Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 28, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-Ratt de
» Staats Art-zeiget und Ich-old (
« Hoswa fRlau ,Okbt» Dom-W den-s .Jun
nt Umwkgea
Erzählung aus dem Leben. von Hans s
zegerr. . z
WW
Ein böses Nervenfieber hatte wäh
'rend eines beißen und troclenen Som
mer-·- das Dorf S. heimgesucht und
namentlich oon seinen ärmeren Be
wohnern viele hinweggerafft. Der
Zimmermann Dörner war als eins
der ersten Opfer inr blühenden Man
nesalter der heimtiickiscben Kranlbeit
erlegen. Wenige Wochen nach ihres
Mannes Tode war auch die hinter
lassene Witwe von dem bösen Fieber
ergriffen worden. Der Arzt aus dem
benachbarten tleinen Städtchen hatte
getan. was er konnte. Aber die arme
Frau war durch den Gram über den
Verlust ihres Gatten und durch die
Entbehrungen und Sorgen, die se
seitdem erlitten hatte, so sehr ge
schwöcht worden, das- sie der Gemalt
der Krankheit nnr zu bald erlag.
heute früh war sie gestorben Und lag
bleich und starr aus ihrem armseligen
Lager. Die drei hinterlassenen Nin-s
der, die nun weder Vater noch Mitt
ter hatten, saßen in dem tleinen
Stäbchen erschrocken bei einander und«
weinten ihre heißen und bittern Trä-;
nen. Die Nachbarn aber und Freundes
waren am Abend mitleidig lzerbeigeij
kommen, um das Elend mit eigenen
Almen anzusehen und der unglückli
chen Waisen so viel wie möglich rait
Rat und Tat sich anzunehmen.
linker taki-a rsetana sich auch der
Schmied des Dorfes-L Wisselini, ein
braver und trefflicher Mann. Der
)
l
gissiminermcnn Dörner war iein lieber1
Jugendireund und Schuliamerad ge
weim. Beide Männer waren seit ihrer
Kindheit und Juckend innig und tren
mit einander verbunden gewesen und
geblieben. Wisselint hatte darum auh
der Witwe seines Freundes nach des
sen Tode e nur mögliche Liebe und
hilse in orten und Werten erwie
sen Da er ein wohlhabender Mann
war, so war ihm dies auch nicht be
sonders schwer gefallen. Der Tod der
atmen Frau hatte ihn ties erschreckt
und tetriibt, und er war mit dem
sesten Entschluß hierher gekommen,
sur ein anständige-i Begräbnis der
Verstorbenen zu sorgen und der un
glücklichen Kinder sich anzunehmen.
Da er selbst teine Kinder hatte, hätte
ee am allerliebsten die drei Waisen in
sein Haus und an seinen Tisch ge
nommen, uni ihnen Vaterliebe und
Vatertreue zu erzeigen. Aber ein Um
stand war es, der ihn davon abhielt.
Er hatte eine Frau, die allerdings
in ihrem Berufe treu und fleißig war.
pas er gern anerkannte und zu schät
zen wußte. Dabei aber war sie über
die Maßen sparsam und sast geizig
zu nennen. Sie wachte mit argwöh
nischen Augen darüber, baß ihr btas
ver Mann, dessen Herzensgiite sie
tannte, teine unnötigen und unnützen
Ausgaben machte. Jede, auch nur die
geringste Wohltat war ihrer Meinung
nach eine törichte Verschwendung da
die Armen entweder dieselbe nicht ver
dienten oder nicht gebührend dasiir
d;1ntten. Jedes Almosen, das der
Schmied schenkte. war ein bitteres
Unrecht, das er nach ihrer sesten
Ueberzeugung sich und seinem Weibe
zusiigte, da er dadurch die Erspar
llIsII IWIllhIIIIII' LYII III III IVII IIIOIII
Tage machen wollten und mußten.
Frau Rathe konnte sich der Sorge
nicht erwehren, daß sie zuletzt doch
noch Rot und Mangel leiden würden,
weil ihr Mann viel zu ireiaebig und
verichwenderiseh war. Wenn sie dar
um aui irgend eine Weise erfuhr, daß
Wisielint hier oder da einem Armen
etwas geschenkt hatte, so gab es in
ibretn hause iebr ichlitntnes Weiter.
Tagelang« ia wochenlang, machte sie
dann ihrent Manne kein freundliches
Gesicht- Und wenn unier Schmied
nicht alle Tage bittern Zank und
Streit erleben wollte, so mai-te er
eben sehr vorsichtig sein, iobald er
irgend einmal eine Wohltat spenden
;ooilte, utn nur den lieben Frieden in
seine-n hauie nicht zu stören.
Wisselini war dcxurn entschlossen.
ganz in der Stille, ohne daß Frau
Mitbe etwas davon ersuhr, iiir ein
anitiindiaer und ehrliched Begräbnis
verstorbenen Witwe zu so:;en,
sonst aber, io schwer ei ihm euch
wurde, jeder weitern Untersiühung
der hinterlassenen Kinder zu enthal
ten, urn nicht feine sonsi so wackere
Frau dadurch zu erbittern und zu er
iirnen. Vielleicht anden sich in dein
orse mitleidise erzeu, die sich der
drei armen Waisen annahmen und
siir sie sorgten Er tat, was er konnte,
um durch Bitten und Zureden die
Nachbarn und Freunde dasilr willig
zu machen.
Seine Worte waren nicht ganz ver
aebliih. Eine woblbabende Baueenirau
ertlärte sich bereit, den zehnjährigen
Knaben zu sich zu nehmen« weil er,
wie sie sagte, doch schon manche leich
tere Arbeit verrichten und dadurch
die Nahrung und Kleidung, die man
ihm gewährte, so ziemlich verdienen
könnte. Auch das zwölfjührige Mäd
chen fand aus ähnlichen Gründen
bald ein Unterkommen. Aber nie
mand wollte das jüngste Kind, das
sechsjährige Lenchen, das bleich und
elend auf seinem Bettchen lag, zu sich
nehmen Alle Leute wußten, daß das
arme Kind seit der Geburt schwächlich
und lrünllich gewesen war. Es war
leicht möglich, ja sogar sehr wahr
scheinlich« daß Lenchen noch jahrelang,
vielleicht ·ilyr ganzes Leben lang,
schwach und trant bleiben würde.
Wer sie· also in sein Haus aufnahm,
tonnte wenigstens in der nächsten
Zeit leinerlei Hilfe von ihr erwarten.
sondern mußte darauf gefaßt sein,
mancherlei Mühen und sogar Kosten
um ihretwillcn zu übernehmen. Und
endlich erlärte man sehr bestimmt,
daf- niemand ein solches Kind aus
nehmen sönne oder wolle, und daß
es :.:rnm in das Armenhaus gebracht
wrtoen müsse. wo es am allerbesten
verforgt nnd aufgehoben wäre.
Das arme Kind hatte bis dahin
akjen den Verhandlungen, die man
über sein Schicksal geführt hatte, still
sie-gehört und die Leute in der Stube,
die ziemlich rückstchtslos über seine
Krantheit und deren endlichen Aus
gang sprachen, nur mit großen ängst
lichen Augen angeblickt· Die Nachbarn
und Freunde, die nichts weiter zu sa
gen und zu tun wußten, verließen
einer nach dem andern die Stube und
das Haus. Die beiden Geschwister la
men u Lenchen heran. ifm von ihr
Abs-Lied zu nehmen, da sie mit ihren
neuen Pflegeeltern hinweggehen woll
ten. Nun fiel es dem tleinen. unglück
mndsk -
lsuscll Ycllllujcll IUJIUII III UUI Pflä
roai mit ihr geschehen nnd aer ihr
werden sollte. Sie streckte ihre beiden
magern Aermchen hilseslehend aus
und ries unter Tränen und mit jam
mernder Stimme: »Ach, nehmt micb
doch mit, und laßt mich hier nicht
ganz allein!·«
Der wackere Schmied, der die Kin
der herzlich lieb hatte, konnte diesen
Bitten nnd Tränen nicht widerstehen.
Er trat zu Lenchen heran und beugte
sich mitleidig iiber sie. Jhn haiie das
tleine Mädchen« über das niemand
sich erbarmen wollte, schon längst ge
jammert, und er hätte sie am liebsten,
ohne weiter etwas zu sagen, in sein
Hans genommen, um für sie zu sor
en nnd ihrer zu pflegen. Aber die
Furcht, daß er damit seine Frau bes
tig erzürnen und dadurch in seinem
Hause einen großen und schweren
Sturm hervortreten könnte, hatte ihn
bis dahin abgehalten, dein Wunsche
seines herzens nachzugeben.
Lenchen erkannte nnd siihlie sosori,
daß der wackere Mann sich iiber sie
erbarmen wollte, nnd ries deshalb um
so tiehentlichen »Ach, lieber Meister
Schmied, bitte, bitte, nehmen Sie
mich doch mit, und lassen Sie mich
hie-: nicht ganz allein!«
Alle Bedenken und Sorgen des
w.rcleren Meisters waren jetzt mit
einem Schlage überwunden und ge
schwunden. Lir holte ties Atem, als
wenn er einen großen und schweren
Entschluß faßte, und ries dann in
herrlichem Mitleid und Erbarmen:
»Ja, mein armes Kind, mein liebes
unmen, im inne ums nrcyr mer, m)
nehme dich mit mir!« Er hüllte die
Kleine in ihre örmliche Decke mit sol
cher Sorgfalt und Zartheit, wie man
sie seinen derben und rauhen hän
den wohl nimmermehr zugetraut hät
te, nahm sie so aus seine Arme und
eilte mit ihr zur hätte hinan-, um
sie nach seinem Hause u tragen
Eine Weile ging unser Meister un
ter seiner Bürde sesten Schrittes ein
her. Aber je näher er seinem hause
kam. desto mehr stiegen allerlei Be
denken und Sorgen in seinem Kopfe
ans. Er ging tangsamer und immer
inngsamer, und seine Schritte wurden
allmählich immer kürzer und zaghaf
ter. Dort unter der Daustiir stand
seine Frau und sah nach ihm aus.
wohin er gegangen, und wo er so
lange geblieben sein möchte. Sie
traute zuerst taum ihren Augen« als
sie ihn mit der kleinen Last aus sei
nem Arm erblickte und erkannte. Dann
aber wurde sie ganz starr vor Ver
wunderung und Schaden Und alt er
endlich nahe genug heran gekommen
war, ries sie ihm heftig entgegen
.WaJ hast du denn das was soll das
y:.J-eii?«
Me.s’:: Wisselink antwortete ruhig
und freundliche »Es ist das kleine.
tranke Lencxen, das jüngste Töchter
lein der Witwe Dilrner, die heute
srlih gestorben ist. Ihre beiden Ge
schwister sind von mitleidigen Bauers
leuten mit enornmen worden und dar
um, tote i denke, gut aufgehoben und
versorgt. Nur dieses arme, krante
Kind wollte tein Mensch haben und
zu sich nehmen«
Frau Kiithe stemrnte lrohig die
beiden Arme in ihre Seiten und
sprach: aUnd da hast du natürlich
wieder in deiner Einfalt dir das auf
laden müssen, was die anderen nicht
haben wollten! Das sieht dir ganz
ähnlich. Aber ich habe da auch noch
ein Wörtchen mitzureden und lasse
mir das nicht gefallen. Im Augen
blicke trägst du das Kind wieder da
hin, wo du es hergeholt hast!" ;
Der Meister erwiderte hieraus lein
Wort. Er wußte aus langjähriger
Erfahrung, daß er dadurch die Sache
nur schlimmer machen und, wie man
zu sagen pflegt, Oel in das Feuer
gießen würde. Fest und ruhig schritt
er in das Haus, legte das Kind sanft
auf ein Bett und tlinlte die Stuben-«
tiir vorsichtig zu. Dann trat er vor
seine Frau, die ihm unwillkürlich
nachgegangen war und ftinem Tun
und Treiben ganz verwundert zuge
sehen hatte, und sprach zu ihr: »Ich
werde das Kind auf teinen Fall wie
der dorthin zuriiclbringem ivo seine
tote Mutter liegt· Das unglückliche,
lranle Mädchen soll in das Armen
haus!« Er sehte vorsichtig hinzu: »So
meinten und redeten wenigstens die
,Frauen, die sie nicht haben tot-Mem
Und da bekanntlich lleine, traute Kin
der nicht fliegen können, so muß doch
jemand da sein, der sie dort hin
trägt!«
»,Nun und warum hast du sie denn
nicht sogleich dorthin gebracht?« frag
te die Frau. s
»Weil der Vorsteher des Armen
hauses heute abend nicht mehr zu
sprechen ist,« antwortete der Mann
»Da sie aber in der einsamen hätte
bei der toten Mutter aus keinem Fall
bleiben konnte, so habe ich sie mit
mir genommen und fiir diese Nacht
in unser Haus gebracht."
» Dies war leine Liigr. die er siwct
in seiner Verlegenheit sich ausgedacht
und geredet hatte. Meister Wisselint
war wirklich der Meinung, daß seine
u in dieser Angelegenheit ebenso
wie er ein Wort mitzusdrechen
hatte. Er war auch aus diesem Grun
de fest entschlossen, das tiind lieber
dem Armenhause zu übergeben, old
durch die Aufnahme desselben in sein
Haus Unfrieden und Zwietracht zwi
schen sich und seiner Lebensgefährtin
zu stiften. Dabei aber hoffte er ganz
im stillen, daß Frau Mitbe, die durch
aus nicht hartherzig war, vielleicht.
doch durch den Anblick des arrnen.H
lranten Mädchens gerührt und umsH
gestimmt werden möchte.
Es hatte nun freilich den Anschein,
als ob er in dieser seiner hoffnung
sich doch betrogen hätte. Denn seine
Frau erwiderte troyig und heftig:
»Ich möchte wohl wissen« was ihr das
geschadet hätte, wenn sie heute noch
dort geblieben wäre. Die tote Mutter
würde ihr ganz gewiß nichts zu Leide
getan haben. tturz und gut, ich will
mich mit dem fremden Kinde nicht be
fassen, und du trägst es augenblicklich
wieder forts«
Nun aber war unser Schmied ganz
empört, als er dieie Worte hörte. Er
rief viel eifriger, als dies sonst seine
Art war: »Frau, ich habe mich in dir
geirrt. Bisher habe ich immer noch
gemeint, daß du eine Christin wärest
und darum auch an einen barmherzi:
gen Gott und Heiland glaubten Jch
habe deshalb gehofft, dasz du einem
armen, tranlen itinde wenigsten-J fiir
eine Nacht ein Obdach in unserm
hause gijnnen wurdest. Ell-er ich lehr
zu meinem Schmerz nnd Schrecken,
daß du teine tihriftin bift, da du das
unglückliche und verlassene Lljtädchen
nicht einnml fiir eine einzige Nacht
aufnehmen und pflegen willst. W tut
mir leid, daß du ein so harte-J und
erbarmungslvses herz hast. Aber heu-’
te bleibt das Itind unter allen lim
ständen hier« Dafiir bin ich Herr ini
Haufe und werde mich nuch von mei
ner Frau an meiner Christenpflicht
nicht hindern lassen. Morgen aber
ganz frühe bringe ich die Kleine in
»das Armenhnug, da sie dort jedenfalls
viel besser nls bei dir aufgehoben und
dersorgt ist.«
! Meister Wisselinl perliefz nach die
sen Worten die Stube, deren Tür er
hinter sich ziemlich heftig gufchlug,
und ging in feine Werkstatt. Er woll
»te nichts weiter sehen und hören, dn
»der ganze Austritt ihn recht sehr er
lhittert und empört hatte Und in der
iSchmiede mußten die dort herum
stehenden und liegenden Geräte und
das handwertözeug dufiir büßen, in
dem sie in nicht sehr fernster Weise an
ihren Plah gestellt oder geworfen
wurden. Frau Käthe war ganz er
schrocken in der Stube zurückgeblieben
So etwas hatte sie in der ganzen Zeit
ihres Eheftandes bisher noch nicht
erlebt. Jnnner hatte der gutmüti e
und friedliebende Mann. wenn fie, w e
man sagt. ihren Kopf aufgefetzt hatte.
fanfttniitig stillgeschwiegen und zu
leht ihrem Willen nachgegeben. Dies
tnat aber war ihre Rede ganz ver
eblich gewesen. und ei sah wirklich
fo cul. als ob er ihren Worten und
;
Forderungen hartniickig Widerstandl
leisten und seinen Willen durchsehen
wollte. Und was hatte sie noch dozul
alles hören müssen! Sie sollte keines
Christin fein, sie sollte ein hartesl
Herz haben! Das war der Dank flir
alle Liebe und Treue, die sie ihrem
Manne so viele Jahre hindurch er
wiesen hatte! Und das alles nur dar
um, weil sie sich nicht ein fremdes
Kin aufoacken lassen wollte, das sie
in der ganzen, weiten Welt nichts an
ging! Ach, sie war eine arme, utglltck
liche Frau, die unschuldig oertannt
und ungerecht behandelt wurde! Sie
wollte lieber tot sein, als leben. Und
dann, ja dann würde der böse Mann
vielleicht zu spät einsehen, was er
an ihr gehabt und wie schlecht er siir
alle Miihen und Sorgen ihr gelohnt
hätte. Sie nahm die Schürze vor ihr
Angesicht und weinte bitterlich. Nach
einer guten Weile trocknete sie sich die
Tränen ab, zündete ein Licht an und
setzte sich an das Bett, wo das tranle
Kind lag. Sie wollte sehen, ob es
wirtlich so hilflos und elend wäre,
wie ihr Mann sagte. Sie wollte, da
es nun doch flir diese Nacht in ihrem
Hause bleiben sollte, durch die Tat
Meisen, dasz sie kein hartes Herz
hätte. Lenchen blickte die fremde Frau,
die so böse Worte geredet hatte, mit
ihren großen Augen scheu und furcht
sam, bittend und flehend an. Frau
Käthe wurde dadurch milder gestimmt
und redete dem Kinde freundlich zu,
um es auf diese Weise zu beruhigen
und sein Vertrauen zu gewinnen. Und
es dauerte gar nicht lange, so plan
derten die beiden ganz gemütlich und
herzlich mit einander.
Meister Wisselink hatte während
dieser Zeit seine Wertstatt, wie er
meinte, gründlich c ifgeräumt Sein
Zorn hatte sich unterdessen nachge
legt, nnd er war ruhiger geworden in
feinem hergen. Er kehrte jetzt in sein
hms zurück, trat-aber zuvor an das
Fenster, um in die hell erleuchtete
Stube zu blicken und sich ganz still
und unbemerkt nach seiner Frau und
dem kranken Kinde um«-zusehen. Er
war ganz erstaunt und hoch erfreut
über den Anblick, der sich ihm hier
dot. .Lenchen lag auf etwas erhöhten
Kissen in dem Bette, dahin er sie ge
legt hatte, und schaute mit leuchtenden
Blicken aus die Frau, die bei ihr saß
und freundlich mit ihr redete. Und
jetzt —- nein, er täuschte sich wirklich
nicht —- jetzt streichelte Frau Itiithe
liebkosend das Angesicht des armen,
tranken Kindes. Er hatte genug ge
sehen und trat nun. alg ob nichts ge
schehen wäre, in das Zimmer.
Frau Mithn die sich doch etwas
schämte, weil sie von ihrem Manne bei
dem Bette des fremden Kindes be
troffen wurde. stand bei seinem Ein
tritt sosort auf und ging hinaus, um
das Abendessen zu besorgen. Der
Schmied setzte sich an ihrer Stelle sbei
der Kleinen nieder und fragte sie:
»Nun, mein liebe-·- Lenchen, wie geht
es dir denn jetzt?"
»O, sehr gut!« rief das Kind, in
dem seine Augen fröhlich und glück
lich leuchteten, »eg like-It sich herrlich
in dem weichen Beitr-nen, und die
Muhme lsie meinte Frau Käthe) hat
so freundlich mit mir geredet und
mich gestreichelt.« Wiffelint stellte sich,
als ob er diese Worte nicht gehsrt
hätte, nnd fragte weiter: »Bist du
denn schon lange tr.s.nt.’«
-a, so lange ich denken kann,«
»F
antwortet die Meint
»Was tut dir eigentlich weh?« frag
« I» Erfreut-d
»Ach, die Beine unt) der Rücken!«
erwiderte Lenchen leise
Jetzt kam Frau Rathe in die Stu
be, deckte den Tisch nnd ries ihren
Mann zum Abeiideisen. Beide Gatten
saßen still neben einander und spra
chen mit einander nur, was gerade
notig war. Dabei sah unser Meister
init geheimer Freude, daß seine Frau
verstohlen die besten Bissen nahm, sie
siir das Kind zurecht machte und dem
selben an das Bett brachte. Er stellte
sich aber, ais wäre er nur mit seinem
Teller beschäftigt und sähe nichts von
dein, wag um ihn vorging. Die tileii
ne aß mit sichtlicheiii Behagen.
»Nun. Lenchen, schmeckt es?« fragte
der Schmied. »
»O, prächtig!«' versicherte diese und
setzte hinzu: »Ach, die Muhme ist so
gut, so sehr gut!« »
»Das ist doch ein liebes, gutes
Kind!« dachte Frau Mithe bei sich
selbst. »Sie ist dankbar und sagt es
ihm, wie wohl sie sich bei mir fühlt.
Nun wird er mir hoffentlich nicht
mehr den Vorwurf machen, daß ich ein
hartes herz habe." Natürlich tat sie
nun auch, was sie konnte. um dem lie
ben Kinde ihren Dank und ihre Freu
de darüber zu beweisen. Unser
Schmied aber stellte sich wieder so an,
als ob er von dein allen nichts sähe
und hörte. So wurde denn auch über
sdie ganze Sache nicht weiter gespro
chen, und die beiden Ehegatten legten
M, nachdem sie einander wie immer
Gute Nacht! gewünscht hatten, still
zur Ruhe nieder.
Am andern Morgen in aller Frühe
sprach Meister Wisselinl zu einer
Frau: »Wecle jetzt die Kleine und
ziehe sie an! Jch will recht bald zum
Vorsteher des Armenhaiises mit ihr
gehen, damit ich zu rechter Zeit an mei
ne Arbeit lonime und nichts versäu
me."
»Ach,« erwiderte die Frau, ,,laß
das arme Kind doch noch schlafen!
Solche Eeile hat die Sache wirtlich
nicht, und aus einen Tag wird es
wohl nicht antommeii." H
Der Schmied sagte weiter nichts
hatte aber an dieser Rede seine heim
liche und herzliche Freude. Frau
Rathe und das kleine Lenchen gewan
nen im Laufe dieses Tages immer
mehr Liebe und Vertrauen zu einan
der. Das Kind war so bescheiden und
artig, und dabei wiederum so dani
dar und glücklich, dasz die neue Pfle
gemiitter es immer mehr in ihr Herz
schloß und es immer gütiger und
freundlicher behandelte und pflegte
Unser Meister sah dies recht wohl,
hütete sich aber, irgend etwas darüber
zu sagen, um die Sache, die so schön
anfing, nicht zu stören und zu verder
ben.
Am zweiten Morgen ging es ähn
lich wie am vorhergehenden Tage zu.
Wisselink sprach wieder zu seiner
Frau: »Wecke die Kleine und ziehe sie
anl«
»Warum hast du mit einem Male
solche Eile?« fragte Frau Käthe, und
es war ihm ordentlich verwunderlich,
wie sanft und leise sie sprach, um das
schliisende Kind nicht zu wecken. Und
dann bat sie: ,,Laß das arme Mäd
chen noch einige Tage hier, damit ich
sie ordentlich pflege, ehe wir sie wieder
aus dein Hause geben!«
Der schelmische Mann antwortete:
»Sie ist mir hier im Wege, und es ist
besser. sie kommt endlich dahin, wohin
sie gehört.«
Jetzt wurde Frau Käthe aber wirt
lich böse. »Das arme, trante Kind ist
dir im Wegel« sagte Js.-. »Du solltest
dich schämen, solche Reden zu führen.
Mir hast du oorgeworsen, dasz ich ein
hartes herzt hätte und keine rechte;
Christin wäre. Und nun kannst dus
gar nicht die Zeit erwarten, das tleine
Mädchen in das Armenhaus zu schaf
sen, und behauptest gar, daß das liebe
Kind, das doch so still und geduldig
in seinem Bettchen liegt, dir im We
ge wäre. Du mußt ioirtlich sehr hart
herzig sein, wenn du im Ernst also
sprechen tannst. Jch aber will mir vor
Gott und Menschen nicht einmal den
Vorwurf machen lassen, daß ich die
Kleine hilflos und lieblos aus mei
nein Hause gestoßen habe.«
So blieb denn Lenchen nicht bloß
diesen Tag, sondern auch die folgen
den, einen nach dem andern. Und als
eine der Nachbarinnen sich einmal
Inach dem tranken Linde umsah und
bei dieser Gelegenheit fragte, warum
sie das Mädchen nicht in das Armen
haus schafften, ivo es doch am besten»
aufgehoben wäre. antwortete Frau;
Käthe kurz und gut:,,D15 geschieht»
nun und nimmer, so lange ich in die
sem Haufe hier noch etwas zu saqen
habe Sie ist mir heute schon so lieb,I
als ivrire sie mein eigenes Mino Und
darum bleibt sie bei uns, und wird,
wie ich hoffe, noch einmal in unserm
Uilkk llllsclc Euch llilU iflclsluc sclll.
Der Schmied, der diese Worte hörte,
da er gerade in der Stube w.ir, ging
zu seiner Frau, schloß sie in seine
Arme und sprnch: »Mutter, du bist
ein braves Weib! Wie du gesagt hast,
so soll es nun auch geschehen, und
unser Herrgott gebe seinen Seien du
zui Vergib mir, dnft ich an jenem
Abend ein hattet Wortes zu dir gere
det habe! Du bist und bleibst doch
mein Herzen-weib«
Die beiden Ebegatten umarmten
sich herzlich, nnd die Suche war damit
nbgemncht. Lenchen blieb in dem
Hinsc, ivo sie eine neue und rechte
Heimat gefundei. l,atte. Und eH ivur
eine Herzenslust, zu sehen, ioie Frau
Ruthe in der Sorge für das lrante
Kind nnd in der Freude, sie nach und
nach erstatten und gänzlich genesen zu
sehen, vollständig imgeivnndelt wurde.
pedes-sein
Jn einein dänischen Blatte lesen
wir die folgende amiisante Schilde
rung des Ausstiegeö und Falles eines
der zahlreichen sogenannten »Gulasch
jünglinge««, einer neuen Spezies von
jugendlichen Spekulanten, die der
Kriegihandel in Standinavien her
vorgebracht hat:
Pedersen.,Carlo hean Pedersen, 19
Jahre alt. Abstehende Ohren. Gummis
tragen. Schmutze Fingernägei. Kaus
männischer Angestellter. hauptbeschäss
tigung: Kopieren der Briese und
erholew Gehalt: 25 Kronen monot
li .
A
Null-euch des Krieges. Große Um
wälzungen aus allen Gebieten.
Viel Geld zu verdienen.
Pedersen geht ein Licht aus. Mot
to: Time is money. Er sagt seine
Stellung auf. Der »Alte« hält eine
sErmahnungsredr. Pedersen grinst
s
höhnisch. Erhebt 25 Kronen. Geht.
: Leiht von einer Tnnte 75 Kronen.
EKaust 1500 Kilo SägemehL Kern
Mensch irill Sägernehl tausen. Pe
dersen vor dem Rain. Selbst-nord
gedanken. Kaust für den Rest des Be
triebskapitals 100 Gros zurückgesteih
te Stahlsedern. Verkauft sie am glei
chen Tag. 100 Prozent Verdienst. Ber
knust am nächsten Tag das Sägetnehi.
1000 Prozent Verdienst. Piaziert Be
triebskapital und Gewinn in Metts
warst. Verkaust die Mettwurst nach
einer Stunde mit unglaublichem Ge
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rossgweg Sö, lV rechts. Firmenschild
an der Tür: Carlo Henry Pedersen.
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Die Zeit geht. Pedersen kaust wei
terhin SägemehL Stahlfedern und
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Kauft 100,()00.
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Msscs III-Cis msfiv Mo sp m;. An XCVI
»von --·-- .-,-, p-- .- ....- »s. ----.
Geld hin soll.
Verliert auf ein Brett eine halbe
Million.
Zuckt mit keiner Wimper.
Verliert am nächsten Tage 50,007)«
Bleibt eiskalt.
Am übernächsten 100,000·
Jetzt gilt es! Den letzten Oer her
aus! Biegen oder brechen
Alles sutschl
Futsch auch Anita Schmidt und
das Perlenlollier . ..
—- — — Perdersen lehrt reumiitiq
zum »Alten« zurück. —- .,Guten Tagl«
s— Der »Alte« hält eine Ermah
lnungsredr. Pedersen ist geknickt. Er
hat Tränen in den Augen. Der »Alte«
erbarmt sich seiner . ..
Pedersen. Catlo Henry Pedersen,
.21. Jahre alt. Abstehende Ohren.
EGummileagem Schwarz- FingetnäqeL
Kausmiinnischer Angestellter. haupt
beschästigung: Kopieren der Briese
und Bindi-lett . . .
—- Ein lleller Kopsl ,,Sag’
mal, Liebsten Bin ich wirklich die
Erste, um deren hand Du angehalten
hast?«
»Das nicht, lieber Schahz aber ich
schwör’ es Dir: Du bist die Erste, die
,ja’ gesagt hatt«