Sonntag-blickt du Staats Anzeinger und Wer-old for-m vJWIdeD Wiss-Jan 1917« Ecutczeit Von M. W. Der Rittergutisbesitzer Oldenslett ging an diesem leen Feierabend mit seiner sanften, grauhaarigen Gattin durch den Segen der reisenden Korn telder. Aus dem schmalen Stückchen sestgettetenen Richtweges, das zwischen dem noch griinlichgelben Hafer lag, schritt er ihr voran-Z. Und sein Herz wurde weit nnd fröhlich im Anblick dieses Reichtums. Er blieb stehen nndl wandte sich zu der-, welche ihm gedul-j dig nnd schweigsam auch aus diesem; Wege folgte. ’ Die gebraunte Rechte hob den Kno tenstock und wies mit ihm gradeauö «Siehst du, das war der tälteste und schlechteste Acker, als ich vor dreißig Jahren Rammdors übernahm,« sag te er dabei. ,,Erinnerst du dich noch? . . der Dorfseiler wollte nicht mal einen Taler Pacht fiir den Morgen geben· Und wie steht jetzt der Roggen aus ihm’t... Wäre es nach dir ge gangen, hätte ich nicht bis zu Ende ausgehauen Aber · . . siehst du« Frau, einmal muß die Ernte kommen, und ich möchte meinen, dasz sie um so herr lichee wird, je länger man darum kämpfen musz." Frau Oldenslett seufzte ties und schmerzlich anf. »Wir wissen doch aber beide. Wil helm, daß in unserm Leben einmal die Ernte dennoch ansgeblieben ist.« Jn dalt strenge Gesicht des Guts herrn meißelte die Erinnerung ein paar harte Falten. »Du denkst an unsern Sohn, An na t« Die Frau nickte müde. »Tag und Nacht denle ich an ihn! Und zergriibele mir die Sinne, wie das alles nur möglich gewesen ist« Er zuckte die Achseln. »Seht einfachl -- —- Wir haben ihn als einziges tiind allzusehr ver wöhnt.« »llein, Wilhet em, das war es nicht-« «ulun, fo erkläre es mir anders.« :Er hatte niemals Luft zum Land wirt, Wilhelm. -- —- Sein Sinnen und Wünschen ging danach, Offizier zu werden. Hättest du ihm dies nur erlaubt . . .·' «Unsinn! — — —- Jch wollte mich aber nicht umsonst hier abgemiiht ha ben. —- —— Mein Sohn sollte ernten, was ich erarbeitete. —— —- Und bei feinem Leichtsinn wäre es bei jenem Beruf vielleicht .och härter geworden.« »Denle doch daran, welch ein vor züglicher Soldat er gewesen ist.'« »Das freilich stimmt! So ein Jahr lein aber besagt - ch nichts-. Sobald er dann aus der soldatischen Zucht heraustarm beging er doch Torheit über Torheit. —- — hast wohl ganz vergessen, daß ich einmal 2000 Mart — das andere Mal das Dreif-1che für Spielfchulden, non ihm —- dem da mals taum Zwanzigjährigen — ge macht, bezahlen mußte.« »Nichts habe ich vergessen! —- — Er hat ja auch reichlich dasiir büßen müssen. Es ist ihm bitter schwer ge worden, daß er das dritte Mal so weit von der heimat weg mußte.«« »Ganz recht. Dies war auch damit bezweckt. —- — Hätte ich mit dem Mittel witllich einen Mißgriff getan, mm —- — —- der ist reichlich gebiißt. — —- Freilich habe i nicht erlaubt, daß er mir eine Zelle chreiben durfte —- — habe es auch durchgeseßt, daß du fest bliebst«. aber... als nun der Kri ausbrach, da habe ich doch mehr un härter daran getragen, daß ich keinen Sohn dern Vaterlande stel len durfte, als du es auch nur ahnsl. — — Denn er ist wohl von seiner Form nicht mehr zurückgelommen — — Sonst hätte es sein müssen, daß seht eine Zeile zu uns von ihm gekom men wäre.« '«Du iveißt doch, Vater, daß er ne ben allem Leichtsinn einen harten Kopf besaß...« «Soll das beißen, daß du immer noch hofsst, er stände vielleicht doch draußen und mache den Versuch, sich zu rebabilitiereni« Jbre Augen schlos sen sich leicht, ais schaute sie plötzlich in ein Meer voll iohender Sonne. »Ich hat« gehofft, Wilhelm, aber seht freilich hasse ich es nicht mehr. Es währt zu ange. Nur das eine weiß ich, wenn er auch nicht mehr herübertomnien durste — —- wenn er überhaupt noch unter den Lebenden weilt. dann leidet er unsägciche Qua len. und keine Strafe sitt seinen ju gendlichen Jehiiritt ist härter und grausamer ais diese. —- — -—« »Nun sind wir ia wieder bei dem alten, traurigen Gesprächiigegenstand angelangt.« Sie nickte. — :- — ,.Es drückt uns ja doch beide bei-« nahe zu- Boden, Wilhelm. Weshalb sollen wir alfo nicht darüber sprechen. Ich möchte dir auch heute sagen, daß ich mich als Schuldige bekenne, wenn1 Fehler bei feiner Erziehung gemacht sind. — — Lange habe ich es nichts vor mir zugeben wollen. Aber jetzt» sehe ich in allem viel klarer. Ich be schönigte zuweilen kleine Schwächen bei ihm vor dir. Das hätte ich nicht tun dürfen...« Auf der hohen, gebräunten Stirn des Mannes begann langsam heller Schweiß zu perlen. Es rührte ihn unfagbar, daß die stille, sgeduldige Frau sich nun auch noch vor ihm — — freiwillig —- -— als Mutter de mütigte. Und alles, was noch hart und bitter gegen den Einzigen hatte sein und bleiben wollen, wurde an diesem ftillen Abend weich und zart. Er ergriff die Hand der treuen Le bensgesährtin nnd drückte sie fest in der feinen. s »Wir wollen jetzt nicht miteinander-T rechten, Anna,« meinte er dann ftillx —- —— »Wir tragen zu gleichen Teilen die Schuld, daß alles so getommens ist. —- -— Jch nicht minder als du« Was du zu weich und nachgiebig warst, bin ich zu hart gewesen. Da-» durch, daß ich ihm unschuldige tleinei Lebensfreuden unterband, nahm ich’ ihm das Vertrauen nnd erzog ihn! zur Unaufrichtigieit. Das mußte sich dann später rächen...« s reise Roggen der Sichel entgegen. Die Hände der beiden alten Leute trenn ten sich wieder. Aber zwei Seelen gin gen gemeinsam aus dem großen sansi ten Weg der Elternliebe dahin. Dunkel und sternlos war die heiße Sommernacht. Jcn Westen baute sich eine schwarze« hohe Mauer vor dem silbergrauen Wollenrand empor Jn dem kühlen, geräumigen Schlaf ziinmer der Oldenfletts brannte das kleine, sparsame Oellämpchen, obwohl es schon nach Mitternacht war. Sie tonnten beide keinen Schlaf finden k- Frau Oldenslett hatte ein vergilb tes Buch in den Händen und zeigte es dem Gatten. Es barg die ersten schüchternen Auszeichnungen in Form eines Tagebuches, von ihrem Einsi gen niedergeschrieben Und sie saßen —- -— die grauen Köpfe dicht zusam mengelehnt —- und lasen Wort siir Wort der kindlichen Aufzeichnungen, die der Vater von seinem Sohn, da mit er beizeiten Ordnung und Pünkt lichkeit erlerne, streng verlangt hattH »Das ist die einzige Aehre aus mei-J nein kleinen Garten, hieß es... Undj darunter war — breit und voll bist zur Spitze ——— eine gelbe, verblichenH Aehre ausgetlebt. Und die Frau neigte den Kopf ties aus die Brust und weinte still vor sich hin. »Diese Aehre habe ich mir un zählige Male angesehen. Wilhelm,« sagte sie ndlich, »und immer wieder, wenn ich das Buch zuschlug, gemeint. der Vater im Himmel miisse auch dem Erwachsenen noch eine Aehre in seinen Lebensgarten stellen!... Es war aber doch wohl irrig. . .« Der Rittergutsbesißer aber dach te daran, daß der Sohn ja nicht heimkehren konnte, weil er ihm ja ge sagt, daß er die Hunde aus ihn heßte, wenn er erscheine, ehe er sich rehabili tiert habe. Dies tonnte er der Gat tin, die immer noch leise schluchzte, doch aber nicht sagen. Gegen 1 Uhr schlug Nimrod, der Neusundliinder, plößlich zornig an. Gleich darauf riittelte eine seste Hand an dem verschlossenen Tor, das unter den Fenstern dieses Schlaszimmers lag. Es war der Brieftriiger aus dem Dars, der dort stand und Einlaß be gehrte. »Ein Telegramm,« ries er, als berr Oldenflett den Kopf hinaus streekte und nach seinem Begehr staate. Leise und schwekmmig muschke « Ein Telegramm . .. Nun, ja, dirs war aus einem so großen Gute och weiter nicht Selt samest —- — Antworten wurden im mer erwartet. Jetzt zum Beispiel hat te Herr Oldenslett gerade bei der Landwirtschaft-stammt um gute Ar beiterinnen angesragt . . . Und dennoch zitterten sie beide, ehe sie es geöffnet hatten. Und dann war es geschehen. Die scharfen Augen des Gutsherrn starr ten darauf nieder. Dann stieß er einen sonderbaren Laut aus und setzte sich Das Blatt flatterte zu Boden, denn seine Hände deckten die Augen« weil er sich der Tränen schämte.» Die schmalen, zitternden Frauen hiinde aber griffen es aus, und nun las es auch die Mutter. — »Für her vorragende Leistungen ward Jhrem Sohn sowohl das Eiserne Kreuz 2. wie auch 1. Klasse verliehen. von Baldenstett, Oberst und Negimentstommandeur del-U . Jnsanteriereaintents.« W Kurt Oldenflett hatte also doch noch herüberkommen und mittämpfen können! — — —- Sie sprachen kein Wort zusammen. Nur ihre Hände lagen fest ineinander, und ihre Knie beugten sich, um dem zu danken. der nun doch noch in den Lebensgnrten des Soh nes die Aehke echter deutscher Mann bakleit und Ehre gesetzt und hatte ausgehen lassen. —-..—1 Von Ernst Purzan Die Happe. U Wenn Peter Wulle sich des Mot gens von feinem Lager erhoben hatte, das er Bett nannte —- es tvar nur ein buntes Geinengsel von Lumpen und Strohtisfen —, wenn er hinein geftiegen war in die Hosen. die aus lauter Fltcten zusammengesetzt schie nen, dann nahm et kopfschüttelnd die Jacke oon der Lehne des dreibetntgen Stuhles und hielt sie prüfend gegen das Licht, das matt und farblos durch das lleine Fenster in seinen Lumpenlellek fiel. Die Jacke erschien ihm dann wie ein Sieb, dessen Geslecht schadhaft geworden ist: an einigen Stellen hielt das Gewebe noch zusammen, aber die se Stellen waren Jnseln in einem lichten Gewirr von Rissen, fadenschei nigen Komplexen und Löchern· Ueber den Rücken zog sich ein langer diago naler Spalt, den Peter Wulle mit tels Packnadel und Bindfaden wieder zum Zusammenhalt zu bringen ver sucht hatte. Bei jedem Stich war dann wieder ein neues kleines Loch entstanden —- und alle diese Löcher erweiterten sich nun bei jeder nicht ganz vorsichtigen Körperbewegung Morgen fiir Morgen nahm Peter die Packnadel zur Hand, aber er sah die Zeit kommen, wo die Jacke aller Quä lerei müde werden und es ihm nicht mehr gelingen würde, sie aus dem Körper festzuhalten. Zunächst verzagte er noch nicht. Er baute auf seinen Stern, der ihn bis her stets aus allen derartigen Berle genheiten geführt hatte. Als Samm ter von Lumpen, alten Kleidern, Hü ten, Stiefeln, Papier, Glasscherben, Eisen und dergleichen Dingen lam Peter Tag fiir Tag in viele Häuser. Er gab ein paar Pfennige dafür, steck te alles in einen großen Sack und lud diesen auf seinen kleinen Hundewa gen, mit dem er straßauf, straszab zog, verachtet von den honetten Leu ten, die ihre Kleider beim Handwer ter bestellen und gleich bar mit Gold stücken bezahlen — oder auch nicht. Peter Wulle fand in seinen Einkau fen immer das, was er brauchte und noch viel mehr. Und wenn er so einen Anzug pfundweise berechnete, kostete er ihn mitunter nicht mehr als zwan zig Pfennige. So hoffte er auch jetzt wieder, eine Jacke in seinen Säcken zu finden. Aber diesmal Ischien es doch, als sollte seine zuver chtliche Erwartung getäuscht werden. Drei Wochen schon, Abend flir Abend, untersuchte er mit peinlichster Genauigkeit die Eintäufe des Tages. Er sörderte stinf Westen en diversen Farben zutage und zog drei Paar gut erhaltene Hosen aus den Säcken, aber es kam weder ein Rock noch eine Jacke, noch ein Paletot, der das Wams hätte ersehen können zum Vorschein. Peter Mulle sing an, verstimmt zu werden, tro dem er fiir gewöhnlich sehr zur Yohlichteit neigte und auf einsamen en wie eine Lerche sang, die erhaben i iiber allen Schmutz und Plunder dieser Welt. Denn er war unabhängi und hielt die Achtung der honetten eute nicht fiir unbedingt erforderlich zu einem siillvergniigten Dasein. Aber das hinderte nicht, daß Peter Wulle augenblicklich sehr dringend ei ner neuen Jacke bedurfte. Und dieses Bedürfnis nahm immer gebieterischere Formen an: neuerdings war anch der rechte Aermel von oben bis unten ge platzt und an dein linten tündete sich ein ähnliches Ereignis an. Eines Tages, als Peter mit seinem hundewagen von einem Dorf in die Stadt hereingezogen kann entdeckte er auf einem frifchgehariten Acker beet, das zu einer naheliegende-i Van gehörte, eine Bogelfcheuchr. Er hielt lein Gefährt an und betrachtete sie mit Staunen und Bewunderung. Was dort auf einem in die Erde gesteckten Strauch hing, war eine wunderschöne, mit Schnüren verzierte Joppe. .,’n Standal!« murmelte Peter, »’n Stank-ab das als Fraß für Wind und Wetter hinzuhiingen!« Kopffchüttelnd machte er sich auf den Weg nach haufe».. Aber er konnte die Joppe nicht ver W gessen und grübelte unaushörliehdar über. Während er Kassee aus feiner alten, heniellosen Tasse trank und ein Stück schwarzes Schmalzbrot dazu laute, überlegte et, ob es wohl mög lich sei, sich aus ehrliche Weise in den Besitz des Wamses zu setzen. Er zählte sein Geld und kam zu dem Schluß, daß er höchstensalls fünfzig Pfennig dasiir opfern lönne. Aber vielleicht hatte sie Schäden, die er vorhin nicht bemerkt hatte? Peter Wulle wollte nnd mußte das erfahren. Dann ging er in der Dämmerung noch einmal hinaus, sah sich vorsich tig nach allen Seiten run, schlich aus den Acler und untersuchte die Joppr. »’n Prachtstiicl einfach! ’n Pracht stück!« Nur in der Farbe war sie etwas verschossen, sonst aber ohne Tadel. Peter Wulle ging ans bie Straße, überlegte reichlich, sah noch zehnmal zurück zur Joppe und begab sich dann entschlossen an da- eiserne Gittertox der Villa. Aber gerade als er die Klingel ziehen wollte, siel ihm ein, daß hier ja der pensionierte Ober-för ster wohne, der ihn einmal mit erho benem Stock und den verächtlichsten Schimpsworten zum Hause hinaus gejagt hatte. Peter zog die nusgeftreckte Hand zurück und smursnelte einen Fluch. Nein, da hinein ging er nicht. Dem hochnnsigen Kerl wollte er fein schönes Ger nicht opfern. Außer dem: wer garantierie ihm diesmal für einen besseren Empfang als da mals? Sich schlagen lassen womög lich? Peter Wulle gab sich einen Ruck und marschierte mit trotzig erhobenern Faupte zurück in die Stadt, in seinen unipenkeller. Und wieder begann er zu grübeln Eine Jacke mußte er haben. Nun ja, mancher hätte die Vogelscheuche ein sach ausgezogen, und es war am En de nichts dabei. Denn schließlich tann eine Vogelscheuche eher Wind und Wetter vertragen als ein Mensch. Aber stehlen wollte er nicht, hatte es toch nie getan. Trotzdem es gerade diesem verdammten Grobian nicht schaden könnte. Nein, wahrhaftig nicht! Peter Wulle wühlte sich immer mehr in seinen Aerger hinein. Und dann lachte er plötzlich laut aus, weil e: an das iviitende Gesicht dachte, das der Oberförster machen würde, wenn er statt seiner schönen Joppe Peter Wulles zerlumpte Jacke entdeckte Peter blies die Lampe aus und stieg aus die Straße. Dann schlich er sich im Dunkel der Häuserreihen ent lang bis hinaus vor das Tor, ver sicherte sich, daß ihn niemand sah, ging geduckt auf das Ackerbeet, holte die Joppe herunter und hing seine Jacke dafür auf den Strauch Gleich darauf war er wieder auf dem Rückwege und hatte das neue Kleidungsstück auf dem Körper. Jhm wurde warm und behaglich zumute und leise vor sich hinsingend ging er nach hause. « II sc Acht Tage später nahm ihn die Polizei auf der Straße sest. Der Obersörster hatte Anzeige erstattet und ein genaue-I Signalement der Po elscheuche gegeben. Man beförder te steter Wulle mit ein paar gelegent lichen Genickstöszen aus die Wache, zog ihm die Joppe aus« verhörte ihn, der nicht leugnete, und entließ ihn mit einem gepfesserten Hinweis aus die gerichtliche Ahndung. ! Nun stand Peter Wulle bleich und sperwirrt aus dem Marktplasz. Ohne sJacke, mit zerrissener Weste und der sbunten, geflickten Hose. Er stand da, Edrehte noch den czerbeulten Hut in den HHiinden und suchte das Geschehene zu »sassen. Es gelang ihm nicht« — » Peter kriegte. vierzehn Tage Ge lsiingnis, weil, wie im Urteil ausge äfiihrt wurde, »dieser Diebstahl von einem besonderen Rasfinement zeugt«. — Die Leute, die Peter Wulle früher konnten, sagen nun, seit jener Zeit habe er ganz andere Augen als frü her, sie seien böse und drohend ge worden. Deshalb verschließen ihm tmmer mehr Menschen die Tür. Nun stiehlt Peter Wulle wie ein Rabe. — Das Schreckenskind.— ,,Lieber Onkel, knalle einmal!« i ,«,Waö fällt Dir ein?«« ! »Ach ja, tnalle nur —- Papa hats gas» gesagt, daß Du ein Knallprotz It!" — Schlau angefaßt — Pnntoffelheld (als der Verehrer der Tochter anwesend ist, zur Frau): »Geh, Alte, gib mir den Hausschlüfs sel in recht lieber Weis vor dem Verehrer unserer Verta, maylf ihm Luft zum Heiratenå« Von Wnlni non Mute. Juni-them u L Roman rtltefchnotm der Arzt, steht neben detu zerwiihlteu Bett seiner verstorbenen Frau und horcht. Mit schweren Schwingen uuikratlt ihn die Einsamkeit Durch die Fenster des Zinuuersz sieht der gerötete Nucl)tl)ininiel, auf dem der Wider schein der Feuer auf den Friedhöfen wandert. Mit einein tiefen Seufzer fällt der Mann in einen Sessel und starrt die weiszen «aken an, denen ffeiue Frau im Todeskmupf die lkycnstn ihre-J Leibes gegeben hat. i Das Geräusch im Nebenziunner ftuiedethott sich Er tostet im Dun kein zur Tiir und öffnet fie. »Wer ist das-« Als Antwort hört er schweres At ;uteu nud das- feine Ticken einer Uhr, tdie sonst nicht in seinen Zitnmern ist. »Wer ist du«-« fragt er wieder nnd greift nach rückwärts zur Re volvertusche »Wer die Not der Seuche nützt, ist vogelfrei nach dem Gesetz!« »Machen Sie Lichtl« Ein Druck auf den Taster-, und der Schein der elektrischen Schreib tischiampe springt hell in das Dim kei. Eine schtuarzgekleidete Dame steht Vr ihm. Sie messen sich mit den Blicken Der gebrochene Mensch nimmt die Maske vor, die er als der gesuchteste Arzt des Wassilijs Osiroinezirkes zu tragen hat. Die Dame vor ihm ist jung nnd schön. »Verzeihen Sie,« sagte sie mit beschlagenek Stimme, die Tiir stand offen; ich traf niemanden in der ganzen Wohiniicg.« »Meine Leute sind davongelansen, als meine Frau krank wurde« — Roman Meschnom tritt ein paar Schritte zuriiik »Sie starb an der Epidemie,« sagt er bedeutend, »ich gebe keinem ärzttichen Nat, der die Gefahr der Ansteckung fiirchtetl« Sie lächelt. »Ich weiß, dasz Jhre Frau an der Cholera starb — dar um bin ich hier.« Roman Meschnoni zeigte auf einen der Fautetiils, auch er setzt sich. Von der Gasse kommt der Klang der schweren Tritte der Leichentriiger heraus »Ich war nachmittags auf den Oriedhosen « sagt sie, »die Siirge stehen zu hunderten iibereinanderges schichtet wie tiiuderspielzeng in der Faust des Lebens-. Die Leichengiiste lagern ans freiem Feld, singen geist lich Lieder, trinken Schnaps und weinen t« Unter den Fenstern gellen Rufe nnd schrille Schreie. Eine Scheibe splittert in Scherben, Steine fallen mit dumpfem Prall aus die Teppi che. »Man gibt uns Aerzten Schuld an der Seuche. Das arme Volk schliigt den Aerzten die Fenster ein. . . « Helles Pserdegetrappel tlingt von der Strasse. »Da-: sind die stosaken," sagt sie. »Nun weis; ich, ioo ich Sie gesehen habe, gniidige Stein« ,,Wo?« »Ist der Manege des Leibgardes regiments; heuer im Frühjahr bei der Feier fiir die Gesallenent« Sie schlägt die Hände vor’s Ge sicht und schlnchzt in bitterer Seelen qual: »Mein Mann war der erste Tote in Port-Arthur.« Roman Meschnows Rechte tastet nach der Weineuden Arm. Er strei chelt ihre schlanken Finger. Er weiß keinen anderen Trost. « Durch das zerbrochene Fenster kriecht ein kalter Hauch; es ist die Sumpflust aus dem Newaarni, dessen Wasser seit Tagen die Hun gersteine zeigt mit der Jnsch·:iist »Weiue, Briider,chen wenn Du mich siehstt« Leise sagt Sascha Krnloim »Sie haben Jhre Frau gern ge habt. Ich weiß ess. Ich habe Sie oft mit ihr aesehen: im Theater und in der Gesellschaft Man bekommt scharfe Augen siir dass Gliick ande rer, wenn man selbst ungliicilich ist« Eine Frau strömt Wärme und Ruhe aus, wenn sie liebt. Jede Stunde. die sie allein ist, erwartet sie den Mann. Er ist ein Stiick ihres Selbst; der Kopf, durch den ihr Herz denkt. Sie kennt seinen Schritt, seine Art, die Tiir zu öffnen. Sie fliegt ihm entgegen, preßt die Arme um ihn; nun erst weiß er, daß er ein Heim hat. Mit weicher lsjand streicht sie seine miide Stirn. Eis ist ein Liebkosen seiner Seele.« Roman Meschnow stöhnt aus« Er preßt die zitternden Fäuste über die Ichmerzenden Augen; sie spricht wei ckö W »Bei-zähen Sie, wenn ich Jhnen Weh bereite, aber die Liebe der Menschen ist gleich, wenn auch ein jeder nur dem Wert der eigenen glaubt. Wie Sie liebten, liebte ich und mein Mann, lieben Tausende und Millionen ans dieser Welt. . . . « Roman Meschnow knirschte mit den Zähnen; die Ohmnacht des Arz tes vereint sich in ihm mit der Ohn macht des Menschen. Warum? Wa rum starb sein Wein Warum quält ihn die Fremde? »Im Anfang ist es zn tragen. Da hat man die Traum-, die eine Fort setzung der Liebe vortäuscht; aber denn kommt die große Stille ym uns, das schreckliche Glück des Ver gessens; man sieht den Toten nicht mehr vor sich, man muß sich miihen, den Klang der tenren Stimme in sich toachznrnfeir Die brntale Welt neben uns geht weiter und gibt Und Wünsche nnd Hoffnungen. die wir nicht haben wollen, weil wir glau ben, denc Toten Treue schuldig zu sein. Doch der Tote ist ein bleichen der Knochenhanfen, der nichts weiß von Unserer sehnsüchtigen Liebe, die heißer brennt, je länger sie allein ist« Auf den bleichen Wangen der schönen Frau glühen rote Flecke. Sie hat die Hände verkranipft nnd starrt in den Schoß. »Was ist ein schneller Tod? Ein Gliicki Dass größte Glück aus Erdenl Und das »Gliict«, leben zu bleiben, ist das schwerste Los. Es ist bitter, daß der Mensch ohne den andern nicht leben kann, daß die Frau un niitz ist, die nicht liebt.« »Und der Mann?« »Der Mann kann den Tod suchen in seinem Beruf. Er kann sich über seine Feigheit beliigen.« Roman Meschnow nickt vor sich — hin: , »Sie haben recht, Sascha Krhlow; es ist ein großes Glück, daß ich Arzt bin; da kann ich den Tod am leichte sten finden.« Sascha gräbt die Finger ihrer Hand in seinen Arm: »Und mich nehmen Sie mit! Jch will die Kran ten pflegen!« »Der Gedanke-, ein Samariter zu sein, ist schön, aber die Ausführung ist schwer nnd das Ende ist häßlich. Die Cholerabaracken sind iibervoll: es sind wenig Aerzta und die An steckung ist groß.« Da siillt dasj- Weib vor ihm auf die Knie-. Sie hebt die gefalteten Hände auf zu ihm und stöhnt in tiefster Todesangst: »Nimm mich mit, Roman Meschs now! Ein Arzt mnsz gut sein; er musz Schmerzen lindern und darni herzig sein. Allein kann ich nicht wei ter leben; ich sehe meinen Mann nicht mehr. Gehen wir zu zweienl Drüben warten zwei Menschen, die auch einsam sind. Du mußt mich, Roman Mesclmow, in Deine Arme nehmen und hinüber führen, hinüber iiber die paar elenden Tage Leben, die wir noch leiden müssen. Roman Mesclmow, nimm mich mitt Nimm mich mit!« Sie umschlingt ihn und preßt den tränenuassen siops in seinen Schoß. Ihr zuckender, oerlassener Körper bettelt uin Wärme nnd Halt. Er legt den Arm um sie und streichelt ihren Scheitel. Sie zittert an allen Gliedern: ihre Finger suchen seinem Rock entlang· « »Du bist gut, wie mein Mann« » WOC Det gemütliche General. General Haus Herzog war Was fenches der schweizer Artilletie. Jn Thun war er so populär, daß man heute noch vom »Kanonenhan3«, wie die Thuner ihn nannten, sprechen hört. Aber nicht nur diesen Uebertre men hatten die guten Thuner ihm angehängt, nein, er war auch unter dem Namen ,,Regenmoli« bekannt. Man nannte ihn so, weil es sast je-. desmal regnete, wenn sich Hans Her zog in Thun zeigte· Einmal nun, es war an einein wirklich schönen Sommertag, nahm der General in Thun Trnppeninspeltion ab. Nach der Jnspeltion sprach er bei den Of fizieren den Wunsch aus, man möch te doch— im Militärgarten am Abend eine Zusaminenkunst der Ofsiziete nnd Soldaten inszenieren, wobei die Mnsit nicht fehlen dürfe; dies ge schah. Die Mannschast saß feucht sröhlich beisammen bei Bier und Wein, ein Gratistrunk, den Herzog gespendet hatte, und die Musik spielte einen Marsch um den anderen. Ueber Ermatten blieb das Wetter schön. Nach 10 Uhr kam Hans Herzog selbst noch geritten, begab sich mitten unter die Soldaten und hielt folgen de kurze Ansprache: ,,J bi z’Thun und z’W"citter isch schön, i verlange vo deine Manne, daß sie mir i Zu lunst nümine »Rägemoli« sägt.«