Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 16, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntagsblått des
Staats Anzeigner und J ce r01d.
v«·G Its-R Dis-i ftp
)
- genfchemlich ganz gefesselt von dem
Ein Dier- Yarher streut-J
subsid.
Von O. Denkt-.
Carson Chalmers befand sick in
feinen luxuriofen Räumen in der
Nähe von Madiion Square, alt ihm
fein Diener Phillipo die Post des
Abends brachte. Außer der gewöhn
lichen Korrespondenz, die er rasch
durchflog, befanden sich zwei auslän
diiche Briefe darunter, vie den glei
chen Posisiempel trugen.
Jn dem einen war die Photogra
phie feiner Frau, die sich auf Reisen
befand. Er warf einen lurzen Blick
auf die ihm lo teuren Züge und be
gann dann die Letture des zweiten,
eines unendlich langen Briefes-, au
Jnhnlt des Schreiben-. Dieser Brief
war auch von Frauenhand und er
enthielt giftige Weile« in süßen ho
nig getaucht, oall oon hochaiten Un
aeutungen über die Photographierte.
Chalmers zerriß den Brief in tau
ieno Stücke und begann in wilder
Hast auf und ad zu gehen, wie ein
Dichungeltiger, der zum ersten Male
in einem Käfig eingespert ist, oder wie
ein Mann, der in seinen vier Wänden«
wuter, weil er Anlaß hat, an feinem
Teuersten zu zweifelt-.
Nach und nach lioerwand er »seine
Ruhelasigteit. Philtivs war mit ei
nem Male tm. Er trat niemals ein«
er erschien auf der Bildfläche, wie ein
richtiger «Deui ex machina'.
.Wünfchen Sie hier oder auswärt
zu speisen-P fragte er.
«Hier-.«· erwiderte erhabnen-, »und1
in einer halben Stunde-« Er lauschte
in trüber Stimmung auf den Jnauarij
feurm, der -«poiaunenartig durch die
Straßen Lilie-. (
»Halt rnal«, rief er dem Diener
zu, der sich aus dem Staude machen
wollte, «nle ich nach Haufe ging, iah
ich auf dem Mai eine Anzahl Leutei
in Reihen aufgestellt Einer hielt von(
einem erhöhten Standpunkt herab eine
Rede Weshalb haben sich die Leute
dort in Reihen aufgestellt und was
hnden sie darf«
s
»Heute die tein heim haben. Ob-l
dachlose, ·derr'. jagte Millin .,D·ers
Mann« der auf der Kiste steht. willl
ilsnen ein sreiee Nachtlager schaffen.
Gutberzige Leute, die seinen Appelli
anhören, geben ihm Geld. Dann!
sendet er. entsprechend den erhaltenens
Gaben. Mann um Mann nach dem?
NachtafyL Deshalb haben sie sich in»
Reihen ausgestellt; sie erhalten ihres
Betten angewiesen der Reihe nach,
wie sie antreten.«
«Hör’ mal«. sagte Chalmere, »so-»
bald mein Diner serviert ist, laß ei
nen der Männer herauskommen. Er;
soll mit mi r speisen
Welchen —?« begann Phillipjs
zum ersten Male, seit er im Dienstes
stand, seine Worte stammelnd.
»Wähl« dir irgend einen aufs Ge
ra:ewohl«, sagte Chalmers. «Sieh’ zu,
das; er möglichst nüchtern ist — und
einen gewissen Grad von Reinlichteit
aufweist. Das ist alles-X
Es war recht ungewöhnlich für
Chalnieu, den Kalisen zu spielen. Al
lein an diesem Abend empfand et die
Wirtungelosigteit der gewöhnlichen
heilmittet gegen seine Melancholir.
Er wollte etwas Auszerorendtlichee,
etwas im Stile Arabiene haben, um
seine Grillen zu vertreiben.
Nach einer halben Stunde war
Phillipe mit dem herrichten der
Lampen fertig. Die Kellner von dem
Ylestaurant drunten brachten das
schmackhafte Dinen Der Speisetisch
mit zwei Gedecken strahlte förmlich im
Glanze der Kerzen, die von rosafar
L denen Ichirmen derhiillt waren.
Und tun fiihrte Phillipj mit einer
bezeichnenden Handbewegun —- alt
ob er einen Kardinal oder e nen Ein
hrecher begleitete —- den vor Mitte
zitternden Saft ein, den er aus
, hatte
Man pflegt Ioiche Menschen
Wende zu nennen. Der Cintretende
P war das Wenn eines durch Feuer
P den Nachtafyltandidaten herausgeholt
havarierten Schiffes. Es schien, alt
ob noch ein letztes Aufflackern dieses
iteuerloie Menschenfchiss erglänzen
machte. Gefecht und hände waren
erst tiirzlich gewaschen —- ein Tribut
un die onnention, auf der Phillipj
befknnde hatte. Da landete nun
das arme Wenn in dem mattbeleuchs
reten Saale, ein wahrer Klecks in die
g sen-. Bilde unrnwnifcher Autsiattung.
Eine tranthcfte Bläer zog über fein
Gesicht, das- von einem rötli en
Stoppelbakt umratnnt war, der aft
», b:e zu den Augen reichte. Phillips
s stumm fcheiterte an dem Verfuche,
’ das hellvraine Dank in Ordnung zu
bringen, dnä in wirken Strähnen der
. uvviel und lich mit der Zeit den Kon
turcn eines gründlich obgetragenen
Hutes ungeonjzt hatte. Seine Augen
s zeigten den Ausdruck twkiger Hoff
nunqsiosigiesit. wie die eines Hundes
der von seinen Quälgeiftern in die
Enge getrieben wied. Sein Rock roat
bis an den Hals zugetnöpst nnd ließ·
bloß einen Viertelon breit einen Kra-«
gen sehen, der einmal weiß gewesen
war. Er war übrigens nicht im ge
ringsten vertegen, als sich Chatmers
erhob nnd aus ihn zutisi
»Sie weiden mich verpflichten«,
sagte Chaimees zum Fremdling ge
wendet, »wenn Sie als Gast an mei
nem Mahl teilnehmen.«
»Mein Name ist Plumet,« sagte
der Mann von ver Straße etwas
barsch, »wenn es Jhnen so geht, wiei
mie, dann werden Sie den Namens
Jykes Tischgenossen ersahten wol
ten."
«Jch war eben im Begrisse, michi
vorzustellen«, suhr Chalmers rasch
dazwischen, »wollen Sie die Güte ha
ben, mir gegenüber Plan zu neh
men." -
Plumer neigte sich etwas vorniiher,
um dem Diener Gelegenheit zu geben«
ihm einen Stuhl unterzuschieben E
tpatte den Anschein, als oo ihm das
Bedientwerden durch heslissene, galte
nierte Latnien nichts Neues wäre.
Phillipe stellte die Anchovis und die
pliven nus den Tisch
,,Gut'«, brummte Blumen «ich sehe,
daß es sich um ein Diner mit Gän
gen handett, nicht wahrt Mir eben
recht, mein erhobener Herrscher von
Bagdad, du bist der erste Kalis mit
einem echt orientalischen Aroma. der
mir seit dein ersten Frost begegnete.
Welch ein Glitett Und ich war der
Dreiundvierzigste in Reih und Glied.
Ich hatte eben meine Vordermiinner
til-gezählt, als dein willtommener
Bote mich zu dem Feste entvot· Jch
hatte ungeiahr so viel Chance, heut'
Nacht in einem Bette zu schlafen. als
Präsident der Vereinigten Staaten zu
werden. Wie willst du denn eigentlich
die traurige Geschichte meines Lebens
haben, ttll Raschid, — ein Kapitel mit
jedem Gange oder die ganze Ge
schichte auf einmal bei Aassee und Zi
garrelsp
«Die Situation scheint dir nicht neu
zu sein«. bemertte Chalmers lä
chean
»Bei dem Barte des Propheten —
nein —«, antwortete der Gast. ·Rew
York ist so voll von wohlseilen
Varun nl Raschids wie Bagdad oon
Zlöhem Zwanzigmal hat man mir
meine Lebensgeschichte mit vorgehal
:ener Mahlzeit abgefordert. haben
Sie schon jemand m New Yort ge
sunden, der etwas für nichts givti
Neugierde ist das Motiv ihres Wohl
lune. Viele oon ihnen werden dich
mit einer Münze oder mit einer be
iegten Seinmel hestechen wollen; an
dere spielen den Kalifen zur Melodie
eines Rostbratens; allein die einen
wie die anderen lassen dich nicht los,
bis sie deine Autohiographie haben
mit Vorrede, Fußnoten und unver
össentlichen Nachtragssragmentew
Nein. ich din iein Neuling im Ge
schäft, ich weiß, was ich zu tun habe,
wenn mir in Altagdad an der New
Yorter Suhway ein Mahl vorge
seyt wird. Jch mache auch dir mei
nen Kotau und ich hin bereit, dir für
das Diner das Geschichtchen zu er
zählen."
»Ja meinem Fall befinden Sie sich
im Irrtum, ich will Jhre Geschichte
nicht hören«, sagte Chalmers, »ich
will Jhnen nicht verhehlen, daß es
eine plötzliche Laune von mir war,
die mich veranlaßte, irgend einen Un
oetannten von der Straße zu holen.
um mein Diner mit mir zu teilen.
Jch oersichere Jhnen. Sie werden
unter meiner Neugierde nicht zu lei
den haben."
«Ach, Unsinn«, rief der Gast aus
und machte sich enthusiastifch an feine
Suppe. «Jch habe nichts dagegen
einzuwenden. Jch bin eine reguliire
orientalische Märchensammlung in ro
tem Umschlag mit ausgeschnittenen
Blättern, wenn ein Kalif, wie Sie,
seinen nächtlichen Rundgang macht.
Um aufrichtig zu fein, wir Kerls oon
der «Bettbrigade« haben eine Art
Taxe fiir solche Fälle. Jmtner gibt.
ei Leute, die einen anhalten und wis
sen wollen, was einen auf der sozia
len Stufenleiter so tief herunterge
oracht hat. Für ein belegtes Butter-f
brot und ein Glas Bier erzähle ichs
die Geschichte, dass mich der Sufs so’
weit gebracht hat. Fiir Fleisch, G
iniise und eine eTasse Ka fee erz« le
ich oie Geschichte von dem hartherzii
gen hausherrm sechs Monate im
hospitah Stelle verloren und so fort.
Ein Stück Braten und ein Viertel
dollar für eine Untertunst zur Rach
loeten die· Erzählung heraus von dem
Vermögen, das an der Börse der
schlungen wurde, und wie der arme
Kerl stufenweise tiefer und tiefer
fant. . . Dies ist das erste Mal, daß
mir ein solch fplendidei Mahl vorge
setzt wird. Jch habe teine Geschichte
auf Lager, die dazu paßt. Wissen
Sie was, Mr. Chalmerö, ich will
Ihnen dafür die Wahrheit erzählen.
wenn Sie sie hören wollen. Sie
wird Ihnen weniger glaubhaft er-i
scheinen, als manches tunstvoll erdachsl
te Mädchens .
Eine Stunde später lehnte sicå uns
ser arabischer Gast mit einem rus
zer der Befriedigung in seinen Stuhl
;uriick, während Phillipö die Zigarren
und den Kaffee brachte und den Tisch
abränmtr.
«Haben Sie jemals von Sherrakd
Plumer gehört?'« srug er mit einem
fremdartigen Lächeln.
«Jch erinnere mich des Namen-IT
sagte Chalinertt, er war ein Maler,
glaube ich, der vor einigen Jahren ein
bervorragendes Ansehen genoß.«
»Wer fünf Jahren«, sagte der
Gast. »Dann ging ich auf den
Grund. wie Blei im Wasser. Jch bin
Sherrard Plumer. Das letzte Bild,
das ich malte. verkaufte ich für 2000
Dollar. Nach diesem tonnte ich fiir
ein Gratispgrtriit keinen Abnehmer
finden.«
»Was war der Grundt« mußte
Chalmerg fragen.
»Ein drottigee Grund«, bersegte
Plumer bitter. ,Jch selber tonnte et
niemals recht begreifen. Eine Zeit
lang schwamm ich wie ein Rort oben
auf. Jch fand Eingang in die gute
Gesellschaft und Aufträge in Massen.
Die Zeitungen nannten mich den Mo
dernaler. Dann begann es mit den
drottigen Dingen. So oft ich ein
Porträt beendet hatte« pflegen die
·Leute, die es besichtigten, zu iliistern
und einander mertwiirdig anzuse
X
n.
Jch fand nur zu bald heraus, was
es Init meinen Bildern auf sich hatte.
Jch hatte die Eigenart, in dein Ge
sicht auf meinen Porträt-s den verbor
genen Charakter des Originals her
auszubringen Jch weiß nicht, wie
ich dies tat —- ich malte doch nur
was ich sah —- allein ich weiß« daß
ei mein Ende war. Einige meiner
Besteller wurden ganz wiitend und
weigerten sich, die Bilder anzunehmen.
Jch malte das Porträt einer sehr
schönen und populären Dame aus der
Gesten Gesellschaft. Ali ich es fertig
yatte,sah esihr Gatte mit einem ganz
besonderm Gesichtsausdruck an. und
eine Woche daran reichte er die Schei
dungsllage ein. -
Jch entfnne mich des Falles eines
angesehenrn Bankiers, der mir saß.
Alt- ich sein Porträt in meinem Ate
lier ausgestellt hatte. tam einer sei
ner Bekannten, um das Bild anzu
sehen. .Mein Gott«, ries er aus,
»sieht er tvirllich so aust« Jch
sagte ihm, daß das Porträt für sehr
ähnlich gehalten werde. »Ich habe
diesen Ausdruck um seine Augen noch
nie vorher bemertt«, sagte er, »ich
denke- ich gehe mal hin nnd ziehe mein
Bantlonto zurück.« Er ging auch
hin, allein der Bankie. war satt und
mit ihm auch das Konto-.
Es dauerte nicht lange, und ich
sah mich ohne alle Aufträge. Die
Leute wollen nicht, daß ihre geheil
nien, gemeinen Gesinnungen sich im
Bilde ossenbaren. Sie tönnen lächeln
und ihr Gesicht zu einer Fratze ver
ziehen nnd sie täuschen; allein das
Bild kann es nicht. Aus wars- mit
meiner Porträttunst und ich mußte sie
aufgeben. Jch arbeitete eine Zeitlang
sür eine Zeitung und dann siir einen
Lithographen, allein meine Arbeit
hatte überall den gleichen verhängnis
vollen Essett. Wenn ich nach einer
Photographie zeichnete, wies meine
Zeichnung charakteristische Ausdrucks
nuancen aus, die man in der Photo
graphie nicht finden konnte, die aber
sreilich im Original vorhanden wa
ren. Die Kunden beschwerten sich
lebhast, besonders die Frauen. und
ich konnte nirgends lange meinen
Plah behalten. So begann ich denn
mein müdes Haupt an die Brust des
alten Bacchus sn lehnen. Und gar
bald stand ich in der .Bettbrigade«
nnd erzählte Lebensmiirchen siir naht
haste pendem Langweilt dich, mei
ne wahrheitsgetrene Geschichte, Kalis?
ch kann, wenn di» vorziehst, das
Wall Streetsllnglllcksregister auszie
hen, allein das bedar der nötigen
Tränenbeglettung, un ich fürchte,
daß sie mie nach dem guten Diner
nicht so leicht zu Gebote stehen
wird.«
»Nein, nein«, sagte Chalmers ernsts
,Sie interessiert mich sehr haben
alle Jhre Porträtt irgend einen un
angenehmen Zug ausgewiesen oder
gab ei Leute, die der Prüfung h
tes merkwürdigen Pinsels still el
ten?«
«Cinige, ja,« sagte Planken »zu
meist Kinder, auch ziemlich viel Frau
en und eine kleine Anzalfl Männer.
Alle Menschen sind nicht chlecht, wie
Sie wissen. Wenn sie nichts aus dem
Gewissen hatten, waren auch die Bil
der recht. Wie gesagt. ich lann’s nicht
erlärem ich kann Jhnnrn nur die
Taqtlsachen berichten.«
us Chnlmers Schreibtisch lag die
Photographie, die er am Morgen
mit der Austandspost erhalten hatte.
Er ließ Plumek eine Stizze da-’
nach machen. Nachdem dieser sertig
war, erhob er sich und streckte dies
Glieder.
»Es ist sertig«, sagte er gähnend,l
»entschuldigen Sie mich, da ich Sie
so lange aufhielt. Jch sand Interesse
an der Arbeit. Himmel, bin ich aber
mühe. - Hatte tein Bett legte Nacht,
müssen Sie wissen. Jch denke, ich
muß jetzt gute Nacht sagen, Beherr
scher der Gläubigen.«
Ehalmerg begleitete ihn bis- zur
Tür und steckte ihm einige Banlnoten
zu.
»Oh, ich nehme sie gerne. Das ge
hört alles mit zu meiner gegenwärti
gen Lage. Dante. Und auch für das
sehr gute Diner. Jch hoffe, daß e
sich nicht als Traum herausstellt,
wenn ich erwache. Lebe wohl. mein
trefflicher Kalis.'
Wiederum schritt Chalcners aus
dem Teppich rastlos auf und ab,
allein so weit als möglich von dem
Tische, auf dem die Pastellstizze lag.
Zwei-, dreimal wollte er sich ihr nä
hern, unterließ es aber. Er tonnte
den Glanz der Farben wahrnehmen,
allein seine Angst hielt ihn in einer
gewissen Diitanz. Er setzte sich wie
ver und versuchte sich zu bekuhigen.
Plötzlich sprang er aus und lautete
Phillip5.
»Hier im Hause wohnt ein junger
Künstler", sagte er, »ein Mr. Heines
mann. Weißt du sein Zimmer--m
»Ob«-sur Stock, vorn hinaus«, sag
te Philiin
«Geh’ hin und ersuche ihn, mich ei
nige Minuten mit seiner Gegenwart
zu beehren."
heinetnann kam sofort. . Chulmers
stellte sich selher vor
»Herr heinernann'·, sagte er, da
auf dem Tilsche liegt eine kleine Pa
stellstizze Es würde mich freuen,
rveIn Sie inir Jhre Ansicht über den
tWifchen und Porträtwert der
selden mitteilten.'«
Der junge Künstler ging aus den
Tisch zu und nahm die Stizze in die
Hand. Chalmerg saß hall) abgewen
det, im Sessel zurückgelehnt
«Wie finden Sie stei« frug er lang
faust.
»Als Zeichnung«, sagte der Künst
ler, «tann ich sie nicht genug rühmen
—- ej ist das Wert einer Meister
hand, tühn angelegt, fein ausgeführt
und voll Wahrheit. Jch hin wirt
lich überrascht; ich habe eine so gute
Pastellarbeit seit Jahren nicht gese
henAder das Gesicht, der Vorwurf,
was sagen Sie daz ni«
»Es ist sehr fein erfaßt«, sagte hei
nemann, »dirett tünstlerisch angeiegt
und erinnert mich die Auffassung an
einen berühmten Meister.«
«Sie wollen mich nicht verstehen,
ich meine, was sagen Sie zu dein
Original, was sagen Ihnen diese
Porträtzüge, wie finden Sie den
Ausdrucks«
»Der Gesichtsausdrnck«, sagte
heineinann »ift der eines wahren
Engels. Darf ich fragen, wer?«
»Mein Weib«, ries Chalniers aus«
sich au den erftaunten Künstler stür
zend, eine Hand pressend und ihm
auf den Rücken llopfend »Sie reist
en Europa. Rinnn diese Stizze.
Mann, mal« das beste Porträt deines
Lebens darnach und lasse mich den
Preis befiirnenen.«
Zu life-Tun um eure-.
Soldat Strampel ist zur Gesange
neubewachung kommandiert Bei die
ser Gelegenheit begleitet er einen ge
sangeneu Franzosen aus dem Lager
in die Stadt, um Eintäuse zu machen.
Dort angekommen, bittet der Gesan
gene, einmal austreten zu diirsen.
Strampel, der-Niemand etwas schlech
tes zutraut, genehmigt das. Er
wartet siins Minuten, der Franzose
tehrt nicht wieder. Endlich geht ihm
ein Licht aus: .Er wird doch nicht
etwa durchgebrannt sein«-« Seine
Vermutung bestätigte sich. Drei Tage
»Kasten" bekommt Strampel als Be
lohnung. —- Kurz darauf geht er
mit einem Nussen zur Stadt. Der
Zeldtvebel garantiert ihm vierzehn
age. wenn er ohne den Rassen heim
tommt. Als beide bor einem Bäcker
laden vorbeigehen, bittet der- Gesan
gene, sich ein Stückchen Kuchen tau
fen zu dürfen. Strampel bleibt sest,
eingedenk der vierzehn Tage «schtoar
zen«, die ihm in Aussicht stehen.
Beim nächsten Bäcker wiederholt der
Russe die Bitte. Nichts gibt’bl Den
dritten Versuch vermag Strampel
nicht abzuschlagen. Mit den Worten:
»Wollst’s wohl machen tvie der Fran
zo» heimlich verschwinden? Daraus
tbird nichtöl —- Stillgesiandenl« läßt
er den Nussen stehen und geht selbst
in den Laden, um den Kuchen einzu
kc.usen. Als er wiedertam, der an
dere Abschied nahm. . .
Strampel erhielt seinen Lohn vom
Feldtvebeh tvie er ihm versprochen
hatte.
»Und mit ettt’ Zins dahei."
ölriegszeitflizzc von Enge-n ( .a«igeu.
...Sie tant von einem Tauten
besnch. Und gerade, wie sie die Stra
ße treuzte, fiel ihr ein: sie tönnte
noch rasch mal hinüber in die »Rose« s
gehen, ihre Schulfreundin Friedll
Wiedemann besuchen. I
Friedl stand just in der Tur, unt-;
lacht vom jungen Maisonnenscheiml
nnd lachte mit dem Sonnenschein utn
die Wette, als sie ihre Freundin Do-!
rothea sah, die sie wie alle nur Deas
nannte. ’
»Den —- Gott — is ja reizend,
das da endlich mal tommstl Laßts
diTja so selten sehen?«
ea Döbler sah triibe in Friedlss
pikantfeineg Brünettgesicht mit derl
Schneckelnfrisur. s
»Der Ernst dieser Zeit läßt einen
selbst die Besuchsgedanten vergessen
..Seit mein Bruder gefallen ist« —
«Ja, sa," meinte Friedl mitfüh
lend und nahm der Freundin hand·
»Komm — setz dich..«
Dea Döbler nahm im Samtstuhl
am Schaufenstrr Platz. Durch die ge
mnsterte Gardine konnte man gut die
Straße übersehen, ohne selbst gesc
hen zu werden«-.
Herzlich plauderten die Freundin
nen... Dann traten zwei Feldgrane
ein — junge Menschen, die ehedem
Stammgäste in der »Rose« gewesen
waren, und die nun — als Verwun
dete in Berlin iveilend —- ihren er
sten GenesungHaUHgang benützend, die
altgetvohnte, liebe Stätte besuchten.
Friedl Wiedemann, die Wirt-stach
ter, erhob sich sofort und bekam einen
hochroten Kopf.·. Der eine, ganz
schlanke Feldgraue, der Fritz Zachonx
bekam ebenfalls eine glnhende Rote
über sein wirklich hübsches, tectsröh
liches Gesicht.
Dea Döbler lächelte melancholisch
m sich hinein.
»Kein’ Rose, tein’ Nelte kann blühen
fs schön
Als wenn zwei verliebte Herzen bei
einander tun stehn.«
Daß die Friedl Wiedemann und
der Fritz chJow fkch liebten, das
fah man.
Die beiden Feldgrauen und Friedl
gingen nach dem Vintergrund des
Lokals. Die »Rofe« war ein schma
ler, langhingestrectter Raum, rags
iiber in ewigem Düfter. Ganz hinten
erst ließ vom Hof her ein Fenster
einen Schimmer Licht herein. Reden
diesem Fenster stand das Klavier.
Dea war allein... Gedanken-Dek
loren fah sie aus die Straße hinaus,
in der das Leben nicht so wild bran
dete wie sonst im großen Berlin...
Ein junger Mensch fesselte ihren
Blick.
Jn dunkelblauem Jackettanzug
eine federnde, tadellos gesormte Fi
gur. Ein fehr fchöne5, fast zartes Ge
sicht. Der junge Mann lam in die
»Hätte« —- toahrhaftig. Als er- die
Tür ins Schloß drückte, fah er die
junge Dame am Fenster.
»Ach — Fräulein Döbler,'· griißte
er erfreut.
Dea neigte ihren dunkelbraunen
Kopf zum Gegengruß und fragte er
staunt: »Sie kennen mich?«
»Herbert Kresser,’ ja — wir saßen
einmal hier an einein Abend zusam
men, mit Meissners und Weigts, er
innern Sie sich nicht mehr?'«
Doch —- an den Abend erinnerte
sie sich noch, Monate war es her; und
jetzt ertannte sie auch den jungen
Mann.
»Ja —- aber — da waren Sie
doch in Feldgriist?«« »
Sie machte eine einladende Buer
gung —— und Heebert Kresser zog sich
einen Hocker hervor und setzte sich
neben sie
»Ja, damals war ich noch in Feld
grau; —- inzwischen bin ich als mi
litiiruntanglich siir immer entlassen
worden«
Ganz leise wankte seine Stimme.
Dea sah ihn begrissslog an. Es
war doch kein Tadel an ihm zu ent
decken. Das Haar war wieder gewach
sen wie sonst. Nach hinten gekämmt,
legte es sich in ganz gleichsaebiges
Blond weich und plüschig zurück. Ein
goldenes Blond mit da und dort auf
zuckenden Silberresleren Das Gesicht
war direkt rosig — freilich wie über
udert, so seltsam zart; und in den
schönen blauen Augen war etwas
Schwimmendes, Zeichen überstande
ner Krankheit.
»Warum denn —- untauglich?«
sragte Dea mit verhaltener Stimme.
»Schuß durch die Lunge — und
das heilt nicht mehrt«
Tea suhe auf.
»Aber ich bitte Sie! Es ist doch
eine gesunde Lunge, die durchbohrt
wurde! Wie viele solcher Schußwun
den sind schon verheilt!«
Herbert schiittelte den blonden
Kopf, daß die Silberreslexe in dem
Goldglanz heller aussprangen.
»Nein, nein! Jch habe ja einen
.
jungen Arzt auf Ehre und Gewissen
gefragt, wie lange ich noch zu leben
habe. .. Zwei Jahre höchstens noch!«
Den wurde schneebleich und erregt;
sie fühlte ein nie gelanntes Gefühl
jäh in sich aufwallen.
»Das? Das hat Ihnen ein Arzt
gesagt? So brutal ins Gesicht? Der
—- wird nie ein Wohltäter der
Menschheit!«
Herbert sah sie unberwandt an
Wie schön war dieses ovale, seinziigii
ge Gesicht, die Augen unter den lan
gen Wimpern wie aus goldbraunem
Samt geschnitten. Die dunklen Zöpfe
hatte sie schlicht und deutsch-Mensch
in dichtem Kranz um den Kopf ge
schlungen. Dieser Kon war ihm
schon damals an jenem Abend mit
Meißners und Weigts ausgesallen
und unvergeßlich geblieben, damals
—- als seine Braut noch neben ihm
saß. Das bittere, trampfende Gefühl,
das er überwunden wähnte, quoll
nun doch wieder insihm hoch-»
Dea aber sprach mit einem verhal
tenen heißen Klang in der Stimme
weiter: »Sie müssen einen alten Pro
fessor fragen, den ich kenne; der wird
Jhnen gewiß sagen, was ich Ihnen
sage: Es kommt doch ganz daraus
an, wie Sie leben, in gesunder Lust
mit gesunder Nahrung! Dann ver
heilt die Wunde völlig«
Wieder das wehmütige Kopfschiits
teln Herverts. »Ach — das ist nun
egaL Ezch muß ja doch nun einsam
bleiben. Meine Braut, an der ich so
hing, hat mir auf die Aussage des
Arztes- hin den Ring zurückgegeben-"
Schlug ein Bliy dlendcnd vor ihr
nieder? yeulte eine Granate über ihre
Häupter hin? Den sant in erstarren
dem Entsetzen in ihren Stuhl zurück
und stierte wie entgeistert den blon
·’den Menschen an...
Aug dem Hintergrund der »Rose«
kam Musik. Friedt Wieder-rann hatte
sich ans Klavier gesetzt« flantieri von
den beiden Feldgrauen.
Nelsons «Prinzeszchenlied« spielte
sie. »Ich bitt euch, schenkte mir
ioas!«
Dea atmete tief anf. »Das —- das
tat ein deutsche- Mädchens Das
tonnte sie tun in so ernster, großer
Zeit? O pfui —— die Feige. Erbärm
lichel Jch schäme mich für jene! Frei
lich —- Sie können schließlich Gott
danken, daß Jhnen noch zurzeit die
Augen geöffnet wurden! Ueber den
Univert jener!"
»Ja « ich trauere ihr auch nicht
mehr nach, aber« —- und er nahm
aus der Westentasche einen goldenen
Ring und ließ ihn auf den Tisch
tlirren...
Da lag es — das Symbol der
Treue, und der schwache Sonnen
schein, der dnrch die Gardine fiel,
glitt weg von diesem Ring
Den konnte den Blick nicht losrei
ßen von dem blonden Kopf. Mein
Gott — wie tat ihr dieser Mensch
leid, namenlos, unendlich leid. Wie
einen Gedankengang zu Ende spin
nend, sagte Herbert verlorenen Blicks:
»Kann inir ja auch niemand einen
Kuß mehr geben!« Er führte das
Bierglas an den Mund· irant einen
tiefen Zug und stellte das Glas wie
der nieder. Da griff sie darnach, jäh
und rasch —— ehe er sichs versah —
und trani, irant von derselben Stelle,
an der eben seine Lippen geruht...
»Dea!« rief er —- ungläubig —
noch ohne rechten Begriff. Erschiits
Urt, ivortlog bog sie das Haupt ihm
näher.
»Den! Und wenn ich wirklich nur
noch zwei Jahre lebe? — —
Da sprach sie voll echter. weibtiefer
Jnnigkeit: »Dann sind es zwei Jahre
dei- Glücks — zweimal dreihundert
undsiinfundsechzig Tage!«
Ergrifsen — mit plötzlich metal
lisch ausglänzenden Augen —- legte
er den linken Arm uin ihre Schulter,
und sie schmiegte das Haupt herüber,
innig an ihn...
»Dein, Dea, so wie ich bin —- dein
bis zum letzten Atemzug!«
»Und ich dein, Verliert —- fiir
ewig —- ich liebe dich!«
—.-.——
-—Kleines Gespräch »Diese
Landstraßen hier in Polen haben sa
belhaste Aehnlichkeit mit den russi
schen Siegegmeldungen«, sagte Hin
denburg zu seinem Generalstabschef.
»Wieso«t« fragte dieser erstaunt.
»Weil sie eben so grundlos sind«,
lachte der Feldnmrschall, indem er
seine Stiesel aus dem Schlamm zog.
—- Kein Streber. Buteaw
vorstand: »Jetzt. wo es so viel zu
tun gibt da wollen Sie Urlaub
haben?!«
Beamte-: »Na, da macht es einem
doch gerade das uieiste Vergnügen!«
—- Verdächtig. Polizist (zum
Kollegen): »Der Schlosser Ferdl muß
wieder was am Gewissen haben,
ich habI ihn erwischi, wie er unserm
Polizeihnnd eine Wurst zusteaen
wolltet«