Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 26, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    «-...».«»»W«--»-« 1
Aus Ringen »
werden-Ketten
sinnen von seiest koste-Its
(12. Fortsetzung)
»Verzeih' mir, Hedwig, daß ich sie
F genannt habe. Nur damals war
e das. was ich rücksichtslos aus
prach. Verzeih mir. Jch habe das
alles griindlich gebiiszt Schon bald
kam ein bitterer Tropfen in meinen
Freudendecher. Ein paarmal. wenn
ich zu ihr kommen wollte, sagte sie
— mir unter einem Borwand ab. Unter
den Theaterleuten lam das Gerede
von einem neuen Liebhaber der Ku
newla ans; ein älterer, sehr vermö
endet Herr sollte der Begünstigte
ein. Ein Rentier Deininger, den
man mir im Theater zeigte. Jedes
mal, wenn sie spielte, saß er in der
Proszeninmloge nnd von der Bllhne
slog mancher versprechende Blick zu
ihm hinüber-. Ich wurde sast rasend
vor Eifersucht, wenn ich solch einen
slick demertte. Unsere Beziehungen
tten während meiner herbstserien
onnen, seht war es am Weihnach
ten. Mein Iernsein in der Zwischen
seit hatte sie wohl veranlaßt, einen
anderen Freund zu s Jn einer
Institan die halb chon Geistes
tranlheit war, hatte ich Weihnachten
bei meinen Eltern verbracht. Ader
nur die beiden Feiertage —- der On
tel soederte mich zuriich sagte ich
ihnen. Dann gleich wieder nach
Nürnberg. Erst nach Hier-saht emp
sing sie mich wieder — da sah ich
einen Ring an ihrer hand, einen
neuen, den sie nie vorher getragen
hatte. Er war aus ineinander gewun
denen, goldenen Schlangen gebildet.
Jch forderte Rechenschas:, von wem
sie den Ring habe; sie lachte mich
aus, belog mich, wurde zuleht heftig
nnd wies mir die Tür. Nun sing ich
an, ihr auszulanern in jeder sreien
Minute, besonders nach dem Thea
ter, weil ich dann srei von Arbeit
war- Einrnal sah ich, wie sie mit die
sem Deren Deininger am Bühnen
ausgang in einen Wagen stieg, und
hörte, wie er demftutscher die Adresse
von einem eleganten Resiaurant
nannte, wo man in ungenierien Ka
dinetten miteinander sonpieren konn
te.«
Düringer schöpfte tief Atem. Es
war so still im Zimmer, daß man
das Rollen eines Wagens auf der
Straße und einzelne Menschenstim
men deutlich vernahm. Ein Frauen
iachen erltang dort unten, hell, hei
ter, grausam in seiner gegensählichen
Fröhlichkeit
»Ich wußte damals taum, was ich
tat. Arn Abend nach jenem, an dem
ich die beiden zusammen gesehen hat
te, war die Kunewia unbeschiiftigt
Jch überraschte meinen Freund mit
der Bitte, an diesem Abend wieder
meine Rolle in der Bibliothec zu spie
len. Das war sonst nur geschehen,
wenn die Kunewta zu tun hatte.
Mein Zweit war diesmal, zu beobach
ten, ob Deininger zu ihr ginge an
dem freien Abend. Er — mein soge
nannter Freund —- war für seine
drei Mart mit Vergnügen bereit,
mich wieder zu vertreten. Allzu oft
war es nicht geschehen, vielleicht sechs
mal im ganzen; ee war doch schließ
lich ein gewagtes Spiel. Jeht aber
war mir alles gleich; ich wollte dem
Rebenbuhler auflauern um jeden
Preis. Und ich hatte Gliick —- wenn
man dies gute Wort so mißbrauchen
will. Jch traf ihn ganz nahe bei der
Wohnung der Kunewtm auf einer
einsamen Stelle iiber dem Wallgras
ben. Als ich ihn tommen sah, trat
ich ihm in den Weg. Jch verbot ihm,
zu der Kunewta zu gehen, er lachte
mich aus« Dies Lachen machte mich
oollendi rasend. Jch packte ihn an
mit Gewalt, wollte verhindern, daß
er den Weg fortfehtr. Da geriet auch
er in Wut; er war nicht mehr fung,
aber kräftig. Wir kamen ins Ringe-;
meine wütende Leidenichaft machte
mich ihm iiberlegem Jch drängte ihn
vor mir her —- plöhlich sah ich, daß
hinter ihm die Tiefe war, der Ad
sturz in den Wallgrabem Er ahnte
wohl die Gefahr, faßte mich an der
Kehle und sing an, mich zu würgern
Da riß ich mit einer ungeheuren An
strengung seine hönde bon meinem
hats und gab ihm einen Stoß, daß
er hinteniibertaumeind hinab in die
Tiefe stürzte-«
(
·O mein Gott, mein Goii!'
»Dann-is ries ich auch zu Gott«
wie du es heute tust. Einsehen vor
mir selbst packte mich nn, Todesangst
vor den Menschen. Jch sah mich um«
oh niemand uns gesehen hatte —
nein« tein Mensch war in der Nähe.
Dann stiegichtm aus einein lime hin
unter in Ihr-ändern schlich mich
rote ein versolqtes ier su der Stelle,
too er inq. Jch hosste noch daß er
nrn Leben wäre; der aber, den ich
dort unten fand, tvnr ein toter
Mann. ch histte mich selbst unsrigen
und Leu e ur Diise herbe holen vi
len, aber i war zu seiqe dazu.
einsnmsien Wesen iies ich no
gnuse, direkt in den Arbeits-rennt der
ib,iiothet wo mein Vertreter saß.
In den Wänden waren ein paar
Spiexjeh er sah mich in dem einen,
und ch sah ihn darin. So sehr ich
mit anderen Dingen beschäftigt war,
)
so weiß ich doch noch genau, wie das
Grausen vor mir selbst immer stär
ker wurde, während ich mein eigenes
Bild so, tot und lebendig vervielfäl
-,tigt, gerade in jenem Augenblicke vor
’mie sah. Mein Stellvertreter besaß
eine kalte Ruhe, die mir auch bei ge
ringeren Anlassen fehlte. Sobald er
mich im Spiegel sah. rief ee, ohne
sich nur nach rnir umzuwenden
Bleib ruhig an der Tiir dort stehen.
Das wäre eine schöne Geschichte,
wenn dein Onkel dich hier in zwei
Auflagen auf einmal sähe· Was um
Teufel ist geschehen, daß du so szriih
wiederlornmst und ausstehst wie ein
Geist? Jch war troß meiner Ver
zweiflung und Angst klug genug, ihm
zu gehorchen nnd an der Tür stehen
zu bleiben. Von dort aus erzählte ich
ihm, was geschehen war, erleichterte
mir durch Selbstanklagen das herz.
»Ich habe gemordet, gemardeti« rief
ich ihm zu; denn ich empfand alt
Mord, was in Wirklichkeit ein in
sinnloser Leidenschaft begangener
Totschlag und halbe Notwehr gewe
sen war. Jch beschwor ihn, mir zur
Flucht zu verhelfen, rnir eine Verklei
dung zu schaffen, in der ich fliehen
könnte. «Warum·i« war alles, was
er in seiner kiihlen Art antwortete.
«Du haft ein Ulibi. Dein Onkel wird
beschwören. daß du das Hans nicht
verlassen hast. Und ich verrate dich
ni t. El wird sich schon ein-nat eine
Geogenheit finden. bei der du dich
revanchirren kannft.« Jch fing an zu
hoffen, dankte ihrn in iiberschwenglii
chen Worten. Und es ging wirklich
so, wie er ei vorhergesagt hatte. Zur
Untersuchung kam es, der Tote selbst
hatte durch die Aeußerung auf mich
hingewiesen, daß er meine Eifersucht
und mein leidenschaftliches Tempera
ment fürchtete. Zum Glück fiir mich
beschränkte sich das Gericht auf die
eine maßgebende Frage, ob ich an
dein Abend zu Hause gewesen sei oder
nicht. Mein Onkel beschwor, daß ich
die Wohnung nicht verlassen hätte,
daß ich den ganzen Abend iin Biblio
thekzimmer bei der Arbeit gewesen
wäre. Das entschied. Man kam zu
der Ueberzeugung, daß der Tote ver
unglückt wäre, und ich war gerettet.«
»Gerettet!« wiederholte Hedioig
leise, doch ohne Befreiungston, wie
ein mattes Echo. Jhr Gesicht hatte
die Todesangst gleich einein Spiegel
wiedergegeben, die bei den furchtba
ren Erinnerungen in seinen Zügen
wieder ausgelebt war.
l
Milde schlosz Düringer siir ein
paar Selunden die Augen, dann hob
er langsam den Kops und sah Hed
wig sest ins Gesicht. »Nun ist es her
aus. Du weißt nun, was du wissen
solltest. Was daraus kommen wird,
muß ich tragen — ich hab' es in all
den Jahren gelernt, manches zu tra
gen-«
»so tragen —- was'i«
»Er, der mir geholsen hatte, kannte
seinen Preis. Anfangs, als ich selbst
noch in beschränkten Verhältnissen
war, blieb er ziemlich bescheiden. Vor
Ostern aber starb mein Großvater,
wir wurden vermögender, und nun
ging er mich mit Bitten an, ihm die
Mittel zu geben« ein Schauspieler zu
werden. Jch tat es, toar sroh, mich
dankbar zeigen zu können. Darbte lie
ber selbst und ließ ihm zukommen,
was ich erilbrigen konnte. Das ging
eine Zeitlang so hin. Bis er einsah.
daß er es als Künstler dognie zum
höchsten bringen würde. as musz
ihn surchtbar getrossen haben. Seit
jener Zeit sing er an zu trinken, zu
spielen, verlor und schrieb mir Brie
se, baß ich ihm helsen sollte. Mit
schweren Opsern hab' ich es immer
wieder getan. Als ich ihn endlich ein
paarmal abwies, ging er von Bitten
zu Drohungen über. Die Kenntniss
von meiner Schuld gab ihm Gewalt
über mich. So hat sich's immer wei
ter hingeg en bis vor kurzer Zeit.«
»Ich wei es.«
»Du weißti«
»Ja —- burch einen Zusall. Jch
sand seine Briese unter einer Schub
lade in deinem Sekretiir.«
»Dort hatte ich ein paar von ihnen
versteckt, um im Rotsall eine Waise
gegen ihn zu haben. Wenn du sie
schon kennst, tann ich es mir ja spa
ren, sie dir zu zeigen.«
Sie antwortete nicht. Ein Schweiz
gen trat ein, so lastend schwer, daß
Dliringer es gleich einem aus ihn
gelegten Gewicht empsanb. Ein paar
mal seite hedwig vergeblich zum
Sprechen an; endlich brachte sie eine
Frage heraus.
»Du willst auch jetzt noch nicht mit l
anderen darüber sprecheni« (
Außer mit Riitner — nein. Jch
habe geschwiegen und werde schwei
gen. Denn ich weiß, wenn diese
Schuld bekannt wird —- mog sie ver
fährt sein oder nicht —- st meine
Stellung dahin, ich bin entehrt in
den Augen der Welt. Und wenn ich
selbst sür mich allein et tragen woll
te, um deinetwillen, urn Eilis wil
len dars es nicht geschehen.«
Er schien ans ein Wort von tät
zu warten, aber sie schwieg. So fu r
er spri
.Jch denle in dieser Sache hetite
wie vorher. Der Welt gegenüber
siihle ich teine Pflicht, mich anzukla
gen wegen jener alten. verjührten Ju
enbschuld. Aber wenn ich gegen alle
schwieg, i hätte bir gegenüber nicht
schweigen iirsen.'·
Er sah sie an und sah, daß ihre
Ausmerlsaniteit nur halb seinen
Worten gehörte, daß ihre Gedankens
bei anderen Dingen weilten, die sie
viel mächtiger fesselten. Sie tämpfte
mit aller Macht sie nicht laut wer
den zu loffenz sie preßte die Hände
fest ineinander und beugte sich nieder,
ganz tief, als wenn sie eine mächtige
Bewegung mit Gewalt unterdriicken
wollte.
Dann aber brach es do plählich
aus ihr hervor mit leiden chaftichen
Tränen und leidenschaftlicheren Wor
ten.
Alles um sie —- alleö um sie! So
lange, lange haft du sie gekannt, haft
sie geliebt, sie alleini«
»Hei-mig! hedwigt"
»Ja, ja, ja —- sie nur ist es ge
wesen, die du geliebt haft alle die
Jahre hindurch. Wenn du mir von
Liebe gesprochen hast« wenn ich in
deinen Armen gelegen habe —- du
hast immer nur an die eine geda t!
Sobald sie hierherlam, hat es dch
wieder zu ihr getrieben« —
«Das hat es. ich gestehe das ein.
Aber ei war ganz anders, als du
denkst. Meine Liebe zu ihr war auc
gelöscht mit meiner furchtbaren Tat.
Nur als ich hörte, lie wäre hier« da
hat ei mich doch int Gewalt getrie
ben, sie wiederzusehen. Aber nicht aus
Liebe. Mi trieb eine sonderbare,
geheimnisoo e Begierde, zu wissen,
ob dieses Weib, um dessentwillen ich
so Schreckliches getan hatte, denn
wirklich so gefährlich und derfiihres
rifch wäre. Und ich wollte vor allem
wissen, ob fie selbst einen Verdacht
gegen mich hegte wegen der Tat in
Nürnberg. Sie sprach nicht mehr da
von, das heißt, einmal nur, als ich
den Ring an ihrer hand erblickte, den
ihr Deintnger geschentt hatte. Weil
sie sah, daß der Anblick mir unange
nehm war, sagte sie mir, sie wollte
ihn nie mehr tragen, und zog ihn
vom Finger. Aber ein Verdacht gegen l
mich war nicht in ihr· Andere Ge
danten und Gefühle beschäftigten sie;
denn sie war jeht in mich verliebt
wie früher ich in sie. Nur fiir
Augenblicke noch übten ihr Wesen
und ihre Schönheit einen gewisseni
Reiz auf mich aus. Mein Herz wars
seit Jahren bei dir; darum bin ich
an jenem Abend auch nicht zur Ku-«
newta hinaufgegangen, die mich er-:
tvartetek i
Dittinger hätte nicht sagen können,
ob Hedwig seine Worte gehört und
verstanden hatte. Sie saß, das Ge-.
sicht in den händen verborgen, und
schluchzte stumm vor sich hin. Mitleid
und Reue slammten heiß in ihm ans.
Er trat leise nahe zu ihr heran.
»Höre mich, doch. Hedwig, liebe
Hedwig, weine nicht so. Nun ist ja
nichts Fremde-, Unausgesprocheneö
mehrzioischen uns. Kommst sieh mich
einmal an, beruhige dich doch. Man-«
be mir, daß ich dich unbeschreiblich»
lieb habe, hedwig, wenn ich es auchj
nicht mehr verdiene, von dir geliebt
zu werden.« i
Er beugte sich zu ihr nieder, legte
die hände an ihre Schläsen, wollte
sie liissen. Aber sobald sie seine Bei
rührung siihlte, suhr sie zurück,
sprang empor und ries: «J kann es
nicht« lann ed nicht —- oh, ies alles
ist ja surchtbar!«
Damit stürzte sie zur Tiir und aus
dem Zimmer hinaus.
i sei «
Es war schon halb neun Uhr mor
gens, aber Julius von Nittner lag
noch in seinem Bett im Hotel Con
tinental. Er hatte am Tag und
Abend vorher ansehnliche Dosen oon
Aspirin zu sich genommen, hatte vor
tresslich es lasen und seine Tätig
leit damt egonnen, daß er einen
Pittolo zur Apotheke jagte, um Em
ser Wasser siir ihn zu tausen. Als er
ein paar Gläser davon mit heißer
Milch getrunken hatte, war er noch
einmal siir ein Stündchen eingeschla
sen, fühlte sich nun merlwiirdig wohl
und war sehr guter Laune, weil der
drohende Katarrh im Abmarsch be
grissen schien.
Jn diesem angenehmen Gesiihl
stand Rittner aus, kleidete sich- eine
Melodie aus der »Bohdme« pseisend,
mit langsamer Behaglichleit an, gab
Austrag, sein Zimmer sosort in Ord
nung bringen zu lassen, und begab
sich dann hinunter in den Friihstiicks
saal, tvo er sich nach englischer Art
mit Beessteal, Tee und geröstetern
Brot siir den Tag stärltr.
Ali er wieder in sein frisch herge
richtetes Zimmer lam, war es bereits
siins Minuten vor zehn Uhr, und er
hatte sich taum eine Zigarre angeztins »
det, als ein Klopsen an der Tilr er-:
tönte, und Bruno gleich daraus ein-i
trat. !
Riltner lud ihn mit groszer Vers-i
lichteit zum Siken ein, tvars aber zu
gleich einen be orgten Blick aus sein
bleiches, umbiistertes Gesicht. »
»Nun, alter Junge, bnbt ihr gut;
gestieer
«Rein. Gar nicht«
»Ein nicht? Worumi«
»Ich hatte mich in der Hast ent
schlossen, meiner Frau von einer Sa
che Mitteilung zu machen, von der
ich biiber niemals mit ihr gesprochen
hatte. Mir war das Bewußtsein ge
kommen, daß ich damit ein Unrecht
begangen hatte. Meiner Frau gBens
über und ebenso bir. Anderen en
schen bin ich keine Rechenschaft schul
dig, werde sie auch keinem geben.
Aber euch beiden bin ich’s.«
»Diese Mitteilung hat euch bie
Freude gestöer
Ja Von Freude war und ist tleiJ
ne Rede mehr-«
»Sie wird wiederkommen «
»Ich fürchte: nein. Aber höre mich
an. Jch will dir sagen, wag ich ge-;
stern meiner Frau gesagt habe." i
Sie setzten sich einander gegenüber-z
ans ein paar Klubsesseh und Bruno
begann feine Beichte. Rittner hörte
still aus seinen Bericht, unterbrach
ihn mit keinem Worte; nur aus sei
nem lebhaften Gesichte spiegelten sich
die Eindrücke von des Freundes Er
zählung. Erst als Düringer zu Ende
war, sprach er selbst.
»Ich brauche dir wohl laum zu sa
gen, alter Junge, dasz diese Vergan
genheitstragädie an sich mir nicht sehr
tragisch erscheint. Jedenfalls höchst
verständlich. Um den Herrn Dein-In
ger wird es auch kaum schade gesor
sen sein. Wichtig ist nur, was daraus
siir dich entstanden ist und wie deine
Frau die Sache nimmt."
»Sie verschließt ihr Gefühl wieder
in sich selbst, wie sie es zu tun ge
wohnt ist. Ein leidenschaftlicher Aus
bruch gestern, heute stumme Ver
schlossenheit. Eins fällt mir aus« so
weit sie sich überhaupt geäußert hat.
Sie scheint unter der auf mir lie
genden Schuld weniger zu leiden als
darunter, daß ich die Kunewka schon
vor Jahren gekannt und in jener Zeit
auch wirtlich geliebt habe.'«
»Das ist ihr gutes Recht als Frau,
nach dem Gefühl zu urteilen. Und es
freut mich fiir dich, wenn sie sich nur
in ihrer Liebe getränkt fühlt. Solche
Wollen der Liebe ziehen vorüber.
Aber diese Sache müßt ihr miteinan
der abmachen; ihr werdet schon fertig
damit werden« Ernsthafter scheint
mir die Geschichte mit deinem Erprefs
ser Das ift ja ein netter Junge!
Frißt Geld wie Heu nicht wahrt
Sage mir vor allen Dingen, wie du
die Sache nun zu fingern denlsti«
»Ich denke zu tun, was ich bisher
getan habe: nicht«
»Nichts?«
Meine Frau hat vermeintliche
Schande genug durch mich gehattz
wirtliche Schande will ich ihr erspa
ren. Der Welt gegenüber bin ich
durch deine Hilfe setzt rehabilitiert
Ich dente mich versetzen zu lassen
und tann dann weiter leben wie bis
her, ohne sichtbaren Makel auf mei
nem Namen, wie sich auch sonst mein
Dasein gestaltet.«
»Du willst weiter schweigen, diesen
Lumpen weiter füttern mit deinem
guten Geldes«
»Wenn es nötig ist, ja.«
«8eig' ihm die Zähne, schaffe dir
ein- für allemal Ruhe vor ihm.«
»Er würde mich sofort beim Ge
richte denunzieren, wenn ich das ver
fuchte.«
»Gestatte, daß ich daran sehr leb
haft zweiflr. Dieser nachgemachte
Student in Nürnberg und dieser nach
gemachte Regierungsrat hier sind nach
der Logik der Dinge doch zweifellos
identisch. Dein Erpresser hat also
notwendig auch die arme Person, die
Kunewta, ermordet —- nicht wahr?«
«Meiner Ueberzeugung nach, ja.
Einen positiven Beweis aber haben
wir dafiir nicht.«
»8weifellos ist er's. Und ein
Mörder macht immer einen weiten
Bogen um das Gericht. Außerdem
sind Erpreffer an sich immer feige
Lumpen, ihrer Naturgeschichte nach.
Er wird tuschen wie ein Hund, so
bald er die Peitsche sieht. Niemals
mehr als jetzt war er in deiner Ge
walt.«
»Vielleicht, — vielleicht auch nicht.
Jch will es nicht auf eine Probe wa
gen. So lange Jahre hab’ ich ge
schwiegen, selbst gegen euch. Das
war ein Unrecht, und ich habe seht
versucht, es gutzumachen. Aber der
Welt gegenüber will ich bleiben, der
ich war-«
«glso weiter schweigen?"
,, a.«'
»Gut; jeder muß wissen, was ihm
zuträglich ift.«
»Ich hoffe, daß ich es weiß. Dich
aber muß ich bitten, die Polizei nicht
auf diese Spur zu hegenk
»Das will ich dir versprechen,«
antwortete Rittner mit besonderer Be
tonung und gab ihm die Hand.
»Ich dante dir. Es hat mir wohl
getan, mich auch dir gegenüber aus
zusprechen. Aber seht muß ich gehen.
Jch soll um halb zwölf Uhr beim
Regierunasvrösidenten fein.«
Hoffen wir, daß er dir ein kleines
Pslaster auf deine Wunden legt. So
ein »Ob«-" vor den Regierungsrat
oder dergleichen. Umsonst braucht
man doch nicht unschuldig ein paar
Wochen im Loche zu sitzen.«
»Das alles tiimmert mich wenig.
Wäre nur hedwig —- aber leb’ wohl.'·
»Leb’ wohl, altes haus. Und im
mer den Kopf hoch, wenn auch der
Wind einmal den hat herunterwebt.«
Mit einem schwachen Versuche zum
Lächeln ging Diiringer binauö. Ritt
ner begleitete ihn bis an die Tiir,
kam dann zurück, begann eine Me
lodie aus der »Bobdme« noch einmal
zu pfeier, brach aber mitten darin
ab und blieb mitten im Zimmer ste
hen, um einen kleinen Monolog zu
halten·
»Das bab« ich dir mit gutem Ge
wissen versprochen, mein guter Brunn,
daß ich die Polizei nicht auf diese
Föbrte behen will. Aber selber ein
wenig Polizei zu spielen, das haft du
mir nicht verboten, und ich hab' es
dir nicht versprochen So etwas wie
W
Sicherheitspolizei fiir einen guten
Freund. Wer sich nicht selber helfen
will, dein rniissen andere helfen-"
Sein Kinn mit einer Hand reibend,
überlegte Rittner eine kleine Weile
stumm; dann gab er seinen Gedanken
wieder Worte. »Das wäre doch ein
»Testimoniiim paupertatiS«, wenn ichv
den Lumpen auf die vorhandenen
Jndizien hin nicht herausbrachte.
Daß er Schanfpieler ift, wissen wir,
daß er Kollege der Toten war, ist
höchst wahrscheinlich. Damit ist schon
ein enges Netz gezogen, in dein wir
den Vogel fangen tonnen Und an
ßerdem haben wir die Briefe. Ja,
mein lieber Bruno, wenn die nicht
wären! Aber sie sind, ich habe sie
gelesen, habe die Abschristen dort in
der Schublade und ihre Handschrift
fest eingegraben in meinem Hirnkai
sten. Jch wäre doch ein Esel, wenn
ich mit ihrer Hilfe nicht ans Ziel
Hörne, nnd ein Esel wiire ich nur nn
»gern. Also los!«
s Er hiillte sich haftig in seinen Dop
pelpelz, ließ durch den Hotelportier
ein Anto herbeipfeifen iino gab dem
Chaiiffeiir Auftrag« ziiin Stadttheater
zu fahren. Ein wenig davon entfernt
tieg er aus nnd ging, um lein Auf
eheii zu erregen, zu Fuß nach dem
Bühneneiiigang, den er frei von Thea
terangehiirigen fand; es war offenbar
gerade Probe. Den Bühnenportier
gewann er sich durch ein reichliches
Trinkgeld rasch ziirn Freund nnd er
reichte durch ihn sein Ziel, ein Ver
zeichnis aller dort engagierten Künst
ler einzusehen. Er notierte sich alle
.
männlichen Personen, deren Bor- oder H
Zunanie rnit einem G begann. und
bemerkte zu seiner Genugtuung, daß
nnr drei von den Herren den ver
hängnisvollen Buchstaben in ihrem
Namen führten: Hans Gregori, Georg
Frank, Wilhelm Giesebrecht«
«Eiich wollen wir iins einmal nä
her besehen«, murmelte Nitiner und
nickte den drei Namen liebevoll zu
Sobald er wieder im Hotel ange
ioinmen war, ließ er sich iin Schreib
zininier nieder und verfaßte drei völ
lig gleichlaiitende Briefe an die drei
Schauspieler, in denen er anfragte,
ob sie die Güte haben mochten, fich
an einer Wohltiitigteitsveranftaltung
zu beteiligen. Er würde, wenn sie
zustimmtem persönlich bei ihnen ver
sprechen und biite sie, fiir diesen Ve
such eventuell gleich die Zeit anzuge
ben, zu der er das Vergniigen haben
würde, sie zu Hause anzutreffen.
Als er die drei Schriftstiicke dem
Ovtelbrieflasten überliefert hatte, ver
trieb er sich die Zeit, so gut es ging,
im wohlgeheizten Wintergarten seines
Hotels. Temperatur und Vegetation
befänftigten hier ein wenig die Sehn
sucht nach der veriassenen Oase. Am
Abend fuhr er ins Stadttheater, tveil
einer der drei Künstler, denen er ge
schrieben hatte, als Rhadanies in der
»Aida« auf dem Zettel stand. Aber
das ausdruckslose Gesicht eines dicken
Tenoristen, den er in diesem Herrn
Giefebrecht kennen lernte, war ihm zu
wenig interessant, um lange dort aus
zu halten.
Am andern Morgen — es war ein
Freitag —- erhielt Rittner einen ersten
Anttvortbrief, in dem Herr Gregori,
der Held und Liebhaber am Stadt
theater, wegen dienstlicher tleberan
strengung seine Mitwirkung bei der
Wohltätigkeitsvorstellung lebhaft be
dauernd ablehnte. Rittner oersenlte
den Brief sofort in den Papierlorb
Ein Blick hatte für ihn genügt, um
zu ertennen, daß diese Handschrift
nicht die entfernteste Aehnlichleit mit
der gesuchten zeigte. Nachmittags er
folgte die Antwort von herrn Gefe
brecht, gleichfalls rasch dem Papier
torb überanttvortet, abends die von
Georg Frank. Mit einem Tone freu
diger Ueberraschung begrüßte Rittner
schon die Adresse, und beim Lesen des
Briefes rief er: »Du bist es — wahr
hastig — du bist es!«
Ja, da lag sie vor ihm, die gesuchte
Handschrift. Ein wenig zittriger noch
in der Linienfiihrung als in dem letz
ten der Briefe, die Frau von Diirins
ger ihm gezeigt hatte, trotzdem aber
unverkennbar in jedem Buchstaben
Es war ihm gelungen, eine Brücke
zu schlagen in unbelaiintes Land hin
über!
Der Schauspieler antwortete höf
lich, dafz er sich gern an der Wohl
tätigkeitsveranstaltnng beteiligen onle
und Nittners Besuch um elf Uhr am
Sonntag vormittag erwarte, um Nä
heres mit ihm zu verabreden. Am
Sonnabend set er zu sehr durch Pro
ben site eine Novitiit in Anspruch ge
nommen.
Als Rittner den Brief ein paar
mal gelesen hatte, trat er vor den
Spiegel über der heizvokrichtung, die
wie ein Marmotiamin gestaltet war,
winkte seinem lächelnd aus dem alt
goldenen Rahmen hervorschauenden
Ebenbilde freundlich zu und sagte:
»Das haft du gut gemacht, mein lie
l7er Julius.«
Dann griss er auss neue zu dem
Briefe, ging mit ihm in der hand
ein paarmal ini Zimmer aus nnd ab,
während er die Zeilen wieder und
wieder las, und sprach dann ein paar
Worte zu seinem Verfasser. »Du
hist morgen durch Proben in An
spruch genommen, bist also nicht zu
hause. Da wollen wir deiner Woh
nung einmal einen- Besuch machen
Es ist besser, die höhle des Löwen
zunächst ohne den Löwen zu besich
« tigen.«
Als wenn Deutschland seinen Ruf
bei Rittner verbessern wollte, ließ es
die Sonne heiter von einem blauen,
loeißgefleclien Himmel scheinen, ais
dieser nächste Morgen hell nnd inilde
heraustam. Rinner verzichtete nach
sorgfältiger Prüfung des Themis
meters ans seine Pelzjaete und hüllte
sich fiir die Fahrt nach der Wohnung
Franks nur in ten einfachen Pelz
Das Hans-, in dem der Schau
spieler wohnte, lag an einer stillen
altmodischen Seitenstraße des War
les, wo noch ioohlseile Wohnungen
hinter behaglichen Fachwerisronten zu
finden waren. Ehrwiirdigsbehuglich
zeigte sich auch das Jnnere des Ge
bäudes, als Riituer die schmale,
tnarrende Treppe mit sauber ge
schenerten Stufen znrn ersten Stock
werk hinanstieg Hier gab es noch
keine geschlossenen Korridorez die
Zimmertiiren mündeten unmittelbar
auf einen langen« schmalen Vorsme
der von einem winzigen Fenster an
der Schmalseite her spärliches Licht
empfing. Rittner mußte die Augen
erst ein wenig an diese niatte Be
leuchtnn gewohnen, bevor er ans ei
ner Virtentarte an der mittelsten
rer Türen Franks Namen ertennen
konnte. Sein Klopfen an der
braungestrichenen Tür blieb erwarte
termaßen unbeantwortet, an der
Wand nahebei zeigte sich aber der
blanke Messinggrifs einer KlingeL
Ein weißes Porzellanfehitd neben ihr
verkündete, daß Frau Beeter mit ih
rer Hilfe zu erreichen sei.
Ritiner zog die Klingel, und auf
ihr merkwürdig helles-, vergnügtes
Läuten hin öffnete sich rie neben dem
Korridorfenfter gelegene letzte Tur.
Eine saubere, noch junge Frau in
hänslicher Arbeitstleirung mit einem
Kinde auf dem Arm erschien, uns nach
seinem Begehren zu fragen· Er zeigte
auf die Mitteilung, daß Herr Franc
nicht zu hause sei, lebhaftes Erstau
nen und Mißbehagen.
»Das ist ja mertwiirdig Er hat
mir geschrieben, daß ich ihn heute zu
Hause treffen lviirde.«
»Heute? Nein, das muß ein Irr
tnin sein. Er hat ja doch Probe.·«
»Hm er das ausdrücklich gesagt«i.
Könnten Sie sich nicht irren, Frau
Beckeri Was haben Sie slir ein rei
zendes Kind! Jst es ein Mädchen?«
Die Mutter-, deren von Anfang an
freundliches Gesicht sich noch mehr.
aushellte, bestätigte, daß es tatsächlich
ein Mädchen sei, daß es Anna heiße
wie sie selbst und eine Menge von
Tugenden besitze, die sie anszählte.
Rittner bewies die sreundlichste Teil
nahme, tätschelte das Kind, ließ es
mit seiner Taschenuhr spielen und
lachte ihm zu, so daß er im Laufe
von siins Minuten die Herzen der
großen und kleinen Anna Vetter im
Sturm gewonnen hatte.
Sobald er seinen Sieg sur gewiß
hielt, sing er wieder an, von Frank
zu sprechen. ,,Glauben Sie wirklich,
daß er heute Probe hat's Seinem
Brieie nach, meine ich, muß er jeden
Augenblick zurückkominen. Wenn ich
hier nur irgendwo aus ihn warten
könnte!«
»Ja, wenn der Herr zu mir here?n
kommen möchten«, sagte Frau Vetter
ein wenig zögernd.
»Nein, nein, Sie will ich nicht stö
ren. Sie sind gewiß bei häuslicher
Arbeit. Jch rieche so etwas wie
Seifengeruch von Wäsche oder derglei
chen —- da kommt man einer Haus
srau so ungelegen wie möglich. Nein,
wenn ich nicht etwa irn Zimmer von
Herrn Frank warten dars."
»Aber gewiß,« entgegnete Frau
Becker mit einem vertrauensvollen
Blick aus seinen eleganten Pelz. »Daß
ich daraus auch nicht gekommen hin.
Ausgeriiumt ist es schon und auch noch
» ganz gut warm, weil ich morgens im
- mer gleich Feuer mache. Nur einen
Augenblick, ich hole den Schliissel."
Sie verschwand in ihrem Zimmer,
nnd Rittner vernahm durch die ossenc
Tür ein paar Ermahnungen an Klein
Annchen, ganz artig ein wenig allein
zn bleiben. Dann erschien die Frau
wieder, ohne Kind, aber mit einein
Schlüssel in der Hand.
Sie össnete — Rittner trat ein in
das Zimmer des Mannes, von dem
er Schlimmes wußte und Schlimme
res vermutete· Troß des Pelzes lies
ein leichter Schauder über seinen Kör
per, obwohl der vor ihm ausgelane
Raum nichts llnheirnliches oder Ah
sonderliches an sieh hatte. Das Mor
genlicht kam sreundlich durch zwei
Fenster herein nnd beleuchtete die be
scheidene Einrichtung. Aus den Berus
der Bewohner wies außer ein paar
Schanspielerbildern an den Wänden
lediglich ein vergilbter Lorbeerkranz
hin.
Rittnee setzte sich auf einen mit bil
ligem Kuttun überzogenen Stuhl nnd
sagte: »So, hier will ich warten. Ge
nieren Sie sich meinetwegen gut nicht,
Frau Ver-tm Sie haben sicher viel
Arbeit.'«
Sein Versuch, sie irözuwerdem
scheitekte jedoch zunächst. Sie zögerte
und überlegte einen Augenblick, um
dann zu sagen: »Stat) der gnädige
Herr vielleicht ein Freund von dem
hetrn Franl?«
»Da ich ihn erst heute lennen lernen
soll, wäre das zu viel gesagt· Aber
wenn Sie mir etwas über ihn mitzu
teilen hätten — ich interessiere mich
fehk dnfiir.«
Gortiednng folgt).