Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 11, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

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    SkaatS Anzetger unnd J set-old.
« Sonntag-hinkt de
Gm dJZI mid, N ,Don eZsm nn. me
,- »- » , --- .
sie IMtsiIr. x
Von Dr· P. Minnen Stqbsarzt d. R»
Sie hielten nicht Unanshnltsmm
fluteten vie russiichen Kräfte vor uns
zurück, der Wei sel zu. Das gab anil
strengende Mär che, lauen ein Tags
unter 40 Kilometer, und dsö will m;
Walfisch-Polen mehr bedeuten alg litt-I
der-wo.
Es wirkt ganz eigentümlich. dem
feind nah auf den Fersen folgend,
eine Spuren un allen Orten zu l:e
obachten. Namen wir an ein Fliin
chcn, dann fanden wir die darüberl
führende holst-kürte noch brennend.
Beräirgstigte Einwohner. die schlich-»
tern aus den dichten Wäldern an dies
Morschlirqße lamen. bestätigte-i uns,s
daß vor luin einer Stunde die letzsl
ten Kohlen davongeritten seien und;
die Brücke in Brand gesteckt hättem
Natürlich hatte dieses Brückenzerstöi
ten gar seinen-Sinn, denn die Flüsse
waren so flach, daß uniere Kolonnen
ohne jede Schwierigkeit neben der
brennenden Brücke hindurch-zogen
Selbst die Artillerie und die Bagage
wurden nicht sonderlich aufgehalten
So waren wir schon ven ganzen
Vormittag ·marfchiert, «immer vicht
hinter dem Feind her, ohne daß-wir
ihn fassen konnten. Die Dra
goner, unserer Vorhut zugeteilt, wa
ren ein paar-nat mit ver Kofatens
nachhut in Fühlung gekommen, aoer
auch ohne nennenswerte Erfolge,.
denn diefe widerliche Gesellschaft riß
aus«-.
So näherten wir une dem Flecken
Cz» ver uns zum Quartier bestimmt
war, und mit dem wir vorläufig vie
«befohlene Linie« erreichten. Als wir
Yedo auf zwei Kilometer heran wa
ren, tam ein Dragoner ver Vorhut
gnriiet unv meldete, dass vermutlich
in ven loäutern von Cz. noch Ziosai
ten verstectt feien. Eine von einem
Eis-jährigen - Unterofiizier geführte
Patrouille von fechi Mann fei nicht
Leiickgetommem nnd man vermute,
ß sie mit Kosaten ins Gefecht gera
ten nnv aufgerieben worden sei.
Nach kurzer Beratung wurden zwei
Züge ver als vorderste marschieren
den vierten Kompagnie beauftragt,
den Flecken nach versteckten-Rassen
abzufuchem Jch fchloß mich diefer
Abteilung an, und während das Gras
eine Rast machte, marschierten wir
auf Cz. los.
Nach einer Viertelstunde kamen die
erften Häuser in Sicht. Der Flecken
lag malerifch in einer Talfentung
eingebettet. Teil-geifewaren die nied
rigen häuser auf vhn nmgebenden
hiigein erbaut, fast a e von tleinen,
recht verwahrt-isten und verwitderten
Gärten umgeben.
Die sogenannte hauptstraße, auf
der wir eineiieiten« war grunvlos.
Ein grauer, tlebriger Morast. in vem
vie Mannichasten fafl stecken blieben.
Als wir die ersten änfer erreicht
hatten, wurden die iige eingeteilt
und nun Haus für hanc Untersucht
Der Ort schien völlig ausgefunden
Kein lebende- Wesen ließ sich blicken.
Es hatte zu regnen angefangen, und
der bleierne himmel, der über ver
Landschast lag, vermehrte das Du
stere und Unheimliche des Eindruck-K
Langsam ritten der Hauptmann v.
G. und ich die Straße entlang, wäh
rend die Mannschaften die Häuser ab
suchien. Als wir um eine Straßen
biegung tamen, sahen wir dicht an
den häuscrn eine Gestalt liegen. Es
tvar einer unserer Dragoner, und
zwar der Einsichtige-Unterossizier,
der jene Patrouille geführt hatte. Er
hatte nicht lange gelilten, eine Kosas
tengutei toar ihm mitten durchs Herz
gegangen. Bei der Untersuchung des
Toten siel mir aus« daß er außer
der Unisoetn nichts, aber auch gar
nichts mehr bei sich hatte, leine Uhr,
teine Geldtasche, teinenFeldstecher, lei
ne Erkennung-marte, geschweige denn
Wasserk. Die Stiesel hatten sie-ihm
sogar ausgezogen.
Der arme Kerl! Jung, voll Begri
sierung, voll Lebensmitt, war er viel
leicht vor zwei Stunden hier einge
ritten, und nun war alles aus. Vor
bei stie immer. Wir konnten damals
nicht ein-nat seinen Ratten« feststel
len. Es toar rnie schon listersausgei
Mille-n daß Kosalery wenn sie intt den
nseigen ins Gefecht tarnen und Er
splse hatten, grase- Gewicht daraus
legten, die Ertennungsmarten unserer
Oesollenen an sich zu nehmen. Ein
Gesangener hat rnie später bestätigt
daß sie diese crtennungsnrarlen t
ihren til-tun abli ern. als beweis
tte heer triegeri chen Leistungen.
is- Zu -las ich in ndianerbiis
chem» da in not am v e noprhqut
ihrer ser als etoeise rnit nach
Hause rachlen. Das siel mir damal
tvieder ein.
Its wir weiterritten, fanden wir
noch siins andere Dragoner, alle tot,
von den Pferden leine Spur. Alle in
kitichet Weise aus-geraubt Eine maß
- ose Wztt packte unsere braven Reser
oiften. Jeder malte sich die Tragödie
aus, die hier vor zwei Stunden sich
abgespielt haben mußte. Jch glaube,
wenn wir die feigen Kosatenhunde zu
Gesicht bekommen hätten, es wäre ih
nen furchtbar ergangen. Daß die Ka
meraden erschossen waren, das war
Soldatenlos, dabei fand niemand et
was, tonnte es doch in den nächsten
Stunden jedem so gehen, aber dnß
man ihnen ihre wenigen habseligteii
ten seise geraubt hatte, das war es,
was unsere Leute so empörte.
«Pfu«i Deibelt gegen so'ne Bande
muß man ttimpsen!« Ein alter Re
servist rief ei mit einem solchen Ab
scheu im Ton, wie ich ihn selten ge
hört habe. Allmählich kamen die ver
schiedenen Patrouillem die tn den
häusern nach Kost-ten suchten, zuriiet
Als Sammelplntz war der Marltplatz
angegeben worden« Noch tiefer der
Strnßenschlamm, noch elender die
Häuser und hiitten ringsherum. Jn
der Mitte des rechteckigen Platzes der
unvermeidliche Ziehbrunnen mit sei
nen riesigen Holzräderm die zum Her
aulwinden der Eimer dienen.
Da unsere Leute weder brannten,"
noch scho«sen, noch plünderten, hatte
sich vie ängstigte fast nur aus Ju
den bestehende Einwohnerschaft etwas
beruhigt. Da und dort erfehien am
Fenster und in der Tür der elenden
Baraclen ein Kaftanträger. Schwarz
haarig, rotblonk weis-, mit langen
ungepflegien Bärten. in gut gearbei
teten hohen Stiefeln, schüchtern. ver
ängftlich, neugierig, aber alle bereit,
sofort ein kleines Geschäft zu machen,
ein Glas Tee zu verkaufen, fcheußlich
aussehende Lachen« anzubieten, ihre
bisher verfteckt gehaltene meist ran
zige Butter an den Mann zu brin
gen.
Herr Hauptmann, ein Dragoner
fehlt noch, einen haben wir nicht ge
funden.« «
» «Unteroffizier, der hat uns hoch
die Meldung gebracht vor einer Stun
U «
»Nein, Derr Haupts-kaum von die
fer Patrouille ist niemand zurückge
»totninen.- Es waren ein Einjährigeri
.Unteraffizier und 6 Mann-«
«Wifsen Sie das genaus«
» «Ja1vohl Herr Hauptmann, .fiinf
»Man-i und den Unteroffizier haben
wiåp gefunden, der sechfte Mann fehlt
ino .«
«Sind fehon · alle Suchpatroutllen
;zuriick?«
«Gefreiter Z. rnit drei Mann fehlt
moch, hie sind nach vern Ostausgang
isu.«
s. .Gehen Sie rnit 6 Mann, und fe
Hhen Sie, wo die Leute bleiben.«
: Wir warteten weiter au dein
TMarlt und unterhielten unt rmt eini
»gen Juden, die.einigermaßen Deutsch
lsptachem Jn der vorigen Nacht hatte
;noch russisehe Jnfanterie hier gele
igen. Dort, in jenem Eckhause hatte
jder Stab gewohnt- vielleicht fünf Of
.fiztere, alles Generale, wie unser
Fikaftauträger voll Ehrfurcht meinte.
iPlöslich um 12 Uhr nachts waren
Hitosaten gekommen, vielleicht zwei
hundert, und da sei die Jnfanterie
in aller Eile abgerückt. Die Kosnten
»seien noch geblieben und hätten un
aufhörlich die Straßen durchritten
Hund die Einwohner in die Häuser ge
trieben. Um U Uhr, es war jest
Iettvn halb ein Uhr, seien »deitsche«
zReiter getommen, und da hätten sie
; eßen hören, und dann feien die
»He-f ten in wilder Eile davon.
i »Herr Hauptmann, wir haben den
Jsechsten Mann gefunden, auf einer
sBodentammen aber da scheint nicht
»al1es in Ordnung zu sein. Wenn der
»Herr Stabsorzt sich den Mann ein
;rnal ansehen wollten.«
, »Ja, herr Doktor, wollen Sie so
,gut seini«
» »Jatvohl, gern, herr hauptinann
-Unteroffizier, gehen Sie voran!
, Ziemlich am Ostende des Dorfes
g auf einem hilgel inmitten eines
itdwachsenen Gartens ein niedriges
haus. Als ich näher ritt, sah ich
außer unseren Leuten auch eine
Gruppe Zivilisten.
Da lag der Dragoner, auf Stroh
gebettet, m.
»Wie haben Sie den Mann gefun
den, Zi«
.Derr Stab-next ais wir u die
sen hör-fern kamen, fanden wr dort
unten arn Wege eine Blutloche und
eine Dragonermii. Wie wir nun
in den Däusern achten, haben wir
ihn aus den-Hoden dieses nie-,
so tote er da ixe hinter der utteri
tifte e.funden un sagen die Leute
hier, verstehe io n biß n Peiniseh,
der Drngoner iei non of taten ver
wundet worden und eherbe ercth auf
ihren dausdoden g iticht
est-eint uns was nicht richtig zu
end
Jch untersuchte den Toten. Er war
noch warm. Auch hier ein Brusifchuß,
aber wohl nicht tödlich, dagegen iiber
dem rechten Auge eine tiefe, bis auf
das hirn gehende Wunde von einem
scharfen Instrument herrithrend, ei
nem Beil oder dergleichen. Mit deri
Wunde konnte der arme Kerl unmög
lich die Leiter zum Boden des Hauses
hinausgetlettert sein, also entweder
hatte er dort oben jenen absolut töd
lichen hieb betommen, oder er war
schon alj Leiche dort versteckt wor
den. Während ich ihn untersuchte,
waren meine Blicke ganz unbemerkt
über die Gruppe von Zivilisten ge
schweisi. Stumpssmnig standen sie da,
drei Männer, ein altes Weib und ein
heulendes Kind. und hinter ihnen
noch ein Mann, schwarzhaarig mit
braungeldem Gesicht. sunlelnden Au
gen, zerlumpter Kleidung und etwas
aussallend Unruhigem in Haltung
und Blick.
«Unterofsizier, halten Sie den Kerl
da, der will wegl«
Jch hatte gesehen, wie dieser ekel
hast aussehende Mensch ganz sachte
nach der Ecke des hauseö zu sich driits
ten wollte. «
»Den-en Sie nichts bei dem Toten
gesunden?«
»Nichts, Herr Stabsarzt, gar
nichts!«
«Waren aus dem Boden an der
Leiter und im Haus Blutspuren7'·
.Nein!« . .
Es war klar, der Dragoner war
als Toter aus den Hausboden ge
schasst worden. Warum? Kein Mensch
nitqrnt sich doch ohne besonderen
Grund eine Leiche ins Haus. Es gab
nur eine Erklärung, die Leiche war
beraubt und sollte nicht gefunden
werden. Ober —- der verwundete
Dragoner war erschlagen, damit man
ihn berauben konnte. Für letztere An
nahme sue-ich die Tatsache, daß der
Brußschug nicht, der Beilhieb aber
tödlich war. Jm handgemenge lonnte
der Arme nicht gewesen sein.
Aus meine Veranlassung wurden
die Zivilisten durchsucht. Bei jenem
verdächtigen Kerl sand sich eine sil
berne Taschenuhr mit Kette, deut
scheö Fabrikat, und deutsches Geld.
Angel-lich hatle ihm das ein Jude
vertaust. Es war natürlich alles er
logen. Die Gerichtstommission, die
nach Ankunft unseres Regimenti so
sort zusammentrat, fand auch noch
das blutige Beil im hause. Angesichts
der erdriielenden Beweise gestand der
Kerl die Tat. -
So konnten wir wenigstens de
einen jener braven Kameraden rächen,
die für uns ihr Leben lassen mußten.
Zu spät
Eine lleine Krieköersiihlung von H. von
A almoer
Dpra Petersen wartete aus ihren
Mann. Seit mehr cals zwei Stunden
saß fee wartend aus der Bank, die
neben der Tiir ihres tleinen häus
chens stand. Die Kinder schliefen, vie
alte Magd hantierte noch in Küche
und Flur und trat hin und wieder
hinaus, sah ihre Frau an, schwieg
und lehrte ins haus zurück» — !
Dora Petersens Herz ttopftr. Ihr
Mann war zur benachbarten Stadtl
gefahren, um aus ihreBitte noch einmal -
den Versuch zu machen, beim städti
schen Tiefbauamt ais Jngrnieur an
zusommein Von der Nachricht, die
er ihr an diesem Abend bringen wür
de, hing alles ab — Gliick oder Un
tergang. «
Sie besaßen nichts mehr; die letz
ten 50 Franken waren von der Spar
lasse abgeholt. Kam er mit schlim
rnein Bescheid, so konnten sie betteln
gehen. Die laue Sommernacht um
toste ihr blondes Haupt; der Mond,
der hin und wieder aus leichten, grau
en Wollengebiiden hervorlugte, warf
einen fahlen Schein auf ihre feinen
Züge.
Sie war so wunderschön gewesen,
bevor sie an oen Mann, den sie heiß
geliebt bate« gelonnnen war. Nun
hatten nagender Kummer, nie endende
Sorgen mit grausamem Griffel tiefe
Furchen ins einst so leuchtende Ant
lih gemalt. Kein Mensch glaubte, wie
jung sie noch war.
Vorn Kirchturrn schlug die zehnte
Stunde! Warum tarn er nicht? Das
Vureau schloß urn 5 Uhr; er hätte
lang vor Abenbbrot zurück fein tön
nen. Das haupt sant ihr auf die
Brust; das herz trarnpste sich in ban
ger Ahnung zusammen. Tiefe hoff
nungilosigkeit tarn iiber sie.
»Sie sollten besser hereinlonimen,
Jesui« fagte die alte Magd, die schon
bei Dorac Eltern gedient hatte, und
die hier bei den jungen Leuten ihre
Irbet ohne Entgelt verrichtete. »O
tsird kühl, und wenn er bis zum
zehne nicht gelommen ist« dann kommt
er noch lange nichti«
Die Frau barg ihr Gesicht in bie
nde.
Maß mich, Manni« sagte sie fast
flehentlich, und die Alte ging ins
harrt zurück. Dora Petersen schlief
nicht« aber sie erschrak, als sich ihr
plöslich eine hand auf bie Schulter
legte —- die han ihres Mannes.
«Irnst«, rief sie und suchte in der
,
Dunkelheit die Züge seines Gesichte57
zu ertennenz ein teichter, Schauder slog
ubet sie. . I
Es neß sich aus- die Bank fallean
die Füße trugen ihn nicht ganzt
sicher.
»Es ist futchtbat!« stöhnte Dota.
Er wurde böse., »Was ist furcht
hatt«
l »Du hast getrunken!« sagte sie ton-«
os.
Er lachte aus. »Das haben mehr!
getan als ich an diesem Tuge!« sagte
et trosig
»Don du die Stelle bekommen?«
smgte sie da mit einem leisen Aus
atmen.
»Die Stelle bekommen? Nein,
Kistdt Um Stellen bewirbt sich heute
teiner. Die hat nächste Woche jeder
von selbst. Jn zwei oder drei Tagen
werden wir mieg haben!«
Sie sah ihn ungläubig un. Im
mer, wenn er ein schlechtes Gewis
sen hatte, brachte er irgend eine er
staunliche, überwältigenoe Nachricht,
dik ihr Jnteresse von Xhm nbtenten
selte. ,
Er war so unsifglich schwach, so er
bärmlich, so feig!«
Sie lief-, ihn auf seiner Banl sitzen
iiiiitlf schlich ins Haus. Jm großen
Allovenziininer schliefen ihre beiden
Kinder, die fiißen Gesichter rot vom
gesunden Schlaf.
Ein heißes Schluchzen lain aus
ihrer Brust. Jn ein paar Tagen
hatten sie nicht mehr genug, iiin diese
kleinen, arnien Geschöpfe satt zu ina
en.
Ernst Peiersen schlief feinen Rausch
draußen vor deni tleiiieii Häuschen
aus. Erst als der Morgen leise her
aufzog, begann er zu froftelm schlich
ins Allooeiizinimer, legte sich zu Bett
und schlief bis tief in den neuen Tag
hinein.
Jn Doras hirn arbeiteten die Ge
danken. Wenn er sie doch frei gäbe!
Wenn er ihr doch eingestiinde: »Ich
bin nicht fähig, fiir eiiie Familie zii
sorgen, ich bin nicht einmal fähig«
Ja, wenn»
mich selbst zii erhalten!"
er sie gehen ließe mit den Kindern!
Sie und die beiden armen Wiirnier
würde der Vater wieder ins haus
nehmen. Der Mann aber, bor dein
er leine Achtung hatte, durfte seine
Schwelle nicht übertreten.
Aber so war Ernst Peterfen nicht;
der ließ sie nicht frei — nie und
ninierniehrl Der legte sich, sobald
der Rausch oerflogen war, wieder
aufs Bitten und Versprechen, und war
man nicht gefügig, so wurde er ge
waltig.
Solch ein armseliger. elender
Mensch, und doch hatte sie ihn einst
geliebt, heiß iind grenzenlos geliebt!
Wie war das möglich gewesen?
Am Nachmittag saß Petersen bleich
vor der Tiir deb Hauses und sprach
ooin Krieg, aber Dora hörte nicht
zu; sie wandle geflissentlich die Auf
iiiertsanileit den Kindern zu.
Aber dann tam der Pfarrer mit
bern Lehrer an der Seite an ihnen
vorbei, und der Pfarrer wandte sich
um unt-sagte: ,,Scinoere Zeiten kom
men sür unser Vaterland. Sie wer
den wohl auch unter den Ersten sein«
die hinausziehen, Petersen«i«
»Ja,« sagte ber und rerite sich aus.
»Ja, Herr Pfarrer, so wird eg
sein!« "
Jn Doras Gesicht ging eine große
Veränderung vor.
»Ist es wahr mit dem Krieg?«
sragte sie zitternd, und Petersen tri
nnnphiertr.
»Natürlich ist es wahr, und in ein
paar Tagen bist du mich los!"
Sie beugte sich zu den Kindern
hinab, sie war wie betäubt.
Er sprach noch etwas von dem,
was er gestern gehört, aber sie war»
nicht fähig, ihm zu folgen.
Da sprang er ärgerlich aus. »Hast
du noch etwas Geld?« »
Sie guckte nur die Achseln unb;
slchlich ins haus. Die Knie zitterten;
t r.
»Dann nicht!« schrie er wütend,
blieb sitzen und starrte ins Leere.
I st- i
’ —- — Eine Woche späte- sagl
Dora mit ihren beiden Kindern rni
l
stillen, behaglichen Wohnzimrner ihres
Elternhauses.
Zum ersten Male hatte ihr Mann
in seinem Rausch die Wahrheit ge
sprochen. Unerhörte Ereignisse hatten
die ganze Welt erschüttert. Für eine
turge Spanne Zeit war jeder von der
Sorge und Angst ums eigene Wohl
und Wehe abgelentt worden; eine
kurze Spanne it war auch die klein
ste, engste Seee über sich selbst hin
ausgewachsen- Dora hatte ihren
Mann zum Bahnhos geleitet, und ir
gend ein gutes Gesiihl siir ihn war
beim Abschied wieder in ihr herz ge-»
zogen.
Aber alt sie dann ins stille, arme
Häuschen zurückgekehrt war, als die.
dickeren Sorgen sich von neuem blei
schwer aus ihre schwachen Schultern
legten, da schwand das armselige his-v
chen Liebe Für ihn schnell wieder
dahin. »Ein schlechter Mann —- ein
schlechter Vaterl« jammerte es in ihr,
und sie schämte sich seiner, weil sie
ihn einstmals srs hoch eingeschiitzt hat
te. Einen Tag später war der Brief
des Vaters mit der Einladung, zu
ihm zu lominen. angelangt. Sie
weinte beim Lesen. Es tani ihr hart
an, selbst vom eigenen Vater Wohlta
ten anzunehnieri, aber sie hatte teine
Wahl. Es war nicht Geld und war
nicht Brot ini Haus-, und tleine, un
schuldige Würmer sahen mit vertrau
enden Augen zu ihr aus« Da war
sie mitsamt den Kindern und der al
ten, treuen Magd in den behaglichen
Wohlstand, aus dein sie stammte, zu
rückgetehrt. —
Furchtbar wütete der Krieg in West
und in Ost; uniaßliche, grauenvolle
Berichte von iritielaltertichen Grau
samkeiten, die verübt worden waren,
standen in den Zeitungen
Die ersten Brirfe von den ins Feld
Gezogenenlaineii in der Heimat an.
Die Frauen, die sich aus der Straße
vegegneten, hielten einander an und
berichten sich vom Ergehen ihrer
Männer und Söhne.
Auch Dora hatte einen Brief don
iyrem Mann erhalten. Sie hatte
nie auch während ihrer Brautzeit
nicht, Briese mit ihm gewechselt, sie
hatte auch niemals Briefe von ihm,
die er an andere geschrieben hatte,
gelesen, und darum jah sie vielleichh
mit solch staunenden Augen auf das«
Btatte, das sie nun schon seit mehr
als einer Viertelstunde in der Hand
hielt.
»Liebe Dora,« schrieb er. »Wenn
ich dir schildern wollte, tan meine
Augen in diesen wenigen Tagen, die
ich fern von Euch bin, gesehen haben,
so müßte ich Grauenhaiteg oerichten,
und das möchte ich nicht! Entsetzlich
ist dieser Krieg, der die Welt erzittern
macht, und wenn man mitten drin
stel,t in diesem Jammer, in diesem
unaussprechlichen Elend. dann suchen
die Gedanken in ihrer Qual einen
Punkt der Ruhe, des Wohlfeins. Do
ra, meine Ruhe, mein Glück liegen in
deiner Hand! Jn diesen Tagen des
furchtbaan Erlebnis bade ich zum er
sten Mal aus tiefstem Herzensgrund
herausgesiihlt, welch schlechter Mann,
welch gewissenlrser Vater ich gewesen
bin. Aber glaube niir — und dieses
soll kein leeres Versprechen sein-—
tehre ich zurück aus diesem Toben hier
draußen, dann bin ich ein anderer —
dann sollst du cnischadigt werden fiir
alles Leid, das du durch mich er
fuhrst. Das schioöre ich beim Haupte
meiner Kinder. — —- —'«
Jhr Kopf hatte sich ties geneigt;
wieder und wieder las iie seinen Brief
durch.
Das Leben an feiner Seite zog
wieder an ihrer Erinnerung vorbei:
diese Kette von Eiitltäuichungem diese
ewigen Versprechuiigen und der immer
von neuem eriolgende Utiictfall in den
alten Leichtsinn
Sie seufzte tief und schmerzlich
Konnte man da noch glauben — noch
Vertrauen haben
Nein —- nein! Zu oft hatte er ihr
gelobt, ein neues Leben anzufangen
Zu leicht flossen ihm solche Verspre
chungen von den Lippen Die Bit
terteit hatte sich zu tief in ihr Herz
elngefressem sie ldnnte ihrer nicht
mehr Herr werden. lind dort) lag
dieser Brief wie ein Alp auf ihrer
Brust
»Schreib mir ein gutes, liebes
Wort!« hatte er am Schluß gebeten
und nun setzte sie sich an den Tisch,
nahm Papier nnd Tinte und begann
zu schreiben. Ftiihl sing sie an; aber
während des Schreibens tauchten Er
innerungen aus friiherer Zeit in ihr
aus —- aug jener Zeit, da sie ihn so
über alles geliebt hatte.
Und ohne daß sie eg wollte, ward
der Brief immer wärmer, und ihr
lperzz schlug laut dabei, die hände
flogen iiber due Papier — sie wußte
gar nicht mehr, was sie eigentlich
schrieb. Wie eine Mutter zu ein m
irre gegangenen Rinde spricht, so
wurden ihre Worte: gut, liebevoll,
verzeihend.
»Ich glaube an dicht Noch ein
mal will ich an dich glauben! Und
ich will die Kinder lehren, daß sie
fiir dich beten! Und ich selbst will
für dich beten, daß du gesund heim
tehrst!« Und während sie so schrieb,
ward es immer heller, immer freudi
ger in ihrem Herzen.
Zum ersten Mal siihlte sie jeßt,
daß auch sie nicht ganz schnldlos war,
daß ihr Herz sich verhärtet hatte, und
daß der schwache Mann, der einer
Stiiße bedurte, vielleicht oft schon
vergeblich un ein gutes Wort von
ihr gehofst hatte. Tränen der Reue
liefen iiber ihre Wangen, als sie zum
Schluß schriebt »Wir wollen wieder
ein neues Leben beginnen; du sollst
stark und ich will weich werden! Und
wenn wir beide d:esen Vorsatz ang
. X
nd
üben, dan wird und muß es ja gut
werden!«
Sie brachte den Brief zur Post und
sie malte sich ans, wie er sich freuen
würde, wenn er ihn läst, wenn -er
sähe, daß sie noch an ihn glaubte —
und seinen Worten .vertraute.
Als sie nach aufe kam, fand sie
ten Vater mit eltsam ernstem Ge
sicht.
»Komm zu mir Doral« bat er und
begann: »Deine Ehe ist teine glückliche
gewesen, Doral Dein Mann hat es
nicht-verstanden dir und den Kindern
ein wohliges Heim zu schaffen, und er
wäre vielleicht eines Tages ganz in die
Jrre gegangen. . .«
»Vater, Vaterl« schrie sie auf.
»Aber Gott hat Gerechtigkeit wal
ten lassen. Dein Mann hat einen eh
renvollen Tod gefunden. Deine Kin
der werden in Ehrfurcht an ihren Va
ter denken können. Das ist ein großes
pnadengeschent «
Sie hörte nicht mehr — sie war
cui-;- decn Zimmer geschlichen.
Die große, tiefe Liebe von früher
war wieder in ihrem Herzen.
Zu spät! Zu ipiitl
Unfu- Mttarhemcauf dem «- titsc
Hauptsitz-.
Sehr geehkte Rkynfzjknk «
un Bericht un
Cädorna'sche Ard
mecht’ch Ihn doch
nich schiaem denn
die find’ mer in
jeder DER-zei
dung under ver
varit: Wed
derderichte«. Un
weil ooch sonst
hier noch so ziem
lich alles vei’n
alden is, will ich
Ihre Neigier nich
länger ufs de Fol
der schbann' und
Jhn’ den Rest Von
mein’ marinierten
Bedder sein’ Brief schreini, von da an,
wo ich ’5 letztemal abschnabben mußte.
Do heeßt’s also weidet:
·,.Der Komnmndant von unsern
Bot-d is ä snmoser Kerl. Kalb wie
äne Hundeschnuuzr. Neilich hudve sich
unser Geschwndek an feindlich-e Krei
zek ’tangebirscht, un nu trachter von
allen Seiten. Mächdche Wussekseiien
schdiegen Uff- wo ä Dorbedo ein
schlag, un die dunkle un schdirmische
Nacht wurde unheimlich von Schein
werfern un brennenden Schiffen rie
leichvet. Da schdand er in sein’
Deerzeich wie aus Erz gegossen uff
der Kommnndobticke un guckte durch
sei bracht-volles Glas· Usf eecnnl kam
Eine außergewehnlich große Seht-akz
welle — er kutschte aus« sei Glas
flog 'runder, un de nächste Welle
schvielte’5 iwer Bord. »Sch1veinerei!«
sagte"r, un drinn: ,,Maat, ä andres
Glas, un bring’n Se glei Lin’
Schnabbg mit!« ——— Der läßt s’ch
ähm dorch uischt aus der Ruhe drin
g’n. Vor verz’n Dagen soff mer uns
ämnl uff der andern Seite von Kannl
a bißchen de Gegend an. Bloß Io.
Mr muß doch long ze dun hinn. Da
nieent’r uff eeuial: »Hm, bis nnchn
Hafen von X. since noch so un soviel
verweilen. Welche Schnelligkeit tönn'
m"r’n fuhren?« —- ,,Zwang,zch, Herr
Obetleidnant.« —- »Bong, iahr’ .-n’r
einunzwanzch! Mal seh’n wan dort
los is.« — ,,Zn)unzch un ä halb i43’5
aikzerfchie, Herr Oderleionnnt!'« —
,,Bong, fuhr’ mer einunzrvanzch!« —
Un nu ging'g los. Wie m’r io ziem
lich ’ran lonr’u, un der Haer schon
in Sicht war, dn war’n ooch gleich
zeidch ä baut feindliche Krcizer in
Sicht, die dort uff ver Lnuer lagen.
Da rneente der Oderleidimnt: »Dum
me Geschichte! ’rein kmnm’r Da na
dierkich nich. Wolln nwer ä bißchen
angreisem nich? Nudierlichl Greif
m’r ämnl an!" —— Noch ä baar ruhige
Konirnandos, un ’ran ginng nn’
Feind. Los mit den Dorbedol Wie
der eine rniichdche Wosserfeilr. Der
hndde gesessen. Awer vie andern
Kreizer ivnr’n noch nich faul, un mir
nichten ooch tichdch unser Deil ab.
Zum Glick war’sch nischt eriistlicheo,
awer uffhalten durft’ m’r uns nu nich
mehr. Nu ging's haste was tannste
zerfet. ’s war ä scheener Erfolg gewe
sen, ooch for mich, denn ich itichte
her-rochen ’s Eiserne Kreis.
Cene gelungene Ruder hamm’k an
Bord. Das is Joneleit, ä Libdnuer.
A dichdchee Seemann, awet ii ver
rickies Laden Der nennt ie alle
»du«. Eemal sagt’r’sch ooch zum
Obeeleidnant. »Mensch«- sagte der,
»sagen Sie denn Zu jeden »du«?« —
,,Nein, Herr Oberleidnnnt, bloß zu
dir un zu Deren Obermant.« —- —
Doi war’fch in der Haubdfache,
was m’r mei Ver-der fchrieiu Hof
fentli klärt sich B Widder nu bald
uff. nan kriegen Se s’ nächstemal
wieder än« ausfihrlichcn Bericht von
Jhren gedreien
GottliebHahnemanm