Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 06, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-statth
Staats Knieiger und Ich-old
MJMOUQWMC Steep
Un. 2. —
Ein Erlebnis in Chinatowm Sau
Fraun-Im Von Etsch Scheuermanu.
—
—
Es war zii San Francisem Ge
gen Ende des zweiten Kriegsjahtes.
Tek inilde Abend hatte mich kn die
Chinatoivn, vie Chinesenstavt, gelockt
Tzch schlenderte in mäßiger Betrach
itiig durch vie engen Straßen, rie.
von hageteii Kuliss, buntgetleiveten
Frauen, Kindern und seisten Kaus
leuten belebt, ein getreuliches Abbild
des seinen Lstens gaben.
Als ich vor einer Auslage des gro
ßen chinesischen Basars Sing Fat
Co, stehen blieb und die Dort ausge
haujten Schatze des Orient-, die tast
lichen Edelsteine, das alte Porzellan,
die Btvnzes und mannigfachen Sei
Denerzeitgnisse bewunderte, trat eiii
alter Mann iieden mich. Er war
tlein, so tlein, naß, solange ich itin
nicht beachtet hatte, ich einen Knaben
net-en niit stehen mahnte. Erst als
ich mich wandte, um an das nächste
Lichaitsenster zu treten, sah ich in
zwei blaue Augen, die mit aus einein
verwettekten Greisentopse entgegen
teachteien. Diese Augen standen zu
oiii viniizelgeiicht in solchem Wider
sisttich, daß eö aussah, als blicke ein
titno durch eine Aitmannertnaste.
Tini gleichen Augenblick hob sich eine
kleine, schmale Hand, schob den schwe
ten Ueheteoa, vee seinem Besiyer sast
bis ans die Zehen hing, sachte zur
weite, iooun ein wieisinsichndchen
aus der eingedrückten Brust sichtbar
wurde, und ich hörte mich in tlarftem
Teutlch eingesprochen:
»So« ich cie iiihren, mein Herr?
Jn, habe Uizenz ooin Board of Police
uoiiiniissioner5.'«
Tie stiiiderhände italen schen wie
der tief in den großen Seiieiiinicheii,
nber der tleine Kopf iab noch, gleich
ivie bei einem truiiten Bögelcheii leit
lich gedreht, fragend zu mir auf.
Ich blictte zu dem Alten hinab
und logie: .Guter Mann, ich bin
lietannt hier; ich tenne den Tempel,
die Telephon-Exchange, das Theater;
ja ich bade sogar den berühmten Mu
siter Professor Mon Yuen spielen
Adern. Es wird tauin noch eine
euigieil tiir iiiich geben-«
Er hörte mich ruyig un und sagte
dann bestimmt: »Tech, mein herr!
Jch kann Jbiien vielleicht etwas zei
gen, das Edle noch nicht kennen. Oder
haben sie tchon die schöne Tochter
des Tlang Ebin Lun das« Lied der
weißen Blüte singen hören2«
Das blitte ich allerdings nicht. CI
habe das Recht, für ieine Inbrung
einen halben Dollar zu verlangen;
doch ich brauche dieie Summe nur
zu zahlen, wenn ich befriedigt sei.
Der,zioergeiiblilie Alfe interessierte
mich mehr, als die Tochter des Tiang
Shin Mun, und io ivilligte ich ein
Er tnöpfte seinen Ueberroit zu und
ging nun neben mir ber, bescheiden
zur Seite tretend und in der Stin
Izeiirinne harrend, ivsiin ich oor einer
Auslnge sieben blieb oder dem leiden
lchnftlichen Spiel der ttulig in einer
Uclciäuuscclcll Oplllllllssqic zusälq.
Er hatte mich aus gut Deutsch im
Klange der Niederscutschem angere
det; nun sragte ich ihn im Weiter
gehen, woher er gewußt habe, daß
ich ein Deutscher sei.
«Wenn man vierzig Jahre das
gleiche Handivert treibt, weisz man
das und redet jeden in der Sprache
» an, die ihm eigen is.«
Als er gleich daraus von einem
Fremden nach einer Gasse befragt
wurde, tonnte ich mich überzeugen,
daß er ebensogut Englisch wie Deutsch
listed-.
Wir traten in den Lichtschein einer
Laterne, und ich sah inir meinen
wunderlichen Gefährten nun auch
von der Seite an. Sein Gesicht hat
te, derart gesehen, etwas Vogelartis
ges· Als ob es aus etwas einhaan
wolle. Eine tiese Furche Zug von den
Winteln der Rasensliigel bis iies un·
ter das kleine, unrasierte Kinn, daß
dieses sich wie ein tleiner, rauher
Jgel vorschab.
Wir bogen bald in eine übelrie
chende Gasse ein, umgingen mehrere
Ecken, stolperten über einen Abfall
izaiisen und stiegen vier Steinstusen
--in einen Zeller hinab. Eine naß
talte, üble Lust schlug mir entgegen,
und ich atmete den süßriechenden
Qualm einer tleinen, pyramidenartis
gen Räucherterze, die seitlich in einer
Iensternische brannte. Der Alte
schritt voran-, siihrte mich einen en
gen hanggang entlang, an mehreren
Türen. hinter denen Stimmengeivirr
tönte, vorüber, in einen tahten, en
gen Raum am Ende desselben.
Ich mußte aus einem abgesessenen
Pllischstnhl las nehmen. Vor inir
war eine tl ne Iribiine arti Kisten
beetterii errichtet. Dahinten an der
getiinchten Wand,shing ein riefenhafi
ter, verblaßter holzfchnitn der Fuji
Yaina, fich in eine-n milchigen Ge
wäffer spiegelnd
Der Alte wollte die Künstlerin im
Augenblick rufen. Er verschwand
Ich hörte, toie man ihn lebhaft be
grüßte. Gleich darauf tehrte er mit
ver Gefuchten zurück. Sie hatte mit
rein Alten die gleiche Größe. Jhn
vertraulich am Arme haltend, hüpfte
sie neben ihrn her zu mir herein.
Tfang Shin Luns Tochter war ein
Mädchen von vielleicht zwölf Jahren
Sie war bunt und flitterhaft genei
vet, und man merlte, daß fte zu
einer Schnuftellung vorbereitet war.
Ein modifcher Spitzeniiberwurf bei
veclte ihren oerblaßten Kimono, unter
dem hellblaue Atlas-hoer und zwei
icharlachrote Pantoffelehen herovrfas
ben. An ihrem Handgelenl tlirrten
vret silberne Arcnreifen. Ihr Gesicht
war bleich, telierfatben, wie eine Blu
me« die teine Sonne beim-um« unk
schien noch farbloser durch einen ver
vriiaten Strauß künstlicher Rosen.
ver ihr iiber drin rechten Ohre hing«
und durch die rußfarbenen Haare, die
straff das breitdactige Gesicht um
rahinren.
Ohne mich auch nur mit einein
Blicke zu beachten, betrat sie das sto
viuin, lehnte sich mit der Schulter
gegen die Wand und treuzie die
Beine, hob ihre strenggeschlitztem
springenden Augen zur Decke, schlintte
einige Male vernehinbar und begann
dann zu singen. Jhre Stimme ttang
anfangs grett und schritt, und ich
vermeinte eher einen Sang der schar
sen Schtverter als das Lied der rveis
szen Blüte zu hören. Aber plötzlich
verschleierten sich ihre Augen und zit
gleich auch ihre Stimme. Als habe
sie die Gegenwart verlassen und sei
in eine weite Trauiiiseine gelangt
Ein Gesicht ihrer Heimat dies sie erst
tirzlich verlassen hatte, schien vor ihr
aufzusteigen, vielleicht sah sie den blü
henden Kirschbaum vor der heimatli
chen hätte. Jhre Hand lag ausge
breitet aus dein Juki-Yama, und ich
sah, daß sie zitterte. Wen ich auch
tein Wort verstand, sv spukte ich doch
echtes Cnipsinden aus ihrem Gesange.
Der Alte nistie zu dein Liede, als
fühle er ihr Heimweh nach.
Als sie endete, jäh und unvermit
telt, sprangen ihre Augen wieder aus;
sie hitpsie von den Brettern herab,
zog augenblicklich unter ihceiii Ki
niono eine vergilssene Postiarm ihr
Bild, hervor und bot sie intr mit to
tettein Zivintern an: «L-ne Dime,
Missisterl" Sie sagte es tali nnd
geschäftlich, so daß ich, uin den Ein
rsruet ihres Gesangeg nicht zu ver
wischen, es rasch an inni, n.iym, de
zahlte nnd ging.
Aus der Straße sragie niich der
Alte, vb ich befriedigt sei. Ich sagte:
»Ja, das Lied der weissen Blüte ist
niir zu Herzen gegangen; ich werde
in den nachsten Abenden noch einmal
zu Tsnig Shin Lunis Tochter ge
hen." Er nickie befriedigi.
Der kalte tietler hatte mich srösteln
gemacht· Jch bat meinen Begteiter.
mich nach der ersten besten Terstnbe
zu bringen. Er führte inich wenige
Häuser weiter. An der Türe wollte
er unitehrem er müsse seinem Ge
schäft nachgehen. Jch hielt seine
warte siir eine Aufforderung, mit
ihni abzuiechnen, zog einen Douai
hervor und sagte, er möge niir nun
auch noch siir den Rest des Abends
seine Gesellschaft geben. Er griss
nach deni Gelde, ivie man eine Fliege
sängh und trat niit mir in die Tees
Als wir an einem der runden Ti
iche Platz genommen hatten, legte er
Alte den Doliac vor sich hin, als
schäme er «sich ietzt seiner Habgier
ließ aber dag Papier formt nicht
mehr aus dem Auge.
Dre puppenartige Mädchen in
Taube , schwatzen Kimonos nnd
gelben Beintteidern, bediente-n Sie
ticherten und schwatzten ununterbro
chen. Die Eine tani an nniccen
Tisch und fragte artig nach meinem
Begehr. Zch bestHlte und fragte den
Bitten, was er wnnfchr.
»Nichts-! Garnichtst«
»Auch teine Tasse grünen II mtt
Reisbrot?« ·
»Nein, auch das nicht!« Er fes
nicht gewohnt, um die«" Zeit etwas
zu essen. Er esse überhaupt nur
zwei Mal ain Tage; aber dann auf
die Minute. In feinem Ulter have
man auf sich zu achten.
Das Mädchen brachte mir auf lat
tiertesn Brette einen köstlichen Te
nnd eine achtteilige Rundschau mit
tandieetem Jngiver, Capra, China
nitssen und anderen mit unbekannten
Lectereien. Während ich aß und
trant, hatte ich den Alten verschie
dentlich angeredet und befragt, doch
ohne mehr als eine kurze Antwort zu
betont-nen- Erit als das faubere
Teehaus sich mehr und mehr stillte,
I
rings die buntberoamsten Schlihiiugb
gen unter Lärm und Gelächter zu
schmausen, mit Holzstiibchen ihre
tleinen Sappenschälchen auszusischen
begannen, ward er gespriichiger.
Und plötzlich rückte er mir nahe.
Er sah mich durchdringend an und
fragte: »Wird Deutschland siegen?«
Es lag tiese Sorge in seiner Fra
ge, sodaß ich untoilltiirlich versichert-:
»Aber natürlichl«
Er müsse nämlich nochmals hin
über. «Jch muß,« sagte er und
trallte bei diesen Worten seine Fin
ger.
»Auch Deutschlands« fragte ich
verwundert
»Ja, natürlich! Nach Deutsch
land!« entgegnete er; als ob das
ganz selbstverständlich wäre. Sein
Vater sei turz vor dem Kriege ge
storben. 108 Jahre alt. Er habe
ihm noch einiges «hinterlassen. Aber
nicht deswegen; er habe immer schon
hinüber wollen. Ob er wohl hin
liberdiirM
«Jetzt’i«
»Bei Gott« seht doch nicht! Kein
Mensch wird so närrisch sein!....
Jch meine überhaupt!"
Ja, aber natürlich, nach dem Krie
ge stände doch nichts im Wege.
Er niclte nachdenklich. Das sei
noch die Frage »Wenn man jung
st Sie begreisent Jch war
damals erst vierzehn als ich von der
Heimat abtnusterte. mit neunzehn
hätte ich zuriiltiniissen.«
Wie lange er Deutschland nicht ge
sehen habe.
1853 habe er Hamburg verlassen.
»Das ist nun schon lange, lange
her. Zu der Zeit gab’5 noch keine
Dampser. Alles per Segler. Wo
chen, Monate brauchten wir, bis tvir
hterhertamem Und dann blieb ich
hängen leine größere Dumm
heit konnte ich nicht machen .....
doch daran ist ietzt nichts mehr zu
ändern.«
Er starrte einen Augenblick vor sichl
nieder, als müsse er sich aus etwas
besinnen. Seine Augen treisten un
willig bin und her; als habe er et
was gesagt, das er nicht sagen durs
te, das ein Verrat an irgend einem
Unantastbaren sei. Als täme plögs
lich etwas zu ihm, das er schon lange
von sich gewiesen hatte. Ja, wovon
sprach er nur-? Man fragte ihn
etwas Fremdes, über das er als über
etwas Fremdes Austunst gab.
Sein Gesicht schien iiber seinem
Besinnen noch tleiner zu werden.
Doch sowie er seine Augen wieder
hoch und aus mich richtete, sah ich
vaß sie nach wie vor leuchteten.
«Sind Sie verheiratet?«
»Ich war zweimal verheiratet. Die
Erste starb mir im Wochenbett, die
Zweite ist nun auch schon zehn Jahre
nicht mehr. Sie hatte es hier«. —
Er zeigte aus die Stelle des Herzens-.
-Der Alte berichtete dies alles mir
tlangloser Stimme. Er sprach von
seiner Vergangenheit wie von Din
gen, an denen er nie einen Anteil ge
yabe habe. Unisesragt fuhr er sort
zu berichten. ·
»Meine drei Jungens waren auch
verheiratet. Auch sie find schon iangeI
nicht mehr. Dai- große Ungliick...s
Sie wissen: das lirdbeben ....nahm;
sie mir. Sie sind alle, alle elendigs
lich verbrannt. Jiicht ein Fetzen war
von ihnen übrig. Wenn ich drüben
geblieben wäre, hätte ich sie jetzt auch
verloren; es waren stratnme Jun
gens. So —- oder so. Es ist alles
gleich-«
m schien es ais ein rekcheg weil
schenl zu betrachten, daß ich ihm teil
nehmend zuhörte. Mit einem Male
schob er mir meinen Dollarscheinj
wieder zu. «Lassen ivir dast« s
Jch wehrte. Da blictte er mich so
zornig-with an, daß ich den verlnits
terten grünblauen Geldlappen wieder
zu mir steckte. Ich mochte den Alten
doch nicht lränlenl (
Ob sein Beruf gut abiverseP
Jch bekam teine Antwort und wie-.
derholte meine Frage. l
»Es langt. Freilich, der Krieg
macht eauch mie Schaden. Keine
Fremden. Nur Engländer noch; fast
keinen Deutschen. Der Deutsche ist
immer gründlicher . . . . er sragt mehr
und bezahlt, was man sordert.«
»Nun, der Krieg wird einmal aus
hören und alle Verhältnisse wieder
ig Ordnung bringen«, beschwichtigte
l .
»Dann habe ich hier ausgedient,«
sagte der Greis hestig, und eine plötz
liche Weichheit ichien ihn zu durch
zucken. »Hier sterben? hieri«
Die Falten legten sich breit, wie
zwei Schwerthiebe quer liber das
lleine Gesicht. Als habe es sich selbst
durchstrichen. Jch wußte nicht, ob
er lachte oder ob der Schmerz es
verzerrte.
,."Wenn ich nicht mehr hinüber
tann, mag man mir, wie ben Chi
nesen. von dem Erbgelde drüben Dei
matserde schicken. Deutsche Erde.
Die soll mir in der Grube dann we
nigstens zunächst liegen.«
Warum er nicht hier sterben wolle.
Auf teinen Fall wolle er das.
Seine Stimme leiste hochlönig und
seine Hunde griffen aus die Brust.
Jch sah, daß er ungeduldig an et
was Blanlem herumnestelitz bis es
sich löste. Er warf ein rundes Blech
schild auf den Tisch: «Lescn Sie das!«
Jch las: No. 2 stand darauf und
ich las es laut: «Nummer zwei."
»Ja, Nummer zweit Aber das ist
Betrugl Mein halbes Leben ein
glatter Betrug. Oder ist es lein Be
trug, wenn man statt Nummer eins
Nummer zwei belomth
Allerdings, das war ein schwerer
Betrug!
«3w"anzig Jahre laufe ich mit die
sem Ding auf der Brust herum und
der der Andere der trägt
die Nummer einst Und der Andere
das ist ein Betrüger! Ein
Schurke! Jch, ja ich allein war der
erste, welcher in der Chinaiown einen
Fremden führte!«
Wie das denn zugegangen sei?
»Ganz einfach. Eines Samstags
kam der Kommiser zu mir und
sagte: »Von Montag an habt ihr«
eine Monatstaxe oon zwei Dollars
zu zahlen, dafür delomnit ihr ein
Schild, daß jeder Fremde euch erleu
nen iann.« — Das war recht und
gut und schätzte unser Handwerk,
das damals bluhte, in das so man
cher Schurke hineinpfuschte. Am
Sonntag erzählte ich es meinen Kol
legen, einem Jrishinan. Der freute
sich auf die Nummer, so sehr er auf
die zwei Dcllars fluchte. Als ich
dann am Montag in aller Frühe
zum Board of Police tam, war der
Schurke schon dagewesen und hatte
sich Nummer eins geben lassen. Er
hatte den Kommissar bestochen und
mich betrogen.«
Der Alte trommelte wild auf der
Tischplatte und seine Iiinderaugen
blitztcn gehässig vor Zorn. .
»Dasiir will ich mich rächen.« Sein
Stoppeltinn zitterte. »Wenn der
Krieg zu Ende ist, dann schmeiße ichs
ihnen das Schild dor die Füße und»
gehe nach Deutschlands« (
Er schnauste und zapfte an dem
Schild, das wieder an seiner schnitt-l
len Brust hing. Er mertte es nichtJ
wie seine Stimme immer lauter ge-;
worden war und sich im Sprechen
überwarf. (
Das Teehaus hatte sich geleertJ
Drei der Mädchen in den gelben Ha«
sen umstanden uns und hörten die
Zornworte des Alten. Und sie lach
ten über seine Gesten. Eine zupste
ihn an einer Haarsträhne, die ihn:
im Nacken hing, eine andere stupste
ihm sachte den Hut in die Stirne.
Da sprang der Greis aus: »Fu
ches Gesindel!« Er schüttelte sich wie
eine naise Katze, sah mich wieder
seitlich don unten an nnd sagte, ietzt
in ruhigstrr Stimme: »Es ist wohl
Zeit, daß wir ausbrechen, Herr-«
Es war nach Zwölf Uhr.
Jch bezahlte. Wir gingen. Ueber
der Tiire hing eine große-, warmrote
Papierlaterne, darüber stand der
Mond und erhellte die Gasse. Als
der Greis mir die Hand zum Ab
schied gab, sah jah, daß seine blauen
Augen feucht waren und von roten
Liederchen durchsprungen.
Sein Weg ging dem meinen ent
gegen. Er sah dankbar zu mir anf,
lächelte und meinte:
»Als-) auf Wiedersehen in Deutsch
land nach dem Firiege!«
Enfant tertiblc.
Der ad)tjiil)ri,iis Friedrich ist der
Schreiten der dumme und hat ibr
schon manche-:- Entieyen bereitet.
situgst liidt die Mutter befreunden
Damen zu einein Nachinittagvlaisea
Sie ballt sur diese Veranstaltung
Psannkucliecr Friedrich will samt
liches Gebäck sur sich mit Beschlaa
belegen nnd lath nur unter deni
Versprechen die Schalen unberührt
aus der Tasel stehen, daß ibm alle
übrigbleibenden ttucheu gehören sat
!en. Jn sichernder Spannung
beobachtet er dann, wie es sich die
Damen wohl schmecken lassen· Er
atmet erst erleichtert aus, alsJ auch
aus das eindringlichste Zureden der»
Hausfrau niemand iuebr zulanaens
will. Drei Stiick waren doch nach»
geblieben. Da stellt sich plötzlichl
verspälet die Frau Pfarrer ein undi
musz nun selbstverständlich auch be
wirtet werden. Sie nimmt den ei
nen, den zweiten der Pianukuchen,s
und als sie, dein liebenswürdigen
Nötigeu der Gastaeberin folgend
nach dem dritten langt, schreit Fried
rich aus seiner Ecke aus: ,,Siehst du,
Mutter-, jetzt frißt das Ludcr den
lebten auch nachl«
Akbkrstnliknmådthkn
Von Mart Tit-gin
K
.
Gegen alle Stubecuniidcheii, wel
chen Alters oder welcher Nationali
tät sie nuch sein mögen, schleudere
ich hiermit meinen Junggesellen
fluchl «
Motive:
Stets legen sie die Kopslissen an
das dem Gusbrenner entgegenge
sehte Ende des Bettes-, so dosz man
während man vor dem Einschlusen
liest und raucht — wie das eine
althergehrachte und sehr geschätzte
Junggesellensitte ist —- das Buch in
unhequemer Lage emporhulten mus;,
unt das Licht oou seinen geblende
ten Augen sern zu halten.
Wenn sie am folgenden Morgen
finden, dnsz die Kopitissen nach dem
anderen Ende des Bettes verlegt
sind, so nehmen sie diesen Wiutniiht
mit freundlicher Gesinnung aus,
sondern machen, sich in ihrer obso
linen Machtuolllonirnenheit sonnend
nnd ohne Erbarmen uiit unserer
Hilslosigleit, das Brit gerade so,
wie es ursprünglich ionr, und ha
lten iiu geheimen ihre helle Freude
an dem Lierger nnd der Qual, die
ihreThrcumei uns verursachen wird.
So oft sie bemerken, daß nian die
Kissen umgelegt hat, niinheu sie
regelmäßig unsere Arbeit zunichte
und fordern tin-J in der Weise her
aus, und suchen tin-I däs Leben,
das Gott unsJ geschenkt hut, zu ver
bittern.
Wenn sie das Licht ani andere
Weise nicht in eine nnbeaneme Stel
lniig bringen können, so verschieben
sie das Bett·
Stellt tiian seinen Koffer sechs
Zotl von der Wand ab, damit, wenn
nian ihn öffnet, der Deckel sich dage
gen lehnen tann, so schieben sie den
Koffer regelmäßig wieder zurück.
Sie tun es absichtlich.
Will nian den Situatian an einer
bestimmten Stelle« haben, wo er
eineni bequem ziir Hand ist, so sind,
sie nicht daiiiit einverstanden nnd
entfeyien ihn jedesmal wieder.
Jninier stellen sie unsere anderen
Stiefel an tiitzugänglirhe Orte. Es
macht ihnen eine ganz besondere
Freude, dieselben so weit, als es
die Wand nnr eben erlaubt, unter(
das Bett zii schieben. Sie tun das,
weil iins das nötigt, in eine würde-i
lose Stellung tin-J herabzulassem iin
Finstern inii deni Stiefelliiecht da
nach hernniziitatspen nnd iirgerliche
Fliiche ans-zustoßen.
Jinnier ftelleii sie die Tose mit
den Streiclihölzern ais eine andere
Stelle. Täglich fpiiisen sie einen
iteneii Standort dasijr auf nnd sitt
leii eine Flasche oder andere zer
ltrechliche Max-waren dahin, iiio frü
lier die Eireichhölzer standen. Tit-:
tiin fie, nin tin-J zii veranlassen, dass
gläseriie Lin-H, wenn wir iin Zin
siern heriiiiittninen, zu zerbrechen
nnd iinö Schaden ziiztisiigein
Jnniier niid ewig tiisisisiitleii sie
die LliiöbeL sioiiiint iiiaip abends
spat nach Haupt-, so taiiii iiiaii seit
daraiif ticifiiisn, deii Scliieiblisch
dort zii findt-n, iiio aiii Llltorgeii dei
sileiderfitirniit stand-. lind iiieiiii
ninn dei- Ultorgensz fortgeht nnd den
Scheuereiiner bei der Ltic nnd den
Schantelftutsl aiii Fenster ziiriitts
laßt, so wird itiaii sicherlich, wenn
nian niit Mitternacht oder da herniii
zurückkehrt, über den Siliaiilelftiihl
ftolpern nnd fallen, nnd, wenn
man sich bis ans Fenster weiterge
tastet, sich in den Silieiiereinier fet
zeii. Das ift einein iiniiiigisiiehiti.
ihnen gefällt es.
Gleichviel, wo tiiaii etwas hin
stellt, es toiinnt ihnen gar nicht in
den Sinn, er- fteheii zn lassen. Bei
der ersten besten Gelegenheit neh
inen sie den Gegenstand weg nnd
stellen ihn anders-wo hin. Tar- liegt
in ihrer Natur. Und ziideiii niacht
es ihnen Vergnügen, ans diese
Weise niedertractstig zu sein nnd
einen zu ärgern. Sie wiirden lie
ber sterben, als ihre Schelnienftreiche
unterlassen. c?
Immer lieben sie alle alten
Schnitzel gedrnilten Kein-ums aut,
die man ans den Boden wirft, und
jclkichlen ,ie sorgfältig mii den Tisch
anf, während sie mit unserenwens
vollen Mannikripten Feuer anma
chen. Jst da irgend ein besonderer
alter Papierlappen, der einein mehr
als alle anderen zuwider in, und
den man auf alle mögliche Weise
losznwerden sucht, io mag man sich
jede erdentliche Mühe in dieser Be
ziehung geben, es wird nichts niiis
zenz denn sie werden den allen Pa
pier-setzen immer wieder ans Tages
licht bringen und regelmäßig wieder«
an dieselbe Stelle legen. Das tin
ihnen wohl.
Und sie verbrauchen mehr Haar
öl, als sechs Männer. Beschuldigt
man sie, es gemaust zu haben, se
lügen sie einein ins Gesicht. Was
fragen sie nach einein Jenseits? Ab
solut nichts. .
Läßt man der Bequemlichkeit
halber den Schlüssel in der Tür
stecken, so bringen sie ihn hinunter
zum Oberkellner. Sie tun das un
ter deni nichtsnunigen Verwande, un
ser Eigentum vor Dieben schützen
zu wollen: aber in Wahrheit tun
sie es nur in der Absicht, daß man,
wenn man müde nach Hause kommt,
wieder die Treppe hinunter klettern
und den Schlüssel holen soll, —
cder dsmit man sich der Unannehms
lichteik unterziehe, sich ihn von einem
Keil r holen zu lassen, der sodann
na «lich ein Trinkgeld erwartet;
in welchem Falle sich die verlommes
een Geschöpfe verniutlich in die
Beute teilen.
Unablässig stellen sie den Ver
such an, das Bett zu machen, ehe
man ausgestanden ist, aus welche
Weise sie uns um den schönen Mor
genschlummer bringen; nachdem
man aber ausgestanden ist, lassen sie
sich bis zum nächsten Tage gar nicht
wieder sehen.
Sie begehen überhaupt alle Ge
meinheiten, die sie ersinnen können,
und sie begehen sie aus purer Bos
heit und aus keinem anderen Grun
de·
Zimmermädchen sind siir jedes
menschliche Gefühl abgestorben
Wenn ich in den gesetzgebenden
Körperschaften einen Antrag durch
dringen kann, kraft dessen die Stu
benmädchen abgeschafft werden, so
gedenke ich es zu tun.
Gut beobachtet
Ein kleines Mädchen aus sehr
arnieti Verhältnissen wurde zum er
stenmal zu einer Wohltätigkeits-spei
suiig bei einer reichen Dame einge
laden. Die aristotratische Wirtin
war nicht schlecht erstaunt, als iin
Verlauf des Essen-Z die slleine feier
lich fragte: ,,Triiitt Jhr Gattelsp
»Nein, mein stiiidl« erwiderte die
Danie.
Das Kind schwieg einen Augen
blick nnd fragte dann weiter: »Wie
viel Kohlen brauchen Zier Was
verdient Jhr Manns Arbeit-et Ihr
Sohn auch fleißig-«
Nun fragte iiiiin dass- kleine Mäd
chen, wie es zu diesen sonderbaren
Urtundigiingen Linne- ««O)i1«, war
die unschuldige Antwort, »Mutter
hnt niir doch gesagt, ich soll niich iuie
eine Dame veiiehineii, iiiid inenii
Lanieii zu meiner Mutter taiiniieih
stellen sie immer diese Hin-sein«
— .-—.—-..
Schmuck der Gebildete.
Geriihtszidieiier Echniacl hiit viel
neu-sen iind lieiiiiilft sich, seine Lese
sriichte dei jeder Gelegenheit anzu
jliisingein Seine öiiisziiiiiiiit sind
izi«iIiiidiudi·ler.
»Zu, auch dieser Full injjte erle
dizgt", sagt :’liiit-."Ii’iclsiei« .t. neulich,
«niin tuinint —«
,,:1i’ii« tdiiiiiit der Tiiliu«, fiillt
Schiiioci niit wichtiger Miene ein
»Was tuninil seht-« singt der
Richter.
»Der Tatid, Hei-r :sliiii—:si«iihter;
deii ersten nnd den zweiten still ha
lien iuir iii schon erledigt.«
——-—..-....
AhniingotielL s
Ein stark iiiigsskechler Reisender
hat sich beiiii lleliertiseien der
Schwelle den Ins; verstaucht. Man
iiiiisz zuin Torslinder schielen. Als
dieser toniiiit und Miene niiicht, den
Stiefel von dein kranken Bein zu
ziehen- schliigt der Veransilite jedoch
iiiit lHand und Fuß iiiii sich. »an
nn«, schimpft der Wirt, »inne- siillt
deiin dein verriiiiten sterl ein, daß
,er sich nicht den Stiefel ans-ziehen
liisseii willi«
,,:Ilch«, meint da mitleidig nnd
verfchiinit die sielliieriin »ei· hat ge
iiiisz a Loch iin Striinitifl«
W
Griftcsgmenioatt.
Ja, liebe Scljiiheiiliriidee, init rn
higer lleberlegnng, inmehindert nnd
ungestört einen wohlgezieiten Schuß
nach einer, Scheibe abgehen zu ton
nen, ist sehr angenehm, nhek Vom
Schützen verlange ich mehr Geiste-I
geqeinvart, Scharfsinn. entichlosienes
Handeln; dazu ein Beispiel ans inei
nen Erfahrungen: Als ich snnl anf
dei- Jagd war, nahm inir der Stnrin
den Hut vom Kopie To ich densel
ben vorattssichtlich nie wiedergesehen
hätte, einschloß ich mich kurz, riiz
mein Gewehr an die Bach-, ichoiz
nach dem Hut nnd brachte ihn sofort
zur Streckel