Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 25, 1916, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sdeei
Staats TAnzetger und Wer-old
III-IN Devu hefstng
— J
X siliis gest-.
Erzählqu bmi Thomas Schäfer-.
Mit einein jähen Knall ging die
Tiir der guten Stube aus« und lider
die Schwelle tugelte, ein osfenes Te
legramm in der Rechten schwingend,
die tleine, dicke, weißhaarige Frau
Koneettde herein.
«Er tonitntl Er kommt! Er
lamenti« ries sie, die dunklen Kir
schenaugen rollend, und reichte ihrem
Gatten das Blatt mit der Freuden
hoff-Deckt
Der emeritierte Konrelidr Hage
mann. der eben Zeile für Zeile, denn
es drängte ihn ja niemand, seine
Zeitung las, schod langsam die silber
ne Brille aus der langen, schmalen
Nase zurecht, sah seine ausgeregte
besseres Hälfte mit ruhig prüfendem
Blicke an, nahm gemessen das Tele
gratnin und las: »Komm heute
abend aus Urlaub. Willi.«
«Hrn«. sagte er und ließ, ohne daß
auch nur ein Zug in seinem hager-m
dartlasen Gesichte sich verändert hätte,
die Hand mit dem Telegtanun auf
»seiner Schenkel sinken.
«hn1 — das ist also alles, was
Du dazu sagst?" decsetzte die Frau
Konreitorin ein wenig gereizt
«Sechgehn Monate hat man mit Zit
tern und Bangen zugebracht, Tag
und Nacht, Tag und Nacht —- und
sent, wo der Augenblick endlich da
ist, daß man den Jungen wieder-«
sieht, sagst Du einfach »hm«, weiter
nichts als »hrn« «
Der Konrettor erhob sich, legte Zei
tung und Telegramm aus den Tisch
und trat, die Schöße seines Schlaf
rvele-3, der ihm in diesen Kriegstagen
arg weit geworden mai-, enger über
einandersazlagena dicht vor seine
Gattin hin
»Ur-nimm einmal das-, tagte er,
feine lange, schmale Gestalt übel« das
tugel-unde Frauchen niederbeugend,
legte die fchnmlen Hände auf ihre
Schultern und driictte feine Lip
pen leicht auf ihren vollen, schnee
weißen Scheitel «Freuen wir uns.
Altchen.« fuhr er dann fort, »daß
nie diefen fchönen Tag noch erlebt
haven.«
»Ja, das ist wirtlich eine Freu
de," erwiderte fie, .noch dazu jetzt,
zwei Tage vor feinem Geburtstag.
Und ’s ift ja auch alles bereit für
ihn, leit Monate-L siehft Du. Nur
abzuholen braucht man ihn — und
das mußt Du schon allein besorgen,
lieber Wilhelm. O Gott, o Gott,
der Junge —- nein, Alter« wie ich
mich freuel«
Punlt sechs Uhr war Konreltor
Dagemann auf dem Bahnhof. Der
flillige Zug lief ein —- ohne Willi.
Der nächste tam um sieben-. Uhr
zwölf. Was deginnent Sich eine
ganze gefchlagene Stunde in den lee
ren Wartefaal fetzenl Draußen fiel,
bei leichtem Frosc, in harten, eckigen
Körnchen ein feiner Schnee vom
Himmel Schon auf dem Hetzveg
hatte ec-· ihn so ganz eigen durch
wärmt, und fo lief er denn einfach
weiter, immer am Rande der Heide
etttlanI, und dann rechte in die breite
Promenade, an der traulich die hell
erleuchteten Villenfester schimmerten.
llnd wie er so ging, da lamen fie
doch wieder, die Grillen und Gedan
ken. Nicht mehr fo nebelgrau brü
.tend freilich. wie in all diesen Mo
naten: es war, als ob oon dein
tommenden Ereignis eln Licht in ihr
waltende-Z Chaos fiele. Er»falf sich
als dlutartnen jungen Studenten in
der großen Stadt, ganz auf fich felbft
angekoiefetn mit Korrekturen und
Prkoatftunden fein Stückchen Brot
erfchtoingend und mit Paul
«L:sz:chlomivlle, den« Landsmann, Brot
nnd Bude teilend. Er fah diese Bude
im Ointerhnnse lser Chnusseestrnfze —
l1d), rot-s fiir herrliche Tage hatte er
dort oerlebti lind er sah sich als
kaum DreLulidzwmizigjährtgen, ehe
er noch daf- Linxmnen gemacht, mit
Almine Bubliy ortlobt T— ver Toch
ter feiner Zilmnrrlvirtim natürlich,
dem hübschen rundlichen kleinen
Winchesn das ihm uno Schwandtte
des Morgen-« bevor sie ins Kollegj
mager-. den ltlsftee aufs Zimmer
brachte Und vermutlich auch ihre nicht
immer heilen Stiefel io blitzt-laut
putzte Wie va- nlles gekommen —(
Gott, variiber war nachträglichfchwer
etwas zu sagen. (»
Ei war jn noch halbwegs gegan
gen, und banger hatten sie nie geiitsj
terr, nich ils ver Köpfe mit der Zeitj
etwas viel wurden. Vier Töchter-, i
teil kund und klein wie Frau Al
Ivine, teils mager und groß wie der
Zonketwy waren der Segen ihres
Herzenebnaveil. Drei von ihnen hei
rateten und hitten nn- wiever lauterl
Tini-ten bis auf Milli. den ein igetH
Seh-i ver friih verstorbenen elle
iteii, den Stolz vernimm Familie.
Oh er nun gleich, nach leinen- eben
falu schon verstorbenen Later, nur
ein simpler «Schrödet« war, sollte
er doch dem Hagemannschen Blute
den Weg nach oben bahnen und so
vollenden, womit der Großvater
einst aus halber Fahrt stecken geblie
ben war. Studieren sollte er, loste
es, was es wolle, und einmal Dot
tor und Medizinalrat — er hatte
sich siir die heiltunde entschieden —
;oder gar Prosessor werden. Da hieß
ses denn silr den Konrettor Stunden
«und immer wieder Stunden geben,
wenn dieses Ziel erreicht werden
sollte. Er hatte sriih in den Ruhe
stand treten müssen —- «wegen eines
Ohrenleidens«, wie es in dem amt
lichen Verabschiedungjschreiben hieß,
ladet er wußte schon, wie die Dinge
in Wirklichkeit zusammenhingen Bis
auf die Berliner Jugendtage ging die
unerquickliche Sache zurück, auf die
schön-: Zeit, da Wilhelm Hagemann
ind Paul Schwandtle noch bei der
längst verewigten Frau Exelutor
Bubliz wohnten nnd das hübsche
tleine Winchen ihnen den Morgen
lassee aufs Zimmer brachte. Von
diesem Zimmer aus ging der Blick
über einen engen Hof nach den hin
teren Wohngemächern des herrn
Treibriemen- und Schmierölsarbri
Dante-! Franz Andreas Pth dem das
Haus gehörte· Und dort, an dem
Fenster snit den mattgelben Vorhän
gen, hatte so manches Mal Herrn
Poth Einzige, die blasse Edith, ge
stcnden und nach dem Studenten
stiibchen herübergeblinzh und ein hal
bes Jahr nach Wilhelm Hagemanns
Verlobung, als Paul Schwandtle mit
Ach und Leach sein Reserendarexa
smen bestanden hatte, ging auf ein
mal die große Neuigkeik durchs Haus:
,der andre herk don Frau Bublitz,
Ider Dicke, den die Alwine ja eigent
lich zuerst hätte haben wollen, sei der
i».Zchsoiegersohn des reichen Hauswiris
geworden. Vom Fleck weg habe er
die Edith geheiratet, die ja teine
große Schönheit war und ihn sicher
nur mit ihrem großen Portemvnnaie
erobert hatte —- der Rubinenschmuct
allein, den sie bei der Trauung trug,
hatte dreitausend Mart gekostet. Paul
Schwandtte war nun ein gemachter
Mann geworden: ais pfiffiger Kopf,
siir den er sich selber hielt, ließ er
tsich nicht erst aus das große Staats
eramen ein, sondern ließ sich vorn
iSchwiegervater ins orattische Leben
’einsiihren, machte den Doktor, wurde
iSyri)ikus, Gründer von Vororttolos
nien und Betrat aller möglichen und
»unmöglichen Gesellschaften.
; Weit, weit über Wilhelm Hage
rnannö horizont wuchs Paul
Schwandtie empor. Wie aber der
Zufall so bisweilen spielt: ein hal
bes Menschenalter später, als Hage
mann längst als Konrettor in einer
der reichen Tuchstädte seines bran
denburgischen heimatögaus amtierte,
brachte er Winchen eines Tages die
erstaunliche Neuigkeit mit heim, daß
sein alter Budentlimerad zum Bür
germeister der Stadt gewählt sei. Na,
neugierig waren sie ja beide, wie sich
Schwandites zu ihnen stellen würden
denn schließlich an ihnen vorbeigehen,
das konnten sie doch nicht gut, wenn
gleich Schwandtte jetzt so eine Art
Vorgesetzter des Konrettors war. An
fangs ließ sich die Sache auch ganz
leidlich an, die alte Kameradschaft
schien sogar ein tlein wenig wieder
aufzuleben, zwischen den Damen je
doch begann, vielleicht aus bösen al
ten tteimen, eine stille Feindschaft
enipcrznwachsen die auch auf die
Männer nicht ohne Einfluß blieb.
Wie dem auch sein mochte, ob Frau
Alevlae wirklich, wie es hieß, ihren
Kopf bei den Begegnungen mit Frau
Editli um einen Finger breit zu hoch
trug, jedenfalls konnten sich Hage
man-is der Vermutung nicht erweh
ren, daß bei der beschleunigten Pen
sionierung wegen des Ohrenleidens.
dnH gar nicht so schlimm wur, diese
tlenitichen Dinge mitgewirkt hatten.
Ein paar Jahre später hatte das
Schicksal dann auch Paul Schwandtte
ereilt· Schon sein Bürgermeistern-m
war ja eigentlich ein Abstieg oon den
Höhen des Lebens gewesen, und wag
daraus folgte, war schon mehr ein
Sturz in die Tiefe.
Ptöhlich schrillte ein Psiss mitten
in seine Gedanken hinein: der nächste
Zug fuhr ein! Er mußte laufen, um
nicht zu spät zu tommen —- denn
wenn er nun Willi versehlte und die
ser allein bei der Großmutter ein
traf: o, wie sähe das aus-? Und rich
tig, wie er auf den Bahnhos kommt,
steht Willi auch schon im Vortaum
und sucht itn Gedränge, ob ihn denn
niemand abholt
»Gtoßvatekt« tust er, und die
kleine, gedrungene seldgeane Gestalt
des Entels fliegt auf den Konreltpr
zu.
Seite an Seite gingen sie tm
Schneegestöbee rasch nach hause, zur
Großmutter. -
Endlich waren sie oben ln der mol
ltgen kleinen Wohnstube, und da
Aal-'s erst äu dreten die richtige, herz
liche Veqr sung. Das Wort führte
. I
Edle Großmutter —- nun, mochte sie
Inur immer, sie hatte ja auch in die
sen vierzehn Urlaubstagen die haupt
mlihe Wie er ihr glich, der Milli,
lmit dem frischem runden Kinderw
sicht und den suntelnden schwarzen
Augen! Und wie der Konrettor den
Enkel jeßt so anschaute, da bemertte
er an seinem tressenumsäumten Kra
’gen pößlich große matglänzende
Knöpse.
»Du bist wohl avcinciert?« konnte
erCsrch nicht enthalten zu stagen, als
oie Großmutter den Suppenteller zum
zweitenmal stillte.
»Ach sa, das schrieb ich Euch noch
gar nicht«, verseßte Willi lachend.
,,Vizeseldwebel bin ich neulich gewor
den — dal«
Er griss nach dem abseits aus ei
nem Stuhle liegenden Seitengewehr
mit dem silbernen Poetepee und hielt
es dem Groß-mer vor die lurzscchti
·gen Augen. Es war eine ruppige al
sk Kommißwassr.
»Ja — trägt man denn da nicht
den Ossiziersdegen?« sragte schüch
tern der Konreltor, der nie in sei
nem Leben Soldat gewesen war und
von militärischen Dingen recht wenig
verstand.
Allerdings-, lieber Großpapa«,
antwortete Willi, »das Recht dazu
hab’ ich wohl —- aber da draußen
sind diese Manneszierden nicht sur
Gold zu haben, und auch sonst sind
lie, offen gesagt, flir eine Studenten
dörse happig teuer. Na, schließlich
gel,t’5 auch so —« selbst Ossiziere tra
gen ja draußen das Seitengewehr
statt des langen Spicßes.«
Der Großvater hatte aber schon
recht mit der Vermutung, daß Wil
lis Selbsttröttuna nicht aus dem
fherzen lam. Der Degen — das war
jdoch etwas, woran jeder deutfche
jJunge feine helle Freude haben muß
stel Der erste Degen, zu dem es ei
iner vom Stamme Hagemann ge
bracht —- o, der durfte tein bloßer
Begriff bleiben, der mußte greifbare
und sichtbare Gestalt annehmen.
Und das ging dann fchon ihn, dem
Konreltor. das Oberhaupt der Sip
pc, ans (
Ja« aber wie. wie, wie sollte er
ihn beschaffen? Das war die Fra
ge, die nun in seinem Hirn zu boh
ren und zu brennen begann. Wäh
rend Willi und die Großmutter iiber
all die ungezähltem höchst wichtigen
Probleme oerhandeltem die fich in
der langen Tennungszeit aufgehäuft
hatten, gings dem Konreltor nur
immer im Kopfe herum: wie fang’ ich
es an, daß der Junge übermorgen,
zum Geburtstage, seinen regelrechten
Degen hat? Ganz so einfach war die
Sache nicht, namentlich wenn er die
Großmutter, der die häusliche Kas
senfiihrung oblag. nicht mit ins Ge
·heimnig zog. Und das wollte er
Hdiesmal nicht, er ganz allein wollte
den Degen spenden.
I Plötzlich, mitten in der Nacht, fuhr
;»er aus dem Schlummer empor: die
sLösuitg war gefunden! Die Uhr
wird einfach versetztU Da trug er
nun solch ein Goldberg-out täglich
fund ftiindlich mit sich herum und
.zerbrrch sich den Kopf um plundrige
EBO, 40 Mari, mehr tonnte doch folch
sein Degen selbst in diesen Kriegs
zeiten nicht kosten. Ja, die Uhr mußte
itali, und nötigenfalls auch die Kette.
Und wenn dann der Schlöchter ge
zahlt hatte, wurde sie wieder einge
slöft Der Traum hatte ihm den
Weg gezeigt: ein Bild aus ferner
sJugendzeit war ihm da erschienen
lPaul Schwandtle sollte ins Referen
ioarexamen steigen und lam am Tage
Ivorher zu ihm, er möchte ihm 30
Hfiart bergen f-— er ffei abgebrannt
»Dis- auy oen letzten Pfennig.’ Da
nun auch Hagemann schwach bei Fiasse’
.tuar, so gingen sie beide zusammen
nach Der Jägerstraßk ins Königliche
ldeiharnh und versehten diese selhes
Uhr, die der Konrettor heute nochs
trug. Dann entnahtnen sie in einer
Verleihanstalt Frack und Zylindey
kauften Oberhemo und handfchuhe
tmo puppten Schtvanvtte nach allen
Regeln der Kunst in die Examentluft
’ein. Die 30 Mart hatte Wilhelm
Hagemann nie zurückerhalten, die
Uhr mußte er aus eigener Tafche
wieder einlösen — — und heute, nach
mehr als einem Menschenalter, sollte
sie zum zweiten Mal den Weg nach
der Jägerstraße antreten.
Der Konrettor entschlummerie wie
Der und schlief ganz vortrefflich bis
in den Morgen hinein. Frau Altvine
war bereits auf den Marti gegangen,
als er aufstund, und Willi schnarchte
noch kräftig im Zimmer nebenan.
Der Konrektor trank feinen Gesund
heiister. der auf dem Küchenherd fiir
ihn bereit stand, und trat feinen
Morgenspaziergang an. Das Ge
schäft mit Schöneck war rasch abge
wieieli. Als Hagemann heimtnrn.
saßen Frau Altoine und Willi be
reits heim Kaffee und unterhielten
eh lebhaft iiber die Eint-reife in
ersinnt-. Der Konreitor feste sich
I
-q-———-—.«-—-·.
Izu ihnen, hörte ein Weilchen see-s
streut zu und zog dann seine Uhr
hervor. s
»Was —- erst halb zehns« sagtel
er ve schmitzt — er hatte die Zeiger-s
nämlich um eine Stunde zurückgesl
stellt »Oder sti der alte Sägee wie
der mal stehen geblieben?«
«Wie denn? Halb elf ist’s gleich«,
versetzte Frau Alwine. »Lasz doch die
Uhr einmal nachsehen ich habus schon
immer gesagt. Du mußt ohnedies
nach Berlin fahren, ich brauche so
dies und jenes.« s
Und er tam Zueecht Zwischen all
den Vergnügungslotalen mit den lu
stigen Namen, die es zu seiner Zeit’
noch nicht gegeben lag es immerf
noch da, zweistöctig, nüchtern preu
ßisch, einfach. Der Konrettor stieg
die steinerne Treppe hinan und trat
in den schmucklos tahlen Betsatzraum"
zur Linien. Dort an dem langen
Tische, in der Ecke rechts-, hatte er
auch damals mit Paul Schwandtte
gestanden, mit derselben goldenen
Uhr. Jnstinttio trat er an denselben
Platz, an dem niemand sonst war,
und lugte ein wenig scheu nach dem
andern Ende hin, wo ein halbes
Dutzend weiblicher Gestalten einen be
häbigen alten Herrn in einem start
abgetzagenem weiten grauen Paletot
imstand
,,Diese Rubine!. . Was für ein
herrlicher Schmuck!. . « tlang es
voll Bewunderung aus der Gruppe
der Frauen.
»Ja, wie gesagt, Herr Doltor: wir
können nicht mehr geben," sagte der
Tarator hinter dem Tische —- ,,hun
dertundfiinfzig ist das allerhöchste
Rubine find im Preise sehr gesun
ten.«
»Ich muß aber zweihundert ha
ben, unbedingt«, sagte der Besitzer
des Schmuckes — »dann geh’ ich
eben zu Goldberg, ins Privatleih
haus.«
»Ja, tun Sie nur dag, Herr Dol
tot « .,lautete· der tühle Bescheid.
Der Herr im grauen Paletot
soandte sich zum Gkhen Wie von
ungesähr schaute ver Konrettor auf
und ein Schreck durchsuhr ihn: es
war Paul Schwandtle, sein einstiger
Budentamerad, der da mit schlaf
sem, miidem Schritt nach der Tür
hin ging. Jhre Blickes lreuzten sich
und im Auge des Bürgermeisters
leuchtete es wie iähes Erkennen aus;
doch dann erlosch das Flämmchen,
und wie von einer beschämenden Er
innerung gejagt, trippelte er rasch
von dannen.
»Muß der Alte wieder mal in der
Klemme sein!« meinte der Taxator,
ein noch junger Mensch, zu seinem
älteren Kollegen.
»Und wie stand der Mann ein
mal da!« erwiderte dieser —- »mit
Millionen hat er nur so gespielt, da
draußen in Wilhelmshausem Das
war wohl der Hochzeitsschmuck sei
ner Alten, was er da brachte, der
hat schon öfter bei uns gelagert. . .
sWas ist gesällig?« wandte er sich
geschästsmiißig trocken an Hage
mnn -
« Der Konrettor reichte ihm schwei
gend die Uhr, die er von der Kette
gelöst hatte.
»Vier,iig Marl«, tam es mecha
nisch über die Lippen des Beam
ten. l
»Ich brauche nur siinsunddreißigA
»Schön . . .«
Wenige Minuten daraus besand
sich der Konreltor wieder in deri
Friedrichstrasze, doch er sah nichts!
von ihrem lebhaften, bunten Treiben,
er :n ißte nur immer wieder an Paul
Schwasidtie denken Erst jenseitsi
der Linden, als ein Schwarm von
jungen Ossizieren degenklirrend an
ihm vorüberstrich, fiel ihm der Zweck
feiner Fahrt wieder ein. Jn derl
Marisllulzr, girrw neuen srrucui uneu
Brrchlxändlen touszte er solch einen
Laden. in dein eg zu tausen gab,
was er suchte. Rechte Prachtstiicke
von Degen gab es da, doch er wählte
eine ganz schlichte, solide gangbare
Klinge mit seuervcrgoldetern Griff,
nicht zu lang, zu zweiunddreißig
Mart siinszig Pfennig.
Soll ich noch erzählen, wie Kon
rettor hagemann Willis Degen heim
lich unter seinem Paletot nach Hause
brachte, wie er ihn zwölf Stunden
lang unter Ausbietung seiner ganzen
Verschlagenheit und List bald da,
dald dort versteckte Jind dann am
nächsten Morgen aus den Geburts
tagzssch zwischen die von der Groß
mutter gebackene Rußtorte und die
Wollsocken der tleinen Lusinen pral
tiziertei Soll ich die Freude des
jungen Krtegers. das Erstaunen der
Großmutter und das Triumphgesühl
des Konreltors beschreiben? Soll
ich schildern, wie Frau Alwine, trotz
aller Mitsreude, doch den ganzen
Tag die qualvolle Vorstellung nicht
loiwurde, daß da etwas ohne ihr
Wissen und Einvernehmen geschehen
sei, und wie sie erst Ruhe gal- und
Ruhe sr.nd, als der Konrettor ihr
R
alles, den heimlichen Palt mit
Schlächterkneister Sei-durch und den
Gang nach dem Leihamt, und das
Zusammentreffen mit Schwandtte,
und die Geschichte mit dem Rubinen
schmuck bis ins tleinste erzählt hatte?
Nein —- das alles soll sich jeder viel
schöner selbst ausmalenl
Von Haus Fr. ABlunck
Wenn Niels Rissen, der Landbrief
träger, die Feldpust im Dorf ausfrug,
las er immer sorgfältig alle Karten
durch, so daß er jedem einigermaßen
Bescheid geben konnte, was mit den
Lieben und Liebsten vorging. Und
wenn er von Hof zu Hof ging, rief
er's den Bauern und den Mädchen
schon von weitem entgegen, was es an
Wichtigem gab.
»Hans schreibt, er geht nun nach
Serbien«, oder »Ja-: ist umkommam
viert, der ist nun Bursche beim Ma
1or«.
Man war zufrieden damit, denn
das Lesen tostet doch immer viel Zeit,
wenn man rasch wissen will, was los
ist. Und so tain"5, daß Niels Nissen
seinen Schnaps für die gute Nachricht
kriegte und daß er zwischendurch auch
von den anderen erzählen mußte, von
Hans Happe, der auf dem Untersee
fuhr, oder von Jan Eltjes, der täg
lich aus der Ferne schrieb» tein Mensch
wußte, woher —- vielleicht aus Jn
dien. «
Aber nach Niels Nissens eigenem
Jung fragte niemand. Der hatte ei
nen niedergeschlagen und war vor
Jahren in einem fremden Hafen von
Bord gelaufen, alH er unter der
Siteichgflagge diente. Und das wußten
sie auch: daß es an dem Alten zehrte
wie eine Krankheit
Nur der Amtsrichter Stenger, der
mit einem Bein aus dem strieg heim
ueiehrt war und sich am Meer erholte,
hatte den Landbriefträger einmal da
nach gefragt. Da war Niels Niffen
ioienvleich geworden, hatte sich wori
ws umgedreht und war gegangen.
Seit dem Tag wühlte es in dem Al
ten, etwas Verharschtes war aufge
brochen, und wenn er über den Teich
ging, sprach er mit irgendeinem da
draußen im Nebel, einein, der seinen
Namen trug und thn Unehre gemacht
hatte, und gegen den er kämpfte wie
gegen einen Schatten im Watt. Aber
das Meer war erbiirntungslos, rollte
einförmig in schwerem Wellenschlag
heran, fpottete seiner und verhallte
verstend zu ewiger Wiederkehr. Was
ift denn deine Ehre, Niels Rissen?
Die Menschen feiern ihre große Zeit
und du bist nicht dabei, dein Blut,
dein Stamm verscholl Aber end
lofer noch als diese Jahre braust das
Meer, flutet über die Erden der Völ
ter, versenkt Länder und gibt neue
Berge frei, wenn sein Schöpfer es
will. Bist du nicht selbst der Schat
ten im Nebel, gegen den du schreist?
Was willst du artnselig Menschlein
um deinen Namen bangen?
Jrn zwölften Monat nach Kriegs
beginn lanr ein Brief von dem Jung,
der brachte den Alten ein Stiict Ehre
wieder und neue Qual daneben.
»Weder Vater« —- fo lautete er ——,
ich bin auf einem Schwcden glücklich
herübergelotnmen. Ja der Ostsee hat
uns der »Adalbert" angehalten und
ich bin gleich an Bord genommen.
Jetzt bin ich wieder Soldat und man
weiß nichts von mir. —- Dein glück
licher Sohn Peet·'.
Als der Alte den Brief erhalten
hatte, war ihm zum erstenmal auf
seinen langen Wegen ganz sonderbar
zumute gewesen. Es war, als hätten
sich die Straßen eine ganze Weile ge
dreht. War wohl das Alter, das
ihm den Verstand fraß. Und dann
hatte er zu allen Bauern laufen wol
ten und schreien: warum habt itjr
mich nie nach meinem Jung gefragt?
Der steht jetzt auf der ,,«.)ldalvert«,
sag’ ich euch; heut’ hah’ ich auch ei
nen Brief getriegr.
Da tvar ihm plötzlich der letzte
Satz eingefallen, und noch einmal
war eel gewesen, als- fei der Dorf
teich geschwollen und wäre voll von
Feuer
,,Und man weisz nicht-H von mir«.
Herrgott, wenn die nnchsruqten und
erfuhren, daß es Peer Rissen, der
Fuhnenslüchtige, der Totschläger man
Die würden ihn festhalten und mür.
den ihn ver-urteilen und im Dorf
würden siess ersahrem daß Nielg
Nissens Sohn im Gefängnis saß.
Der Alte ließ die Tasche fahren,
schlug die hände zusammen, mitten
aus der Straße, und wimmerte leise
betend vor sich hin: ,,Hertgott im
Himmel, sei mir gnädig!«
Drei Tage mußten die Bauern sich
ihre Briese selbst boten, dann ging
der Landbriesiräger wieder von Tür
zu Tür. von Hof zu hof und brachte
das Neue aus der Welt in die ein-;
same Wurf hinter dem Seedeich.
Aber er las die Briese nicht mehr, er
gab sie an die Kinder, die dkaußen
spielten, und lief weiter wie land
flüchtig. Die Bauern schiittelten die
Köpfe, hätten gar zu ern von den
anderen im Dorf gewu t und sagten
schließlich, der Alte sei etwas son
derbar geworden
Und vielleicht hatten sie nicht un
recht. Wenn Niels Nifsen über den
Seedeich ging, sprach er laut vor sich
hin, kämpfte gegen den Westwind und
fah seltsame Gesichter im Nebel drau
ßen. Schiffe warens, irgend ein
Schiff, das draußen im Watt lag
und langsam den Priel hinauskam.
Und Menschen waren an Bord und
winlten und schrien. Sprachen sie
nicht von Peer Rissen, dem Fahnen
fliichtigeni Er hörte es deutlich und
lr hörte den Namen, den der Wind
blies. Peer Rissen schrie er. Peet
Nifsen und Peer Nissen. Und die
Menschen lachten —- so nah lag das
Schiff — und wintte herüber und
zeigte auf den Landbriefttäger, der
über den Deich lief.
Nielz Nissen ging rascher, um sie
nicht zu hören, aber das Schiff fuhr
neben ihm her, über alle Untiefe n und
Halligen hinweg, verzerrte sich im Ne
bel wenn der Wind wehte und wuchs
doch wieder zusammen. Und die Men
schen schrien auf den Kaiser, ganz
laut schrien sie· Aber Peer Nisfen
war auch dabei und sah mit großen
Augen zu ihm herüber. ganz groß,
denn er stand ihn am nächsten, ganz
vorn am Anlersaill· Warum schrien
sie alle?
Alo Niels Nissen recht zusah, er
schrak er. Das große Schiff im
Nebel sank langsam in die Matten.
Wie in zwei Teile gespalten schien’ö.
Rasch sank es, kmmer rascher. Und
die Menschen -schrien und winkten.
Aber als Nielg Rissen recht hinhören
wollte, war’H der Wind, der fuhr und
die Nebel jagte.
Als Niels Rissen an dein Tag dem
Amtsrichter die Zeitung brachte, muß
te er sich eine Weile aus«-ruhen, so son
derbar war ilnn aer Spuk in die Glie
der gefahren. Der Amte-richtet saß
beim Morgenlafer hatte ihm ein
Glas hingeschoben und faltete langsam
die Zeitung auseinander. Aber er
zog die Stirn zusammen, seufzte ein
paarmal und nickte zu Niels Rissen
hinüber: »Wir haben ein großes
Schiff ve,rloren wissen Sies schon?
Den »Prinz Adalbert« «
Der Lanovrreftrager fah ihn eine
Weile unsagbar erschrocken an. Dann
stöhnte er auf, schien langsam zu be-,
greifen und liefz den Kopf sinken.
»Da war men Jung drauf, Herr
Amtgrichter!«
Niels Rissen ging den weiten Weg
zurück zum Dorf-. Als er an die
Stelle gekommen war, wo das Schiff
im Nebel gelegen hatte, blieb er ste
hen und sah lange iiber das schmutzi
ge, braune Vorland, dast- in der
Ebbe voll zerrissener Soden und
Schilfbiiden lag. Da, ungefähr da,
wo der Stark zu Ende ging, war das
Schiff gesunken. Der Briefträger
nahm seine Mütze ab und legte sie an
den Mund. Er wollte beten, aber
er wußte nicht recht. was er sagen
sollte. Ob's der Herrgott so gewollt
hatte, um ihnen allen die Schmach
zu ersparen? Er trar noch zu be
täubt, konnte keinen klaren Gedanken
fassen Es lag auch zuviel Zeit da
zwischen, seit der Jung gegangen war,
seine alternden Sinne faßten sein
Bild nicht mehr recht. Nur das Ne
belschiff sah er, und vorn irgendeinen
Schatten Der schrie und winkte.
ais er sterben sollte. Was sagte ers
Auf den Kaiser hurra rief er, Niels
Rissen hatte es deutlich wahrgenom
men. Und keiner wußte nun, dasz
Peer ins Gefängnis sollte. Der war
ehrlich gestorben wie die anderen --—
war er dass nicht? .
Als er daran Dachtr, löste sich etwa-J
in seine-n Innern. Nielsz Rissen be
gann zu weinen, vor Schmerz und
vor Stolz. So ging er langsam auf
die Höfe und brachte die Post. Er
war mühseliger als sonst und fein
Schritt war schwer und müde. Aber
wenn die Bauern ihn fragten, erzähl
te er, daß ein großes Schiff gesunken
sei und Peer Rissen drauf, sein
Jung.
L du Minder-mund.
s Lottchen spielte gar zu gern nuf
Idec Straße und fing natiirlich dabei
’auch Worte aus, die sich ganz und gar
nicht zum Gebrauch siir kleine, wohl
serzogene Kinder eignen. So brachte
»sic- letzthin auch Wieder einen Kraft
lansdruct mit nach Hause. Um ihr
das Abgewöhnen leichter zu machen,
versuchte es die Mutter diesmal mit
einer in Aussicht gestellten Belohnung.
»Lotti, versprich mir, dies häßliche
Wort nicht mehr zu sagen. Höre ich
es nicht mehr, so sollst du auch einen
neuen Nictel von mir betommen«.
Lottchen versprach-«- und hielt Wort.
Nach einigen Wochen jedoch tnm sie
.fteudeitral:.leiid zu ihrer Mutter ge
rannt und rief triumphierend: .Mut
ti! Muttit Jeht hob ich als-c ein
Wort, das ist mindestens einen Quar
ter wert". «