte Donat an
feiner Seite. Es war sein Vorsch,
auf den jungen Schwager such
Möglichteit fördernd einzuwirtemdai
Iait Anna doch die Freude habe, aus
dein Bruder noch einen rechten Mann
werden zu sehen.
lind so konnte Wolf neben seiner
Jugendfrenndin bleiben.
.Wollen wir mal tüchtig ausschreis
ten? So lvie früher? Weißt« noch
du und ich. wir brauchten im
mer zwanzia Minuten weniger don
Pallau bis Reuhagen als Ursche und
Donat.«
»Ja," saate sie, »so im Takt umr
ichieren . . . .«
Sie ließen die andern Spazier-·
gänaer hinter sich zurüc
EB wanderte sich gut im Wald.
Durch die noch blätterlosen Widsel
kamen die Sonnenstrahlen herein.
Sie matten die Schatten des Geästes
als duntle Schlangenwinduugen aus
den Gotdgrund des Weges-. Völlige
Windstille herrschte zwischen den
Etömmeu. Es war eine wohlige
Wärme, daß man förmlich spürte·
wie der Frühling heut’ am Wert sein
mußte. Und es schien auch, als ob
las griiue Gesprentel aus dem Un
terholz reicher geworden sei.
»Bei uns ist es noch nicht so tveit
um die Zeit. tind wir sind hier
roch um ein gut Stück nördlicher.«
»Ja, das macht die Meerrsnähe,«
sagte Anna.
»Weißt noch? Vater rieb sich bei
solchem Wetter die Hände und sagte
zu meiner Mama: »Ursi, heut« wächst
Butter.« —- Anna, hast du nie Heim
tveh?« sragte er. -
»Wie so!lt' ich tvohl!«
«Freilich, sreilich.« Er nictte vor
sich hin und dachte an Herrn von
Liustotv, der sich durchs Leben aß,
schlies und träumte. Er setzte hin
zu: »Und dann, wenn man so einen
Mann hat!«« Er bewunderte den
Grasen.Burchar-d auss außerordent
lichstr. I
»Nicht tv.ihr?!« sprach Anna be
stätigend; »ich sage dir, Wols, auch
in Berlin habe ich keinen gesehen,
der iinponterender gewesen wäre, att
Erscheinung und im Auftreten«
»Das ist ja nun was Aeußerlis
ches,« meinte Wols langsam. Jhrn
war, als hätte sie ettras anderes sa-»
gen müssen
»Aber wie wichtigs« sagte sie mit
starker Betonung.
Sie schwiegen eine Weile Tann
sagte Anru: »Lieb, da rechts geht
oer Weg hnntntrr, der oberhalb des
tlfers nach Stubbentarnmer führt —
wollen wir den nehmenfs Er fall
etwas weiter sein...."
»Gewiß, wir kommen doch noch
vor den andern an.·«
Es war ausgemacht, daß man den
anderen, auf der Ebene oben im
Walde hinsührenden Weg benutzen
wolle. Anna und Wolf aber, in der
Rinderdergniiglichleit, die ern Um
wegen Spaß hat, liefen nun fast
hinab. Bald kamen sie aus der sich
mn bange hinziehenden Waldstrrcke
ins Freie. .Lints blieb das Meer,
rechts stieg, oft so steil, daß es zur
schroffen Wand wurde, das hohe
Ufer aus, vorn Meer noch durch einen
Streifen steiniibersöten Strandes ge
trennt. Jn mäßiger Höhe oberhalb
des Strandes war ein schmaler Pfad
dern Kalkgesiein abgewonnen. ;
»Ei«, sagte Wolf, «dns ist hier«
schön. Das mär’ was fiir Vater.
Der schrie gewiß: »Dannerwettert««
Der blaue Himmel wars den Wi
derschein all feiner Bläne auf das
Meer-. Jn lustigern Rauschen lam
et gegen den Strand nnd bespriyte
ihn mit Schaum. Jn der Ferne
schien das Wasser dunkler und dunli s
lee zu werden« fo das am hortzoutf
W Linie fi tote Staunan oom
richtenden rdenton des him
isels ask .
, Die und. die fo fiih neben dem
Pfad empor-flieg, war von blenden
de- Weiß. Da und dort brach Oe
ftriipp und hängendes Gerant aus
den Spalten del Kallgefteines, oder
auf einem Vorsprung hatte fich ein
Baum mit klammernden Wurzeln
feine Stätte gefucht. Wenn man den
Kon weit zurücklegte, fah man oben
iiber dem Rand der steilen Wand
ten Buchentoald in feltfamer Ver
liirzung feiner Stämme.
Anna fchritl vor Wolf einher;
denn zusammen tonnte man nur fel
ten kurze Strecken auf dem schma
len Pfade gehen.
Schön tft sie gewachsen, dachte
Wolf einmal, das ift mir früher
gar nicht aufgefallen. Ueber-haupt,
Hsie war ganz anders geworden, hatte
Hsch fabelhaft herausgewacht, oder er
hatte früher tein rechtes Auge dafiir
gehabt! Wenn man fo immer zu
fammen ift dann sieht man
eben nichts....
Wolf feufzte tief auf. Sie drehte
nach ihm um.
Mann —- du und ein Seufzer?
Warum?« fragte fie.
»Weifz nicht. Anna, ich lann es
dir nicht befchreiben: mir ift jeßt
manchmal fo unzufrieden zu Mute
Gott weiß warum."
«llnsinn! Ein Weber von Pallau
und unzufrieden! Das gibts ja gar
nicht«
«in wohl wahr. Aber ich toeißz
einfa nicht wohin mit mir.« f
» ein Vater follte dem Verwalter
auf Glinde kündigen und dich dahin«
einsetzen. Jhr zwei zufammen auf
Pallau — das ift zuviel. Da haft’
du nicht genug zu tun.«
»Das tann fein — ja, das kann
es sey-" rief Wolf förmlich beglückt.
»Ich ill es Vater mal fagen —- es.
ift nur: Neimers ift fchon zwanzig
Jahre auf Glinde, brotlos lann man»
ihn doch nicht m.ichen.« t
Das tvar natiirlich nicht AunasI
Sorge. Die Schictfale des Ver
walters Reimerss waren ihr egal.
»Wie findeft du die Reinbeck?« fragte
sie iiber die Schulter zurück.
,,Darf ich eure Gäste lritisieren?«;
»Gott —- wir beide unter uns .. .«I
»Sie ist nicht mein Geme. Sauf
lleines Spielzeug möcht’ ich mal«nicht»
zur Frau-« — J
Dann vernegte ivr Gespenst-. Ums
Takte, soweit hier und da die Un-;
ebenheit des Weges nicht störte«
schritten sie raschen Ganges hinter-;
einander her. Jn ihrem Ohr lag
res nno machte ihre Gedanken selt
sam still und inbaltslos.
In dreiviertel Stunden waren sie
unterhalb der Kreideselsen von Stub
benkammek angekommen. Nun hieß
es, noch die gewundenen Wege der
Waldschlncht emporzusteigen, die sich
in einer tiefen Falte der steilen Küste,
zwischen den Felsen von Groß- und
Kleinstubbentammer zum Strande
l)inabsentt.
»Langsatn,« mahnte Wolf, ·gncl,
wie der Weg vertourzelt ist."
Es wurde Anna doch ein bißchen
sagen
Zoll ich trtichschieben?«
»Jmmer zul« ;
Er legte seine Hände rechts und
links« an ihre Taille nnd schob ihre?
Gestalt nun so trastvoll oortviirts,!
Laß ihre Füße lanm nachlommeth
konnten. .
»Ja viel, zu viell« rief sie lachend.
Gerade in dieser selben Stellung
i)atte er sie einst über den Pallaner
Dorsteich gefahren; aber hier hatte«
man doch keine glatte Eissläche unsr
ter den Sohlen. l
»Ja viel ·...«
Wolf ließ los. Fast in demselben
Augenblick stolperte Anna iiber eine
Wurzel und siel. Er schrie ans.
Schon toar er neben ihr am Boden.
lEr hob sie aus. er beachtete gar nicht
jihr: «Laß doch.)..«
l Er nahm sie in seine Arme.
» »Er-se dacht« sagte sie, «es ist ja
Jnichtö. Man stillt tvobl einmal.«
! »Nein ....« murmelte er, »was
iman immer gleich siir einen Schreck
um euch Weiber hat . . . ·'«
Sie entwand sich ihm nun nach
drüctlich
Kannst du auch stehen? hast du
dir nichts getan« Nicht am Faßt
Nicht am Knie?«
Er hockte schon wieder und um
iaszte schon ihren Fuß oberhalb des
Knochels. Aber ebenso rasch ließ er
los» .
Sie toaren ja keine Kinder mehr
—- wie damals — als er ihr einmal
mit seinem Taschentuch den Fuß ver
bunden hatte. —
) Der seltsame Schreck, der ihn
d:trchslog, als er selundenlang ihren
Fußtnöchel erfaßte — der bedeutete
gewiß: heut’ schickt sich das nicht
Imehr
Noch vor ihr lniend, sah er zu ihr
empor und fragte mit sonderbar hei
serer Stimme: «hast du wirklich
keine Schtrterzen?'«
»Nicht die mindesten,« sprach sie
langsam.
Sie sah sein blaues Auge so son
derbar leuchten —- sah die Versto
rung in diesem offenen, männlichen
jungen Gesicht»
Und sie begriss, daß er sie liebte!
Ihr herz begann rasend zu klop
sen. »Komm« sagte tte nnd siihr
im sit fort s- obschon das
herztlop en the sast den Iteni nahm.
Er ltedte stet ltnd nen, gewis. er
hatte selbst nicht bis nindeste Er
kenntnis davon. onst wäre er
schon gestehen — sonst ioitrde er
fliehen. Das tviißte Anna. Dieses
große Kind würde sich schuldbesleckt
vorkommen und einein Verbrecher
gleich ihr und ihres Gatten Antlth
meiden.
Das durfte nicht fein. Wolf»
durfte nicht begreifen. was das war;
er mußte in Untenntniil bleiben iiber
die Natur seiner- Empfindungen»
Anna wollte ihn nicht verlieren. Ein
ihr so ganz und gar ergebener Mann
ioie Wolf tonnte ihr jederzeit Wert
zrug sein. .
Wer vermochte in die Ziitunst zu
sehen treue Herzen tann man
brauchen!
Ah —- dag war das Leben mit
seinen Komplitationenl Nun stand
sie dnrint Nun war es schon er
fiillt von zahlreichen Vertniipfungem
vie Spannung und heimliche Erre
giing brachten....
Als es doch notwendig wurde,ein
mal einige Minuten zu ruhen, sagte»
sie, mit Atem ringend, harmtos la-»
chend:
«Ob wir wohl rechtzeitig tonimeni
Herr von Reinheit ist einer von de-»
nen, die« es so genießen, wenn sie»
recht behalten. Und dann ist er so«
schadenstoh.«
Wolf sah nach der Uhr
»Ich glaube doch. Wir sind aber
auch nicht schlecht gerannt.«
Sie sah es. seine Erregung hatte
sich gelegt, und sie hatte tein Selbst
erkennen, geboren. Gottlob... !
Und sie stiegen weiter aufwärts
durch den sonnendurchivärmten Früh
lingeivald Das blaue rauschende
Meer blieb unter ihnen zurück, und
der blaue, lachende Himmel schien
in immer fernere Höhen zu entwei
chen, im Maße, wie sie selbst empor
tletterten.
Als sie oben ankamen, hörten sie
schon die Stimmen der übrigen Ge
sellschaft, die nun auch gerade aus
dem Wald tam und den Platz be
trat, auf dein die Gebäude der Wirt
schaft von Stubbentainnier lagen.
Auch die andern waren, je mehr sie
sich ihrem Ziele näherten, desto leb
haster von dem Ehrgeiz erfaßt wor
den, Herrn von Neinbect nicht recht
bklvmmm zu lauert, llllo guum fur,
in der törichtften Weise geeilt.
Nun standen alle heiß und lachend
vor Herrn von Minder-, oer schaden
froh mit der Uhr in der hand sefti
»stellte. daß er doch recht betornrnen
siiber die Zeit. hiervon war er of
sfeusichuich seht befriedigt sen-e- vie
Spaziergänger waren sehr beruhigt,
daß es sich nur um zehn Minuten
t;andelte. «
Jn bester Laune gingen alle in den
RestaurationsfaaL
s »zum du bin so erhiin sagte
sGraf Burchard liebevoll, »ich war
Ibeständig in Sorge nm dich, seit du
mir entschwandest· Denk doch an
deine Neuralgie!«
» All das herrische HochgefiihL in
dem Anna eben noch gefchwelgt hatte,
.tosch aus. leermalö drückte die Be
schämung sie nieder. lind das war
ein unerträgliches Gefühl.
Lieber nicht liigen dachte sie.
Zwei, drei Tage flohen hin, ohne
daß es Stephan möglich gewesen
wäre, mit dem Grasen Burchard eine
Unterredung zu haben. Sie sollte
ja unauffällig sein, diese Untertes
dung, sie sollte, nach Eophiens aus
drücklichent Wunsch, nur den Charak
ter eines Aushorchens haben
Das herrliche Wetter war die Ver
anlassung, daß man beständig Aus
fliige machte, die sich zu ganzen Ta
gestouren erweiterten. Die Gesell
schn·t fuhr zu Wagen nach Breege
und nach Arcona. Einen Tag nahm
man das zweite Frühstück in Saß
nitz und fuhr von dort mit der Bahn
nach Putdus. Bei der Heimiehr
war es Nacht. Der dritte Tag der
zettelte sich in kleineren Unterneh
mungen. Wolf und tlrsula hatten
einen unbezähnibaren Eifer auf eine
Segelpartie, es war ihnen beiden ein
noch völlig unbekanntes Vergnügen«
Alle andern Gäste rieten ihnen ab,
es sei dazu noch zu früh im Jahr, sie
würden auch teetrant werden. Esl
half aber nichts. Und Graf Bur
chard, in seiner ausgesprochenen Vor
liebe siir das Geschwisterpaar, mochte
es nicht ansehen, daß ihnen ein er
sehntes Vergnügen versagt blieb. Er
bat Stephan, vorauszugehen und ein
Fischerboot unten am Strand in
siand seyen zu lassen. Er selbst tam
mit den beiden Pallaus dann nach.
Anna sand das zu gutmütig von
ihrem Mann. Er verzog die Ball-ans
zu sehr. Ilnd Ursula hatte nun genl
noch den Triumph, mit Stephan lan- ’
ge zusammen sein zu lönnen, ohnel
daß ihr jemand das zu stören veri;
mochte. s
Aber dieser Triumph nahm ein
schnelles Ende.
Kaum schoß das Boot, bei einem
.t-urchsonnten Südost frisch vor dem
Winde laufend, weiter hinaus auf
das Meer und verließ den Schutz derl
Küste, so wurde Ursula sehr elend.
Sie begriss erst nicht, was ihr
war. Sie hatte sich unter Seekranh
heit eigentlich nur »Erbrechen« vor
spzsgsg .
gestellt, und da sie in ihrem ganzen
Leben noch niemals basu genötigt
gewesen war« nahm sie an, ils- rannte
überhaupt nichts passieren. Nun sah
sie aus der Bank im Engels-von ihr
igegeuiiber der so heiß angeschwiirmte
iManm Sie war anfangs außer sichs
’dor Glück.
l um- wie schön due Bin-! Wort
hatte wohl recht, stumm und an
diirhtig dosuspiu Cu- den blauen.
schimmernden srefien und Weiten
ter Wogen,·aus denen Silbergefune
lel blihte, stieg loie ein riesengevßee
Zauberbau das schroffe weiße Kalt
gestein des Jusellandes heran-.
Aber sehr schnell vertehrte sich Ur
sulas Glücksgefiihl in eine große Zer
ichlagenheit. Ihr Lieben war sa
doch hoffnungslos-! llnd was war
überhaupt das Lebens Alles traurig
und grau —- der Gedante machte
Kopfweh er saß in der Stirn
iiber der Nasenwurzet, dieser Kost
schmerz, und tat so weh toe
jämmerlich ach, oon all beut
Kummer litt ihre Gesundheit .....
Stesihan sah sie so aufmertsarn, so
beobachtend on Ein Liebezblis
war das nicht .. ..
Das toar zum Weinen. Nie, nie
würde sein Auge ihr teuchtenl Ge
wiß hatte Anna sie bei ihm so schlecht
gemacht! Wer hätte gedacht, daß
Anna sich so beniihme —- stch ifdet
Freundin so getauscht zu haben, tat
weh —- es war-zum Weinen!
Wie sonderbar die-Juki hin und-her
schwantte, als machte ein ist-wetten
sie taumeln ja, es war schlecht
von Anna; denn nur sie allein hielt
Stephan davon zueiich sich mit Ur
fula mehr zu beschäftigen Uns
nun konnte Ursula ihre Tränen nicht
mehr beherrschen. Sie weinte vor
sich hin, leise —- elend....
»Ich glaube, es ist besser, wir leh
ren um," sagte Stephain Graf Bur
chard hatte gerade auch schon die
bläutiche Farbe unt ursulas Nase
demertr uno die Iealtweisze der Nase
selbst.
»Nun« — Ursche — du wirst doch
nicht freiwan fragte Wolf.
»Nein hauasie sie und sont
in halber Ohnmacht zuruct, oon syste
phans Arm ausgesungen und gehal
ten. Aber sie hatte tein Bewusstsein
davon, daß er es war; es wäre the
in diesem Augenblick auch egal ge
wesen....
Zwei, drei Tage gingen fo vor
über. Nein, das war zu biet. Ste
phan ertrug es nicht mehr. War
dies lluge Warten nicht verzweifelt
mit einer Feigheit verwandlee
So unerträglich hatte sich ihm im
vorigen Jahr der Aufenthalt hier
nicht gestaltet. Damals bot das Ge
heiman seiner Liebe doch mehr Reiz
als Qual. Gras Burchard, noch
Junggesell, hatte außer feinen Schwe
stern und den Wenderoch tcine Gäste
für längere Zeit bei sich gehabt. Es
tainen und gingen nur ein paar
ijrennde Des Grafen. Atlnachmits
täglich fah sich Stephan atö freim
Herrn über feine Zeit und tonnte
die Geliebte treffen oder im haufe
ihres Vaters besuchen. Jetzt war das
Leben ganz anders geworden. Er,
damals der einzig Junge des Krei
ses, fand nun hier vier Altersgenoi
sen, an der Spitze diefer die Hans
frau selbst. Und um diefer Jugend
willen, nm ihr die ganze Gegend zu
zeigen, befand man fich in einer fteti
gen Unruhe. Niemals lonnte er .nn
Morgen beurteilen, ob esJ ihm ain
Nachmittag möglich fein werde, die
Geliebte zn besuchen.
Voriges Jahr war auch ihre Lage
noch anders gewesen. Zahllofe Hoff
nnngen wintten noch. Da schienen
noch ein Dutzend Wege offen zu ite
hen, die man beschreiten konnte. Und
gerade damals, als er seinen Früh
lingsnrlaud hier verlebte, statt-d er
in Unterhandlungen mit einem ruf
sischen Grandfeigneur, auf defer
Gütern er eine Vertrauensftellung zu
erringen hoffte. Es ließ sich so an.
als würde es etwas werden. Jene
Stellung hätte ihn ganz unaishiingig
gemacht und ihm geftattet, feine So
phie fofort heimzuführen.
Seitdem hatten sich alle hoffnun
gen zerschlagen, jeder Weg war be
schritten, teiner führte zn einem
glücklichen Ziel. - »s
Stenhan liihlle es: et stefkks als
tem Punlt, wo er handeln mußte
wenn er nls ein Ehrenmann vor siH
selbst nnd vor dem vertrenulden
Mädchen bestehen wollte.
Jn diesen qunlvollen Tagen sing
er an, alle vernünftigen Erwägungen
schlechthin nls nnmiinniich ein-»u
schönen.
Der heisze Wunsch, sich stel« nnd
skei zu seiner Liebe zu bekennen, be
siegte alle Bedenllichteiten. Und um
vierten Tag nach jenem Besuch An
nas bei dem Doktor Schüler ging
Stephnn den Weg. der für sein Ge
iiihl nnalnveisbai geworden tune
EZ war jene Nachmittagssmnde,
in der sich Stille iibee das ganze
Schloß zu icnten pflegte
- « Gortsehnng solgt.)»
— «-—....·
— Druckfehler Der-« stns
der erqiiielenden Heidelheeren M
nnf manchem rosigen Miymesen
Spuren hinterlassen, nnd der huisi
Silssessor schien es auf die lisz ·
Lappen der Deinen besondeer f -
sehen zn haben. l «