Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 03, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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Staats Anzetger und Ilserold
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Titec Etitsigicn
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Von Gustav Schtvarzkvpb
j- —
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»Bitte meine Damen und herren,
bitte in das Mustlzicnmer zu gehen.
here Professor Xynienos wird so lie
benswürdig sein, uns einige seiner
hochinteressunten Experimente zum
besten zu —- -—- vorzusiihken.«
»Unser Siessi,« der beliebte Su
lotioirtuose, hat sich herbeigelusscn,
die Vorstellung musikalisch einst-Zeiten
Er macht Gespensteeniusit. wilde
Phantasien, schrille Dissonanzen. He
xenspriinge, ein Toben. Klagen, Wim
niern und langsames Erlöschen in
hingehauchten ersterbenden Tönen mit
zartestem Anschlag. Die Gesellschaft
hat den guten Geschmack, die künstlich
herbeigeführte Stimmung nicht durch
Beisallsiiuszerungen zu zerstören; sie
verhält sich schweigend. Stessi findet
diesen guten Geschmack sehr tattlos.
Man hat nicht Zeit, Stessis Anger
zu bemerken, denn der «Professor"
lenlt alle Blicke aus sich. Man hat ihn
während der Ouvertiire nicht gesehen,
kein Kommen nicht gehört, übrigens
nd die Türen geschlossen. Der Platz,
aus dem er jetzt fleht, war noch vor
einer Setunde leer. Das wirkt. Sein
Aeußctes erhöht die Wirkung. Die
Natur hat etwas fiir ihn getan, bat
ihn siie sein Handwerk geformt und
sie hat an seiner nachbesfernden Ge
schicklichkeit eine intelligente Mitarbei
terin gefunden. Die Maske ist dor
itesflich Lange hagere Figur, bleiches
Gesicht mit tiefliegenden Augen,
« chwgrzer Voltbart, das schwarze
te Haar fällt in langen Strähnen
krab
Er beginnt mit einer dunklen Er
klärung seiner Kunst, seiner Absich
Irk er deutet geheimnisvolle Zusam
Itenhänge an und dabei gebraucht er
Im Trick so leise zu sprechen, daß
die Unwe enden in vorgebeugter hal
- sing tauschen müssen, wenn sie seine
Worte derftehen wollen. Der ungläu
Iäse Spötter der Gesellschaft muß die
Bemerkung, die er sitr die Situation
vorbereitet hatte, unterdrücken; un
willkürlich zur Nachahmung getrieben,
lt auch er den Atem an und lauscht.
. urch den Zwang. den sie sich selbst
ouserlegem werden sie alle unfrei; der
eigentümlich singende Tonfall des
Sprechers schläfert ihre Denkkraft
ein; fie sind bereit fiir das Wunder
dare.
Er läßt nicht lange auf sich war
ten. Der Professor fühlt, daß er die
günstige Stimmung des Publikums
nützen muß, er verläßt die graue The
orie und zeigt seine Künste. Er bringt
jedem etwai, kleine Kraftproben aus
den verschiedenen Gebieten. Zuerst
produziert er sich als wohlerzogener
Gedankenleser, der seine Gabe nicht
mißbraucht, der bei den Personen, die
sich ihm zur Berfiigung stellen, nur
harmlose, unversängliche Gedanken
vorfindet. Dann zeigt er hübsche Ta
schenspielerkunslstiieke, ein buntes Al
lerlei aus dem Reich der »höheeen
Magie«. Er läßt Gegenstände ver
schwinden und holt sie aus fremden
Taschen hervor-, er zerstört Uhren und
köpft Tauben, die dann wieder ganz
und unverletzt gezeigt werden« er sin
drt Nadeln, die man sorgfältig ver
steckt hat, nennt laut Zahlen und
Karten, dir einer der Anwesenheit den
andern zugcsliistert hat usw.
Plötzlich erscheint er mit einer sun
gen Dante. Wo hat er die nur herge
zaubert? Sie muß die ganze Zeit hin
ter einein Fenstervorhang oder hinter
dein hölzernen Heiligen versteckt gewe
sen sein. Ihre Erscheinung wider
spricht nicht dieser Vermutung. Lang,
unheimlich schlaitl und dünn. blaß
blonde, spärlich gelockte Haare, die
das blutleere Gesicht noch sahler er
scheinen lassen. Jhre Kleidung, ein
schmnttloser, sactartiger, staubgrauer
Uebertvurs, ist nicht gesellschastssähig;
ihr Benehmen auch nicht. Sie macht
dem Aubitoriutn nicht die übliche
Verbeugung. Sie sieht starr vor sich
Ini, nichts bewegt sich on ihr.
Nach einigen Minuten ist die junge
Dorne in hypnotischen Schlaf versetzt.
Aus Befehl ihres Herrn and Meisters
gibt die Schliisende Antwort und
vollführt die erstaunlichsten Dinge.
Wieder zum Bewußtsein gebracht, ge
hotcht sie den Befehlen, die man der
Schlafenden erteilt hat. Sie sieht
Fenster nnd Türen da, wo sie nicht
»stat. spricht mit Abwesenden sie nen,
haßt nnd-stiehlt aus Kommando,
sie wird in Haltung, Gebärden und
Ton sum unwissenden, verschitchtertenJ
kleinen Kind, sie zeigt die Angst derj
Schiffbrüchigem den ausbrechenden
Wahnsinn der Verzweifeltetn .
Durch den halbdunlleu Raum gkhk
ein leises Schuttern. Die Damen und
herren haben wohl schon ost von der
lei crpertmenteu ges-L dle meist-I
such schon tther li chen
var-mei- den-Mut c Its
baden fie eine ähnliche Wirkung gei!
filhlts
Nun noch eine kleine fpiritiflifche
»Anme. Ein wenig Tifchriiclen, ein
iwenig Klopfen, und endlich läßt sich
idie junge Dame von schreit-lustigen
Geistern den Bleiftift in die Hand
izwöngem der in wunderlichen Sprün
gen über das Papier tanzt und die
erftaunlichfien Schriftproben liefert.
O « O
Man folgt der Aufforderung der
Hausfrau, sich in den Speifefaal zu
begeben. Der kurze Weg wird von der
Gesellschaft schweigend zurückgelegt
Auch der Anblick des gedeckten Tisches
gibt ihr nicht gleich die Stimmung
zurück. Das volle Licht blendet alle.
Es zeigt bleiche Gesichter-« nervöfes
Zudem unsicher blickende Augen Erst
nach einer Minute erinnern sich die
Geübteften an die Verpflichtung, der
Hausfrau und dem Professor zu dan
len. Man umringt ihn. Einige Neu
gierige möchten auch die Bekanntschaft
des Mediums machen; die junge Da
me ist spurlos verschwunden, man
muß sie auf dem Wege ins Speise
zimxner verloren haben.
Der Professor quittiert herablassend
die seiner Kunst dargebrachten Huldi
gungen. Er spricht jetzt etwas lauter,
wieder in dein eigentümlichen singen
den Tonsall und mit einer seltsamen
Deununa einzelner Worte, die dadurch
einen fremdartigen Eindruck machen.
Die Anertennung scheint ihm nicht
sonderlich zu schmeicheln; um seine
Lippen zuckt es spöttisch und ironisch,
von der servilen Freundlichkeit der
»Künstler« ist bei ihm nichts zu ver
spüren.
»Sie sind sehr nachsichtig. Es war
ja gar nichts. —- Einige Bagntellen
— arme, tleine Kunststücke. —- Die
großen Sachen machen mich zu mild.
Ja früher, als ich noch jung war, da
mals, als ich am Hof der großen Ka
tharina meine erste Söance gab...«
Eine tleine Pause. Dann erst la
chen die Umstehenden über die scheer
haste Uebertreibung. Das sollte es
doch wohl sein. Das Lachen ist aber
gezwungen, es klingt etwas wie Un
behagen heraus.
»... aber ich werde mir die Frei
heit nehmen, noch einige bescheidene
Kleinigkeiten oorzusiihrem die über
all interessiert haben — nicht jetzt —
unnngetiindigt —- beim Souper -·-«
»Bravo —- Braoo — Sehr lie
bensroiirdig!«
Bei Suppe und Fisch pflegt die
Konservation nie besonders lebhaft zu
sein, sie war an diesem Abend trost
los. Einige dürftige, erbarmungswiip
dige Galanterien und Reckereien, eine
Zeitungsneuigkeit, die man mit gro
ßer Anstrengun durch Zerren und
Dehnung ergiebiger zu machen be
müht war, ein armseliges Wisstoort,
das mit vereinten Kräften totgehth
wurde. Die Dame, die neben dem
Professor sitzt, eine ältliche Verwandte
des hauses, sucht aus Rücksicht für
den Gast, da es nun doch einmal lei
der iiblich ist, derlei Leute als Gäste
zu behandeln, ein Gespräch iiber die
vierte Dimension in Gang zu bringen
am andern Ende der Tafel erzählt ein
älterer Herr eine lange Geschichte, die
er sehr tomisch findet. Die sehlende
Pointe ersetzt er durch sorriertes lau
tes Lachen. Ein dankbarer Blick der
Hausfrau belohnt ihn.
Dann wird es wieder unheimlich
still. Man bemerkt, wie der Professor
feine Gabel nimmt und an ein Glas
tlopft. Das gibt einen ganz merttviirs
dig fchrillen fremden Ton. Will er
einen Toaft anzbringeM —- Ah, ge
wiß ein Experiment
Der Professor behandelt die Gabel
wie einen Taltftock. Er hält sie hoch
und macht dann eine Bewegung wie
ein Kapellrneifter, der das Zeichen
zum Einsetzen gibt.
Und es wird pünktlich eingesetzt —
Tvon allen. Alle beginnen zu gleicher
Zeit zu sprechen und alle fangen ihre
Sätze mit »Ich« an. Laute, liirtnende,
felbftbewußte Jchs, fchiichterne, zag
hafte Jch5, pathetische. falbungsvolle,
wilwenialr. gespreizte, verfchiimte,
loiette Jchs durcheinander. Eine gro
ße wohl inftrumentierte Ich-Sympho
nie! Jeder erzählte von feinen Ab
sichten, feinen Gedanken, feinen Plä
nen, Talenten, Erfolgen, von feinen
Leiden und feinem Glück, von feinen
Zweifeln und feinen Hoffnungen
Zuriicthaliung, Selbftbeherrfchung und
Zwang, Rücksicht, Höflichkeit nnd fan
er erworbener Talt sind verfchwunden,
alle Bande der gefellfchaftlichen Zucht
find zerrissen. Niemand bringt mehr
das Opfer, dern andern anzuhören
oder auf das Gefpriichstherna des and
dern einzugehen. Jeder hört nur sich
felbft, interessiert sich nur fiir feine.
eignen Worte. Und daher fühlen fich
alle an enfeheinlich fehr zufrieden und
Malt . Die Wangen nd get-stei, die
regen munter. Der rofe or diri
giert noch innerer, aber er n mmt das
Um immer lebhaften immer fthneis
bleibt streitet Keiner ermit
idei. Sie Stier-weilen fchlasen die ge
des-ten Eitelkeiten übereinander-. Die
rasende Schnelligkeit macht die Worte
unverständlich, nur die atemloses, mit
aller Kraft heißer hervorgestoßenen
»Jchs« sind noch deutlich vernehmdar.
Der Professor trinkt ruhig. Also
kein Experiment? Warum hat er
denn an das Glas geilopsR Die Leu
te haben fo schlechte Manieren.
Ein Glück daß jetzt die Zwischen
speise ferviert wird. Kein hätte Luft,
jetzt zu sprechen, alle fii len sich er
schöpft und müde.
Erst der Champagner, den die
hausfrau, um die troftlofe Stim
mung zu verbessern, früher als sonst
einschenken läßt, regen wieder zu led
hafterer Unterhaltung an. Das La
chen wird natürlicher, der Gespräch-Z
ton erlangt die gewohnte Nuance der
Vertraulichkeit. Es geht ja eigentlich
immer so. Man braucht immer eine
gewisse Zeit, um die Alltagsftimmung
abzuitreifen, um die Sorgen, die Un
annehknlichkeiten zu vergessen Nach
und nach tauen alle die gegenseitigen
intermittierenden Sympathien anf, an
eren Besitz man nicht imnier denkt,
die eigentlich nur ein Nachleben füh
ren und nach Schluß einer Gesell
schaft eingesargt werden, um in der
nächsten zu erstehen. Man wird frei
gebiger im Spenden von Artigteiten
und Anerkennungem Leicht und mühe
los, sast unabsichtlich drängt sich das
aus die Lippen, was dem andern an
genehm sein mag Ein Gefühl des Be
hagen5, der Sicherheit übertommt die
einzelnen. Jst man nicht unter lang
jährigen Bekannten, unter Freunden,
die uns wohl wollen, die uns verste
hen, unsere Verdienste tennen und
würdigen?
Einer gibt eben dieser Sicherheit
beredten Ausdruck; er spricht von in
nigeni Verständnis, von Wassenbriider
schast und Freundeötreue, von dem
Banner des Jdealismus, das alle
hochhalten, von den Anhängern, die
jeder einzelne sich durch Talent und
Charakter erworben, von der Armee,
die hinter uns steht, bereit, uns ver
trauend zu folgen. Er schließt: »Wir
tönnen nicht in die herzen sehen.
aber es gibt eine untriigliche Emp
findung, die uns sagt —- —«
Er vollendete den Satz nicht, mit
einem zähen Ruck wendet er sich sei
nem Nachbar zur Rechten zu und sieht
ihn rntseht an. Jeder starrt mit weit
ausgerissenen Augen seine Nachbarn
oder sein Gegenüber an. Jeder einfl
ne, der sich bisher sür en Mit el
puntt der Welt, seiner Welt gehalten,
der sich geachtet, geliebt, berühmt
glaubte, er weiß es plötzlich, was sein
Nachbar eigentlich von ihm hält, wie
alle Anwesenden iiber ihn denken. Er
kann es so deutlich lesen, als ob es
aus der Stirn der andern geschrieben
wäre. Durch die verschlossenen Türen
und Fenster dringt ein eigentümli
ches Geräusch, Summen, Schwirren,
Zischeln, ein Klatsch-Chor, ausgeführt
von tausend und tausend Stimmen.
Und aus den unentwirrbaren Tönen
hört jeder einzelne der Gesellschaft
deutlich die Stimmen heraus, die ihm
gelten. Die Stimmen einer unbarm
herzigen Kritik, die alles entstellt, zer
fasert und zersetzt, begeifert und be
schmutzt, alle lichtscheuen Motive bloß
legt, alle Hüllen der Menschen herun
ierzerrt. Was ängstlich geheim gehal
ten wurde -—— Gebrechen und Löcher
lichleiten, Mißerfolge, klägliches Ir
ren und jammervolle Schiner en --—
die spitzen Stimmen vertiin n es,
daß alles schon lilngst Geheimnis al
ler Welt ist. Was dem verächtlichen
Mitleid entgeht, das greift der Spott
auf, was unter dem Lächeln des
Spottes iibrig bleibt, das fällt dem
Neid als Beute zu. Das Echte, das
nicht gelengnei werden lann, wird we
nigstens verkleinert und berdächtigt,
aber die luftigen, zierlichen Ruhmes
gebäude, die aus Schmeicheleien, Ei
gennutz und Selbstbeirug gezimmert
sind, werden von dem Geräusch der
schrillen Stimmen weggeweht; ihre
obdachlosen Besitzer schauern srierend
zusammen, die papierenen Lorbeer-,
ETugend- und Eharalterironen werden
’von den Köpfen weggrrisfen und fal
len raschelnd zur Erde.
Die Herren und Damen, welche
plötzlich fo genau darüber informiert
werden,« welchen Grad sie in der
Schätzung ihrer Mitmenschen einneh
rnen,riihren sich nicht. Der Schreck hat
sie gelähmt. Nur ihre Lippen bewegen
sich, ihre Zähne schlagen aufeinander,
aber sie bringen teinen Laut hervor
Alle gleichen dem Geizhals, der ent
deckt, daß seine Kasse leer ist, daß
Diebe ihm sein ganzes wohlbewachteö
Vermögen geraubt haben. —
,Aber Stessi —- wte konnten Sie
nur L« Unser Stessl hatte. in der
löblichen Absicht der schönen Rede
durch einen Tusch einen effettuallen
Abschluß zu geben« sieh zum Klavier
aeschlichen — er pflegt das immer so
u machen. wenn sein ennd die Re
hält. — er kam etigebiideh
m ihm wohle auste ists-M be
reits gehört zu haben und zu friih
mit einem kräftigen Akkord eingesetzt.
» Der Redner machte eine leibliche
Miene zu dein unglücklichen Spiel sei
jnes Freundes, feine Erfahrung verbie
ztet ihm aber, die unterbrochene Rede
iwieder auszunehmen. Er weiß, daß
lfeine Phrasen eine bestimmte Tem
Fperatur brauchen, um zu wirken, und
»die ist nicht mehr vorhanden. Uebri
igenö ist man auch schon beim Dessert.
iEr erhebt nur fein Glas nnd spricht
die ungewöhnlichen Worte: »Aus alle,
die wir lieben und die uns lieben!«
Stessi setzt jeht richtig ein. Er
spielt das rauschende Finale aus der
»Fledermaus«. Die Gläser llingen
aneinander.
Da verändert si? mit einem Schla
ge das ganze ge ellschnstliche Bild.
Die Anzahl der Personen hat sich fast
verdoppelt. Eine zweite Runde von
rauen und Männern, die über die
Köpfe der ersten blickt. Hinter der
reizenden Braut, die mit strahlendem
Lächeln die Glückwiinsche in Empfang
genommen hat, steht ein sehr junger
Mann tm Kostiim eines Urstauferez
an dem Bräutigam hängt ein nachlas
sig aetleidetes, vergrämt aussehendeg
Weib. Hinter dem jungen Dichter, der
so schön die echte wahre Liebe besingt,
steht eine dicke überreich und iiberju
gendlich gekleidete Frau, die ganz gut
seine Mutter sein könnte; an einen
streng nnd würdevoll aussehenden
Herrn schmiegt sich die beste Freun
din seiner Frau; dem salbungsvollen
Redner, der den schönen Toast aus
gebracht hat, nimmt ein sreches klei
nes Persönchen mit einem Gassenjun
gengesicht das Glas aus der Hand
Eine Dame und ein Herr, die bei der
Tafel weit voneinander entfernt sa
ßen und die sich nur förmlich und
fremd begrüßt hatten, stehen jetzt dicht
nebeneinander. Die Frau eines sehr
einflußreichen Mannes, der die ver
schiedensten Aemter bekleidet, ist von
einem lleinen Hof von vier jungen
Leuten umgeben, aber nur die Augen
des einen, der schüchtern ihre hand
faßt, zeigen Leidenschaft und schwär
merische Verehrung; die drei andern
haben bereits Karriere gemacht.
Neben einer Dame, die schon seit
längerer Zeit nicht mehr ganz jung
ist und seit kurzer Zeit dem Bergsport
huldigt, steht eine Figur, die einen
seltsamen Gegensatz zu der eleganten
Umgebung bildet, ein ausfallend hüb
scher, gebräunter Bursche in dauert
scher Tracht mit dem Abzeichen des
Führers. —·- ——————
Man glaubt den Ton der aneinan
der tlingenden Gläser noch zu hören,
als die herrschaften schon lange wie
der ihre Plätze eingenommen haben
So trästig hat es diesmal getlungen.
Die meisten Herren lehnen sich jetzt
bequem zurück, auch die Damen sind
in ihrer Stellung freier geworden.
Die leichte Arbeit, die noch zu leisten
ist, macht ihnen Vergnügen. Man hat
es ihnen so oft gesagt, daß es einen
hübschen Anblick gewährt, schöne
Frauen Bonbons und Früchte essen
zu sehen, und so erledigen sie die letzte
Programmnnmmer des Soupets mit
bewußter Umständlichteit und Koteti
terie. Durch die frischen Erdbeeren,
Aprirofen nnd Trauben, durch die
noch sehr tostspieligen nnd sehr ge
schmacklosen Primeurg wird es den
Herren und Damen auch noch in Er
innerung gebracht, daß sie zu den Be
oorzugten, zu den Erwählten gehören,
und zu der Behagli leit der Verdau
ung gesellt sich em solzes Gefühl der
Genugtuung. Die Blicke werden deut
licher, das Lächeln wird herausfor
dernder und weiße beringte Finger
zerstören in gedankenloser Spielerei
die hübschen nun welk gewordenen
Blumen, die den Schmuck des Tisches
bildeten.
Von der Dame des Hauses wird
ein großes Fest angeregt, das dem
nächst zum Besten der armen hun
gernden Schulkinder veranstaltet wer
den solI. Theater und Tingeltangel
fund Zirtus im Freien --- alle antre
fsenden Herren und Damen sollen mit
swirkem auch der Herr Professor wird
newiß so freundlich sein, da es sich
um einen so eminent wohltätigen
Zweck handelt.
Um den Mund des Professor zuckt
es noch stärker als sonst, er nickt nur
schweigend. Die Gesellschaft aber
nimmt die Jdee mit lärmendem En
thusiasmus aus; jeder hat einen Vor
schlag zu machen, jeder gibt seine Er
fahrungen zum besten, alle sprechen
auf einmal, und mit Stolz kann die
Hausfrau konstatieren, daß ihr Abend
—- rvenigstenö zum Schluß —- zu den
animiertesten gehöre. —- Da klirren
die Fenster wie vom Sturm geriittelt,
die Türen springen aus und ein eisi
ger Wind fegt durch den Saal. Die
stolzen elektrischen Lichter erlöschen
und kleine, dürftig slackernde Flämm
chen haschen durch den Raum. Die
lgliinzenden Möbel, die funkelnden Ge
räte sind mit einer dicken Staud
schicht bedeckt. Eine dumpfe« bestem
mende Lust, der Mute Leut« Geruch«
erfüllt plötzlich den Saal, er hat alle
die erlesenen Parflinis und den Duft
der Blumen verdrängt. Durch die ge
öffnete Türe drängt sich eine sonder
bare Gesellschaft in den Saal. Wet
her und Kinder in Lumpen mit grau-!
en Gesichtern und gierigen Augen, s—s
mit bloßen Füßen gleiten sie lautloss
liber die schweren Teppiche, in einer!
Selnnde haben sie den ganzen Tisch»
urnzingelt. s
Wie drohende Gespenster sieben sie
hinter den Dornen und herren, die
sich doch eben so freudig bereit erklärt
hatten fiir sie zu spielen, zu singen
und zu tanzen, und ihre schmutzigen
Hände wühlen in den Tofelaufsätzen,
nehmen den Damen die Süßigkeiten
aus den Händen, greifen nach den
Gläsern, welche die Herren eben zum
Munde führen wollten. Mit einer
Kraftanstrengung die für hartes
Brot berechnet ist, zermalmen ihre
Zähne die kostbaren Leckerbissen. Noch
innend und schmatzend greifen dir
Weiber nach den glänzenden Steinen
in den Vom-en der Damen, nach den
Schleifen und Blumen, ihre abgene
beiteten rauhen Hände zerbrechen im
plumpen grotesken Spiel die zierli
chen Spitzen und Federnsächer. Die
Buben nehmen die bunten Biinder,
Kreuze und Sterne von den Fräclen
der Herren und heften sie an ihre
Lumpen und all der Glanz, die Grö
ße, die Würde und Bedeutung, die
diesen Zeichen innewohnt, umstrahlt
plötzlich die auggemergelten Gestalten
dieser hoffnungsvollen Jugend.
Die Damen und Herren aber, ihrer
Kostbarkeiten und Ehrenzeichen be
raubt, sehen plötzlich alt aus und
grau und verfallen. —- — —- — —
Alles das hätte der Here Profes
sor Xymenos zeigen können, wenn er
wirllich ein Zauber-er gewesen wiirel
Wie indischk Milmr.
Von Max Firi li.
Als der »Herzog Alexander« Aden
verlassen hatte und mit südöstlichem
Kurse in das sehr stille Arabische
Meer hinaussteuerte, ließ sich Herr
Cupai, der Birmane, neben Andreas
nieder; und er tat es- leicht und ge
fällig wie im eingefleischten Wissen
um alle Art von Bequemlichkeit Er
entziindete die Zigarette, ließ das
Streichholz in der dünnen braunen
Hand zu Ende glimmen und betrach
tete den schwarzen diirren Nest mit
einem Blick melancholischen Ernstes.
»Sie· fragten mich,« he ann er aus
schauend, Mach dTil allen Bräuchen
der Witwenverbrennung in Indien.
Gewiß sind sie verboten, aber nicht
alle Gesetze deg Diktators werden be
solgt.« Er wars endlich die Asche des
Hölzchens beiseite, die er noch immer
in der Hand gehalten hatte. Seine
Augen folgten den kleinen Wellen« die
sent wie lustige junge Delphine aus
sprangen und die See bis in den Ho
rizont hinein bevölkerten »Ich begrei
se, daß man nach den Begriffen der
christlichen Moral keine Sympathie
mit dieser Tradition haben kann
Nach unserer Auslegung ist aber die
Witwe der zufällige Rest eines abge
schiedenen Lebens, dein es so wenig
wie früher zusteht, iiber sich zu dis
gonieren Wie die verschiedenen Ka
lcn die lleberlie erung festhalten,
wird Jhnen diese pisode beleuchten
Ein sehr vornehmer Mann mit Na
men stusita war eines ptöhlichen To
des verstorben. Seine Jugend, seine
gesicherte Existenz, Ansehen und Ge
sundheit hatten niemanden mit feinem
frühen Tod rechnen lassen, am alter
wenigsten seine junge Frau, die ein so
schönes wie srdhliches Geschöpf war
und Vlufinari hieß. Jch weiß nicht,
ob das Geriicht recht hatte; jedenfalls
sngte der Mund der Leute: sie hätte
ein leichtfertigeg Wesen gehabt, fei
undeständig, ja treulos gewesen und
nicht selten auf geheimen Gängen be
troffen worden. Der reiche Kusitn
hatte zu jener Seite gehöret. die durch
einen schweren Eid verpflichtet ist, die
alten religiösen Bräuche und Tradi
tionen auch gegen den englischen Wi
derstand aufrecht zu erhalten. Eine
Art geheimes Gericht tagte und hatte
in jedem einzelnen Falle zu beschlie
ßen, wie das Gebot der Witwenver
drennung durchzuführen sei.
Als Kusila gestorben war und
Ausinari überdachte, wag ihr bevor
stand, versuchte sie zuerst durch allerlei
schmeichlerische Reden dte Freunde
ihres Mannes zu bestimmen, mit dem
alten Gesetz zu brechen und ihr das
Leben zu scheuten. Aber sie mußte
fühlen, daß selbst ihr derführerisches
Gebeihren die Männer nicht im einge
wurzelten Pflichtgefühl beirrtr. - End- »
lich war einer, dem sie die Zusage der.
Befreiung entlvcktr. Es scheint mut.
daß dieser, ein gewisser Wandern den
Plan faste, die ihren Gesungen treue
Seite der Regierung zu verraten. Ei
tam indessen nicht soweit. Randra
verschwand am Abend nach Kusitas
Tode, und man weisz nur soviel, daß
er seinen heimlichen Weg zu Ausinari
nicht vollendet hat.
Anderen Tages sollte die Einiisches
rung des reichen Mannes vor sich ge
hen und siir eine sehr viel spätere
Stunde hatte der Geheime Konvent
die Verbrennung Ausinaris in einem
Gehölz, etliche Meilen oberhalb der
Stadt, angesetzt. Ausmari, um die er
wartete Rettung betrogen, eilte noch
am Vormittag zu den Behörden. Sie
erwirtte auch unverzüglich einen
Schutz mehrerer unaussälliger Wär
ter. Diese Leute begleiteten sie selbst
bei den Begräbniszeremonien siir Ku
scta, ließen sie nie aus den Augen
und waren wie automatische Bälger
zur Stelle, wenn irgendwer in Ausr
naris Nähe trat.
Diese Wächter wurden geradezu un
vermeidlich. Sie umstellten das Haus
der Witwe als Spaziergänger, Händ
ler, Bettler, sie blieben auch in der
Nacht, saßen in den Gärten umher,
im Flur des Hauses-, so unauffällig
»daß niemand Verdacht schöpfen
;tonnte.
’ Gegen Mitternacht aver tam ein
stummer und langer Zug durch die
Straße. Fatire, Büßer, Flagellanten,
Lahme, Kranke und eine Menge
Paris-, das sonst um diese Stunde
nicht mehr aus den Straßen zu sin
den ist· Er machte vor Ausinaris Tür
Halt und ein schmächtiger Greis von
.elber Gesichtssarbe, verschlossener
Miene und einer zögernden Gebärde
rief dem Wachmann zu, der aus das
Klopfen heranstrat:
»Bringt die Tote zur Ruhe, die in
eurem Hause liegt!«
Der Wachmann antwortete, daß in
diesem Hause keine Tote liege. Wenn
man aber Ausinaris Mann meine, so
sei er schon um Mittag verbrannt
worden. Jni übrigen solle sich der
Anstaus zerstreuen und jeder heim
gehen.
Der Greis lächelte nur ein schwa
ches, lurzes Lächeln. ;
,,So werden wir sie selbst zur Ruhe
bringen!« Und er tlopfte dreimal in
die Hand. Da entriegelte sich der La
den eines oberen Fenstets. Eine hand
wurde sichtbar, dann ein Kopf, aber
es war ein furchtbarer Kopf, weiß
und blutig, von einer tiefgeschlagenen
Wunde entstellt und in zerzaustes
Haar gerahmt. D
Jeder der Getommenen sah mit
Entsetzen aus die tote Ausinari, die
man an das Fenster hielt; doch zeigte
das Entsetzen auch Andacht und bei
sälliges Murmeln erhob seine weichen
Flügel. Die Wachleute stürmten nach
oben. Sie fanden das Zimmep Petriez
gelt und mit Möbeln eng verbaut.
Als es ihnen endlich gelungen war,
hineinzubrechen, schlug ihnen eine
dichte Lohe Feuer entgegen... Ruft-«
las Haus brannte in der Nacht bis
ausdie Keller herab und Ausinati
lam« nicht um ihren Scheiterhaufen.«
Nach einer tleinen Weile fragte
Andreas den Jnder nach den geheimen
Verbindungen. die solches Tun voll
bringen. Aber er nickte nur und lenkte
dann ab: »Es ist leibgewordener gött
licher Wille. Die fremden Behörden
verbieten einen Brauch; aber er wird
sich mit der Sicherheit alles Notwen
lsdigen selber durchsetzen.«
O-—
Geschdättdteis.
» ,
ysch liin tee Frcind von Sicsziglecdeih
lEr sieszcr Lippcl schmeztd mer nich.
Ile schrecklichsten sin iiesic Reden
JMir nn c sicszliclic- Gesicht
Verschiedene Heitrechiiung.
’Snat einer: »Um-n Augenblick
Geduld, iclj bin sofort zurückk« —
Verlaß dich draus: »Der fnnlc Kunde
Bleibt sicher eine balde Stunde-.
Doch wird es umgekehrt geschehen,
Tas; er einmal ein wein-! stehen
llnd deiner wartend liarren muß,
Ich wette, das-» er voll Verdruß
Nach wenigen Sctnnden schreit:
»Das- dnncrt ja «nc Ewigkeitl"
-—-—-« —--—.—.
— Verteidigung. Verteidi
ger:. . . Und was nun die große Zahl
der Diebstiihle anbelangt, so müssen
Sie, meine Herren Geschworenen,
dem Angeklagten zugute halten, daß
er eben eine äußerst glückliche Hand
hatte. .
—- Die Trillingr. Frau:
Was-, dieser Soldat ist schon wieder
Jyr Bruders Da haben Sie wohl
drei Brüder in fast gleichem Al
ter?
Dienstmädchenk Ja, meine Mut
ter hatte nml beinahe Drillingel
—- Auch ein Vorzug. Herr:
Das Mädchen schielt ja.
Vermittler: Was wollen Sie mehrf
Da sieht sie über vieles hinweg.
— Stoßseufzer. —- Leut
nnnt: «Sehen Sie mich diesen Mor
gen nicht an Ihrem Garten vorbei
galopptetens«
räuleine »Gewiß; hätten Sie’s
in allein so eilqu