Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 28, 1916, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-blast de
Staats Anzetger und Wer-old
Neb ,Dvu M
W«
Slizze von Dora Baudert
Man sprach von Messina. Das
heißt, nur ein einziger sprach. Und
das war der sonst schweigsome Stu
dent. mit dem sizilianischen Kot-se
Er war plöslich der Mittelpuer
einer großen Gesellschaft geworden
»Wer ist der Sprecher?" hörte man
fragen, und man erhielt zur Ant
wort: »Es ist Mario, der Philoso
phe...«
Er hatte eine angenehme, fast
singende Stimme: man hörte sie
gerne, nnd der Vortrag war flie
ßend. Erst spät löste sich der Kreis.
Man sah weiße Kleider durch dir
Bäutne schimmern. Der Sprecher
stand allein. Da tat ein allbekann
tes Mädchen in srensdliindischer Be
tonung eine Frage an den Stu
denten. Es war, alsI ob er erst setzt
auc- seinetn Sinnen aufwachte Er
sulsr sich mit der Hand über die
Stirne und machte em lsilsloses
Gesicht sn diesem Augenblick kam
die Herrin des Hauses nnd bat die
Gäste in das Ulluiitziunner Es er
gab sich, dass die Unbekannte mit
dem jungen Manne als die letzte
den Pakt durchschritt. Beide schwie
gen. Und dasti Schnusigen hatte
nicht-J Bekleiniisende-:» wie est- sonst
der Fall sein mag zwischen zwei
ganz fremden :ll·’ensclseu. Nur das
lsilsloss Staunen mich nicht von dem
Gesichte des Studenten Vor der
Treppe, die zur Terrasse führte, sag
te er: »Wir werden gute Musik hö
ren, Giuseppe Barlsleri ist hier-"
Jni Musikzinnner war lein Platz
mehr frei. Aber aus der Terrasse
standen noch Korbstiihle lind wie
sich die Fremde setzte, nannte sie ih
ren Namen. Der Student wieder
hclte ihn sast unbewußt und andach
tig: ,.Elisabeth«.
Der Künstler- ein Tendrs«·"ått3
Sardinien, hatte zn singen begon
nen. Eines jener Lieder-, die man
in Neapel aus den Gassen hört und
die Lachen nnd Tränen auslösen
Der junge Philoiouhe dachte salaens
dess: »Nun sitzt diese seine, helle
Elisaheth hier unter siidlichent Hint
tnel nnd hört die Seele dieses Lan
des sprechen, und ich habe das na.
nienlose Glück, bei ihr sein zu diiri
tru. Wie wunderbar ist das Le
ben«
Wiederum lam die Herrin und
legte dem Mädchen ein Tuch um
die Schultern. Und der Student
träumte weiter: »Wie weich ist die
Stimme, mit der sie sich bedankte
Jch möchte ihr jede Minute etwas
gehen, um sie sprechen zu hören
Jnnner mehr, immer mehr, bis sie
lachen würd-. Wie köstlich muß ihr
Lachen sein. Ich aiibe meine Weiz
heit siir ein Lächeln von ihrem
Munde. So also sehen nordische
Frauen ans, jo kühl, so herb, —-so
tmsagbar schön.
I
llnd in seinem heiligen Staunen
hörte er nicht, daß der Tenor seine
Lieder beendet. Aber er sah, daß
eine Träne über des Mädchens
Wange floß. Langsam glitt iic
herunter, und Elilabeth ließ es ge
schehen. Da war eg dem Jüngling
als schaute er in die Tiefe eines-«
Seeis, und er entdeckte ungeahnte;
Schätze llnd alles war so überwal-»
tigend, so uuiaßbar, daß er die Ans;
nen schloß, unt den Sturm in sei-!
nein Innern austoben zu lassen. Alsl
er wieder attiichaute, fah er Elilasi
beth von einein Kreis von Men-!
schen umgeben, die auf sie einredesi
ten. Sie stand mitten unter ihneni
wie eine Königin. !
. . I
Eis war einige Tage später-. Als’
der Student mit seinem Buch durch
den Garten schritt, hörte er Stint
Inen hinter sich. lind wiederum kam
.« es- ioie Betäubung über ihn. Es tvar
ex
die Stimme, jene Stimme- die ihn
nicht mehr verlassen, leit er Eliias
lseth gesehen. —- Er lehnte sich an
die Mauer nnd wartete. .Wie eine
Beatrice ichreitet iie," dachte er.
,.Eine nordische Beatrice. Dante
müßte lie so gescheit haben. Aber
nein, da blieben die nnveraeßlichen
Worte über ieine Geliebte unge
lchtxtiebety denn wer Eliiabeth er
bli t — ——'«
Sie war nun ganz nahe. Jhr
zur Seite schritt Frau Manni, die
Galtgebertn Die Frau und das
Mädchen hatten die Arme voll Blu
men- Bianca riei lachend einige
Worte itn Vorbeigehen Slilabetb
größte ruhig- aber in ihren Augen
lag ein freundliches Erkennen nnd
um den Mund zuckte es wie Lachen,
tiik daö der nnerth Philoios
dhe sogleich eine Erklärung fand:
Da steht et nun, und fchaut mir
nach, der sonderbare Mensch, der
einen Abend lang neben mir fas
ohne zu sprechen. Und er entgeg
nete ihr in Gedanken: Wie könnte
ich es wagen, zu dir su reden, ich
bete dich an, ich schaue zu dir auf,
wie zu den Göttersrauem die durch
die Biifche schauen, in marmorner
Ruhe. Jch möchte den Saum dei
nes weiszen Kleides an meine Lip
pen driickeu — —- —
Sie waren beide verschwunden
»auf dem weißen, sonnenbefchieuenen
iWege lag eine Blüte. Sie mochte
einer der Frauen entfallen sein.
Ter einstige Jesuitenzögliug hob sie
auf und liiszte sie —
s Noch immer war die Fremde der
Itfiast der anmutigen Frau Binnen.
JE-: war Hochfommen nud die Ilnis
Versität geschlossen. Der Student
;triel) fich ruhelos in den Gärten
»l)erniu und dachte an Elifabeth. Aus
seiner frommen Mariaverehrung
war eine leidenschaftliche Aubetung
fiir dieses hohe, dlonde Mädchen
gen-orden. Als sie ihn gestern um
eine granuuatilalifche Aufklärung
gebeten, waren fi«e in das Erzählen
nennen Sie interessierte sich auf
ihre llune Art fiir den Studien
nang des Sizilianers und zog Ver
qleiche »Ich liebe Jhr Land«, sag
te fie, ,,eg ist alles so mühelos und
natiirlich schön, und ich vergesse, daß
nur zu Haufe schwerfällig vor je
dem Ereignis stehen. Der Ernst
ist ung- in die Wiege gelegt, wir
werden groß mit ihm, wir fehen
durch ihn das Leben, tvir denken
Init ilnu nnd richten unser Tun nach
ihm.
- Und da vergaß Miakto scittc scheue
Hilslosigleit ihr gegenüber und er
zählte nnausgesordert: Mein Ba
ter starb, als ich zu klein war, um
Schmerz darüber zu empfinden
Die Mutter sah ich nie ohne ein
frohes-Lachen Sie war sehr schön
nnd von großer Zärtlichkeit Eines.
ist mir unvergeßtiche Als ich eines
Nachts ausmacht-, kniete meine Mut
ter bor meinem Bette und betete.
Ich ries sie beim Namen. Da riß
sie mich in ihre Arme nnd tiißte
mich. Und weinte so heftig, daß
mein Gesicht ganz naß wurde. Da
mals habe ich sie zum letztenmale
gesehen Meine schöne, lachcnde
Mutter hatte mich aus Liebe für
einen fremden Mann verlassen. Und
ich hatte sie doch aus Kinderart so
sehr lieb gehabt. Immer habe ich
mich nach ihr gesehnt nnd um mei
Ite sreudlose Jugend gelitten. Mit
den Jahren ist viel Bitterkeit in
mein Herz gedrungen. Ein Groll
gegen die Fran, die mich um meine
nindheit betrogen
Später wurde ich Klosterschüler
Jn jener Zeit habe ich vergessen ge
lernt, daß außer unserer strengen
Zucht noch etwas existiere, das schön
und wahrhaft gut sein könnte. Jch
habe diesen drückenan Glauben oder
llnglonben in meine Universitätszeit
heriiberaenommen Bis Sie kamen,
Elisabeth . . und diesmal erschrak
er nicht, sondern schaute ihr ruhig
ins Gesicht. Jhre Blicke beaegneten
sich seliindenlang· Und ein jedes
schaute wie durch einen Vorhang des
anderen Tiefe.
Sie lasen zufammen. Das heißt,
der Student las und Elisabeth hör
te zu. Oder dann schwiegen sie
miteinander. lind dieses Schweigen
war das Köstlichste, war wie eine
Offenbarung
Er ging feines Weges, den Kopf
gesenkt, wie es feine Art war. Auf
seinen scharfen Zügen lag ein ver-«
tröunites Leuchten-. Die eiäijxame
Straße wählte er, die zum eere
führte. Ging sie ganz felbftvergefs
sen· Der Himmel war von einem
fast harten Blau. Maria empfand
es beinahe ais körperliche-s Unbeha
gen. Ihm hätten die erlöschenden
Farben eines Frühlingstages besser
getan. Er dachte nach über das
Wesen jenes blonden Volkes, von
dem ihm Elisabeth gesprochen. »Es
ist von fchener Art, wenn es zu lie
ben beginnt," hatte sie ihm gesagt.
Es zieht fich hinter eine Mauer von
Trotz und Herbigseit zurück. Am
liebsten möchte es vor feinen eige
nen Gefühlen fliehen. Fliehen, unt
sie heraus zu holen, wenn es mit
sich allein ist. Lieder auf einer LiisL
ge ertappt werden, als auf fenti-«
nientaleu Anwandlungen. :
Tags daraus hatte er zu Qual-as
gesprochen: »Ich habe itschgedachts
iider das, was Sie niie über diei
Ewpsindungsweife ihres Volkes
sagten. Es ist eigentümlich und ich
kann nicht alles verstehen. Warum
seid Ihr zu stolz. um ehrlich zu
sein? Wir sind ganz anders.
geben und wir dürfen geben ir
lachen, und dürfen lachen Singen
und werden zum Singen aufgefor
dert. Und wenn das Lied nicht
genügt, so greist man zur Munde-I
line, nnd wenn der Tag zu kurz
ist, spielt man in die Nacht hinein
Es ist ein restloses Auskostem und
dies macht unser Volk heiter und
schön.« Wie er Elisabeth anschante,
verstummte er. Und er dachte still
an jene Menschen, die verschwiegen
lieben können.
Er hatte ihr ein Buch gebracht,
um das sie ihn gebeten. Sie hatte
ihm dankend die Hand gereicht. Er
aber zog in überschwellenden Emp
sinden ihre schlanken Finger an die
Lippen. Und dann sagte er leise
und ehrfurchtsvoll: Madgnnm
Frau Bianca war mit ihren Kin
dern beschäftigt. Elisabeth trat mit
Maria in den Garten. Und mit
seltsam verlorener Stimme sagte sie:
»Es nimmt alles ein Ende, in zwei
Tagen reise ich.« Was sich der
Student nicht auszudeuten wagte,
wurde ausgesprochen von dieser lie
ben, weichen Stimme. Da tani ein
nanienloser Jammer iiber ihn . ..
Er weinte. Es war ein lautloses
Weinen. Das Mädchen war blaß
geworden. Mit einer sast mütter
lichen Bewegung strich sie ihm das
Haar aus der eigensinnigen Stirne
und sagte ernst: »Wie haben Sie
mir Jhr gesegnetes Land so teuer
geniachtl Ich danke Jhnen Mariol«
Jhm aber war es, als durchtobte
er nochmals, nur niit verschärsten
Sinnen, die Stunde, als man ihm
sagte, daß die Mutter ihn verlassen
habe. Mit dem Unterschied, daß er
sehend geworden, und daß er diese-Z
Mädchen mehr liebte, als alles aus
der Welt.
Es war der letzte Abend vor der
Abreise. Der Matrose hatte sie
hinausgerudert aui das offene Meer.
Sie sprachen nur leise, als fürchte
ten sie ich vor ihren eigenen Stim
men. Ind sie sprachen, um nicht
schweigen zu müssen. Dies-mal hät
ten sie es nicht ertragen Der Schif
fer begann zu fingen, eine monotone
Weise, und vom Hafen her hörte
man scharfe, helle Stimmen. Ein
Schiff wurde feetiichtig gemacht
Morgen würde es Elisabeth fort
bringen. Sie wußten es beide nnd
hüteten sich ängstlich, davon zu
sprechen.
Jn des Mannes Seele aber be
gann es zu reden nnd zu rauschen.
Und wie ein Wildwaffet anfctnvilit, so
wuchsen und übersiürzten sich die
Worte in seinem Jnnern: wie nn
sinnig ist das Leben, wie zwei-flos
nnd quäle-id. Eine Masche-ein
Wirst uns Dinge in den Weg, da
mit wir fertig werden damit. lind
ehe es überwunden, kommt es lau
nisch nnd führt uns an eine andere
Stätte. Jch denke Tag und Nacht,
Stunde nni Stunde an dieses blon
sdey fremde Mädchen, nni es verlie
fren zu niüfsen!«
; lind das ilscadchen an seiner Jene
ltriiumte von dem Morgen: Jch spü
irix schon meine Heimat. Tief in
snen in meiner Brust tönte ein Lied,
leise nnd zaghaft, damit die Seele
nebelt mir nicht erschreckt. Jch
möchte ihr wohl tun, dieser heißen,
wahrhafte-it Seele. Und kann es
Jiiicht Tit-J zitternde Herz muß
Eallein zur Ruhe kommen O du
Innfaszlnireö Leben! Heilig und
jschön bist du. llnd morgen kommt
die Heimat«
Der Matrose sann unbekümmert
die letzte Streiche feine-I Liedes-.
» Sie hatten Abschied genommen
sMario war allein. Und in seinem
grenzenlose-n Schmerz unt Elisabeth
ergriff ihn plötzlich das Verständnis
Jsiir das Urgrwaltige der Liede. Von
dein Augenblick an, wo er dat- Mäd
chen verloren, erstand in ihm das
reine lächelnde Bild seiner Mutter.
Was sie auch getan, hatte sie eben
in über-mächtiger Liebe getan. Der
Schmerz seiner Jugend tunrde zu
einer wehmütigen, versöhnlichen
Seibftnerstiindlichteit. Er war nicht
mehr allein. Jhm ward von nenem
eine Mutter. Denn ein Mensch, der
um Liebe gelitten, versteht alles.
Judicium-stinkt
Von il-. A. Sch.
Er gehörte zu denen, die leichtes
Blut in sich tragen. Doch seine El
tern waren ernste. biedere Leute. Es
kam zu häufian Anseinandersetzuns
-gen zwischen Vater und Sohn, und
als er von dem Spiel mit dem Le
ben und den Würfeln nicht ablassen
wollte, zu ernstem Zerwürsnis. Der
Sohn mied seitdem das Vaterhaug.
Sein Name kam nicht inehr über die
strengen Lippen des alten Vaters.
Nur die Mutter, die weicher war,
hatte den Sohn nicht aus dem Her
zen stoßen können. Wenn sie auch
nicht deni Vater gegenüber offen von
ihm zu sprechen wagte, denn sie
kannte den harten, unerbittlicheu
Sinn des Alten —- so wußte sie doch
immer noch heimliche Faden zu
spinnen, derart, daß ihr von Zeit zu
Zeit Kunde von seinem Leben und
Schicksal zuging.
Auch) daß er nun im Kriege war
wußle sie. Hatte sogar dein Vater
gegenüber Andeutungen laut werden
lassen, daß wohl der Krieg den Jun
gen aus eine ernstere Bahn lenken
werde. Zum ersten Male hatte sie
wieder von ihm zu sprechen und siir
ihu zu bitten gewagt, bis ihr der
soarrsinnige Alte die Rede kurz abge
schnitten hatte
Dennoch gab sies’ nicht aus, denn
sie merkte wohl, daß die barsche Ab
wehr ihres Mannes nicht der Kern
seine-s Fiihlens war. Aber sie kannte
auch seine lliibeugsouilei!. Und so
begann sie heimlich selbst siir den
Jungen zu sorgen, den sie draußen
im Felde wußte .
Ju der Stille schnürte sie so man
ches Palet siir ihn, beschrieb so mau
ches Papier mit zittrigeu Zeilen,
und daß ihm alles wohltun möchte,
aber er solle nicht ichreibeu, der Va
ter wolle es noch nicht.
Eines Nachmittags-. als sie zusam
meu saßen, der Alte und sie, kam der
Postbote und brachte eiu Paletcheu,
,,Muster ohne Wert« stand daraus.
Es war an sie aoressiert, aber eine
fremde Hand hatte niit seinen zierli
chcn Zügen ihren Namen aus das
Päckchen hingeworfen. lind der Posi
stempel nannte eine ihr fremde
Stadt.
Sie öffnete mit umständlichen
Fingern das Päckchem löste das Pa
pier, als ihr plötzlich ein Stückchen
Eisen in die welke Hand fiel, so daß
sF erschrak.
»Sieh, Vätet,« fliisterte sie erregt,
MS mag das seini« , -
Der Alte schob oie Brille auf die
Stirn und nahm das-I danniengrofze
Eisenstiicklein prüfend iu die lHand.
C. besah es kopfschüttelnd nnd weg
esJ in der zerarbeiteten Hand .
»Liegt kein Brief dabei-« fragte
er.
»Toch, da, hier!« nnd sie reichte
.luu ein kurze-J Schreiben. Der alte
Mann rückte die Vrille zurecht und
last-.
,,-Hierdurch teile ich Jhuen mit,
das; Ihr Sehn ini hiesigen Lazarett
schwerverwnndet liegt. Veiliegender
wranatsplitter wurde heute eus sei
nem rechten Knie .1nf operatibein
Wege entfernt, Er bat mich, densel
ben Jhuen zu senden uiit einein
Gruß und der Versicherung, daß es
ihm gut gehe. Ju Erfüllung seine-J
Wunsches verbleibe ich
Ihre ergebeue Schwester AdellJeid."
»Wie weh muß ihni dag- getan ha
ben,« seufzte die alte Frau, und
wendete init schmerzlichem Schauer
dac- tleine Eisenstijck in der zittrigen
Hand. Wie spitz und scharf es war,
wie hart nnd unregelmäßig. Es
brannten und schinekzten ihre Zin
ger, nnd sie fühlte in ihrem Mutter
herzen ties und glühend den Schmerz
des Sohnes brennen.
Der Vater hatten den Brief ans
den Tisch zurückgelegt
»So sieht ein Gratiaisplitter
aus P« sagte er erschiittert, und seine
Stimme tlang verschleiert und leise
Sie reichte ihm dass kleine zerbars
stene Eiseiistiick, dass uian aus der
Wunde seines Sohne-J entfernt hatte.
So also sal) der Gruß des Todes
ausl Und dieses zerrissene Stück
einer Granate nnkr ilun glühend ins
Fleisch gedrungen, und der Junge
hatte es in Schmerzen getragen —
tagelang vielleicht --— siir das Vater
land, nnd siir ihn, den Vater und
di« Mutter.
Hätte ers nicht auch das Herz zer
fleischen könnend
Und er nahm dass Stückchen Eisen
und wickelte es sorgfältig wieder in
das Stiick Papier ein. Dann hob er
den Blick zu seiner Frau.
,,Lasz mirs nur aus ein paar
Tag-; Mutter. Das muß der Herr
Amtmann sehen und der Herr Pfar
rer und der Herr Lehrer. —- Allen
will ich's zeigen, das da, allen, und
sie sollen es wissen, daß es unser
Sohn getragen hatl«
Da fing er einen glückslrahlenden
Blick aus den Augen seiner Frau
aus, und sie ergriff 5eine Hand und
drückte sie dankbar-.
W
— Sehertobold Aus dem
Unterassisierstande hervorgegangen
machte et eine geradezu drillante
Carrierr.
Liliemiidegampagnie
Von Gern-rann Hart-»
Gerade vor ihren Rasen standen
die ausgewachsenem hellen Graswuv
zeln und das nasse, gelbgrüne Gras.
Dann kam Lehmdoden, an dem das
Wasser herunterrieselte, und weiter
unten ragten Steine aus der Vorder
wand des Schützengrabens. Gestern
Nacht hatten sie ihn eilig ausgewor
sen, wie die Nacht vorher den lehren
und viele Nächte vorher die andern.
Der Regen kam aus dem grauen
Himmel bald stärker, bald schwächer.
—- Den Mantellragen hatte man
hochgeschlagen, den Hals hineingeso-«
gen, und init dem Rücken lehnte man
an einem Sack oder einem Brett, dass
die Kälte de: hinteren Erdwand
vom Körper abhalten sollte. Dass
Wasser plätscherte an den Mänteln?
herunter.
Mitunter hob einer einen Stock
mit einem Taschentuch oder einer
Mütze daran über den Rand des
Grabens, und wenn die Kugeln eine
Weile danach gesungen hatten, warf
er ihn wieder fort.
Manche saßen und versuchten, sich
etwas Schönes vorzustellen; aber
dann wurden sie traurig, wenn die
Phantasie erlahnite, denn sie hunger
ten und srvren hier.
Jn andern zitterte das Fieber der
Ueberanstrengung, das ihre Augen
ofsenhielt. Sie hörten wieder dieses
schreckliche Krachen der platzenden
Granaten und sahen die einzelnen
Bilder des Grauen-, die der zusall
des Augenblicks in ihre Hirne versetzt
hatte, wo sie nun ins Leben dräng
Otn
Zehn Tage des Munterseins, Ge
sechte, Regen, Hunger hatten die
schwere Starke der Ermüdung über
sie gelegt. Auöhalten mußten und
wollten sie, bis der Abend kam, wo
ihnen die Ablösung versprochen-war
ein warmes Lager und Essen und
Trinken.
Klatschend, pfeisend tam der Blei
Und Eisenregen daher und durch
bohrte Leiber und Glieder, als böten
sie nicht größeren Widerstand denn
die weiche Luft. Und wo er hier sang
nnd zischte, weckte er da die wilden
Schmerzen oder verbreitete die To
desstarrr.
Nach endlos gedehnten Stunden
kam der Abend über den grauen
Himmel geschlichen.
Da zog ein Flüstern durch den
Schützengraben Jlam die Ablösung?
Stand die Reserve schon in dein klei
nen Wäldchen hinter ihnen?
O, was sür ein Zögern ging durch
die Reihen, eine Unruhe, die nicht
erllärlich war
Da war ein Beschl: »Feind ver
sucht die Umgebung Kompagnie
zieht sich aus den Wald zurück!«
Hatten sie noch größere Verstär
tungen bekommen? Konnte man
nicht hier liegen bleiben und aus der
Erde ihnen entgegenseuerni Jmmer
seuern, seuern und seuernt Das tat
so wohl. wenn ans den lleinen Druck
des Fingers der Körper den schnellen
Ruct des schlagend-en Gewehrs einp
fing, wenn feuerumsptelt die Kugel
dem Rohre entflog, und man den
scharfen Krach des selbstgesindten
Gefchosses hört, einmal, zweima. und
trach und trach und trach.
Aber Befehl war Befehl.
Die schweren Tornister warf man
über den Rücken, die Riemen gruben
sich tief in die Schultern ein, und
dann griss man in die weiche, breiige
Erde, zog schwerfällig den müden
Körper über den Grabenrand und
troch leise zurück über den nassen,
schweren Acker.
»He, seid ihrs ..?«
Da waren sie schon, die ihrigen
s - am Waldsaum standen sie ver
steckt. Sie selbst konnten ihnen nicht
die Hände reichen, an denen die At
tererde in Klumpen hing. Sie rie
hen die beschmuhten Leiber an
Baumstämmen wie Eber im Frost
nnd wuschen die Hände an den nas
sen Blättern.
»Macht, daß ihr heinitommt,« rie
fen die Neuen ihnen zu, »wir werden
schon ohne euch fertig — ih: hast
verdient . . ·«
Doch der Befehl war nicht da, und
teiner sprach mehr, als jetzt plötzlich
aus der grauschwarzen Nacht weiß
gliihende Monde auftauchten, den
dunteln Nebel lebendig machten, daß
er grau und leise zu wogen begann,
wo das Licht seine schwebenden
Strahlenbalten sich hindurchgleiten
ließ.
Und in ihr Staunen und Betrach
ten brach das Gewehr-teuer ein«
Plöhlich ungehemint, fessellos
trachten zu Hunderten und hunder
ten die Schüsse, und aus ihnen rang
sich deutlich und deutlicher, alles
überbietend durch sein hartherziges,
»maschinelles Pochen, das Feuer dei
IMaschinengewehre. Es fegte quer
durch den Graben dem sie eben ent
stiegen waren
..,Kein Schuß!« ging der Befehl
flüsternd durch ihre Reihen.
Und sie standen die Schwerste
prüften, die hand um den Scha
getrampft und ein grimmiges L -
cheln um den Mund, daß sie den
Feind so getäuscht.
War das nun ihr Abendbwti —
Was wollten die jetzt, die da drübenc
— Es ward still, und die Schein
werfek waren erloschen.
«Rieder!« hieß ihr eigener Befehl,
und »Die Tornister kunter!'«
Dann flog aus ihren Reihen ein
dünner, roter Feuerstreifen in den
Himmel, platzte, und eine leuchtende
Kugel hielt sich in der Höhe und
warf ein helles, gelbes Licht über die
Aecker dort.
«Waren das rote Lappen da drü
ben auf der Erde?«
Die einen sahen sie deutlich, die
meisten hörten ein furchtbares, nie
vernommeneg Schreien und sahen ein
Pferd mit gesenktem Kopf schwerfäl
lig ein Bein vor das andere sehen,
als sei es zu Tode getroffen. Ein
Reiter, dessen weißes Antlitz sie hell
leuchten sahen, saß hoch aufgerichtet
als wolle er rückwärts niederfallen,
und aus ihm drang wie ein natiirli
cher Atem dies Schrecken verbreitende
Schmerzensgeschrei. Dann fraß die
Nacht alles auf
»Frau —- Feuer — Feuer,
ihr könnt!«
Das waren ihre Führer —- und
nun brach ihr eigenes Feuer los...
Wer schrie da vor Schmerz und
Wut -——?
Aus ihren Augen brachen die Trü
nen —- die Glut durchschauerte sie
und drängte die Mattigkeit aus
ihren Leibern wie Dampf den
Schweiß.
Sie taumelten auf, und dann km
Lauf stürzten sie brüllend und wei
nend vorwärts
Ueber den alten Schützengraben
sprangen sie und hörten kein Schie
ßen mehr — an den Leib wollten sie
denen da drüben und blieben stehen
und sandten ihre Schüsse quer über
die Erde und fühlten es blitzen in
sich und schlugen mit Kolben drein
nnd sahen sie laufen und seuerten
wieder hinterdrein und waren ihnen
immer dicht aus den Fersen.
Und sie hörten des Hauptmann-Z
Stimme: »So, Jungens, ist’5 recht
— sie laufen — wer läuft, hat die
Verluste —- — hurra —- —-— hurra
Ueber die Felder jagten sie den
Feind, hinein in die schwarzen Gas
sen eines Dorfes und wieder hinaus.
Aber als die Trompete zum Sam
meln blies, fiel die starre Müdigkeit
von neuem über sie und sie kamen
taumelnd und langsam von allen
Seiten daher. Kaum daß sie den
Atem wiederfanden, und ihre Lider
waren schwer.
Flüsternd standen die Offizierr.
Von den frischen Truppen sandten
sie Patrouillen aus nach dem Feind
und an den Kommandierendem was
zu tun sci.
Und führten sie in die Kirche, und
sie durften noch nicht schlafen, bevor
man genaueres wußte, und sollten
stehen: Gewehr bei Fuß.
So standen sie, wie es befohlen,
und auch der Traum von Essen und
einem Lager war nun vorüber.
Ein runder Kreis von Gasslanp
men brannte da und dort über ihnen.
Schatten quollen aus allen Ecken und
Winkeln, und sie standen still aGe
wehr bei Fuß« und warteten auf
Befehle, wie es befohlen war.
Als nach einer Stunde ihr Haupt
mann die Kirchenkanzel bestieg, utn
sie mit Worten zu trösten, und ge
rade beginnen wollte zu reden, da
sah er, dasz ein seltsames Wogen
durch ihre Reihen ging, und er er
tannte, daß sie alle schliefen.
Mit gesenkten Köpfen, Schulter
an Schulter gedrängt, sich stützend
wie die Grashalme einer Wiese,
schienen sie zu einem einzigen Wesen
geworden, das langsam in seinem
eigenen Atem hinüber und herüber
ging.
Da vergaß ihr Hauptmann alles,
was er hatte sagen wollen.
Ein Schauer durchzog ihn, die
Tränen stürzten ihm aus den Augen«
es drängte ihn, in ihrer Masse un
terzugehew und als ob er nicht wüß
te, warum er es tat, sliisterie et im
mer wieder und wieder-: »O Kame
raden —- Kameraden — meine Ka
meraden —————
—- Betdächtig. Kassiereu
,,Gestern sah mich mein Chef zufällig
ein Auto selbst steuern; heute finde
ich den Kassenbestand auf lumpige 4
Mille reduziert".