Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 04, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

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    Blum-Ebrin.
Wassersucht-MIC
(16. Fortschungx
«Lieber Jrnre, so ih doch endlich
diesen Gedanken auf; ich habe ja
einen Arzt befragt, sei doch ruhig
und mache uns diese lehten Tage
sticht-noch schmerzlichen als sie schon
ind.«
«Gott, Liia, toenn ich diese Furcht
nur bannen lönntel«
Sie schwiegen eine Weile.
Dann nub ere wieder an: Wicht
wahr, mein Liebling, Du gehst nach
Lussini Du haft es ja gesehen, oasz
ich Erfolg hatte. Die Florenzek Kit
titen sind nach Berlin geschickt wor
)ven. und wenn nun auch in Berlin
gute Kritilen tacnnien, dann wird es
bestimmt schnell vorwärts gehen. JQ
tenne Deine Bedenken, ia, es ist
wahr, Bartels haben ihre Zimmer
vermietet, aber wenn Du ihnen sagst.
wie es mit Dir iteht, dann betounnst
Du ohne weiteres Dein alteL lieb-es
Giebelstiibchen, und es währt ja nicht
lange, bis ich alle Ausgaben siir Dich
ersetzen konti. Kannst Du nicht ein
wenig leichter über diese Dinge
denken?«
Lisa holte die unterredung rnll
Frau Hoser niemals vergessen« aber
sie wollte Jrnre das Herz nicht schwer
machen.
«Sorg Dich nicht, Liebster, ich
bleibe nur solange hier, wie unser
großes Vermögen relcht,« sagte sie rnil
einem schwachen Versuch zu scherzen
»ich oerdiene ja auch noch. Je we
niger Schulden wir machen, um so
besser siir die Zeil, die kommt. Wir
haben dann ja noch einen lieben
Dritten.«
»Oh, Lisn. Du glaubst immer, daß
es ein Bub sein wird!·«
«Jn, Jrnre, Dein kleines Eben
bild.«
«Ach, Du Liebe, Gute, es isl ja so
gleichgültig, wenn Du nur gesund
bist und wenn ich nur bei Dir sein
kann-«
.Lnsse uns von dem Kinde sp:e.««zon
Jcnre, von dem dunkelhäutigen kleinen
Burschen mit den schönen, stahlblaneis
Augen.« sagte Lisa.
Und nun verloren sie sich in Er
zählung darüber, wie ihr Kleiner mis
sehen, was er tun würde, wie er die
herzigen Fäustchen halten, wnnn er
wohl zuerst lächeln würde, und m all
die tausend Virmutungem Fragen
und Bilder, die wieder und inttner
wieder die Wonne junger Eltern sind
Dreiunddreißigsies
Kapitel.
Das war nun alles vorüber« all
der Schmerz, all die lehten Wonnen.
ere war längst in Berlin, und Ltsa
trug jeden Tag das schwere Bündel
ihrer Sorgen und Pflichten.
Ein llarer Spätherbsttag
Müde und einsam stand sie am
Arnouser, lehnte am Geländer und
sah den Weibern zu, die unten am
Fluß hoctten und vuscheru
Eine Steintreppe führte zu ihnen
hinunter, sie inieten aus schweren
Steinplatten, reihend, spülend und
unaushörlich schwatzend und lachend.
Wie sie stand und schaute, löste sich
langsam der Druck, der Lisas Seele
betastete.
Das war ia die alte Schönheit des
geliebten Florenz, verilört durch eine
durchsichtig reine Mittagsstunde.
Würmer war es geworden, noch
waren es sonnige, srohe Tage!
Der Arno wälzte tra« e, gelbe Flu
ten heran. die Frauen To unten mit
den ausgesieaten Rücken brachten herr
liche Furt-stecke rot, blau, grün, gotos
braun. in das Graugelh des Wassers
und der Steine.
Die Wäsche lag, bunt übereinander
geschichtet, in Hausen neben den
Wäscherinneiu Von jedem dieser
Partien siosz ein blitzendes Gerinnsel
in den Arno zurück. Die Sonnes
meinte es gut
Das Schönste aber war drüben der
Poute vecchio. Wie Schwachennesieri
an einer Mauer, klebten die vielenl
bunten höugchen der Goldschmiede an
der alte Brücke zwischen dem mäch
ti en U terdau und dem oberen, dun
te rot geoeaten, geschlossenen Gang.
An einigen Stellen fehlten die kleinen
hausen da schwangen sich breite
Bogen empor und ließen einen Durch
blict aus den ilarblaucn himniel srei.
Das war alles töstlich, herz
ersrischendl
Lisa nahm sich vor, zur Pensions
inhaderin zu gehen, die sie so oft
empfohlen hatte, und wenn sie ihr
teine Stunden verschaffen tonnte, so
würde sie ihr wenigstens gestatten, die
deutschen Zeitungen durchzusehen;
irgendeine Not-z iiver ere konnte
darin stehen, und datt war schon ein
Trost in diesen langen Tagen des
Mariens.
Wenn ere nur häufiger geschrie
Iden hättet Der letzte Bries war vor
sehn Tagen angekommen und gab so
wenig Antwort aus all die Gedanken
und Fragen ihrer oieten Briefe. Ein
leiser, zärtlicher Vorwurf lief zwischen
den Zeilen. Sie hatte doch so ost
geschrieben! War denn die italie
nische Post wirklich so unzuveriässigf
Lisa lehnte sich schwer auf das
eiserne Geländer, das Bild der lachen
den Wäscherinnen nicht loslassend.
Gewiß, ere hatte ett ihr ost ge
Hage, wie schwer es ihm würde, seine.
I herzensgedanken niedersuschreiben .
und die vielen äußeren Dinge des rat-T
lenden Tages hätten so wenig Was
meinte er, wie die sehe-statische Ein
teilung eines Stundenplanes.
Ja, die Stunden müssen innerlich
gelebt sein« dachte Lisa. sonst haben
sie keine Farbe und lassen uns leer,
aber nun wir getrennt sind, ist jedes
Wort, und wenn es nur von Autags
iichkeiten berichtet. ein Kern, den
unsere Gedanken mit oielgestaltigen
Erzählungen umkleiden. Vielleicht
find es Dichtungen, Märchen. aber sie
sind Labsal sür unsere Seele. —- —
Ein kräftiges braunes Mädchen
kam die Steintreppe empor, einen
Korb vor sich hertragend. Es war
die Tochter ihrer Wäscherim
Lisa grüßte hinüber. Es war to
gut, einmal ein bekanntes Gesicht zu
eben, ein Gesicht, das oft lachend zu
mre ausgeschaut hatte.
»Ist der Herr noch verreist, Sig
nora?'«
«Ja, und sür lange Zeit.«
«Will Signara nicht mitteiseni’«
»Es geht leider nicht«
»Ah, abt« machte das Mädchen be
dauernd und sah Lisa aufmerksam
an.
«So ein schöner herr,«' rief sie,
weitergehend, zurück·
Lisa lächelte, sie freute fich.
Bald aber tehrte die eine Frage
wieder: «Weshalb schreibt ere
nicht«-«
Damals· als ich in Zara war, so
tröstete sie fich. hörte ich nichts oon
ihm, wortlog hatten wir uns zusam
mengesunden, und sein Schweigen
war mir teuer, zog mich fest zu ihm
hin, war für mich wie eine Knospe,
ooii der man weiß, daß die Zeit ihres
Blüt-eng toinint; und ietzt bin ich
inutlos.
Zehn Tage —- eine lange Zeit, eine
turze Zeit, fe nachdem, wie empfind
slich oie Wage unseres Herzens ist.
i Zehn Tage, und vorher waren es
sacht Tage — ach, eine lange Zeitl
« Lisa zog ereö Brief hervor
’Seiiie steile, etwas unbeholfene
Schrift hatte für sie etwas unfagbar
Liebes, ganz Persönliche-.
Mit verdunkelt-n Augen betrachtete
sie oen Brief« nichts anderes sehend
und hörend
Das braune Wäscherinädchen tain
zurück.
»Signora, ich würde doch reifen!««
sagte iie lächelnd nnd wies mit dem
Ston auf oen Brief.
«Wer weiß, Franiesra, vielleicht tue
ich es," sagte Lisa.
Sie zog ihre Uhr. nun war es
Zeit, sie tonnte zur Pension gehen.
Als sie in oie Diele trat, ging
gerade die Wirtschafterin vorüber.
»Sie wollen Frau Grandini spre
chen«i’« sagte sie unfreundlich. «Da
haben Sie den Weg umsonst gemacht,
Frau Andrasz Frau Grandiiii ist
nicht zu sprechen, sie oerreist in den
nächsten Iagen.«
»Wenn Frau Grandini nicht zu
sprechen ist, dann — —«
«Rein, nein,« unterbrach sie die
Wirtschafterim »Sie waren ja in der
vorigen Woche hier; Frau Grandini
kann Jhnen heute nicht mehr fagen
als damals, und sie hat keine Zeit.«
Lisa war ganz betroffen über die
dreifte Antwort der sonst recht freund
lichen Frau.
Da trat der Portier aus einem
angrenzenden Zimmer, dessen Tilr
halb angelehnt gewesen war
«Gniidige Frau,'« sagte er höflich,
»kann ich vielleicht mit irgend etwas
dienen-P
«A ja, lassen Sie mich die beut-«
schen eitungen durchsehenl«
»Gern, gnädige Frau. Wir halte-if
im Winter allerdings nur eine deutsche
Zeitung, und die neuefte Nummer ist.
drinnen im Leseziinmer, aber wenn’
Sie einen Augenblick warten wollen«
hole ich Jhnen die Zeitungen der?
letzten acht oder zehn Tage«
.Bitte, tun Sie das,« sagte Lifa
erfreut.
Der Portier verschwand und brachte
einen Pack Zeitungen mit.
Lisa« die zufällig kein kleines Geld
bei sich hatte und danlbar für die Ge
fälligteit des Mannes war, reichte
ihm einen Lite.
Der Portier bedankte sich mit
tiefer Verbeugung und öffnete ihr die
Türe.
Das Mittagsbrot ifi nun ver
schmerzt, dachte fie, ein Lire war da
hin — aber Lisa trug eine bog-num
mit nach haufe, und diese ho nung
trog sie nicht.
Eine längere Notiz, die darauf
schließen ließ, daß eres Spiel
größte Beachtung gefunden hatte,
teilte mit, daß ere am 28. Novem
ber, alfo zwei Tage später, ein Zion
zert geben würde —- —
Nieniand entschuldigt fo leicht und
gern wie eine liebende Frau.
All am fünften Dezember noch
keine Nachricht von ere Lan-, und
ein zehrender Kummer der Genosse all
ihrer Stunden geworden war, ging
Liia zur Post und telegraphkertr.
Am Tage darauf kam eine Ant
wori.
Bleich und bebend riß sie das Pa
pier auf. Da stand:
«Weöhalb so besorgt, alles gut,
mit Arbeit überhäuft Viele Grüße.«
Sie warf beide Arme auf den Tisch
iind weinte bitterlieh.
Das war eref »
Es schwerste sie, als hätte eine
harte Hand ihr herz zerdrückt !
Je länger sie weinte, sich in ihremI
Schmerz oergriih, um so heftigers
»fchiittelte er sie.
, Das ist erei fragte sie sich im
imer wieder verzweiflungsvoll Was
:ift über ihn gekommen, was hat ihn
Evergifteti —
s Sie las nochmals das Telegranini
Es lag on der Kante des Fisches-, to
wie sie es hingeworfen hatte.
Jhre schmerzenden Augen prägten
sich alle Worte ein« bis sie in ihre
Seele eingebrannt waien.
Lisa sprang auf und lief auf den
Balsam Sie hätte laut schreien
können. Sie reclte die Arme nach oen
ziehenden Wollen und stöhnte in
tiefer hilflosigteit. Sinnlos rannte
tie hin und her. Dann nahm sie ein
Tuch, wie eine Frau aus dein Volle,
nnd stürzte ins Freie, den Arno ent
lang, über die Brücke, den Weg nach
San Miniato hinauf.
Es war einsam nnd dunkel, aber
neben ihrem bitteren Leid fand tein
anderes Gefühl Raum.
Sau Miniatoi Ah, da hatte er
gestanden, Mitleiden in dem seltsam
schönen Gesicht
Und er, er! — —
Nein, es ivar nicht möglich.
Was hatte nur in dein Telegrainin
gestanden: alles gut, ja, alles gutl
Warum weinte sie so sehr?
Eine tiefe Erfchlasfung zog ihre
Glieder nieder.
Nun erst empfand sie die furcht
bare Einsamkeit ringsumher.
Es raschelte in den Büschen — und
all die Leichensteine hier oben aus
dein Friedhof —- ah, was war das
—- da regte sich etwas. — —
Und wirklich schritt eine verhüllte
Gestalt über den Kirchplatz.
Lisa verharrte in eisiger Ruhe
Wer tonnte es sein? —- Ach, doch
wohl nur ein Pater von San
Mir-into.
Die Gestalt kam näher.
Lisas trankhaste Angst zersieL
i »Wünschen Sie irgend etwas?« —
’Ja, es war ein Mönch
! »Nein, nichts --— ich habe schweren
;Kumrner.« Wie eine Erlösung brach
jes aus ihrem Herzen
Der Mönch blieb ruhig neben ihr
sstehen und wartete, bis Lisa ihre
Tränen trocknete.
. »Ja, das ist unser Los. Unser
lHere-i is: nicht eher ruhig, bis es ruht
ot«
Lisa dachte an den Dominitaner
im Klosterhof von San Marco, der
ihr an dem Abend, als ihr Glück sie
mit lristallener Schönheit umschloß,
das kleine Madonnenbild geschenkt
hatte: ,Wir brauchen sie alle diese
Madonna, die Madonna von der
immerwährenden Hilfe."
Oh, ihr glücklichen Gläubigen,
dachte Lisa —- und doch tat es ihr
wohl, daß ein Diener des Herrn neben
ihr stand und sanft zu ihr sprach. ’
Alles gut, hat ere gesagt,
schluchzte ihr wundes Herz.
.Jch werde Sie ein Stück beglei
ten,« hörte sie den Pater sagen. und
willig stand sie auf und ging mit ihm
zum Viale dei Colli.
Als der Weg heller und lebhafter
wurde, blieb der Mönch stehen. Sie
hatten lein Wort gewechselt.
»Ich muß nun zurückgehen,« sagte
er schlicht.
Lisa sah ihn an, sie sah in ein
junges Gesicht.
»Ich danle Jhnen,« sagte sie und
wollte ihm die Hand reichen. s
Er sah die Hand nicht. s
«Gott segne Sie und tröste Sie,«"
sagte er freundlich.
Wieder vergingen lange Tage dess
Mariens. Da packte Lisa eine solches
Verkweislung daß sie an ere
kchr eb sie wolle alle- verlausen, waöj
hätte, und zu ihm nach Berlin
kommen. !
hre baren Mittel waren so gering
da eine Reise ohne diesen lestens
Schritt unmöglich war.
Dieses-mal erhielt sie umgehend eine
Karte von Frau Hosen vie mit über
schwenglichen Worten von Jtnreg Er
folgen berichtete.
An ver Querseite der Karte stand
von eres Hand geschrieben, flüchtig,
nachlässig, gar nicht in der steilen,
unbeholfenen Schrift — und doch un
vertennbar eres Schrift — »Ich
bitte sehr um Verzeihung, bald
kommt ein langer Bericht. Wir ton
zertieren nun in einigen größeren
Städten von Westveutschlanv.«
Lisa war wie vernichtet. Jhr
Schmerz war in dieser furchtbaren
Zeit des Warten-Z, täglicher, grauen
haster Enttäuschung täglicher, leiden
schaftlicher Ausbriiche zu einem zucken
vcn Elend zusaminengesunlen.
Jhre tränenlofen Augen starrten
auf die bunte Karte. Sie huchstas
vierte, wie ein Kind, die Druckschrist:
«Blict aus das Brandenburger Tod«
So, so, er konzertierte in West
deutschland, dachte sie, ihre Zunge lag
ihr schwer im Mund.
Sie merkte plötzlich, daß sie immer
sort auf den Tisch klopfte, es war ein
häßlicheö, tnöchernes Geräusch und sie
konnte doch nicht aufhören.
Dann habe ich es ja sehr gut, tann
hier bleiben, immer hier bleiben, so
ratterte ihr zermärbteö Gehirn wei
ter, tann zum David von Donater
gehen, zu dem schönen, jungen David,
der ihm so ähnlich sieht, ach. so»
ähnltchl s
I Ja, er hat ein Schwert —- pder has
»er lein Schwert «- eine Schlender. —
»Sie stand schwersälltg auf und plap
iperte vor sich hin.
) Sie kleidete sich ganz langsam anz
Iund legte sich Zu Bett. Es irnr
lheller Tag, aber Lisu schien alles in
ldunteL
Sie sah das gesentte Gesicht des
jungen David, es hatte eres Zügel
—- sie veränderten sich wurden zu?
einer Grimasse —- das Medusenhauotj
starrte sie an — sie hörte einen Aus
schrei — ihre eigene Stimme — und
dann senkte sich die Decke des Zim
mers tief, immer tiefer aus sie herab.
Mitten in der liaeht erwachte -’ita.
griff um sich, richtete sich empor, ver
suchte zu denken, aber es formte sich
kein klares Bild. Sie stand auf, trani
hastig ein Glas Wasser und legte sich
wieder nieder.
Am andern Morgen war ihr«
wohler.
Sie sah die Karte, betrachtete sie
lange, schloß den Koffer auf, entnahm
ihm eine Handvoll Briefe, band die
Karte darauf und stand unschlussig
das tleine Palet in der hand.
Sie wog es, lächelte bitter: »Es
ist zu leicht befunden,« tagte sie halb
laut, dann legte sie es in den Kaiser
zurück.
Sie kleidete sich an. Als sie ihr
langes, blondes Nat kämmt-» schüt
telte sie ein trockenes Weinen.
Unzahlige Male hat er sein Gesicht
darin vergraben, dachte sie.
Jhre Zähne schlugen zufammen, sie
mußte sich setzen.
Wie sie so auf dem Rande ihres
Bettes saß und die Woge ihres Jam
mers sie zu zermaliuen crohte· iuhjte
sie plötzlich, wie das junge tErben sich
in ihr regte.
Die Händchen, dachte sie, es streckt
die kleinen Händchen nach mir ans!
Sie zitterte; regungslos blieb sie
sitzen. Und wieder diese dehnende,
zuckende Bewegung.
Lisa neigte sich tief, ihr Herz
weinte·
Armes-, Kleines, Ungeborenesi Dich
hatte ich vergessen.
Hilflos, ganz hilflos — und ich
gab Dich allen Stürmen preis.
Sie saß lange, sann und sann, und
aus all den wirren Bildern löste sich
endlich der klare Gedanke: ich nuß
leben, für das Kind leben. , s
Jch habe nicht das Recht, um eines
Schmerzes willen, der mich, eine’
Mutter, betroffen hat, zur Mörderin
zu werden
Die Tage, die nun lamen, schlichen
an Lisa vorüber, als getrauten sie
sich nicht, in diese leidvollen Augen
zu sehen.
Lisa gab keine Stunden mehr; sie
saß in ihrem Zimmer und nähte. aim«
tin den Straßen umher und wandertei
stundenlang iiber Wege, die sie nieU
mals mit ere betreten hatte.
Sie weinte nicht mehr.
Bislveilen lam ihr der Gedanke,
daß sie um des Kindes willen Schönes
sehen müsse. Dann ging sie in ein
Museum und saß vor den rührenden
Madonnen mit den pausbäckcgen,
schönen Christuslindern.
Oft tam es vor, daß ein Wärter sie
aufforderte. zu gehen, da die Be
fuchszeit abgelauer fei. Dann stand
sie auf und ging. Sie wußte nicht«
wie lange sie vor den Bildern gesessen
hatte.
Einmal ging sie nach San Marco
sie wollte die unendlich zarten, über
irdifchen Fresten des Fra Angelico
betrachten.
Da öffnete ihr der Mönch, der
ihnen Einlaß gewährt hatte, als
eres und ihr Glück zu groß war
als daß sie es auf die iärmende
Straße hätte tragen lönnen.
Der Mönch sah sie an, aber er er
tannte sie nicht.
Lifa roar so gebrochen, daß Iie vie
alten Zellen der Brüder mit den herrsf
lichen Freslen nicht sehen tonn·e.
Sie feste sich in die Pilgerherberge
und gedachte des Gespräches, das sie
an dem liictfeligen Abend mit Jnire
geführt atte, und zum ersten Male
hob sich der zage Gedanke: Wäre es
möglich, daß irgendeine vorüber
gehende Triibung, vielleicht der Rausch
großer Erfolge, meinen ere fo ver
wirrt hati Er ivar doch die Lauter
teit und Güte selbst. Es ift unmög
lich, dachte sie, daß ein Mensch de:
wirklich den Gott im herzen trug, fis
fchnell und tief sintt wie die gestürz
ten Engel, die sich in ihr Gegenteil
verkehrten, als der Herr sie im Zorn
verstieß.
Sollte denn ere, in dem alles
Feine und Jnnige geschlummert hatte
wie eine Perle in der fest ver
schlossean Muschel, sollte dieser selbe
Mensch in so kurzer Zeit zur Bruta
lität herabsinken iönnens
Nein, das war za nicht denkbar!
Sie mußte es trotz allem versuchen,
ihn zu sehen, ihn zu sprechen, sie
mußte Klarheit haben, durfte nicht
verdammen, ehe sie gehört hatte.
Lisa ging nach Hause zurück und
erwog, was sie tun könnt-, um eine
Verbindung mit ere herzustellen.
An den Professor schreiben? Das
hatte sie einige Male getan. Dann
erhielt sie eine frohgelaunte skartr.
Ihren Kummer konnte sie ihm nicht
mitteilen, das war etwas an dem
ihr eigenes Verstehen zerbrach; wie
sollte der liebe alte Herr ihr eine Er
tlärung geben tönneni
Und Beutel-f Frau Bartel hatte
ihr kürzlich noch einen langen Brief
geschrieben. Sie war so ahnungölos.
Wie sollte sie ihr auch helsen, wie
roten?
Es hlieh ja nur der eine Weg, sich
durch eine deutsche Zeitung dar-»Aber
zu unterrichten, cvo Jmte wor, und
dann zu ihm hinzurcisen, selbst mit
ihm zu sprechen.
Sie ging zur Pension Gransini
und hat den Bottich vie deutsche
Zeitung jeden Tag für sie Unzu
bewahren, sie würde kommen und die
Zeitungen holen.
Das brachte ihr einige Beruhigung
Zweimal in der Woche ging sie zu
Graudini. Dann saß sie ain Abend
in ihrer talten Mansarde und suchte,
suchte —- -- —
Lisa sparte, wo sie nur konnt-» sie
hungerte, stor, ging mit zerrissenen
Schuhen und hatte ein eins-ges, auge
nutztes Weit-, das sie in ihrem is.tzigett
Zustand tragen konnte.
Sie mußte ja Geld haben, um tei
sen zu rennen.
Die tleine Summe schmolz immer
mehr zusammen, schließlich hatte auch
der Verkauf ihrer wenigen Haosclig
teiten nicht mehr genügt; —- uno
teine Zeitungsnotiz gab ihr kinen
Fingerzeig
Lisa zog die alten, eigentümlich
gefaßten Ringe von der Hand, die
ere so gern gesehen hatte. Sie
ioollte sie verlaufen, aber ato sie aui
dem Ponte vecchio stund, fiel es ihr
httter schwer.
Es war ihr,a als verkauft e sie onn: it
ein Stück ihrer Heimat, als Jeginge
sie einen Frevel an den Händen, Die
oiese Ringe einst getragen. und ciie
ihre Eltern und Großeltccn vielleicht
gesegnet hutten.
Sie lehrte in das große Liliiershaus
zurück, in dem sie wohnte, uno ging
mühsam die steile, schmale Treppe
hinaus
Unter ihrer Tür lag eine Postlarie
Wie ihr Herz schlug.
Hans Gstedtner wünschte ihr ern
frohes Weihnachtgsest.
Mit zitternden Knien setzte sie ach
an ihren Tisch und schickte allen Be
kannten Griisze zum Weihnachtzsest
und ihrer Schwester Gretei, die nun
auch bald Mutter wurde, schrieb sie
einen langen, harmlosen Brief«
Das hatte sie ganz oerge ssen
Weihnachten, sa Weihnachten!
—------————
Und doch kam eine Ueberraschung.
Ein Paket mit hübschen Dingen von
ihrer kleinen Schwester und was viel
mehr, die Mitteilung, daß sie ihr
gleich zu Anfang des neuen Jahres
eine Geldsumme überweisen lönnez
sie werde allerlei für den erwarteter
tleinen Erdenbürger brauchen und
auch für sich selbst. Sie solle sich
doch schonen und pflegen und nicht
gar so sparsam sein!
An dem Tage ging Lisa zum ersten
Male wieder nach San Miniato.
Sie hätte gern den Mönch gesehen,
der sie getröstet hatte, sie wollte einein
Menschen danken können.
Sie sah ihn nicht.
Als Lisa in die Kirche ging, strich
ihre Hand liebevoll über die Türe des
Jupitertempels.
Sie fühlte wieder die Schönheit.
Drinnen hatte man eine Kripve
aufgebaut, vor der in bunten Gläsern
Lichter brannten.
Unter einem Strohda in einem
Stall stand die Krippe, arin ruhte
auf eine Strahlenkranz ein Jesuelint
aus Wachs, das eine lleine Hand seg
nend erhoben hatte. Neben der
Krippe standen Josef und Maria,
Hirten knieten davor und ringsum
weideten kleine Wollenschäfchen aus
grünem Moos. Ueber dem Dach des
Stalles schwebte ein Engel mit einem
Spruchband in den Händen.
Das alles war so kindlich und doch
in seiner Einfalt zu Herzen gehend.
Lisa betrachtete die Krippe und die
Menschen, die kamen und gingen
Manche schienen von wahrer Andacht
durchdrungen.
Wie schön müßte es doch sein.
dachte Lisa, wenn ich gläubig und
vertrauend, wie diese einfachen Men
schen hingehen tönnte und alles, wat
mich bedrückt, einen Priester faan
Es sind teine Sünden, aber er würde
mich anhören und er müßte alles in
sich verschließen.
So gehe ich einsam umher nnd
tann nicht einmal dem jungen Mönch
der mich tröstete und hinab geleitete
danken, und ich täte es so gern —
so gern möchte ich einem Menschen
etwas Gutes sagen.
Vierundzwanzigstes
Kapitel.
Kurz vor Neujahr las Lita in
einer Berliner Zeitung, daß ere
am zwölften Januar, abends 8 Uhr,
in der Philhnrmonie ein Konzert
geben würde.
Sie hatte zu viel gelitten, um oiet
bossen zu können, nur die eine Frage
brannte stündlich in ihr: wird due
Geld rechtzeitig antomrnenie
Sie wartete, wie ein Schiff
brüchige-« jeder Tag, der verrunn,
war wie eine Planke, bie dato-strich
Als die Not Lifa oöllig niederge
ztoungen hatte und sie entschlossen
war, ein Telegramm an ihre Schwe
ster zu schicken, kam das Gelb
Alle Vorbereitungen waren getros
fen; der nächste Zug trug Lita über
die Apenninen, durch die monotone
satte Poebene, wieder ins Gebirge
!hinein, tiher den Brennere ins deut
sche Land.
Sie sog die deutschen Worte, die
deutsche Art mit einer wahren Gier
em.
Ohne Untrbrechung war sie ge
fahren.
Jn München, das sie mitten in der
Nacht erreichte, fühlte sie sich to
Ichioach, daß sie in das nächste hotel
ging und sich zu Bett legte.
Dann ging die Fahrt weiter, dieses
Mal bequemer-. Jeder bemühte sich,
der gesegneten Frau behiiflich zu fein
Ats sie in Berlin ant;m, hatte Das
Konzert bereits begonnen. Liia fand
iii einem kleinen Dolch in der Nähe
des Aiihalter Bahiihofs, Untertunfl.
Sie ioulch sich, säuberte ihre Kleider
ooin Staub und fuhr zur Phil
harinonle.
Jn dein langen Gang, der unter
Koloiiaden hindurch zuin Eingang in
das itonzerthaus führt, waren große
getbe Platate angeheftet, oon denen
ihr Jiiires Name entgegenleuchteth
Die Kasse in der Enigangdhalle
war geschlossen« aus dein Saale drang
orauienoer Beifall.
Lifa ging auf einen betreßten Die
ner zu und fragte ihn, ad sie irgend
ivo eine Eintrirtstaile taufen und den
Schluß des Konzert-H huren könnte.
»Nein, es hat auch teinen ;-3-veet«,
sagte er turz, »das Konzert ist ja zu
Ende.«
Und wirklich strönite jetzt ein wah
res Menschenmist-et aus der Saat
ti.ic und ituezte sich niiis die Gnidecdi
ben.
Sie wandte sich michan un den
großen tinitiicheir Diener.
»Ich möchte Herrn Und-as seyen",
,agte iie dringend, mit vor Angst ge
ideiteten Augen« »was muß ni, da
tun?« «
Oek Mann snh sie nn, sah ihren
Zustand und ihr dteicheg Gesicht.
Freundlichet erwiderte et:
»Dann gehen Sie nut cnal nach
:-orn", er ivteg niit dein Finger nach
der Straße hin, »vor dem zweiten
Ausgang rechts- ivetden die Autoniddis
te stehen, da muß et hekuugtonimen.«
Lisa dankte in uieintoier Eieegung.
Der Diener hatte teine Zeit ciiehi,·,
für sie i
Sie eilte durch die siolonnade zusi
kiict und sat; sich nach dein bezeichne
ten Ausgang und den Autonioviten
um.
Reben einein der Ausgänge stand
rechts und tints eine Schar Neugie
kiger, junge Mädchen und Frauen,
und hetumlungernde Männer und
Frauen aus dem Voll.
Lisa sprach eine hübsch aussehende«
junge Frau an, die ein Spinentuch
um den Kopf geschlungen hatte.
«Entschuldigen Sie, ist dies der;
Ausgang siir die Künstletf«
Die Frau sah mir fröhlichen Au
gen zu ihr hinüber.
»Ju, hier ists richtig,« dann faßte
sie eine Bekannte unter den Arm.
»Andrus ere muß gleich kom
men, ivir werden ihn aus nächster
Nähe sehen, er ist — —«
Das Gespräch verlor sich in dem
Geräusch der vielen Stimmen.
Jrnmer mehr Menschen drängten
sich zu diesem Ausgang.
Lisu schob sich hinter eine Gruppe
Wartender, doch so. daß sie den zwei
ten, mattbeleuchteten Kolonnadenrvegz
aus dem Jnire kommen inu te, und
die Automobile im Auge behielt.
Sie lehnte sich an einen Mauer
oorsprung, die odere Hälfte ihres Ge
sichts war mit einem tröftigen Schat
ten wie mit einer Masle bedeckt.
Noch wenige Minuten gedankenlod
ser Starrheit, da schritten herr und
Frau Hoser und ein elegantes, zier
liches Mädchen durch die zur Seite
weichenden Menschen.
»Sein Lehrer aus Wien,« hörte sie
die junge Frau sagen, «einer der
ganz Großen; was sur ein gutes Ge-l
sicht er hatt«
Die drei blieben stehen« sprachen
und lachten und sahen den Gang hin-·
unter.
Lisa konnte nicht verstehen, was sie
sclgteni r
Eine furchtbare Erschiitterung
schnürte ihr Herz zusammen, ihre
Glieder hingen schwer in den Gelen
len, sie starrte gebannt zu der klei
nen Gruppe hinüber«
Das junge Mädchen machte eine
Bewegungs als sei ihr zu warnt. Sie
öffnete en kostbaren Mantel und
hielt ihn cnit beiden Händen Ion sich
ab. Zwischen dem dunklen Pelzbei
satz des Mantels rieselte tnacsgelbe
Seide nitt bunter Perlstickerei, um
den Hals trug sie einen hängenden,
großen Smaragden, das braune Haar
war in der Art der mittelalterlichcn
Pagen eckig verschnitten, es bedeckte
in einer scharfen Linie die halbe
Stirn. Aus den dunllen Augen
sprang helle Ungeduld.
Die Frauen neigten sich vor, um
das pilant aussehende, elegante Mäd
chen und ihre schönen Kleider näher
betrachten zu tönnen.
(Fdrtsetzung folgt).
— Genau. Kahltöpfiger Pro
fessor: ,,Schneiden Sie mir das
Dankt"
Lehrling: »Aber Sie sind doch
Iganz kahll«
s Professor: »Hören Sie gefälligst,
»j«.nger Mann, das Haar habe ich ge
sagt, eines muß noch da seinl«