Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 04, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntags-blast des
. SkaakS-» Anzeigner unnd Jcerokd «
Gm ndJsl ,ch -MIT Mf I. Nov
flimmern-antr- Abenteuer-.
Von R. Geiiettncher.
Sein Name fchon bedeutete für un
feren Freund einen Schickfalstuint
mit dem ZaunspfahL Mach dem
Flimmermann als Kunstfchiige, Aus
bilfjtellner, Versicherungsagent, Ge
legenheit-photograph- Gefangnereinsi
dirtgent und noch »in einem guten
Dutzend anderer Berufe debtttiert
hatte, erkannte er endlich seinen Da
feinsztvect und weihte sein Leben
fortan der Kunst aller Künste, der
edlen Flimmertunft. Er wurde Auf
nahmeoperateur dersftdsmopols Filiri
gefellschast und zog mit dem Kurbeli
tasten unterem Arm im Lande um
her, um Eisenbahnungliitte, Kaiser
paraden, Dentmaloenthullungen und
andere welteetchiitternde meigniffe
fiir die Mit- und Nachwelt auf den
Zellttloidftreifen zu bannen. War
auch sein Eintonimen als Kintoppons
tel nicht mit dem eines Roaefetler zu
vergleichen, so fühlte sich unser Flim
mermann in feinem neuen Berufe
doch ganz wohl und dachte vorläufig
an tetne Orientierung
Da tam der Krieg. Ein altuelles
Ereignis sagte das andere, und un
fer Freund hatte mit dem Kurbeln
don Lruppenausntärfchem Regimentss
besichtigungen, Straßenfzenen usw.
alle Hunde voll zu tun, bti eines Ta
ges die Einberufungsatder diefee löb
lichen Tätigkeit plötzlich ein Ziel feh
te. Flimmermann wurde eingezogen,
zehn Wochen lang in eine zwar arg
verschkisfene, aber nichtsdestaweniger
ehrenvolle Rettutenlluft gesteckt und
erhielt dann eines schönen Tages ta
dellos neue, schmucte Kleidung, feld
grau naturtich. elm nachften Morgen
in aller Frühe wurde er mit fünf
hundert tlameraden unter den Klein
gen der Garnifongtapetle zum Bahn
hof gebracht, um nach der Front hin
austrangportiert zu werden. Damit
begann nun seine abenteuerreiche Hek
denfahrt, und damit beginnt auch un
gere wahrheitsgetrette Chronit derfel«
en.
- - ! . ..,..t:es!-t,-« s-.1 .---I.
III-Isl- IIIIIL Ullslusllwclh VIII VIII
Tage währenden Fahrt wurde Flim
mermnnn In Kutno in Polen ausge
laden, bezog in einer Zuckersabrit
Nachtquartier und sekte sich am sol
genden Lllsorgen mit dem Trupp in
Bewegung, seinem Bestimmung-arm
dem Schunengrabem entgegen. Don
nerlvetter sa —-k der vollbepaelte Tor
nister druckte wirklich unheimlich!
Schon begann Flimmer-traun seine
»gute Jdee" zu verwünschen, die«
darinnen bestanden hatte, dasz er we
der Leibblnden noch Strümpfe in
seinen »Afsen« gepackt, sondern den
dafür vorhandenen Raum mit einem
Handlurbelappatat und etlichen Films
rollen ausgefüllt hatte. Na ja —- er
war eben Geschäftsmann, Künstler
und Soldat gleichzeitig. Da draußen
im Schuhu-graben mußte sich man
che interessante Ausnahme den-nistel
ligen lassen, deren Negativ von seiner
Firma, wenn auch nicht mit Gold, so
doch mit Silber aufgewogen wurde.
Aber wie gesagt —- der Tornister
quälte infolge dieser Belastungsprw
be erbarcnungslos den Rücken seines
Trägers. Flimmermann dersant bei
jedem Schritte ties in die landwirt
schaftlichen Reize der ausgeBDichten
·polnischen Landstraßen und blieb
mehr und mehr hinter der marschie
renden Truppe zurück, bis «et sie
schließlich bei einer Wegebiegung völ
lig aus den Augen verlor.
.-« k« » -’
Fliinmcrmnnn blieb mehr i: J mehr
zunut.
Flimmertnann hatte schlapp ge
macht —- an dieser Tatsache war nun
leider nichts zu ändern, und er mußte
versuchen, den Vorsprung, den seine
Kameraden seht hatten, batdniöglichst
wieder einzuholen, vielleicht alt blin
der Passagier eines Bagagetvngens.
heute war sreilich damit nichts mehr
zu wollen; aus der Straße ließ sich
tein uhrtvett blicken, die Sonne ver
sank reits hinter dem horizont, und
unser held slihlte sich so zerschunden
und zerschlagen, dasz er sich sehnsüch
t nach einem Rachtquartiere umfah.
Einige hundert Schritte abseits vom
Uege lag ein anscheinend verlassener
politischer BauernhoL Rissen Giebel
deutschen Grnnaten zum Opfer ge
fallen war. Immerhin konnte er noch
ein leidliches Obdach fiir die Nacht
bieten. Jtinnnermnnn gab sich einen
energischen Ruck, schutterte die Knurre
-
über und ging entschlossen auf dass
Haus zu. ,
Seine Vermutung bestätigte sich;
»die Ruine war unbewohnt« einige
Raume aber noch leidlickå erhalten.
Und da —- sah er recht? atsächlich,
da stand in eintr Kammer sogar noch
ein Bett! Allzugroß war die Ver
suchung, um ihr widerstehen zu tön
"nen, odgleich unser Freund von ge
wissen spezifisch russischen Hat-stier
chen allerhand gruselige Geschichten
hatte erzählen hören. Er warf Af
fen, Knarre, Koppel und Waffenrock
ab nnd sich selbst in die Falle. Fünf
Minuten später schon entxührte ihn
die Kinomuse sanft in ie seligen
Gefilde holder Flimmerträumr.
Gegen Mitternacht erwachte er
plötzlich infolge eines gewaltigen
Lärm-z, der im Nebenzimmer voll
führt wurde. Leise schlich er sich an
die Tür und warf einen Blick durch
das Schlüsselloch Um den koman
ten Bauerniisch saßen drei schmutzige,
in schwarze slaftane gekleidete Män
ner beim Wutli. Vor ihnen ausge
breitet lage1« Karten und Pläne, die
sie eifrig studierten. Ilimrnermann
wußte sofort, daß er es hier mit rus
sischen Spinnen zu tun hatte; ihr
ganzes Gebaren und die in russischer
Sprache gefühste Unterhaltung ließen
keinen Zweifel daran aufkommen.
Leise fchlich er nach feinem Bett zu
rück, nahm fein Gewehr zur Hand
nnd war eben im Begriff, die Tilr
aufzuftoszen, als er plöhlicheinen un
widerstehlichen Ritzel in der Nase ver
spürte. hagih —- da half alles nichts,
Flimmermann mußte dreimal laut
Ilimmermqnn enzißte dreimal laut
IRRLI
nießen. Drüben wurde sogleich die
Lampe verlöscht. Man stieß die Tür
aus« und bevor unser wackerer Ba
tetlandsverteidiger noch von seiner
Waffe Gebrauch machen konnte, er
hielt er einen derben Klaps aus den
Kopf
Alö Ilinurermann aus seiner Ohn
macht erwachte, herrschte um ihn tiese
Finsternis-. Er lag mitten in Stroh
nnd sühlt nur allzuveutlich die eilt
telnden ewegungen eines suhrenoen
Wagens. Hände und Füße waren
gesesselt, der Mund durch einen Kne
vel verschlossen. Jn dieser hilflosen
Lage blieb ihm nichts anderes übrig,
als sich mit Würde ins Unvrrtneid-"
liche zu schicken und wieder einzuschm
Im
Viele Stunden mochten vergangen
sein, als der Schluintnernde zum
zweiten Male auf recht unsanste Wei
se Morpheus’ Armen entrissen wurde.
tttohe Fäuste packten ihn und zerrten
ihn dont Wagen herab. Ein Blick
belehrte ihn, dafz er sich in einein tus
fischen Borpostenlager befand. Der
Kontmandierende desselben, ein hö
herer Offizier, erhol- fich vom Macht
euer, schritt auf den Wagen zu und
sprach längere Zeit niit dein Führer,
einem jener Spioite, die Flimmer
niann in dem zerschdssenen Hause he
lauscht hatte, und eer die geheimnis
vollen Karten und Zeichnungen über
hrachte. Die Blicke, die der Gesan
gene von seinen Feinden erhielt, wa
ren nicht eben sehr ermutigend Der
Offizter trat auf ihn zu und sagte
in gebrocheaem Deutsch:
«Hund, elendiger, tverrrden wirrr
dirrr helfen spionierrren! Jn einerrr
Stunde du sollst sein eine Leiche!«
Dann wandte er sich an seine Leu
te und erteilte einige Befehle· Flim
herniann fühlte sich recht unbeh.iglich;
er wußte, daß sein letztes Stündlein
gekommen sei und sah leine Möglich
keit zur Rettung. Tatsächlich began
nen einige russische Soldaten ntit ih
ren Spaten ein Loch in die Erde zu
wühlen ——« Flimmertnanni Grabs
hingerichtet auf Polene unwirtlichen
Gefilden — ell war zum verzioeifetnl
Und dabei lonnte die deutsche Front
gar nicht toeit von der Taltnulde
entfernt sein« in der das russlsche Vor
poftenlager aufgeschlagen toar; denn
man hörte ununterbrochen den Don
ner der Geschiihe, und dicht hinter ei
netn Busch, der halblinli einem klei
nen Jlllhchen vorgelagert war, erscholl
auch heftig-ne Jnsanteriefeuer. —- Ar
mee Flimmetii2ann, so sollst du also
sterben, ohne deinem Vaterland we
nigstens mit sdelnent Tode einen
Dienst zu erweisen! Nicht einmal eine
stinple Filniausnahtne kannst du als
Brett deines Opfer«, als unsterbltchet
eichen deines Kriegerdaseini heim
sendenl —- Und plötzlich packte un
eretn Freund eine unwider ehliche
Lust, noch einmal auf Erden d e Kur
bel zu drehen, bevor er dieses Ge
schiist im Jenseits versehen sollte.
Sein Tornister, der den Apparat ent
hielt, lag lauen gehn Schritte von
ihm entfernt, Fesseln und Knebel
hatte man ihm abgenommen . .. Ein
liihner Sprung —- sehvn lniet Flim
mermann vor dem Assen, schon hält
er die Filmiiste in der Hand und hat
den Zelluloidstreisen eingesetzt. Erst
jetzt werden die Feinde aus sein Ge
baren aufmerksam und stürzen schrei
end herbei. Aber Flimmermann läßt
sich nicht stören. Kaltbliiti richtet er
das Objektiv aus die uttibrüder
und beginnt zu iurbeln.
Doch da —- ivas soll das heißen?
Die tapseren Scharen des großen Ni
kolaus stieben schreiend auseinander
und rennen in wilder Hast davon.
Einige der Helden, unter ihnen auch
der Ossizier, sind vor Flimmermann
in die Knie niedergesunlen und win
seln kläglich um ihr Leben:
»Gnadde, Panel Gnaddei Nix
schießen! Nix schießen!«
17 - » RWW «—-:—
»Giiadde, Patie, Gnaddet«
Aha! —- Flimmermann, geistesge
genwärtig wie immer. erfaßt rasch
die Situation. Sein Kurbellasten
wird von den intelligenten Feinden
siir irgend einen neuen Thp eines
Maschinengeioehrg oder sonstigen
Mordinstrumenis gehaiten —- daher
ihr Schreck und ihre Todesangst Es
lebe die Flimmertunsti Jetzt ist er
gerettet. Jmtner das Objektiv des
Apparates aus die zitternden Russen
gerichtet, bemächtigt er sich zunächst
der geheimnisvollen Zeichnungen und
Pläne, die der Spion dern Ossizier
überdrachte, und die dieser in der
Nähe des Feuers niederlegte. Und
dann gibt er seinen Peinigern einen
Wint; sie sind jetzt seine Gefangenen
nnd solgen ihm ohne einen Versuch
des Widerstande-s hinüber nach den
deutschen Schützengriibem die wirklich
jenseits des Baches hinter dem Busche
liegen. Die Angst vor dem geheim
nisvollen Maschinengewehr ist größer,
als die vor einein beschaulichen Hel
dendosein in den deutschen Gesange
nenlagern.
hiermit endet Flinnnermanns er
stes Kriegsabentener. Seine Knebel
tiste hat i m nicht nur das Leben ge
rettet, son ern ihm auch bereits das
Eiserne Kreuz und die Beförderung
zum Vizeseldrvedel eingebracht; da
die Pläne, die er dein Feinde abge
nommen, siir den Generalstab von
großer Wichtigieii waren.
Wer don unseren Lesern häufig ins
Kind geht« wird sichir auch den Zilm
gesehen haben, den Fiininierinann als
Gesangener der Russen im kritischsten
Augenblick seines heldenlebens aufge
nommen hat und wird somit die
Wahrheit dieser Geschichte bestätigen
können.
Frnii gott- mid ihre drei
zeidgriiiieik
Eli-Hi- vuii Margarete LiiidiiitiZitjiilz.
. .»Denn ich könnte nicht ruhig
schlafen in meinem kühlen Bette, Mut
terli, wenn ich wüßte, du weinst iini
mich. Du lennst doch das Märchen
doni Tränenlriiglein. Auch das nieii
nige slösse endlich von dzinen vielen
Tränen über und ich würde
nimmer Ruhe haben Sollte es de-.
siiinnit sein, daß ich siir die teure
lideiniat mein Leben einsetzen muß,
dann, Mutterli, sei stolz ans deinen
Bubi —- nver leine Tränen, bitte,
bitte.«. . . .
Jn zitternden Händen hielt Frau
Lvtle den letzten Feldpostbries ihres
Jüngsten. Vor zwei Monaten hatte
sie ihn erhitiien, dann tam nichts
mehr von ihm. Und heute endlich,
nach bangen, schrecklichen Tagen, hatte
sie die Gewißheit: auch er, ihr jüngster
nnd lehter Sohn, hatte seiii junges
nchtzehnjähriges Leben siir die Größe
iind Freiheit des Vaterlandes darge
bracht.
Jhr sonniger, allezeit froher Bubi.
Sie konnte es nicht fassen, daß er nie
wieder sagen würde: »Mutterli".
Das Kosewort des Nesthiiichens
hatte Frau Lotte siir den slotten Bru
der Sindio beibehalten. Sie konnte
sich einsach nicht mit dein so gesetzt
tlingenden Namen Eberhard ires
Zliibifsten zurechisinden Er blieb der
ii .
Rie hatte sie diesem sonnigen Jun
gen niit dein anschniiegenden, schmei
M
Ichelnden Wesen einen Wunsch versa
Igen können. Nur Freude hatte sie in
den achtzehn Jahren seines jungen
Daseins an diesem Kinde erlebt
Und jetzt sollte sie ihm seinen
Wunsch nicht einmal erfüllen?
«Doch, doch, mein Bubit Siehst
bu, dein Mutterli weint ja gar nicht,
sie ist ganz ruhig. Aber denlen dnrs
sie an dich, immer, stündlich, gelt?«. ..
Mühsam gebändigtes Weinen um
zittette die fest, willensstart ausein
andergepreszten Lippen der armen
Mutter. A
szrau uorre nat-enorm oie noch so
jugendliche Witwe eines Großindu
striellen, war jetzt ganz einsam ge
worden. Alles, alles hatte das Va
terland von ihr gefordert.
Drei Söhne, die ihren ganzen Le
ben-Einhalt ausgemacht hatten, waren
draußen geblieben.
Werner und Hans, die zwanzig
jiihrigen Zwillingsbriider, die direkt
von Bonn aus, don der Universität,
begeisterungsfroh hinausgestiirmt wa
ren, fielen vor Lüttich, nur wenige
Tage im Felde. Stolz, selig, mit
einem frohen Gefühl, als diese Fe
stung eben genommen, schlossen sie
die frohen Blauaugen siir immer.
Da tröstete der Achtzehnjährige die
arme Mutter:
»Mutterli, denke doch, wie schön,
wie herrlich schön eben dieser erste,
glückberheißende, gewaltige Sieg mit
dem stolzen Bewußtsein: du konntest
mittun, du hattest teil daran
nein, da darfst du nicht weinen. Alle
diese Helden, auch unsere beiden Hel
den sind mehr wert als ttlagen. Mut
terli, das Klagen ist fiir die alten
Weiber, du mein junge-z liebstes
Mutterli sollst nicht weinen.«
Da hatte sie unter Tränen ver
sucht, zu lächeln, das wiirgende Weh
mühsam hinuntergeschludt.
Sie war ja noch reich, ihr Bubi
war doch noch da! Und dann ianr
ein Tag, an dein sie glaubte, nicht
wetterleben zu tönnen. Bubi, der
mit mehreren Abiturienten die Not
pritfung bestanden hatte, war am glei
chen Tage auch freiwillig gegangen.
»Nun hast du mir den ersten
Schmerz getan, der aber traf·«, preßte
Frau Lotte beim Abschied mühsam
hervor. Den Schrei, der den Hals
zu sprengen drohte, erstickten ihres
Bubi zärtliche Adschiedstiisfr.
»Mutterli, lasz mich gehen, das Va
terland braucht uns- alle. Auf ein
fiegreiches Wiedersehen !« . . . .
Das war vor sechs Monaten ge
wesen. Weißer Schnee bedeckte die
Erde wie ein Leichentuch Sie sah
damals nichts als weiße, endlos weiße
Tücher, die all den großen Jammer
da draußen verhüllten.
Und heute war leuchtender-, goldener
Sommer.
Frau Lotte sah nichts davon; sie
erblickte nur ein große-«- ödes Feld,
bedeckt mit einem weißen Tuch, un
ter diesem Tuch ruhten alle ihre Hoff
nungen, die drei so stolzen hoffnun
gen, die ihr das Leben einst so reich
und lebenswert gemacht hatten
Vorbei:
Und sie durfte nicht einmal wei
nen. Sie durfte doch dem Bubi seine
aller-letzte Bitte nicht abschlagen:
) »Mutterli, nicht meinen, denke an
da- Märchen vom Triinenkrilglein.«. .
»Nein, mein Bnbi. deine stille tliuhe
werde ich nimmer stbren!« —
s Frau Lotte lebte weiter. War es
»ein Leben?!
s Sie erwachte des Morgens zur ge
itoohnten Stunde, nahm ihre Mahl
Jzeiten zur gegebenen xjeit, machte ih
ren täglichen Spaziergang, wie eben
jetzt· Dann kam der Abend. der lan
ge, lange Abend. Dann holte sie sich
die Bilder ihrer drei Feldgrauen und
hielt mit ihnen eine stille Andacht ab
Das war ihr Leben.
Jn diese trostlosen Gedanken ein
gesponnen, schritt Frau Lotte über
einen der schön angelegten Schmuck
pliitze der Stadt. Miide ließ sie sich
zu kurzer Rast aus die weiße Bank
dort nieder. Lange saß sie so. Jhre
trüben Gedanken kreisten immer um
den einen Punkt: ihre verlorenen drei
Feldgrauen.
Ihre rege Phantasie, die nur im
mer die drei Söhne vor Augen sah,
brachte es wohl, daß sie mit schreckhast
großen Augen aus die drei sekdgrauen
Soldaten starrte, die da über den
Plan kamen und geradezwegö aus
ihre Bank zusteuerten Jhr Jnteresse
wuchs·»
Drei junge seldgraue Soldaten —
verwundet.
Da —- der mittlere, den die beiden
Kameraden sorglich führten, war al
lem Anschein nach erblindet; die zärt
liche, sast srauenhaft zarte Fürsorge,
die ihm die Kameraden angedeihen
ließen —- seine tastenden Bewegungen
—- lieszen es unschwer erkennen.
Alle drei trugen einen Trauerslor
am linken Unterarm. Ein untriigliches
Zeichen ihrer näheren Zusammenguss
rigleit; sie trauerten gewiß um ein
lFarnilienglied gehörten wohl zusam
men.
s Frau Lotte hatte ihr eigenes großes
«Leid sast vergessen, es war für Au
genblicke untergegangen in dem Jn
tetesse, welches ihr diese drei jungen
Menschen da abnötigten.
Sie konnte den Blick nicht von ih
nen lassen. Mit innerlicher Angst,
sie möchten an ihrer Bant vorüberge
hen, rückt sie schnell etwas zur Seite,
damit ihren Wunsch andeutend, daß
die Soldaten sich zu ihr setzten.
Die hatten es ohnedies aus das
schiittige Ruheplätzchen hier abgesehen.
Der Blinde wurde sorgsam zu dem
Platz geführt, aus den er sich müde
niederließ, die Kanteraden setzten sich
ihm zur Seite.
m-- «
ULUU Dis-UT LUIUUI Ucls DUU UUU
dem blinden Krieger nicht loslöfen
Sie gedachte ihrer drei Feldgrauen,
ihrer drei Jungen, von denen jeder —
ein seltsames Geschick —- itn Alter
und Aussehen diesen Dreien hier glich
Der Blinde war ihr Bubi.
Kraufes, blondes Haar quoll «iiber
mutig unter der grauen Mütze her
vor. Da half weder Komm noch
Bürfte, die trause Flut ließ sich ein
fach nicht einengen. Das wußte sie
aus Bubig Kindertagen.
Die beiden anderen, vielleicht zwan
zigjährigen Soldaten waren Werner
und hans ähnlich.
Die gleichen, hochgewachfenen, schö
uen Gestalten, die wohl auch einst
mals, gleich ihren beiden Jungen, ins
Leben hinaus-wollten, und die gewiß
auch eine große Hoffnung zu Grabe
tragen mußten. Denn leidgezeichnet
waren die beiden bleichen Gesichter
der Bertvundeten.
Keinen Blick ließ die Frau von deu
Dreien. Bis es einer tnerlte·
An menschenfreundliches Interesse
und gütige Teilnahme gewöhnt, deu
tete der Feldgraue, ohne ein Wort zu
sprechen, auf die Augen, seinen trauri
gen Blick auf den jungen Kameraden
heftend, und gab zu verstehen —
blind.
heiße Tränen schaffen Frau Lotte
in die Augen. Dieser junge, junge
Mensch. Ach, und doch nur ein ein
ziger unter den vielen Leidensgenofs
sen.
Könnte die Sonne denn überhaupt
weiterscheinen, mußte sie sich nicht ver
hüllen vor dem großen« gewaltigen
Leid, das über die Welt hereingebroi
chen wart
Und dann lroch es an ihr empor,
das befchämende Bewußtsein: Was
ist dein Leid gegen das Leid, das du
hier erfchaustl —
»Bubi!« formten ihre zuckenden
Lippen taum vernehmbar.
Da überrann ein liebes Lächeln die
schmalen, feinen Züge des Blinden.
»Bubi, fo nannte mich mein Miit
terlein.« —
Das brach den Bann.
Da erzählte Frau Lotte. Sprach
vou ihren drei Feldgrauen Redete
sich das Herz frei und die Seele leicht.
Und als sie geendet, hörte man ein
leises Schluchzen in die verstörte
Stille hineintdnen
Bubi weinte. Auch er weinte sich
sein Leid von der Seele.
VI »Er kalarnnl
Er fühlte, die Frau hier an seiner:
Seite, die fremde Frau mit der so;
lieben Stimme, die verstand ihn, sos
wie er ihr Leid verstand
Und als Frau Lotte geendet hatte,
als Träne ans Träne um ihre drei
Feldgrauen da draußen in tiihler
Erde aus die im Schoß gefalteten
Hände tropsten, da erfuhr sie die Ge
schichte dieser drei.
Es waren wirklich drei Bruder.
Die beiden schlankem hellblonden
Zwillinasbriider zioauzigjäl)rig; Bubi.
der jüngere, achtzehnsahrig.
Und in Frau Lolie quoll esS ern
por voll seliger Gewißheit: die Beans
nung mit diesen drei Feldatauen war
mehr als ein bloßer Zufall. Hier er
füllte sich ein allgesoaltiaes Schicksal.
Die drei Brüder gehörten dem glei
chen Regiinent an; vor Ypern ver
wundet, weilten sie hier im Gene
sunggheinn
Bnbi war erblindet. Doch er
tlagte nicht« Er nannte ein göttliche-«
Talent sein eigen: die Musik. Die
würde ihn oft über die irdischen Sor
gen hinwegtragen. Er hatte sogar
schon tomponiert; dieses Talent wollte
er weiter pflegen
Frau Lotteö ungläubiges Staunen
atmete jeßt die beseligende Gewißheit:
»Gott hat sie mir geschickt, diese drei
Feldgrauen hier.«
Sie saß mit gesalteten Händen.
Hier erstand ihr ja all das, was un
ter dem weißen Tuche ruhte —- ihre
ganzen großen Hoffnungen, die sie
begraben hatte, sie erstanden ihr hier
aufs neue.
Auch ihr Bube hatte dieses Talent
sein eigen genannt. l
Ob der blinde Krieger denn ihre
.
s
M
Lieblingstompositiom Lassens herrli
ches »Allerseelenlied« tenne, kam es
ganz zaghast von ihren Lippen.
Wieder verschönte das sonnige Lä
cheln von vorhin des Blinden Züge
und machte sie so rührend jung.
»Wie sonderbar —- diese Komposi
tion gehörte zu den Lieblingsstiicken
meines Mütterleins — ost, sehr oft
mußte ich ihr dieses spielen,« hörte
Frau Lotte.
Da sagte sie fast froh: »Es war
auch Bubig Lieblingslied.«
Die drei Feldgrauen erzählten wei
ter.
Auch sie, die Zwillinge, könnten
nicht mehr ins Feld, zu ihrem großen
Schmerz.
»Mein Bruder,« sagte der an Frau
Lottes Seite sitzende Soldat, ,,hat in
solge einer Viervenertrantung die
Sprache verloren; ob er sie je wieder
erlangt und wenn, es tann
lange dauern, gav uns der Arzt zu
verstehen.«
Jetzt erst bemerkte die Frau, daß
dieser Bruder sich überhaupt nicht un
der so lebhaften Unterhaltung betei
ligt hatte. Ylur seine schönen Blau
augen lebten in dem viassen Antlitz
und· folgten mit Interesse dein Ge
W
»und ich , qies es weiter, indem
er den leeren Aermel seines Rockes
wies-, ,,werde nun mit der linken
Hand Schreibübungen machen, damit
ich meine thwrarveit möglichst selbst
schreiben kann.« —
Dann wuchs eine Stille zwischen
diesen vier Menschen empor, die sich
hier zusammengefunden hatten, stemd
und doch so vertraut im gemeinsamen
Leid, als kennten sie sich schon jahre
lang, und diese Stille umhiiltte sie
alle vier, legte sich wie in inniger
Umarmung um sie, um sie nicht wie
der von einander zu lösen.
»Und als wir-wiederkamen,« sagte
der vlinde Bubi ganz leise, mit einem
zitternden Unterton in der Stimme,
»hatten wir kein Mittterlein mehr; der
täglichen Sorge um ihre drei Feld
grnuen da draußen hielt ihre zarte
Gesundheit nicht stand.«....
»Wir klagen aber nicht," fügte der
Bruder hinzu, ,,unser Leid zu er
schauen, blieb ihr durch eine gütige
Vorsehung so erspart.«
Und wieder slusterte der Jiingste:
»Aber wir, wir drei, wir sind nun
salieim ganz allein-". . . .
Da überströinie Frau Lottes Herz.
iSie war ja eine Mutter. Sie fand
die rechten Worte siir die drei großen,
aber doch noch so hilfsbediirstigen
Menschen, die sich ohne Mutter wohl
’iaum zurechtsnnden.
Und es war die rechte Sprache.
Die Herzen der drei Feldgrauen
öffneten sich weit· Frau Lottes gute
Worte ertönien in seligem Widerhall,
und ein großes-, feierliches Gelübde
wurde hier gesprochen:
»Ich will euch Dreien Mutter sein,
uni Gott, stoßt mich nicht zurück, ich
brauche euch, um nicht zu verzweifeln,
um mich nicht in mein Leid einzu
spinnen, euch, meine drei verlorenen,
nun wiedergesundenen Feldgrauen!«———
Und Bubi, der kleine zärtliche Bubi,
preszie impnlsiv einen heißen Danlegs
tuiz auf die ihm dargereichte Frauen
hund, auf die eine einzige Träne, eine
Ckreudentriine wie ein leuchtender Dia
inimt link-sen blieb
»Mein Mütteriein Droben wird sich
freuen, Dass ihr Bubi eine neue Pei
mai gesunoen hit « flüsterte er.
Und die schivermiitigen dunklen
Blnunugen des Bruders waren auch
nnnuggesprochen ein sinnnner Time —
Arn Abend saß Frau Lotte vor den
drei Biädern ihrer Fe!dgr.iueii, lenen
sie ihr große-·- Er!eocii-3 beichtete. Am
längsten währte ihre stunnne Zwie
sprnche mit ihrem But-L
,,Gelt, mein Vubi, nun bist dn zu
frieden. Dein Ucutterli wird nicht
mehr weinen.«
—-... —-.-«
— Ullbeubsichtigie Gros
heit. Herr iin einein äitiidien
Fräulein-: »Aus ich Ihnen einen
LOtuhl anbieten, sie sehen schon ganz
iwgrsliilldcll auss«
--Der englische Bart. »Ja,
warum haben Sie sich denn oen
v»-"chnurrvnrt abnehmen InssenW
»Mein englischer Uehnurrdort ist
mir schon znin Halse herausgewach
sen s«
—- Gut gegeben. Schmie
rendiretror (der bei einer Probe ein
echinrenhnxel verzehrt, ais nach dre
sem einer der Dchauspieler sirziett):
»Wer-erweis, der Blick nach dem Schin
renhaxel ist großartig, — den solrten
Sie sich aufheben, wenn Sie wieder
Anat Den Orhello spielen!«
—- Dns Motiv- »Wissen Sie
schon, Herr Leuinant, daß Herr Leut
nant Müller an Mageneriveiterung
leidei?" · .
»Als-) darum war der Mensch im
mer so »ousgeblasen«?«