Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 25, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-blickt du
Staats Anzeinger und Wer-old
for-m vJWIdeD Wiss-Jan 1917«
Ecutczeit
Von M. W.
Der Rittergutisbesitzer Oldenslett
ging an diesem leen Feierabend mit
seiner sanften, grauhaarigen Gattin
durch den Segen der reisenden Korn
telder. Aus dem schmalen Stückchen
sestgettetenen Richtweges, das zwischen
dem noch griinlichgelben Hafer lag,
schritt er ihr voran-Z. Und sein Herz
wurde weit nnd fröhlich im Anblick
dieses Reichtums. Er blieb stehen nndl
wandte sich zu der-, welche ihm gedul-j
dig nnd schweigsam auch aus diesem;
Wege folgte. ’
Die gebraunte Rechte hob den Kno
tenstock und wies mit ihm gradeauö
«Siehst du, das war der tälteste und
schlechteste Acker, als ich vor dreißig
Jahren Rammdors übernahm,« sag
te er dabei. ,,Erinnerst du dich noch?
. . der Dorfseiler wollte nicht mal
einen Taler Pacht fiir den Morgen
geben· Und wie steht jetzt der Roggen
aus ihm’t... Wäre es nach dir ge
gangen, hätte ich nicht bis zu Ende
ausgehauen Aber · . . siehst du« Frau,
einmal muß die Ernte kommen, und
ich möchte meinen, dasz sie um so herr
lichee wird, je länger man darum
kämpfen musz."
Frau Oldenslett seufzte ties und
schmerzlich anf.
»Wir wissen doch aber beide. Wil
helm, daß in unserm Leben einmal
die Ernte dennoch ansgeblieben ist.«
Jn dalt strenge Gesicht des Guts
herrn meißelte die Erinnerung ein
paar harte Falten.
»Du denkst an unsern Sohn, An
na t« Die Frau nickte müde.
»Tag und Nacht denle ich an ihn!
Und zergriibele mir die Sinne, wie
das alles nur möglich gewesen ist«
Er zuckte die Achseln.
»Seht einfachl -- —- Wir haben
ihn als einziges tiind allzusehr ver
wöhnt.«
»llein, Wilhet em, das war es nicht-«
«ulun, fo erkläre es mir anders.«
:Er hatte niemals Luft zum Land
wirt, Wilhelm. -- —- Sein Sinnen
und Wünschen ging danach, Offizier
zu werden. Hättest du ihm dies nur
erlaubt . . .·'
«Unsinn! — — —- Jch wollte mich
aber nicht umsonst hier abgemiiht ha
ben. —- —— Mein Sohn sollte ernten,
was ich erarbeitete. —— —- Und bei
feinem Leichtsinn wäre es bei jenem
Beruf vielleicht .och härter geworden.«
»Denle doch daran, welch ein vor
züglicher Soldat er gewesen ist.'«
»Das freilich stimmt! So ein Jahr
lein aber besagt - ch nichts-. Sobald
er dann aus der soldatischen Zucht
heraustarm beging er doch Torheit
über Torheit. —- — hast wohl ganz
vergessen, daß ich einmal 2000 Mart
— das andere Mal das Dreif-1che für
Spielfchulden, non ihm —- dem da
mals taum Zwanzigjährigen — ge
macht, bezahlen mußte.«
»Nichts habe ich vergessen! —- —
Er hat ja auch reichlich dasiir büßen
müssen. Es ist ihm bitter schwer ge
worden, daß er das dritte Mal so
weit von der heimat weg mußte.««
»Ganz recht. Dies war auch damit
bezweckt. —- — Hätte ich mit dem
Mittel witllich einen Mißgriff getan,
mm —- — —- der ist reichlich gebiißt.
— —- Freilich habe i nicht erlaubt,
daß er mir eine Zelle chreiben durfte
—- — habe es auch durchgeseßt, daß
du fest bliebst«. aber... als nun
der Kri ausbrach, da habe ich doch
mehr un härter daran getragen, daß
ich keinen Sohn dern Vaterlande stel
len durfte, als du es auch nur ahnsl.
— — Denn er ist wohl von seiner
Form nicht mehr zurückgelommen —
— Sonst hätte es sein müssen, daß
seht eine Zeile zu uns von ihm gekom
men wäre.«
'«Du iveißt doch, Vater, daß er ne
ben allem Leichtsinn einen harten
Kopf besaß...«
«Soll das beißen, daß du immer
noch hofsst, er stände vielleicht doch
draußen und mache den Versuch, sich
zu rebabilitiereni« Jbre Augen schlos
sen sich leicht, ais schaute sie plötzlich
in ein Meer voll iohender Sonne.
»Ich hat« gehofft, Wilhelm, aber
seht freilich hasse ich es nicht mehr.
Es währt zu ange. Nur das eine
weiß ich, wenn er auch nicht mehr
herübertomnien durste — —- wenn er
überhaupt noch unter den Lebenden
weilt. dann leidet er unsägciche Qua
len. und keine Strafe sitt seinen ju
gendlichen Jehiiritt ist härter und
grausamer ais diese. —- — -—«
»Nun sind wir ia wieder bei dem
alten, traurigen Gesprächiigegenstand
angelangt.«
Sie nickte.
— :- —
,.Es drückt uns ja doch beide bei-«
nahe zu- Boden, Wilhelm. Weshalb
sollen wir alfo nicht darüber sprechen.
Ich möchte dir auch heute sagen, daß
ich mich als Schuldige bekenne, wenn1
Fehler bei feiner Erziehung gemacht
sind. — — Lange habe ich es nichts
vor mir zugeben wollen. Aber jetzt»
sehe ich in allem viel klarer. Ich be
schönigte zuweilen kleine Schwächen
bei ihm vor dir. Das hätte ich nicht
tun dürfen...«
Auf der hohen, gebräunten Stirn
des Mannes begann langsam heller
Schweiß zu perlen. Es rührte ihn
unfagbar, daß die stille, sgeduldige
Frau sich nun auch noch vor ihm —
— freiwillig —- -— als Mutter de
mütigte. Und alles, was noch hart
und bitter gegen den Einzigen hatte
sein und bleiben wollen, wurde an
diesem ftillen Abend weich und zart.
Er ergriff die Hand der treuen Le
bensgesährtin nnd drückte sie fest in
der feinen. s
»Wir wollen jetzt nicht miteinander-T
rechten, Anna,« meinte er dann ftillx
—- —— »Wir tragen zu gleichen Teilen
die Schuld, daß alles so getommens
ist. —- -— Jch nicht minder als du«
Was du zu weich und nachgiebig
warst, bin ich zu hart gewesen. Da-»
durch, daß ich ihm unschuldige tleinei
Lebensfreuden unterband, nahm ich’
ihm das Vertrauen nnd erzog ihn!
zur Unaufrichtigieit. Das mußte sich
dann später rächen...« s
reise Roggen der Sichel entgegen. Die
Hände der beiden alten Leute trenn
ten sich wieder. Aber zwei Seelen gin
gen gemeinsam aus dem großen sansi
ten Weg der Elternliebe dahin.
Dunkel und sternlos war die heiße
Sommernacht. Jcn Westen baute sich
eine schwarze« hohe Mauer vor dem
silbergrauen Wollenrand empor
Jn dem kühlen, geräumigen Schlaf
ziinmer der Oldenfletts brannte das
kleine, sparsame Oellämpchen, obwohl
es schon nach Mitternacht war. Sie
tonnten beide keinen Schlaf finden
k- Frau Oldenslett hatte ein vergilb
tes Buch in den Händen und zeigte
es dem Gatten. Es barg die ersten
schüchternen Auszeichnungen in Form
eines Tagebuches, von ihrem Einsi
gen niedergeschrieben Und sie saßen
—- -— die grauen Köpfe dicht zusam
mengelehnt —- und lasen Wort siir
Wort der kindlichen Aufzeichnungen,
die der Vater von seinem Sohn, da
mit er beizeiten Ordnung und Pünkt
lichkeit erlerne, streng verlangt hattH
»Das ist die einzige Aehre aus mei-J
nein kleinen Garten, hieß es... Undj
darunter war — breit und voll bist
zur Spitze ——— eine gelbe, verblichenH
Aehre ausgetlebt.
Und die Frau neigte den Kopf ties
aus die Brust und weinte still vor sich
hin. »Diese Aehre habe ich mir un
zählige Male angesehen. Wilhelm,«
sagte sie ndlich, »und immer wieder,
wenn ich das Buch zuschlug, gemeint.
der Vater im Himmel miisse auch
dem Erwachsenen noch eine Aehre in
seinen Lebensgarten stellen!... Es
war aber doch wohl irrig. . .«
Der Rittergutsbesißer aber dach
te daran, daß der Sohn ja nicht
heimkehren konnte, weil er ihm ja ge
sagt, daß er die Hunde aus ihn heßte,
wenn er erscheine, ehe er sich rehabili
tiert habe. Dies tonnte er der Gat
tin, die immer noch leise schluchzte,
doch aber nicht sagen.
Gegen 1 Uhr schlug Nimrod, der
Neusundliinder, plößlich zornig an.
Gleich darauf riittelte eine seste Hand
an dem verschlossenen Tor, das unter
den Fenstern dieses Schlaszimmers
lag. Es war der Brieftriiger aus dem
Dars, der dort stand und Einlaß be
gehrte.
»Ein Telegramm,« ries er, als
berr Oldenflett den Kopf hinaus
streekte und nach seinem Begehr
staate.
Leise und schwekmmig muschke «
Ein Telegramm . ..
Nun, ja, dirs war aus einem so
großen Gute och weiter nicht Selt
samest —- — Antworten wurden im
mer erwartet. Jetzt zum Beispiel hat
te Herr Oldenslett gerade bei der
Landwirtschaft-stammt um gute Ar
beiterinnen angesragt . . . Und dennoch
zitterten sie beide, ehe sie es geöffnet
hatten.
Und dann war es geschehen. Die
scharfen Augen des Gutsherrn starr
ten darauf nieder. Dann stieß er einen
sonderbaren Laut aus und setzte sich
Das Blatt flatterte zu Boden,
denn seine Hände deckten die Augen«
weil er sich der Tränen schämte.»
Die schmalen, zitternden Frauen
hiinde aber griffen es aus, und nun
las es auch die Mutter. — »Für her
vorragende Leistungen ward Jhrem
Sohn sowohl das Eiserne Kreuz 2.
wie auch 1. Klasse verliehen.
von Baldenstett,
Oberst und Negimentstommandeur
del-U . Jnsanteriereaintents.«
W
Kurt Oldenflett hatte also doch
noch herüberkommen und mittämpfen
können!
— — —- Sie sprachen kein Wort
zusammen. Nur ihre Hände lagen fest
ineinander, und ihre Knie beugten
sich, um dem zu danken. der nun doch
noch in den Lebensgnrten des Soh
nes die Aehke echter deutscher Mann
bakleit und Ehre gesetzt und hatte
ausgehen lassen.
—-..—1
Von Ernst Purzan
Die Happe. U
Wenn Peter Wulle sich des Mot
gens von feinem Lager erhoben hatte,
das er Bett nannte —- es tvar nur
ein buntes Geinengsel von Lumpen
und Strohtisfen —, wenn er hinein
geftiegen war in die Hosen. die aus
lauter Fltcten zusammengesetzt schie
nen, dann nahm et kopfschüttelnd die
Jacke oon der Lehne des dreibetntgen
Stuhles und hielt sie prüfend gegen
das Licht, das matt und farblos
durch das lleine Fenster in seinen
Lumpenlellek fiel.
Die Jacke erschien ihm dann wie
ein Sieb, dessen Geslecht schadhaft
geworden ist: an einigen Stellen hielt
das Gewebe noch zusammen, aber die
se Stellen waren Jnseln in einem
lichten Gewirr von Rissen, fadenschei
nigen Komplexen und Löchern· Ueber
den Rücken zog sich ein langer diago
naler Spalt, den Peter Wulle mit
tels Packnadel und Bindfaden wieder
zum Zusammenhalt zu bringen ver
sucht hatte. Bei jedem Stich war
dann wieder ein neues kleines Loch
entstanden —- und alle diese Löcher
erweiterten sich nun bei jeder nicht
ganz vorsichtigen Körperbewegung
Morgen fiir Morgen nahm Peter die
Packnadel zur Hand, aber er sah die
Zeit kommen, wo die Jacke aller Quä
lerei müde werden und es ihm nicht
mehr gelingen würde, sie aus dem
Körper festzuhalten.
Zunächst verzagte er noch nicht. Er
baute auf seinen Stern, der ihn bis
her stets aus allen derartigen Berle
genheiten geführt hatte. Als Samm
ter von Lumpen, alten Kleidern, Hü
ten, Stiefeln, Papier, Glasscherben,
Eisen und dergleichen Dingen lam
Peter Tag fiir Tag in viele Häuser.
Er gab ein paar Pfennige dafür, steck
te alles in einen großen Sack und lud
diesen auf seinen kleinen Hundewa
gen, mit dem er straßauf, straszab
zog, verachtet von den honetten Leu
ten, die ihre Kleider beim Handwer
ter bestellen und gleich bar mit Gold
stücken bezahlen — oder auch nicht.
Peter Wulle fand in seinen Einkau
fen immer das, was er brauchte und
noch viel mehr. Und wenn er so einen
Anzug pfundweise berechnete, kostete
er ihn mitunter nicht mehr als zwan
zig Pfennige. So hoffte er auch jetzt
wieder, eine Jacke in seinen Säcken zu
finden.
Aber diesmal Ischien es doch, als
sollte seine zuver chtliche Erwartung
getäuscht werden. Drei Wochen schon,
Abend flir Abend, untersuchte er mit
peinlichster Genauigkeit die Eintäufe
des Tages. Er sörderte stinf Westen
en diversen Farben zutage und zog
drei Paar gut erhaltene Hosen aus
den Säcken, aber es kam weder ein
Rock noch eine Jacke, noch ein Paletot,
der das Wams hätte ersehen können
zum Vorschein.
Peter Mulle sing an, verstimmt zu
werden, tro dem er fiir gewöhnlich
sehr zur Yohlichteit neigte und auf
einsamen en wie eine Lerche sang,
die erhaben i iiber allen Schmutz und
Plunder dieser Welt. Denn er war
unabhängi und hielt die Achtung der
honetten eute nicht fiir unbedingt
erforderlich zu einem siillvergniigten
Dasein.
Aber das hinderte nicht, daß Peter
Wulle augenblicklich sehr dringend ei
ner neuen Jacke bedurfte. Und dieses
Bedürfnis nahm immer gebieterischere
Formen an: neuerdings war anch der
rechte Aermel von oben bis unten ge
platzt und an dein linten tündete sich
ein ähnliches Ereignis an.
Eines Tages, als Peter mit seinem
hundewagen von einem Dorf in die
Stadt hereingezogen kann entdeckte
er auf einem frifchgehariten Acker
beet, das zu einer naheliegende-i Van
gehörte, eine Bogelfcheuchr. Er hielt
lein Gefährt an und betrachtete sie
mit Staunen und Bewunderung. Was
dort auf einem in die Erde gesteckten
Strauch hing, war eine wunderschöne,
mit Schnüren verzierte Joppe.
.,’n Standal!« murmelte Peter,
»’n Stank-ab das als Fraß für Wind
und Wetter hinzuhiingen!«
Kopffchüttelnd machte er sich auf
den Weg nach haufe»..
Aber er konnte die Joppe nicht ver
W
gessen und grübelte unaushörliehdar
über. Während er Kassee aus feiner
alten, heniellosen Tasse trank und ein
Stück schwarzes Schmalzbrot dazu
laute, überlegte et, ob es wohl mög
lich sei, sich aus ehrliche Weise in den
Besitz des Wamses zu setzen. Er
zählte sein Geld und kam zu dem
Schluß, daß er höchstensalls fünfzig
Pfennig dasiir opfern lönne. Aber
vielleicht hatte sie Schäden, die er
vorhin nicht bemerkt hatte?
Peter Wulle wollte nnd mußte das
erfahren.
Dann ging er in der Dämmerung
noch einmal hinaus, sah sich vorsich
tig nach allen Seiten run, schlich aus
den Acler und untersuchte die Joppr.
»’n Prachtstiicl einfach! ’n Pracht
stück!«
Nur in der Farbe war sie etwas
verschossen, sonst aber ohne Tadel.
Peter Wulle ging ans bie Straße,
überlegte reichlich, sah noch zehnmal
zurück zur Joppe und begab sich dann
entschlossen an da- eiserne Gittertox
der Villa. Aber gerade als er die
Klingel ziehen wollte, siel ihm ein,
daß hier ja der pensionierte Ober-för
ster wohne, der ihn einmal mit erho
benem Stock und den verächtlichsten
Schimpsworten zum Hause hinaus
gejagt hatte.
Peter zog die nusgeftreckte Hand
zurück und smursnelte einen Fluch.
Nein, da hinein ging er nicht. Dem
hochnnsigen Kerl wollte er fein
schönes Ger nicht opfern. Außer
dem: wer garantierie ihm diesmal
für einen besseren Empfang als da
mals? Sich schlagen lassen womög
lich?
Peter Wulle gab sich einen Ruck
und marschierte mit trotzig erhobenern
Faupte zurück in die Stadt, in seinen
unipenkeller.
Und wieder begann er zu grübeln
Eine Jacke mußte er haben. Nun ja,
mancher hätte die Vogelscheuche ein
sach ausgezogen, und es war am En
de nichts dabei. Denn schließlich tann
eine Vogelscheuche eher Wind und
Wetter vertragen als ein Mensch.
Aber stehlen wollte er nicht, hatte es
toch nie getan. Trotzdem es gerade
diesem verdammten Grobian nicht
schaden könnte. Nein, wahrhaftig
nicht! Peter Wulle wühlte sich immer
mehr in seinen Aerger hinein. Und
dann lachte er plötzlich laut aus, weil
e: an das iviitende Gesicht dachte, das
der Oberförster machen würde, wenn
er statt seiner schönen Joppe Peter
Wulles zerlumpte Jacke entdeckte
Peter blies die Lampe aus und
stieg aus die Straße. Dann schlich er
sich im Dunkel der Häuserreihen ent
lang bis hinaus vor das Tor, ver
sicherte sich, daß ihn niemand sah,
ging geduckt auf das Ackerbeet, holte
die Joppe herunter und hing seine
Jacke dafür auf den Strauch
Gleich darauf war er wieder auf
dem Rückwege und hatte das neue
Kleidungsstück auf dem Körper. Jhm
wurde warm und behaglich zumute
und leise vor sich hinsingend ging er
nach hause.
« II sc
Acht Tage später nahm ihn die
Polizei auf der Straße sest. Der
Obersörster hatte Anzeige erstattet
und ein genaue-I Signalement der
Po elscheuche gegeben. Man beförder
te steter Wulle mit ein paar gelegent
lichen Genickstöszen aus die Wache,
zog ihm die Joppe aus« verhörte ihn,
der nicht leugnete, und entließ ihn
mit einem gepfesserten Hinweis aus
die gerichtliche Ahndung.
! Nun stand Peter Wulle bleich und
sperwirrt aus dem Marktplasz. Ohne
sJacke, mit zerrissener Weste und der
sbunten, geflickten Hose. Er stand da,
Edrehte noch den czerbeulten Hut in den
HHiinden und suchte das Geschehene zu
»sassen.
Es gelang ihm nicht« —
» Peter kriegte. vierzehn Tage Ge
lsiingnis, weil, wie im Urteil ausge
äfiihrt wurde, »dieser Diebstahl von
einem besonderen Rasfinement
zeugt«. —
Die Leute, die Peter Wulle früher
konnten, sagen nun, seit jener Zeit
habe er ganz andere Augen als frü
her, sie seien böse und drohend ge
worden. Deshalb verschließen ihm
tmmer mehr Menschen die Tür. Nun
stiehlt Peter Wulle wie ein Rabe.
— Das Schreckenskind.—
,,Lieber Onkel, knalle einmal!« i
,«,Waö fällt Dir ein?«« !
»Ach ja, tnalle nur —- Papa hats
gas» gesagt, daß Du ein Knallprotz
It!"
— Schlau angefaßt —
Pnntoffelheld (als der Verehrer der
Tochter anwesend ist, zur Frau):
»Geh, Alte, gib mir den Hausschlüfs
sel in recht lieber Weis vor dem
Verehrer unserer Verta, maylf
ihm Luft zum Heiratenå«
Von Wnlni non Mute.
Juni-them u
L Roman rtltefchnotm der Arzt, steht
neben detu zerwiihlteu Bett seiner
verstorbenen Frau und horcht. Mit
schweren Schwingen uuikratlt ihn
die Einsamkeit Durch die Fenster
des Zinuuersz sieht der gerötete
Nucl)tl)ininiel, auf dem der Wider
schein der Feuer auf den Friedhöfen
wandert. Mit einein tiefen Seufzer
fällt der Mann in einen Sessel und
starrt die weiszen «aken an, denen
ffeiue Frau im Todeskmupf die
lkycnstn ihre-J Leibes gegeben hat.
i Das Geräusch im Nebenziunner
ftuiedethott sich Er tostet im Dun
kein zur Tiir und öffnet fie.
»Wer ist das-«
Als Antwort hört er schweres At
;uteu nud das- feine Ticken einer Uhr,
tdie sonst nicht in seinen Zitnmern
ist.
»Wer ist du«-« fragt er wieder
nnd greift nach rückwärts zur Re
volvertusche »Wer die Not der
Seuche nützt, ist vogelfrei nach dem
Gesetz!«
»Machen Sie Lichtl«
Ein Druck auf den Taster-, und
der Schein der elektrischen Schreib
tischiampe springt hell in das Dim
kei.
Eine schtuarzgekleidete Dame steht
Vr ihm. Sie messen sich mit den
Blicken Der gebrochene Mensch
nimmt die Maske vor, die er als
der gesuchteste Arzt des Wassilijs
Osiroinezirkes zu tragen hat. Die
Dame vor ihm ist jung nnd schön.
»Verzeihen Sie,« sagte sie mit
beschlagenek Stimme, die Tiir stand
offen; ich traf niemanden in der
ganzen Wohiniicg.«
»Meine Leute sind davongelansen,
als meine Frau krank wurde« —
Roman Meschnom tritt ein paar
Schritte zuriiik »Sie starb an der
Epidemie,« sagt er bedeutend, »ich
gebe keinem ärzttichen Nat, der die
Gefahr der Ansteckung fiirchtetl«
Sie lächelt. »Ich weiß, dasz Jhre
Frau an der Cholera starb — dar
um bin ich hier.«
Roman Meschnoni zeigte auf einen
der Fautetiils, auch er setzt sich. Von
der Gasse kommt der Klang der
schweren Tritte der Leichentriiger
heraus
»Ich war nachmittags auf den
Oriedhosen « sagt sie, »die Siirge
stehen zu hunderten iibereinanderges
schichtet wie tiiuderspielzeng in der
Faust des Lebens-. Die Leichengiiste
lagern ans freiem Feld, singen geist
lich Lieder, trinken Schnaps und
weinen t«
Unter den Fenstern gellen Rufe
nnd schrille Schreie. Eine Scheibe
splittert in Scherben, Steine fallen
mit dumpfem Prall aus die Teppi
che.
»Man gibt uns Aerzten Schuld
an der Seuche. Das arme Volk
schliigt den Aerzten die Fenster
ein. . . « Helles Pserdegetrappel
tlingt von der Strasse.
»Da-: sind die stosaken," sagt sie.
»Nun weis; ich, ioo ich Sie gesehen
habe, gniidige Stein«
,,Wo?«
»Ist der Manege des Leibgardes
regiments; heuer im Frühjahr bei
der Feier fiir die Gesallenent«
Sie schlägt die Hände vor’s Ge
sicht und schlnchzt in bitterer Seelen
qual: »Mein Mann war der erste
Tote in Port-Arthur.«
Roman Meschnows Rechte tastet
nach der Weineuden Arm. Er strei
chelt ihre schlanken Finger. Er weiß
keinen anderen Trost.
« Durch das zerbrochene Fenster
kriecht ein kalter Hauch; es ist die
Sumpflust aus dem Newaarni,
dessen Wasser seit Tagen die Hun
gersteine zeigt mit der Jnsch·:iist
»Weiue, Briider,chen wenn Du mich
siehstt«
Leise sagt Sascha Krnloim
»Sie haben Jhre Frau gern ge
habt. Ich weiß ess. Ich habe Sie oft
mit ihr aesehen: im Theater und in
der Gesellschaft Man bekommt
scharfe Augen siir dass Gliick ande
rer, wenn man selbst ungliicilich ist«
Eine Frau strömt Wärme und Ruhe
aus, wenn sie liebt. Jede Stunde.
die sie allein ist, erwartet sie den
Mann. Er ist ein Stiick ihres
Selbst; der Kopf, durch den ihr Herz
denkt. Sie kennt seinen Schritt,
seine Art, die Tiir zu öffnen. Sie
fliegt ihm entgegen, preßt die Arme
um ihn; nun erst weiß er, daß er
ein Heim hat. Mit weicher lsjand
streicht sie seine miide Stirn. Eis ist
ein Liebkosen seiner Seele.«
Roman Meschnow stöhnt aus« Er
preßt die zitternden Fäuste über die
Ichmerzenden Augen; sie spricht wei
ckö
W
»Bei-zähen Sie, wenn ich Jhnen
Weh bereite, aber die Liebe der
Menschen ist gleich, wenn auch ein
jeder nur dem Wert der eigenen
glaubt. Wie Sie liebten, liebte ich
und mein Mann, lieben Tausende
und Millionen ans dieser Welt. . . . «
Roman Meschnow knirschte mit
den Zähnen; die Ohmnacht des Arz
tes vereint sich in ihm mit der Ohn
macht des Menschen. Warum? Wa
rum starb sein Wein Warum quält
ihn die Fremde?
»Im Anfang ist es zn tragen. Da
hat man die Traum-, die eine Fort
setzung der Liebe vortäuscht; aber
denn kommt die große Stille ym
uns, das schreckliche Glück des Ver
gessens; man sieht den Toten nicht
mehr vor sich, man muß sich miihen,
den Klang der tenren Stimme in
sich toachznrnfeir Die brntale Welt
neben uns geht weiter und gibt Und
Wünsche nnd Hoffnungen. die wir
nicht haben wollen, weil wir glau
ben, denc Toten Treue schuldig zu
sein. Doch der Tote ist ein bleichen
der Knochenhanfen, der nichts weiß
von Unserer sehnsüchtigen Liebe, die
heißer brennt, je länger sie allein
ist«
Auf den bleichen Wangen der
schönen Frau glühen rote Flecke. Sie
hat die Hände verkranipft nnd starrt
in den Schoß.
»Was ist ein schneller Tod? Ein
Gliicki Dass größte Glück aus Erdenl
Und das »Gliict«, leben zu bleiben,
ist das schwerste Los. Es ist bitter,
daß der Mensch ohne den andern
nicht leben kann, daß die Frau un
niitz ist, die nicht liebt.«
»Und der Mann?«
»Der Mann kann den Tod suchen
in seinem Beruf. Er kann sich über
seine Feigheit beliigen.«
Roman Meschnow nickt vor sich —
hin: ,
»Sie haben recht, Sascha Krhlow;
es ist ein großes Glück, daß ich Arzt
bin; da kann ich den Tod am leichte
sten finden.«
Sascha gräbt die Finger ihrer
Hand in seinen Arm: »Und mich
nehmen Sie mit! Jch will die Kran
ten pflegen!«
»Der Gedanke-, ein Samariter zu
sein, ist schön, aber die Ausführung
ist schwer nnd das Ende ist häßlich.
Die Cholerabaracken sind iibervoll:
es sind wenig Aerzta und die An
steckung ist groß.«
Da siillt dasj- Weib vor ihm auf
die Knie-. Sie hebt die gefalteten
Hände auf zu ihm und stöhnt in
tiefster Todesangst:
»Nimm mich mit, Roman Meschs
now! Ein Arzt mnsz gut sein; er
musz Schmerzen lindern und darni
herzig sein. Allein kann ich nicht wei
ter leben; ich sehe meinen Mann
nicht mehr. Gehen wir zu zweienl
Drüben warten zwei Menschen, die
auch einsam sind. Du mußt mich,
Roman Mesclmow, in Deine Arme
nehmen und hinüber führen, hinüber
iiber die paar elenden Tage Leben,
die wir noch leiden müssen. Roman
Mesclmow, nimm mich mitt Nimm
mich mit!«
Sie umschlingt ihn und preßt den
tränenuassen siops in seinen Schoß.
Ihr zuckender, oerlassener Körper
bettelt uin Wärme nnd Halt. Er
legt den Arm um sie und streichelt
ihren Scheitel. Sie zittert an allen
Gliedern: ihre Finger suchen seinem
Rock entlang· «
»Du bist gut, wie mein Mann« »
WOC
Det gemütliche General.
General Haus Herzog war Was
fenches der schweizer Artilletie. Jn
Thun war er so populär, daß man
heute noch vom »Kanonenhan3«, wie
die Thuner ihn nannten, sprechen
hört. Aber nicht nur diesen Uebertre
men hatten die guten Thuner ihm
angehängt, nein, er war auch unter
dem Namen ,,Regenmoli« bekannt.
Man nannte ihn so, weil es sast je-.
desmal regnete, wenn sich Hans Her
zog in Thun zeigte· Einmal nun, es
war an einein wirklich schönen
Sommertag, nahm der General in
Thun Trnppeninspeltion ab. Nach
der Jnspeltion sprach er bei den Of
fizieren den Wunsch aus, man möch
te doch— im Militärgarten am Abend
eine Zusaminenkunst der Ofsiziete
nnd Soldaten inszenieren, wobei die
Mnsit nicht fehlen dürfe; dies ge
schah. Die Mannschast saß feucht
sröhlich beisammen bei Bier und
Wein, ein Gratistrunk, den Herzog
gespendet hatte, und die Musik spielte
einen Marsch um den anderen. Ueber
Ermatten blieb das Wetter schön.
Nach 10 Uhr kam Hans Herzog
selbst noch geritten, begab sich mitten
unter die Soldaten und hielt folgen
de kurze Ansprache: ,,J bi z’Thun
und z’W"citter isch schön, i verlange
vo deine Manne, daß sie mir i Zu
lunst nümine »Rägemoli« sägt.«