Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 04, 1915, Sonntagsblatt, Image 10

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    ICIIVO
Stizge von Aanie Oarrah
....Nun sind wir schon vier Wo
chen im Lazarett. Liegen Bett an
Bett, ich und Viktor. Alle verwöh
nen sie uns und sind reizend. Und
wenn ich meine Blicke ein bißchen seit
wärts richte. dann liegt da auf einem
kleinen Tischchen etwas, da- gich im
mer wieder mit jubelndern Herztlopg
sen erfüllt . . . . das Eiserne. . . .
Freilich, mein Arm wird steif blei
ben. Ader es ist ja nur der linke.
Und ich hätte doch gern alle beide
und noch viel mehr gegeben, daß mir
das geglückt ist« . . .
Mein Herr Schwager la Ike
schlummert· Jst recht dünn geworden
und blaß, aber sein Fuß heilt. Er
darf schon bald mit Gymnastil an
fangen, daß er wenigstens daraus
langsam gehen lann.
Also . er schläft. Und inzwi
schen dollsiihre ich, was ich schon lange
wollte: die Nacht unserer Rettung in
Worten festzuhalten, sür uns und
dich, tleine Schwester Ina, und fiir
später. Denn wir haben ja jetzt wie
der ein Später vor uns! Wunder
doll.
Also höre. Jna!
Wie lange ich gelegen datte2....
Es tonnten drei Stunden sein....
aber es konnten auch dreiundzwanzig
sein. . .. Jch wußte gar nichts ande
res mehr, als daß ich am Arm einen
Stoß-erhielt, während ich ihn heraus
schlepdtr. Und nun lag er ntden mir
und war bewußtlos.
Jch hatte zu schlafen versucht, aber
der Arm tat viel zu weh. Jch fühlte,
daß der Knochen ganz taputt war,
denn die Hand hing schlaff. und ich
tonnte sie nicht bewegen. Und im
Ellbogen hatte sich ein Splitter durch
gebohrt.
III-. txt-k-- s---s- LI- nspsc II-h
ap« Ist-s ughu »so cis-. not
reden konnte ich auch init niemand,
weil niemand da war. Ein paar tote
Franzosen lagen zwar nicht weit,
aber mit denen war nichts anzufan
gen. Versuchsweise holte ich die paar
Bogen Papier, die sich noch in inei
ner Brusttasche befanden, und das
Stümpschen Blei und probierte zu
schreiben. Jch dachte, wenn ich mich
slach aus den Bauch strecke. geh-«
schon. Und den taputten Arm legte
ich gerade vor mich hin, daß der
Knochensplitter nicht gar so stechen
sollte. . Aber es ging nicht. Es
ging wirklich nicht. Nach ein paar
Zeilen fiel rnir das Blei ans der
hand und rollte ins geseorene Gras·
Und ich. am erschöpft von den paar
Zeilen, blieb liegen. Spiirte nur, wie
das Blut rann und meine Augen
heiß nnd schwer wurden. Dotie, am
Viktor neben mir stöhnte. Und dachte
nur: Wenn sie euch nicht finden!. . . .
Und dann dachte ich an dich. Was
aus dir werden solltet Und. . .. wie
das alles geworden war. Dochte.
Dachte.·..
Es mußte wohl gegen Morgen
gehen. Der Vollmond leuchtete noch,
aber sein Licht wurde schon blasser.
Langsakn kamen die Wäldertetten aus
dem Daniel. Und ich hatte gemeint,
ich würde sie an diesem Morgen nicht
kriegt sehen-. . . ·
Oklsumllll 1011 War Dck gcskskcnc
Boden. Ungefähr, als ob man aus
lauter Eis lage! Mutter-s Bett ist
weichen wahrhaftig!
Ganz dössg war mein Kopf und
mächtig heiß. Und manchmal wollte
er mich glauben machen, oer nächste
Waldhügei vor mir stelle sich aus die
Zehenspitzen und habe lauter grüne,
stachlige Beine. So viele Beine, daß
sie nicht mal unser Mathematikpros
sessor hätte zählen können ge
schweige denn ich mit meiner drei zu
vier in der Mathematik. Aber ich
hat« dein dummen Kopf doch nicht so
recht geglaubt. Wie soll denn ein
ehrbarer Vogesenwaldhiigil zu Beinen
kommenl
Und wieder dachte ich: Ob sie uns
toohl finden? Zu sehen war
nichts, zu hören auch nichts. Was
konnte ich wissen, wo die Unseren
waren. Vorwäets ging's, dessen
erinnerte ich mich noch. Und dann
beruhigte ich mich wieder, daß sie uns
schon suchen würden. Denn er war
doch Leutnant irn dritten Batnillorn
Und sie mochten ihn alle so gern.
Suchen würden sie-. . ..
Dann kam wieder der verdammte
Waldhiigel dazwischen! Denkst du,
der hätte seine Beine drunten behal
teni Ali ob mich die toas angegan
gen wären! Und so böse wurde
ieh aus ihn, weil er mich so anzu
grinseu schien. Und ich hatte
doch getan, was in meinen Kräften
« stand! Daß Viktor die Kugel des
legten Alpenjägers traf ich
konnte ihn nicht mehr deckenf Ina,
liede, kleine Schwester, ich konnte
nicht!
Dann warst du aus einmal da·
Ganz deutlich sah ich dich nnd-wollte
aufs-ringen nnd vermochte til doch
III-L Aber ich W M U W
mitbixtedeie—ssnndavehdaj. Und
davon toill ich zum M W
auch zum leiten Male Ieii die spre
chen· Nicht im Musik«-h sie in
jener Nacht, sondern m sue nnd
W. Mk es doch Mc gesagt
W Uns-.
von dem endlosen Klapierspielen. weil
du so arg vielen dummen Wangen
Stunde geben mußt, damit der Deine
aufs Gyrnnasrum gehen tann. Nicht
wahr?
Aber schau, seit sie uns zwei Drei
viertelerßarrte im grauenden Morgen
fanden. rechtzeitig fanden, find wir
quitt. Und ich brauche mich nicht
mehr zu schämen, weil du alles tufl
und ich gar uichtil
Aber ich will der Reihe nach er
zählen! Denn ich höre im Geist schon
unseren .Maxiinnl«, unseren vielge
liebten Deutsch-Professor, mit seiner
lieblichen Stimme, die mit unserer
ungeölten Koeridortiir so eine ver
zweifelte Aehnlichleit hat: »Diese Lei
stung, Lang, ist durchaus nicht als
Maximalleistung anzusehen Es sehlt
an der Disposition Ei fehlt an der
Konsequenz. Seien Sie sichs Jch
bin sehr unzufriedenl«
Jch mag dir nicht konventionell
danken sür die viele Schinderei. die
du mit mir gehabt hast, Jna. Du
weißt, »Dante" sagen und Pfötchen
geden, hat mir nie gelegen. Aber
das sollst du wissen, daß ich gar nicht
so dumm und blind war, wie du wohl
gedacht hast, und daß ich dein schmerz
volles Lächeln vielleicht manchmal bes
ser verstanden habe, als du.
Und wenn ich zuweilen ruppig war,
so steckte immer dieses Lächeln dahin
ter. Weißt du, es ist lein schönes Ge
fühl, wenn man von dem Edelmut
und der Ausopserung eines anderen
so täglich zu Boden gequetscht wird
—- und wenn man nichts tun kann,
gar nichts, als die paar elenden Rach
hilseftunden geben, mit denen man sich
noch nicht mal seine Schulbiicher ver
dienen tnnnZ Also die Mast-ärms
teit, die weißt du jetzt, wo sie her
stammt
ss ----- OO IX- I---O- sc ;,- aussehn-of
» ,,-.. . .. .- ,
fast nicht mehr mitansehen wie dii
dich aufgerieben haft! Eine gelähmte
Mutter und so einen Bengel von Bru
der, der immer nur koftet and kostet
und koftet wahrhaftig. ek- war
gerade genug fiir dich! Und nachher
erst, als die Sache mit Viktor lam!
Du denkst natürlich. ich weiß das
nicht! Ja Kuchen! Jch hab’ doch
gesehen, wie gern ihr euch geheiratet
hättet! Und es wäre ja auch gegan
gen, wenn nicht wieder der Bengel,
der Bruder, dagewesen wäre.
Und einmal habe ich euch helaiifcht
es ist zwar eine Gemeinheit,
aber ich mußte ilar fehen nnd
ich weis, wie du zu Viktor gesagt
hast: »Es geht nichts Jch kann mei
nen Bruder nicht im Stich laffen!..
Aber es dauert ja nicht mehr lange.
finf Jahre, dann ist er fo weit! Wir
miisfeu warten!' — —- Siehst du«
damals hin ich davongelaufen wie ein
Verriiater nnd habe inir die Lippen
entzweigebisfen nnd habe doch gewußt,
ich kann's nicht ändern! Damals
habe ich gewünscht, es möchte irgend
waö kommen. irgendwas, nur daß ich
zeigen könnte, daß ich dir das ver
gelten kann!· . . .
Ach, Ina, was soll man denn zei
gen? Jch lonnte ja nichts als ochfen
Wenn ich-i auch rechtschafer
getan habe, weiß Gott, mehr, als rnir
manchmal die Laune fiand aber
was ist denn das dagegen! Dagegen.
daß eins fein ganzes hiffel Lebens
glück nimmt und in einen Kasten steckt
und nicht anrührt —- — bloß, damit
ein Dritter wag werden kann!
Jn.i« ich hab«5 nicht gewollt! Tie
ses Lpier nicht! Wenn es nich mir
geganan ware, ein Handwerker ver
dient ja auch Geids Aber das hast
du ja nicht geduldet und schiieß
lich, wozu denn wieder und wieder
über diese scheußiichen Dinge reden!—
Aber vergessen werde ich dir das
nicht, Ina, nie. . . .
Daß ich in den Krieg als Freiwil
liger ging ich habe schon gewußt
warum! Nicht, daß ich nicht gerne
leben möchte! Herrgott, ich weiß ja
überhaupt noch gar nicht, was leben
beißt — so wenig wie du Bei
uns war'i doch bloß immer Schinde
rei. Und daß nie einer inni, der uns
aufgefordert hätte: «Nirnrn doch, es
ist ja zum Nehmen da!' Und daß
nian sich's allein nie zutraiiie.
Aber siehst du, wenn einer schon
zu sonst nichts niiie isi .. znrn
Krieg iann rnan jeden brauchen Und
keiner ist iibersiiissig und seiner zu
schlecht. Jch sage dir, M ich einmal,
das erstemal, was tun konnte, ioas
leisten, daß ich was wert war.
daß ich nicht iinnier nur so ne satale
Sache war, aus der erst was werden
mußte!
Ausgeaiinet habe ich dor lauter
Lichtsetn, daß ich endlich, endlich was
niisen konnte, und nicht nur den
steinern niedrigen, eietbaften Geschich
ten, dein Geidverdienen und Sparen
nnd Knausern, sondern so etwas
wundervoll Gras-ein etwa-, das die
anze Weit umschließt nnd was doch
fedee siir sich hat und keiner ihm neh
men kann « .Deutschiand
Und dann .. . . ich konnte vielleicht
ddch ihn Mühen vdet ihm seist-den«
wenn's auch nach außen umgetchrt
ichm
Das habe ich mir geschworeisn da
mals, beim Ausmarsch daß ich nicht
allein heimkomme Ich habe Inein
Wort halten können, Gott sei W!
bitter liegt neben mir nnd chisst
glaube nicht, dafq
WITH-il its. et site
»unan »Ist-sites
Gesohr mehr. Ich habe hier schon die
nnniöglichsten Dinge erlebt. was alles
heilt. Warum denn bei ihm nichtl
Wenn dn tollstest .. »ich könnte
heute noch lachen, wenn inir niein
Arm nicht so weh täte, wenn dn wüß
tesi, niit welchen Schlichen ich es er
reicht hohe, in seine Kompagnie zu
toinrnenl Vorn Unterossizier aufwärts
habe ich sie alle redellisch gemacht. bit
ich ej schliehlich durchsehtel
Aber et war gut! —- Teusel noch
mal, et war wirklich gut!....
Wie viele von unserer Kompagnie
wohl noch leben? Das war ein hö
ser Sturms Ader den Franzosen ist
es auch nicht gut bekommen. . .. Jch
muß dir doch erzählen, Ina, wie alles
ging!
Stelle dir einen steilen Waldhang
vor! Steine, Wacholderbüschn Fich
teniungwald alles eine einzige
Falle. Und da drin die Franzosen
Und schießen, was sie können. der
ganze Hang spuett Feuer-. Wir....
hinaus! Bajonett vor» ..Stimn!
Es ging ja nicht anders! Wir tonns
ten doch nicht ewig und drei Tage
dieses gottlose Wespennest vor der
Nase haben. Dreimal mußten wir
zurück. Das viertemal ging’i. Und
nun die Franzosen aus der an
deren Seite ennter, tot-'s noch viel
steiler war. Wir nach. llnd alles
im Granmenhagel Da hat es Vit
trr erwischt. Wenn ich den vertrock
ten Alpenjäger nur vorher entdeckt
hätte! Aber da war nur ein Iler
stranchZ Nachher, da habe ich ihm
steilich eine Kugel durch den Raps
gejagt. Aber da war es sür Bittor
zu spät. Jch stützte ihn, so gut es
ging, und schleppte ihn raus.
Aber dann der Blutderlitst,
vielleicht auch«der Schmerz. oder bei
see aus einmal wird er ohn
rnächtig· Und der ganze Hang liegt
unter Artillerieseuers Und der Mensch
ist schwer, sage ich dir! CDas nächste
Mal suche dir bitte einen weniger
langen Bräutigam auj!!!) Runter
kann ich nicht« denn da balgen sie sich
wie rasende Rosen. Jnder sind dabei
und Schwarze . . .. ich kenne sie arn
Kreischen und da herunter mit
eineni Bewußtlosen danke be
stens! Also hinaus! Den steilen
hang hinaus mit dem willenlosen
Körpers Zeit meines Lebens werde
ich den bang nicht vergessen und die
Stauden und die Granaten. Es
wird Morgen, alles voll Nebel und
Regen . . .. das war noch ein Glück.
So sahen die Feinde wenigstens nicht
viel· Aber das Feuern ging trotzdem
weiter auss Geratewth Und end
lich, wie die Nacht schon ganz nahe
ist« sind wir oben. Viktor ist inzwi
schen ein paarrnal aufgeweckt, aber
kennt mich nicht, stöhnt nur und sagt
,,Jna Jna' Dann ist er
gleich wieder weg.
Was ich froh war, als ich ihn
droben hattet Und, so’ne Gemein
heit, erwischks rnich nochmal. Einen
Schuß durch die hand hatte ich schon
weg. Und schlägt mir den linken Arm
kaputt, daß ich nichts mehr von mir
weiß und bewußtlos iin Grase liege.
Und da blieb ich Und alles
war still· auch keine Granaten mehr
Und Viktor stöhnte immerzu im
Fieber und kannte mich nicht. Nicht
mal. wenn ich ihn anries und strei-«
chelte. s
«
r ich war wach. Heute wun
dere ich mich darüber, und doch weiß
ich, ich irre mich nicht. Tie Aerzte
haben·s mir auch nicht glauben wol
len. Aber wenn ich die Augen fchlie«
ße, dann meine ich, ich fehe wieder
ganz deutlich den— Waldhiigel, der
durchaus wieder zu tanzen anfangen
will, und zahle die immer matteren
Schläge meines herzens und über
lege, wie lange es noch dauern kann,
daß ich von dem fortwährenden Blut
verluft auch wieder ohnmächtig hin
. Jch werde es wohl nie derges
fen....
Und dann pliislich hörte ich etwas
. Schritte, als wenn ein bund
läuft Und auf einmal fiel mir
ein« daß Viktor rnir erzählte, in der
Etappe hinter uns feien Sanitiits
hunde angekommen. Und da hoffte
ich wieder. . . . daß uns doch vielleicht
einer auffchnuppern würde. Denn ich
spürte: es wird Zeit, lange halte ich
mich nicht mehr
Jch rief wieder. . . Aber ich kriegte
wieder keine Antwort, bloß das Tap
rien und Trippeln war noch da. Jth
lain es näher. Und ich dachte mit
derfchwirnmenden Blicken: Jst das
feuchtes Doky, das fo grünlich
glimmti Ader hol spaziert doch
nicht umher. Oder spielt mir mein
Kon wieder einen Streichi
Aber das Glimrnen war nahe da.
Und ich fteengte mich an, zu fehen. ..
Und jeht lam es ein Schatten
hufchte wahrhaftig ein
handl. . . .
Er fchnupperte an Viktors Hand
und rannte weg»
Jch wartete. Und der Schweiß
stand mir auf der Stirn vor Aufre
sung Nur meine herzfchliige hörte
ich noch sonst nichts
Und jest Schritte eine
Laterne flackerte mit wachsendem
Licht« Sie lamen»
Und da wußte ich, daß das alles
nicht itme war, nicht dein O pfei,
Ina, und t das meine. Und daß
ich VI dir Jurist-tagen würde . .
Ins W Mr, nnd das wir
endlich qiiitt ftsd quittt
seiest-.
SliZZe von Insel-org Kanonen-s
iTeiiisch von Julia KoppelJ
Der Lanvpfarrer in Klingerirs
schüttelte halb lächelnd. halb mißbils
Iligend den fion über seine Schmie
l,gertochter vie in dem niedrigen Lehn
stuhl neben seinem Schreibtisch saß
Ja, sein Sohn hatte recht gehabt, alt
er schrieb, daß er fürchte, seine El
tern iviirden seine kleine Anna gar zu
oberflächlich und flatternd finden; ok
er aber auch recht hatte, als er gleich
zeitig versicherte, daß ihr Herz von
«Gold sein« und daß sie unter ihrem
oberfliichlichen Wesen einen Reichtum
von Gefiibl verbrget Er hatte seine
Eltern, die in der Mindeer Pfarri
aus einer einsamen Jnsel wohnten, ge
beten, sich der kleinen, fliichtigen
Großstiidterin anzunehmen; er sei
sicher, schrieb er, daß der Verkehr mit
seinen Eltern dazu beitragen toiirdel
»die Schlaaen zu entfernen, so dass
nur das reine Gold übrigbliebe.« Der
alte Pfarer war nicht so fest davon
überzeugt. Die achtzebnjiihrige Anna
war ein sehr hübsches Mädchen, aber
verzogen und so selbstbewußt. dass
man sich fast darüber ärgern mußte
Jmnier hatte sie ihr Urteil bereit, und
der lächelnde Rinderinunb konnte Be
merkungen machen, die so scharf roie
eine Messerschneide waren.
Eine solche hatte sie eben zum be
sten gegeben, und darum sah der alte
Pfarrer sie so mutlos an.
»Nein. Schwiegervater,« sagte sie
bestimmt, «an diese Art Wohltätigkeit
»glaube ich nicht, davon kannst du mich
’nicht überzeugen. So edel ist tein
Mensch daß er zehn Kronen fiir vie
Armen gibt, wenn er sich selbst von
jmorgens bis abends ums tägliche
Brot plagen muß und so ärmlich wie
Jdie Frau die eben hier mar. Das
ist nichts tvie Scheinbeiligteitz entwe
der narrt sie dich und ist gar nicht
so arm, wie sie sich den Anschein gibt,
oder sie will nur vor den Leuten
vrahlen."
»Du bist nicht leicht von einer Mei
nung abzuvringem Anna,« sagte der
Pfarrer still und blickte mild vor
toursivoll auf das eifrige junge Mäd
chen herab.
«Rein, Schwiegervater,' nickte An
na triumphierend, »ich bin nämlich
nicht blind; ich kann den Menschen
glelch ansehen, was in ihnen ist, und
was die alte rau over das alte
Mädchen betris t —- so —- —«
.,Ja —- so möchte ich wohl wissen,
Anna.' unterbrach der alte Psarrer
sie schnell und bestimmt, »al) du dein
Urteil nicht lindern wirst, wenn du
ihre Geschichte erfährst, so wie mein
Vorgänger tm Amt sie rnir erzählt
hal.
.Dai alle Mädchen- das eben hier
war, Intt geht Kronen sür die Weils
nachtlbescherang armer Seeleule, lfl
jetzt nah an die achtzig. Sie heißt
Rat-ts- Klintagaarv —- diesen Nach
naenen belarn ihr Vater, als er den
has selben Namens lauste, den größ
ten hier aus der Jnsel.«
Der, dessen Wälder und Wiesen
ganz bis an die hohen Felsabhänge
gehen, die wir vorige Woche besichtig
ten?« fragte Anna interessiert.
«;za:- mare ver Pfarrer. »Unser
große Hof hat ihrem Vater gehört,
der als der reichfte Mann der Jnsel
gestorben ist. Der hof liegt etwas
einsam, wie du ja auch gesehen hast,
und damals-, als er ihn tauste, war
es eine ganze Meile bis zum nächsten
Nachbar. Aber Niels Klintegaard
schien die Einsamkeit nicht zu stören,
er lebte ganz zurückgezogem und die
meisten hielten ihn fin einen- Sonder
ling. Niels Klintegaard wurde von
vielen beneidet« denn er war unge
wöhnlich vom Glück begünstigt. Als
er den hof übernahm, war er start
belastet, aber schon nach wenigen Jah
ren hatte er alles zurückgezahlt, und
sogar mehr Land und Wälder dazu
gelauft. Niemand tonnte daraus tlug
werden, ob sein Grund und Boden
so viel besser war ais der anderer,
eines aber wußte man: daß tein
Strand so viele Strandungen auf
weisen lonnle wie seiner. Die höch
sten Felsen der Jnsel ziehen sich ober
halb der Waldungen von Klintegaard
ein großes Stiick ins Meer hinaus,
und dort i die Miste voll von schar
fen und teils unsichtbaren Rissen.«
«Welchen Vorteil aber hatte er da
»von, das die Schiffe auf seinem Be
s sistinn ftrandeten?« fragte Anna ver
! wundert. «lionnte er durch das Ber
lgen der Leute so viel verdieneni'·
l »Nein, Anna, das nichts Aber in
damaligen Zeiten durfte der, auf des
sen Ufer ein Schiff strandete, das
Schiff und die Ladung behalten, die
oft wertvoll war, wie du dir wohl
denlen tannst. Darum meinten auch
alle, daß Niels Klintegaard sein vie
les Geld durch Stranngt verdient
habe, und daß er so ernft und schweig
sam geworden war, weil es etwas
Trauriges ist, sich durch den Schiff
bruch und Untergang anderesMens
schen zu bereichern. Als Riels Klin
tegaard schon iiber sechzig war, hei
ratete er plöilich ein armes, sein
hübsches- . sitbiehuisbtioes Mildchm
die Tochter eines Kiitners aus seine-n
Gut, deren Eltern in der tleinen
ärmlichen Diitte wohnten, die ich dil
gestern zeigte —- dieselbe, in der di
alte Karin est· wohnt. sus Liebt
heiratete Hi n reichen Rieis Mintes
goard nicht« sondern tu ihren Elter
ein sorgenfreies Alter zu verschaffen.
War auch etwas Eitelleit mit tin
Spiel gewesen, wollte sie gern die
reichste Frau in der Gemeinde sein,
so wiirbe die arme Frau bitter siir
ihre Schwäche gestrast, denn liirze
Zeit nach der Geburt der lleinen Ka
rin wußte die ganze Insel, das sie
todungliiitlich sei. Das früher so le
benssrohe junge Mädchen wurde eben
so ernst und verschlossen wie ihr
Mann. Er ging nie in die Kirche«
jeden Sonntag aber saß sie in dein
Stuhl, der zum dos gehörte, und mein
Vorgänger hat mir erzählt, daß es
ihn jedesmal wie mit einem eisigen
Schreel biirchsiihr, wenn er ans das
starre, weiße Gesicht mit den vergriinp
ten Zügen herabsah, oder dem ver
zweifelteii Blick begegnete, der einen
untröstlichen Kummer zii verbergen
schien.
Die Zeit verging. Mels Klintes
gaard starb, als seine Tochter zwei
Jahre alt war. Sie dachte nicht dar
an, sich wieder zii verheiraten; nach
dein, was die Dienstboten sagten,
dachte sie wohl überhaupt an iiichis,
laiim an ihre -Tochter, die nach Be
lieben zii Pferde iind zu Wagen her
uinstreisen darste, und nach und nach
verbreitete sich das Gerücht, daß Riels
Klintegaards Witwe nicht ganz richtig
im Kopf sei. Tagelang saß sie am
Fenster. bon wo sie das kleine Kät
nerhaus, worin sie geboren war, sehen
tonntez sie beschäftigte sich gar nicht,
saß nur blaß und tränenloj da und
antwortete einsilbig, wenn man sie
fragte.
Ihre Tochter Karin war, wie ge
sagt, ganz sich selbst überlassen. Sie
war hübsch und lebhaft, sagen die,
die sie als junges Mädchen gekannt
haben, und hatte mehr gelernt als die
meisten Baaerntöchien Filr baut-li
che Arbeit hatte sie wenig Sinn« son
dern liebte es, durch Feld und Wald
und ani Strande iiinherziistreisem wo
merlwiirdigerwrise nach ihres Vaters
Tode viel seltener Siranbungen vor
lamen
s Aus einem dieser Streisziige lernte
fie einen jungen Maler tennen, der
am Strande saß und eine Partie des
Meeres mit den vorspringenden Klip
pen malte. Der junge Mann hieß
halsdan Thöger und war aus Nor
wegen. Er wohnte den ganzen Som
mer im Krug. und malte die schönen
fussichtspunttr. Er and Karin tra
en sieh hänsig, und du hast gen-iß
schon erraten, daß es nicht lange dau
erte. bevor die beiden sieh ineinander
verliebten. Wenn man sie zusammen
sah« strahlten sie vor Glüc· Latini
Mutter aber ahnte nichts davon bis
zu dein Tage, wo die Tochter den jun
gen Mann mit nach Mtntegaard
brachte und als ihren Verlobten vor
stellte
Latini Mutter empsing das junge
Paar still und ruhig. wünschte ihnen
viel Glück, und überließ sie dann sich
selbst. halsdan Thöger aber sand,
daß er der Frau, deren Tochter er
bald heimführen wollte, etwas von sich
und seiner Familie sagen müsse. Dar
um erzählte er, daß er der einzige
Sohn eines Schissjtapitiins in Chri
stianssand sei, und daß sein Vater
vor achtzehn Jahren aus einer Reise
von Christian-sub nach Stettin ver
schollen wäre. Seine Mutter sei in
ärmttchen Verhältnissen zurückgeblie
ben, nnd er selbst habe einen harten
Kampf überstehen müssen, bevor er so
weit getornrnen sei. wie er seht war.
Zu Karins großem Erstaunen be
gann Leben in ihre Mutter zu tem
inen. Sie sragte und fragte, undul
sie schließlich den Namen des- Schissea
erfuhr, sprang sie mit einein Schrei
in die höhe und ohne dein erstaunten
jungen Paar eine Ertiörung zu ge
ben« nahrn sie niit zitternden banden
einen tleinen Kasten aus ihrer Scha
tulle. Er war niit Kostbarteiten, al
tem Silberzeug goldenen ilhren, sei
nen Ketten, Ringen und dergleichen
gestillt. Sie suchte ein ziemlich gro
ßes Goldniedaillon heraus, bssnete es
und schob ei dern jungen Manne hin
und jetzt war Halidan Thöger an der
Reihe, zu erschreaen —- denn in den
beiden ileinen Malereien des Me
daillons ertannte er seine Mutter und
sich selbst als Kind. Oben aus dem
Medaillon stand der Name seines Va
ters; das war der Grund, weshalb
Nieli Klintegaard dieses kostbare
Stück Strandgut nicht aus der Hand
gegeben hatte. Bevor Ihalsdan This
ger fragen konnte, erhielt er die Er
klärung. Die sonst so berschlossene
Frau hatte die Sprache wiedergesun
deri, und was sie seht den beiden sun
gen Leuten erzählte — dasselbe, was
sie später meinem Amtdvorgänger er
zählt t —, war eine ganze Beichte.
Wie e den alten Mann geheiratet
habe, und wie sie durch ihre Jugend
Leben und Freude in sein haui zu
bringen gehosst, wie es aber ganz an
ders ausgesallen sei, und wie entsetz
lich sich ihr Leben seit dem Tage, oder
richtiger seit der Nacht gestaltet habe«
als sie entdeckte, daß ei nicht Zusall
war. daß die bielen Strandungen aus«
Riels Klintegaards Besitztum passier
ten, sondern dasz er in dunklen, stiiri
mischen Nächten, wenn alles aus dem
Zofe schlief, allein ausging. Eines
f achtö war sie ihm nachgeschii ri,
- und hatte ihn aus einein der hiich en
» Felsen mit einer roszen Laterne ste
: bin sehen, die er hns und herschwang.
- An der Stelle waren gerade die ge
; ishrlichpen unterseeischen Risse, und«
von dem Licht irregeführt. litten dle
Schiffe. die in solchen Nächten unter
wegs waren, aus Mel- Klintegaards
Strand Schiffbruch. Sie erinnerte
sich der norwegischen Brigg —- sie
hatte die Sätge der Ertruntenen ge
sehen, als sie zum Dorssriedhos gesahs
ten wurden; sie hatte gesehen, wie
Rieli Klintegaard diese Wertgegew
stände, "die nicht oertaust werden
tonnten, verbarg —, und sie tonnte
ieyt dem jungen Mann erzählen, wer
ihn vaterloz gemacht hatte.
Ja, alle-, was sich an jenem Tage
aus Klintegaard ereignete, weiß ith
natürlich nicht, aber so viel weis ich,
dasz Karin sich entschieden weigerte,
halsdan Thörgert Frau zu werden,
als er einige Tage später vdu neue-n
um sie anhielt. Sie wage es nicht,
sagte sie. sich mit dem Sohne eines
Mannes zu derheiraten, dessen Tod
ihr Vater dersehuldet habe —- sie
sürchte die Vergeltung
An dem einen Tage war Karin von
einem jungen, heiteren Mädchen zu
einer reisen, gepriisten Frau verwan
delt worden« während ihre Mutter,
die sonst wie dersteinert über ihrem
Geheimnis gebriitet hatte, nach der
Beichte ganz susammengesalten war
und sich willenlos wie ein Kind den
Karin leiten ließ·
Als Halsdan Thöger abgereist war,
schickte Karin nach einem Rechtsan
walt, und das Resultat der Verhand
lungen war, daß dag,wassilindegaards
Witwe besaß, in zwei Teile geteilt wur
de. Der eine wurde Hasdan Lhdrger te
stiert, der seine Jugend in Entbeh
rung und Rot verbracht hatte, und
dessen Mutter in Armut let-te. Der
andere Teil wurde sur Legate sur
Angehörige verungluclter Heeieute
ausgesetzt statin und ihre Mutter
zogen in das tleine Statuen-aus« dar
einzige, was sie behielten, und dort
then sie zusammen mit einem alten
Yienninadchem das sie nicht verlassen
wollte, und das Karins Mutter pfleg
te, während Karin siir den Unterhalt
siir sie alle drei arbeitete. Riels Klin
tegaardfi Witwe schien sich wohlet in
dein lleinen Kärtnerhaus als aus dein
grossen Hof zu befinden —- sie schien
Frieden gesunden zu haben, und et
nige Jahre später eatschlies sie sanst
und still wie ein Kind, das sich zur
Ruhe legt. Seit der Zeit hat Kann
allein gelebt; sie hat spinnen und we
ben müssen, um ihren Lebensunter
halt zu verdienen; sie ist genugsam
und steiszig gewesen und hat jeden
Groschen, den sie entbehren tonnte.
Armen und Natleidrnden gegeben.
Mein Vorgänger sagte, daß er sit
ost zu überreden versucht hatte, nicht
so grausam gegen sich selbst zu sein
und halsdan Thöger zu heiraten, der
ihr noch viele Jahre schrieb. Sie
aber behauptete, daß sie es weder
tönne noch wage. Das Wort der Bi
bel: «Die Sünden der Vöter..."
ließe sie nicht los, und es sei ihr wie
durch göttliche stenbarung entgege
ben worden, daß sie vielleicht ihres
Vaters Sünden sühnen und Seligkeit
siir ihn erlangen könne, wenn sie stei
willig sür ihn Buße täte.
Das hübsche Altarbild« das du in
der Kirche gesehen hast, und das die
Frauen an Jesu Grab darstellt, ist
don Halsdan Thöger gemalt. Die
dorderste Frau soll Karin sein, wie sie
in ihrer Jugend aussah. halsdan
Thöger starb underheiratet vor unge
fähr zwanzig Jahren. Karin aber
lebt noch immer, utn eines anderen
Schuld zu sühnen. Jeden Sonntag
sehe ich sie in der Kirche, und wenn
ihr Auge aus das Altarbild fällt,
wird es seucht von Tränen, ihre Lip
pen zucken schmerzlich, und dann weiß
ich, was die alte Karin betet — sie
bittet Gott, daß er sich bald über sie
erbarmen und tn seinem himniel mit
ihm, den sie aus Erden ihr ganzes
Glück nannte, und den sie sur die
Schuld ihres Vaters opserte, vereinen
möge.« 4
wer alte Pfarrer schwieg einen Au
genblick, bevor er seine Schwiegertoch
ter fragte:
»Nun, stimmt mein Bild von der
alten Aarin mit dem überein, was du
dir? gleich von ihr gemacht hast, An
na "
Anna aber beugte beschämt den
Kons, und in ihren Augen standen
Tränen, alt sie sagte:
»Ach, Schwiegervater, verzeih mir!
Jch war·dumm, ja beinahe schlecht·
Deine Kartn ist ja sasi mehr als ein
Mensch. Sie ist eine- Märtyrerin,
eine heldin!«
»Ja, im verborgenen gibt es viel
leicht mehr von dieser Art, als man
glaubt,« nickte der Pfarrer milde,
»und darum soll man nicht vorschnell
mit seinem Urteil sein. mein Kind-P
s-.-—--——
— Aus leiten Sohlen.
Kunde Uum Schuhmacher): »Mei
ster, machen Sie mir unter meine
sämtlichen Stiefel Gunimtavsiiget·
»Ah, Sie haben sich wohl verhei
ratet, herr Duckmeher!«
— Gut gegeben. Herr (aus
dringlich:) »Gnödigeit Fräulein —- ich
bin Jhr Sklave-l« —- «Schisn; dann
bitte ich mir over aus, daß Sie sich
ietne Freiheiten herausnehmen!«
— Renommagr. Ellm »Mein
Bräutigam ist so verliebt, daß er un
sere Namen schon in ein halbes
Du end Baumrinden geschnitten hat-«
ekla: Bah, der meine hat nus
diese Art schon einen ganzen Wald
ruiniert« 4