Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 07, 1917, Sonntagsblatt, Image 10

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    set Iilddikik
Novelle von V. Schuld
Nun wußten sikss auch im sank
haus zu Ewerdingen, daß Krieg
war, der Feind über die Grenzen ge
brochen, daß in Ost und West Ka
nonendonner etdköhnie und All
«dentschlnnv zu den Waffen eilte. So
gar den sinmpfestrn uniet ihnen, den
halb blöben ,,Siammgast«. wie sie
den zu lebenslängiichem Zuchihaus
vetuueilten Alten nannten, von def
sen Geschick sie übrigens sonst nichts
wußten, hatte es gep«ctt, daß ek, dek
sonst mit einer fast aufreizenden
Gleichgültigkeii von früh bis spät
nn der Hobeibant stand, beim
Schritt vorbeimatschietenvet und die
»Macht am Rhein« singendet Bot-sil
lone plötzlich nuigehorchi und ein
paar Tritte mitgesungen hatte, bis
ihn ein meh: verminderter als mah
nender Anruf des Aufsehers mit ei
nem verlegenen Grinfen verstimmen
gemacht. Und eines Tages war mit
ten unter ihnen in der Werkstatt
eine Schwester mit einer Roten
Kreuzhinde am Arm erschienen und
hatte sie um ein Scherflein zum be
sten derer gebeten, die da draußen
auf blutigern Feld für Heimat und
Vaterland stritten nnd litten. Wann
und herzlich hatte sie es gesagt und
dabei einen nach dem andern so un
befangen angesehen, als fei es selbst
verständlich, daß sie auch zu ihnen
gekommen war und mit ihnen sprach,
als wären sie freie Männer. War
es nun dies, oder wehte bei ihren
Worten ewtas von der Begeifterung
die draußen durch alle deutschen
Gurte flammte, auch ihnen ins Herz
— keiner weigerte sich, als sie nun
hat, einen Teil ihres Arbeitsverdien
ftes fitrt Rote Kreuz zu opfern. Und
dann ging sie lächelnd und froh don
einem sum andern und gab jedem
einzelnen don ihnen mit leuchtenden
Augen die hund. Das blieb ihnen
lange ein großes Erlebnis.
Aber alt dann die Nachrichten
von draußen spärlicher lamen und
die Aufseher, die sie in der ersten
Aufregung und Begeifterung so ziem
lich auf dem Laufenden gehalten
hatten, wieder worttarger wurden,
gewann auch bei ihnen die alte
Gleichgültigteit wieder die Oberhand
Was ging es sie im Grunde denn
an, was da draußen geschnh —- sie
hatten ja doch keinen Teil mehr
daran.
Nur einer war es, den ließ es
nicht wieder ruhen. Der horchte in
fchljflofeie Nächten mit zufammen
gehtffenen Zähnen auf das Nattern
der Gefchiiiy die durch die Straßen
fuhren, das Hufgetlappser ooriihers
reitender Schwadronen, das Hupeni
signal dahinfaufender Militiirautos,
den Gesang ausmarschierender Trup
pen — fernez huren —
Oh, daß er hier hinter- Eisenstä
den gefangen faß, wie ein wildes
Tier, nicht dabei fein tonnte! Hin
ter einem Busch, einem Stein, einer
Ackerfurche auf dein Anstande lie
gend, den Finger am Drücker —
sprungweife vor — wieder niederge
worfen — da! Drüben ein Blitz
ein Knall — drauf gezieltl Sol
Hek. das Mi! Ja. ja — schießen
konnte er wie der Deixel —- darum
saß er ja hier 7
Mit einem Stöhnen preßte et die
geballten Fäuste vor die AugenViet
Jahre erst von den secher, die sie
ihm aufgebeummt h.it!en, weil ee
den Fötstey ver ihn bei dem frisch
geschossenen Reh ertuppt, übee den
hauftn geschossen hatte! Er wußte,
sie hatten schon lange auf ihn ge
fahndet, der Fötftek und ver Herr
Graf. Dem würde ek’ö, sobald et
wieder feeitäme, schon noch einltän
len, daß ek ihn ins Zuchthaug ge
bracht, hntte er gedroht, als sie ihn
til-führten Der here Graf aber
hatte nur dazu gelächelt, ein leifes,
verächtliches Lächeln, das ihn nur
noch mehr gegen ihn nufhkachtr. Und
stolz und aufrecht hatte er dagestans
den, als ginge ihn das Gerede nichts
nn. —- Und er —- det Graf, wußte
doch, daß ver Alols Futtwangek
traf, was er steh einmal mit Bedacht
aufs Ker genommen ——«
Und solch einen Kerl ließen sie
dahintenz ver mußte tatenlos zuse
hen, wie Bataillon an Bntnillvn in
schütteendem Glelchlchtitt, singend
und blumengeichmilcit an ihm vor
über dem Feinde entgegenzogl
»Sptung aufs Marsch, marsch!
hat-rni« -.
Ah —- verwlinschn —
Ja zwei Jahren tmn et frei. Kei
nen Tag eher· Aber sie würden ihn
auch seinen Tag länger behalten
können; denn ee hatte sieh stets gut
geführt, sich nie etwas sWden
kommen lassen —- oh, et- III-t
tpaemnl Wohl was- ihm III-III
nicht leicht geworden, steh h Ue
strenge acht biet zu illa-Is- M et
hatte· l - gewett, das est-nicht
nur UW half, sieh dagegen erstm
enen, vnbetn l e noch fchadetr.
Sie ten ihn k weh länger
hier « ; lten, benahm et sich nn
sot « sz S- abe- nt ten sie lhn.
kenn n Ins heran, lassen —
nd a Wie sich feine Umh- hole-,
W temp- sksin W »sich-. wes
s
den, ihn hinterher wieder n greifen,
undan auch —- seine Iiache hatte
er doch gehabt! —
Jm ersten Fahr hatte er sich riet
mit dein Gedanken g Flucht tra
gen· Zber die se t, da er,
misgltigte es ihm es erstemal,
vorauszich nicht nur seine sechs
Jahre, sondern noch Monate dar
iider hinaus werde absihm müssen
hatte ihn davon abgeschreckt. Es
hatte sich ihm auch nie eine rechte
Gelegenheit dazu bieten wollen.
Wie aber, wenn jetzt —i
Utpliiglich tam ihm eines Nachts
der Gedanle, als draußen Stim
mengeliirm und das hin- und Her
wogen einer erregten Menge aus den
Straßen verriet, daß wieder etwas
Besonderes los sei. Wenn es ihm
gelang, sich in einem solchen Augen
blick unter die Menge zu mischen —
wer würde dann in dem Gedränge
groß aus ihn achten —
»Deutschland. Deutschland über al
les!« brauste es von draußen herein,
und den einsamen Mann packte es
plötzlich so, daß er ausfprang und
mit geballten Fäusten gegen die der
riegelte Tür seiner Zelle hömmettr.
,,Rauslassen sotlt ihr mith! Raus
lassen sollt ihr mich! Raus!« Fast
besinnnngslos schrie er es vor Wut
—- oor Sehnsucht — vor glühendem
Verlangen ——·
Aber trotz seiner Erregung hört er
aus einmal schnelle Schritte den
Gang zu seiner Zelle herunterkom
men. Da faßte ihn die Angst; mit
einem Sag war er wieder an seinem
Bett, wars sich darauf« W die Decke
über sich, stellte sich schlafend —
Ein Schlüssel tlirrte im Schloss;
die Tür öffnete fich; der wacheha
bende Aufseher trat herein und sah
verblüfft den Sträsling ruhig auf
seinem Lager liegen. Alois richtete
sich scheinbar schlaftrunten auf, als
er zu ihm herantrat
»Was ist i« fragte er.
»Mir work-, als wäre hier Lärm,«
brummte der Aufseher-. ,.Na, dann
isi es wohl draußen gewesen«
Und miirrisch ging er wieder hin
aus.
it t- t
Es war viel, viel leichter gegan
gen, als er je zu hassen gewagt. Frei
lich, der Aufseher hatte an dem
Abend seine Gedanken nicht recht
bestimmen gehabt, weil er eben die
Nachricht bekommen hatte, baß sein
einziger Junge dort oben in Belgien
wo sie zwischen Deich und Düne er
bittert um den Zugang zur Miste
ranger gefallen sei. Gar nicht ge
,rnerkt hatte er, daß einer der Stras
linge sich in der Werkstatt versteckt
hatte und zurückgeblieben war. Seine
Schicksalsgenossen aber, die es gese
hen, hatten geschwiegen.
Von dort war es ihm dann ein
Leichtes gewesen, nächtlicherweile
iiber die Dächer niedriger Vorge
biinde zu entkommen Auch einen
unberdächtigen bürgerlichen Anzug
eines Trödlers zu ertoischen, ohne
. entdeckt zu werden, war ihm geglüeki.
I Sein Brot erbettelte er sich unter
wegs —- willig taten sich ihm die
Türen aus, sobald er sagte« er sei
eingezogen und aus der Wanderung
nach seinem Gestellungsort, habe
Iaber seinen Mundvorrat schon aus
gegessen und nun hungere ihn.
Erst als er sich eines Abends sei
nem Ziel, dem Schloß Hochstein nä
,herte, siel ihm pliislich ein, daß alle
sseine Anstrengungen vielleicht ganz
soergebens gewesen seien, der Gras
fschon im Feld. — So besessen von
Ider Vorstellung, daß er ihn tressen
miisse, koste es was es wolle, war
er gewesen, daß ihm dieser Gedanke
erst jeyt lam. Ein eislalter Schauer
lief ihm über den Rücken. Was
- dann?!
j Es iieß ihm reine Ruhe mehr;
unter einem geheimnisvollen Zwange
trieb es ihn vorwärts, Stunde aus
Stunde. Meile aus Meile, ohne sich
Rast zu gönnen. Jede Minute schien
ihm tostbor. —
l Er überlegte sich auch g» nicht,
wie er es machen solle, zum Grasen
szu gelangen, fand sich nur auf ein
Imnl vor der Tür des gräflichen
lSchIpsscs stehen hakt-, wie ek den
Ifhm össnenden Diener’sragte. ob der
Herr Gras zu hause sei, fühlte halb
unbewußt, daß der Mann ihn mit
einem verwunderten Blick maß und
hörte die Gegenst-age: wer er sei und
s was er von dem Verm Grasen wol
ste; es sei doch schon nachtschlasende
!Zcit· Da ging es ihm mit einein
Inuck durch vie Gliede-, daß u sich
ierzengerade nusrichtete, und er ant
wortete laut: «Sagen Sie dem
herrn Grasen, der Alt-is urtwans
grr sei da und wolle ihn prechen!«
«Schiin,« sagte der Diener arglos
und ging, ihn zu melden. —
Alois war allein. Totenstille
herrschte im hnuöx die Gräsin und
die Kinder waren wohl längst zur
Ruhe gegangen, nur der hnujherr
noch ans. Er würde mit ihm allein
sein — der Diener rechnete ja nicht
—- qllein mit ihm unter vier Au
gen —
Aus einmal tielte ihn ein in
grimmiges La n.
Narr, der er gewesen wart Wo
hatte er denn seine Sinne gehn-D
ais er sich mit seinem Namen hatte
meiden lasseni Gleich wiirde der
Diener wievertommen, ihn hinaus
zuweisem oder der Gras selbereri
III- - «
scheinen. des Oel-eitler h der W
vie hunve ans ihn behend. —
Noch immer die gleiche Stille
Run fern im Gang das leise Sehen
einer Tite, der Diener kam uriick
nnd meldete gilt unbewegter lese
«Der here Gras läßt bitten«
Raq dein, loas Als-is Futter-an
ger noch eben gedacht, verschlug then
diese Antwort sast den Mem er
starrte den Diener an, als habe er
nicht recht gehört, und brachte nur
das eine Wörtchen: »Was -—?« her
vor.
»Der Herr Gras läßt bitten,« wie
derholte ver Diener mit tühler Ge
lassenheit, und ging, ihm den Weg
weisend, voran; benommen, sast taus
melnd, folgte Alois ihm. —
Der Gras saß, als sein später
Gast eintrat, ein Buch vor sich, an
seinem Schreibtisch, den rechten Arm
in der Binde. Er wandte sich nach
dem Eintretenden um und winite
leise dein Diener, hinauszugehen und
die Tiir hinter sich zu schließen
Alois blieb an der Tiir stehen. die
Mühe in der Dank-, und fiir Augen
blicke war es so still im Zimmer, daß
man das Zielen einer kleinen Uhr
vernahm, die auf dem Schreibtisch
stand.
«Du!' sagte der Graf nun, als
er sich mit ihm allein sah. »Dich
hab’ ich freilich nicht erwartet! Jst
deine Strafzeit denn schon umt«
Sein Gesicht war hager geworden
und blaß; es zeugte von überstan
denen Strapazen und Schmerzen;
Alois sah es sofort.
»Er war im Felde —,'« dachte er,
«ist verwundet worden,« und er
brachte kein Wort hervor, sah ihn
nur an, ein seltsames Gefühl, halb
Neid, halb Bewunderung im Herzen.
Der Graf wartete eine kleine
Weile auf Antwort; als aber nichts
erfolgte. fragte er von neuem:
»Du sagtest, du wolltest mich spre
chen. Was willst du von mir? Wie
tommft du überhaupt hierher?«
Rauh, mühsam preßte sich Alois
die Antwort ab.
»Ausgebrochen bin ich halt, Herr
Gras l'«
»Ja so ·—,« sagte da der Graf
und stand unwillkürlich aus —
schweigend sahen sich die beiden
Männer in die Augen. Jn denen
des Wilderer-I flammte plötzlich et
was von dem Haß auf, den er lange
Jahre gegen den Mann, der nun
vor ihm stand, im Herzen getragen,
so daß der Graf mit der freien Hand
nach dem Schreibtischfchubfach fuhr,
in dem er seinen Revolver wußte.
Alois erriet, was die Bewegung be
deuten sollte, und wintte abwehrend
mit der hand.
»Lassen Sie fein, Herr Eras,·
sagte er heiser. »Ich tue Jhnen
nichts -——.'«
»’s wär« auch eine Heldentat, ei
nen Mann, der sich nicht wehren
tann, über den Haufen zu schießen!«
sagte der Graf, und dasselbe leise,
getingschähige Lächeln, dessen sich
Alois nur zu gut erinnerte, trat in
seine Züge. Aber fett gefiel’s ihm,
und die hochmütige Verachtung der
Gefahr« die daraus sprach.
»Ich treff’, was ich aufs Korn
nehm', das wissen der Herr Gras!«
sagte Alois düster. «Darum eben
komm’ ich her. Vor ein paar Wo
chen wär's freilich was andres ge
wesen; da hätten wir zwei beide uns
nicht so gegenüber stehen können,
ohne daß einem von uns der Finger
an den Abzug gefahren wäre; aber
fest — seht ist das alles vorbei -—.«
Eine jähe Röte stieg ihm ins Ge
sicht; man sah, daß es mächtig in
ihm arbeitete. und plöhlich tat er
einen Schritt aus den Grasen zu und
faßte seine freie Hand we zwischen
einen Schraubstock in seine beiden
Hände.
Weisen Sie mir nerau5, Herr
Grati« stainrnelte er. «helsen Sie
mir heraus! Darum nur bin ich
ausgebrochen; daruen tarnm’ ich zu
Ihnen —- Sie wissen, was siik ein
Schütze ich hin —- Sie tönnen be
zeugen, daß ich zu brauchen bin da
vorn, um's inallt. — Jch han«-Z
nicht aus, daß ich da hinten bleiben
»so« —.«
Also so steht die Sache!« sagte
der Gras. «J-n den Krieg willst du
und ich soll dir dazu helfen. —- Ja,
das ist freilich etwas ganz anderes,
als ich erst dvn dir dachte —.«
Alais hielt seine hand noch im
mer fest.
»Sie helfen inir dazu, ja, Herr
Grasi Sie tun’s?" drängte er.
«Danien will ich’s Jhnen die zu
meinem lebten Ständlein —.«
«Fnrtwanger!« sagte der Graf
nicht ohne Bewegung. »Du bist doch
ein seltsamer Kerl —.«
»Bist ein Deutscher-, herr!« brach
Alcid aus.
»Nun hör! mir mal aufmerksam
zu, Furtwanger,« sagte der Gras mit
Gitte. »So wie du dir das denkst,
geht es nicht an. —- Still, laß mich
ausreden, Mann. — Ein entspkuns
gener Sträsling —- mit nnsken bra
ven Leuten zusammen —.«
Alt-is hallte die Fäuste, sein Atem
ging keuchend.
»Den Gras, sagte das wer an
ders als Sie, es sollte ihm bös be
isnnnent Jch bin lein schlechter
Kerlf
«Dn bist aus dem Zuchthaus ents
sprungen, in das du mit Fug und
Recht gekommen btsi,« sagte der Gras
W- - - «-—.-.—... - —
- r« «
M F- nn du rei- ais-um«
für unfere mächtigen Leute da
vorn.«
Ein warmes Leuchten tarn in feine
Augen; er dämpfte die Stimme.
»Ich hab' stoei Monate Seite an
Seite rnit ihnen getömpft Furttvani
ger, ich tenne sie — weiß, daß ich
mich auf fie verlaffen kann —.«
statt fchlug sich mit der sanft ge
gen feine Brust; feine Augen glüh
ten, »Das können Sie fich auch auf
mich, here Graf.«
«Retn,« fagte der Graf ernst. »Das
lann ich nicht. Denn ein Mensch,
wie du« gehorcht nicht —- langl nicht
Mannszucht halten -.«
»O doch, Herr, doch! Bin ich rrft
draußen!« beteuerte Meis.
«Erft detveif’ es rnir hier —- dann
will ich fehen, was ich fiir dich tun
tann!" sprach der Gruf. Alois
fuchte unsicher feinen Biich
»Und wie — foli ich Jhnen —
das beweifen?« fragte er leise. saft
scheu.
Der Graf antwortete nicht gleich.
und über feinem Schweigen fing
Ali-is Furtwanger das Herz fo wild
zu hämmern an, wie noch nie in
feinem Leben, auch nicht damals im
Wald vor vier Jahren, als er den
Förfter aufs Korn genommen. Und
nun griff der Graf plößlich nach fei
ner hand. — «
»Geh zurück, Furtwanger —- neu
dich wieder! Dann will ich die
Gnade Seiner Majestiit siir dich an
rusenl«
Da risz Alois wild seine Hand aus
der des Grasen.
»Das! Kommen Sie mir damit!«
Er lachte bitter aus. »Dann kam ich
gerad’ herl«
,.Anders tu’ ich’s aus keinen Fall,«
sagte der Gras mit ruhiger Be
stimmtheit. »Dcch stellst du dich
wieder und wirst dann begnadigt,
will ich sehen, daß ich dich zu mei
nem Bataillon bekomme. Denn dann
—,'« er tauchte seinen Blick mit gü
tigem Ernst in den des andern. der
ihn wild und erbittert anstarrte,
»dann weiß ich auch von dir, daß ich
mich aus dich verlassen tann — ein
Deutscher aus den andern -—.«
Er wandte sich ab, nahm ein klei
nes Büchlein von seinem Schreibtisch
aus und bliitterte darin, und siir ge
raume Zeit sprach teiner von ihnen
ein Wort. Alois Furtwanger stand
da mit häng den Armen, wie ge
brochen, zwi n Auflehnung nnd
Ergebung schwankend.
»Ja einer halben Stunde geht ein
Zug von hier nach Ewerdingenx du
kannst ihn noch bequem erteichen,«
sagte der Gras endlich, ohne sich am
zuwendem entnahm seinem Vorte
monnaie ein paar Mart und legte sie
neben sich, »hier ist das Fahrgeld.
Und aus Wiedersehen vor dem
Feind!'«
Eine Weile noch blieb alles still
hinter ihm; dann näherten sich ihm
Ieise Schritte; eine Hand streckte sich
zögernd nach dem Gelde aus. —- Jn
diesem Augenblick hob der Gras den
Kops und sah den Striisling an mit
einem Blick, von dem Alois Furt
wanger wußte, daß er ihn sein gan
zes Leben lang nicht vergessen würde
und vor dem er beschämt und ver
wirkt seinen eignen zur Seite lenite.
Er wollte etwas sagen, aber er
tonnte es nicht; die Kehle war ihm
wie zugeschniirt, und scheu und leise;
ohne Gruß oder Dant, schlich er sich,
das Geld in der hand, wie ein Dieb
aus dem hause.
s
Nun saß er schon seit Tagen und
Wochen wieder hinter Schloß und
Riegel und wartete ans das erlö
sende Wort, das iommen sollte und
doch noch immer nicht kam. Finstre
Stunden hatte er da, in denen er
gegen sich selber wiitete, daß er dem
andern so ins Garn gegangen war
—- natiirlich mußte es dem Grasen
lieber sein, wenn er ihn in sicherem
Gewahrsam wußte, als srei mit eine:
Waffe in der Hand.
Wenn er sich dann aber wie
der ins Gedächtnis zurück
riei, weniger was der Graf mit ihm
gesprochen, als seine ganze mann
haste Att voll Ernst und Güte und
jenen Blick voll Zuversicht und steu
digen Vertrauens, mit dem er ihn
zuletzt noch angesehen, dann schalt
er sich selber wieder wegen seiner
Kleinmiitigieit. Nein, ein Ieigling
war der Mann sicher nicht und auch
Lein Woribriiehiger. Es sragte sich
nur,« wie weit-sein Einfluß reichte.
Und da iamen sie wieder, die na
genden Zweilei. — —
Aber eine· Tages wurde es doch
wahr —- da ließ ihn der Direktor
zu sich rusen und sagte ihm, daß
Seine Maiestiit ihm den Rest seiner
Strafe aus dem Gnadenwege erlas
sen habe. Wie im Traum hörte er
alles mit an. Dann stand er noch
einmal in seiner Zelle —- zum leßten
Male. Draußen marschierte gerade
wieder singend Trupp aus Trupp die
Straße hinab dem Bahnhoi eu.
»Wartet —- baid marschiere auch
ich so in Reih und Glied!« dachte
Aloiz da und aus einmal übertam
ihn ein so über-mäßiges Irohgefilhl,
daß ei ihn aus seine Knie nieder
zwang. Er wollte beten, siirv sich —
den Grasen —- den Kaiser; aber er
suchte vergeblich nach Worten. —- Da
hob er nur inbriinstig seine gefalle
ten hände gen himmel: «Filr’s Ba
ietland!«
»Ur Riesen«
Von Villicks dc lJJIOOIdGIh
Die beiden kleinen, durch einen
Felvtveg verbundenen Provinznestet
lebten in Eintracht und Frieden und
siillvergnilgt dahin. Ja ihren Ge
schäften, Gebrauchen und Ansichten
gab es teinen Mißtvn.«
Der Gemeinderat zeichnete sich wie
überall durch große Heftigleit aus,
— sie Bürgerschaft sicherte sich seine
und ibre eigene Hochachtung. Jn den
glücklichen Städtchen lebten also alle
vergnügt und stiedsam. bis an einem
duntlen Ottoderadend der alte Geiger
von Nenrac Hunger verspürte und
den Glösckner von Bibrac aus der
Landstraße unter dem Schutze der
Nacht etwas unhöslich um Geld an
ging.
Der brave Bürger erkannte in sei
nem Schrecken den Geiger nicht und
händigte ihm unverzüglich seine Bar
schast ans. Zu Hause angelangt, er
zählte er sein Abenteuer so drama
tisch, daß den erhitzten Gemütern der
Bettler zu einer Räuberbande wurde,
die ausgehungert Südsrantreich
durchzog und durch Mord und Feu
ersbrunst ihren Weg tennzeichnetr.
Die tlugen Bürger des Städtchens
taten ihr Bestes« um dies Gerücht zu
verbreiten und übertrieben, wie es je
dem Besihenden ziemt, wenn er von
jemanden hört, der auf Geld spitzt
Sie wußten alles ganz genau, waren
sie doch der Gefchichte auf den Grund
gegangen. denn sie hatten nach einem
reichlichen Abendfchoppen den Glöcks
ner lommen lassen und ihn genau
iiber das Abenteuer ausgefragh Jeht
tannten sie feine Geschichte besser wie
er.
Am folgenden Tage, es war der
fünfzehnte November. lehrte ein je
der mit wichtiger Miene, unterne -
mend, den hut fchief ailf dem Kop e,
aus dem Wirtshaus heim. Die Ehe
frauen warfen sich ihnen um den
hals und ihre Eitelieit angenehm
liselnlx nannten· sie ihre Männer:
Musletiere und Ritter.
»Weißt du was neue» Morgen
friih gehe ich iiber Land!«
»Ach du mein Gatti«
»Der Michaeli-3ins ift fällig. ich
muß ihn felbft heim Pächter holen,
denn...«
»Du gehst mir nicht!«
»Warum denn nicht?«
»Die Räuber.«
»Pah. da hab’ ich fchon ganz an
dere Sachen erlebt!«
»Du gehsi mir nicht!'« fagte ener
gifch jede Ehefrau, wie es sich fiir
Le;te, die einander durchfchauen,
pri l.
»Ach mein Schan, beruhige ich.
Um dir Angst und Aufregung er
sparen, haben wir beschlossen, alle
miteinander zu gehen. Die Jagdflin
ten nehmen wie auch in einem gro
ßen Wagen mit. Unfere Löndereien
liegen in der Nachbarschaft und am
Abend sind wir zurück. Alfo trockne
deine Tränen und gestatte, dafz ich
endlich die Nachtmütze auffetze.«
»Nun, wenn ihr alle zufammen
geht, kann nichts geschehen, dann
darfft du felbftverftiindlich auch leine»
Ausnahme machen,« sagten die Gat
tinnen allzu fchnell beruhigt.
Welch’ herrliche Nacht. Die uten
Leute träumten bon Ueber allen,
Mord und Totfchlag, Turnieren und
Lorbeertriinzem Geftiirlt und frifch
erhoben sie sich beim erften Sonnen
ftrahl.
«Vorwiirtsl« schnaubte ein jeder,
während er in die Strümpfe fuhr
»Vorwärts« man ftirdt nur ein
mal,« laut genug, dafz es die Fraus
Jh·t5r—te. — i
ch Damen Vcwllllscllckl vie Mcsl
dernen Paladine und ftopften ihnen
die Taschen von Hureenpiaychm i
»Ein letzter Kuß,« rief jeder in
ver haustiirr. .
Sie verfamnielten sich auf dem
Kirchplatz, wo die Junggefellen sie be
reits erwarteten. Alle machten sich
finfieren Blickes nn ihren Jugdgewelf
ren zu fchnffen. Es schlug sieben Uhr,
der Wagen feste fich mit den vierzehn
Gutsbesitzern in Bewegung Lange
wehten die Taschentücher nus den
Fenstern.
Es war ein guter Tag.
Die Bürger lebten fiott und lulant
dem Gefchöft, ehrbar und unbefchols
ten. Jeder fpeifte bei feinem Pächter,
zwickte die Tochter ins Kinn, fchnürte
den gefüllten Beutel um und wechfelte
mit der Familie geiftreiche Sprich
wiirter wie: .
»Gute Geschäfte machen gute
Freunde. —- Wer arbeitet-, betet. —
Wer feine Schulden bezahlt, bereichert
Der Leiterwagen mochte die Runde
nnd bald befand man sich vereint auf
der Deimreifr.
Der Nebel lagerte bereits über den
Wiefen. Wie ein« Schatten fiel er auf
ihre Seelen.
Es wurde Nacht. Die Pappelbiiutne
warfen longe Schatten, der Wind
fpielte irr-den hecken. Inmitten der
lautloan Natur fielen die huffchliige
der drei Mecklenburgerz in der Ferne
heulte, unheilverlündend ein verirr
ter Hund. Fledermäufe umfchivirrien
die blaffen vorn Mondftrahl traurig
betrachteten Reifenden. Man griff nd
und ins nach dem Gewehr swlfchen
s 7
den Knien, auch nach der Geldtasehe,
um sich von ihrem Vor ndenfein zu
liege-engem Kein Mench wagte zu
« .
Da, an einein Kreuzweg, zeigten
entfesliche Gestalten; Gewehr
litnfe innieltetn Pferde stampften.
»Wer daf« klang et schaurig aus der
yinsiernih VIII selben Moment er
chien ond zwischen zwei dun
iein Wollen.
Ein riesiges Gefährt mit bewaff
neten Männern versperrte den Weg.
Wer waren die Männer-? Räubert
Banditenl Wegelagererl
Ach nein, es waren nur die harm
losen Bürger des benachbarten Bi
brar, die denselben Gedanien wie ihre
Brüder von Neyrae ausführtern Nach
getaner Arbeit lehrten sie wie diese
in ihre Ortschaft zurücqu lreuzted
sich auf der Landstraße mit ihren
Nachbarn. «
Kreideblei starrten sie einander
an. Die Fur t, welche sie sich in ihrer
fixen Jdee befangen einfliößtem zei te
sich auf ihren verzerrten Mienen. t
Blitzesschnelle verwandelte sich in der
Dunlelheit ihr Geflüfter in grauen
hafte Drohungen; ein Flintenhahn
blieb an einer Bank hängen und
schnappte zu. Die Kugel schlug einem
Bürger von Nehrac die Gänfeleberi
pasiete aus der Hand. Er hatte sich
ihrer als Wutfgeschoß bemächtigt.
Der Gewehrlnall warf den Fun
len ins Pult-ersah Wildeg Delirium
ergriff die Gesellschaft und ein träf
Ugcs erclskscllkk Icslc Un- Mel
Wunsch,« Leden und Geld zu retten,
machte sie blind· Eine Kugel nach der
anderen wurde in den Lauf geschoben,
zitternd schossen sie auf den gegen
iiderstehenden Haufen. Pferde ftiirzs
ten und rissen die Wagen mit, aus
dein Provisionen und Verwundete
tollerten. Letztere erhoben sich mit Lö
wenmut und seßten das Feuer fort,
ohne den Feind im Rauch zu eilen
nen. Die Verzweiflung gab ihnen un
geahnte Kräfte. Es war ein Vermeh
tungstampß
Unterdessen vernahmen ,die Räu
ber« (einige arme Teufel, die.aus
Hunger hie und da ein Brot oder
eine Schnitte Speck sich angeeignet
hatten), bebend vor Angst, in ihren
Schlupftvinteln den Lärm des furcht
baren Kampfes, der Wind trug ihnen
die Wehrufe der Bürger und die
Schüsse zu. Jn großem Schrecken
glaubten sie, daß man eine Riesen
heße auf sie mache. Entsetzt sprangen
sie von ihrem Kartenspiel auf und
ftarrten ihren Führer an.
Der alte Geiger ivar einer Ohn
macht nahe, seine Beine schlotterten;
was er vernahm, ging über sein Be
griffsvermiigen
Er blieb einige Minuten safsungsi
los stehen. Das Gewehrtnallen dau
erte fort. Plößlich sahen die guten
Räuber, wie er nachdenklich den Fin
ger an die Nase hob.
»Kinder, es ist undenlbarl Das
geht uns nichts an, ein Mißverständ
nis... eine Verwechslung ..l Eilen
wir mit unseren Blendlaternen den
armen Verwundeten zu Hilfe. Der
Liirm kommt von der großen Stra
ist«
Vogsichtig schlichen sie durch das
Gestrauch zuni Aampsplaß —- der
Mond deieuchtete die Greueltat.
Der leßte iiherlebende Bürger hatte
Tieh heim hastigen Laden aus Zufall
eine Kugel in den Kopf gejagt.
Beim Anblick der Toten, die liber
einander aus der blutig- Straße la
gen, blieben die Räuber sprachlos ste
hen. Langsani kam ihnen eine Ah
nung des wahren Sachverhaltes.
Der Anführer pfiff und die La
terfien stellten sich im Kreis um ihn
au .
»Meine lieben Freunde,« sliisterte
er heiser, seine Zähne schlugen vor
Angst aufeinander-, »meine Freunde,
nehmen wir schnell den braven Leu
ten ihr Geld ab. Wir gehen sofort.
über die Grenze; ivir müssen schnell
fliehen und diirfen nie mehr hierher
zurückkehrenl«
Und als seine Kameraden ihn ver
ftiindniöloö anstarrten, deutete er auf
die herumliegenden Leichen und sagte
mit tiefer Menschentenntni5:
»Denn sie werden beweisen —- daß
wir es waren —-—«
—
J
—- Ertnnnt Onkel: Fritz, wie
spät ilt es denn?
Reife (Stuoent): Ach, Iiir ist die
Uhr stehen geblieben
Onkel: W,ns heute, wo wir erst
den Sechsten haben da bleibt dir
schon die Uhr wieder stehen-?
—- Lethe-it Gotte (alg die
Frau eine Rede im Frauenverein
halten will und schon vierzehn Tage
daran herumstudierVJ Schau, Alte,
bei mir bringst die schönsten Reden
ganz ohne Vorbereitung z’inrnrnt
i —- Angenehmer Zweifel.
Herr Kneiiel totnrnt in später Stun
de stark angeheitert noch Hause. Da
er nicht wie ionit mit den üblichen
Gardinenpredigten empfangen wird,
fragt er sich nicht ganz erstaunt:
»Im weiß ich nicht — bin ich
noch ledig, oder bin ich schon Wit
weri!« ,
—Mißveritiindnid.Fremdee
(entiäui·cht): Eine nette Sommer-fri
sche: Kein Baum, kein Strauch- lo
Iveit mnn sieht, hoffentlich gib« we
nigstens Wasser in der Gegend.
Bauer-: Selbstverständlich! Frau,
krixig dein Herrn mal n Glas Wai
er