Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 27, 1916, Sonntagsblatt, Image 9

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    Somäagiblatt de
Staaks III-Zeiger und Merold
,R;b Dsu TexkstAth
Uti- heute-de seist.
Eine Fiichqcschichie von Gram Lus
Es gab in unserm schweizer Kur-s
haus jedesmal einen kleinen AuslansJ
tdenn Herr Nikolaus Grantiger, gess
nanni der Obethetkieböinspeltor, zum
Fischen auszog Wie herr Grantis
get zu diesem vertrauenertveclenden
Zunamen »der Oberbetriebsinsdettor«
gekommen, isi nicht ohne weiteres
llar. Es scheint allerdings, daß er
in jiingern Jahren in irgend einer
ausländischen Eisenbahnderwaitung
eine höhere Beamtung bekleidet hatte.
Jn den letzten zwanzig Jahren aber,
die Herr Granitger als wohlhabender
Junggeselle, Kurgast und Sportssis
scher in möglichst angenehmer Weise
in verschiedenen Kurdrtes der
Schweiz und der anstoßenden Land
striche derbracht hatte, war sein
Dasein ddn keinerlei Arbeitspflichten
mehr beschwert Da er jedoch, ein
neuer Falstaff, troh seiner Körper
fiille ein ungemetn belebendes Ele
ment war und überall, wo er nur
hinkam, durch seine Spässe und
Schnurren »Betried in die Bude«
brachte, so war ihm jener gehername
in doppelter Bedeutung ir ebliehen,
und er «ieß sich don seinen r nden
und Belanntet unter
Knarren mit Herr
oder Oderdesttedsiit
ten. . .
In dem reizend ges »Kat
haiis, wo ich iyn tenne , war
er schon seit mehr als siin fi Jah
ren jeweilen tin Spätsommer abge
stiegen, uns sür einige Wochen an dem
gutveoöltertea Forelle-um e, der zum
Ddtel gehörte, der Sport ischerei ob
zutiegen Er hatte da immer das
gleiche Zimmer im ersten Stock und
den gleichen Fenstetplay im Speise
saal ersessen. Von Wirt und Perso
nal wurde er mehr oder weniger als
attei, ader nicht immer sehr bequeme
Jnventaestiict betrachtet. Denn wenn
er nicht gerade fischen ging oder nicht
in der Dorstneipe saß, so trieb et
sich, miutentlich dei« Regenwetter, Jvie
eine pustende Damdswalze den gan
zen Tag Hm Haus herum, plagte die
Dienstboten, erzählte den alten Da
men die uiiglaudlichsten Schauerges
schichten nnd schiinpste zuweilen auch
über die spotelliiche, die Bedienung
uan allerlei andere irdische Unzuläng
lichteiten. hin und wieder gab es
auch einen lleiiien Austritt mit dem
Wirt, der es indes meisterhast der
stand, die unendlichen Beschwerden
Grantigers mit einem fröhlichen
Scherzmort azutum er lannte seinen
Pappenheimer und wußte, daß er
schon unter seinem Vater und Vor
gänger iiber das »miserable Essen
und die noch viel miserablere Bedie
nung« gewettert hatte und doch jedes
Spätjahr mit der Piinltlichleit eines
Steuereinziehers immer wieder er
schienen war.
Bald lernten ihn auch die neuen
Gäste richtig einschönen und ergötzten
sich höchstens über seine Rempeteien
und noch mehr iider die drolligen
Geschichten, die er in wohlgeliiunten
Stunden zum Besten gab. Sie lie
ßen sich zum zwanzigsten und ein
undzivanzigstrn Mal don dein heulen
denhecht erzählen, der im Miitnenteich
bunten am Doefwald sein gespensti
sches Wesen treibei sollte. Jede-smal,
wenn schlechtes Wetter tocnme, höre
man ihn heulen und hellen, so erzähl
te Grantiger allen, die es hören woll
ten. Bald war dieser heulende Hecht
gewissermaßen eine mhthische Persön
lichbeit, die jeden Augenblick in den
Gartenbanlen auftauchte, wie etwa
die berühmte Seefchlange oder das
Ungeheuer im Prämissen Es handle
sich um den bösen Geist eine-« unge
treuen Müllers oder eines Fis efretnl
leis, fügte der Oberbetriebsinfpettor
geheimnisvoll hinzu, jedenfalls sei er!
ein uraltet, fündengrauer Kett. f
»Gestern abend hat man ihn wie-»
der gehört, dea heulenden hecht,:
heute abend oder spätestens morgen
früh gibts demnach wieder Regen,
also muß ich heute noch aus die Fo
rellenjagd«, hieß ed dann gelegentlich
beim Feuhstllet, und das war dann
jedesmal ein kleines Ereignis in unsl
ferm sonst so stillen Rath-tut Es
bedeutete zunächst, daß herr Grantis
gee schon um halb elf Uhr zu Mittag
essen wollte, und daß um elf Uhr
zwei Buben aud, dein Dorfe am
haupteingang bereit sein mußten, utn
dem beruhmten Sportfischer das t
scherelgeriit, den blechernen isch a
sten und ein opulentes Er hstllet«
rntt einigen Ilaschen no zutragem
Und weh-» wenn etwas nicht tlapptet
Vom Hotelier und Küchenchef bis
herunter zum Zimmermädchen und
Chasseuk geriet daher alles in eine
gelinde Aufregung wenn here Gran
ttgee zum Fischen ausrlicken wollte.
Gewöhnlich hatte er auch noch einen
oder mehrere Mitgiiste zur Be lei-!
tung eingeladen. die nun ihrerseitss
auch noch nach Kräften zu dem allge-!
meinen Auslauf beitragen.
Eines Tages zog auch ich mit ihm
hinaus durch den halms und com-«
blumenumrantten Feldweg nach dem
stillen Wall-doch dessen Forellen ei-’
nen so geschätzten Bestandteil unseres;
Sonntags-nenne bildeten. Unterwegsj
versuchte here Grantiger, so gut es«
seine Kuczatmigleit erlaubte, mich in
die Geheimnisse der »Müllensischerei«
einzuweihen.
»Die Mücke, da ist das einzig
Wahre. Das allein ist Svottl Gar
nicht zu vergleichen mit der armseli
gen Wurmsischetei, die nebenbei eine
Grausamkeit und eine Schweinerei
ist! Denlen Sie nur« wie das arme
Tier, der angespießte Wurm an der
Angel sich dreht und windet! Und
ldann die schmupigen Finger, die man
dabei bekommt! Bei der Mücke da
gegen ist alles sauber und elegant,
sportmiiszig mit einem Wort! Mücken
sischerei ist aber nicht nur ein Spott
sondern auch eine Kunst, die man
nur durch Ersah ung und langjährige
Hebung sich vollkommen aneignen
ann
»Sie orauchen mindestens zwei
Jahre dazu«, fügte er nach einer län
gern Atmungspause hinzu. »Vor
allem müssen Sie genau beobachten,
welche Art von Mücken oder Fliegen
den Bachlaus, an dem Sie fischen
wollen, sich zum Tummelplatz erkoren
hat· Manchmal sind es graue, manch
mal.«griine oder rötliche Mücken. Alle
Farben und Schattierungen kommen
oor und wechseln ost von einem Tag
zum andern. Und von jeder Sorte
tniissen Sie eine künstliche Mücke in
Ihrem Etui haben«
Und dabei zeigte er mir seine
wohla ortierte Sammlung von etwa
Wonnng aus hörchen und Federchen
zsein nachgeahnte Mücken mit dem
nadelspiszen versteckten Angelhätelchen
kdqtith
»Ich beziehe meine Mücken immer
solrett aus England, troh dem Krieg.
Und auch die Angelrute ist englisches
IFabrilat Sie tostet mich sechs
Pfund, mit Fracht und Zoll etwa 160
Franken Aber sehen Sie, wie leicht
und elegant und doch haltbar das al
les gearbeitet ist! Qualitätsivare
durch und durch! Vor dem Kriege
war ich auch Mitglied des enalischen
»Iisl)ing Gan der im Schwarz
wald, im Bad Boll, seinen Sitz
und dort eines der besten Forellen
wasser Europas gepachtet hatte, Der
Jahresbeitrag war aber auch danach:
Fr. 125. Ja. der Angelsport ist
durchaus lein billiges Vergnügen,
auch in der Schweiz muß man jetzt
sür den Kilometer eines guten Forel
lenbaches jährlich Ir. 100 bis Fr·
200 Pachtzins rechnen. Eine Sport
sischgesellschast, der ich seit Jahren
angehörte, bezahlt siir einen etwa
zehn Kilometer langen Bach rund
Fr. 1000. Da kommt mich jeder
Fisch, ob groß oder llein, aus minde
stens Fr. 10 zu stehen!«
Unter solchem Geplauber, das
vielleicht zeitweise etwas ans Fischer
latein streifen mochte, hatten wir das
stille Waldtal erreicht, und Herr
Grantiger begann im Schatten einer
alten Eiche mit großer Umstäudlich
leit sein Angelzeug in Ordnung zu
bringen. Die beiden Tragbuben und
meine Wenigteit erhielten daoec die
schärfsten Maßregeln, die darin gips
selten, ja nie vorauszueilen, sondern
immer möglichst geräuschlos hinter
ihm herzugehen, und zwar imkrer so,
daß niemals unsere Schatten ins
Wasser salle.
«Wissen Sie, beim Fischen, da ver
stehe ich keinen Spaß,« fügte er mit
gewaltigem Stirnrunzeln hinzu
»Da verlange ich unbedingten Gehor
sam! Entweder man fischt, und dann
wird nicht gebummelt, oder man
bummelt, und dann ist’s lein
Fischen mehrt«
Mit dieser tiefsinnigen Belehrung
begann er seine hantierungen und
ließ die künstliche Miicke mit elegan
tem Schwunge ins murmelnde Wasser
fallen und ein Stück weit darin trei-J
ben, um sie sogleich wieder herauszuis
ziehen und sie immer wieder auszuss
werfen. s
»Das muß man im Dandgeleni
haben«, belehrte er mich. »Die Haupt
sache ist, daß die Mücke möglichst
sentrecht ins Wasser stillt, ganz ge
nau, wie wenn eine wirlliche Mücke
ohnmächtig wird und ins Wasser
stürzt, den hungrig lauernden Forel
len zum Fraß. Dieser Schwung
aber erfordert jahrelange Uebung!«
Von Zeit zu Zeit warf er nun
wirklich mit mehr Behendigleit, als
man seiner umfangreichen Leiblichteit
zugetrautshüttr. etwas Zappelndeö
un Gliherndes ins Wiesengras her
aus. Jedesmal stürzten sich dann
die beiden Buben wie die Sperber
daraus, um den Fisch oon der Angels
zu lösen und in dem mit Wasser geil
füllten blecherneu Fischbehiilter unter- s
zubringen. Vorier aber musten sie,
ieweilen den zappelnden Fang demj
»Dberdetriedsinspeitor« zur Kontrolle!
verlegen, und wenn der Fisch nachz
obersliichlicher Schiizung weniger alss
zwanzig Zentimeter in der Länge
maß, wurde er großmütig der tiihlenl
Flut zurückgegeben. 1
»Ich halte stets daraus, daß manj
auch bei Fischen streng weidgerechti
oersahre«, erilörte mir herr Crantiis
ger mit gewichtiger Miene. ?
Die hauptsache aber war ihm bei’
dem ganzen Verfahren, daß er ja niel
sich zu blicken genötigt war; denn das :
Biicken conr entschieden die schwache
Seite seiner ilberbehäbigen Falstas s»
Statut-.
Nachdem er etwa anderhalb Stun
den sleißig gesischt hatte, ertiärte er,
der erst vor zwei Stunden Haut und
Bnlg odllgegessen hatte, erhalte es oor
hunger nicht mehr aus und wolle
eine längere Pause machen, damit
auch die Fische ruhig zu Mittag essen
können. Unter Pusten und treuchen
tletterte er den steilen Wiescnhang
inach einem schattigen Waldwintel
;empor, hinter ihm die beiden Jüng
jlinge, von denen der eine Herrn
sGrantigers zweites Mittagessen im
jRucksack trug Schlarafsisch zwi
lschen zwei jungen Burschen hingela
»gert und von Mundschent und Trach
ssesz rechts und lints bedient, ließ er
sich das Pianict so herrlich wundes-,
ializ ob er acht Tage nichts rechtes
imehr unter die Zähne bekommen hät
te. Jch aber verabschiedete mich, um
aus einem stillen Waldweg nach
Thause zu wandern.
! ,,Griäszen Sie mir unsere gutgliiu
sbigen Hotelgrazien«, rief er mir
snach, »und sagen Sie ihnen, daß ich
saus dem Heimweg auch noch dem
lheulenden Hecht im Mühlenteich einen
Besuch abstatten werde. Vielleicht
gelingt es mir diesmal, ihn zu san
gen«.
—
ES folgte ein stiller, mit schweren
Wolken tief oeebiingter Nachmittag
und ein schwüler Abend mit Wetter
»leuchten und fernem Donner-rollen
iiiber dem See.
Zur Abendtasel war here Grantis
ger ganz gegen seine Gewohnheit
nicht eingetrofsen. Seine beiden Be
gleitbuben waren gegen 6 Uhr mit
den Fischen und dem leeren Rucksacl
allein zurückgekehrt und verrichtetem
Herr Grantiger habe nach dein Mit
tagessen bis gegen Abend geschlafen
und geschwind Dann sei er erwacht
und habe sie nach Hause geschiat, mit
der Bemerkung, er sei inwendig ganz
ausgehöhlt vor Hunger und Durst
und wolle noch im Dorswirtkhaug
ein Krüglein Bier henehmigen Her
nach werde er aus dem Heimweg
aus dem Mühlenteich noch schnell den
heulenden Hecht mitnehmen. Dieser
werde sich heute abend wohl wieder
hören lassen, da offenbar ein Don
nerwetter im Anzug sei.
Nach dem Nachtessen war sozusa
gen die ganze Kurgesellschast vor dein
hotel unter den Platanen versam
cnlt, um die Frösche quaten zu hören,
die sehr problematische Abendliihle
zu genießen und den boshast singen
gen Mücken, die in ganzen Scharen
oom Mühlenteicks herüberschwärmten,
mit Tabalrauch und Tascheniüchern
eine erbitterte Schlacht-zu liefern. «
»Es-I Mag llllc Dck Uscksclllcsbllls
spettor stecken?« fragte man da und
dort an den tletnen Zischen. Denn
Herr Grantiger hatte sich als Spaß
nnicher und Geschichtenerzähler doch
einigermaßen unentbehrlich zu ma
chen verstanden. Das mertte man
aber erst, wenn er fehlte. Eben hat
ten die Feierabendglocken im nahen
Dorslirchlein ausgetlungem als sich
durch die sinkende Nacht vom Mühlen
teich her ein unheimliches Heulen
und Brüllen erhob. Ein langgeon
genes Ohohoho: erscholl jämmerlich
heftig anschwellend und dann wieders
leis vertlagend durch die Abend-l
san-· So drei-, via-, fünfmal nach-l
einander. I
,, st das nicht der heulende Hecht
—- o hört docht« rief es halb la
chend, halb ängstlich verwundert
durcheinander und wie auf ein ver
abredetes Zeichen lief die ganze Ge
sellschaft den Wiesenweg hinunter
nach der Mühle zu, von der das
Ohohoho immer deutlicher und im
mer triibsellger uns entgegentlang.
Bald mischten sich laute Männer
stimmen in das Klagelied und der
Schein einer Laterne bewegte sich
zwischen dem Duntel der Weiden am
Teiche.
»Er lebt nacht« schrie man uns
entgegen, als wir den Schauplah die
ser nächtlichen Szene betraten. »Wer
eri« srafte tnan aus unserer Schar,
«der heu ende DechM .
Auf dem Ufcrbord aber lag zwi
schen zwei Müllerknechten im unge
wissen Schein einer alten Stallaterne
ein prustendeö, platscherndes, pudel
nasses Ungeheuer, das viel mehr
Aehnlichkeit mit Herrn Graniiger
als mit irgend einem der ständigen
Bewohner des Wasserreicheg auf
wies.
Jn der Tat, er war es selber,
der Oberbetriebsinspetior, naß bis
auf die Knochen, über und über voll
Schlamm und Schmut-« aber sonst
wohl und munter, wie er sogleich
durch ein ternhastes Donnerwetter
oon Fluchen und Verwünschungen
mit allem Nachdruck bewies.
Er war, wie aus seiner noch et
was unzusatnmenhängenden und
durch häufige Kraftworte über die
elenden Wegoerhiiltnisse dieser Ge
gend gewürzten Erzäblung hervor
ging, auf dem Heimweg an der Milb
ie vorbei in der Tuntelheit über einen
Weidenstruni gestolpett und nn der
.1bschiissigen Stelle lopfvomn in den
Teich hineingepurzelt. Glücklicher
weile hatten die beiden Müllertnechte
den Plumps und das Angstgeschrei
sosort gehört und die zweieinhalb
Zentner schwere ,,Wasserleiche« nicht
ohne beträchtliche Miihe mit Stangen
und Feuerbalen glücklich ans Land
gezogen. «
Von diesem Tage ak- erzählte Herr
Atrantiger das Märchen vom beu
lenden Hecht nicht mehr. Jm Gegen
teil, er wurde jedesmal wütend, wenn
von anderer Seite auch nur mit dem
leZsesten Wörtchen daran erinnert
wurde.
»Qspreuhische Oetmattitänge
Von Agnes Hardcr.
» Am Abend bin ich in Königsbern
angekommen. Das Fremdenheim liegt
Fig-fällig dicht neben der Tragheimei
irche, in der ich getauft bin. Jch
habe manche Stunde schlagen hören,
nnd es war tein Wunder, daß ein
langer Zug von Erinnerungen an
mir vorbeizog Am lebhaftesten wa
ren natürlich die, die mir nur das
«Wort übermittelt hatte. Jch war in
der Judenstraße geboren, die man
ietzt, nach der Kürassiertaserne
Wrangelstraße genannt hat. Meine
jungen Eltern desaszen einen unge
tvöhnlich schönen Pudel, Cato, der
ein Feind der Kürassiere war und sie
iviktend ansiel, wo er sie sah. Eine-«
Morgens fanden meine Eltern ihn
erschlagen und mit den Pfoten an
ihre Ttir genagelt, als sei er getreu
zigt. Auch diesen niegesehenen Cato
brachte mir der Stundenschlag der
Uhr an meiner Tanstirche zurück.
Arn nächsten Morgen ging ich von
dem Tragheiin in den Kneighof Kö
niggberg hat die alte Bezeichnung der
Stadtteile bewahrt. Man hat in der
siönigsstadt zu tun, oder in der
Ylltstadt, aus dein Haber-berg, oder
dein Steindamm, sporunter ganze
Viertel verstanden werden Jst der
Tragheim mit seinen Nebengassen
für einfache Gemüter schon überwal
tigend, so wirkt der Kneiphof mit
seinem Gewirr ganz und gar entmu
tigend. Oben sind bin und wieder
noch nene Straßen durchgebrvchen.
Unten aber drängt und schiebt sich
alles um den Dorn. Wer die ver
schiedenen Stile, die verschiedene
Größe und Ansehnlichteit der Bau
ten dieser« Gegend schildern will, muß
an oen hunmnjasen waret jeiojr den
ten, der regnen läßt über Böse nnd
Gute, über Gerechte und Ungerechte.
Und doch siihlt sich der gebotene Kö
nigsbetger gerade in dem Gassenge
wirr der ehemaligen Festung viel
toohler als in den breitnnsladenden
Gartenvorstädten, die entstanden, seit
die Wälle sielen. Auch gibt es ztoei
Pole, nach denen sich der Suchende
richten kann, das Schloß und den
Ptegei. Ausatmcnd stand ich an je
netn ersten der drei Besorgunggtnge,
die ich siir mein Teil in Beitrags
lnge uincoandelte, am Schloß. Nun
sand ich mich zurecht Jch ging durch
den geliebten Schloßhos und grüßte
nach dem ältesten Erler hinaus. Ob
wohl Georg Wilhelm, der Vater des
Großen Kursiirstem in jenem Flügel
gewohnt hattet Während des Drei
szigjährrgen Krieges siedelte er nach
Qstpreuszen über, jagte Elche in Ge
orgswnlde im Satnland, das ihm
seinen Namen verdankt, und in
Großraum bei Königsberg, und hatte
gegen die Politik jener Tage eine
leider berechtigte Abneigung. An der
Wache vorbei geht es dann durch
einen unergriindlichen Schmutz über
gief Schmiedebriicke nach dem Kneip
o .
Von der Schmiedebrücke hat man
den besten Umblick im alten Königs
berg. Rechts, hinter der Krämer
briicke, die Speicher der Lastadie, die
Waheseiehen des Getreidehandeli,
der zugleich mit dem holzhnndel
Königsberg groß machte. Hohe Fach
wertbauten, einer am anderen. Von
Hder Krämerbrüae bis zur Schmiede
brücte ist das eine User der Fisch
martt, dac- nndere der »Kunstmarkt";
ietzt sagen Feine der »Kohlmartt".
Aber der alte Provinzinlisrnug ist so
gnr in die Kunstsprache gedrungen.
Das undurchsichtige, höher geschätzte
Bernstein heißt »inmstsarbiger«.
Linls von der Schmiedebriicle lie
gen jedem ostpreußischen Herzen teure
Häuser. Ein alter, brauner-, gichts
briichiger Kasten, mit unregelmäßi
gen, kleinen Fenstern und ver-kutsch
tem Ziegeldach: die alte Universität.
Erst denle ich immer daran, dnß
mein Vater sie besuchte — wo ist
der Student, der sich heute noch mit
der Universität seiner Heimatprovinz
begnügie? — aber ganz rasch, um
»unseren Nationniheiligen nicht zu
lränten, gebe ich dann Kant die
Ehre, die ihm gebührt. Das Haus,
in dem er wohnte, ist abgebrochen.
Aber die nlte Universität, die jetzt
Bibliothel ist, wird mnn ihm zu
Ehren wohl erhalten. Dicht dabei, in
einer äußeren Domtapelle, ist er auch
»begtnben, seinen schönen Spruch vom
«,,gestirnten Himmel über mir und
dem moralischen Gesetz in mir« zu
Häupten. Der Platz hinter dem Dom
;ist der Auslaus sür die Schüler des
Kneiphöfischen Gymnasiums daneben.
IKant mag sie oft genug lärmen hö
ren in seiner Gruft. Aber den Spruch
Nehmen sie alle mit hinaus ins Le
:ben, ost unbewußt, bis Zeiten, wie
die unsere, ihn plötzlich bewußt ma
chen; und nicht nur für Königsberg,
wenn er da auch in diesem Krieg am
ndtigsten gebraucht wurde.
Denn wohin ich in diesen meinen
Freundestagen auch komme, ob in
sdas Dichterstiibchen Agnes Miegels,
Hdas auch im Banne des Domes liegt,
ob in das alte, vornehme Familien
siist in der Königsstadt ob wirklich
izu Besorgungen in die großen, alten
Geschäfte, aus denen aller Glanz
meiner Jugend in die kleinen Städte
der Provinz tam, in die mich dann
die typische preußische Beamtenlaufs
bahn des Vaters Mfelnd ver
schlag, bis sie in Königsberg wieder
endigte, überall fühle ich —- so nah
wie hier war ich dem Kriege nir
gends-. Während der Rausch der gro
ßen Siege im Westen wochenlang
iiiber Berlin lagerte, ist in Königs
jberg vor Tannenberg teine Fahne
trausgehängt worden. .Wie einen
Oeimattrieg hat Ostpreuszen diesen
itirieg genommen, mit seinem Leid
und seinem Sieg Während die west
iliciken Siegesnachrichten aus-gerufen
Iwurdem spähte man nach dem
jRauch brennender Dörfer, empfing
lman Flüchtlinge, weinte iiber Ge
Imordete. Denn diesen Stachel im
iSchmerz lennen ja nur die, deren
Verwandte in den kleinen Städten
hinter Königgberg wohnten, deren
Namen mir so vertraut sind. »Mein
IBruder ist gefallen!« Bei allem
JSchmetz leine Verzweiflung Aber:
s»Mein Bruder ist gemordct, meine
»Mutter, die über Siebzig ist, haben
die Rassen verschleppt, nach Astra
chan« —- und aus den Worten tlingt
es schon, daß dieses Herz nie mehr
IRuhe findet. Wenigstens- paßt sich
das äußere Bild dem inneren an
In dem sonst sehr el eganten Königs
verg ist man einfach geworden Wer
die alte Modetorheit mitmachte, läßt
sie und stürzt sich nicht sogleich in
seine neue. Die Schauspielerinnen
itraten ruhig in engen Rocken aufi
s Zwar m das grojze Draotiheaien
und damit auch die Oper, Lazarett
geworden. Man tommt nicht ganz
um das- Gefühl hinivegI aus Spar
samkeit! Arme Künstler! Aber das
sogenannte »New Schauspielhaug«
und der Prachtbau des Louisenthea
terH, der Qperette geweiht, sind os
sen. Jch besuche sie beide, mit der
llnternehmungglust des Zusallsrei
senden, der in der Fremde aussucht,
was et daheim im Uebersluß hat,
genieße tie »Komödie der Worte«
und teile siir Augenblicke die Freude
am »Juxbaron«. Beide Theater sind
ganz voll, in der Operette ist selb
grau Trumps Neben mir sitzt ein
junger Mensch, dem nur der Krieg
und die Unisorm die Bekanntschaft
mit der Operctte vermitteln. Was
für eine Freude bereitet ihm »Glau
tehlchen«, der stürmisch umjubelte
Liebling des Publikums!
Wie wird unser Volk jetzt durch
einandergerüttelt, was bekommt es
zu sehen, zu hören! Fast sind die
Zeiten der Kreuzziige zurückgekehrt
Und wie sorgt einer siir den andern!
Jm Empfangsraum des großen
Grammophongeschäits sitzt ein hö
herer Ofsizier und sucht Platten aus
siir den Apparat, der seinem Regi
ment, draußen an der Front, gehört.
Das Allerschiinste sollen die Leute im
Unterstand hören. Mehreres hat er
schon abgewiesen, als zu wekchlich
A—
Die Sehnfucht foll nicht mehr als
nötig geweckt werden. Da klingt es
ihm marfchartig entgegen: »Noch
Frankreich zogen zwei Grenndier,
die waren in Rußlnnd gefangen!«
Er nickt beifällig. »Das nehmen wir,
Fräulein, das hat Kraft.« Die Ver
täuferin will Einwendungen machen.
Aber der Offizier wehrt nd. Kennt
er das Lied leidenschaftlicher An
hänglichkeit an Napoleon nicht —
oder denkt er, daß es nur auf die
Treue ankommt?
Jmmer wieder zieht es mich zu
einer der Pregelbriicken. Das gur
gelnde Wasser ist gelb und schmutzig.
Hoch, bis fnst unter die Holzbretter
der Brücke reicht es herauf. An den
Ufern liegen dicht aneinander die
Kähne im Winterhnfen. Recht
eigentlich der Pregel hat der Pro
vinz zu ihrer Größe geholfen. Wahr
lich, tein Strom, der neben Weichfel
und Memel zu nennen wäret Aber
fiir die Verhältnisse dieses öftlichen
Vorwertes gerade das Richtige. Wie
viel Holz, wieviel Getreideschiffe sind
ihn hinaufgezogen in den letzten
fünfhundert Jahren! Der Pregel
und die Fischwertfpeicher der Last
adie verstehen sich wohl. Sie kennen
beide die Vergangenheit, sie hoffen
beide auf die Zukunft. Denn von
veränderten Grenzen nach einem sieg
reichen Frieden würde Königsberg
in erster Linie Nutzen ziehen
Abends sitzt man im »Blutge
richt«, der alten Foltertammer im
Schloß, einer bürgerlichen, guten
Weinftube. Vom Schloßhof steigt
man herunter in die Tiefe. Auch das
»Blutgericht« ift feldgrnu, vor allem
heute,-wo oben Truppenvereidigung
war; 1unge Gesichter neben recht ge
reiften, bättigen, wie es eben kam.
Die Fässer sind in die schimmeligen
Wände eingelassen, die Luft ist an
genehm ,,historisch«, und junge Kü
fer, die noch nicht das Maß haben,
bedienen. Es gibt die Tageökarte
und frische Austern, die herrlich nach
dem Meer duften· Aber der Kaviar
ist seit kurzem ausgegangen Armes
Deutschlandl Welche Entbehrungen
werden dir auferlegt! Immerhin,
auch ohne Kaviay sißt man t- ei
nem ErdenwinleL der zu dem russi
schen Reich in recht engen Beziehun
gen stand. Einige Stocktverke über
dem ,,Blutgericht« liegt der große
Moskowitersaal, dessen langes höl
zernes Tonnengetvölbe auf manch
trunkfesteg Gelage herabgesehen hat.
Auch die Erinnerung an die drei
Jahre russischer Herrschaft zur Zeit
des Siebenjährigen Krieges kommt
bei dem herben Ungartvein, kommt
und geht. Große Zeiten und alte
Stätten können auch Erinnerungen
werten Es bedarf nicht immer der
Uhr der Taufkirchr.
Die schlägt mir jeßt zum letzten
Male. Es gibt wenig Ruhe. Neben
mir liegen Soldaten im Quartier.
Die Inhaberin des Fremdenheims
hat sie eben aufnehmen müssen· Jn
dieser Nacht rücken sie aus, und jetzt
striegeln sie ihre Sachen. Ganz
gleichmäßig, wie es der Schlaflosen
scheint, stundenlang. Jmmer der
gleiche Strich, den die Stille der
Nacht wiedergibt. Da ist plötzlich
wieder der Offizier in der Straße,
den ich im Vorbeigehen sagen hörte:
»Man mußte in Ostprenßen an ihn
denken, er führte bei Tannen
berg —«; da grüßt dir griechenfrohe
Professor, dem Königsberg sein
Schillerdenimal verdankt, und der
seit Kriegsausbruch als Major
Dienste tut und täglich pünktlich die
,,schtvarze Sappe« seiner Spartaner
abschmecih da lacht der Leutnant
mit dem Kindetgesicht, der so glück
lich über sein künstliches Bein ist —
a Heimat! Heimat!
»- Yeriihigung Hasel-Gast;
»Hier sind 1a unzählige Wanzen im
Bett, und man hat mir doch ver
llzcklekts daß das Bett wanzensrei
ware«
Hausdienert »Ja, im Bett nisten
se ooch nich, die ioer’n woll aus der
Tapete getomineii seiu.«
—- Unbetvuszte Selbsttris
tit. An Dem Schutze muß es doch
seht fchSscht gehen!
B.: Wieso?
A.: Er hat mich in der vorigen
Woche dreimal aufgefordert, ihm- die
hundert DolJarH wiederzugeben, vie
er mir vor sechs Monaten geborgt
hal!
—- Alles umsons» »Nun,
lvie weit bist Du kenn mit dem jun
gen Buchhandlu, sur den Du Dich
so sturx interessierst?«
»Ach, das ist ein entsetzlicher Stock
sischl Bis heute habe ich bereits vier
Liebesbriefstetler, zweiKochbiicher, drei
Bände »Die Kunst, einen guteanns
zu bekommen« und das Wert »Das
Weib als Gattin und Mutter« in
Lieferungen getaust, aber glaubst Du,
er merkt etwas?·