Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 25, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-statt de
— StaatS Art-Zeiger und errold
»Hu-« m W III» M, den 25.
Eis newmirdigee Jldeii
lenkt eines gewidmet-.
Von Heinrich Seiidei.
Mein Freund Abendrdth erzählte
kürzlich folgende kleine Geschicht-:
Ich din in iiudgeiprdchenerti Grade
dag, was miiit ein »Geivdynheirstier'
nennt. So vergeht wohl lein Abend,
diUz ich nicht zwischen sechs nnd ein
hold acht Uyr in einer Weinhandliirig
der Pdisdiiiiier Straße sing Jeitiins
gen zii leien iiiid meinen Schdppen
hindieiidein zii trinken. Um diese sen
if« die deliedle Weinflude nicht stark
besucht, niiintrifit dort diiiin nur ide
nige Leute dort ähnlichen einiiedteris
schen Neigungen oder eine bis zwei
kleine Gruppen älterer Männer. die
iniiner im denielden Zischen die Heir
liiiifte mit dreier Weisheit erörtern.
Dir sich dieser Besuch oder auf drei
Ziittiiier und eine gernuiiiige Veranda
verteilt, sd five ich« besonders in der
warmen Jahreszeit, dft iii dein dori
niir erivuhlten Rai-me iiiit meinen
Zeitungen oder mit allerlei idintiiieri
lichen Gediinten allein. Dies idnr
wieder einnml längere Zeit der Fall
geweien, al· sich ein Mann dortdm
gewohnte, der etwa in der Mitte der
funfziger Jahre stand und alliibend
lich auf demselben Plahe seinen
Schodiien Leooitle traut, ein wenig tit
den Zeitungen dliitterte, und wenn er
darnit sertig war, eine Zigarre rau
chend behaglich oor sich hin sah un
langsain seinen Wein ausfchliirsir.
Nach einer Stunde bezahlte er uno
ging. Ein startei Mitteilungsbcss
diirfnis schien er ebenso wie ich
nicht zu besitzen denn niemals re
dete er mich oder jemand anders an,
und ausserdem daß wir uns seit ei
nigen Woche-i sluiniiiee Betaniitschait
beim Gehen oder Kommen begrüßt-n,
hatten wir leinen Verlehr miteinan
der.
Jch interessierte iiiich siir dies-n
Mann feines Aussehens halber. Iin
sein Alter waren seine Bewegungen
noch sehr jugendlich; es hatte den An
schein, als habe er die Kraft und Ge
wandtheit leistet wohlgedauten Lär
pero durch iinauogesehte törperlichr
Uebung immer frisch erhalten. Er
trug noch sein volles haar, ohne eiue
Spur ooii Grau, seine Gesichtssinn
waren niiirtig, iiber einein schöne-i
blonden Schnurrbart stand eine etwas
gebogene Nase, und seine gauen
Augen hatten senen sesteii, ruhigen
Adlerblick, der nicht in Studierstuden
gewonnen wird, sondern Leuten eigen
is» die fich mit allerlei Gefahren der
traut gemacht haben.
Der Mann mußte vieles erlebt ha
ben. das sah man ihm an. und loeaii
meine Ausniertsaiiileit sonst nicht ad
gezogen wurde. ertapple ich mich öster
dariider, das- ich nachgriidelte, welch
ein Beruf ihm wohl eigen sein und
welche Schinsale er wohl erlebt haben
möchte.
Da geschah es eines Tages, am
Ende des Juni. daß ausnahmsweise
der Tisch, an den ich mich gewöhnt
hatte. belegt war oon einer etwail
liirinrnden Gesellschaft junger Leute.
die irgend ein siir sie ersreuliches Ei
eignis eifrig mit Wein begossen. Der
einzige Plag, der außerdem gute-i
Licht zum Lesen darbot« fand lich an
dein Tisch des Unbeiannten diesem
gerade gegenüber, und ich setzte mich
nach gewohntein Gruße dorthin in.i
jenem llillen Groll. der einein von lei
nem gewohnten Orte oertriedeiieii
Stamnigast eigen ist. Der Unbe
tannle schien auch eben erst gekommen
zu sein« denn ee war mit dein Stu
dltis der Weinlarte beschäftigt, aus
nahm-weite, wie ich hinzufügen muß
denn sonst beachte ihm der Kellner
ungeheißen den gewohnten Schoppen
Noch einer Weile bestellte er eine
Flasche Nanenthaler Auslese von. ich
weih nicht mehr welchem berühmten
Jahrgange. »Ei, da geht's ia heute
hoch her.« dachte ich. Der Wein
wurde gebracht, er drehte die Flasche
eine Weile sorgfältig im Eisliihel
herum, schenkte ein, hob das Glas ge
gen das Licht, nahm ein Schlückchen
und ließ es, indem er Lust durch die
gerundeten Lippen eingeg, prüfend
iiber die Zunge gleiten, tranl noch
einmal, nielte befriedigt und setzte das
Gleis vor sich hin. Ein gewisses Et
was in dein Benehmen des Manne
sagte mir, das- er sich heute in einer
mitteilsamen Stimmung besände, und
nachdem er sein Glas wohlgesiiilig
geleert und wieder gestillt hatte« re
dete ich ihn nn.
»Ein tösilichek Tropsenl« sagte ich.
Oe brummte mir Beifall, hielt auch
dieses Glas gegen das Licht, ersteuce
sich eine Weile on dem goldttaren
Schein seine- Jnhalti uns tranl.
Dann sagte er: «Jch verstei e mich
sonst nicht so leicht so doch, a r heut
ist iie mich ein kleiner Erinnerung
tag. heute vor zwanzig Jahren trant’
ich solchen Wein viertausend Meter
über Berlin und erlebte dort ein sehr!
,merlrviirdiges Abenteuer-« 1
- Ich muß ihn wohl etwas verblüfft
angesehen haben, denn er lächelte ».·OI
fügte erläuternd hinzu: »Ich war
nämlich früher Luflfchiffer. mein
han«
»Ach so,« sagte ich etwas erleich
tert, denn ich hatte schon geglaubt, es
rapple ein wenig bei dem Fremden
Dieser fuhr fort: Mach dem grofm
Kriege mit Frankreich kam bekanntlich
die Luftfchifsaisrt sehr in Mode, und
da ich durch einen Freund, mit dem
zich oft aufgestiegen war, einige Vor
kenntnifse in dem Fach hatte. fo gab
.ich meinen Beruf als Turn- uno
Fechtlehrer einstweilen auf, baute mir
:den Riefenballon «,«,Zauntönig« und
Wabe dann das Geschäft fünfzehn
Jahre lang teirieben.«
»Warum Zaunlönigi« fragte ich.
»Ein komischer Name fiik einen Rie
fenballon.«
«Run, lennen Sie nicht das Mars
chen vom König der Vogels Da sloel
doch der Zauntönig bei dem großen
Wettfliegen arn höchsten, weil er sich
in den Federn des Adlers verstectt
hatte und erst anfing zu fliegen, als
dieser nicht mehr weiter konnte. Sie
waren übrigens wohl in jener Zeit
nicht in Berlin? Jch bin damals mit
meinem Batlon «Zaunlönig« von oer
hasenhaide ault wohl fünfzigmal aus
gestiegen.«
»Ich befand mich damals in Ber
li«,« erwiderte ich, «doch ist tnir dies
entgangen. Uebrigens wie war es m-t
dem Abenteuer?"
Ein merkwürdig seines und selths
mes Lächeln lriiulette sich um den
Mund des Fremden. »Diese Ge
schichte is lögenhaft tau vertellen,«
sagte er. «toie eo von dem Wett
aus zwischen dem «Swinegel« unI
dein Oasen heißt, nnd ich furchte, Sie
werden mir nicht glauben. Können
Sie viel vertragen in dieser Hin
sicht?«
»Das stärtfte,« erwiderte ich. »Ich
arbeite selbst in dem Flieh-"
»Nun gut, daraufhin will ich ee
wagen. Also heute vor zwanzig
Jahren war ein ganz ungewöhnlich
stiller, sonniger Junitag, in dem sich
lein Lüftchen rührte. Mein Freund,
der alte Weinhöndter Botestie, meinte
scherzweise, ich Iotirde wohl heute an:
denselben Fleck wieder herunterkom
men, von dem ich aufgestiegen wäre.
Er wußte aber ebenso gut wie ich,
daß, wenn unten auch vollkommene
Windstille herrscht, in der oberen
Lust doch immer eine gewisse Stro
mung geht. Jch hatte beschlossen,
den günstigen Tag zu beniiszem um
einmal ganz besonders hoch aufzustei
gen» und dies wurde dein zahlreich
oersammetten Publitum angeliindigt
während Bötefiir diese meine Ansicht
schon um Mittag von mir erfahren
hatte. Der alte Herr nahm ein ganz
besonderes Interesse an mir nnd mei
nen Fahrten nnd fehlte nie, wenn ich
aufstieg. heute tant er lurz oor der
Abfahrt und brachte mir eine wohl
eingecviclelte Flasche Wein. »Nimm
thaler Auslese«, sagte er, »ich habe
nur die eine Flasche noch von diesem
tösttichen Jahrgang. Wenn Sie der
höchsteu Punkt erreicht haben, da trin
ten Sie ein Glas davon auf mein
Wohl. Jch dente mir, das wird ooa
ganz besonderer Wirtung sein, und
ich tann dann sagen, mein Wohl ist
schon in soundsooiel taufen Meter
Höhe iiber dem Meeresspiege getrun
len worden!«
»Ich lachte iiber den alten Kauz
und legte die Flasche in die Gondet.
Als ich ausstieg, rief er mir nost
nach: -
»Nun, heute werden Sie wohl die
Engel im hicumet zu sehen triegeni
Größen Sie Petrus von mir!«
»Der Aufftieg ging bei dem stillen
Wetter glatt und ruhig von statten.
»Als der Auftrieb nachließ, löste
ich tangfarn nacheinander die Schnür
ver Sanviäcke, und während ihr Jn
hatt in tattmäßigen Pausen wie ein
weißer Strahl in die Tiefe fuhr, stieg
ich zu immer reineren hohen auf.
Das Geräusch der Welt war längst
verstummt, unter mir lag Berlin, von
seinem eigenen Dunste leicht ver
schleiert wie ein riesiges Spinnenneiz.
und vie Cisenbahnziåge trochen wie
tteine Raupen hinein und heraus. In
der Tiefe treifte ein Falte und warf«
mir zuweilen einen schnellen Itiigeii
btih zu. Trohdem auch er in Steigen
begriffen war. ward er doch bald sum
guntt und entschwand meinen Augen.
o war ich eine ganze Weile gesti
qen, als ich bemerkte daß mein sal
laft zu Ende ging. Eine Anzahl von
Grundsäan mußte ich mir fiir allerlei
Möglichteiten hei der Niederfahrt
aufbewahren, auch hatte ver zuerst
noch ichtafse Vallon sich in der leichte
sren Luft ausgedehnt und war fteatnrn
Igeftillt. Ich hatte die größte Unter
diesen ums-sahen mögliche Höhe sie-I
ericht. Mein Baroeneter zeigte gegen
4000 Meter an. Der Montblanc ist
nur 800 Meter bisher. Es war emp
sinblich kühl, mich fror ein wenig«
und ein bischen Schlösrigleit lara
über mich. Da fiel mir die mitge
nommene Flasche in die Augen. Sie
»enthielt rheinischen Sonnenschein ans
einem der heißesten Jahre dieses
Jahrhunderts und lonnte mir will
lomene Erwärmung bringen Jch
wickelte die Flasche aus und sand, daß
Idee vorsorgliche Weinhänbler ein
Trinlglaz iiber den Hals gestillpl
hatte. Dann öffnete ich ste. Nie in
meinem Leben habe ich so etwas von
Blume an einem Weine gespürt; ein
so edles Geteiint war noch nie über
meine Lippen gekommen. Von Dank
barkeit gegen-den Gebet erfüllt, hob
ich das Glas empor und rief: »den
Johannes Bötesür ist ein edler Mann.
er lebe hoch! viertausend Meter hoch!
Hurral"
»Dann ekanr ich behaglich ein Glas
nach dem andern. Jch führte bei mer
nen Lustfahrten sonst nie alloholische
Getränke mit, daher war mir diese
sineiperei mitten in dem unendlichen
Luftozeam wo ich als ein einsamer
Punkt schwamm, ganz etwas Neues.
Jch geriet in eine seltsam träumerische
Stimmung und hatte allerlei Ge
sichte-«So stellte ich mir zum Bei
spiel plötzlich dor, wie unzählige Men
schen in und um Berlin zu mir em
porschautem und sah sie deutlich·vor
mir, eine bli schnelle Reihenfolge von
Gestalten, hubsche Miidchengesichter,
die unter Blumenhiiten hervorschauH
ten, uno Köpfe alter schrumpfligckl
Mittterchem von Spiyenhauben einge
rahmt, Sonnenbriidrr, die, faul auf
Bänle gerelelt. schnapsrote Nasen zu
mir empor-hoben nnd die Lippen zu
faulen Wihrn verzogen, einen einfa
men Schäfer im Felde, auf seinen
Stort gestützt, einen Feld-jagen der«
aus der Chaussee ritt, und so noch
tlnziihliges. Auch Herrn Bötesiir sah
ich. Er hatte den Kopf so weit in
den Nacken gelegt. dasr sein breiter,
weißer Bart horizontal stand; sein
gutes, runde-, rötliches Weingesicht
leuchtete wie die Sonne, die im Res«
del ausgeht. -Seine Lippen bildet-m
Worte; ich hörte sie zwar nicht, ver
stand dennoch aber ganz deutlich:
»Grüßen«Sie Petrus von mir!«
»Aus solchen und ähnlichen wun
derlichen Träumereien wurde ich auf
geschrectt, als ich plötzlich in diese
ungeheuren Einsamkeit des Lustwa
res Stimmengemurrnel vernahm und
dazwischen ein Jauchzen wie von
munter spielenden Kindern. Ber
wundert sah ich nach den Seiten und
endlich hinter mich. Wo war denn
mit einemmal das mächtige Wollen
gebirge hergekommen? Wie eine
Felswand, aufgetiirmt, aus mächtigen
halten weißer Watte, stieg es aus der
Tiefe empor, und als ich höher blick
te, ward meine Verwunderung noch
größer. denn oben wurde diese Wand
gettönt durch einen überaus prächti
gen Palast von durchscheinendem
Alabaster, dessen goldene Zierraten in
der Sonne blitztem Auf den Wol
ten, die dieses schimmernde Gebäude
umschwebten, bald es zum Teil ver
dectten, bald mit treuem Glanze wie
der hervortreten lieszem tummelie
sich eine Unzahl von geflügelten Kin
dera.
»Auf der breiten Freitreppe aber
oon weißem Marmor, die zu diesem
Wunderban hinsiihrte, standen einige
alte würdige Palriarchen und sahen
unter verwunderten Ausrufen und
Gesprächen aus meinen Ballon hia."
-Der ansehnlichstefunter diesen trugj
Stirnioete in Form einer Flamme;
in der hand hielt er einen grogen
goldenen Schlüssel. Da wußte ich nnt
einemmale woran ich tvnr, öffnete
schnell noch einen Simoan wodurch
oer Ballen ein wenig stieg, und wars
ben Leuten ein Tau zu· Der eine ver
Patriarchen sing es aus« unb nun
ward mein Ballen herangezogen Ju
banv ihn an einen goldenen Ring. oee
in M Mauern-keck eingelassen cour,
und stieg nut.
»Na, hören Sie mal«« sagte der
Mann mit der Siirnlocke, »auf die
Art ist hier noch keiner angekom
nun-"
«habe ich die Ehre«, sragte ich
»Den-n himmelopsörtner Petrus vor
rnir zu sehens«
»Ja wohl, mein Name isi Pe
trus«, erwiderte er. »Sie wün
schmi«
»Ich habe einen schönen Gruß zn
bestellen oon here Bötesiir aus
Berlin.«
«Danle schön, obgleich ich here-i
Bötesiir nicht kenne, bosse aber sein-.
später einmal seine werte Bekannt
schast zu machen. Was hat der
Mann silr ein Geschäfts«
»Er ist Weinbiindler.«
»Da machte der gute, alte Petrus
"clllkll Milch Weisen Bock Und Uns
ein dedenlliches Gesicht und lrakte sich
hinter dem Ohr »Da sieht s windig·
aus mit der spätern Betanntschnöw
sagte er, «Weinhiindler kommen ie
nur sehr selten her. Sie haben inc-«
met so kleine Geschöstsgeheimnisse«
die ihnen hinderlich sind. Sie logie
ren meist eine Etage tieset. Höre
mal, Niquet«, sagte er dann zu dem
Alten« der das Tau ausgesungen hat
te, »Sie sind ja aus Berlin nnd wa
ren auch Weinhändlet; wie steht es
init Bötesiir?« ,
»Es ist’n ordentlicher Mann, Hm
Oberpsörtnet,« antwortete dieser.
«Nn, dann wollen wir das Beste
hoffen« «
»Ich hatte mich unterdessen nen
gierig umgesehen, und da war mir
eine wunderschöne Türe ausgesallen,
von Elsenbein mit Gold beschlagen
die in das Innere dieses herrlichen
Palastes zu siihren schien. Hinter ihr
ertönte eine wunderbare Musik, wie
von mächtigen Aeolöharsen in wech
selnden Harmonien; bald schwellen
die Töne gewaltig an, bald säuselt-n
sie sanft, »dem Weste gleich, der über
Beilchenheete nicht«
it
«Berehrter Herr Oberpfortner, da
ich nun einmal hier bin, so erfüllen
ie mir einen fehnlichen Wunsch.
Darf ich einen Blick tun auf dag, was
hinter jener Ture ist?«
»Da wurde der alte Herr seh:
ernst und runzelte die Stirn.
· »Lieber junger Mann,« sagte er,
»das ist ein seht vermessener Wunsch
yenn irdische Augen ertragen nicht
den vollen Glanz des himmlischen
ichtesz es würde Sie vernichten. —
chauen Sie herl«
I »Damit ging er an die Tiir und
l ob nur die Klappe vom Schlüssel
ch zurück. Da fuhr ein blendender
trahl heraus wie eine lange, scharfe
.linge von weißgliihendem Eisen, das-,
ich entsent die Hände vor des Gesicht
dire, rnn der alte Niquet mich niaht
klug und die Stufen hinabgetanmeiL
hal n hötte.«
»Petrus und die Patriarchen lä
Oelten sauft, die kleinen Engel aber
erhoben ein lautes Gekicher.
«Ertliiren Sie uns lieber Jhr son
derbares Fahrzeug,« sagte Petrus
Oanm »das ist doch wohl ein-soge
nannter Luftballon?«
»Ich tvar dazu gern bereit, stieg in
die Gondet und erklärte dem alt.«i
Herrn alles, die Anwendung der
Sandsiicke, die Füllng des Ballen-L
das AblaßventiL meine Instrumente
und die ganze Bauart des Luftschifi
fes. Unterdesz kletterten die Engel in
dem Tautvert herum und tanzten auf
der oberen Rundung; der Ball-m
tvimmelte von ihnen, nnd sie ums
fchtvärmten ihn wie die Fliegen ei
nen honigtopf Rinde-N sagte ich,
.daß mir teiner von euch an der Ven
tilfchnur zieht —- dann gib« ’n Un
gliict.
»Der alte Niquet hatte mit kundi
gem Auge die Weinflafche entdeckt.
Er nahm sie und las die Aufschriit.
»Eure gute Nummer —- wenn’·3
wahr is," meinte er.
»Belieben Sie vielleicht zu to
sten?« fragte ich
«Er schenkte sich ein und priifte tvE. ·
ein alter Kenner. Dann gon er den
’Reft, der noch in der Flasche war, tn
das Glas und bot es Petrus dar.
,,Wie war’s, Herr Oderpsortner,z
das ist wirklich Nil-unter Eing.«« s
»Petrus machte ein wunderlich-K
Gesicht, er schien nicht recht zu wissen,
ob es sich auch siir ihn passe. »Seit
achtzehnhnndert Jahren hab ich let-s
nen Wein mehr prodieri,« sagte er»
dann; «nun, der Wissenschast hal
her möcht ichs wohl riettieren.'·l
Dann sog er wohlgesällig den herr
lichen Dust ein und traut mit Ge-l
siihl in tleinen Schlückchen das Glas-!
leer. Seine Ziige hatten sich ver-I
trakt. » ·
.Jn manchen Dingen ist die Welti
doch sortgeschritten,« sagte er, »so ctsl
was kannte man zu meiner Zeit noch
-nicht."
»Der Wein ist von Bötefiir«, sagte
ich daraus mit Beflissenheit.
»Ich denle,« antwortete er, »ich
habe doch noch Aussicht, den Mann
kennen zu leben. Wer solchen Wein
in seinem Keller hat, tann tein
schlechter Mensch sein.«
.Wiihrend wir nun so miteinander
diskutierten, hörte ich plöhlich ein
Geschrei, das ich nicht verstand; ich
hatte aber das Gefühl, es ginge mich
rin.
·ch«Wer schreit denn hier sof« sragte
i .
»Wer schreit niemand,« sagte Pe
trus, »hier wird überhaupt nie ge
schrien.«
«Diese Antwort tatn aber wie aus
weiter Ferne, nnd ich sah niemand
mehr; Petrus, die Patriarchen, die
Engel, das schöne Schloß nnd alles
war verschwunden. Jch riß die An
gen auf und bemerkte ringsum nicht«
als leere Luft. Das Geschrei aber
dauerte fort. Ich blickt« über Bord
und fah Wasser unter mir mit KälH
nen, auf denen Leute saßen und mirs
zufchrien. Der Ballen fant und
war nur noch hundert Meter über
dem großen Miiggeiser. Wie der«
Blis stürzte ich zu und zog die·
Schau-e an den setzten Sandiiicken.(
Das half, der Ballon hielt sich eine
Zeit lang in gleicher Höhe und segeigel
dann langsam sinkend, von eineerl
leiien Luftzuge getrieben, dem Uer
zu. Mit tnnpper Not entging ich
dem Wasser und tam nuf einer Wieiel
bei Rnhnsdorf, mit Hilfe hinzueilem
der Leute« glücklich ans Land. Noch
am fslbigen Abend wnr ich wieder m
Berlin und konnte meinem Freunde
Bötefiie dies höchst merkwürdige
Abenteur erzählen und ihm Gliict
wünschen, daß er sich für die Zukunft
dn oben einen so guten Freund erwor- l
ben habe.« i
Der fremde herr hatte während
der Erzählung seinen Wein nicht ver
gessen nnd die Flasche war unterdes
leer geworden. Die Bezahlung hatte
er im Laufe des Gespräches, als ge
rade der Kellner vorüber kam, eben
falls abgemacht, und kaum hatte er
das letzte Wort hinter sich. als er lich
erhob und nach Stoek und Hut griff.
»Ja, es passieren dietvunderlichsier
Geschichten«, sagte er. «man sollt’ es
kaum siir möglich halten. Jch hals
die Ehre, mein Herr-X
Und sort roar er,
Jch sah ihm etwas verblüfft und
nicht ganz befriedigt nach. Ueber
einige dunkle Punkte in dieser Ge
schichte hätte ich ihn gern um Aufklä
rung gebeten. Jch oertröstete mich ani
den nächsten Tag, allein er kam nicht,
während er doch sonst sich so regelmä
ßig einfand. Er ist seitdem liber
hanpt nie wieder in diese Weinstulse
gelommen, und die dunkeln Pant.c
werden siir mich wohl ewig dank-It
bleiben. Vielleicht geht er jetzt tvied.:
zu Bötefiir. Längst schon hätte ich ins
dort ausgesucht, aber im Adresibuch ist
ein Weinhändler dieses Namens nicht
zu finden. Er wird wohl schon bei
Petrus sein. "
Dru- PnJet non»
Itlriiulein Meyer-.
Von Ernst lllitzsch (i1n Feld). l
l
s
Nichts machte uns so viel Vergnü
gen als die Verteilung der Post.
Beim Abendappeli hielt uns der Feld-l
tvebel erst die Siinden des Tages
vor, ehe er die Namen derjenigen
ausrief, die vortreten und ihre Brief
sachen empsangen durften. Briesei
waren das einzige, das vorn Lebeni
der Heimat sprach —- hundertmall
gelescne Zeilen, in denen das Blut
geliebter Menschen schlug. liamerad
Brandt empfing niemals Briefe.i
Ueber zwei Jahre lang lebte er unsers
Leben, und niemals warf ein Briesi
ein Lächeln in seine Tage. Er wart
in Chicago geboren, sruh uerluaist,s
von Verwandten erzogen, deren Spurs
dass uberstiirzte Leben in den »Staa-·
ten« verspiilt hatte. Als einem der
menigen gelang es ihm, dein Deutsch
lllllo UlO otllJlll lllllili lllclsk Als clslcT
Legcnde gewesen war, nach Krieges-L
ausbrach Europa in Vertleidztng zu«
erreichen. Er trug nie llrlauo an,
denn er lannte in Deutschland nir
mand, zu dem er hätte gehen tön
nen. Aber niemals tam eine Klage
iiber Vrandt5 Lippen. Nur manch
mal schien ein stunipses Grau seine
Augen zu überschritten, wenn wir
gar lange über unsere Briesen saßen
nnd aus den Päachen allerlei Herr
lichleiten schalten.
Weihnachten war vorübergegangen
u. hatte Berge von Paleten iiber uns
ausgeschaltet Uns dem schmalen
Tisch bauten sich die Piickchen aus«
die wie in einem Märchen die löst
lichsten Dinge hervorzauberten. Jn
diesen Tagen tvar der Andrang zur
Feldtsiche nicht groß; nur tiamerad
Brandt aß sein Kochgeschirr leer.
Zwar hatten verschiedene Hände Ge
schente von den Dingen aus seinen
Platz gelegt, aber sein Dank war
gequält gewesen, und er hatte kaum
davon gegessen. Kamerad Biber, den
eine zahlreiche Familie mit Gaben
versorgte, öfsnete am Silvesterabend
eine grvsze Kiste und entnahm ihr als
sp«es eine Gänsebrust.
»Spickgani!"
Aber nicht Biber hatte es gerufen,
sondern Brandt. lind er gestand
srelmiitig, daß er noch nie welche ge
gessen habe. »Ich bin stets ein armer
Kerl gewesen,·«, sagte er ruhig, »und
in Amerila sind solche Dinge sehr
teuer«.
,Bei uns sind se jetzt noch vllle
teuerer«. slel der neugierige Schuwald
ein« »Bei Ding koft mindestens seine
zwanzig Emmelzen«.
»Dann werde ich sie mir gut ver
wahren!« lachte Biber-. Er enttortte
dann eine Flasche Rotwein, der in
der Runde getrunken wurde. Usii
allen aber fiel der Blick auf, nijt
dem Brandt-Z Augen die Kiste ver
sengtem
Als ich in der Nacht auf Weise
zog, traf ich Biber« der irgend wen
in einer anderen Baracke besucht hat
te. «
»Hältst du es für möglich«, sagte
er. »du hockt der Brandtschon zwei
Jahre bei uns, während ich bereits
wer weiß wieviel Gänsebriiste betont-»
men habe, und sag! niemals, daß er
gern ein Stückchen davon hätte-L J
»Er bittet eben nicht gern, was ich
schon verstehen tann««. «
»Ach nas, unter uns ist doch vom«
Bitten teine Rede. Er hätte sich detach
etwas sordern können«.
»Da-hättest du ebensogut schon
längst ihm etwas anbieten Können-U
Und wenn du ihm seht etwas gi st,
lehnt er ab. Er scheint sich s on.
lange zu grämen, daß niemand in
der Welt an ihn dentt«.
Nach einer Weile sagte Biber: »Du
magst recht ThalxenE dreht sich um und
ließ mich alein. Am nächsten Ber
inittag rief Biber durch die Barackt:
,,Kinder, wir niiissen wieder Falten
aufstellen, esgibt Ratten. Die Bande -
hat mir meine Gänsebrust zerfressen,
den Rest habe ich eben weggeivorfetk.«
Es war wohtinehe als Zufall, daß «
wir alle auf Brandt blickten, d
aber, ohne aufzuseheri, seine Stiefel
putzte. Und es war nur gut, daß
Kamerad Neuseld sofort !ieipflichte«te:
»Mein Kuchen ist ebenfalls ganz Hee
nagt worden." —-«"Die Ratten muß
ten sich wieder eingefunden haben.
Acht Tage später geschah das Er
eignis, daß die ganze Kompagnie
beim Postverteilen «Aeh!« rief, was
sogar der Feldwebel ungeriigt ließ.
Es war aber auch ein Ereignis:
tiainerad Brandt hatte ein Palet
belominent
Die Freude ließ seine Hände so
zittern, daß er es nicht öffnen konnte
und es mir hinschob, damit ich XI
an seiner Stelle tun sollte.
»Von wem ist es draus« fragte der
neugierige Schuivald.
Jch beugte mich iiber die Adresse,.
die verivischt und-zerrissen war. Tin
tenflecke und Rasuren erschwerten das
Lesen, aber schließt-ich entzifferte ich,
daß es wirklich an unseren Brand-I
gerichtet und von Gertrud Meyer in
Berlin gestistet war. Dann teilte
sich die Schnur unter dein Ruck mei
nes Tascheamesser5, der Deckel flog
herab, aus Papierschniheln wühlte
ich erst eine Flasche Connac, dann.
eine Suickganö und einen tiuchen her
vor. Jch wunderte mi,ch, daß die
Dinge nicht besser verpackt waren,
aber Frauen schicken manchmal son
derbare Palete ab. Es lag auch tin
Brief dabei, in dem Fräulein Gee
trud Meyer aus Berlin W unserem
Brandt versicherte, daß sie von seiner
Existenz »der Zufall« erfahren und
ihm deshalb die lteiiie Kiste geschickt
habe. Und ich wunderte mich weiter,
daß Fräulein Gertrud Meyer aus
Berlin W, so hatte sie unterschrie
ben, die so teueren Geschente machen
loniite, dasselbe ordiniireBriefpapier
benutzte, welches- es in unserer Flan
tine zu laufen gab. Auch schien es- mir
auffällig, daß ein Fräulein aus Ber
lin W eine plumpe, llobige Hand
schrift hatte nnd die Orthographie
des-J Briefes recht viel zu wünschen
iibrig ließ. «
Als ich mir aber die Geschenke »
näher besah, mußte ich feststellen, wie
sehr die Giiiijebrust aus BerlinW
der meines Kameraden Biber Schnelle-,
und der von den Ratten zernagte
Kuchen wohl auch aus Berlin ge
iveien war.
Ohne daß es Brandt gewihrte, auf
dessen Zügen ein Lächeln erstarrte,
nahm ich Biber nnd Reufeld beiseite
und behauptete dreist
»Das Palet ist nicht von Weyeri
— es ist von euch«
»Qnatfch!« antwortete Biber
»Ein Blinder sieht, daß Reisfeld
den Brief geschrieben l)at««.
Der antwortete erst mit einein
gurgelnden siehllant nnd ging dann
rasch weg»
»----0..
—- Ach ioi Ednard: Siebin
Frist-, ich bin d’r nämlich ä komi
scher Kerl; wenn ich arbeeth da trin
ke ich fernen Troppeni
Feine: Amor deine Balle is doch
bald leer.
Editard: Ja, wischte-, ich arbcete
ja doch ooch nicht
— B osl)ait. Hutnoriit lin der
Reduktion): »Bitte- könnte ich viel
leicht den Herrn sprechen, der meine
eisiger-richten Witze —- nicht lieitl"
-