Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 10, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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    Roman von siedelph Stroh
« (9. »Mrtseiting.)
Er lächelte geschmeichelt und er
freut. Er wußte nur nicht recht, toas
er ihr erwidern sollte. Diese Weich
heit toar ihm bei Margarete ganz
net-. Sie erinnerte wittlich an ein
deutsches Gretchen- Sie laß triiui
nierisch da. Durch die Redendliits
irr lugte neugierig der Sonnenschein
und malte goldne Lichter auf ihrem
dunllen Haar, ihren zarten Zügen
Jhr weißes Kleid leuchtete in der
Schattendairimeriing. Es war Karl
dderfen wider den Strich, das
e sich so einfach« iri Strohhal, Blas
und turzsn Rait, angezogen hatte.
Er wollte eine eleganie Frau. Aber
sie hatte ihn nun einmal zu dieser
Fußwanderung querfeldein genötigt.
.... So als ob sie die ersten besten
Spießdiirger seien. Seine Respettas
bilitiit liti schwer.
Sie schaute mit glänzenden Augen
in die Weile«
«Jst das nun nicht wunderschön
hier, Charleyi Dies Griin
ier blaue Himmel und toii
leide Ach .. ich hin so froh
.... Du nicht nuch2"
»Ja, freilich!" meinte er. Ei wa
ren da Flecken im Tischtuch vorhin
die ihn entsetzten Er konnte sich
nicht enthalten, hinzuzufügen: «A la
nerre comme n la giierrel . Dies
aninchenrngout gräßlich
und der Wein ....«
Sie hob heiter ihr Glas und tranl
ihm zit· Er sah ihre schwarzen, leb
haften Augensterne auf sich gerichtet
»Mir schmeckt e3," sagte fie. »Mit
schmeckt alles, wenn wir so nett bei
sammen find . Gott Du hifi
doch ein lieber Mann Jch hab
immer noch teinen rechten Namen fiir
Dich Jst das nicht eigentlich
tolli Soll ich Dich Karluschxi
nennen, wie Deine russischen Ver
wandteni .. .. Nein Das llingi
u leichtsinnig. und Du bist doch so
urchtbar folide! Oder Karlchen
gut deutsch? Nein Zu
Karlchen bist Bii wieder zu ernst
haft Ewig bist Tu ernsth:ist!
.... Geh! L.ich« doch iniil!«
Er verzog nqu gezwungen das
Gesicht. Er wollte gern auf ihren
Ton eingehen, aber er fand nich-.
recht den Anschluß. Sie gab ihm
ploßlich einen energischen Klaps aiii
nie band
Lieh Vitalian l
!
«ltnd Du?" derseste sie strasend
mit hochgezogenen Augenbrauei·.
«Dasi Du se sur mich etwas anderes
ais das langstielige Margot oder
Daisht Psut —- schäme Dich! ..
Gesinde mal gleich aus der Stelle
einen netten Namen für mich!
Wird'si’ ..... Strenge nur Deine
Phantasie an! Ein bißchen
Phantasie hat doch jeder Mensch«
Karl Feddersen tat ihr den Wil
len und überlegte» Aber nach einer
Weile gestand er zögernd:
.Weißt Du so bin ich nicht
Mir söilt wirtiich nicht so rasch
was eint«
.Ach, was hab’ ich stir einen Holz
tlah geheiratet!« sagte die junge
Frau und schentte geschiistig den Kas
ee ein. Eine Selunde war ein
Wolte iiber ihrer Seele, eine Erinne
rung: Es hatte einmal einen gege
ben —- im schwarzen Kragen una
Artilieriehelm — der hatte nicht ei
nen, sondern hundert kindische, zärt
iiche Nectnamen siir sie gehabt. Der
schüttelte sie nur so aus dem Art-trieb
Dann wars sie sich die Locken aus
der Stirn, ging hinüber zu ihren
Mann, sah sich rasch um« ob die
Wirtin nicht in der Nähe sei, beung
sich iiber seineii Stuhl und gab ihm
einen herzhasten Kask
»Du bist sa ein größticher Phili
ster, Charleh!« sagte sie. »Aber ich
bat-« Dich doch sehr lieb! Komm
.... Da hast Du Feuer siir Deine
Zigarre..««
Sie reichte ihm das Wachsbötzs
then. Er passle behaglich, mit einein
uiriebenen Paschakiicheltn Nett, wi
sie Langeweile des Sommers auf
Margot wiettel Ein wahres Wun
dert Er hatte das Gegenteil be-’
siirchiet. Er wußte aus sriihereiz
lieinen Zusammenstößen, daß sie auch;
eine sehr unbequense Frau sein tann ;
te. Aber nun lauerie sie still unt-i
zufrieden neben ihm, den Kopf anl
keine Schulter gelehnt, ganz dem Gei
nuß der Stille, der Wärme.- des
Sommersriedens hingegeben Jn des
Ferne triihte ein Hahn. Die Grillen
gikpikit
»Ist das nun nicht wie ein Traum,
daß da hinten irgendwo Paris liegt-«
fragte sie dann und stand aus. »Aber
glaube, Du hast gar keinen Sinn
i"r Natur! Du bist eben tein rech
ter Deutscher! Du mußt ge
suhte Leute sehen und Schmuck und
Autas . . .. sonst bist Du nicht glück
ischi Komm wir wollen
heim ....«
» Zu use sang sie ihm an einem
. Md nächsien Woche vor· Sie
Jllesen est ost zum Diner in ihre-:
iste- nden Margarete wollte es
st. sie sanb bat Lustgesiichel in
M Itshenbheihen soulevardrestam
»Hast den Staub in den Eber-nos
, die bieten Fremden uner
t
Je- in doch vier unten ohne EIN
»Die-siec- und Madame Metall-'
hatte e gesagt, während sie noch in
»den oten tramte. Jhre Stimme
Iwnr nicht groß. Sie hatte, irn Ge
)gensas zu ihrem raschen, elnstischen
inneren ein-u unvnchsn fast nagen
Jren Ton. Sie siillte gediiinpst den
jun-und Karl Ieddersen saß in der
;Eeie und hörte zu Sein Gesicht trug
Isene gespannte Ausmertsnrnteit, rnit
lder er sonst den Ausführungen eines
Geschäftsskeundes lauschte. Aber es
,siel ihm schwer. Er war nun ein«
Imal uninusitalisch Diese sehnsüch
tigen deutschen Lieder ttangen ei
gentlich eines wie das andere. Er
:nterdriickte ein Gähnen und suhr
Zchulddewuszt zusammen. Er blickte,
die Hände gottergeben iiber den Knien
eerschlungen, durch das Fenster.
Dort standen zwei Damen Voll
blutsPariseeinnen Gut angezogen.
Wie sie miteinander gestituiierten.
Komisch. es tuni wirklich dn eine
neue Hutmode nus Da suhr
Monsieur Duloup in seinem Auto
vorbei war der auch noch hier?
Nun in er hntte sich wohl ein
bißchen sehr weit in hastischen Mi
nennttien vorgewngt .. » er sah sor
genvoli aus Karl Feddersen
schloß hnlb die Liber. Es gingen
Ihm Geschiiste durch den Kops Seine
Frau sang. Dann hörte sie plösiich
nus. Sie stand vor ihm, die beiden
Hände aus seine Schultern gelegt,
nnd schaute ernst aui ihn hernieder
»Wenn ich nur wiiszte wie inni
Dich sindeti« sagte sie tangsacn. »Je
iJendwn muß doch ein Schlüssel zu
Dir sein! Charley hand ausk
Herz wo hnst Du ihn denn
sigentlich versteckt?«
Kaki Feddersen stand riqu ver
wirkt aus.
»Neizend hast Du gesungen,Mar-s
got! Es wnr wirklich ein Genußl«
»Du hast in nicht zugehört, Du
Greuels« sagte die junge Freu. Sie
sont nicht getränkt, nur erstaunt·
dasz auch das nicht dersing. »Du
mopst Dich überhaupt daheim —
tödlich Jch hats-Z schon bemerkt.
Das ist nichts siit Dich. Komm...
ich mache mich möglichst schön und
Lnnn sahren wir in die Stadt, wo
hin Du ivillst..·.«
Sie waren nun wieder mehr an
ker dem haus und häufig in Parie
zu sehen. Eines Nachmittags saßen
sie im Cascadenrestaurant im Bois
de Boulougne. Draußen wartete un
ter hundert anderen ihr Auto. Karl
Feddersen schlürfte seinen Bock und
rang mit einem Entschluß. Endlich
begann er lächelnd und unvermittelt:
»Was ist’5 denn nur eigentlich,
Margot?«
»Ich oersteh’ Dich nichi!«
»Du bist seit sechs Wochen so lieb
und gut mit mir
»Ist Dir- nicht rechts-«
»Ich bin glücklich darüber! Ich
meine nur: Du möchtest doch sicher
etwas .. . .«
Sie machte groer Augen.
»Wiefo?"
»Und etwas Besonderes ganz
ilngewöhnliches Sonst gäbst
Du Dir doch nicht solche Mühe!....
Also nun schon heraus damit! .
»Wenn ich irgend kann....«
i Die junge Frau senkte betrübt den
likopf Sie erwiderte nichts. Er fing
Tan, gutmütig zu raten, um ihr d-: H
Geständnis zu erleichtern
»Ein Abstecher nach Trouoille?.
Geld fiir nach Hausei« Ein
Schmuck?
; »Ach. . Du verstehst mich nie!«
lsagte sie leise Und sich erhebend fiigte
ssie, während der galonierte Türfteher
unter die Schar der Chauffeure ihren
Namen schrie, mit einem schmerzlichen
Zuaen der Mundwinkel hinw:
»Das, was ich brauche, gib« nicht
auf den Bonlevards zu kaufen. Frü
her hab' ich das ja selber gedacht.
Aber das tcar Uns-um«
Am nächsten Tag war sie wieder
heiter und belebt. Er bemerkte einen
unruhigen Tatendrang an ihr. »Du
Charleh!« sagte sie. »Ueber Nacht ist
mir eine Jdee gekommen! Jch hab·
doch eine große Bittel'«
»Na also!" Er war förmlich erlöst.
Seine Frau war ihm schon ganz un
heimlich gewesen mit ihrer nimmer
miiden, selbstlosen Liebenswiirdigkeit.
«Vohonst Jch schaffe es Dir!
Coute que coute!«
»Es kostet Dich keinen Sou! Ewig
denkt Jhr doch an Geldt«
»Da bin ich aber wirklich ge
spannt!« Er riickte näher, lächelnde
Neugier in den tiihlen, blauen Augen.
Sie sliitzte den Kopf auf die hand
schob den Seidenpintscher oom Schoß,
als Zeichen, dafz sie jetzt ganz ernst
haft sein wollte, und begann:
»Bei uns daheim, wenn der Papa
vom Dienst kam. .. zum Beispiel, er
hatte sein Regiment vorgestellt. . . da
war ein Gelause ihm entgegen bis zur
Treppe-. Mama... wir alle...· ein
Gefrage: Wie hast Du bei der Be
sichtigung abgeschnitten? Was hat der
Kommandierende gefagti. . . Man
lebte in allem mit, was ihn betraf.
Das ist in der Armee fo« . weißt
Du«
Karl Feddeesen bejahte verständnis
los. Sie fuhr fort
»Wenn wir hier, Eure Frauen, bei
sammensitem so haben wir von Eu
rem Beruf, von Euren Sor en und
Geschäften keine Ahnungl We reden
das diitnmsie seit —hau siichiich,
roh vie oen Iebt
der ausgehen, das Ihr derdientt Ihr
wollt gar nicht. daß wir wissen, wie
Ihr es verdient. Jhr haltet uns ab
sichtlich sern...«
»Ihr versteht doch auch wirklich
nichts davont« sagte ihr Mann mit
einer leisen Ironie. Er zeigte jeht
häufig das Selbstbewußtsein, das sie
in ihm genährt hatte. Er sand sich
allmählich in seine Rolle.
»Aber man kann es doch lernen,
Charleht Jch bin doch nicht so dumm!
Bitte, bitte... weihe mich ein wenig
in Deine Angelegenheiten eint Jch bin
doch dazu da, Dir zur Seite zu stehen.
Es tut mir gut! Es wird mich ernster
machen, wenn ich mich ein wenig niihs
tich mache, statt immer nur Wohl
taten zu empfangen. Jch bin ja hier
wie eine Drohne!«
Karl Feddersen zeigte sonst seiner
schönen jungen Frau die lächelnde
Nachsicht, die man einem verzogenen
Kind erweist. Aber als Geschiistsmann
war er zäh. Da war er, was sie im
mer bei ihm suchte, er selbst. Da ging
er pedantisch, wie er war, um keine
Linie von dem Herkommen einer ehr
baren Firma ab. Er zog die Sache
einfach ins Komischr. Er griss nach
seinem Hut.
»Das fehlte noch, dasz Jhr einein
auch noch im tiontor den Kopf heiß!
macht!... Du würdest Dich gut
ausnehmen aus dem Drehschemel,»
Daish.. . Nein. Dort müssen wir uni
sere Gedanken beisammenhaltent Dort
herrscht Ernst, mein Kindl«
Er lachte dabei nnd merkte zu sei
nem Erstaunen, dasz sie, ihm die
hand zum Abschied reichend, unbe
sangen mit einstimmte. Aber als er
am nächsten Vormittag durch die
Glasscheibe blickte, die sein Privat
tontor mit den davor liegenden all
gemeinen Geschästsränmen der Firma
Feddersen aus dein Bouleoard Seba
stopol verband, lies vor seinen Augen
eine seltsame Bewegung durch die
Reihen der Prokuristen und Dispo
nenten und Kommiss. Madame Mar
aot Feddersen schritt gleichmiitig, wie
ein Trauingebilde von Spitzen, Fe
dern und rieselnder Seide durch den
dämmerigen Mittelgang. ein zarter
Hauch von Parsiiin blieb hinter ihr in
der staubigen Lust, das leise Rauschen
ihres iiiosisaums tlang durch Das Ge
klapper der Schreibmaschinen und das
Stampsen der ttopierprrsse,’ sie trat
in das Allerheiligste ein, setzte sich
und sagte zu ihrem Mann nur:
’,,So, Themas-» da bin ich:
»Ja. Da bist Dul« wiederholte
Karl Feddersen verblüfft und legte
mechanisch die Zigarette weg. Er wuß
te hier rein gar nichts mit ihr anzu
fangen. Er hosste, sie wiirde die Spie
lerei in einer Stunde satt haben nnd
wieder gehen. Aber sie blieb. Sie kam
auch die nächsten Tage. Sie war von
einem Feuereiser beseelt, etwas hierzu
ersassen. Sie nahm sich gleich das
Nächste. Sie hielt ein Kursblatt in
der Hand: »Was heißt ,Debise kurz
London-P forschte sie.
Er bemühte sich, ihr die Geheim
nisse des Wechselverlehrs zu erläutern.
»Und was ist denn immer das ,Cis'
in Euren Briesen da ?'«
Auch darüber gab er ihr Auslunst
Aber er war kein guter Ertlärer. Diese
Dinge waren ihin alle von Jugend
aus viel zu selbstverständlich. Er
ivar auch ungeduldig. Es lenlte ihn
. Margarete setzte sich schließlich
still in eine Ecke und beobachtete. Viel
leicht prositierte sie so am allermeisten,
wenn sie ihren Mann bei der Arbeit
sah. Am Ende der Woche sragte sie:
,,Sag’ einmal: Eigentlich unter
schreibst Du doch immer nur, was-I
Dir die Leute von nebenan bringen.
Manchmal liest Du es nicht einmal
vorher durch! . .. Besonders Monsieur
Renard und die beiden anderen altenl
Herren . . die besorgen das meiste. .
»Ja. Die sind schon lange im
Dienst der Firnia.«
»Und die machen das auch guts«
Er lachte.
»Ich bitte Dich: die alten Füchse!
.. Die teniieii die Schliche und
Knisse besser als unsereiner» «
»Ja·.. warum bist Du denn dann
Sie brach ab und machte ein
erstauntes Gesicht. Beinahe hätte sie
etwas Dumines gesagt Eine Weile
spielte sie nachdenklich mit ihrem Spi
tzensonnenschirnn Dann beganni sie
lleinlautt
»Weißt Du, ich hatte mir vorge
siellt, Du hieltest hier das ganze Ge
schäft mit eiserner Faust zusammen!
Alles geschähe nur nach Deinem Wil
len! Diese Leute wären nur wie Pup
pen, die tanzen, wenn Du aus den
Knopf drückst, und wären ohne Dich
rein verraten und verlaust...«
»Nein. Jndividalität muß man
Angestellten lassen, wenn sie ordentlich
arbeiten sollen . . .«
»Als-V .. zumBeispieL .. Alexan
dre ist aus Urlaub... nehmen wir
an, Du würdest traut... würde es
denn dann auch gehen?«s
»Es muß gehen!« versetzte Karl
Ieddersen liihl und unterschrieb wie
der einen Stoß Attenstiicke, den ein
geschäftiger here ihm hinschob. Er
sah eine sonderbare Enttäuschung aus
ihrem Gesicht, so als wäre er von
einem Piedestål herabgestiegen, aus
das sie ihn gestellt, und setzte hinzu
,,Vergesse auch nicht: das hier ist nicht
meine eigentliche Domäne, sondern
das Reisen draußen. Jch vertrete doch
hier nur Sascha!« Und nun hellte ihr
Intl sich wieder aus und sie meinte,
l
merkt erleichtert. —
»Ja, das wird ei wohl seini« i
Allmählich wurden ihre Besuche
auf dem Kontor seltener. Schließlich·
blieb sie ganz weg. Ei war hoffnungs-«
los, da zu sihen und Dinge mitanzusf
hören, die man nicht verstand, und in
Briesen zu bliittern, deren Sinn man!
nicht begriff. Karl Feddersen merktei
das Fehlen seiner Frau taum. Oder?
wenn, dann war es ihm lieh· Erf
tonnte jetzt leine Störung brauchen.«
Er saß bis iiber die Ohren in Ge
schäften. Der Zeitpunkt rückte heran,
wo er, um die Mitte September, wenn
die ärgste Hitze auf dem Baltan nach
ließ, dorthin reisen sollte. Die Koffer
waren schon gepackt, das Abteil im
Orient-Erpresz bestellt, es herrschte
eine eigene, schweigsamsseierliche und
gedankenvolle Stimmung, als sich das
Ehepaar am Vorabend der Abfahrt
bei Tisch gegenübersaß. Zum ersten
mal trennten sie sich morgen auf län
gere Zeit. Wie lange Karl Feddersen
fern sein würde, ließ sich im voraus
nicht bestimmen. Das hing von den
unausbleiblichen lehten Jntrigen in
Mazedonien ab. Aber auf vier Wochen
rechnete er mindestens.
Plötzlich, als der Diener das Zim
mer verlassen hatte, sprang sie auf»
Sie eilte um den runden Tisch zu
ihm herum, wie auf der Flucht vor
irgend etwas. Jhre Schleppe segte
iiber den Teppich. Sie blieb vor ih
stehen, der sich erstaunt erhob, und
legte bittend die Hände ineinander
und sagte:
»Charleh . . . laß mich nicht allein!«
»Aber Margot..."
»Ich gehöre doch zu Dir!... Was
soll ich denn ohne Dich?... Jch bin
doch ganz wurzellos aus der Welt.
Du bist mein einziger Halt!"
Er war ganz verdutzt über diese
Störung seiner Reisepläne im letzten
Augenblick: »Du könntest doch die
Zeit über auch zu Deinen Eltern nach
Berlin!« schlug er vor.
Die junge Frau schüttelte den Kopf
Eine kleine Querfalte stand finster
zwischen ihren Augenbrauen.
»Das lann ich nicht, Charley! Mit
Dir zusammen auf Besuch... gern!
Da freue ich mich drauf. Aber allein,
da wieder nntertriechen. .. daß sie sa
gen: Es flog ein Gänschen übern
Nhein’... nein... das ist mir ja
alles so unendlich fremd geworden...
dort... ich hab’ gewußt, wag ich
iat... ich hab« meine Schiffe hinter
mir verbrannt...«
»Und hier in Paris lasse mich nicht
allein!" fliisterte sie wieder, halblaut
san seinem Ohr, den tion an seine
Schulter gelehnt. »Liebe: nicht! Jch
krmine hier nur auf dumme Gedanken
vor Müßiggang und Langeweile, nnd
ärgere mich über Magde und... ich
rnag nicht Strohwitwe sein« . ich bin
doch Deine Frau. Jch hab' Dich doch
l o lieb.«'
is start Feddersen war tein Mensch
lvek überein-n Entschlusse. Aber dies
jmal mußte er sich rasch entscheiden.
zDie Zeit drängte. Die Geschäfte auch.
Er liebte kein Hindernis in Geschäf
ten. Er sagte, ungeduldiger als er sel
der wollte:
»Das ist ja sehr nett von Dir,
Taisyt Aber laß jetzt die Capricen!«
,;Eine Caprice?- So nennst Du
meine Bitte-«
»Man Dieu...
Dilish?«
»Du hast nichts bemerkt... die
ganze Zeit... das halbe Jahr, vom
Frühjahr ab bis jetzt?«
»Was soll ich denn da Großes be
merkt haben? Zeichen und Wunder ha
ben sich doch nicht ereignet?«
»Doch, bhaspletx sie waren da! Sie
waren in mir! Aber wenn man sie
nicht begreift, vergehen sie wieder.«
Nun sprach sie in Rätseln. Solche
unbestimmten, frauenhaften Klagen
nahten ihm gerade in seinen Kopf,
in dem sich die Geschäfte drängten.
»Ich niufz reisen« Daisyl Also bit
te, sei beencnftig!" erklärte er in dein
souveränen Ton. den er sich ihr gegen
über angewohnt hatte. ,,C’est decidet
Um Gottes willen, fang’ nicht noch
Was denn noch,
an zu weinen! Was ist denn dabei?»
Ma there. Du bist zu inimofen-«
haft! Du mußt Dir eine etwas dil-»
tere baut anschaffen! Jch hab’ sie’
doch auch.«
Die-Tränen, die er befürchtete, blie
ben aus. Statt dessen lachte die junge
Frau plötzlich aus« Er furchte unbe
haglich die Stirn. Was war das nun
wieder fiir ein Umschlagi
»Ja. Die hast Du wahrhaftig,
Charleh!« sagte sie »Mehr als gut
it! Das hast Du gar nicht bemerkt,
wie ich tiefe Monate hindurch um
Deine Liebe geworden habe? Bist Du
wirklich so taub und blind? Hast Du
wirklich nur Deine Aurse und Eisen
bahnschienen im Kopf, daß Du nicht
siehst, baß eine Frau, toie ich, neben
Die ift.«
»derrgott.. Du bist doch dat«
»Ich wars-. ich war’s... ich
hab’ getan, was ein Mensch vermag!
Jch hab’ mehr Kräfte aufgebracht als
viele. Jch hab' meinen Stolz in die
Ecle gestellt. Jch bin Dir ja enachge
laufen. Gebettelt und gebeten hab’ ich
um Dich. ..«
Karl Feddersen war mehr noch ge
fchmeichelt als verwundert.
»Aber wir haben uns doch, Daish!«
meinte er freundlich.
»Was Du ,haben’ nennst! Zch
wollte mehr. Jch brauche mehr. ch
holk Dich geluchy
raschen suchen rann
brauche Dicht TM
wie man einen
is—sporatl —- tn jeder Weise... Ich
hab' gedacht, irgendwo müßt« ich Dich
doch finden . . .«
Er schüttelte halbbeluftigt über
ihren Eifer den blonden Kopf. Er
stand als ein stattlicher, breittchultris
ger Mann oor ihr im Zimmer. Er
hatte etwas Gemütliches. "
»Bitte! Hier bin ich in voller. Le
bensgriiße, Daisht Als Dein gehorsa
mer Diener! Was Du noch mehr
willst, das wissen die Götter!«
«Di t« k« s
Er wurde böse. ·
»Zum Kuckuck! Jch bin doch nicht
aus Pappe! Faß mich doch anl«
Jhr Blick durchtältete ihn. Er fühl
te etwas zwischen sich und ihr, das er
nicht erfasse konnte.
»Du bist dal« sagte sie. »Das ist
wahr! . .. Aber mir ist das zu wenig!
Jch bin nicht so genügsam angelegt·
Eine Zeitlang wohl... Aber dann«
Sie machte eine müde, ablehnende
Handbewegung
»Du bist mir jeht so fernl« sagte
sie, leicht zusammenschauernd, »so
furchtbar fern!... Mir ist. als tenn
ten wir einander gar nicht!«
»Ich bin Dein Mannl«
«J0!«
»Und bitte mir aus, daß Du mich
als solchen respektierst, meine Liebe!«
Sein Ton war barsch. Er füMte:
Jetzt galt es feine gefährdete Auto
ritiit.
»Noch außen gewiß!«
»Nein, überhaupt!... Bedenke ge
fälligft, wen Du vor Dir haft! Jch
hätte doch wahrhaftig andere Partien
machen tönnent Aus reiner Liebe zu
Dir habe ich . .«
Er verstummte eine Selunde. Aber
dann tonnte er sich nicht enthalten,
erbittert fortzusahrem
»Wer heiratet denn sonst in meinen
streifen ohne Mitgift? Du hast doch
sozusagen das Große Los gezogen!
Jch habe Dich zu allem gemacht, was
Du bist! Und das ift nun der Dankt«
Er hätte die Worte, tauni daß sie
heraus waren, gern zurückgernfen. Zu
seiner Erleichterung wirkten sie, wie
ihm schien, nicht weiter auf seine
Frau. Sie blieb ganz gslaffen
»Duran hab' ich nur noch gewar
tet,« versetzte sie ruhig, »daß Du mir
das sagen würdest!«
,,Hab’ ich etwa nicht recht Is«
Da schrie sie plötzlich verzweifelt
ans:
z »Poche Du nur auf Deinen Kauf:
Ipreisi Betrachte Du unsere Ehe, wie
Dust verstehst! Du hast freilich recht
Was rede ich denn hier vor tau
ben Ohren? Also reife nur« Charlehl
Reife! Jch halte Dich nicht!«
11.
Der Winter war über Paris ge
tommen.« Strenger als sonst. Vor den
Fenstern des .tleinen Feddersenfchen
Palais tanzten nordische Flocken und
Ihiillten die Welt in Weiß. Alles war
still. Kein Huffchlag. Kein Automo
bilrollen. Ein geheimnisvoller Friede.
Die breite Fläche der Avenue du Bois
de Boulogne lag bis zum Triumph
bogen hinauf wie ausgefunden
»Darin sind die Franzosen doch
furchtbar pimplich!« sagte Margarete
zu ihrer Freundin Lisa Campbell, die
sie um die Dämmerstunde ausgesucht
hatte. »Aus dem ärgsten Schmutzwet
’ter machen sie sich nichts! Aber bei
einem bißchen Schnee stellen sie sich
au... Gott... wenn ich an unsere
deutschen Winter denke · .
»Oder gar bei uns in Rußland!«
Die lleine Petersburgerin lächelte
schwach. Sie war ein zartes Geschöpf
mit blassem Kindergesicht Die beiden
jungen Frauen verstummten und
schlarften ihren Nachmittagstee, der
in winzigen Täßchen vor ihnen
dann-sie Zu Paris gehörte Sonne.
Grünes Kaitanienlauh Veilchengeruch
auf den Boulevard5. Jm Winter
sturm war die Seinestadt nicht mehr
sie selbst. Da flogen die Gedanken
heim iibcr den Rhein und die Weich
sel... Unbeftimtnte Vorstellungen
aus Kindertagen... Holztnistern im
Ofen... Zifchende Bratäpfel...
SchlittenaetlingeL Margarete mußte
lachen, wie verzweifelt da draußen der
Heer seinen Zylinder festhielt nnd
auf den Spitzen feiner Lactstiefel
tanzte. Dabei lag der Schnee noch
nicht einen Zoll hoch. Die andere er
hob sich: Jch muß jetzt fort.«
»So bald?"
»Wir haben doch ein Ricsrntineri
Williain will es nun einmal so. Es
ist doch heute Weihnachten-«
,,Daran hab’ ich gar nicht mehr ge
dacht!« Margarete Fedderseu sah
träumerisch in das FlockengewirbeL
»Hast Du ’nen hiibfchen Baum da
heim, LifaZ«
»Ich putze teinen mehr. Es hat tei
nen Sinn. Mein Mann steht davor
und weiß nicht, was er mit dem Ding
anfangen soll. Und die drei Boys
ebenso. Jch glaube, sie wundern sich
heimlich, dass ihre Mammh noch so
tindisch ist. Es sind doch nun einmal
richtige tleine Engländer. Für sie ist
der große Truthahn nachher die
Hauptsache Und die nagelneue weiße
Fünfpfuiid-Note für jeden unter der
Serviette. Die tennen sie genau...
die Schlingelt«
Die tleine Deutsch-Nussin lächelte
melancholifch.
»Deswegen bin ich heute mal rasch
auf einen Sprung zu Dir!« sagte sie.
»Bloß um am Heiligen Abend wenig
stens ein paar Worte Deutsch zu hö
ren. apa war doch noch Reichsdeuti
scher n Peteröburg Und Maina war
Baltin Aber daheim bei mir spricht
ia keiner ein Wort. Jch bin ganz iso
liert in meiner eigenen Familie..·«
Mrs. Cantpbell lnöpste ihr Seeots
irr-Jucken zu, ein Geschenk ihres
IMannes, das zehntausend Franks
sgetostet hatte. Er besaß es dazu. Er
iverdiente viel Geld, wenn er sich auch
mit den Feddersens nicht messen
. konnte
. »William meint es so gut,« sagte
sie dabei, als müßte sie irgendwelche
Gedanken, die sie gar nicht ausge
sprochen Hatte, nachträglich rechtferti
.gen. »Man ist nun einmal von Haus
und Heimat weg-» meine Eltern
sind ja auch tot... Man führt ein
Zigutnerleben. Oder eigentlich ist’s
immer dasselbe: ob wir nun in Bir
Jmingham waren und dann die sechs
Jahre in New Yorl und nun in Pa
;ris, mein Mann ist zufrieden, wenn
«er die Beine gegen’s Kaminseuer
’streelt und seine kurze Pseise raucht
sma- die Seinen um sich hat. Man
»du-es auch nicht zu viel vom Schicksal
verlangen . . .«
»Ja, nicht wahrt« Margarete hob
langsam den dunkeln Kopf« aus
ihrem Nachsinnen erwachend. Sie
stand vor ihrer Freundin, die viel
kleiner und schmächtiger war als sie,
und faßte deren beide Hände und sah
ihr ins Gesicht- »Wir haben's doch
gewußt, Lisal Wir beide! Da muß
man sich nun darein sindent Tausend
andere httben's nicht so gut wie wir . .
Müssen jeden Taler dreimal drehen»
Unsere Männer find nicht glücklich,
wenn wir nicht verschwenden . . . Sag
mal: wie lange bist Du schon verhei
rat-st?«
,,Dreizehn Jahre.»«
»Dreizehn Jahrel« wiederholte die
junge Frau. Sie dachte sich: »Wenn
ich erst so lange verheiratet bin. ."
Es erschien ihr doch wunderlich ..
diese Vorstellung». endlos... ein
Zug der Ergebung blieb aus ihrem
Gesicht. Sie liißte Lisa. »Adieu,
Schatz! Grüße daheim!«
»Du bist heute so weich, Miirgot2«
Eine leise Röte überslog die Wan
gen der andern. Sie antwortete nicht
aleich.
,,Lieber Gott!'« sagte sie dann.
»Du hast ja ganz recht. Was hilft es
denn mit dein Kon gegen die Wand
rennen? Wir haben nun einmal tein
Baterlandmnd leine Familie mehr
wie andere. Wir haben nur unsere
Männer. Mit denen müssen wir aus
kommen. Unbequem sind sie ja nicht.
Es sind ja Geschäftsleute. Sie haben
keine Ecken und Kanten. Sie geben
gern nach... soweit ste? verstehenl«
Die tleine Petersburgerin blickte sie
prüfend durch ihren graugetupsten
Schleier an. Sie hatte sich tm vergan
genen Sommer über Margaretes Leb
ha«ti,ikeit und Freude an ihrem
s ann gewundert. Dann nach der
Rückkehr vom Balkan seit einem Bier
teljahr tvar es ihr ausgesallem Die
beiden gingen nebeneinander her »
ohne rechten Streit... ohne rechtes
Einvernehmen... Sie hatte zu viel
Takt, um weiter zu forschen. Sie frug
nur im Weggehm
»Hast Du heute abend auch viele
Leute bei Dir?«
»Nein. Jch hab’ Charleh gebeten,
daf; toir diesmal unter vier Augen
findt Er hat es tnir heilig verspro
chen. Aber Du hast mich auf eine
Jdee gebracht. Jch mache heute auch
einen Weihnachtsbaum siir ihn und
fiir mich.«
Sie schickte, sobald Mrs. Campbell
gegangen, nach einer kleinen Tanne.
Sie fuhr selbst aus« kaufte Aepfel,
Rüsse, Lichter, ein bißchen bunten
Tand. Jm Zwielicht des Winter
abends schmückte sie den Baum. Er
innerungen drangen ans sie ein und
trübten ihr mit einem feuchten Ftor
den Blick. Jetzt war Weihnachten in
Berlin-» Alle Straßen leer... Die
Fenster erleuchtet... Geheimnisvoll
summten die Glocken... Da hinten
in Charlottenburg saßen Papa und
Manm». Die Zimmer waren hell ..
Es roch nach tnisterndem Tannen
griin . .. Nach Wachsterzen und Pfef
ferluchen . .. Sie dachten an ihr Kind
in der Fremde-» Um sie waren die
andern, die Geschwister, die Verwand
ten, ein weiter streis . .. zu dem hatte
auch sie gehört... all die Jahre hin
durch... so weit sie zurückdenten
konnte, seit sie als Drei- oder Vier
jährige zum erstenmal in das Licht
meer und Wunderland des Christ
t.-»aurng hineingetrippelt . ..
Margarete Feddersen lauerte vor
dem Tännchen, putzte Ast um Ast.
Zum erstenmal war Heimweh in ihr
wach, rechtschaffenes deutsche-s Heim
-ueh... Es dunkelte in dem goldenen
-.l"ta«sig um sie. Ueber dein Rhein
brannten setzt Millionen Lichter. Dort
lag das verlorene Paradies — lagen
stinderzeit nnd Mädchenjahre nnd
schwerer Herzenslumpf . .. Sie unter
driiekte ihre Tränen. Das war vor
bei. Sie wollte vorwärts schauen. Sie
wa: andiichtig gestimmt. Ruhig und
heiter. Als sie fertig war, machte sie
sich siir den Abend schön. Ganz in
Weiß nnd Gold. Das stimmte zu
ihrem großen Empiresalotn Der sollte
erleuchtet werden, wenn sie auch mit
ihrem Mann allein war.
Fortsetzung folgt.)
— Richtig tituliert. —
Gast (zum Kellner, der ihn mit Sauce
anschiittet): »Sind Sie doch nicht so
hastig, wenn Sie Sauce tragen« Sie
Saucewinbl«
s