Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 22, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-blau de
Skaats — Art-Zeiger und J set-old.
— G »Im Weh .oD wit-«gdeu22. ch
Zilic nggabr.
Rom-Ue um Karl Freiherrn v.
Berlepsch
W s
Ein fchqkfek Wind pfiff iuxk vie!
baumlose Ebene. Längsts war dies
Sonne untergegangen, und doch lag
ein sables Licht iiber allen Dingen
ausgebreitet, so als leuchteten sie
khodphoreezierend aus sich selbst he
raus«
Jrgendwo am Horizont eine elende
Hütte —- sonst wußte man wohl nichtJ
daß-hier lebende Wesen hausten. !
Endloih endlos gednte sich das öde
Land. , «
So mag eg schon 1812 ausgesehen
haben, als Ytapoleon seine Heeressäu-»
sen gen Moskau trieb —- eö tann sich!
hier nichts geändert haben seitdem. s
Das Bataillon marschierte den gan-;
zen Tag. ’
Kosaren sollten in den Ortschaften
westlich des Flusses gesehen sein, so
sagten siidische handier aus« die vor
den reitenden Räubern mehr Respelt
harten als die deutschen Soldaten.
»Wenn eo doch einmal zii einem
siosatenangriss täme'«, sagte der tleine
Leutnaiit, der den Maschineiigeioehr
zug sit-irre Die Kerle marschierten
iiiiisctsiiienmäßig, die tiiipse etwas ges
sentt, den Blut starr aus den Zorni
sier des Vorderinannes gesenkt, so, wie
sie tun, wenn sie mudeii werden, müde
zum Umfalleii.
Und das eSchlimmste war: die
Fkidtuchen war-a nicht mitgetomnien
die stateii irgendwo ties im Sande.
Zwei Pferde ieifieten es nicht mehr.
Die Kuchen mußten sich unterei
nander mit Vorspann aushelsen Jins
mer blieb eine oaiie Bespaiinung lie
gen, derwciien die andere mit Vieren
ein Siüct vorwarts geschleppt wurde.
Das ging nicht zsielsr so weiter aus
diesen wegeiii Pserde niuszten ges
schafft ireraen, ioie und wo: ganz
gleich!
Nur der starre-a mit der französi
schen Ausschrist —- er stammt aus
Lille —- troch hinter dein Bataillon
eiiilser, hochbeladxn mit dein Gepäet
derer, die der Arzt als schoniingsbes
durstig bezeichnet hatte.
Mochieii sie alle miide sein« einer
ioar immer oben.ius, war nicht totzii
kriegen: der Führe. der vierten Rom
Pagnie, ein Leutnani, ein sischer, blon
der. sideler Junge, einer von denen,
di. das deutsche Heer braucht ioie das
liebe Brot.
Immer hatte er noch einen Scherz,
iiber den die Leute lachten, an dem
s«e sich ausrichteteii, immer war seine
Kompagnie die exsie, die untergebracht
war,»wenn es ins Quartier ging.
Ihm und seinen Leuten fehlte nie et
was« wenn die andern klagten.
Dac- iniißte nun auch die ganze
Kompagnie: Er sorgt siir uns!
Er nannte seine Leute nur mit
)I.’-ornainen, die er sich ersand.
»Sieh mal, August«, sagte er zu
einein Tiefgebeugten, »wenn dich deine
Braut jetzt so sähe, wie du dahin-«
schleichst —- ein höuschen —- ein
hiiuschen Elend —, die schielte dir tei
nen einzigen siiisi ii.ebr, das sannste
glauben.« ·
lind dann reckte sich der Herr Leut-s
iiani aus seinem dicken Beutegaul unds
zeigte dem August Genannieii, wie er»
sen Haupt als Bräutigam zu tragen
dabe.
Und alle grinstecn l
»Weißte was, du Sttibstrompeteri
Hi mit der Mnndhnrmonita — ja,!
dir meine ich, Gustav! — spiel« uns
mal einen hin, damit wir besser mars
schieren tönnenl«
Und gehorlnnt qriss Gustav in die
Tasche, holte sein Instrument hervor
nnd begann zn bluten
,,Wenn wir marschieren
Juni Hnuichen Tor, ju Tor
hinaus,
Schwurztzrnunes Mädel
Du bleibst zu Wanst«
Hei, do ging duc- Marfchieren ans
einmal wieder!
Und warum nannte der Führer
der vierten Kompagnie immer feine
Leute bei selbstgewählten Vornanteni
Er hieß selber Duns, Leut-tout
Hans
Wenn nun einer zu sagen wagte:
»Ich heiße nicht August, herr Leut
nnnt,·« dann hatte er prompt die Ant
- work »Mensch, du flehst lo aug, du
tonnst gar nicht anders heißen toie
August! Wenn du nicht August heißt,
grill ich nicht mehr länger hans hei
en.«
Und dabei blieb’«i.
Das Fiedeln der Mundharmonita
toar fast in der gar-Pest Kompagnie zu
hören, denn die he der Marschtes
renden stopfte-I fat lautlos durch den
hohen Sand von Polen.
Selbst zu den-, der hinten auf dem
D en des Liller Mitbertronsportgei
ichs te laß und letne l nonlenden
Kreisen arm-leb- Ianlis ein paar
M MI, 1. —- u170 «
. l
,
zerzoustr Klänge angeflogen, und erI
summte leise vie Weist mit:
»Jo, in Frankreich,
Da floß der rote Wein,
Der mochte so feuenot
Wie mein Blut wohl sein.
Mein Schätzleim ob jemals
Jch wiederkeht’,
Das weiß nur der Herrgott
Und sonst niemand meht.«
»Mit dem Wein hat’s nun auch
ein End’,« seufzte der Fahter in sich
hinein.
Er war am Bein verwundet gewe
sen und saß seitdem als Nosselenier
aus dem Karten.
Neben dem Wagen her schritt einer,
der tat als wollte er schieben helfen.
Er hatte die band an die Stange
gelegt, die die Radachse mit dem Kut
scherboel verbindet Jn Wirklichkeit
ließ er sich mitziehen, denn es geht
viel leichter, wann man die Hand an
einen saht-enden Wagen legt.
Der das tat, war ein ganz
Schlauer, war Biiriner, der Bursche
des Leutnants hans
»Weißt du, Bürtner,« sagte der
Fahrer om Bock zu deni tief unter
ihm S reitenden, »weißt du, es war
ja ganz schön, daß wir aus der Fahrt
durch Deutschland so gut vers-siegt
wurden und daß die Leute alle Hur
ra riefen in den Dörsern und Städ
ten —- aber so an der Heimat vorbei
fahren, dichte vorbei und niemand
sehen dürfen von denen, die wir lieb
haben, das ist doch hart!« —
Es gab eine Pause. während der
Karten in allen Fugen ächzte, denn er
war durch ein großes Loch geschwantn
»Jiih,'« machte Eckerhos, der Jahren
und Büriner spuckte in die Hände,
steminte sie beide in die Achsen des
Vorderrades und half den todmüden
Gäuletn den Karten iiber die unebene
Stelle hinwegzudrinam
»Ja, hart mass scl)ou,« sagte
Bürtner. »Freilich, mein Leutnant
hat's doch sertig gebracht, seine Braut
zu sehen — der tann alles, was er
will, na ja, und wenn er mich nicht
hätte, wäre ihm doch nicht gegliickt.«
»Wie habt ihre- denn gemacht?"
fragte der vom Bock.
,Darf ich nicht sagen!'«
»Mir schon.«
»Wenn du mich Initsahren läßt«
»Dort ich nicht tun.«
»Dann darf istso dir auch nicht sa
gen-(
»wa, oa W ausr- «
.,Dn weisit doch. wie wir aus Lille
absnhren, wußte tein Mensch, wohin
es ging. Die Herren ans den Bahn
hösen zuckten die Achseln. Auch die
wollten nichts wissen, gar nichts-.
Also, entweder geht eg jetzt nach
ver Champagne, oder es geht in die
Argonnen, oder es geht nach Verdun,
oder vielmehr nach Lvthringen ———" es
tann auch nach Vtusziand gehn.
»Diese dumme Geheimnislriimerei
ist das schlimmste in diesem Kriege,«'
sagte mein LeutnanL »Wenn es näm
lich jetzt nach Rnßland geht, durch
Deutschland dann muß ich meine
Braut sehen. Theodor, mert’ dir das,
ich muß — sie — sehen!«
Zu Beschl, here Leutnant, sage ich.
Jn St. Amand meint so ein Alles
iviiser von Bahnsrihem »Die letzten
Transporte sind alle nach Bonziers
zu gegangen-«
«Also Argonnen," sagt mein Leut
nant und wird traurig, was er sonst
nie ist.
Jn Charville lommt er wieder zu
mir und ist Ianz vergnügt.
»Jetzt tann es gar nicht mehr nach
Vonziers gehen, wir sind aus deni
Gleis nach Sedan zu, jetzt geht’s an
der Maas entlang.«
Es wird dunkel, wir können nichts
mehr sehen. Ich srage hin und wieder
einen Bahnardeiter. Er weiß nichts,
natürlich!
»Büriner,« sagt mein Leutnant,
Jetzt tommen wir gleich nach Lon
guion, da gehen die Bahnen auseinan
der. Die eine ist eine eingleisige und
siihrt nach Mel-, die andere ist eine
zweigleisige, die geht nach Luxemburg
und die nächste Station heißt Lang
wy. Wenn e nach Luxemburg geht,
dann tveck mich, denn dann fahren
wir durch Deutschland nach Russland
und dann muß ich es wissen. Wenn
ed aber nach Meh geht, dann laß mich
schlafen, verstehste’i«
Also ich steh' am Fenster und guck
mir die Augen aus.
Es lommt eine Station.
Sie. Mann, ist das hier Langi
jong? srag’ ich so einen Dussel an
der Weiche.
»Das tann ich Se nun nich genau
sagen, ader ich gloobe, so heest das
Kass.«
Na also, nun 'ne eingleisige oder
'ne yweigletsige Bahni Nischt zu se
hen! Viel zu dunkel!
Also do werten wir schon, bis die
nächste Station tonnntt Das Tal
wird ganz eng. Es geht durch einen
Tunnel in paar ganz zerschossene
Besser nnd dann eine Stadt, wo auch
Stein aus dein andern h sein
»Hei-ti. VII Ist ja wohl ilhelm
Kronprinz getonnt, hier, die Geschich
te, denke ich.
Eis hellerleuchtetesSchild: L-o-n-g
W-V.
hat ihn schon!
Nun frage ich noch mal einen
Mann: »Sie wohin geht denn hier
die Reise?
»Grüßen Se schön Hindenbnrg!"
sagt er.
Jch ehe zu meinem Leutnant und
necke i n: Herr Leutnant, es geht
nach Rußland!
«Also, darum ist mir auch schon so
talt,« sagt er, springt auf, umarmt
mich und dreht mich dreimal im Ab
teil herum.
»Nun wird's gemacht, TheodotL
Du mußt bedenken, es lann das letz
temal gewesen sein, daß ich sie seh!
Kompogniesübreri No ja. Die Kom
pagniefiihrer, wo heil nnch Hause ge
langen nm Ende des Krieges. die
tommen ins Panoptitum nach Berlin,
hab« ich geholt. Nun sag nischt mehr,
ich weiß schon»
Morgens, als wir durch Trier sali
ren, fragt mein Leutnant den Bahn
hosstommnndantem ob er nach Haus
ielegrapbieren kunn.
,,Telegraphieren können Sie schon,
aber ob dns Telegrumm nntommt ist
’ne Odere Frage.«
»Also, hier wird man schlechter be
handelt als in Frankreich, ich geb
wieder zurück!«
»Bitte, einsteigen, es geht gleich wei
ter!«
»eiigen Sie mir bloß noch, ob es
iiber Hannover oder über Halle geht!«
»Es tut mir furchtbar leidz...!«
Da ging der Zug ab, und wir sa
ßen mit unseren Kenntnissen im Ab
teil zweiter Klasse, mein Leutnnnt
und ich.
Ee sagte: »Ich trcege es doch noch!
Erst müssen wir jetzt wissen, ob wir
durch Halle kommen und wann unge
sähe."
Mein Leutnant sitzt und schmiedet
einen Plan.
Aus dee nächsten großen Station,
wo gegessen wurde, geht es zur Li
nientommandantur.
»Ich möchte mich beschweren!«
»Bittet«
«Atso wir haben diese Nacht furcht
bar gefroren! Das ist ja schlimmer
als im Schützengrabent Kann man
denn diese Züge gar nicht heizenZ Jch
bringe meine Kompagnie ttant nach
Russland wenn das so weiter geht.
Die armen steile müssen sich ja er
lälten — ja, aus den Tod ertiilten!«’
»Gewiß, Herr Leutnant, wir möch
ten ja gern, aber Sie müssen beden
ten — diese Güterzugglotomotivem
die die Militärttansporte ziehen, ha
ben teine Heizooerichtung. Und dann
ist der Zug falsch rangiert — da ste
cken belgische Wagen mitten dazwi
schen, die man nicht heizen kann, und
Gütertoagen. Das Rangieren hält zu
lange auf, wir müssen....«
»Kann ich vielleicht den Herrn Li
nientonimandanten persönlich spre
chen?« fragte mein Leutnant —- er
»Also, der Herr Linientomman
dant kann Jhnen doch auch nicht...
na lommen Sie mal mit... wo ist
denn gleich der... ja so!« —
Nun liest er in einer langen Liste,
und mein Leutnant schaut zu — er
hat vertviinscht gute Augen: Frank
suet—-s.hanan —- Bebra — Gesun
Haltet
»Ja, vor Haue geyr e uoer wenn
und das ist mitten in der Nacht —
tvenn Sie von da ab geheizt haben
wollen?« »Es-Mitten in der Nacht —- ja,
wann dennt Wir müssen uns doch
etwas einrichten, wenn wir da alle
aussteigen sollen.«
»Ja, ein Uhr kanns wohl werden
— — Alle Wetter! dac- darf ich Ih
nen eigentlich gar nicht sagen, Herr
Leutn...«
Der war schon r’aus.
»Menschl« schrie er mich an, »ein
Strick Papier herl«
Diensttelegramm.
Leutnant Jahn, Halle, Bezirks
tommando.
Brauche dringend sehr warme Lie
besgabr. Ein Uhr nachts Bahnljos
halle abgeben.
Hans,
Leutnant und Kompagniesiihrer.
»Ok) er das wohl merkt, der gute
Jahnlt —- So, nun aber ganz rasch
zur Bahnpost!«
bJawohll Psiiiit, da geht der Zug
a .
Wir können gerade noch aus«-rin
g.n. Der Leutnant und ich sind auf
diese Weise um die ganze Bei-pfle
ung herumgetommen. Na, wenn nur
as herz warm isit
Also in Riidejheim will ich wieder
kaut und das Telegramrn besorgen
«Bitte, nicht aussteigen! Es geht
gleich weiter!«
Mein Leutnant winkt einen dicken,
gerntttlichen Portier heran.
st die Post in der MilIeW
,, wohlt«
»Formen Sie das Telegramm so-«
sort besorgen?« i
WJawohl Herr Leuinant.«
»Es ist sehr dringend, tann ich
mich aus Sie verlassen?«
»Ganz bestimmt, Herr Leutnani,
tvird sofort gemachi.«
Mein Leutnant zog den Portmo
nee und gab dem Mann drei Mari
Der schmunzelie und grüßte siramm.
Dann mußte ich ne Flasche Seit
holen, die toir in Koblenz getauft hat
ten und die andern Herren daraus
einluden. Wie der Bataillonstommam
denr merkte, daß wir Seit hatten,
innrde er ganz neidisch und schnauzte
seinen Adjutanien an, warum sie sos
etwas nie hätten.
· Ader als es dann wieder dunkel
urde und das Hurrarnsen und Tii »
erschwenien aufhörte, wurde meins
Leatnant wieder unruhig: »Od mich!
der Jahn auch lvoht verstanden hat««.’- "
fragte er mich ein liders andermal ;
I Wenn der Herr so schlau ist loie
der Herr Lentnant —- sch on! sag ich
»Weißt du, Thedbot, dumm ist er’
ja nicht, aber —- viellcicht läuft er
jetzt in der ganzen Stadt bernm bei
allen möglichen Kommerzienräten nnd
sammelt Geld für Wintersachen. tanst
r . sur die gaan Kompagnie, die rüh
rende Seele, —- oder er ist vielleicht
gar nicht da, nnd mein Lelegranim
erreicht ihn nicht..·«
Also ich hatte meine liebe Not mit
meinem Lentnant. «
Aber an seine Kompagnie hat er
dabei doch immer gedacht. Sowie der
Zug hielt, ging er die Wagen ab, sah
in jede Tür hinein und machte Witze
Von zwols Uhr ab snh er immer
zn aus dem Fenster heraus-. ;
»Theodor,« fragte er, »daß du ’ne
Braut?«
Noch reine richtige, sage im.
»Weißt du, wag das heißt, wenn
s-i ein kleines Herz flattert wie ein
Vogel und einein sein'-J tr-iiiipelt wie
ein Psetdehiis?"
Jiiwvhl, sage ich.
»Ich meine, ich müßte es nun ganz
genau wissen, ob sie da ist oder nicht
—- Gedanteniibertragiing. Ader davon
herstehst du nichts...«
is Und nun kommt Haltet Mensch, ich
zittre mit meinem Leutnant, als wenn
es meine Braut wäre, es wird mir
heisz und kalt, wie ich init ihm zum
Fenster raiighaiige nnd die ersten Lich
ter erscheinen.
Der Zug fährt gaiiz langsatii iii
den Bahnhof.
Da schreit mein Leutiiant schon:
»Na schlag einer laiig hin, da steht,
wahrhaftig der Jahn mit Liebes-ga:
ben, und meine Braut ahnt nischt .
Mir wurde es wieder kalt.
Aus dem fahrendeii Zuge springt
er heraus und stürzt auf einen blas
sen, iibernächtigten Ossizier, der da
steht als wäre ihm alles egal, mein
Leutnant, seine Braut und überhaupt
die ganze Welt.
Neben ihni steht anscheinend ein
Oasen Sachen, mit einer großen Decke
zugedeckt
Also mein Leutiiant briillt ihn ari:
»Wi) hast du sie?«
»Junge, sag’ erst mal guten Tag,
die Liebesgabeii sind doch wirklich
nicht so tvichtig!" meint der andere.
Nun wird’s mir aber doch zu toll
Jch lause aus die zugedeckten Sachen
los und reiße die Decke runter.
Mensch« was meinste, springt mir
da an den Hals? Ein Mädel, na. so
was haste noch nicht gesehn!
Na, und das Gesicht, wie sie iiiertt,«
weni sie an den Hals gesprungen ist!
·Dci ist auch schon mein Leutnant
zwischen uns getreten: »Theodor,«
sagt er, »wenn du iiiir jetzt etwa meine
Braut abspenstig machen willst, das
wäre doch gelacht!«
Und indem nimmt er die Decke,
deckt sie wieder iiber das Mädel nnd
will es gerade sortsuhren, damit es
niemand sieht, da kommt die Olle aus
dem Bahnhos heranggestiirzt, und es
gibt ein geriihrteg Wiederseheni
»Theodor« slusterte mir mein Leut
nant zu. »Theodur«, tu mir den ein
zigen Gefallen und unterhalte meine
Schwiegermutter ein ivenig.«
Dann ist er mit seiner Liebesgabe
sori, und ich stehe mit der meinigen
aus dem Bahnsteig Glücklicherweise
war ja nun der Lentnant Jahn noch
da, der kam dann lachenssd heran,
und wir drei unterhielten uns über
den Krieg. Dann sagte ich: Die Herr-—
schasten verzeihen gütigst, aber mein
Magen tnurrt sehr, von wegen ich in
jeder Staiion, wo Das zu essen gab,
nach dem Fräulein Braut laufen
mußte, und ich glaube, hier gibt es
was für die Mannschasten.
Na und da bin ich den Herrschaften
sortgelausen und hab' gesuttert — so
viel glaube ich, hab’ ich noch nie in
meinem Leben gegessen, denn ich wollte
doch auch was haben! Und siir meinen
Leutnant habe ich mir auch die ganzen
Taschen vollgesteckt, denn von der Lie
be allein kann der Mensch nicht leben.
Als der Zug gerade abfuhren woll
t.«; ist er noch hereingesprungen Eine
Stunde hat das Vergnügen gedauert,
und die Kompagnie hat während der
Zeit keinen ührer gehabt, den das ist
. einzige tnnge gewesen, wo mein
Herr Leutnant sich nicht um feine
Kompagnie getiimmert hat.
Aber es hat mich doch gefreut...!
,,Tbeodor, Theodorl Mensch- wo
stertst dü eigentlich? Komm her nnd
halt mein Roß! Schan’ her, dieser
Palast wird mich diese Nacht beher
bergen! Denk mir die Tafel, bereite
mir mein Lager und halte ihm Sor
gen nnd Läu e fern, denn ich denke
einen langen chlaf zu tun!«
Biirtner sprang vom Bock, nahm
den Gaul und schaute it unfäglich ver
ächtliche-I Blicken den Haufen Ballen
und Stroh an, den sein Herr soeben
Palast genannt hattet
Kein Fenster heil, die Tür fehlte
gänzlich. Der Wind pfiff durch die
öde Stätte.
Und dieser Anblick fiir einen, der
eben noch in die Fleischtöpfe Don Hal
le gedacht butte.
Während fein Leutnant di. Kom
pagnit unterbrachte nnd jedes einzel
nen Lager bestimmte schaffte der
Bursche ans nichts- hcraus einen men
fchenwiirdigen Vinfentlmltszsort Endlich
kam Lentnnnt Hang. Er pfiff ein
Liedlein vor sich hin.
»He-Ho, ein Festsna wird morgen!
Wir greifen an! Der Feind steht dicht
vor un« Kosaten sind auch anhei, die
sollen unr- lennen lernen! llno dann
noch eine Frettdeitinichricln, Theodor
---- die Feldliichen find da!«
—.——
Friedrich-Wilhelm
Etifzis von Anna tletcrtre
Friiher waren sie vFreunde gewe
sen. Ihre Freundschaft war bekannt
in der ganzen Stadt Sie war dass
Vorbild fur die Schüler und Se
cninariften tsie stainime noch ani« ih
rer Schutzeit), ne wurde von Miit
teru und Ehefrauen den jeweils
männlichen Angehdrigen vorgehalten,
die die Freundschaft-n mit dem
Monde wechselten.
Sie gehbrte einfach zuni Stadt
bilde, wie daI Kriegerdentmxxl zu
den Bahnhofisantagen und der gol
dene Bär zu der thothetentiir·
Daß der Rat Liebig und der Rat
Schiller pnntt halb ein Uhr aus der
Weinstube von Bötetinann traten.
zujannnen die Oberjtrafze hinauf
gingen, am Lchwanenteietx vor der
Wettersäule voneinander Abschied
nahmen, stand so feil wie der Rat
hauöturiw
Sie waren beide Stadträte, beide
wohlhabend, beide von jener joviaten
Munterteit, die eine gesicherte Exi
stenz hervorzubringen pflegt Sie
hatten jeder eine hübsche-, tiichtige
Hausfrau, jeder einen Sohn.
Natürlich waren die Frauen
Freundinnen und die Jungen Freun
de. Es war beinahe Ehrensache, die
bestgepftegte Freundschaft der Stadt
zu besitzen.
Der Sohn vorn Rat Liebig hieß
Friedrich« er war im Juni geboren.
Als bei Schiller-I einer im Juli ein
traf, wurde er Wilhelm genannt
Friedrich —- Wilhe!m. —- Ees war
von jenem Sommer an eine einzige
Person. —- —
Nie wäre ein Ris; in die Freund
schaft gekommen, nie ioare jener Riß
zum Bruch geworden, wenn nicht der
Buchbinder Giebel gewesen wäre.
Bei Giebel fand Liebia eines Ta:
ges ein stischgebundeneg Buch sijr
Schiller und nahm es für den
Freund niit in die Bbleltnannsche
Weinstube.
Aber da nocti etwas Zeit übrig
war n. eine köstliche Maisonne blintte
und lachte, setzte er sich ans eine
Banl nnd beanan in dein Buche zu
lesen.
Es war ein naturivisienschastlichexs
Wert mit einer sehr sreigeistigen
Vorrede.
Liebig war zuerst erstaunt, dann
empört. Sein Freund Schiller ein
FreigeistI Das Weltbild begann zu
schwanken. Zwanzig Jahre tannte
er den Freund; nie, nie hatte er eine
Spur von Freidenkertuni in ilnn
bemerkt.
Und nun dieses Buch· —
Nun ja, es lag in der Zeit. Man
las jetzt solche Bächen man distri
tierte, lobte, verwatf sie. Aber dasz
Schiller ihm nichts davon gesagt
hatte, daß er einen Gedankenkreis
hatte, der ihm, seinem Freunde, ver
borgen blieb, das war es.
Er steckte das Buch ein und ging
in die Weinstube· Schiller war
schon da. Er gab ihm das Buch
nnd beobachtete das Gesicht des
Freundes. Es schien, als forschte
der tn seinen Zügen.
l »Es ist etwas Wissenschastliches,«
lsagte et rasch und steckte es unbeseben
in die Rocktoschr.
-
s
Liebig wartete, daß der Freund
von dem Buche sprach. Aber der
tat es nicht. — Endlich fragte Lie
big eines Tages im Juni: »Was
war das eigentlich neulich für ein
Buch, das ich dir mitbrachte?«
»Ach — nichts Besonderes. Et
was MedizinifchesX
. »So —- hm« —- —
Das war der Riß Es folgte
der Bruch bei einer endlichen Aus
einanderfetzung.
»Ich vertrage keine Freundschaft
ohne Aufrichtigkeit,« hatte Liebig
heftig gesagt.
Dann hatte Liebig einen Unfall.
Er war auf einer Obftfchale ausge
glitten und lag einige Wochen mit
gebrochenern Fuß. Als er zum er
sten Male wieder zu Bölelmann lam,
hörte er, daß Schiller jeizt in den
Kronprinzen ginge
Die Jungen kamen heimlich zu
fammen Sie begriffen die Väter
nicht. Sie waren zu jung, zu cla
stifch. Sie zantten sich gern und
vertrugen sich noch lieber. Sie teil
ten Tafchengeld, Schwärmereien,
Strafen und Auszeichnungen mit
einander-, wie ehedem.
Die Frauen gingen mit leichtem
Rot auf den Wangen schnell anein
ander vorbei.
Wenn Liebigt jetzt in den Stadt
wald ging, wußte jeder in der
Stadt, daß ,Schiller an diesem
Tage zum Flusse hinaus-spazierte
Ging Liebig zum Flusse, so war
Schiller sicher im Walde zu treffen.
Es war, als hhnten ihre oerseindeten
Seelen, wo der einstige Freund zu
suchen sei, und gingen in die ent
gegengesetzte Richtung
Wochenlang war der Bruch der
berühmten Familiensreundschast Ge
sprächsstoss der Stadt. Die Unver
träglichen triumphierten, die Fried
sertigen bedauerten —- Dann kam
Einquartietung, und es gab unend
lich viel Wichtigeres durchzuhecheln.
llnd wieder nach Jahr und Tag,
als beide Räie zn den erstarrten Li
nien jovialer Heiterkeit längst die Li
nie der Enttäuschung aufgenommen
hatten, —- tam der Krieg.
Friedrich-Wilhelm saß in Prima.
Beide jung, brausend, blond und
schön. Beide begeistert, hinausstiir
wend. —
Und wie sicli beide draußen hiel
ten.
Wie ost war Frau Rat Schiller
auf dem Sprunge zu Liebigs. —
»Dent’ doch, mein Wilhelm ——-« und
kehrte auf der Treppe um und stand
Lange bot dem Arbeitszitnmer ihres
Maan — ohne hineinzugehen
Wie ost hielt Frau that Liebig
ihren Schritt in der Nähe des Schil
lcrschen Hauses an nnd dachte, »ich
muß es ihr doch sagen, daß Fried
rich —- ——« und trat zur nahen Wet
tersäule, tat, als ob sie das Baro
meter prüste nnd konnte die Tränen
nicht zurückhalten ,
Die beiden Rate gingen mit stei
fen Nacken. der eine in den Wald,
der andere zum Fluß, der eine zu
Bötelmnnn, der andere in den Kron
prinzen
Friedrich-Wilhelm kam aus Ur
laub, beide mit dem Eisernen Kreuz,
beide im Stadtblatt erwähnt.
Sie stürmten auf die Väter ein.
,,Vertragt Euch doch, jetzt im Kriege.
Es war doch eine BagatellZ«
»Bagatelle"? — Dac- versteht Ihr
nicht«
Die Väter, blieben hart. Wer sollte
auch anfangen?
Die Jungen gingen Vlrin in Arm
um den Miirttpliry.
Die Väter sagten: »Wir haben
euch gesehen Jhr tut uns nnrecht.«
Die Söhne schüttelten die Köpfe
Alg sie abfuhren, ivintten sie ans
dein Wagensenster. Es war ein ein
ziges weißes Tuch, da-« noch lanae
flatterte· Liebig und Schiller gin
gen anis verschiedenen Ulnsaänaen
vom Bahnsteig.
»Wir werden sie schon noch trie
aen,« sagte Friedrich
»Wir niiissen,« sagte Wilhelm. -——
Und die Zeit ging, die Wochen
hänsten sich. Die Menschen wur
den ernster nnd stiller-.
Eines Tages kam der Rat Schil
ler von der Post aus in die Bahn
hofssirasze, nnd der Rat Liebia kam
vom Markte her
Vor der Druckerei des ctadtblat
teg trafen sie sich
Sie stiegen die breite Treppe em
por. —
Vor der Tür sahen sie sich anf
Sie hatten beide alte, zerstijrte Ge
sichter, —- saben sich lange an.
Dann streckte Schiller die Hund
aus, er wars sie dem niederen bei
nahe in die ausgestreckte Rechte.
»Mein Wilhelm ist gesallen —- —
ich wollte gerade in die Zeitung-«
Liebig ließ die Hand nicht los. —
,,Friedrich ist gefallen, —- — ich
wollte auch — gerade ———.«
Und Seite an Seite traten sie
durch die Tür.