Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 17, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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    Tisch Vzixkclautx
Roman von Rudolp- Stroh
(10. Fortsesunw
Dann zündete sie das Weihnachtis
häusliches nn, feste sich daneben und
wartete. Sie wollte Chneley damit
siibeemschen Sie wußte: er war nach
seiner gesehten Art die Püntttichteit
seiden Schlag sieben kam er. Sie
hörte seine Stimme draußen in der
Halle. Dann zu ihre-n Schrecken eine
zweite. Das wnk nicht der Diener.
Das wot ein seecndee, weiches Bari
ton. Sie sprang aus« sie eiite Karl
Feddeksen entgegen, der den Kopf
durch den Tiikspalt steckte.
,U1n Gottes willen, Du hast doch
keine Gäste mitgebracht?«
»Mir einen!«
Er lächelte harmlos. Er begtiss
nicht, was sie wollte.
«Wo Du mit in die hand verspro
chen hast, daß wir heute...«
«Ein einzelner Mensch stött doch
nicht« Es ist doch nuk dek Vetter At
phonset«
Leiber am Weihnachtsodend . . .«
»Ich hnb’ nachher wichtige Geschäf
te mit ihm. . das hilft nun nichthh
Roms-s nur herein, mon chec. . J
wie ich Dir gesagt hab'! Du kommst
n la sottune du pot .. "
Alphonse Feddersen trat ein. Auch
noch gerade dieser Gast! Sie hatte ihn
in ven sast zwei Jahren ihrer Ehe
erst einmal sluchtig gesehen Sie ent
sann sich seiner laum mehr. Nur sei-;
net iiblen Russ. Aeußerlich merlte»
man ihm ben nicht an. Er war einf
großer, schlanter Mann. nahe an den
Vier-Um viel dunkler als hie blande
Hauptlinie ver Feddersen, mit mass
gerein, lönglichem Gesich:, weichen»
schönen Augen und spiggeschnitteneins
Wollt-act Er hatte eine lächelnde Art»
einein die hand zu tiissen, guten
Abend zu sagen, einen anzusehen —J
gar nicht breist — nur so selbstversl
ständlich. als habe man schon einens
Schessel Salz miteinander gegessen.:
Er tat, als mektte er Ihre Unruhe;
und Bliisse nicht. Er setzte sich. wish-;
rend Karl Feddersen sich entfernte
um sich umzuziehen —- er selbst wars
schon im racl —- und bewunderte;
sosart den hristbaum, den jener noch»
gar nicht beachtet hatte. Er hatte et
was KindlichsErsreutes gegenüber
dem Lichterglanz. Er niate der haus
srau gutmütig zu, alt- seien sie beide
vie einzigen Menschen in Paris, die’
dasiir Sinn besahen. Er rückte ver
traulich näher-. Sie möge ihm doch»
von zu hause erzählen. Von Weih
nachten dort. heute, an oem heiligen
Abend seien ihre Gedanken gewiß bei
ihren Lieben daheim. Seltsam, ioie er
ihre Stimmung erriet. Jhr Mann
wäre nie daraus gelommen. Eigent
lich gesiel ihr Alphonse Feddersen
trotzdem nicht. Sie war froh, als
Chorles zuriäcktehrtr.
»Schon mal an! Da hast Du Dir
ja auch einen Christbaum gemacht!«
wars er leicht hin und setzte sich.
Jhn interessierte diese Spielerei
wettet nicht. Er sah aus die Uhr.
Man konnte gerade vor dem Eisen
noch das Geschiistliche erledigen.
«Ja, lieber Vetter-was die Guin
misAttien betrisst,' sagte er achselznts
tend. »Da tann ich Dir nicht helfen.
Du mußt in den sauren Apsel beißen.
Du hast sie nun einmal zu dem da
maligen Kurs lombardiert... Ich
weiß, hie Papiere steigen harrend!
Aber trohbem . . .«
Margnrete hörte still za· Vor ihr
lnisterten die Weihnachtslerzen unb
erloschen allmählich«. Es war ein
zarter hnuch von Bienenwachs nnd
Tannennadeln.·. daheim sangen sie
jetzt »Stil« Nacht, heilige Nacht. .«
»420 Brief meinst Du höchstens-«
sagte ihr Mann neben ihr laut und
laltbliilig zu seinem Gast und wehte
dabei mit der hand den haftenden
Qualm des Christbaunts von sich ab.
Die sunge Frau erhob ich stumm und
blies selbst die letzten Kerzen aus
Katl Febbersen beachtete es nicht.
Aber sein Vetter Alphonie sah sie
soncerbar mitleidig nn. Der Diener
meldete «Madame est seroie!« Sie
äing stumm am Arm des Gastes zu
-isch. Sie hatte Mühe, ein Weinen
der Mutlosigteit zu unterdrücken Sie
hatte sich diesen Abend so anders ge
bacht... sie banlte ihrem Schöpfer,
baß sie nicht viel zu Jeden brauchte.
Der Vetter Alphonse besorgte das
sast allein, in einer leichten, weltmäns
nischen Art. Er erzählte von Monte
Carlo, wo er seht, wie gewöhnlich, ge
wesen, von Argumen, wohin er in
nächster Zeit liichten wollte — ganz
amiisant — eutsch und Französisch
durcheinander-, wie es ihm gerade ein
siel. Im Deutschen sehlte ihm zuwei
len ein Wort· Er hatte überhaupt
nichts Deutsches an sich. Auch nichts
e« entlich Welsches. Er sah unbe
st tnmt egotisch aus —- eine Mischung
von Nor und Südländer, die liber
all Fi ehiiren konnte. Er besaß un
ztvei el st mehr allgemeine Bildung
als die andern Febbersens, hatte mehr
gesehen und erlebt. Ein eigentümliches
ututtitigiieonisches Lächeln schwand
auni von seinem Gelt t. Er düntte
sich offenbar den brei riidern liber
.Wyi»e die Drohne ben Arbeits
Noch aufgehoben-r Insel sing Karl
Feddersen hiniiher in sein ehrst-la
dinett. Die Zigarren. die der Diener
gebracht, paßten ihm nicht. Er hatte
da eine neue Marte in Glasriihren,
direct nat der hat-onna Margarete
war mit dem Vetter in den Vorder
riiunten allein. Er machte aus einmal
einf Armensiindergesicht und stand
au .
»Er-te Nacht, Kusine!« versetzte er
dann rasch und geheimnisvoll »Grü
szen Sie Charlenl«
»Sie wollen doch nicht schon sort7«
»Erstens mißfnlle LI) Jhnenl«
sagte Alphonse Feddersen mit uner
ichiikterlicher Ruhe. »Widersprechen
Sie nicht! Seien Sie slohl Es ist
ein schlechtes Zeichen, wenn ich einen
guten Eindruck machet Und zweitens
ist hier jeder Dritte zuviel. Das sieht
ein Kind· Nur der Gliiciliche selber
nichtl"«
Er zog sich lächelnd zur Tiie zu
rück. Dort hatte er aus einmal das
Bedürfnis, sie noch ktröstecn
»Sie diirsen das dem guten Char
ley nicht iibel nehmen. Stimmungen
stehen in seinem hauptbuch nicht« Er
denlt immer: zwei mal zwei ist vier.
Alle Feddersen denlen dasl Ader er
ist eine Seele von einem Menschenl«
Er lächelte wieder, verdeugte sich
und verschwand Er beeilte sich so
wegzulonimem daß sie ihn schon»
draußen aus der Straße mit hochge-!
schlagenem Pelzlrngen, den aninderl
ties in der Stirne, durch den Schnee
zum nächsten Absiieg in die linker
grundhahn waten sah, als Karl Fed
oersen mit den Zignrren in dns Zim
mer trnt und sich erstaunt nach Ali
phonse umschnutr.
»Er ist tliiger als Du," sagte sies
müde nnd fuhr sich mit der Hands
iiber das Haupt, als wollte sie da al-;
lerhand trübe Gedanlen verfcheuchens
»Er hat gleich gemerkt, daß er nicht;
hätte mitkommen solle-il« l
»Kilrrststiiekl... Bei Deinem Ge
sicht!« Jhr Mann ging ärgerlich aufs
und nieder. Er fühlte, er hatte schons
wieder einen Fehler begangen. Er«
wußte nur nicht recht, wo der eigent
lich ftak. Vielleicht in der Person des
Bettes-?
»Er ist ja eiu Inauvais iujet!" gab
er zu, »aber..· enfin... leg aifais
ree sont les affaires!«
Sie Zuckte die Achseln.
»Ach Gott!... Jhr tut mit ihm,
als sei er Gott weisz was! Ihr habt
Euch da einen Familienpopanz zu
rechtgemacht in Eurer Philistrositiit.
Wirttiche Taugenichtfe sehen doch
ganz anders ausk«
Karl Iedderfen hatte sich gesetzt
nnd eine seiner Fünffrancg«.-fiaarren
entzündet.
»Jmmerhin.» seit Ende Oktober
hat er wieder ununterbrochen in
Monle Carlo gespielt. Ergebnis:
Eine llnterbilanz von einer Viertel
Million! Er ist wieder einmal fertig!
Nun tönnen wir ihm aus der Patsrhe
helfen! Tuns ja auch. Aber umsonst
ist der Tod."
»Mit seinen weiteren Streiche-I will
ich Dich verschonen!« schloß er. »Man
könnte da Bande erzählen. Da hat er
jetzt wieder mit einer sogenannten
russischen Gräfin . .. nun ..· lassen
wiss . . .«
Er sah ihre Traurigteit. lFr meet
te, dasz ihre Gedanken längst nicht
mehr bei dem gleichgültigen, in der
Nacht draußen verschwundenen Vet
ter waren. Eine Neue wurde in ihm
wach. Er hatte sie irgendwie geträntt
Ohne Wissen. Es war so schwer« sich
in deutsches Empfinden hineinznver
setzen. Es gab da immer neue Winkel
und Rätsel. Zu Weihnachten offenbar
besondere. Aber er wollte es gut ma
chen. Er iiberlegte, wie. Dann hatte
er eine gliietliche Eingebung. Er ging
behutsam, auf den Fußspitzem zu
dein Tunnenbaum und entziindete den
Rest der fast herabgebranuten Licht
fttimpfchen. Das Zimmer wurde ge
heimnisvoll hell. Wieder trachten und
glühten die Nadeln, war Weihnachts
hauch «n der Luft. Karl Feddersen
riiett zwei Sessel zurecht. Er führte
seine Frau zu ihnen hin.
..So... da sehen wir uns nun!«
sagte er verbindlich. «Und feiern noch
einmal en petit romita Euern Hei
ligen Abend!«
Er erkannte an ihren seucht gewor
denen Augen« daß er beinahe blind
lings, durch einen glücklichen Zusall,
das Rechte getroffen hatte. Sie drückte
ihm die Hand. Sie schaute ihn dank
bar mit einein schwachen Lächeln an.
»Er-the heute, Charley... ich war
so traurig... es lag mir so viel an
ten paar Stunden mit Die . . .«
,Er wollte es nachholen. llir forsch
te eifrig:
»Hast Du irgendeinen Wunsch,
Dampf Soll ich Dir etwas tausen?
Spricht« .
Sie schüttelte den Kaps. Er riet:
»Ist es vielleicht das neue haus,
das wir uns draußen bauen wollen?
Nächstes Jahr, wenn die Weisenernte
halbwegs gerät, geh’ ich ganz gewiß
daran. Meine Hand draus. Vorläufig
ist «a hier noch Raum siir uns beide.«
ie sprach ganz leise:
»Wir werden beide bald nicht triebe
allein sein, Charl.«,s« Das ist's was
ich Dir heute sagen wollte...«
Er sah fte an. Dann besriss er.
Er beugte ich zu the und t«szte sie.
Es war stitl irn immer. Nur its-e
Macht-Versen he sixrten . . . «
s .12.
»Meine liebe gute Grete!
Also gleich gesagt: Mutter und ich
kommen nicht zur Taufe Deines klei
nen Charles · Jtpan nach Paris. So
— nun ishs heraus, und mir ist
leichter. Mich hakt- schon die ganze
Zeit gedrückt-und Dich wird es jetzt
betrüben, mein altes Mädel, und ich
bin Dir die Gründe dasiir schuldig!
Wie Ioir ini Juni vor einem Jahr
bei Dir in Paris waren. da haben
wir uns gefreut, Dich in Glück und
Glanz zu sehen. Da war ich vor mir
der Verantwortung ledig, daß ich mei
ne Tochter einem fremden Mann in
die Fremde hinausgegeben habe. Es
ist gottlob gut ausgegangen, und der
gute Charley trägt Dich ja auf Hän
den!
Nun rüstet Ihr also die Tause
Eures Erstgebornent Es wird, wie
Du selbst schreibst, auf Wunsch Dei
nes Mannes ein großes Fest. Eure
ganze Verwandtschaft ist geladen.
Kind — was sollen wir unter den
Millionären? Dein Söhnchen gehört
hinüber in Euer Lager —- zu den
Feddersen! Du schreibst, ich solle auch
Tauspate sein, die beiden Großvater
namen Jtoan und Hans seien dassel
be und Jtoan nur aus Geschäftstäti
sichten vorgesehen! Mag alles sein,
aber schau, Grete: Wenn ich iiir den
Täufliug Ja sage, so übernehme ich
vor Gott und meinem Gewissen Ber
pflichtungeu für die Zukunft eines
jungen Menschenkinder-. Ader tanu ich
das? Ich weiß ja gar nicht, wag
aus ihm wird.
Pano aufs Verz, was ist der zun
ge eigentlich? Ein kleiner Nussei
Russland ist weit und« Du bist eine
Deutsche. Ein Deutscher auch nicht.
Auch kein Franzose, obwohl er in
Paris geboren Ist. Also ein kleiner
Weltbiirger nicht’wahr«k Ihr feid’s
auch! Ihr findet das gut! Jch kann
mich in Eure Stimmung nicht verset
gen. Jch hänge ziih und fest an mei
nem König und an meinem Vater
land. Ich bin damit verwachsen wie
mit mir selber. Jch will mit Degen
nnd Handschuh auf dem Sarg be
graben werden-s und die Glocke der
Jnvalidenkirche soll dazu läuten, tvie
sie schon so manchem alten Soldaten
geläutet hat. Wer weiß, wie bald die
Stunde kommt! lind schan, meine
Tochter-; Deswegen taug« ich nicht zu
Eurer Tausfeier. Mir tut das Kind
leid. Mir tut jeder Mensch leid, der
kein Vaterland hat· Nach meinem Ge
fühl fehlt ihm der Boden unter den
Füßen. Er werd der unmerklichen
Wohltaten nicht teilhaftig, die aus
einer großen Gemeinschaft fließen.
Mag er ein guter Gatte. Vater, Ge
schäftsmann werden -— ihm mangelt
unser Niiekgrat vom Alten Fritz her:
die verfluchte Pflicht und Schuldm
leit im großen! Sprich: fürchtest Du
nicht, daß ein junger Mensch da leicht
eigensiichtig und blasiert wird?
Nun wirst Du antworten: Ein
Deutscher kann unser CharlesJivan
nie und nimmer werden! Höchstens
ein kleiner Franzose oder Russe, wie
das schon seine Vornamen sagen. Das
ist es eben! Am Taufbecken eines Kna
ben, der vielleicht als Mann dereinst
gegen Deutschland und feine Onkel
und Vettern kämpfen würde, möchte
ich, ein alter preußischer General,
auch nicht stehen! Das wirst Du mir
von früher her, als Du noch ein Ber
liner Soldatentind warst und eine
preußische Leutnantsfrau werden
wolltest, wohl nachesnpfindenk
Vlber seitdem darauf kommt es
immer wieder hinaus — haben sieh
Deine Wege von den unsern getrennt.
Und somit auch die Deines Kindes
und Deiner künftigen Kinder- Sei
mir nicht böse, meine gute Grete:
Jch sag« es Dir offen, wie mir's um's
Herz ist. Jch bring es nicht übers
Herz, dabei zu sein« Das Uferlofe,
Unbestimmte bei liuch geht mir so wi
der die Natur. Jch kann nichts liebes
Kind. Jch kann nicht. Jch bin alt
und krank. Es würde mich zu sehr
aufregen! Sei mir nicht bösei Mama
schreibt Dir noch extra! Dich liebt
wie immer und segnet Dich und
wünscht Dir nnd dem kleinen Char
lengwan und Deinem lieben Mann
alles.Gute
Dein treuer Baker-«
Juni zweitenmal sprossen in Paris
die Anstnnienbiiuine in diesen wilden
ersten Septembertngen Sie trugen
rosa Blüten zwischen soinmerkniideni
Laub enn selben Ast. Tag site Tag
überstrithlte die Sonne voin gleichen
blauen hinnnel die Inchende Stadt.
Ein sanfter Wind scheuchte die
Schtviile. Er brachte einen Hauch von
Schatten und Kühlheit des Boulogner
Waldes mit sich, wie er die Vorhänge
un den ossenstehenden Fenstern des
Palaiit Feddersen blähte nnd mit dem
Bries spielte, den Margarete schmerz-v
lich in der Hund hielt. Sie las die
zitterigen Zeilen des Vaters zum drit
tenmal. Sie merkte aus der unsicheren
Schrift, wie nlt er im legten Jahre
geworden. Sie wunderte si nicht iibee
das, tvns er schrieb. Sie ntte es ei
gentlich erwartet. Und doch tat es ihr
bitter weh. Auch oafz Mamn nicht
term. Von sich aus hätte sie es getan.
Sie ließ es in hrem Schreiben durch
blicken. Aber ie hatte ja keinen eige
nen Willen. Sie ging in allen Din
gen des Lebens blindlingö mit dein
Vater durch dick nnd dünn.
Und die Geschtbisteri Gern-nd, die
zweite, hats-l geantwortet, ein Abs-;
cher nach ris- —- ch wäre sei
himmlisch. Aber so alsjlkschenbrödel
dgzusiehen unter den wahnsinnigen
Totletten der dortigen Millionärins
nen, dazu ihr littnrnerliches Pensions
sranzösisch. . · Ebensowenig konnte
Sosie, die Jüngste, eben erst Ver
miihlte, von ihrem Assessor weg.
Adalbert und die anderen Brüder be
lamen als Ossiztere auch schwer Ur
laub nach Paris. Es kostete auch zu
diel siir die paar Tage... lutz...
sie fehlten sämtlich! Margarete dachte
daran, wie sie einst im lleberrnut als
Braut alle ihre Freundinnen zu sich
in die Pariser Herrlichleit eingeladen
hatte. Keine von ihrxeln war je gekom
men, der Briestvechse mit ihnen jetzt,
wo sie im dritten Jahr verheiratet
war, längst eingeschlafen, die Bezie
hungen gelöst. Sie empfand heute
deutlicher als je, was sie nur noch
war, immer bleiben«wiirde: ein An
hang des Hauses Feddersen. llnd da
zu ein unerbetener. Das liesz man sie
nur nicht fühlen, weil ihr Mann sie
schätzte. Sie siihlte, sie wurde miide
an diesen Leuten. Die waren stärker
als sie. Die hätten es auch gar nicht
begkissen, daß sie die ganze Geschich
te anders als rein geschaftlich auffaß
te. Man zappelte nun einmal als
Schmetterling ans der goldenen Na
del. So oder so . ..
Nun war der Tag der Tause. Die
protestantischen Tempel der Seine
stadt boten nicht genug Raum zur
Prunlentsaltung So wurde das Fest
im Palais Feddersen gefeiert. Drau
szen standen die Autos in langen Rei
hen, drängten sich die Gassen Jnnen
blühte und dustete es wie in einem
Gewächsheiu45. Kostbare Gaben für
den kleinen künftigen Millionär lagen
dazwischen, vom goldenen Löffelchen
bis zum Scheel auf die Bank von
England. Auch Margaretens Angehö
rige hatten Gesamtgeschente gesandt,
einen mächtigen, silbernergoldeten Pa
tenbecher, ans dem das Wappen der
Tenfsern, die Taube mit dem Oel
zweig Prangte. Es nahm sich sehr
gut aus. Papa war immer anständig
in solchen Dingen. Zu anständig. Er
gab lieber iiber seine Mittel. Auch
Briese waren von daheim gekommen,
von der Mutter, den Geschwistern.
Der alte Herr hatte nicht selbst ge
schrieben. Er hatte sich, wie er melde
te, beim Aue-gleiten aus der Treppe
die Hand verstancht und diktierte sei
nein Sohn Adalbert. Es waren -nur
wenige Zeilen ockll Liebe und Giitr.
Sie machten Margarete das Herz
schwer· Sie saß blaß und schweigend
während der Taufe in ihrem Sessel
Der schwere Dust der Blumen, der
Parfiitn-3, der Kerzen betäubte sie
halb. Sie hörte wie von weitem die
Stimme des Geistlichen. Sie hatte
immer den dumpfen Gedanken, das
ginge hier seht auch alles ohne mich.
Jch habe meine Schuldigkeit getan.
Der lleine Feddersen ist da. Er ist
nun schon acht Wochen alt. Die Fir:
ma hat ihren Erben. Nun gehört er
schon diesen Großkaufleuten nnd ih
ren Frauen, nicht mir, dem Eindrings
ling. Sie siihlte einen Haß gegen diese
Leute. lessie war zu miide, ihn tan
ge festzuhalten Es war Traurigkeit
in ihr. Ein Abseitgsein Ein Frieren
Ein gleichgültiges Alles-mit-sich:ge
schehenslassen.
Dann entstand mitten in der feier
lichen Handlung ein leises Kichern
unter den jungen Mädchen, Das war,
während Lllphonse Feddersen oor den
Altar trat, der ilbel belenmnndete
Junggeselle, ans dessen Erbschaft
Eharlen dereinst fiir seinen Sohn
hoffte. Daher dessen Wahl als Pate
start Feddersen hatte das seinerzeit
seiner Frau erklärt und sie dabei
triumphierend ans seinen tiihlen blau
en liontoraugen angeblich und sie
hatte sich beinahe geschämt, daß sie
immer noch so naiv war nnd vergaß,
worauf ales im Leben antam...
Geld.... Geld.·.. immer Geld...
Albhonse zog sich im iibrigen sehr
gut aus der Affiire. Mit unerschiitter
licher Wurde hielt er das Spitzenkis
sen. Er war, km Prosil gesehen, mit
seinen scharf geschnittenen liinglichen
Zügen, dem spitzen Vollbart, der
schlankem hohen Gestalt in seiner Art
ein schöner Mann. Und seltsam: so
lange er den Täusling aus dem Arm
hatte, war der mäuilchenstill und schrie
erst wieder, als ihn Madame Madge
Feddersen, die letzte der Paten, an sich
nahm.
Während der FesttnseL die daraus
folgte, verstärlte sich Margareteng
Traurigkeit Sie blickte die Reihen
hinnus und hinunter. Ein Schauer
bodenloser Einsamkeit iiberlies sie.
Nirgendg ein vertraute-Z Gesicht. EinT
Mensch, dem sie nus der Ferne hättel
zunickeu tönnen und der sie ohnei
Worte, mit einem Lächeln, verstand.
Nichts, das aus dem, was sie war,
woher sie karn, aus Rindheitstngen
und Mädchenjnhren zu ihr sprach
Wns hätte sie darum gegeben, unter
allen diesen Fremden irgendwo Pa
pns freundliches, gesurchtes Antlitz,
die stillen, immer noch schönen Ziige
ihrer Mutter zu sehen, einen Blick
der Liebe zu erhaschen, ein wenig
Wärme im Herzen zu spüren. Sie
wäre nm liebsten ausgestanden und
aus diesem Gelächter und Stimmen
gewirr weggegangen Sie hatte ein
wildes Heimweh nach den Menschen
daheim, die wie sie dachten und fühl
ten und sprachen. Aber um sie tlang
tein deutscher Laut. Sie hörte, wie
eben setzt ibr Mann seinem Bruder
Saschä gedäinpft etwas aus russisch
über-den Tisch sagte, mit einem Blick
aus sie. Er sprach dort ihr-« Sit- fuhr
auf. Sie tonnte diese Angemohnheit
Intchtjeideiy sich in ihrer Gegenwart,
Iwie es die Feddersens häufig taten,
in der Sprache des Landes zu unter
;h-.:lten, dessen Untertanin sie war, und
svon der sie doch leine Silbe verstand.«
I »Was haft Du denn da wieder fiirs
Geheimnisse?« fragte sie gereizt, unt-l
LKarl Ieddersen antwortete, absichtlichl
ileichthim
i »Ich erzähk es Dir nachher!M
s Er sah auch zerstreut und etwas
angegriffen aus. Sie wunderte sich
darüber-. Diese auserlesene Tafel hier
war fein eigensteg Wert. Er hatte sich»
ieine Mühe und Kosten verdrießen
lassen nnd aus allen Ecken Europas
Leckerbissen verschrieben, um der Fa-!
milie zu imponieren. Aber nun saß;
er worttarg da. Er aß wenig. Ers
wußte wohl geschäftliche Sorgen ha-;
jben. Margarete dachte nicht weiter.
darüber nach. Sie war froh, daß man
sie selbst in Ruhe ließ. Man beachtete
sie nicht. Man lachte und lärmte um
sie herum . « iiber sie hinweg . .. !
s Dann klopfte jemand an das Glas
)Monsieur Gust.«ve Beinhauer, der
jgrosze Mühlhauser und Pariser Pa
triot, der selbst eine Fedderfen, Al
phonseg ältere Schwester-, zur Frau
hatte, erhob sich zur Festrede auf den’
Täufling. Der hitzige tleine Herr,
mit zwicker und schneeweißem Hemi
quatre, die rote Rosette der Ehrenk
gion in der Frackllappe,«fing heiter
an. Er wolle von dem Zweibund spre
chen. Dem ersten Zweibnnd auf Er
sden. Adam und Eva. Mann n. Frau.
sDieser Bund ist heilig. Durch ihn be
jsteht die Welt. Jhn preisen wir auch
’heute und danken Gott.
s Ein paar Damen lächelten gerührt.
Einige Herren machten unbehaglich
Jgespannte Gesichter. Sie tannten den
stillten und seine fixe Idee. Sie ahn
sten schon den Uebergang.
" Gustave Beinhauer verstärkte seine
Stimme. Er schlug nervös mit dem
sMesser. das er noch in der Rechten
ihielt, gegen die Tischlante. Er lä
;chelte immer noch, aber mit funkeln
den Augen: »Viel-en Diesem Zweibund
ider Ehe, meine Damen und Herren,
lverkiirpert der Knabe, den wir eben
Laus der Taufe hoben. nocl eine ande
re Allianz. Er ist als Nusse in Frank
reich geboren. Das ist wie ein Sinn
bild. Jn ihm einen sich die wichtigen
und heiligen Freundschastsbeziehun:
gen, die die beiden großen Staaten
seit den Tagen von tironstadt . . . «
, »Was de politique!« schrie von un.
sten her slehentlich eine Dame. Auch
»der Hausherr schaute mit warnendem
Kopfschiitteln zu dem Redner hinüber
Doch der ließ sich nicht beirren. Eine
»Welle patriotischen Zornes färbte sei-·
ne gefurchten Wangen. Er hob die
Hand, unt sich Ruhe zu verschaffen,
und zupste sich die weiße Itrawatte
zurecht.
»Und, meine Damen und Herren,
ich gehe noch weiter! Jch — und nicht
,ich allein, sondern wir alle -— haben
etwas davon läuten hören. daf; unser
ilieber Charkey Feddersen damit um
kgebt, das französischer Biirgerrechi siir
isich und damit auch siir seine Nach
kommen zu erwerben. Noch mehr:
Nach Nachrichten, die aus dein Mini
sterium dringen, ist die Sache schon
so gut wie spruchreif. Jch glaube, wir
ltönnen heute schon Et;arley, den Va
ter, den Sohn, als Bürger der gro
szen französischen Republit begrüßen!«
Karl Fedderfen war ausgestanden,
das Glas in der Hand. Er wollte
dankend mit dem Redner anstoßen
Der winkte ab. Er schrie jetzt fast»
Fiir ihn kam nun erst die Hauptsa-;
che. Ter Fanatigmug des Elsiisser
Lpianten ging mit ihm durch: !
,,Jrantreich kann Männer brau
chen, meine Damen nnd Herren!
Branchen fiir die grosse Stunde, wo
seine Jugend zu den Waffen strömt
und die geraubten Provinzen wieder
an sich reifst. Ich neige mich im Geist
vor dieser Stunde! Jch grüße Frank
reichs Adler! . .. Jch griisze den, den
sie dereinst beschatten werden, Char
les-Jwan, unseren kleinen Patriotent
Er lebe hochl«
Starl Feddcrscn hakte beunruhigt zu
seiner Frau l)iniibergesel)en, die wäh
rend der letzten Sätze mit zusammen
gepreßteu Lippen vor sich hinstarrte.
YZun hob sie jäh das duutle Haupt’
nnd staate, mitten in das Gläser
tlingen hinein laut ans deutsch nnd
ganz mit norddeutscher Herbheit nnd
Kiihle, die sie sonst längst nicht mehr
an sich hattet
»Sage-i Sie mal: dasz ich ’ne
Deutsche bin —- dac- haben Sie wohl
ganz vergessen?«
Monsieur Beinhauer war so ver,
bliisst, dasz er plötzlich auch seht gut
aus deutsch antworten konnte:
Sie waren es, Madame... Sie
sinkt es nicht mehrt«
,,Fithlen Sie sich nicht als Fran
zose's«
»Ganz und gar-l'·
»Und sind es geblieben, obwohl
Jhre Heimat deutsch wurde-«
»Da geendet«
»Nun gut! Warum weisen Sie
dann mir den inngelehrten Fall vor?«
Es war still an der ganzen langen
Tasel geworden. Der alte Poetestler
sanb nicht gleich eine Antwort. End
lich meinte er:
»Sie haben uns diese Gesiihle bis
her noch nie gezeigt, Madame!«
Fiel-inne Feddersen richtete sich lalt
alt . "
« »weil« man meine Gefühle.
nich sie so plump und tattlos verletzts
hatt Das war Ihnen vorbehalten,
Herr Beinhauee!«
»Aber-, Madame.. .«
»Ich wünsche die Nichtbeachtung
nicht, die darin liegtt Ich bin keine
quantite negtigeabte . . .«·
»Margot...« Karl Feddersen stil- .
sterte ihr entsetzt iiber den Tisch zu: v
»Sei doch stillt«
»Und ich verbitte mir, daß Sie
hier an meiner eigenen Tafel den
Rachekrieg gegen mein Vaterland pre
digen! Jch bin die Tochter eines preu
ßischen Generalst«
Plötzlich wars sie das Haupt in den
Nacken. Sie lachte. Es leuchtete trie
gerisch, voll Teussernschen Geistes,
aus ihren großen duntlen Augen«
»Aber versuchen Si. es doch! Mar
schieren Sie doch an den Rhein!...
Wir find bereit!... Sie lomnien
bald mit blutigen Köpfen zurücki Wir
hauen Euch alte! Samt den Russenl
Wir haben Uebung darin! Wir hauen
die ganze Weltt«
,,Margot!« schrie ihr Mann wü
tend. Ein Teil der Gäste war ausge
sprungen. Andere, die nicht Deutsch
konnten und den Grund des Austuhrö
nicht begriffen, schauten sragend um
sich. Flammen des Hasses loderten
aus, spiegelten sich insden stetzetkten «
Zügen, Flammen eines wütendem
tiefsinnerlichen Hasses gegen altes-,
wag deutsch war, Deutsch sprach,
Deutschem lebte. Längs der Wand
standen die Lalaien mit undetvegten
Gesichtern Alphonso Feddersens wei
cher, heller Baniton durchdrang Zins
Stimmengetvirr. Er sprach Franzö
sisch, mit dem versöhnlichen Lächeln
des Wettmannes:
»Mesdames — Messieueös... lir
sind allzumal Sünder . .. ich ganz Be
sonders... Sie brauchen nicht nach
so zustimmend zu nicken, Consine
Madge... ich weiß es selber am Je
sten .. lind da wir Siinder sind,
haben wir eine große Unterlassung-Z
siinde gut zu machen... Pakt-am
Schwager Gustave . .. Du hattest das
Wort... jetzt rede ich... also: mein
lieber Charleh —-— mein lieber Sa
schas Eure guten Eltern sind nicht
mehr. Wir haben sie schon var Lati
ren in Jetaterinoslaw zur Nu ge
tragen. Sie können sich nichtJne »ier
ihrem Entelchen freuen. Aber Groß
eltern hat der Junge doch. Die Elteen -
seiner lieben Mutter. Sie sindxttigt
hier. Sie leben — halte M steter
tttustave fest, während ich das rt
ausspreche! Sie leben in Besin!
Aber sie sind gewiß jetzt im Geiste
hier bei uns, und so wollen wir mit
allem schuldigen Respekt an? ihrer
gedenten!« Er erhob seine tin-nie.
»Sei-te Crzellenz, der General von
Jenssern uud Madame von Teussern
—— sie leben hochl«
Er lachte dabei nnd stieß gleich mit E
dem Nächsten an. Das waren alle-i
höfliche Leute, froh, einlenten in tön-—
nen. Die Gläser klangen. Der Bann
war aebrochea Nur Gustave Itzt-In-v
hauer stand verbisseti«zur Seite. Er
trank nicht aus die Gesundheit eilt-s
Preußen -— er nicht! Aber man a.ti
tete nicht mehr ans ihm-Man ltntte
Welt. Man wußte nichts me e von
dem ZwischeusalL ·nnd Karl either
sen sliisterte, sonderbar blaß und er
regt, seiner Frau zu:
»Gott sei Dankt Alphonse hat die
Situation gerettet!«
Sie war dem duntlsm spihbäriis
gen Vetter wirklich dankbar nnd
sreundlich gesinnt, während ihre
Champagnerschale die seine berührte
Sie hatte ihn seit jenem Weihnachtss
abend nicht mehr gesehen. Er tauchte
immer nur in Geldnöten wie ein Ko
met am Jeddersenschen Familienhims
mel aus nnd verschwand wieder in der
Richtung nach Monte Carlo. Er hat
te wieder seine weichen, iranischen
Augen. Er blinzelte ihr über das
Glas hin verständnisvoll zu als sei
er allein hier im Saal mit ihrem tit
svrnng, ihren Lieben, ihrem Heitn
vertraut. Er hatte so nett von den
Eltern gesprochen. Sie war ganz ge
riihrt nnd konnte sich doch Papa und
Alphonse Feddersen beim besten Wil
len nicht nebeneinander denken. Sie
wußte, was der alte Herr nach galtj
lnrzer Zeit in seiner stillen· milden
Art mit seinem Lieblingswou von
ihm gesazt hätte: »Wind-« ein Lic
derjansti .. las-' ihn lausen...«
Man lwtte sich wieder gesess· Tie
Aufregung hatte sich allmählich gelegt.
Man speisie weiter. Nur Gustav-e
Beinhaners Stuhl blieb leer. Der
Protestler war wiitend verschwunden
Vlns LUtargarete lastete während des
Restes der Tasel ein seltsames, blies
tendes Gefühl, eine Verdiisternns».
als habe sie etwas zn bereuen —- als
sei sie etwas schuldig geblieben· Sie
hatte doch niemanden verraten.- Am
wenigsten die Eltern· Strudel-hakt
Eigentiich hatte der alte Deuis M
hosser vorhin genau dasseiä sc Mk
wie der prrnszische General: erin es
zinn ltrieg iatn, marschierte du Mi
ne· Charlethvan mit gegen hie ves
haßten Piaellsanbeiy sei es Ast-Fussk
von Osten, sei es als Wel dem
Westen! Und itihtings due Weste
ein Schrecken: Weißt Du, wen Pia
verraten hast?... Dein Winds
Endlich war es vorüber. DicWe
gingen. Das leyte Automobik Wurde
draußen angelurbeit und schoß inni
ternd in die beginnende Dämmerung
hinaus. Die beiden Gatten standen
einander gegenüber, er blaß nnd zus
drückt, sie nachträglich wieder eiregt..
Sie trat aus ihn zu
Gnrtsetznng folgt)