Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 28, 1916, Sonntagsblatt, Image 12

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    W
(
· M Wo
Erzälung von L. Barte-i Beil-.
" «Grnpl,ologie und vergleichen Wis
.schnsten find leider nur halbe
hrheit,« bemertte Fenneston« und
Icmit war dein Stimmgewirr um
Den Tisch Einhalt getan.
»Mein-en Sies« smgte Mei. Gra
sain und hob ihr Auge mit einein
sitt-wen Ausleuchten zu ihn ein
Fennesibn wendete ihr sein hage
Ieö Gesicht niit den hochgewölbten
stauen unb dem wissean Blick
tollenhil zu und betrachtete sie sor
Ichenn
Sie ivcir eine schlanke, reich und
vreizend gekleidete Dame, von einer
Harmonie in ihren Bewegungen und
ILevnntem baß sich im ungeiibtesten
Beobachter des- Csinbruct aus«-Este es
Bei ihr Leib vie notnenbige Hülle
lir einen Geist, der darin blitzte und
glänzte ioie ein Licht hinter farbigeni
Etat
Mes. Graham hatte vie Londoner
seiellschoft im Sturm erobert. Jm
Grunde nicht schiver slir eine ame
rikanische Witwe, deren äußere Schön
heit anscheinend von Reichtum und
einein unerschbpklichen Verstand un
terstüht war. Viel wußte man nicht
von ihr. Sie besprnas nicht gern Per
iinliches. Doch ihrem Wesen nach
«"tte man sie gern ,,süß« und »gut«
sennnnt wenn man nach einem Aus
druck siit jerie schillernve Eigenschaft
tin ihr suchte, vie vielleicht annähe
tungsioeise mit «Zartheit« bezeichnet
werden tonntr.
Von Fenneiton hieß es, et hätte sie
erfolglos geliebt. Lunge betrachtete
er sie jetzt mit einem tiefen, verwir
senden Blick, als wollte er sich erst
ein Urteil bilden, ehe er zur Ant
Oort schritt. Sie hob verlegen Die
Schultern nnd schob nervös ihr Be
E auf dem Teller vor sich hin und
«Jch meine,« sagte endlich der
:osessor, »daß man sowohl in der
raphologie wie auch in anderen
Forschungen dieser Art bis zu einer
gewissen Grenze kommt. Jch weiß
sicht, ob ich mich verständlich aus
drücke«, fuhr er sinnend fort. »Wenn
ich von Graphologie oder voni Lesen
aus den Linien der Haut-flache spre
che, so entsteht ein allgemeines Still
schweigen ringsum. Warum? Weil
man von rnir erwartet, Geheimnisse
aufzuwen, den Schleier vom Leben
eingelner zu ziehen, die Zukunft zu
Iroplhezeien Dies ist leider nicht
Es entstand eine allgemeine Be
Iegung Unbeirrt fuhr Fenneston
: »Nicht möglich! Wohl vermag
. die Charakterzüge aus der Hand
eines jeden Anwesenden zu lesen, sei
ten Lebenswandel, die s "nen und
häßlichen Triebe, die in einer Na
tur liegen, zu entziffern, aber das
Hist nichts iin Verhältnis zu dem,
M Sie verlanagen. Sie wollen
Ihre Zukunft hören! Die kenne ich
»sicht. Mes. Graham,« sagte er
Ieichthin, »wenn Sie mir Jhre
kandfliiche zeigen, so zergliedere ich
« ier vor Ihren Freunden Ihren Cha
tatter und teile Jhnen mit, welchen
Einfluß er auf Jhr Leben nusiibtr.
kuri, ich kann Jhnen wahrheitsge
Issz tlarlegen, was für eine Art
Frau Sie find. Nichts soll Ihnen
verschwiegen bleiben —- absolut
sichu Jch will Jhnen den Spie
gel Jhreg Inneren verhalten, wor
i- Sie auch nicht den lleinften Feh
ler« die verstecktefte Tugend missen
sollen. Reichen Sie mir Jhre
Handl«
Eine spannende Pause trat ein.
Dann mich Mis. Graham instinktiv
zurück. Fenneston fah die glühende
Röte auf ihrem Nacken schwinden.
Ihr Lachen klang gezwungen, und
rasch legte sie die Hand auf ihren
Mitten.
,Sie niiken unsere Freundschaft
errfchiici aus. Meinen Charaatter
freiszugebenP protestierte Wir-.
Orahani in atemloser Aufregung.
.Rein, Sie. Es ist Jhnen bis
her nie vie Gunst zu Teil gewor
den, aus meiner Handsc« e zu lesen
stund dabei soll es auch ern-r blei
Ein leises Auflachen begleitete ihre
Zurückweifung Unter diesem Deck
mtel bannte Fennefton für einen
sagenblick ihren fcheuen Blick.
— .Sie sürchienk fragte er flü
»Ich weise zurück." Sie riß den
Blick von ihm los.
«Sehen Sies« erlläkte Fenneston
als Antwort auf dgas Gelächter um
den Titel-. »Die Wahrheit nögen wir
nicht, selbst wenn Sie uns eingeboren
sied» Jst- könnte Jhnen einen Fall
erzählen . .«
»Ein perfönlihes Erlebniss« frag
te eine männliche Stimme am ande
ren Ende des Tisches.
»Das seltsamfte and bezeichnendfie
persönliche Erlebnis, das mir je be
gegnete,« erwiderte Fenneflon ent
schieden
Bei dein Chorus der Aufforde
M der diesen Worten folgte.
fjiz Fenneiion zu der Wit
Lunens nigemamtkle ec von ihr die
FW M Erlebnis erzählen zu
Wie si- ihni denn auch höf
sitz-E- Denn befahl fie dem Diener
— « Sie sit tie Schule-, die
, nIeicht « Ein leich-»
.Nein.' TSie verzog die Lippen
zu einem tonnentioneäetn Lächeln
«ED zieht hier, glaube ich.« !
»Mir ift nicht die Gabe des Er-»
.ziihlers verliehen«. sagte Fennefton
zögernd. .Und ich weis nicht, od ich
Ihnen das, waz mir heute noch mit
"graufamer Lebhaftigleit in Erinne
rung ist, vor Augen fiihren tann.
Es war zu jener Zeit« da ich mich
mit dem Studium der Graphologie
und der Kunft defchiiftigte, aus den
Linien der Hand-« zu lefen. . . Die
Zeitungen er aßten die Sache und
wußten viel der einen Professor der
Physiol-wie zu fchreiden, der mit« Et- .
olg ottulte Wissenschaft beneide-«
»Ich erinnere mich, daß Jhr Name
in aller Munde war,« warf einer der
herren ein.
«Zu der Zeit befand ich mich in
Paris-' fuhr der Professor fort»
.Dutch ein Telegramm war ich dort- «
hin berufen worden. Es war talt
und triid draußen. Jch war mit
mir im Streite, oh idz ausgehen foll- »
te oder nicht, da rachte mir ein
HHoteljunge —- ich wohnte im Conn
Jnental — die Meldung, es ftehe ein
sMann draußen, der mich in einer
jteichtigen Angelegenheit zu fprechen
i wünsche Diefe Abwechslung war mir
; bei meiner undehaglichen Gemüts
. ftimmung willkommen-« .
» Fennefton ließ wegen der merkli
«chen Spannung und llnruhe um den
j Tisch, eine Kunftpause eintreten.
«Dann fuhr er fort:
i »Ich wollte, es stände in meiner
I Macht, Ihnen das Bild des Mannes
qu vermi.chaulichen. der in meinem
xsimncer erschien. Des öfteren habe
ich die Wirkungen des inneren Seelen- ;
s lebens auf den äußeren Menschen ge
Hehen und ftudiernf Aber niemals
i bis dahin war mir eine fo offenbare,
Hoffnungslose Verzweiflung vor Aus H
. gen getreten, wie sie das Gesicht dies T
Hez Mannes zeigte. Es war einge-!
Tfallen, voll tummerdoller Falten, mit
fzufammengetniffenen Lidern, als
Hchmerze ihn das Tageslicht. Für
ieinen Kisnftler —- fiir den ich ihn.
hielt, und ich ging nicht weit fehl —
war er fchiidii. gekleidet. Er war ges »
kommen, fagte er mir geradezu und;
ohne Einleitung, um sich von mir aus ’
den Linien der hnnd lefen zu lassen.
txz handle sich dei ihm um Leben und
Tod «
Fennefton schwieg einen Augenblick
»An der leidenschaftsloer, monoto
nen Sprechweife dei Mannes er
kannte ’ich, daß er die Wahrheit
sprach. Auf meine Frage erfuhr ich, «
es fei feine Frau, deren handlinien J
ich zu entziffern hätte. Und aqu
ineine weitere rage, ob sie nichts das «
gegen haben w rde, erwiderte er nuzs z
druckslog: »Sie wird nichts dagegen!
haben!" I
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i
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Fenneslo.iszuate die Achseln: »So
willigte ich denn ein. Ganz abge-’
sehen davon, hielt mich der Mann
in einer Art Bann. Er mußte das
fühlen. Denn er sprach mehr befeh- »
lend als bittend. Als er uon dem
Cab Erwähnung tat, das ibn un
ten erwarte und meine Begleitung
heischte, folgte ich ihm willig. Wat
um er meinen Rat einhole, nicht aber «
den eines regelrechten WahrsagerTz
fragte ich ihn. Worauf er mit schwe
rer Stime antwortete: »Weil Sie ein
Gelehrter sind und der Wuhrheit’
nachgehen. Die werden Sie mir sa-:
gar uuv vie Wahrheit muß ich wiss l
sen — ucn jeden Preisl« s
Lier erkannte ich die Tragödie inl
Fleisch and Blut, einen Fall, der leis 4
neswegs chwiichlichen Motiven ent
sprungen ein konnte.
Wir stiegen in das Cah, und derl
Fremde nannt«- eine Adresse im
Quartier Latin. Während der Fahrt
schwieg er beharrlich. Seine Hand
lag fest geballt auf seinem Knie. Die
se hano sagte mir, daß der Manns
seine Selbstdeherrschung mit aller s
Energie aufrechterhielt und sich durch.
nichts verraten wollte, bis seine Ab
sicht ausgeführt war. «
Das haus, vor dem wir ausstie
gen, war sogar für das Quartier
Latin auffallend schmutzig. Wir
durchquerten einen duntlen Hof« und
stiegen eine guterhaltene Wendel
treppe hinauf, immer höher bis zum
Himmel! Vor einer schmalen Tiir
im dritten Stockwert blieb mein
Führer stehen« zündete ein Ziindholz
an, um das Schlüsselloch zu finden.
Das Lachen eines Kindes unterbrach
dies-Stille Die hand des Mannes
I s.
I »Sie wissen nichl,« sagte er mit
fverftörter Stimme, stieß die Tür auf
und eilte hastig ins Zimmer, wo es
ytalt und finster wur. Zwei Kerzen
zündete er an, die auf dem Tisch
» standen.
Das Gemach war eine Kombina
tion von Wohn-, Schlaf- und Ar
beitszitnntet ugleich. Eine anhei
melnse Atmo phäre herrschte in dem
Raum. Kleine Blumentöpfe standen
auf dem Fenstersims, worin reizenve
Blümchen blühten· Jm Arbeitslosi
auf dem Tisch Lag, wie mit eiligen
qFingern hingeworfen, ein Kinder
Irumpß alles ringsum verriet ven
wohltätigen Einfluß einer Frau.
Eine hand legte sich auf meine Schul
ter und schol- mich vorwärts. Da
fah ich mich einem Bett gegenüber
ellt, das meinem umherscheifenven
nge entgangen war. Ein Frauen
eltalt lag darin au eilte-It. Beim
nblick des mitten enden Haares
und eines bleiche-, stillen Gesi tel
wollte ich mich til-tret ineiickzie .
kliet der Mann hielt meinen m
mit ese . . .
das Sie aus Ihr-en Hanblinien le-«
en.«
Ich näherte mich dem Bett und
betrachtete neugierig das ausgestreckte
Weil-. Es war eine sast tindtich zu
nennende Gestalt mit einem sehr sun
gen Gesicht voll steinerner Ruhe. Die
hoch emporgezogene Bettbecke regte sich
nicht bei den etwaigen Bewegungen
ihrer Atemziigr. . . Unheimlich durch
schauerte ed mich.
.Schläft Sies« sliisterte ich
,Sie ist tet«, antwortete et, brachte
ein Licht und hielt es iiber dem Bett.
Er mußte inein Entschen und meine
Entriistung beniertt haben, denn er
blickte mir sest in die Augen und rote
berholte seine Bitte im selben Tone:
»Ich will, daß Sie aus Jhrer ldani
lesen!«
»Warum, Mensch!« ries ich und
wich angeelelt von ihm zurück. »Das
Weib ist tot! Es hat keine Zutunst
mehr."
»Ich frage nicht nach ihrer Zu
t«nst," sagte er langsam unb ruhig
.Jch will von Ihnen erfahren, was
fee ist s- was sie war,« verbesserte
er sich. «Das tiimmert niemanden
als nur mich, schadet niemandem.
Die Wahrheit muß ich wissen. Sie
kann nicht sterben und mich in die
sem Zustand des Schreckens zurück
lassen. Sie miissen die Wahrheit
siirI mich heraussinbeni Sie mits
sen-«
Zum erstenmal lüstete der Mann
den Schleier von seiner Seele und
ließ mich einen Blick in sein zerrisse
nes Jnneres werfen. Jch mußte mich
abwenden.
»Dauert Sie das Licht höher,« sag
te ich mit gedämpster Stimmer und
trat näher ans Bett. Sie war ein
zartes Ding, und ich gewann den
Eindruck, als ob sie in Gemüisruhe
durchs Leben gegangen wäre, um den
liebreizenb heiteren Ausdruck, den der
himmel ihrem Antlig verliehen, nicht
einzubiißen . Jhte Augen waren
geschlossen und eine Hand lag aus
der Decke. Erschauernb starrte ich
W
Weist-tei- Jan-W
fee an.
Er hielt das Licht näher: «Sie
müssen!« wispelte er. »Sehen Sie
denn nicht, daß Sie iniissen!«
Ja, ich fah, daß des Mannes Ber
nrnfi von meiner handlungsweise
abhängig war, daß sie an einem
dunnen Faden hing und ihn zu- ver
lassen drohte· Jch zog mein Vergrö
ßerungsglaö hervor und kehrte, mich
verbeugend, sanft die Hand auf der
Bettdeae um. Sie war noch warm.
Ein Etwas an dieser offenen, heißen
hand interessierte mich. Unter des
Mannes gequälten Atemsiigen iiber
meiner Schulter, bei dem schwan
tenden Lichtschein auf der stillen Ge
stalt, beugte ich mich noch tiefer nie
der. . .
Gewaltsam den Schauer in mei-«
nen Gliedern herrschend, bannte ich
mein Auge auf die schmale, feine
hand, die den Luqu liebte, aber um
der Liebe willen arbeitete, denn der
Nagel des Zeigefingers war von Na
delstichen rauh und gerstochen; ebenso
die sich daranschließende baut. Es
ioar ein armes, kleines Händchem . . «
»Rasch, rasch,« drängte leise der
Mann. »Die bevorstehenden Charats
terziige —- bie müssen Sie schon her-, -
ausgefunden haben. Qualen Sie mich
nicht, Mensch!« j
Fennesirn hielt inne. «Weiter,i
ioeiter,« hat Mir-. Graham und auf
ihren bleichen Wangen glühten zwei»
rote Flecken.
.Die Hand war für mich, so weit
ei den Charakter ihrer Besiherin z
betraf, ein offenes Buch,' fuhr Fen- »
version fort. «Dennoch flatterten
meine Gedanten nach allen Richtun
gen. hundert Mutmaßungen blihs
teir in mir auf. . dennoch wußte ich
niM Bestimmtes, es sei denn, baß
nie Antwort fiir den Ueberleben
den neben mir von ditaler Bedeutung -
war.
.Die Wahrheit«, hörte ich ihn
wiss-ein. «Wai haben Sie gese
heur «
Da war mir, als bediente sich ein
anderer meiner Stimme, während ich -
antwortete: »Ich sah aus allen Wert-»
malen heraus, daß ich die hand ei
nes sehr guten Weibes prüfte.' s
Das Licht in seiner hand fiel zu.
Boden und erlosch. Einen Aufschrei.
hatte ich bei dem Manne erwartet.
Aber iein Laut iam ihm iibek die
Lippen. Eine hanb fiteclte er aus,
legte sie fanft auf ihren bloßen wei
fzen Arm und firich weich hinunter-,
bis er ihre Finger berührte· Dann
kniete er nieder und begrub fein Ge
ficht in ihrer Rechten.« ’
.Waren Sie jemals Zeuge eines
lautloer Kummers?'« fragte Iennes
stan. »Ich war dessen Zeuge. Jch
hörte ihn in jener Nacht in dein
»kleinen Zimmer« hörte daj Stöhnen
isas S luchzen des Mannes, das ihm
nicht ii er die Lippen kommen kenn-«
te. Jn einem Gefühl feheuer Ehr
furcht griff ich nach meinem hut und
»wollie mich fortfchieichen — da hielt»
Her mich zurück. i
j «Valt', rief er, und zu meiner
HUeberrafchung lag eine gewifx hoff
jnungsfrenvigieit in einer tinnne.1
« hr bin ich es fehud Ihnen die
i ahrheit hu W nnd vor einen- .
zettvnigen er zu fchiiseih ven»
»F mein Vene en gegen fis ein
;e,e sitzt haben m . Der Tob«, fuhr
Ier langfmn ort« «ifi nicht bas.
! n i- i
isten-Mens- ts Mäsan- kein
»
Arennt-en iosiis ich del
aber-erlitten
nicht tat-n —
habe ich nunmehririchn
Er zog bat Leintiich til-er ihr ein
ges Gesicht als wollte er etni neni
tlnblick entziehen, entzünden wieder
die andgelöschte Ketze. ließ ni«
Plah nehmen und, die hand aii
ihrein bereckten Arm, begann er:
Acht Jahre waren wir verheira
tet. Ich hatte ein Maleratelier, aber
meine Kunst gab ich aus, unt gering
Brot zu verbienen, damit wir glück
lich seien.'·
»Ich wollte,« sagte Fennestiin, »ich
könnte Jhneii seine Worte wiederho
len. Riii an bat Wesentliche darin
erinnere ich niich iiiib hie und ba an
einen Satz.
Sie hatte sich ihin als Modell an
geboten, erzählte er. Jhr Wider
stanv, nackt Pase zu stehen, machte
es unmöglich« in einer ständigen
Stellung ihren Unterhalt zu finden.
Er oeipslichtete sie siir Illustratio
nen, bie er lieferte, und da lernten
s e einanrer kennen. Bei ihm war et
die Liebe aus den ersten Blick Eine
u,nbegrenzte tiese Leidenschaft, wie sie
.Mäiiiier seines Schlage-i manchmal
überfällt Er wußte nichts von
ihrer Vergangenheit von ihren Freun
den, ihren Eltern. Alle Fragen per
söiilicher Art vermied sie. Durch zwei
Jahre weigerte s.e sich, ihn zu heira
ten, obgleich er Daraus drang. End
lich gab sie nach, stellte aber eine Be
bingung.«
»Eiiie Bedingung-? wiederholte
Mis. Graham in riteiiibelleinnienber
Spannung.
Fennestrn sah sie teilnehmenden
Blickes an: »Jawohl, eine Bedin
gung. Danach durfte er wevei jetzt
nach später nach ihrer Vergangenheit
und was damit zusiiniinenhing, fra
gen. Was auch toniineii mochte, war
ihin jebe Frage iiber die Vergangen
heit Verboten«
" »Und er ging daraus eini« ’
»Jawohl', erwiderte Fennestoml
»Er heiratete sie. Durch zwei volle
Jahre hatte er sie als ein rechtschaf
senes, gutes, tugendhastes und sanf
tes Wesen kennen gelernt, und er hei
ratete ste. Die Ehe dauerte acht
Jahre.
Es verband sie eine ungetrübte
Harmonie, erzählte er mir. An Leib
und Seele eins, gebrach ej ihnen
wohl an irdischen Gütern, aber die
Liebe machte sie reich. Seine Kunst
war nicht eintraglich. Als die Ba
hies kamen, übernahm sie seine Näh
arbeiten, Und er wurde Beamter in
einem Bureau. Sie lebten in be
schränkten Verhältnissen, aber nicht
minder glücklich und zufrieden. »Ich
erinnere mich,« waren seine Worte,
»daß sie eine Art Dantdarleit für
mich und ihr Glück an den Tag legte,
was nachher meinen Verdacht aud
löste — ei war, als suchte sie eine
Schuld an die Liebe zu zahlen Kön
nen Sie begreifen,« ries er heiser,
»wie es möglich wor, sie zu verdäch
tizen?' Ei zog das Leintuch von
ihrem stiedlichen Antlih. »Um so
mehr ein Mann, der, wie ich, so viel
von ihr empfing, der sie mit seinen
Kindern an ihrer Brust gesehen! Der
ihre innersten, unschuldigen Gedanken
Tag und Nacht erlauschte. Können
Sie, der Kenner der menschlichen
Seele, jene Ratter in uns ergründen,
die Zweifel liess-ji«
Wie mich der Verdacht packte, ob
durch einen Blick oder durch- ein
Wort, weis-, ich nicht« Jnsgeheim he
orachtete ich lauernd jede ihrer Bewe
gung. durchspiihæ ich ihr Tun und
Lassen. Jnstinttiv wendeten sich meine
Gedanken dem sonderbaren Verspre
chen zu, das sie mir ausgezwungem
Die Leidenschaft der ersten Jahre, die
mir alle Selbstdeherrschung geraubt,
hatte sich einigermaßen gelegt. Jch
ssrh in ihr ein Weib, das mir etwas
zu oerheunlichen hatte, und begann
di« Au richtigieit und Ehrlichteit ih
rer handlungen in Frage zu stellen.
Hätte ich mein Gemiit in Worten er
leichtern dürfen, tlagte er. es wäre
mir zum heile gewesen. Sie hatte
es mir unmöglich gemacht. . . Wie
von einem Dämon erfüllt, trieb es
mich, die verbotene Frage an sie u
richten. hundertmal im Tage lag ie »
mir aus den Lippen. Jch begann,
meine Kinder u bemittelt-en Jch
sagte mir, ich satte nicht das Recht
gehabt, ihnen eine Mutter zu geben«
von der ich nichts gewußt. Jch fühlte, .
daß ich ein Recht aus ihre Vergan
genheit hatte, daß sie mich belegen
und betrogen. Jch beschimpfte sie in
meinem nnernt
Eine indetsiimtne unterbrach ihn.
die oon der halte lam.
»Papachen. . . Schläst Mamas
noch i« .
Der Mann s losz die Augen, alsl
wollte er nichts ehen und nichts hö
ren. »Ja. . .te schläft noch,« sagte
er. »Geh zu adame.«
Wir warteten regun slos, bis das
Geräusch der tleinen Ins-träte ver
hallt war. Dann sa e der Vater,
als müßte er seinen ericht beendet-, »
ehe seine Fassung ihn verließ
Sie starb durch einen Unfall. m «
B riss, einer armen Frau eine n
tee iihung iu bringen, wurde sie von »
Wem Bazwwatgsseinem dstfuaaiti an
l M c ckk III c -
stet. . . Vor vier Stunden brachte
man sie heim.« Er sah mir in die
«in Eik ME. ist? « M
I , e
ges-tun deren fähig unfeka
es war Wahnsinn Ilber als sie
»Ist-eher ten, erlosch alles in
auf einen Gedanke-g das
i
»vonh:nuenging.ohneinichsber
Ec- MM arti-Mist is be-;
ben, daß ich weiter in leben hatte Init
dein herzfresienden Verdacht. Da fiel !
mein Blick ans das Abendblatn Ei
war wie Gottes Wille. Ich fah du«
Schlag-Dort das von ihren Experi
mer.ten in der Knnsi sprach. aus der
Dand zu lesen. . . das iibrige wissen
Sie. . . Jch brach mein Versprecheni
Ein legtes Mai beieidigte ich die
Reinheit ihrer Seele. Aber Fest. . .
jetzt isi sie wieder mein. Gang its-eint
Darnn tann niemand riitteln.
Reini·
Er hörte mich nicht die Tür auf
und wieder zu tun und mich entfer
nen. Denn er war der Erde entrückt
und bat sie, die ihm nie etwas der
fagt hatte, um Verzeihung.
Jennesion schwieg. Atti-. Grahani
bedeeite ihr Gesicht mit ihrer ringges
fchmückten hand. Nach einer Pause
bemerkte jemand aus der Gesell
schaft: .Und Sie haben, bei Besichtis
gung der Handfläche, gleich ertannt,
daß sie ein gutes Weib wars«
Lächelnd antwortete er ruhig: «O
nein. . . das Gegenteil!«
«Wie?«
»J meine, daß sie ein Weib war,
das ir Leben in vollen Zügen ge
nossen hatte.«
.Und Sie ließen ihn glauben. . .
«Seine Geniiitsberfassung wat’s,
die den Mann ungliialich machte,'
fiel Finnisian ein, .nichi die Tat
sache, wie die Frau in Wirklichkeit
war. Glaubte er an die Reinheit
ihrer Seele. so wurde er dadurch
gliscklich Zweifelte er an ihr, iol
litt er unsägiish. Daher gab ich
ihin einfach den Glauben an sie wie- l
bei.«
»Mit einem Worl, sie beksetzten ihn .
in das Narrenpariidies.' i
»Auffusiungösache,« erwiderte Fen- -
nestvn. »Noch meiner Ansicht war
die Vergangenheit Eigentum des
Weibes, io wie ieine Vergangenheit
Eigentum des Maares war. Nur
auf ihre Gegenwart hatte er ein An
recht — und nur die lonnte sie ihm
geben. Unsere Vergangenheit sieht
sittl. Sie ist nichts weiter als ein
Traum, der hinter uns liegt, an dem
sich nichts ändern läßt. Soll es uns
quälen, weil wir im Traum genier
det haben?« ’
Man lachte. wer-. wrahani erhoo
ssch erregt. Jn ihren süßen Augen
wetrerleuaktete eg, als sähe sie ein
Wunder, an das sie nicht glaubte.
»Ich meine, was wir find, gilt,
aber nicht, was wir waren. Wie- wir
in der Gegenwart leben, aber nicht
wie wir getebt haben. Jch glaube, in
jenem tleinen Gemach lag ein gutes
Weib, das nicht nach unserem ge
wöhnlichen Maßstab zu beurteilen
war« ein Wesen mit reiner Seele, ein
seltenes Weib, das oon dem zweifeln
den Gatten gewürdigt zu werden ver
diente.«
Ein sast allgemeiner Widerspruch
erhob sich unter den Gästen.
»Wenn Sie mit Jhrer Theorie
durchdringen wollen,« sagte ciner der
herren, »so müssen Sie uns vorerst
in Jdealisten oder Märtyrer umge
wandelt haben." f
Aber Mir-. Graham wandte Ferme
ston ihr bleiches Gesicht zu, ohne ihre
überströmenden Tränen zu oeroergen.
Unbesonle riictte sie ihm näher in nn
ertennendem Geständnis dessen, was
sie gewesen, was sie wnr oder sein
wollte und wofür er ein umfassendes
Verständnis besaß.
»Iiirchten Sie jetzt noch?« sragte
er sanft.
Schweigend legte sie ihre hand in
die seinige
—
illa-eiles- stillen
Eli-ge von Felix Freiherrn von
Sirt-Ahn
Es ist nachmittag. Der Beobach
tungsposten hält im Schuhengraben
Ausguch Er soll feststellen, wo die
Minen einschlagen, damit der Mi
nenwerser danach eingestellt werden
kann. Der junge Kriegssreiwillige
späht eisrz hinaus. Jm Vorjnhre
urn diese it war er eben zur Uni
versität ge omnien, jetzt steht er schon
seit Monaten im Westen gegen die
Franzosen.
hin und wieder geht-It in den
Lanfgräben zurück zur Reserve, dann
wieder für einige Tage nach vorn in
die erste Linie. Dreimal täglich
greifen die Franzosen an, morgens,
mittags und abends, ohne Erfolg.
Es ist, als fühlten sie nur das Be
dürfnis, den Feind zu beschäftigen.
Auf dieser Linie ist man ständig
zwischen Leben und Tod, immer des
euszerften gewärtig. Knapp findet
sich die Möglichkeit, das Essen her
zubringen; es muß eine Stunde
weit hinter den Gräben von den
Feldiiichen herangeholt werden, und
diese Feidtiichen kommen noch eine
Stunde weit her. ’
Der junge Kriegsfreiwillige häiii
Art-guck. Zu diesem Posten melde
ie er sich freiwillig. Nun ilt's.
Er hat nur Sinn fiir seine Aufgabe.
Er sieht kaum noch die erstarrten
Menschenleider, die diese aufgewiihis
te Hölle dort zwischen dem ei enen
Schildengraben und dem feind ichen
wie Gespenster anfiillen. Das ifi die»
Streite, die niemand betreten kanns
Man darf sie nicht dereinhoiem ums
sie zu bestaner die efallenen Ka
meraden, die toten Jendr.
jcin Offisier kommt heran, derj
Student macht ihm Meldung iiberj
feine Wen-nein Dann ver-;
i .
schwindetde Ossizier wieder ten
« L .
Oe Beobachtung war gut. Nach
einer Weile siht eine Mine im seind
lichen Graben. Ein grosser Trichter
an der Stelle, wo evennoch lebende
Menschen die Wache hielten.
aDer sasit« rust der Student un
willkürlich Dann wirst er einen
Blick seitwärts. Er weiß, dort ganz
in seiner Nähe hockt ein Kamerad ins
Unter-stand Der Beobachter lächelt
ein lven . »Mutter lV!« rust es
»Noch Dich zurecht! Jetzt trmlnI
Du ran! Berstandent Die paar
Granatenl Komm nur ietzt, es ist
Zeitl«
Eine helmspise sieht aus dem
Untersland, mehr nicht...
Müller war daheim ein friedlicher
Schreiber gewesen, ist ein etwas
schmächtiges Kerlchen. Er tann sich
an das Geschieße nicht gewöhnen.
Eine Weile vergeht, da rust der
da vorn zum zweiten Male. Er weiß,
es ist grausam! Und man muß seine
Kameraden erziehen. ihre Entschluß
trast stärken, wenn es geht« Aber Miit
leri Wille ist nun einmal, wie's
scheint, einer Erhebung nicht fähig
Wem niin er damit, wenn er sich
mutwillig der Gefahr aussehti Sich
selbst gewiß nicht! Und den ande
ren? Da sind ja genug, die sich
melden. Aber nun, da er wiederholt
gerusen wird, zweifelt er doch, ob er
nicht muß. Er ist noch nicht so
sehr lange dabei.
Der Student späht wieder aus.
Flüchtig tomntt ihm der Gedanke
an Vater und Mutter daheim, an
sein liebes Mädchen» Und der da
hockt immer noch im Unterstand.
«Miiller, jetzt mach Dich aber zu
recht!« rust er wieder. »Noch zwei
Minuten! Jch habe keine Lust mehr,
muß mich alt-ruhen« Noch eine
Minute! . .. Müller, hörst Du? Jetzt
ist die Zeit vorbei, jetzt mußt Du
kllll!«
Er blickt zur Seite. Vorsichtig
schiebt Mugletier Müller lV seinen
Kon nach rückwärts aus dem llnters
stand. Schmal und weisz sein Ge
sicht, die Augen groß ausgerissen. Da
tut’5 dem anderen leid. Er fühlt
sich dem Kameraden so unendlich
überlegen, daß er ihn sreigiht.
«Na, laß nur, brauchst nicht zu
kommen. Werd« es sür Dich mit
machenl Da siehst Du, was Kame
radlclxait ist.
Müller zieht sich zurück.
Abends kommt der iihliche Angrifs
der Franzosen Das Feld des To
des nimmt neue Opfer auf. Dort
liegen sie zwischen den Linien, von
handgranaten zerrissen, von Ge
schoileri tödlich getroffen. Auch aus
der eigenen Seite gibts Verluste
Der Unteroffizter verwundet hin
ter dem Graben, mitten ini Feuer
der Feinde. Das Blut strömt aus
einer schweren Armwunde Nicht
gleich ist einer zur hand. Sie ha
ben mit der Abwehr der Feinde zu
tun, mancher mag auch den S tit
zengraben noch fiir sicherer anse n,
als die Stelle, ioo der Verwundete
liegt. Man ist nicht in jeder Mi
nute ein Held, und die Besinnung
geht wohl in der Hitze des Kampfes
einmal verloren.
.Verbindet inich denn leineri« ruft
ider Unterossiziee laut. Er tann sich
nicht mehr erheben...
? Der Student blickt sich uni. Ne
den dem Unteroffizier tniet im feind
lichen Feuer Müller. Er hat da;
Verhandpiictchen herausgeholt und
verbindet den zerschinetterten Arm
des Verwundeten so ruhig, ivie bei
Ieirier Sanitiitiiibung —
Nun ist es Nacht. Fern noch
immer Geschiitzdonner. hier ist es
still geworden. Der Wind segt durch
die kahlen zersplitterten Aeste der
Bäume, die paar Stämme, die das
lFeuer stehen ließ.
l Einige halten Wache, andere lie
gen im Unterstand und versuchen ein
wenig zu schlafen damit sie morgen
ilriih zum nächsten Ansturin frisch
;sind. Nun hat man im Einschlasen
Heil, heimzudenlen... Ein paar
Worte fliegen noch hin und her.
Müller wird von den Kameraden ein
wenig geneckt — gutmütig-überlegen
denn sie wissen, es ist keine Kleinig
keit, dies alles.
.Laszt ihn!'« sagte da der Stu
dent, indem er sich in seinen Man
tel hüllt. »Er hat unseren Unter
ossizier im Feuer verbunden. Wenn
es- eineni Kameraden gilt, hat er auch
Mut, der Müller, versteht Jhri
Heute hat er sein Probestiick gemacht.«
Da sind alle still.
Der Student schließt die Augen.
..Gute Nacht, Vater! gute Nacht,. .,
Mutter! gute Nacht, Jhr lieben Ali-(
gen meines Mädels — o wie eqsts «
lich ist doch der Schlast.»'
Nahe beieinandee liegen die seinds
lichen Linien. Die stille des Kamp
ses schweigt file ein paar Stunden
Ireund und Feind gemeinsam be
deckt vom Maine er Nacht, umweht
von einein tei n hauch des Frie
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