Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 02, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntag-Blatt de
Staats « Anzeiger und II set-old
Gka vätvath sgd gDz«v
,
sie rote Inmi.
Nriegsskizze bon der urnariielien Grenze.
Von Jdn i ork.
Ein harter, strenger Mann war er,
ber Waldbosbauer, der nichts kannte,
als die Arbeit oben-aus seinem klei
nen Gut. Abseits lag es vom Bors.
arn Waldrand, nnd gleich dahinter
fiieg die schroffe, fteinige Felswand
in die höhe, die hinaussilbrte zu den
mit Schnee bebenten Bergketten. Wie!
ein Gürtel von Stein legten sie sichs
schützend um das von dichtern Waldi
bestandene Tal, damit die unruhigens
Nachbarn jenseits der Verggrenze, diel
Rassen, nicht gar so leicht den Weg’
herüber fanden. Seit dem Vergl-ot
bnuer bei der Geburt des ersten Kin
des sein Weib gestorben war, hatte
den wortkargen Mann kaum mehr
einer zwei zusammenhängende Worte
reden hören. Er war vollkommen
unzugiinglich und menschenscheu ge
worden. Und dasz das Kind, das
ihn ein so harte- ster gekostet, nur
ein Möbel war, nicht einmal ein
Junge, in dem rnan sich doch einen
Helsee site die alten Tage erziehen
konnte, das wurmte ihn derart, daß
er sast ein Gefühl des Hasses gegen
das arme kleine Ding empfand. So
hatte die kleine Julcza eine recht tran
rige, sonnenlose Kindheit Denn auch
die Teresneny, die Schwester Vorn
Vater. die ihrn die Wirtschast sühne
war hart nnd mürrisch, nnd wagte
nichts nrit dern kleinen Ding anzu
sangen, das sich schen nnd verängstigt
in der Welt herumdriirkte.
Arbeiten mußte die Julrza von
tlein auf, unnütze Esset fah nun
scheel an im Berghof. Jn der Schu
le, da ging es ihr auch nicht zain
besten. Sie war schwer und langsam
von Begriffen, immer veröngsiigt,"
immer eine « iellcheibe des Spottes
und der Qualereirn ihrer Kollegin
nen. Julrza wehrte sich nicht. So
wie sie die ungute, harte Art ver- Va
ters als etwas hinnahin, was sein»
mußte, wie sie sich willig jede Arbeit
von der Tante aufhalten ließ, ohne
jemals ein freundliches Dantwort da
fiir zu erhalten, fo nahm sie auch die
frei-blose Vereiniamiing her seit, die
sonst hie glücklichsie im Leben zu lein
pflegt, all ihr Schicksal hin. Jahr
reihte sieh an Jahr. Längsi ing die
Julesa nimmer ins Dorf hinunter
zur Schule, und empfand das Ende
der Leidenszeit vielleicht als das erlte
Gute in ihrem Leben. Die rote
Julcza« hieß sie fest, und der böse
Spott vergangener Tage tlang in
dem Namen, denn auch die Natur war
hart und mitleidlos zu ihr gewesen:
sie war ein unfchiines, unscheinbarei
Geschöpf. mit dem hlassen, unintellts
genten Gesicht, has die braut-roten
hanre iasi häßlich machten. Stumpf
lebten die drei Menschen da oben in
dem stillen has hin; niemals fand die
Freude Eingang in ihre Seelen, es
war ein wortloses Vegetieren Wenn
der Föhn iiber die Bergwande siri.h,
nnd vie kahlen Bäume ihre ersten
zarten Blättchen bekamen, dann gab
es im Berghof Arbeit. Und wenn
der Sommer leine sengenden Strath
len in Goldsiriihnen til-er hie heim-It;
spann —- dann sahen die im Wald-»
has nichts von seinem Bliihen und
Reisen — als was durch ihre Arbeit
aus ihrem Boden wuchs und wurde
Die reiche Ernte des herbstes war
erneute Arbeit siir sie, und tam der
Winter und hiillte das Berghiiusel in
seinen weihen, weichen Mantel, dannY
gab es erst recht nur Arbeit in Hülle
und Futte. Die lange Juli-Da mit
ihren derben, tnochigen banden ging
bald mit vargenetgten Schultern, trie
der alte Vater-, gebeugt unter einer
Last, die man ihr auferlegt und die
nun siir sie das Leben war. Und es
blieb -— auch als der Vater eines
Tages tot im Bette lag, morgens, da
sie ihn verwundert suchten· Sie he
ruben ihn neben seinem Weide unten
tm Dars, aus dem tleinen Friede-as
—- aher der gesentte Kops der Julrza
hob sich nicht« fest, wo sie dach srei
hätte atmen können. Sie lebte wei
ter mit der -alten Tante, tvie sie his
her gelebt. Nur dass sie in lauen
Sommerniichten manchmal var dem
hause sah mit mäßigen Dönden und
hinausharchte aus die verwehten Fi
deltliinge, die aus dem Dorswtrtsi
haus herüberlamen. Dort spielten
Zigeuner-dort tanzten sie den Isar
das, die Mädeln und Buben, mit de
nen sie in der Schule gewesen« und
die sie gequält hatten! Wie gut, daß
sie da allein saß und teiner von unten
sie ragt necken kannte. Jn dem tlets
eten. im caselnusrstrauch sang
und slBtete eine Nachtigall, silberner
Monds n litt langsam liher vie
hohen um amme und herunter zu
usamsiensesuntenen Möbel das
d« so einsam saß und hinüber
shtsrchth tva das laute, sköhliche Leien
seine auchzende Weisen sang. Oh es
Sehn acht spar, das ihr das her so
schwer machtel Sie sauste esn
Was wußte die rote Julcza von dem
Lebenl
Als das Raunen und Flüstern. das
durch die Welt ging zu einem einzi
gen Aufschrei wurde, der sich erhol-l
gegen die freche Willliir einer ganzen
Reihe Feinde, da horchten auch die in
Idem einsamen Walddorf auf. Und
Lhallten die Fäuste gegen die Fels-via
de, hinter denen ei fich zu regen be
gann; —- sie sollten es nur wagen,
ein-zufallen —- diefe hunde drüben!
Jn Scharen strömten ste zu den Fah
nen, fast lein baut war mehr im
Dorf. das nicht Liebes und Teures
hatte hergeben müssen. Nur am
Berghof stutete auch das große Erle
ben dieser neuen Zeit vorüber-dort
lvar leiner, den es hätte htnreißen
können. Nach dem ersten Jubel der
heldenhaften Freude folgten bange
Wochen der Erwartung, und dann
lagerte der erfchiitlernde Ernst eines
bewundernswilrdigen Heldentums iiler
der in innersten erschauernden Hei
mat, schob feine grauen Trauerschlei
er auch fast über jedes haus im
Dorf. Wenn Odie rote Juleza ietzt
einmal ins Dorf hinunterging, dann
folgten ihr nicht mehr die spöttischen
Blicke von früher. Durch Tränen
getrübt,
lange Gestalt fast neidvoll an: die
hatte es gut — der nahm der fürch
terliche Krieg nichts, die hatte leinen
draußen, um den fie bangen und- zit
tern mußte, leinen, den er ihr weg
gestohlen aus dem warmen Ledenl
Daß ihr das Leben auch früher nichts
gegeben von all dem Glück und der
Seligleit, die das Vorrecht froher
Jugend, daran dachten sie nicht, die
sie jeht fast beneideten! Und dann
lam der furchtbare Tag, an dem das
l
fah man die vorgeneigte,.
Dorf vom Feinde überrumpelt wurde,
der sich hier häuslich niederließ. Ei
war zum Glück nicht eine horde grau
samer Zerstörer, die einbrach, sondern
die Abteilung eines halbwegs gesit
teten- russiichen Garderegimente, in
dem es sogar etwas toie miliiiirische
Zucht nnd Ordnung gab, und Pliins
dern mit Erichießen beitrast wurde-.
—- Aber die seindtiche Einquariiernng
war doch schwer zu ertragen, weil man
sie paßte, die sich da als denen ani
spielten, und weil man act-gesogen
war von der langen Rot der vorher-«
gegangenen Kriegswochem Auch im
Berghof lagen Soldaten. Die rote
Julcza wußte erst gar nicht; was sie
mit ven Menschen anfangen sollte, die
da in ihre abgeschiedene Stille ein
brachen. Ganz verstört ud verwirrt
schlich sie herum und überließ es ders
resoluieren Terelneny, sich mit den
ungebetenen Gästen zurechtzufindem
Sie wich den Fremden ani, wie sie
nur tonnte, aber als einer der Sal
daten, ein blntjungei Kerlchen, neit;
einem weichen, traurigen Jungenge-s
ficht schwer ectrantie, mußte sie wohl;
oder übel doch der Tante helfen, die«
all die Arbeit nicht allein bewältigen
konnte. Die Kameraden tiiminerten
sich nicht viel um den schlappen Kerl, H
der vollkommen zusammengebrochenj
in Julczai Kammer lag Als fiej
sein erfchöpftes, fchmerzverzogeneöf
Gesicht zum erstenmal fah, da er sief
in der Sprache ihrer heimat umx
Wasser bat, durchzuckte sie ein Gefühl, i
das ihr bisher fremd gewesen: er tat
ihr leid-obwohl er ein Feind war,
den sie hassen mußte. Aber startef
Gefühle waren ihr bisher verfagt ge-!
wesen, der roten Julcza, sie empfand
nur Mitleid mit dem armen Kerl,
Ider so hilflos war. Das Weib regte
sich ploalich in ihr und überwand
Iihre große Scheu vor dem Fremden;
)sie nahm sich des Kranken an sie
pflegte ihn, sie saß in1angen Fieber
nächten an feinem Bett obwohl die
jTante darüber zeierte und chirnpfte,
Hund sie verrückt fchalt. ie rote
iJulcza ließ die Alte leifen, ging ftill
sund wortloi ihrer Arbeit nach, und
fah weiter bei dein Kranlen. Sie
wußte, daß er tein böfer Mensch war,
dafz sie ihn gezwungen hatten, diesen
fürchterlichen Krieg mitzumachem den
er haßte, wie fo viele von ihnen.
Warum hatte man ihn nicht ruhig
daheim gelaffen bei der Mutter-, de
ren Einziger er war, die nun allein
fas und sich tot ängftigtel Ein Bau
er war er, auf einem kleinen Gut fah
er auch, aber größer und fchöner war
es doch, als der Berghof, und er lieb
te seine heimat, fein Dorf und fein
Haus —- und feine Mutter —- ia —
und noch eine —- toie er die liebte!
Und hatte alles verlassen müssen, um
sich totfchstiken eu laffen filr Väter
chen, das er ncht tannte und das
ihn doch nichts angingl Und nun lag
er da und wiirde fterben in der Frem
de-- aber er wollte nicht fterben —
nrin — er wollte nicht! Grauenhaft
war es, das Sterben —- er hatte es
fa gesehen, wie furchtbarl Und er
llainrnerte sich an die rote Julrza, der
et fo feltfam zu Mute wurde, denn
niemals vorher hatte einer sich an fie
gefchmiegi, und ihr gute Worte gege
ben! Und der arme Aruns-. in fei
nen Fieberphantasien —- der streichel
te und umllammerte sie, gab ihr tan
send Namen, die sie ja nicht verstand,
aber der weiche Ton seiner gebroche
nen «Stimme, verriet ihr, daß es Lie
bes und Zärtliches war, das er stam
melte. Und in dem jungen Weibe
regte sich etwas, das es nicht kannte,
das es beiingstigte —- und doch fo
namenlvs beglückte. Er kannte sie
nicht, Der Fiebertranlet Er sah nicht«
da sie die lange rote Julcza war,
mi den eckigen. hageren Formen, mit
dem häßlichen, roten haar und den
reizlosen Zügen, er schmiegte sich an
sie und liißte sie, und wurde ruhig
in seinen ärgsten Schmerzen, wenn sie
ihr Gesicht an das feine dreszte, und
ihm leise, ganz leise und scheu Worte
sagte, die keiner je zu ihr gesagt, und
die sich doch heraufstahlen ans der
Tiefe ihrer aufgerüttelten fehnfitchti
gen Seele. Tag und Nacht rang sie
mit dem Tode, der schon an dem Bet
te stand, in der der Fieberlrante baid
bewußtlos lag. Und dann wurde es
plötzlich laut und lebendig im Dorf,
Iso laut, daß es bis zum Berghof hin
Taufdrang Die alte Tante brachte die »
Freudenbotschan daß die Nufsen gest
’schlngen waren und die Ungarn in
den nächsten Stunden die ungebete-’
nen Gäste aus dein Dorf verjagen
würden. Natürlich warteten die das
nicht erst ab, sondern gaben Fersen
geld. Jubelnd umarmten sich die
toie befreit Aufatmenden unten im
Dorf —- und oben stand die-rote
Julcza mit angstvoll geweinten Au
gen an dem Bett des letzten Feindes,
den die Flüchtenden einfach vergessen
hatten, und der nun wehrlos dein an
rückenden Gegnern in die Hände fiel.
Ganz hoch richtete sie sich auf, ihr
ftilles Gesicht flammte plösilich und
ihre matten Augen hingen an dem
abgezehrten Gesicht des Bewußtlosen.
Dann lief sie hinunter ins Dorf zum
Pfarrer. Und der alte, gütige Mann
verstand, was ihn aus dem verwirrten
Gestammel des jungen Weibes immer
wieder anwehte: der in ihrem hause
lag —- roar ein Sterbender » ein
Mensch, wie sie alle — tein Feind!
Sie sollten ihn nicht wegschleppen —
sie sollten ihn bei ihr sterben lassen!
Und so starb der Fremde, der Feind,
in den Armen der langen, roten Jul
rza, und sein lehtes Wort war
ein zärtliche-is Geflüster, das sie gierig
nuffog —- als gälte es wirklich ihr.
und nicht einer, die weit, weit fort
war, aber noch in der Todesstunde
in der Seele des Armen lebte
Jm Dorffriedhof an der Mauer
begraben sie ihn, den sie nicht kann
ten, dessen Namen sie nicht wußten,
und der nun bei ihnen zum langen
letzten Schlaf liegen mußte. Ein lee
rer Erdhügel mit einem rohen Holz
treuz, das leinen Namen trug. Aber
nach wenigen Wochen blühte und daf
tete es auf dem einsamen Grab, daß
das namenlose Kreuz in einem Far
benrausch versank, den der junge
Frühling auf den frischen Hügel ge
zaubert hatte. Die rote Julcza saß
nun nicht mehr vor ihrem hause-—
thr«Platz war an dem stillen Grabe,
das ihr gehörte ihr ganz allein, pas
sie hegte und pflegte, das sie schmück-.
te, fiir das sie sorgte — das der Jn- !
halt ihres jammervoll leeren Lebens
jwutde· "'- .
- Sie sah ganz anders aus, plöslichJ
die rote Julczm Ausrechter ging sie,"
und in ihren Augen, da lag es —-;
toie der leise Schein einer stillenj
Freude. Es war etwas in ihr Lebens
gekommen, das mehr gewesen als;
stumpfe Arbeit. Sie erfaßte esl
nicht! Es war tein bewußtloses Ber- i
stehen -- aber es erfüllte sie mit ei- i
nem Gefühl, das sie niemals vorher
gelannt. An dem einsamen Grabe
fiihlte sie sich nicht mehr allein, da
wurde es still und friedlich in ihr.
Und wenn sie die Blumen goß und
sich ihres Bliihens freute, dann tag
ein gliicklicher Ausdruck auf ihrem
unschönen jeht nicht mehr so stampfen
Gesicht.
—-.——
—- Aus der Schule. Lehrer
ibeim Bei-hör zu einem Schiiler):
hast du deinen Mitschiiler auch ver
hauen helfen?
Schiller: Nee, here Lehrer, ich
habe strikte Neutralität bewahrt!
—- KriegersMonolog. Wenn
wir doch bloß nach England 'riiber
kommen tönntenz ich habe großen Ap
petit aus ein echt englisches Beefsteat.
—- Telegtamnh Die englische
Kriegsleitung beabsichtigt, bei ihren
Fußsoldaten Rollschuhe einzuführen,
um ihnen ein rascheres Entlommen
vor deutschen hieben zu ermöglichen.
— Senegalschiihen Senegas
lese: O, beese Krieg, beese Kri , ist
stattlich kalt im Norden, frieren fis-ari
se aut ab von alle Knochen
olonel: Tröstei euch, Kinder —
wenn die Deutschen"so weiter-machen,
rtieten toir immer weiter südlich, da
witds wärmer
c Zum-m sie-them
Siizze von Cliire Becken «
Sie was ein heißnchcz «itjiiugfer-I
liches Weer mit einem Hiipfgang,
klein« fchmal und biswan ein wenig
rotnafig; außerdem wackelte sie beim
Gehen mit dem Kopfe. Fiir uns Kin
der war sie der Gegenstand aller bö
fen geende. Wenn wir sie in einer
der orfftraßen laufen fahen, ewig
das geflochtene, fchtvarzlackierte Hen
keltiirbchen am Arm, ohne Kopfw
beciung, im dürftigen, schwarzen
Weibchen, ängstlich und immer ein
wenig zu fchnell, blieben wir stehen«
faben sie an und lachten. Zu einem
kleinen Hunde hätte keiner von uns
gefngt: »Du Ami faß sie!«; eher zu
einem Gänferich.
« Der aber hörte ja nicht auf unS.-.
Einmal dagegen machte er ohne un-!
ferne Aufforderung einen Sturmwi
griff auf Lieschen-« g tat sie ans
.Aiigft? Sie griff in i r Henkeltörbs
chen, holte einen Salziuchen heraus
Hund warf damit nach ihm. Jemand
Zatte es gefehen, nun sprach Alt und
ung darüber. »Lieschen hat nach
einem Gänferich mit dem Salziuchen
geworfen!«
Nach einer ganzen Reihe von Jah
ren kam ich eines Abends an dem
Taufe vorüber, in dem Lieschen mit
i rer Mutter und einer fteinalten Da
me lebte.
Es regnete.
Wie ein Nebel war der Regen, sein-·
und durchdringend Jch ivar trotz
dem ins Freie gegangen Mich hun
gerte nach Erleden. Aber draußen
war alles grau und trostlos. Jch
nahm das nächste Dorf zum Ziel,
um die Abendposi zu erwarten. —
Die ersten zerstreut liegenden Bau
ernhiitten waren wie schwarze Ktums
pen; aus-gestorben scheinenhast, ich
lonnte mir kein Leben hineindenlen.
Meine Augen hasteten weiter, in die
stäudende verhangene Ferne hinein.
und meine Füße auch. Da stand plötz
lich eine helle Wand vor mir, groß
und wirklich. Schwarze Augen da
rin, ein dunkler Hut daraus. Ein
gaus also, ein shelles Märchenhaust
er stöudende Regen wurde hier zum
Schimmer, zum Glorienschein. Denn
mit einemmal wußte ich: das ist das
Haus von Frau hegemeister Andree,
von Lieschens Mutter
Acht Jahre war ich hier nicht mehr
gewesen. Vergessen hatte ich das
Haus Und die Menschen darin. Wie
war das rnöglich?! Jch stand plötzlich
an das hohe, schwarze Eisengitter ge
preßt, das den Garten abschloß, und
schaute mit brennenden, hellaufge
wachten Erinnerungsgedanten hin
ein....
Einmal schon hatte ich hier gestan
den. Vor vielen Jahren. Wie war es
doch?... Müde vom wilden Kinder
spiel und zornig über irgend etwas,
was meine Kameraden getan, hatte
ich mich trotzig abgesondert. Jch
wollte allein bleiben, und wurde des
Alleinseins doch bald überdrüssig. Da
s preßte ich mein Gesicht an dieses Git
ter, dreist spähte ich in den Garten
nach Lieschens komischer Gestalt. Sie
swar das beste Mittel, mich wieder
umganglich zu stimmen. Aber so
dreist ich spähte und so sehr ich sie
sherbeiwiinschth sie war nicht gekom
s men
s Statt defer erblickte ich Rasenflii
tchen von einer Farbe und fanften Re
nglmäißigieit wi- sie meine Kinder
iaugen noch nie gescheit hatten. Gol
fdene Sonnenlringel lagen darauf.
fDie Sonne spielte mit den Ahorn
.und Buchenblättern. Hufchend zeig
’ten sich Schattenbilder von Zweigen,
idie ein leifer Wind tofend hin nnd
her schauteltr. Weiter gingen meine
Augen: ein tieevestreuter, fchmaler
Weg führte zn einem größeren freien
Platz an der Haustür; groß und
dunkel war ste. Zwei breite Schwellen
aus Granit lagen davor. Dann das
Haus. Lange und prüfend ruhten
meine Kinderaugen darauf. Weiß,
ruhig und vornehm tuar es. Abweh
rend vornehm. Vier große Fenfier zu
jeder Seite der Tiir. Ein hohes, ab
fchrägenves Dach. Manfardenfenfter,
die mich anlächelten und geheimnis
voll zu fich toinrten.»
Raftlas plagte ich nqu meine El
tern. Eines Tages endlich ging meine
Mutter mit mir in das helle haus.
Als toir es tvieder verließen, war
ausgemacht, daß ich von Frau Andkee
Klavierunterrichi erhalten fvllte.
Von nun an begann fiir mich ein
neues blühendeö Leben. —- "rau
Andree lebte von anderen Menschen
vollständig abgeschieden. Sie tvar eine
weißhaarige, fiille Frau. Jm fchtvars
zen oder grauen weiten Kleide, ein
Spihenbiiulschen auf dem Schneefchei
tel helle Filethandfchuhe an den
Kinder-, fo fah ich sie fafi täglich. —
it unklarer Neugierde und durftig
nach etwas Abfondeeli em, war ich
Pierher Bei ern-nen. Ene Märchen
chiine r che Welt hatte ich dafiit
efunden. Doch nein, etwas war doch
feh- avfonderlich: Lieschenl
Das Lieschen, das ich von der
Straße kannte? Nein, nein! Von dein«
Lieschen war hier teine Spur vor
handen. Lieschen war hier umhegt,
umsorgt, sie war sanst und lieb; an
mutig im Gehen und Sprechen. Ein
tindlrches Lächeln verschönte ihrl
schmaleö Gesichtchen und verjüngte es
bedeutend. Sie huschte im Hause um
her; etwas Liebes strömte von Ihr
aus. Zuletzt hatte Lieschen hier einel
Mutter! Das war es, was mir zu
denken gab und mich beunruhigte.
War Lieschen denn in zwei Gestal
ten vorhandenit Für mein Kinder
herz blieb diese Frage rätselhast Nur
ganz dunkel dämmerte mir etwas von
einer Schuld aus, die die Menschen
belastete ohne daß sie es selbst viel
fleicht ahnten.
s Aus der staubigen Dorfstraße sah
Lieschen furchtsam und lächerlich aus.
Was aber weit schwerer wog: sie war
vogelfrei, siir jeden Gassenbuben. So
bald sie sich zeigte, ergossen sich Hohn
und Spott aus sie. Warum? Weil sie
einsam mit ihrer Mutter lebte? Weil
die beiden Frauen von anderer Art
waren . . .. Kaum wagte sich die Ver
schiichterte, die sür eine Närrin, siir
eine Jrre galt, mehr unter die Men-.
schen In ihren Augen brannten»
Schreck und Schmerz, wenn ihr die!
Leute nahe tamen, und stieß sie garl
jemand an, so schrie sie mit einer
merkwürdigen, treischenden Vogel
stimme aus...
It te L
Hier in dem vornehmen, schönen
Haus glich ihr stilies Leben einem
verzauberten Dasein, so sriedlich und
harmonisch war es. Hier sah sie jung
und klar und rüstig aus. Höchsten
iiinsundztvanzig mochte sie sein. Ihre
Stimme war weich, sie hatte eine
Zärtlichkeit, die ich mild empfand und
die mich rührte. Jmmer war diese
Wär-ne in ihren Worten, gleich, ob
sie mit der alten Magd oder mit dem
Hunde sprach. Der Klang versteifte
sich nur noch, wenn sie mir unten am
Wasser Märchen erzählte oder mir
vorlag. —- ,.Lie« hieß sie hier. Als
ich sie zum ersten Male so rusen hör
te, blickte ich überrascht von der Miti
ter aus die Tochter. Gütige Wärme
in dem einen Gesicht, unschuldige
Kindesliebe in dem andern. Das war
doch nicht der Blick einer Jrren? Das
war das Auge einer Träumerin, einer
Märchensvinnerin. Die beiden Frau
en lebten nur mit sich. Jhre Freunde
waren Bücher und ein Hund. Jhre
Interessen galten dem großen Obst
garten, dem Pakt mit den schönen
Blumen, Büschen und alten Bäumen.
hin und wieder verkehrten sie auch
mit dem Gärtner. Eine ganz stille,
ganz heimliche Liebe hatten allerdings
die beiden Frauen noch. Zu Weih
nachten, als viele große Palete abge
sandt wurden, ersuhr ich von ihr.
Das war ihr sleisziges Nähen und
Stricken siir arme Kinder. Ganz nnd
gar verschömt war diese Liebe. Alte
ihre freie Zeit —— und ich glaube,
auch alles übrige Geld, das sie mit
Eiser eriibtigten, verwendeten sie
daraus. — Verte, die alte Magd,
waltete selbständig neben Und in dem
allen. Von anderen Beziehungen und
anderen Menschen hörte ich nie
Jni Pakt iuar ein tiroctetplatz.
Viel spielten wir dort unter den herr
lichen alten Buchen, Ahorn: und sta
ftnnienbänmen. Gute und schöne Bü
cher lasen wir dort zusammen Cop
persieldsche und viele andere ferne
Personen waren häufig bei uns- zu
Gaste. Bunt und gar lebhaft durch
einander besuchten sie uns nuf den
lühlen, schönen Nusenplötzen. —
Wenn ich über Nacht blieb, schlief ich
oben in einem der Mansnrdenstiib
chen. tiöftliche, unvergeleiche Nächte.
Die alte Magd, die mich hinauf be
gleitete und mir zu Bett half, stand
der Wirtlichleit ani nächsten — sie
tonnte heftig auf die böse Welt schel
ten. Dem Aussehen nach gehörte sie
aber erst recht in ein Märchen: »eine
ewig brummende Alte, mit dem gu
ten Herzen, die ihre Königin und
Prinzessin über alles liebte!·« Von ihr
erfuhr ich einmal; warum Lieschen
Eintäufe machte. Die Alte paßte eben
noch weniger in die Dorfftraße,
mochte die Menschen nicht sehen, die
ihr Kind verfolgten. Dies Kind, deni
eine tiefe Scheu vor allen Fremden
ungeboren und dessen Gemüt durch
Vereinfanimung bis zur krankhaften
Furcht vor den Erscheinungen der
Außentvelt gesteigert erschien. Wie die
Berührung eines Fingers auf einer
wunden, hautlosen Stelle wirlt, so
wirtten fremde Gesichter und Men
schen auf dieses seltsame, scheue We
en das sofort zutraulich, frei, often
wurde, wenn es allein war oder mit
jemandem, in dem es einen Freund
empfand Als diesen Freund empfand
sie nun mich. Sah sie mich kommen,
fo erlosch das irre lacterfeuer in ih
ren Augen, das Geicht wurde ruhig,
mild formte sich der Mund und das
ganze Wesen war Zuiraulichteit und
herzlichteit. Und ich fühlte mich hier
wohl wie nirgendwo. hier empfand
ich zum ersten Male das —- Glück
der Wunschlosigleit.
Wie lange ich dies glückliche Leben
führte, weiß ich nicht. Meine Eltern
verzogen, und mit den Jahren wur
den dann diese kostbaren Erinnerun
gen zugeschüttet
Zufällig hingeweht stand ich nun
zum zweiten Male an diesem Gitter.
— Jch ging meinen Weg bald zurück.
Eine schwere Bürde aufgeriihtter tief
seliger Kindheitserinnerungen nahm
ich mit mir. Am nächsten Vormittage
sollte die Sonne vom Himmel la
chen, denn da wollte ich ,,Lie'«- und
ihre Mutter aufsuchen. —
Jch habe niemand mehr gefunden.
Verwildprt war der Garten, vernach
lässigt das Haus-. Der Herbslwind
pfiff ein wildes Lied, er zerrte mit
harten Händen an den Bäumen und
schüttelte sie. Hoch lagen ihre herbst
reifen Blätter am Boden. Bunt und
kostbar anzuschauen. —- Glutvolle
Späirosen blühten dazwischen, sie
rangen in Abwehr gegen Sturm und
Tod. .
f Nein, nein, dies Bild wollte ich
!nicht. Jch suchte ja lebende Menschen,
)Freunde. —
, Jch wollte den Garten verlassen, da
straf ich einen Mann. Er glaubte, ich
Ihabe die Absicht, das Grundstück zu
Haufen, und da er es zeigen sollte,
Iwar er gelommen....
Ich ging durch die verödeten Räu
me. Dabei ließ ich mir sagen. was
er wußte. Frau Hegemeister sei zuerst
gestorben, schon vor sieben Jahren,
bald darauf die alte Magd. —
Und Lie? Fräulein Beschean
,,Ach,« sagte er, »das Fräulein war
ja immer so scheu. Sie ist wohl nie
ganz richtig im Kopfe gewesen. Da
sie teine nahen Verwandten hatte,
sollte-sie nach dem Tode ihrer Mut
ter und der alten Magd in ein Stift.
Da hat sie sich vor Angst dort unten
im Wasser ertränkt. Das Haus wird
nun durch einen Notar ausgeboten,
niemand aber findet sich dafür.«
Jch ließ den Erzähler stehen und
ging. Mein Herz war fassungslos.
Arme, arme Lie! Arme Märchenspin
nerinl Ja, so und nicht anders wirst
Du in meiner Erinnerung leben. Mir
hast Du Dein goldenes Krönchen und
Deine goldenen Pantöffelchen gezeigt.
Wundersames habe ich in ihrem
Glanze schimmern sehen. Gar Schö
nes ist dadurch in meinem eigenen
Herzen erblüht. Deshalb weiß ich,
wer Du in Wirklichkeit warst. Ein
Menschenkind, das sich vor dem Ge
richt der Welt fürchtete. Auch schulde
ich Dir Dant. — —
»Andrees Lieschen,« bist Du nur
für die Gassenbuben und für all die
Menschen, die nur Häßliches und
Lächerliches an Dir ·sahen. Das
Spießrutenlaufen und der Hohn
machten Dich lrant und irr, sie trie
ben Dich dann in den Tod. — ,
Einmal noch blickte ich zurück auf
das Hans. Die Worte des Mannes:
,,niemand findet sich dafür«, fielen
mir ein. Jch wünschte, daß es immer
so bliebe. Märchenmenschen haben ja
einst dort gelebt, wie dürften andere
nach ihnen kommen? Mag der Sturm
brausen, bis die Mauern gebrochen
und die Bäume hingesunken sind. Es
war ja Deine Heimat, Dein Märchen
haus, — Andrees Lieschen!
Die undachtigrn Vallcttratteu
Deutsche «-pione sind jetzt in Jta
lien ein gesuchter Artikel und wer
dort irgend jemand spanisch vor
kommt, tut gut, sich sofort auf fran
zösisch zu drucken, sonst kommt er bei
der polnischen Wirtschaft hinter schwe
dische Gardinen. Wie die italienischen
Zeitungen berichten, hat dies Schick
sal u. a. in Ankona zwei Ballettda
men betroffen, die bei tleinem Gehalt
verdächtig große Sprünge machten.
Beide haben bereits eingestanden, ei
nem organisierten —-— dem Ballett
toeps —- anzugehörem und ließen sich
im Bei-hör verschiedene Seitenspriinge
zuschulden kommen, wobei sie sogar
versuchten, dem Richter auf der Nase
herumzutanzen Auch haben sie be
reits einige sanx pag zugegeben, die
sie aber niemals solo, sondern nur
im pas de deur gemacht haben wol
len, ihr Partnek wäre stets, nachdem
er angetanzt sei, bald wieder abge
sprungen. Schließlich setzten sie sich
aus die hinterbeine. sagten dem Rich
ter ungeschniinlte Grobheiten und
wollten nicht wieder im Prototoll si
gucieren, weil darin zu stark aufge
tragen und alles aus die Spitze gestellt
sei woraus sich die beiden Teiiotfeen
Tmit einer Pantomine empfahlen, wel
che den Gerichtshof zu einer Gruppe
erstarren ließ.
— Die neue Marte. Lebe
recht (in einem Wäscheladen): Jch
möchte einen Brurnmerlrageni
Verläuserim Wie, einen Bruniniers
tragen? Den führen wir nicht!
Leberecht: Nanu, ich meine einen
Umlegettagen, hat-weite 42 »m!