Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 16, 1916, Sonntagsblatt, Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Blaue Abt-in
—
Vloein ion clurn Reile
(9. Fortsesiingx
»Ja, sogar notwendig, ich will so
bald wie möglich eine Stelle anneh
men, an einer Schule oder in einer
Familie ais Erzieherin.'
Jniie beugte sich ein wenig vor
.Eiitschuldige die Frage, List-» willst
Du dat, oder mußt Du es «
»Ich muti.«
Jinre zog die Augenbrauen ztis
stimmen« er irominelte aus der Tisch
platte.
«Da habe ich eine salsche Vorstel
inig gehnbt,« sagte er, «tseiite ist ei
niir eigentlich unerllärtich, wie ich
dazu lam, zu glauben. Du wärest
sinanziell unabhängig«
Lisa lachte, ein sreies, harmloses
Lachen:
«Ytein, deutsche Beamtentöchler von
zwanzig Jahren bekommen jeden
Pfennig von den Eltern bewilligt,
und wenn sie so bosaclig sind wie ich,
dann hört das natürlich iius.'«
»Wie hast Du das alles oenn ge
mochli«
»Ganz einsach, zuerst halte ich noch
Geld, meine Taute, die liebe, alte
Dame, mit der ich in viagusa war,
war immer sehr ireigebig gewesen,
da hatte ich noch mein ganzes, nicht
kleines Taschengetd aus der Reisezeit
— nn, und dann oertaiisie ich meine
Schmuctsacheii, soweit sie nicht Fa
milienandeiilen waren. Zuerst muß
man leben, und dann taiin man sich
schmiiäein nicht weh-W
ere sub Lisa ausmerksain an.
»Ja, und nun wird·g bald Zeit,"
fuhr sie fort, »daß ich selbst Geld
verdiene, eiti wenig tat ichs so schon
in Grande.« «
L
»Du laintrist aus einem hause, in
dein Ueberflusz ist, nicht ioahr’t«
,Ja, aber das- inacht nichts, ich
kann mich fügen, ich habe es tau
sendmal heiser als andere Mädchen,
die ihr Elternhaus oerliefzeii.«
Noch brannte eine letzte Frage in
Andras Jnire, ader feiii Stolz ver
schloß ihm den Mund.
Als oh Lisa sie erraten hätte,
sagte sie wärmer, aufs Meer hinaus
schauend:
»Die schöne blaue Adria, ich werde
sie nicht verlassen, ich suche niir eine
Stelle, nicht allzu ioeit oon Lussiii,
damit ich doch irgendwohin heim
kehren tann, wenn es draußen nicht
stiicti.«
Dann sprang sie auf, als habe sie
uoiel gesagt: «Jch sehe fchnell mal
u vie Zeitung- iagie sie, Mai-ichs
finde ich etwas Passendes siie mich." i
Als ie zum Stäncer trat, kam
dani ftedtner herein und feste sich»
su ihnen —- und endlich nahte dieI
-Uhsahrlszeit, man reichte sich diei
ände:
,Alles, alles Gute!" rief Lisa.
Sie Fand lange und winkte.
All ie zu hause ankam, fand sie
den Brief ihrer Schwester vor. i
Tränen fchossen ihr in die Augen,!
als sie die iindliche Handschrift auf?
kein großen versiegelten linischlag sahJ
»Oh, Frau Bartel, Herr Bartehi
das ift ein Brief von meinem Schwe
sterchen. Umgehend hat sie geant-«
toorteti« riess Lifa.
Da slog ie auch schon die Treppe
hinaus.
Sie las: f
, Meine liebe, gute Lisal s
Hättest Du doch früher geschrieben! (
Mußte wirklich erst Lore Ketteleri
Dir sagen, wie innig ich mich sreuenl
würde, von Dir zu hören? Jmmerl
dachte ich, nun muß doch endlich eins
Brief kommen, Lisa wird eine Mit
telsperson finden, und immer eine
neue Enttäuschung. Schließlich über
fiel mich eine graszliche Angst. Wie,
wenn Lisa nun nicht mehr lebte?
Tag und Nacht mußte ich inir vor
stellen, daß Du irn Meer triedest, er
trunken!
Meine liebe, einzige Lisa, wie konn
test Du mir diesen Kummer machen?
Alles andere war nichts dagegen.
Nun Du lebst und gesund bist, ist ja
alles gut·
Du schreibst ukn Deine Papiere,
hier hast Du sie, es war gut, daß sie
noch in unserem Zimmer lagen, die
Eltern hätte ich nicht danach fragen
dürfen. Auch Deine Wintersachen
werde ich Dir schicken, ich darf sie
verschenken.
Jch rnusz es Dir leider bestätigen,
an eine Rückkehr nach hause ist gar
nicht zu denten. Vielleicht hätte man
noch irgendeinen Ausweg gesunden,
ab s. da kam Großmutterö plöhliche
Dxeratiom Tante Tende« ihre ein
zige Tochter, kam nicht« Du tanist
nicht, wir alle, auch die sonst so be
sonnenen Eltern, hatten gar keine
Zeit, irgend etwas auszudeuten, was
ich gedectt hätte, nur um Zeit zu
innen, Du verstehst mich sa rechts
Großmutter starb, sie hat ihr kla
res Bewußtsein gar nicht wiederer
langt, und nun kamen all die Men
schen« fragten nach Dir, wundertem
sich, und da tat Vater das, was sei
ner strengen Art so ganz entspricht,
er sagte: Wir haben auch unsere
Tochter verloren, aber aus eine an
dere Weise.
Ganz bleich und aufrecht stand er
in dem großen, grllnea Empfangs-»
stinmer, als er das sa te. Mutterl
wandte den Kopf zu tgm hin, wies
getiteeadwesend, ich dachte, ste würde
umsinlen, aber nichts ereigneie sich.
Sie blieb in der gleichen sicheren
haltnng neben Frau van Hellow
Im; die ergriff ihre blinde und
ragte laut, nnl ihrer häßlichen, ble
chernen Stimme: «Ja, ja, so lonnnt
plöylich das Ungliitt iiber ein hau
nnb man weiß nicht wie — aus hei
term himmel.«
Mutter ader entzog ihr die Hände
und sprach ruhig. ganz deherrscht
von etwas anderem, und alle unsere
Freunde taten, als ob Vater etwas
langst Bekanntes und Selbstverständ
liches gesagt hätte.
Und das muß ich sagen, damals
degriff ich fo recht, daß en doch etwas
Gutes ucn unsere strenge und ge
sellschaftltche Crztehung ist, da lernt
man Disziplin.
Glaube nicht, daß ich Dich rnit
diesen Worten treffen wollte, liede,
einzige Lifa. Co flon rnir so aus
der Jeder. Aber da es nun einmal
gesagt ist, so will ich Dir auch beten
nen, daß dieer der einzige Punlt
war, der tnir bei Dir ganz uner
tlärlich ist. Du warst doch immer
sicherer und stolzer als ich, ich dachte,
Deine innere Disziplin hätte Dich
davor bewahrt, Dem Herz so ganz
und gar an einen jungen, fremden
Menschen zu verlieren, denn wie
anders soll ich mir Deinen Satz er
tlärem »ich hatte ihn verloren, wenn
ich nach Hause gereist wäre, und ich
lonnte ihn nicht derlierenl«
Wie Dich, gerade Dich, eine solche
Leidenschaft stir einen Mann, den
Du so wenig tanntest, erfassen konn
te, daß Du alles, aber auch alles
htntvarsst, was bisher Dritt Leben
ausgemacht hatte, und vor allem, daß
Du uns aiie, oie wir wich lieben, sv
lief lraiiltest, das suffe ich nicht.
Jch habe Dich eben nicht gelangt,
aber ich habe Dich lieb, auch so, wie
Du bist und Rudolf und ich, wir.
bleiben Deine Geschwister. s
Du sagst fa, Dein Verlobte-.- seit
noch iii der Ausbildung begrissen,;
sung und ganz außerordentlich be-»
gabt. Wer weiß, vielleicht macht ers
seinen Weg, und Du tehrst in eini-;
germaszen geordnete Verhältnisse zu
riia, soweit das bei Künstlern mög
lich ist — entschuldigel
Rudolf uiid ich, ioir wünschen Dir
jedenfalls von Herzen das gleiche
Glück, das uns umfangen hält« und
uns uns unempfindlich gegen Nabel
stiche und Quertreibereien m.icht.
Und nun schreibe mir recht bald
wieder. Wir loollen viel voneinander
hören. hoffentlich findest Du eine
gute Stelle.
Mein lieber Rudi läßt Dir sagen,
Du möchtest es schreiben, wenn Du
Geld brauchst. Seine schöne und liebe
Schmägerin Lisa sollte stolz und
schön bleiben, und ioir tönnten den
Gedanken nicht ertragen, daß Du ir
gendwo jammervoll unterfchliipsst,
nur uni des elenden Geldes wegen.
Vergiß das nicht, meine einzige,
gute Schwester.
Jch habe nichts wie Güte von Dir
gehabt.
Deine treue, tleine Grete.
Lisa preßte den Brief an sich, ihre
Augen leuchteten. Nicht alles, ivas
er enthielt, war gut, und doch stand
sie da wie ein Blütenbauin im Früh
ling.
Jn einer seltsamen, sprunghasten
Gedankenverbindung hörte sie das
liebliche, tlare Salzburger Glocken
spiel, wie singende Stinderstiniinem
Und nichts ais Gutes sollst Du
von mir hören, treue tleine Schwe
ster, dachte sie« und Du, da drüben
aus Deinem weis-en Schiff, trotzt-get
Jnire, wie eine Etahltlinge so seiii
und scharf, wie bist Du mir in dic
sen Tagen ans Herz gewachsen!
Achtzehntes Kapitel.
Peter Bartet hatte sich fo recht
darauf gefreut, Tag fiir Tag mit
seiner begabten echulerin zu arbei
ten, und seine Frau tonnte sich den
Winter ohne Lein gar nicht vorstellen,
aber schließlich mußten sie es wohl
einsehen-daß ihr schöner und einst
mals zahmthogel aus dem engen
Käfig heraustvolltr.
»Ich muß ani eigenen Füßen
[tehen,« tagte iie immer wieder,
«hier derdtene ich wenig oder nichts,
und Schulden machen, das will ich
nicht.'·
Es nähte auch nichts, dem großen
Mädchen zu sagen, daß inan io froh
wäre, wenn sie als Gast bliebe: dann
umarmte sie Maria Bartel und
lachte.
Da blieb nichts andres übrig,
rnun mußte ihr helfen hinaus flie
gen.
Zeitungen wurden durchgesehen,
Geiuche aufgegeben, Briefe geschrie
ben und endlich —- der Oktober ging
schon zur Neige — tam ein Ange
bot aus Zara auf das man ein
ging.
Die frau eines Maraschinofabris
tanten uchte eine Erzieherin für
ihre Kinder von acht bis vierzehn
Jahren. zwei Mädchen und einen»
Knaben. Die Bedingungen waren;
nicht ungünstig,und Zara war Luisinl
io nahe, der Flug war nicht weit,
man ließ Lisa ziehen. .
Brieie waren es nun, Briefes
aus Wien, aus Zara, aus Lussin.:
die das Leben der Freunde umspann
im.
Van- Geitedtnet an Maria BarteH
Da wären wiei Können Siei
sich vorstellen, wie aus einei Jedes-V
gen alten Rumpelkammer ein
freundliches Biedeimeierzimnier
wirdi
Rein. Sie lönnen es nicht.
Da müssen Sie meine Mutter
fragen. Niemand sonst weiß, wie
man das ma t, wie man Tapeien
mit tleinen utetts ausllebt, wie
man Mitlloerhtinge an Sachsen
stern anhringt, Eclbretter an
streicht und mit gedliitnten Vo
lants verziert. Das alles und
seht viel mehr, was ein Schädel
wie meiner gar nicht versteht, das
gehört zu den vielen Geheimnissen
meiner Mutter.
Jn so einem Zimmer wohnt nun
unser Andtag erc
Mit dem natürlichen Anstande
eines Fürsten nah-n er Besitz oon
seinem Reich. Ei danlt nicht viel,
er sagt nicht viel, er sieht meine
Mutter nur so an, so eigen, Sie
tennen ja seinen ernsten Blick, er
geht auf sie zu, küßt ihr stumm
die Hand, und meine Mutter weiß
nicht recht, wag sie daraus machen
soll. Ahnte sie, daß er ein halber
Zigeuner ist« dann würde sie sa
gen: der Mensch hat gar keine Le
bensart, aber so sagte sie nach
her zu mir, er hat so etwas Fei
erliches, und wie gut ihn das tlei
det·
Er hat überhaupt viel Stil,
sagte ich. Da hatte ich abei aus
den saischen Knopf gediiicli. Meine
Mutter sah mich oernichtend an:
was weißt Du Grünling don Still
Na, da stand ich begossen da. Mut
ter ist immer dieselbe, man möchte
sie dafür uinatinew
Ich ließ ee mir nicht neh
men« Aiidras heim Anspaclen de
hilslich zu sein« Dat- genierte
ihn offenbar, aber ich ging nicht
fort
Glauben Sie, daß er ein ein-'
ziges Mal irgend etwas im Zim
mer näher betrachtet hättet Nein·
Mein- Mutter hat nur so ost ge
sagt, laß doch die Finger von den
Sachen. Das braucht Andras tein
Mensch zu sagen, er hätt sogar die
Augen zurück. Jch sragte ihn, ob
das Bett auch bequem ware, ob er
noch ein Kissen oder eine Decke
wünschte. Er sah sich das Bett
gar nicht an, er sagte nur, alle-r
ist mehr als gut. Dann nahm
er mitten während des Postens
seine Geige heraus, ganz zärtlich
saßte er sie an, ob sie die Reise
gut überstanden hat's meinte er.
Und nun vergaß er mich. Jch ließ
aber nicht nach. Meine Mutter
wartete mit dem Nachtmahl, sagte
ich ihm, und da war er im Hand
umdrehen fertig
Nun soll ich auch noch von mir
erzählen, nicht wahrt
Meine Mutter sieht mich immer
wieder mit glänzenden Augen an
und sagt: «"e3chaust Du aber gut
aus, Hansl, nein, schaust Du gut
ausl« Wie sollte es mir auch
besser gehent Jch tornme von lie
ben Menschen, bringe einen lieben
Freund mit und bin bei der lieb
sten besten Mutter.
Andras ere an Maria Bartel.
Drei Tage bin ich jetzt schon in
Wien, und ich habe Jhnen noch
nicht gedankt· Ost dachte ich, wie
soll ich dankent Es ist zu viel.
Jch schäme mich jedes Wortes,
das ich sagen iönntr. Sie und
Jhr Herr Gemahl, Sie haben
mir unendlich gegeben, immer ge
geben.
Wenn ich Ihnen einmal bewei
sen tönnte, wie danibar ich Ih
nen bin, dann wäre ich sehr gliiets
lich.
Jch liisse Jhre Hand, verehrte
liebe, gnädige Frau, und sende dein
herrn Gemahl viele Grüße!
Lisa van de Sundt an Maria Bartel.
Wie ist es hier so ganz anders
als in Jhrem lieben, weiß-ti, stil
len Haus! Jch denle jede Stun
de, nein, eigentlich immerfort, an
Sie und Jhren lieben Gatten, an
die Bilder, an die Blumen, an
mein kleines Giebelzimtner, an den
Garten, ja sogar an Lenetl und
die Hühner.
Ab-r ich will von vorn anfangen
und genau berichten, wie ich es
versprochen habe.
Wir hatten damals schon in Za
ra angelegt, aber es war kein llas
rer Tag und wir waren in eine
größere Gesellschaft geraten, da
steht man immer zu wenig. kurz,
Zara war wieder eine Ueberra
schung siir mich.
Wenn man herangesayren tommr, »
liegt es ganz flach und weit aus
gebreitet da, wie eine große Stadt.
Die hohen hellen häuser am User
täuschen eine ganze Reihe eleganter
Hotels vor, und herrlich ist das
viele Grün aus der «Maraschino
seite,« so habe ich unsere Gegend
gleich getauft. Die Fabriken und
Villen der Litörerzeuger liegen jen
seits eines Wasserarms, in Gär
ten, von Bäumen umgeben. Jch
bin noch nicht dahinter gekommen,
ob dieser Wasserarcn nun ein Stück
Meer ist oder die Einmiindung ei
nes Flusses. Jn heimattunde tann
ich meine Zöglinge noch nicht un
terrichten! Dat- wird aber auch gar
nicht verlangt.
Aber ich schweife wieder ab.
Das Schiss lies an. Jch dachte
wirtlieh, es würde irgendeine hohei
Persönlichkeit erwartet, der ganze
Sendung-May nebenbei bemerkt,
so etwas wie eine holpeeige, son
nenoerbrannte Wiese oder ein ver
nachlässigter Bauplay, stand voll
von Offi ieren. So ziemlich die
ganzen ienftsreien mußten ver
sammelt sein Später bemerkteich
dann, daß die Antunft des Damp
sers zuin Abeiidtorso gehört —- die
Verbindung mit der großen Welt
ist —- fo, wie bie Leute in lleinen
Stödten zum Bahnhdf gehen, wenn
der DiZug lbmmt.
Niemand holte mich ab, ich hatte
du«-: auch nicht erwartet. So über
gab ich Koffer und Oandgepiick
einem der braunen, nialetischen
Kerle, und wir machten uns zu
Fuß auf den etwas langen Weg.
Ja, wenn Jhr lieber Mann die
Van sähe, vor der wir anlangten,
er betäine eine Gäniehiiui.
Roter Baasieinbuu niit viel
St.iet, rechts und liiits aus der
Treppe rachiiische Engel mit
Fruchtfchalen
Ein Hund sprang aus der Tür
und bellte uns wütend un.
Das Haus liegt an der Haupt
stiasze, hinter einein oerfchnörtels
ten Gitter und einem schmalen
Gartenftreifen
Mein brauner Begleiter hatte
mehr Couiage als ich, er öffnete
dag- Tor, versuchte den Hund zu
beruhigen und lliugelie un der
Haustur. Jet; folgte ihm. Die
Engel starrteii mit hervorquellen
den Augen geradeauö.
Dann öffnete eine dunkelhiiiirige
Kleine die Tür, hinter ihr stand
ein Dienstmädchen « f
Die Kleine sagte: »Und Sie
unfer neues Fräuleins« »Ja, das
bin ich", ich gab ihr die Hund« »ift
Maina zu haufe?«
Das Dienftinädchen fagte höf
lich: »Bitte, treten Sie näher,
die gnädige Frau ift ausgefahrem
sie wird zum Nachtmahl zu Haufe
ein.«
Man begleitet mich zu dem
Zimmer, das ich bewohnen foll.
So ganz anders als mein tlei
nes Giebelftiibchenl
Da ift ein helles Zimmer mit
fürchterlicher Tapete, ziegelrot, mit
einem großen Blumeninufter, der
Fußboden mit Linvleum ausge
legr, gelbgriin« ebenfalls mit Blu
menranlen, die aber ziemlich ftarl
abgetreten sind, und in dem Zim
mer drei Betten.
»Hier schlafen wir«, fagte das
dunkelhaarige tleine Mädchen,
»und das da ift Jhr Bett.« Da
mit ging sie auf ein braun geftri
cheneö Bett zu. »Und hier
fchläft Franzl", jagte sie. Rita, fo
heißt die Kleine, öffnete die Ta
petentiir. Jch fah in ein freund
liches kleines Zimmer-. Wie gern
hätte ich diefes Zinnnerchenl
Abends bei Tifch lernte ich dann
die ganze Familie tennen.
Der Vater ift ein cnagerer klei
ner Kroat, ziemlich worttarg, da
fiir ißt er time gekaufchooller. Die
Mutter ift Jtalienerin, ebenfalls
klein, torpulent, blaß, unglaub
lich heraus-geputzt- Sie fpricht im
merfort, mit einer nionton rattern
den Stimme.
Das älteste Mädchen, Melanie,
betrachtete mich während der gan
zen Mahlzeit init einein lanernden,
mir unangenehmen Interesse Sie
ift vierzehn und ein halbes Jahr
alt, aber sie trägt fich wie eine
tleine Dame: gebrnnirtes Haar,
Ringe, Armbänder, ein überm-oder
nes Kleid, und ich glaube auch, fie
ift gefchmintt und gepudert. Sie
gefällt mir garnicht.
Der Junge ifi elf Jahre alt,
er befucht die Realschule; ich habe
ihm nur Nachhiljeftunden zu ertei
len und die Aufgaben mit ihm
durchzugehen.
Die lleine Nita ist ein freund
liches, zutraulicheg Rind.
Alle drei, ebenfo die Eltern, ha
ben fehr schlechte Manieren. Man
weiß nicht« wie man die Kinder
nufmertfam machen foll, wenn die
Eltern mit dem Messer essen, Kno
chen in die Hand nehmen und mit
den Zähnen abfuchen und der
gleichen mehr. Das gefchieht
alles mit der größten Unbefangen
heit.
Nach Tifch bat ich die Mora
fchino - Mutter um ihre Weisun
gen.
Morgens um sieben Uhr muß
ich mit Frsizl frijbstiicken und
sorgen, daß er zeitig und mit
allem versehen zur Schule kommt.
Er hat einen ziemlich weiten Weg.
Um acht Uhr wird den Mädchen
das Frühstück aufs Zimmer ge
bracht. Melanie stühstückt mei
stens im Bett, Rita springt her
aus, wirst einen kleinen Kimono
über und setzt sich an den Tisch am
Fenster.
Die Dame Melanie duldet übri
gens meine Anwesenheit im Schlaf
zimmer nicht, oon dem Augenblick
an. da ich es morgens um sieben
Uhr verlasse.
Um neun Uhr beginnt der Un
terricht, ich werde mich in der
Zwischenzeit siir die Schuistunden
vorbereiten, wenn Madame nicht
etwas anderes bestimmt, und das
habe ich schon bemerkt: die Tages
ordnung fiir vie Tochter wird sehr !
oft umgeworfen
Wie alles werden wird, weiß ich .
noch nicht, aber ich werde mich ein
gen-Ihnen.
Die Abende habe ich leidet nicht
siit mich allein. Wenn Besuch
da ist« sagt Madame, soll ich hel
fen vie Gäste bedienen und un
terhalten, sie hätte gehört, baß es
in Wien seht allgemein als seiner
gilt, vas Personal fern zu hal
ten« falls vie Gesellschaft nicht
groß ist. An drei bis aier Aben
aeii in ver Woche wären immer
Gäste iiii Hause, vie anderen
Abende sollte ich mit ihr over ih
rer Tochter Melanie verbringen.
Melan:e ginge nur selten mit in
Gesellschaften und könnte doch nicht
allein sein.
Wenn alt das nicht eintrisft,
kann ich mich iii das Schulziinmer
zurückziehen
Das tliiigt alles schlimmer, als
es ist, scheint mir, denn so viel
sehe ich schon, eine fest Ordnungl
gibt es hier im Hause nicht, ein s
jeder inuß sehen, ivie er durch-I
kommt.
Nun ist mein langer Brief zu
Ende, der Ihnen ungefähr ein
Bild meiner neuen Umgebung und
meiner Aufgaben gibt, und ich
glaube, ich habe nicht übertrieben,
als ich zu Anfang meines Brie
fes sagte, alles ist si- ganz anders,
als in Ihrem lieben, weißen, stil
len Haus.
Jch werbe mich schon butchsitis
den, aus macht mir keine Sorge,
aber wie ist mir nun vie ganze
Zeit verklärt, in der ich bei Ihnen
war!
Als Lifa dieer Brief zum Post
laiten gebracht hatte, begegnete ihr
Herr Butt, der Marafchinofabritanr.
Er hielt die Hände in den Tafchen
feiner Joppe, fah sie blinzelnd an
und jagte:
»Ist jetzt tein Unterrichts«
Es war drei Uhr nachmittagö.
«Nein, Herr Vuic, Melanie ift
heute nachmittag eingeladen, sie be
kam die Erlaubnis, fortzugehen,
Franzls Stunden beginnen um fünf
Uhr und Rita schläft; sie war nicht
ganz wohl.«
»Mit-i müßte geweckt werden«
«Frau Vuic wünschte, daß Rita
liegen blieb-«
»Sagen Sie mal, Fräulein dan
de Sandt, wie all find Sie eigent
lich?'«
»Im Februar werde ich einund
zivanzig Juhre.«
»Ich hielt Sie für älter. Hatten
Siefriiher eine Stelles«
»Nein, Herr Vuir, ich fchrieb das
auch, als ich niich uin die Stellung in
Jhreni Hause bewarb.«
»Nichtig", Herr Vuir betrachtete
Liia wie einen Gegenstand, »meine
Frau jagte mir fd etwas. Da
werden Sie es wohl nicht fertig
bringen, meiner Kindern eine et
was firaffere Zeiteiiiteilung beizu
bringen?"
»O doch, Herr Vuic, aber ich habe
kein Befiiminunggrrcht.'«
»Richtig, richtig«, jagte Herr Vuic
wieder und iiictte mehrere Male, legte
den Kopf auf die Seite und fah Liia
verliiiffeii an, »du wird es eben beim
alten bleiben«
Lifa wollte etwas erwidern, Herr
Vuir fchiiitt das mit einer kurzen
Handbewegiing ab:
«Machi nicht viel, Fräulein dan
de Sandt, eg sind ja Mädel. Ver
fteheii Sie übrigens niit der Schreib
inaichine umzugehen? Sie könnten iin
Bürd helfeii.«
, -
Lisu zog die Augenbrauen uuchx
»Man es nicht vielleicht besser, baß
ich versuchte, meine Stellung als
Erzietserin zu befestigen und guts
augzufiillen?«
Herr Buic sah sie belustigt an:
,,Versuchen Sie es — ja, versuchen
Sic!« Er faßte leicht an seinen Hut
und ging weiter, zur Fabrik.
Als Lisa nach Hause lam, ließ
Frau Vuic sie zu sich bitten. Sie
lag in dem engen heißen Wintergars
ten, der an das Speisezirnnier an
schloß, hatte eine Schachtel mit Liber
zuclerten Früchten neben sich stehen
und streckte sie Lisa entgegen.
»Da, nehmen Sie, Fräulein ban
de Sandt, und erzählen Sie mir et
was, es ist so still im Hause. Spre
chen Sie Jtalienisch?"
»Ja, aber sehr ungelenk. Wir hat
ten zu mehreren jungen Mädchen
einen italienischen Kursug, haupt
sächlich Konbersation, aber niemand
hatte genügend Ausdauer.«
»Ausdauer,« ahmte Frau Buic
nach, »das ist wieder so etwas recht
Deutsches, hä?«
»Ja, ich glaube,« sagte Lisa, zog
die Uhr und sah Frau Vuic un
schliissig an: »Soll ich nicht doch
Rita wecken?«
»Rita ist ausgestanden, als Sie
kaum sort waren, sie spielt im Gar
ten.«
»Da kann ich Jhnen leider nichfd
Gesellschaft leisten, gnädige Frau,
Rita hat ietzt stanzösische Stunde.«
Ohne eine Antwort abzuwarten,
verließ Lisa den Wintergarten.
Frau Vutc sah ihr verblüfft nach.
Sie hat zu tun, was ich will, dachte
ste, diese Deutschen sind eine starr
töpsige Gesellschaft, und hochmütig
scheint das Mädchen zu sein. Na,
das wird sich In geden. Sie nahm
ein Buch zur hand. —- —
Mehrere Tage später ging Liiu
quer durch die schmalen, alten Stra
ßen Zaras dem Stadtgarten su. Es
war ihr erster sreier Abend. herr
und Frau Vuie waren eingeladen,·
Melanie war von einem Besuch bei
einer Freundin noch nicht zurückge
kehrt, und die Kinder schlieseru
s»Lisa sehnte sich danach, allein zu
em.
Sie beachtete ihre Umgebung
kaum, den Weg zum Stadt-arte
lannte sie genau, sie hatte ihn sich
nach einer Karte eingeprägt und so
eilte sie dahin, wie ein Dürstendet
zu einer Oase.
An dem Brunnen vorbei, die
breite Steintreppe hinaus, ein« an
steigender Partweg, und da sah sie
iiber die breite Mauer hinw aus
die tiesliegende Landstraße inab,
sah die herrliche »Porta terra sercna"
in der schwachen Heiligkeit einiger
milden Laternen stehen und fühlte
sich erlöst von der erstickenden Talrnii
Eleganz und der Unruhe ihrer neuen·
Umgebung
Es war ein milder, dunkler
Abend. Lisa setzte sich auf die breite
Mauer und lehnte sich set an einen·
Baumstanun. Sie trank die Stille«
und Duntelheit, die Schönheit des
alten römischen Tores und das leise
Rauschen des Meeres.
Da nahten sich Schritte. Lisa sah
die Silhauette eines schlanten Ossi
ziers und an ihn herangedrängt ein
utitersetzteg, trästiges Mädchen
Ehe das Paar bis zu ihrem
Platz gelangt war, gingen sie ins
Duntel hinein. Dort mußte eine
Bant stehen, denn Lisa hörte, wie
der Leutnant sagte: »Komm, Schassi.
hier können wir’s aushalten, se
Dich hierher,« und er schlug leise au?
sein Knie.
e , hör auf, Du frecher Buhl«
»Nein, anfangen möcht ich,'« hörte
sie eine unterdrückte Stimme sagen.
Dann wieder Kichern und Lachen.
Lisa war der Horcherposten pein
lich, sie erhob sich, um weiter zu ge
hen. Aber auch das Pärchen, das
ihre Bewegung gehört hatte, schien
aufzustehen. Unwilltürlich fah Usa
zu der Richtung der Bant hin, aber
auch ein anderes Gesicht lugte aus
dem Dunkel: es war das der Me
lanie Vuic.
Ohne sich zu besinnen, trat Lisa
auf das Mädchen zu.
»Me1aniel« rief sie leise und zor
nig.
»Ah, Fräulein van de Sandt,«
sagte Melanie gedehnt, hämisch, »we·
treiben Sie sich denn abends herum?
Wirklich hübsch! Kaum sind die Cl
tern fort.«
Jhre Stimme zitterte vor Wut
und Erregung
,,Lafz das Melanie, Du gehst so
fort mit nach Hause.«
»Fal« mir nicht ein. —- Ach, Herr
Lentnant, kommen Sie doch her und
schauen Sie sich das Fräulein hier
an, unsere neue Lehrerin«
Sie lachte hohnisch aus.
»Melanie, hast Du denn gar lein
Schamgefiihl,« sagte Lifa leise-«
Ter Leutnant tam sichtlich verle
gen, aus dem Gebüsch hervor· Als
er Lifa sah, legte er sofort grüßend
die Hand an die Mütze Ein sicher-es,
schnelles Gefühl sagte ihm, daß er
es mit einer Dame zu tun hatte.
«Verzeihung, gnädiges Fräulein,
ich bin die Veranlassung zu diesem
kleinen Zerwiirfnis. Jch wollte Fräu
lein Vuic nach Haufe begleiten und
schlug diesen, allerdings großen,
llmweg oor.«
»Herr Leutnant,« sagte Lisa kühl,
,,nun bin ich hier, die Erzieherin von
Fräulein Vuic, und ich werde es
übernehmen, Fräulein Vuic nach
Hause zu bringen«
Der Leutnant tlappte die Harten
zusammen, grüßte achtungsvoll und
ging auf Melanie Buir zu, um sich
zu oerabschieden.
Die sah ihn trotzig an und beach
tete seine Hand nicht.
Da llappte er nochmals die hak
len zusammen, grüßte: »Habe die
Ehre, tiisz' die Hand," und ging mit
langen Schritten voraus.
Lisa sagte ruhig: »
,,Jch habe Eure Unterhaltung ge
hört, ich saß da, ini Dunkeln, aus
der Mauer, Melanie, es war nicht
meine Absicht zu lauschen.·«
»Gehen Sie nur gleich zu meinen
Eltern,« sagte Melanie zoriibebend,
»und erzählen Sie ihnen alles genau,
Leutnant Dobisch und ich werden
schwören, dasz Sie eine Lügnerin
sind.'«
»Melanie, Du bist nicht bei Sin
nenl« sagte Lisa. «Ueberleg’ doch ein«
wenig, wag Du sprichst."
»Nein, ich überlege nicht« ich will
nicht überlegen,« Melanie stampste
wütend aus die Erde, »ich hab' es
gleich gesehen, Sie sind ein falsches,
widerwäriiges Geschöpr packen Sie
sich sort oder ich — —- ich spring'
hier von der Mauer herunter.«
Sie rannte sinnlos auf die Mauer
zu. Lisa riß sie am Arm zurück.
»Dumineö Mädchen,« tagte sie,
nun auch erregt, »so ivas tut man
nicht!"
Plötzlich schlug Melanieg Stim
mung um. Sie fing an hilflos zu
schluchzen.
(Fortsetzung folgt)