Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 04, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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    IÄUUUH »Ehe-.
Roman von III III-Cis
(2. IotttekungJ
Aber es versteichen Minuten, und
das Brautpaak kam nicht.
«Ra, Linswth flüstette Herden,
.tvo bleiben sie beant«
i here von Linstow jagte: »Jo,
o.'·
Er sah aus wie jemand, ver seht
gesammelt an etwas Feknliegendes
ventt und deshalb nicht genau ven
Sinn ver Art-ehe versteht. Er war
met-r at- mittelgkoß, ziemlich dick und
hatte eine Glatze. Seine Züge, von
Natur nuyt unevel, waren etwas auf
geichwemmt.
Heideke sah ihn init etwas unge
diitoigeni Mitleid an. hatte sie, seit»
ihrer Anwesenheit im hause, wohls
schon eine vernünftige Antwort oon
ihm betommeiii l
Es lam ihr immer vor, als ob
seine Gedanken wären wie ein Pferd
im Trott, das man nicht aufhalten
durfte, weil es nicht die Kraft beses
sen hätte, oon neuem anzuziehein
Wenn sie einmal in Bewegung gesegt
waren, mußten sie in der eingeichlas
genen Richtng bleiben, um sich nicht
zti verwirren.
Mit dem Mann zusammen zit le
ben, mußte eine ftiinoige Gebohrt-ro
he fiir die Seinen bedeuten.
Die Frau war oor zwei Jahren
gestorben. Der Sohn schien nach dem
Mater zu arten. Anna hatte et
vielleicht, nachdem sie mutterlos ge
worden war, zwischen den beiden gei
stestriigen Mannern nicht mehr aus
gehalten.
Jlieht sie von hier, weil sie
da- Leben suchlt dachte Herdeie plötz- »
lich.
. In diesem Augenblick tat sich die»
Sitr oom Flut her auf, und gefolgt
oon den bexden Zeugen, dein alterenI
Hammerrifs und Unniio Bruder Do-l
nai, schritt das Brautpaai uber die!
Schwelle
Burchard Gras Gebet toar ein gro
ser Mann, imposant schon durch die
haltung die er sich zis geben iuuszte,
schlant und mit den regelmäßigen,
vornehmen Zügen der Familie. Seine
Augen waren duntel. Sie blickten;
auch iegt klar und geraden-tin ’
Gras Burchaid hatte graues haar;
Irr noch oöllig angelichieter Full- lag
ei wellig über der hohen Stirn. Dei
Schnurrdart bewahrte noch seine
duntle Farbe und gab durch dreien
Gegensag dem Gesicht etwas Kahne
iind Jugendliches.
Anna oon Linstow blieb, obgleich
sie eine schlanke, hohe Erscheinung
war und immer als «gioß« gegolten
halte, doch um mehr ais einen halben
Kopf unter der Große ihres Verlob
mi.
Sie sah erregt aus. Man bemerkte
es an der augerordenilichen Btafse
ihres Gesichte· und an dein fieberhaf
ken Glanz ihrer blauen Augen. Jn
diesem weißen Gesicht fielen die blut
roten, sehr schon gezeichneten Lippen
mertioiiidig aus.«
Sie hat einen unheimlichen Mund,
dachte Renate. so brennend, so üppig
und doch so sest geichlossen.
Jm übrigen fand Giäsin Renate
die Erscheinung der Bran «stiiooll«.
Der sehr einfache Schnitt des weiß
seidenen Kleides, der geoiegene Stoff,
die mächtige Schleppe zeigten einen
sicheren Tritt, Wurde mit Poinp siir
du«-Gelegenheit passend zu vereinen
such gefiel es Renaten, daß der
Schleier zwar das ganze blonde haar
stid die ganze Gestalt in grossen Fal
ken umgib, aber das Gesicht srei ließ.
« Gröfin Herdeke sah zunächst nur
ihren Bruder, empfand nur seine Ge
genwart. Sie lebte sein ganzes, stol
zes Leben in diesem Augendiiet nach
Uiid ihr erregtes Herz fragte: ift dies
seines Lebens Krönung? bedeutet ei
sein Ungliiai
Seit see jene bitterm Leiden ihres
einzigen, init einer harten Entf.:gung
endenden Liebestonan- durchge
tiienpft und dann überwunden hatte,
war der Bruder ihr Ledensinhatt ge
worden. Ihre Neigung ging weit hin
aus iider die Grenzen auch der hinge
bendsten Schwefternlieve. Sie liedte
in ihm ihren Vater, ihre Mutter wei
ter, er bedeutete fiir sie den Begriff
«Iomilie", zu welchem ihre Seh-ve
fter Renate nur ein ganz nebensächli
ches Anhängfel dildete. Jeden Ehr
geiz, den fie sonst etwa fiir sich und
einen Gatten gehabt haben würde,
hegte sie nun fiir den Bruder.
Als et «uttg war, wählte sie un
aufhörlich site ihn unter den Töchtern
des hohen Adeli die schönsten und
reiehsten und vermählte ihn in ihrer
Phantasie. Wenn er einmal ein ern
stes Jnteresfe fiir diefe oder jene fun
se Dame zu zeigen begann. sörderte
hervete die Suche gleich fo übereifr .
dass entweder ihr Bruder oder de
fange Dame den Geschmack daran
verlor.
See war mich des Bruders Par
teisenofsin und fühlte «freitonfervn
fid« bis in ihre leyten Gedeinten hin
ein. Uettn eine ruu sich um Politit
Ieise-imst. tut e ee gleich mit Lei
denschon very-te sog aus dek Ler.
eilte erregtee Reichstag-bedauert einen
Genuß wie aus dem Besuch eines
spannenden Dramas. Sie war auch
des Bruders Kompagnvm Während
Renaie ihr hübsches Vermögen in4
preußischen Konsols angeiegi und es
mach und nach ganz aus dem Grund
desih ihres Bruders herausgezogen
hatte, wies Herdeke den Gedanken, sieh
auszahlen zu lassen, immer mit Ent
tiisiung von sich. Sie genoß jeden
wirtschaftlichen Erfolg mit Triumph.
Kutsum, von allem, was das Leben
nur heeanspiilen konnte an den
Strand der Gegenwart, sollten die
desien Güter, die glänzenvsien gerade
zu Buchards Füßen herankommen.
Und diesen heißdewuuderten Bru
der, dessen Dasein sie in solchem Lie
deseiser nachledte, den sah sie sich nun
an ein Mädchen hingeben, von dessen
Namen sogar sie alle vor einem Vier
teljahr noch keine Ahnung gehahi
Wen- -
Die Tochter eines leidlich degltters
ten Landedelmonnes, ein junges
Ding von zwanzig Jahren, war nun
schliesslich diejenige geworden. welche
sich diese viel ersehnte Stellung er
rang. Sie wurde Grösin Gener.
Verdele fühlte sich oon Erschiittes
rung überwältigt. Tränen traten in
ihre Augen, sie saliete die hände und
sah das Paar an.
Jhre Schwester Renate sah die
Tränen und das händesalten und
dachte: Natürlichi
Tränen und Andacht hatte man
stch doch di- zur iirchlichen Trauung
aufzusparen. Hier waren sie minde
stens geschmaetlos.
herdete aber wartete nicht erst den
Anolirt des priesterlichen Ornates ab,
um zu beten, sondern sie flehte mit
tindlicher anrunst: Lieber Gott -
weshalb Anna ihn auch heiratet, ob
aus Liebe oder aus einem kalten,
äußerlichen Grund — laß es gut en
den! Dente an alle Leiden, die mir
beschieden waren, und daß ei mir
nicht vergönnt wurde, mir meinem
armen Bello zusammenzukommen
Last dafür Burchard sehr glücklich
werden!
Das Brautpaar hatte sich dem
Tisch genähert, hinter dem nun here
Wolf Weber von Pallau mit rotem
Gesicht und gänzlich auseinanderge
ströubtem Bart stand.
Baron Fred hamrnerrisL um eine
Kleinigkeit-srischer und weniger dor
nehm aussehend als sein Bruder,
stand in einer Haltung voll undurch
dringlichen Ernstes hinter dein Gra
sen Geyer. Die Sonne schien Herrn
Ired gerade aus« Haupt und liesz die
Sorgfalt ertennen, mit welcher dir
dunkelblanden haare über die begin
nenre Lichtung oben aus dem Wirbel
verteilt waren.
hinter Anna stand ihr einziger
Bruder Donat, ein überlanger blon
der Mensch oon weichlichem Ausdruck
Alle Anwesenden waren voll Er
wartung, wie Herr Weber oon Pallau
sich aus der Afsare ziehen würde. Er
tat es iiderrafchend kurz und sachlich.
Er beschrönite sich aus alles Vorge
schrieden-. Dann unterschrieden das
Paar und die Zeugen, und er siillte
den Trauschein aus, um ihn mit einer
etwas zu tiesen Verbeugung dem
Grasen Burchard zu überreichen.
Nun war die bürgerliche Zeremonie
zu Ende. Man hatte verabredet, dlsz
sich teinerlei Gratulation daran
schließen, sondern dasz das Paar und
die Gäste sich gleich i.n Zuge nach»
nebenan begeben sollten, wo schon»
Pastor Ludeie oor einem improaister
ten Altar der Neudermählten harrte»
Waldemar össnete nun auch-breit
die Iliigeltiiren zur «desten Stube«.l
und zugleich ertönte oon drinnen znrs
tilaoterdegleitung ein plarrender Ue-»
sang. Ein Dunend Schuljungen aus
Pallau, in Sonntagotleidern, mit
Ilotenblättern in oersrorenen Fausten,1
standen in einer We zusammenge
driingt und sangen eiserooll und
saltch, während der Küster am Kla
vier rechts dor der Wand, hestig mit;
dem Zions nictend, seiner Schar den
Takt angad. I
Geradeaus vor einem weißu:nlleis»
oeten Altar« ven Blumen und been
nenve Kerzen ziekten· stano Pastot
Lüdete mit gefalteten hänoen unv«
wartete in einer haltung voll ve
schaueelichek Ruhe oek Neuoecmähli
ten. Er machte leine Redensarten, ge
dachte mit einem guten Wort dee oeei
stotbenen Frau von Anstatt-, uno oot
allen Dingen: er machte es kurz.
Dann tam das große Glückwüns
schen, das die Gestalt Eines otangools
len Dukcheinnnoees annahm· —- heet
oon Linstaw ließ sich von seinem tm-»
posanten Schlotegersohn umarmen
und dachte geöngttigt, daß ee einige
passenoe Worte sagen musse, die et"
aber nicht sont-. Dann küßte ek seine!
Tochter, ward von Rührung plötzlich
lägekmetnnt und wischte sich Tzänen
a .
Derdete und Renate umarmten und;
küßten das Paar. Auch vie Pattoein
und Icau oon Pallau umarmten:
Anna. Uesche oon Pallau aber hing»
lange laut schluchseno an Annats
VII-. t
Dieser Jammer ihrer Tochter
rührte wieder Jena von Pallau; wel
nend sagte sie: »Ja, sie Tini-' doch zu
sammen ausgewachsen unv sle waren
doch so desteundetl Und nun reißt
das Leben sie auseinander«
«Weed' und mach’ glücklich, Anis
nas« sprach ver sung- Wolf oon
Baum-, indem A the fest die dank-s
fchitttelte, »und las unt die Alten
bleiben. ugmdfreunbfchaftl Dein
Mann mu begreifen —- das binbet.«
» »Sie werden in meinem haufe
ftets ein willkommner Gaft fein; ich
hoffe, daß Anna fich Fraulein Ur
ula und Sie recht bald einiäth
sagte Graf Burchard verbindlich.
i Dann feste man fich zu Tifch.
Rechts vom Paar der Pator mit
lGräfin Nenate, links Griiin her
dete mit Denn von Linftow. Wenn
es Verdeten auch einen Augenblick
ärgerlich war, nicht neben ihrem Bru
der In fihen fo begriff sie doch fchnell
den Vorteil, der darin lag, Herrn
Weber von Pallau den Vater an ihrerl
recht Seite zu haben. Er war fo
mittzfnm und harmlos. Er sprach,
ohne daß man mit vorsichtigen Fra
In an ihn beranzufchleichen brauchte· (
ielieicht kannte und beheerfchte er
auch gar tein anderes Thema, als
feinen Beruf und den lieben Nächsten.
Es wurde fchnell recht laut bei
Tifch· Das leidlich lange Zimmer
war gerade oon der Hochzeitstafel gut
ausgefullt, auf der mehr und ioftbas
reres altes Silber zu fehen war, als
Herdele erwartet hatte. Den töftlichen
Blumenfchtnuck des Tisches hatten
Herdete und Renure aus Berlin fchits
ten lassen.
Fiir vie Familie Weber von Pallau
war es selbstverständlich, daß man
sich aus einer hochzeit amiisieren
müsse. Sie sorgtef enn auch in erster
Linie siir den -; ichen Stimmen
1ärm. Wols » machte gewisser
maßen der Ba «-Hammerriss den
Hof Aber He beobachtete daß
diese ihrein Schwager Egvn seltsam
duldenve und totette Blicke zuwars,
als wollte sie sagen: Jch halte dies
gezwungen aus, viel lieber säße ich
bei dir.
Frau von Pallau schrie der Pa
stvrin eine Mitteilung iiber ihre
Leutetiichin ins Ohr. Ursche hänselte
ihren Tischnachbar Donat und wollte
sich tvtlachen, weil er ihre Späße
nicht immer gleich verstand.
Der Pastor ließ das Brautpaari
leben. Sein Toast war eine wenig;
veränderte zweite Auslage seiner
Trauredr. Dann widmete er sich mit
völliger hingabe dem guten Essen.
Was sur eine Hochzeit! Was siir
»eine Hochzeit! dachte Renate und sah
von ver Seite ihren Bruder an. i
Aber er saß unbefangen, freund
lich. bemerkte scheinbar gar nichts
Außergewöhnliches und sprach fast
limmer halblaut in ritterlicher Hal
tung. gutig, doch nicht geschmaetlos
Izärtiich mit seiner jungen Frau. Und
IUnna lächelte, freudig, aber doch mit
einer gewissen Gelassenheit. Sie
schien ihre Erregung besiegt zu haben.
Sicher und stolz saß sie da, so schön
wie noch nie.
i «Donnerwetter,« sagte Herr Wolf
lvvn Patiau Vater zu Herdeke, »so
ne schone Braut sieht man selten.
illnd was das Beste ist: glücklich sieht
sie aus Na, ich gvnne ihr das. Meine
»arme Freundin, die Linstvw, und
meine Alte hatten sich ja immer aus
gedacht, daß aus dem Wvls und der
Anna ein Paar werden sollte· Das
ist nun anders gekommen. Der Ben
gel hätt· sich ja auch nicht vvn sern
an sie ’rangetraut. Jn der Jugend
sreundschast kann man gut Kanierad
zusammen sein —- das ist wieder was
andres als heiraten. Und als Mann
shätte er ja wohl auch gar nicht zu ihr
gepaßt... Sie trinken ja nichts,
siorntessr. Zu veiii Rotfpon können
Sie oreist Vertrauen sassen... ich
hab’ unsre-i Freund Linstow bei der
Wahl beraten.'·
«Dante." sprach Heroeie und ließ
sich ihr Glas siillen. »Aber warum
hätten denn Jhr Herr Sohn und
Anna nicht zusammen gepaßti«
»Ach Gott,« meinte er sast ent
schiitdigend, «wisse-n Sie —- er ist ja
mein Einziger und mein Stainnihals
ter — er ist ein ausrechter Kerl, stei
ßig, tiichtig — klingt wunderbar,
wenn 'n Vater sv was sagt: ich achl’
ihn, wie sonst teinen andren jungen
Mann. Aber die Anna hat oon tlein
an immer gesprochen, dasz sie blosz
einen ganz bedeutenden Mann nimmt,
so einen, vor dem andre Männer sich
als zweite Garnitur vorkommen. Nu
und so ’n Mann ist ja ivoll mein
Junge nicht. llnd dann auch: erstinal
haben sie als Kinder sich schon mit
all ihren Unarlen gekannt; zweitens
haben sie’s iiiinier gehört, dasz sie«inal
Braut und Brautigaiii werden soll
ten —- und da was- sa von vorn
herein verpsiischt. Kein Reiz der Neu
heit — teine Ueberraschuiigen. Wo
soll da die Liede hertonimen! Und wo
Anna was Extra-i ist und was Ex
tras will.«
Also vielleicht in einer Anwands
lang oon Madchenroniantit hat sie
meinen Bruder genommen, dachte
hervete und sah die junge Frau an.
Eines war gewiß, ihre Erscheinung
und ihre ganze Art ließen sie als ein
Wesen erteiinen, das recht wenig zu
ihrer ganzen Umgebung gepaßt haben
mochte. Vielleicht war Anna ihrer
Mutter nachgeraten. Die Frage ließ
sich ohne Jndiitretion tun.
Als herr Wols sein Rottveinglas
wieder einmal in behaglich genuszvols
lem Zuge langsam geleert hatte, stag
te Herdele: »Wie Sie begreisen wer
den, wollte ich Anna gestern und hent’
morgen nicht noch unnöt« weich ma
chen durch Fragen nach i rer Mutter,
aber ich mischte wohl wissen, ob Anna
ihrer Mutter seht glich« und woranI
die Frau so früh strika l
»Die ist an ihrem Mann eingeganq
gen," taunte Den von Pallau, wäh
rend er sich so nah zu Herdekeu her
abueigte, daß die ganze Tafelkunde
merken konnte, et sage etwas Ver
trauliches; »das heißt: auf deutsch
gesprochen. Auf mediziniich gesagt,
hat sie ’ne Lungeuentsiladung gehabt.
Aber da war kein Wille und keine
Kraft zum Bessern-erben Aufgezelnt
durch das stille, tägliche Elend. Sie
tennen ihn ja erst seit gestern. Aber
»so viel Blick hat ja woll ’n jeder,
»das zu sehen: hat kein Rückgrat, der
iLinstatm Alte Familie. Es gibt sal
»che, die degenetieken, weil sie zu toll
Hat-auflas leben. Es gibt andre, die
"veriumpfen, weil sie gar nicht leben.
zhaven sich nie betätigt, die Lilith-tos
JNicht in der Politik, nicht in der
iLaavwiktschafy nicht beim Mtlität.
lSa hingewukzelt —- mokalisch einge
schlafen. Und der Donat aktet nach
ihm. Schade!«
«Also Anna glich ihrer Mutters«
»Nicht so justament. Von Ansehen
—- ja. Aber sie hat nicht so die Cr
gebung zum Stillhalten wie die Mut
ter. Die arme Frau oon Linstow
konnte nichts durchseßem alle ihre
Wünsche, alle ihrs Pläne zerbrachen
an der Geistestriigheit von ihm. Wis
sen Sie, solche Männer sind schlim
mer als Wüteriche unds Tyrannen.
Jst, als wenn Sie überm Moor ge
hen sollen: saeten 'rein! Ueber Fels
tann man klettern, dnrch’n Dornen
diclicht lann man sich schlagen, aber
über Schlammgrund lommt man
nicht weg. Zuleßt gab die Frau es
auf, sie ließ alles gehen, wie es woll
te. Und Anna, seit sie erwachsen ist,
hat gar nicht erst versucht, einzugrei
fen. Jch hab's immer zu meiner Al
ten gesagt: Die Anna ist zu klug, die
»siingt so’n nutzlosen Kampf nicht erst
»an nnd deattx Jch geh' ja doch bald
aus dem Haus. Und das hab’ ich
auch immer gesagt: Sie macht mal
'ne aparte heirat.« «
Herdele hörte all diese Vertrau
lichleiten mit Herztlopfen an, wäh
rend sie ein lächelndes Gesicht machte,
als plauderte ihr Nachbar über ton
ventionelle Dinge mit ihr.
Nun glaubte sie zu wissen, aus
welchem Grunde Anna die Hand
Burchards so ohne Besinnen ange
nommen hatte: sie hatte an ihrer
Mutter die stille Tragit gesehen, die
darin liegt, wenn das Leben einer ed
len, begabten Frau an der Uniahigs
teit des Mannes zerbricht. Sie suchte
für sich ein andres Los. Sie suchte
vor allen Dingen einen Mann, zu
dem sie emporblicken tonnte. Das war
gewiß tein unedler Grund zur Hei
rat. Aber es war keiner, der im Her-.
zen wurzelte.
So hatte Burchard sich vielleicht
noch alles erst zu erobern, was er»
schon zu besitzen glaubte. Konnte ihins
das gtlickent Konnte er nicht an die-»
ser Aufgabe scheitern, lroy aller sei-»
ner Vorzüge?
»Eine frohe Jugend scheint die arij
meAnna nicht gehabt zu haben,«i
sagte Verdele noch. s
»So so, la la,« antwortete Herr-s
Wolf. «Kinder, die auf dem Lands
aufwachsen, haben immer Freude
auch wenn's im Elternhaus nur
trübselig hergeht. Und Anna war ja
diel bei uns. Fast alle Tage. Wir
sind fidele Leute« kann ich Jhnen fa
gen. Und wir flenneii nicht gleich,
wenn mal ’ne schlechte Ernte kommt
Das nächste oder überniichste Jahr
gibt’s ’ne bessere. Der alte Pflüger
da oben, der den Acker der Mensch
heit fort und fort umtrempelt mit
seiner ewigen Pflugschar, der sorgt
schon dafür, daß alles wieder nach
oben kommt, was mal ’runtergewühlt
war. Wicht wahrs«
»Gewiß, gewiß,« bestätigte Herdele
und fügte aus ooller Ueberzeagung
hinzu: »Welches Glück für Anna,
daß sie Jhr haus halte! Möchte diese
schone Freundschaft weiter bestehen!"
.Wir sind einfache Leute,« wehrte
Herr oon Pallau ab, »wer weiß, ob
wir der Gräfin Geifer noch in ihre
Kreise passen. Sie tonimt ja nu in
die große Welt. Was meine Ursche
freilich anlangt —- die laßt nich lot
ter, die schwarnit zu heiß für Anna.
Die wird sie wohl bald mal besuchen
wollen. Und der Bengel, der hols,
hält natürlich auch was oon ihr...
Gott« wenn man zusammen Birnen
gestohlen hntl Wissen Sie, ich hatt’
im sinlthaug ’ne neue feine Sorte
Trug zum ersten Male iechg Birnen.
War bei Todesftrafe zedermann ver
boten, daran zu gehen· Und eines
Tages sind alle sechie ·utfch. Der
Gärtner wollte den Jungen und die
beiden Mädels zusammen aus dem
Kalthaus haben kommen sehn Nu«
ich die Gören vors Forum gekriegt.
Lügen ist nich bei meinem Wolf. Also
sagt er: »Ja, ich habe die Birnen ge
gessen. Aber ich allein.« Diese letzte
Aussage rechnete er nicht als Lüge,
sondern als Ritterpfticht. wie er spä
ter gestand. Ja· das war eine Ge
fchichte."
Und in aufwnllender Rührung sag
te er nach einer tleinen Pause: »Von
den Birnen cnuß ich doch der Anna
künftig alle Jahr ein Körbchen sen
den - ich hab’ nämlich nun zwei
g.oße Bäume von der Sorte...«
Unterdeö war das Mahl bis sum
Dessert vorgerückt. Herr von Pallau
wies den aufwartenden Lohnbiener
an, dem Fräulein im himheerroten
Kleid die Schale mit Schololaden
und Konsttliren noch einmal anzu
bieten und am besten die Schale vor
das Fräulein hinzusiellen. »Wie ich
Ursche kenne, steckt sie sich was davon
ein,« sagte er vergnügt.
Die Baronin hammerriss ließ über
den Tisch hin ihren Schwager an
einem Knallbondon ziehen, der durch
aus nicht zerreißen und knallen
wollte.
Die Pastorin fragte, wann das
Paar adreise, und Frau don Pallau
ries in das Hörrohr hinein, daß es
wohl bald Zeit siir Anna werde, sich
umzuziehem der Zug gehe um Sechs
und sie hätten doch fast Fünfdiertels
stunden im Schlitten bis zur Kreis
stadn
Da lam Waldemar mit einem Tre
dreit voll Depeschem Das Postamt in
der Kreisstadt hatte vom Grasen
Geyer den Hinweis erhalten, es möge
sooiel einlansende Glilawnnschdepei
schen wie möglich sich ansammeln
lassen und diese dann aus einmal sen
den.
»Vorlesen!« rief Frau oon Pallau.
Ursche und die Baronin Hammerriss
llatschten zustimmend in die . linde
,Was sur eine Menge Depe chen,«
sprach Herr oon Linstow und hatte
Unruhe, daß man ihm, dem Braut
oater, die Arbeit, sie dorzulesen, zu
muten tönnte. Wolf, der Sohn, dem
die Ungeduld schon in allen Fingern
saß, nahm sich, einfach an der Ba
ronin Nadine dortiberreichend, das
ganze Teebrett mit den Depeschen.
Er las in ernstem, respettoollem
Ton, jedesmal sich besonders zu dem
Grasen Burchard wendend, die Glück
wünsche, die aus dem Kreise don des
sen Parteigenossem Gutsnachdarn
oder entfernten Verwandten lamen.
Handelte es sich ader um Bede
schen, die aus dem Kreise der Gegend
stammten, don Freunden der hier der
sammel·ten Familien, trug Wols sie
mit tomischem Pathos dor, und die
Tischgesellschast lachte und ilatschte
dazu Beifall. Namentlich llrsche und
Donat wollten vor Vergnügen «ster
ben«.
Auch Graf Burchard lächelte.
»Troy der schönen und sast reisen
Männlichteit seiner Erscheinung hat
der junge Pallau noch etwas von
einem großen Jungen,« sagte er zu
Anna gewendet.
«Ja,« antwortete sie bestätigen-,
«er ist mit seinen sünsundzivanzig
Jahren noch so tinolich. Noch nicht
aufgewacht. Aber das liegt in der Fa
milie. Das haben die Pallaus so an
sich. Vielleicht bleibt er so und wird
wie sein Vater.«
«D·u liebst die Familie.«
.«O natürlich sehr,« sagte Anna.
Aber es klang so nebensächlich Es
war tein herzenston in der Antwort.
Das nahm den Grasen Burchard
wunder. Er hatte geglaubt, daß ein
junges Wesen wie Anna sehr eng mit
ihrer Umgebung verwachsen sein
müsse.
Aber nun lentte Wolf wieder alle
Aufmerksamkeit auf sich. Er räuipertei
sich sehr bedeutungsvoll. Dann sah er;
Nabine hammerrisf an. Darauf Ursj
sula undkAnna und hielt eine Deoes
ehe breit geöffnet und straff zwischen
einen beiden Händen.
»Von weni? Von wem?« schrie
Mich-« .
«Naten!« l
»«Minnen wir nicht,« sagte die Ba
ron-m !
«Ratenl« befahl er noch einmal.
Da wußte Ursche es. Sie wurde
dunkelrot, und ihre Stimme tlang et
was unsicher, als sie nun jubelnd
rief:
»Von den Leutnantst"
Er ais-tie
Die Baronin lächelte interessiert.
Aller Augen hingen an Wolf.
Renate hatte bei jeder einzigen De
pesche, die oorgelesen wurde, stets ihre
junge Schwijgerin beobachtet. Ob
Anna geschmeichelt lächelte, wenn gro
ße Namen zu Gehör kamen —- das
wollte sie feststellen; oder ob Anna ir
gend welche besondere Rührung nnd
Freude verriet, wennlBelannte aus
ocr Gegend ihr Grüße tchickten.
Aber diese junge Frau blieb immer
gleich gelassen und lächelte zu allen
Depeschen dasselbe tonventionelle Lä
cheln.
» Jetzt aber —- Renate sal) es genau
»—— jetzt veränderte sie ihre Farbe.
Ihre Nasensliigel bebten. Jht Bliä
schien dunkler, leuchtender uno doch
härter zu werden. Er hing an Wolf
—- in siebrischer Spannung, wie es
Nennten schien. Was heißt dass dach
te diese.
Nun las Wolf:
»Ist dankbarer Erinnerung an die
schönen Manövertage gestatten sich die
Unterzeichneten der Grösin Buechard
Geyer die oerehrungsaollsten Glück
rviinsche darzubringen, sowie den Fa
milien Linstow, Hammerrisf uan We-!
bet von Pallau die herzlichsten Fest
grüße « senden. Bülow, Nibeet, Las
sen, Burg-, Runnu, Norinann.'«
Die Baronin, Frau oon Prrllach
Ursnla und Herr von Pallau klatsch
ten in die händr.
»Was denn? Hör ich recht?« sragte
die Gräsin Nenate ihren Tischnachs
bar, den Verstor, »Notmann9 Unser
Stephnn Normannt War der hier in
Quartier?«
»Aus Pallau, mit vier Kameraden.
Hier lag nur ’ne halbe Kompagnie
mit Deren von Lassen und Baron
Prags. Pallauö hatten vier Herren
und den Major. hammerrisss auch
’n paar Leuten-tits. No, das waren
vergnügte acht Tage. Und Leutnant
Norniann schoß den Vogel ab bei den
Damen —- dae niertte man so Tau-B
erzählte Pastor Liidetr.
Renate wandte sich zu ihrem Bru
der und störte ihn in einem Gespräch
mit seiner Frau: »Die kennen er
Stephan. hast du das nicht gewii is
So was interessiert einen dochk
»Es-»den sprech’ ich mit Anna davon.
Mir fällt eo nun wieder ein, daß
Stephan iii seine-is Gliiawunschschreis
ben erwähnte, er sei hier herum in
Quartier gewesen und habe die Ehre
gehabt, Anna von Linstow damals
oorgestellt zu werden«
»Das weite doch starl.« sagte Re
nate, zu schnellem iind scharfen Tadel
bereit, »wenn der Junge seine ganze
Anteilnahme heut in dem Sammel
telegramm ausdrückte.«
- »Wa» es doch ah!««
Inzwischen las Wolf weiter. Ein
halbes Dutzend Depeschen wurde »An
gehört ohne Zeichen von Jnter e.
Ursula und die Baronin ienierhiei en
sich flüsternd darüber, weshalb Wh
diese sechs Ossiziere ein Tetezeasin
zusammen eingelassen hätten. wickelt
men zu dem Schluß, dasz ein Friihs
schoppen sie wohl zusällig vereint
hatte.
Dann räusperte Wols sich nochmals
sehr tiinstlich und start und sah spie
der seine Schwester neckend an, ehe
er las:
»Graf und Gräsin Gener. Tausend
gute Wünsche sendet Stephan Nor
inctnn.'«
»Katz; und bündig.« hemertte Graf
Burchard lächelnd.
»Gott —- so ’ne Art Verlegenheiti«
meinte Herr von Pallauz «geht mir
auch so, bin immer rein wie aus den
Mund geschlagen, wenn ich stimme
ren oder tondolieren soll." ;
Renate sah zu Anna hin. Sie
wurde wieder rot — teiii «wettel.
Was will das sagen-i dachte Henair.
»Aus der Senhiion die der Reine
Norniann hier ani Tische macht,
»schließe ich, daß unser Junge hier ge
.ivisserinaszen eine Rolle gespickt hat
iin letzten Manöver," sagte hetdeie
Herrn von Pallam
«llnteugdar! Die hunmieriisf
schniachieie... na, ilsr Mann ist sa
ivoll weiter nich eiiersiichiigt Und
meine tlrsche war direkt iii ilsii dek
lnuui, ist es dieueichi noch. öchudet
nichts — so 'n kleines Slculsseuer
iiiusz iiial sein. Kam riiik togai dot,
als od die Anna chii gern Ititze —
war iiaturlich ein Jrriuin Was aber
den Yldrinaiin veiras — der dtteb
merkwürdig tilhn Gott -— iiietne
Ursche ist Ia teine Beeintr. Aber wenn
die Nadine Haminerriss Augen machtt
...Und denn to in 'ni Mauer-en wo
niaii doch als Leuinaiit gewisser-nu
ßen das Recht nat, alle Blumen am
Wege zu psliicten, die einen anla
chen . . ·'« «
Die Griisin Herdete seufzte.
Sie hatte sei eine Ahnung« welche
Grunde Steplsan Ytorm.inn gleichgül
tig gegen alle Frauen und Mädchen
niachie... lliid ihr Seuszer war uin
so schwerer, weil sie sich deiouszt sein
miiszie, daß itsre eigene Guiiiiuiigtett
den jungen Mann iiiit jener zusam
mengesuyri hatte, deren schdiie tlugen
ihni diinii osseiidar gesähriich gewor
den. Ithier schließlich hatte Steplsan
doch Verstand! Er toiiiiie doch nie
mals iiii txrnst einen Uhu fassen,
dessen Ausführung seine ganze Laus
batsii vernichten iiiußtel
Herr ddn Pallau wollte nun genau
wissen, durch welche Faiiiilieiideiziueis
guiig der Oderteutiiani Yturinann niit
den Genug verwandt sei·
»Das ist eine ganz einfache Ge
schichte,« begann Herden-, «uiiske
Cousine Stedyanie, die Letzte eines
Nebenziveigeg der Geisen heiratete
einen Künstler. Man bauschte namalö
den guten Musitlehrer Nuriiiunu zu
einem Genie aus. Nichts leichte-, all
einem Menschen den Glauben beizu
bringen, er sei eins. Da hat er denn
Steptsanirs kleines Vermögen dettotns
ponieri. Wenn eine Illdrmuniische
Oper an irgend einer Prodinzdiihne
ausgeführt ward, sagte ich immer-: ich
hör' die Goldstücke förmlich rollen.
Das war wenigstens die wahre Mu
sit dabei. und sie oertlang sahethast
rusch. Als dte beiden tritt-en —- ich
s-g’ Ihnen, wie aufs Stichwort stor
ben sie — als ot) sie was bei ihren
otclen Beriihrungen tnit dein Theater
gelernt hätten —- da war für ihren
armen Jungen nichts met-r du« Wir
wußten nur durchs Hörensngen oon
ihm. Aber Buechard reiste hin, brachte
ihn ins Kndettenhnns und hat auch
weiter siir ihn so quasi den Vater ge
spielt —- bis ntts den heutigen Tags«
Herr von Pullnu hörte mit unoers
hohlenem Jntcresse zu. Wenn der
Oberleutnnnt Normann mich nicht tm
geringsten aus Ursulas oftentundtge
Schwärnierei reagiert hatte... man
konnte immerhin nicht ivisjen... und
so standen sich die Weber-l oon Ptillau
denn doch, daß die einzige Tochter sich
einen armen Letttnnnt wählen durfte«
wenn sie ihn ernsthgst liebte. —
Utn den Tisch tunc tun große Un
ruhe. Jeder sah ein, daß es Zeit Iei
stir Annn, sich ttztizulleiden, aber hetr
oon Linstow dnchn nicht dami, die
Tasel aufzuheben hervete sagte es
ihm zweimal.
Fortsetzung solgt.)