Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 10, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

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    Staats Anzetger und J cerold—
Sonntagsblatt des
fmkfxm Its-i
sie trinkt zu einein ists
htm.
eEinc Liebesgeiklncliie in Feldpofibriefen
Von Ziegfried erac.
Ali die Männer nnd Briefchen hin
nuszogen fiir König und Vaterland,
gol« ein Herzdriicken und Buffeln,
als ok« .B’hiji Gott« für die Ewig
keit fein folli.
Nur der anchfrnnzl flond mutter
feelenallein und hatte keinen Men
schen zum Lebewolfl sogen. Jhm
druckte keiner die Hand und weinte
eine Träne um ihn. Er war hali n
Woifenlind.
Aber net weit von ihm fiand dief
Weidenhofleni. Die häit’ dem;
Fronzl fürs Leben gern die Hondl
dracki und d’hiit Gott gefngi, damit
der arme Bau net gar fo verlassen in
den Krieg gehen folli. Aber sie wan
halt got verfchiichieri und zaghaft;
vor fo viele Leut'. Der Franzl war
doch net ihr Schaf und fo durf« ihm
net sagen, wie ihr kleines herz voll
Mitgefülzl fiir ihn war.
Als der Bahnzug avgefahren nnd»
die Ariegsleui’, die zum Lehewohl
mit den spüren schwenkten und ein.
fröhliches Lied vom Wiederfchnnen
fangen, net mehr zu sehen waren, ging
die Gemeinde mit frommen Gebet im
Herzen heim. Siilr und friedlich
nian im Dorf. recht wie ein heiliger
Gotte-Zinsf.
Auch der Leni tvar recht kirchlich
zu Sinn. Sie mißt ielbft net. war- .
unk. Konnt net begreifen, warum Si
ihr grad so siedlieiß iin Herzen war
Sie tniete in ihrer Kammer vor dein
Muttergotteebild nieder und schickte
eine innige Füroitte auf zum Himmel »
fiir all die braven Ums draußen im
Krieg and empfahl sie feinem gnädig;
gen Schutz. «
s s T
Eines Tages tain die Leni zum
deren Lehrer, der in der Gemeine
viel nin Rat nnd Tat angegangen
wnrd«. Jhr Gesicht nmr wie ein
Apriltag niit Sonnenschein und Re-»
gen; Friplilingslacheln nnf den roten.
Lippen und helle Tränen in der- Reh-»
augen. I
»Was willst denn-« fragte der
Lehrer sanft.
Leni zapfte verlegen an ihrer
Schürze »J derstr net ainnl aus-«
sprechen, Ver- Lehrer. ’5 is a rechts
Anliegm .
»Mir srei heraus mil der Red«, er- ;
niuntette sie der Lehrer. »F wird?
doch nir Unrech« seini« z
»G"tviß i-et«, eiferte Leni UndJ
schiveratrnend fuhr sie fort: Alsdann
will i’z sagen. Schaut-, i' wollt«
schön bitten, ihr soll« so sreundli
sein nnd iotlt mir a Briefl schreiben.
J dersteh’ rni net drauf. Und’5 sollt«
a rechter schöner Brief werden«
»Ei. Leni, du haft doch selber in
der Schuf sei sauber schreiben ge
lernt-·
«Abek net fa, wie i möcht·, dak der
Brief fein«fvll. I soll —- fuhr sie
rnit Wichtigkeit fort — »F soll a
Feinsppsivkiei seit-. usw reiche-J
bring« i nimmer z'sanimn.'
Der Lehrer lachte gutmütig.
.Meinettvegen, schreiben nier halt«.
Er feste sich und legte Papier und
Feder zurecht. »Alsdann’t An wen
f-:ll'j gehen?«
«An den Waschhaule
Der Lehrer machte ein pfiffigei Ge
sicht. »So, so! Alsdann nur zu.
Sag an, was i schreiben foll.«
Leni begann zaghaft und lchautei
unverwandt auf das Muttergottesbild !
iiber deni Tisch, als wollte sie au«
dessen giitigem Antlitz Trost und
Mut schöpfen. »Sixt, Franzi, i hab'
mir halt denkt, biit a arme Seel’,
die tei’ Menschen auf der Welt hat,
der an Di denkt. J hab’ stehen«
tote D« Routine-richten bitt und tei«
liebe Hand hat Deine druckt. ’s hatt
rnir schier Ioetj q«tan. Alle Burschent
kriegen Griifds nui der heimat g’fchiett
und sonst was Lieb’-. Die wird
nix g’schickt. Das is a triiiirig’i Lag. ;
Drum pack i Dir a bissel ein. Werts
aber net bit-. J is bloß a Wurst, n
Päckel Tabal und a paar Strümpr
Die hat-· i selber g'ftritt. J meins(
's wird Dir gut tun und D« hatt
auch a Freud'. J will recht spare-us
uut daß i auf d’niichlt nach a Stücketj
Schinten zutun kann. Brauchst at
Pfeifent So las-. Bist net bit-J
get» Sirt, daß auch a Seel· an
Dt denkt und’ Di schön ariißt und
b’hiit Grtt wünscht B’liüt Gott«
Iranzlt
Die Weidenhoflent.«
Dem Lehrer war ei beim Schrei
ben feucht in dte Augen gekommen
»Ist willst dem Iranzl fchicken«',
fragte er ieit weich.
» a. Derf S dennt«
»Ireiltch. Di« is net verboten. Wo
haft die Sächel?«
Unter der Schürze hatte Leni die
Liebesgaben verborgen. Sie gab fle·
detn Lehrer, und tieser machte das
Patet sertis.
»So tann’s aus d’ Post timma«t«
fragte Leni und wickelte es behutsam
in die Schätze. »Und i tu’ nix Un
recht’f?«
Der Lehrer nahm ihren Kopf zwi
schen seine hände und sagte ernst:
»Du bist a brave Dirn! Und der liebe
herrgott wird dir was Besonders ins
Mertbuch schreiben."
I II
Franzl tat sich heldenrniitig hervor.
»Na an Menschen aus denr Spiel
steht, schicken S’ rni hin, Derr
Dauptmann", sagte er. An mi: liegt
nir. Um mi weint tei’ See’.'« Fröh
lich und beherzt war Franzl allzeit in
Gefahr und Rot und wurde nur trau
rig, wenn die Ieldpost tarn und den
Kameraden was Liebes aus der Hei-s
mat brachte. Da seufzte Franzl oft
recht schwer.
Eines Tages wurde auch sein Na
me aufgerufen. «!t Pöckl für den
Franzl!" Dieser traute seinen, Ohren
nicht und drehte du Ding nach al
len Seiten. Endlich öffnete er die
Schachtel und fand obenauf den Brief.
Er las und las nochmals. Ein
Schinnner des Glücks hnfchte iiber
fein Gesicht. »An mi denkt einer
in der Vetcnat«, flüsterte er gerührt.
»D’ Len( ists-, bös liebe Dirndl·
Ihr dass weh g«taa, daß tei« Mensch
mir zum Lebewohl d’« Hand druckt
dat. Muß doch a rettJ gut«5 Herz ha
ben, U- Madel.«
Trämerifai blickte er vor sich hin
and suchte mit seinen Gedanken die
Heimat. Aber sonderbar, da sah er
nir andres als die Leni ganz allein,
und so schmuct und so sauber. Es
wurde ihm ganz warm ums herz,
wie noch nie im Leben. Dann nahen
er fei« Pfeier und stopfte sie mit
Lenio Tal-at, umständlich und vorsich
tig, auf das fet« Körnl verloren gehen
sollte
get liess-. frisch-i G"sicht«i han«-,
geübelte Franzl weiter. »Und ob i a
Pfeifen urauch, staats- Wär’ net
übel. So .i G’ichenk von einem lieben
Mädel, da müßt« antal der Tobak
schmecken! Ireili been-cis i a Pfeife-L
Eier med« is fch'reiben.«
Franzl erbat sieh von Kameraden
Papier, nahm den Tornister aus die
Knie nnd schrieb:
»Liebe Lenil Wann D’ hätt’st
sehen wollen« wie sich a Mensch freuen
tann, bött’st Di glei selben einpacken
nnd mitschicken mixssen Mi hat's
herz g'schlagen, so tant wie a Büch
senschuß. Aber g«steut bab’ i mi
ganz still. ’s war mir so sonntäglich
from-n zu Sinn, baß i tei· lau«
Wärst hören wollte ’s ie halt
doch was Schön'i, wenn a liebe Seel’
an einen denkt. Manns nun gar
u Schatz wör’, der einen gern hätt’,
bös müssf schon a Seligkeit sein. J
dank Dir tausendmal siir Dei’ liebe
G’schent. Vorn Tobak hab« i jetzt a
Pfeier fischt-raucht J gwan so
a Pseilen, wenn Du mir schicken
tät’st, würd’ net anders schmecken, als
wann’i von dö lieben Engeln kimma
wät’. Der liebe Herrgott grüß’ Di
und g·seg’n ’3 Dir. J möcht’ sakri
gern aus Dank an llein«s Bussel eini
legen« aber i bin Des Schon net, nnb
Du tönnt’st bös werden und net mehr
schreiben. Drum b’biit Di Gott« nnd
dent’ bald wieder un mi
Franzl.«
O It il
Leni bekam einen Brief. Den
ersten in ihrem Leben. Gar einen
Fetdposthries. Zitternh nahm sie ihn
in Empfang, trug ihn in die Kammer
nnd verschloß ihn sorgfältig in her
Truhe.
Schon den Tag oarans iacn sie
zum Deren Lehrer-. »Was hat der
Franzl geanttvortet?« fragte dieser.
»War er voll Freud-W Leni zog den
Brief aus ihrem Buseniueh und reichte
ihn glückstrohlend hin. Der Lehrer
las und lächelte
»Js a gutes Durst-is Lini. hast
ihm a rechte herzensfreud« g’macht.
Was willst ihm heut’ schreiben?«
Leni wurde blutigrot und zupste
an der Schürze herum. »Da, bös
hab' i g’iaust«, sagte sie verschiiint und
zeigte ein prächtige Pfeife mit einem
Trodhei daran. (
»Jj lieh von Dir, Leni. Und
tvas willst dazu schreiben?«
Das Madel seuszte gar schwer. «J
weiß halt net, was i ha siirhringen
könnt. J tus so gern, daß i ihm
was ichick und niöcht’ auch, has 's
ihm Freud macht. Wann s net Krieg
wär nnd der Franzl net so allein in
her Welt stünd', häii’ i nimmer an
ihn denkt. Aber ’I is halt so an ar
mer Bnaf
»Aus Mitgesiihl tust das, gelii«
fiel der Lehrer ein.
»Es-en deiwegenk
«Fiirs Vaterland, siir einen braven
Krieger, gelt?««
«Eben deswegen« «
»Wie a so sauberer, rechtschaffe
ner Bna ig, geni«
»Es-en deswegen« Mit leisem Seusil
ser kam es heraus. Leni wußt’ net
mehr, was geschah. l
»Am-nun weiß i schon, was i«
schreit-I Werk aus: Mei lieb's
Franzi! Weil wir daheim auch was
sier Vaterland tun sollen, Ioie der
Herr Pfarrer lehrt, schief i Dir al
Pseisem Und weil Du an so armer-s
Bua bist und Dir der Tabat gar so
viel gut schmecken tät aus einer Pfei
sen, die oon mir kommt, so probier’ss
hat amal mit derer. Und warum-I
Dir gut tut, dann blas’ mit jeder
Rauchtvolten a Gruß an mir her andi
denk’ halt sei dran, daß e zum
herrgatt siir Dei' Heimtehr bitt'.
Aber i taxin nix dafür, dös hat al
lein der ledige Krieg oerschuld’t.
Aber wann D« heimlomtnst, weißt,
daß D' a 'treue Seel’ sind’st. Dei’
Leni.«
,,Jesses —- Maria!« fuhr Leni
aus« »So schreit-» net, Herr Lehrer.
Was sollt’ der Franzi von mi den
ten! J müßt’ kni in d’ Seel« 'neitr
schauten-«
Der Lehrer legte begütigend die
Hand aus ihr Haar. »Dummes
Dirndlk Wonne- dir so tm Herzen
is, was willst’s net eingestehent Und
daß dirs so is, weiß i längst. Als
dann gib di drein. Der liebe Herr
gott hat’gs so gefügt. Dent’, daß der
arme Bun jeden Tag vor seinem End’
stehen kann. und du soll man ihm a
rechte Herzenosrend’ gönnen. Meinst
net, Leni?«
Diese sentte demütig den Kopf
und sagte mit behenden Lippen:
«Wann’5 der liebe Herrgott so fügt
und der Herr Lehrer meint —- dann
schicken’s den Brief fort. Aber
net, daß der Franzl unrecht von mi
denkt!«
«B’hiit’z!« Er wird denken, das-.
der himmel ihn net vergessen und
ihm so a llein’3 Hetz’l au gespart
hat, das um ihn bangt Und fröhlich
jauchzt wann er g’funv heimkehrt:
IS net wahr, Leni'i«
«J weiß gar nix«, sagte Leni.
«J bin völlig vamlich.« Und sie sing
an zu weinen, daß die dicken Tropfen
iiver vie «Wangen rannen. Und
schleichzenv saht sie sott: »F niein’ nur
— a schöns- Bussel lönnt’5 noch auf
schreiben, herr Lehrer. . . .und der
Schinlen is noch net ausg’rächert, der
timmt später« Damit preßte sie vie
Schürze vor die Augen und schlich
weinend hinaus
lit It O
Zwei Wochen danach ließ der Leh
rer Leni zu sich rasen. »J hab da
einen Bries«. sagte er neckenv »Rat
amal von tve1n?« Leni schwieg unv
wurde vuderrot. ,,Alsdanii will ich
vorlesen. «Merl aus; Mei lieb’5,
lieW LenH J hab’ gejauchzt, daß d’
Franzmänner drüben im Schützen
graben vor Schreck auf's Schießen
vergaßen. Lenl" Du guts DirndU
J hnb’ niemnlen g’:vuszt, zu was a
Krieg in der Welt gut is. Jetzt
weis-, i’s Du hätt’si nimmer g’incrit,
daß D’ niir gern hastA wann i daheim
g’blieben wör’. Und i hats nimmer
g’merkt, was für a treue liebe Seel’
in der kleinen Lenl steckt. Model,
jetzt siihl’ i’s, i bin Dir so viel gut,
i hab’ Di sv viel gern! Dög weiß
nur unser herrgott, wie sehr! J
dab’ bisher venti, ’S sollt’ nii amal
n Kugel treffen, eher«ini als einen
andern. ioeil i doch teinent zu Rufs
g«wesen. Jetzt aber will i beten
zum himmlischen Llatern droben, daß
er mi b«fchitgt und b’biit’t, daß i
wieder heiinlirnni und mei Leni gern
haben kann. J will jetzt leben fiir
Di. Leni, und d’ Feind z’fannrafchla
gen, daß 's ihr« Lebtag an den Busch
franzl denlen sollen. Du glaubst
net, Leni. wadi für a Freudv in
mir hab'! Und Dei« Pfeifen hab’ i
Lenl g’tauft, dö trag i am Verzeih
wann i in den Kampf geh’. J bin
g’wiß, da trifft mi tei’ Kugel. Dö
ie mei’ Schuhpatron Nun« b’hiit’
Gott, herglieb’s Dirndli B’hiit’ Di
Gott und bet’ aufs Wiederseh’n! Dei
Franzl!«
· Leni stand versunken da. Freude
und Glüd lagen auf ihrem Gesicht,
wie die Maienfonne auf der blnmigen
Wiese. Von ihren Wimpern tropsten
dicke Tränen herab. Der Lehrer trat
zu ihr und fragte leife: »Nun, Leni.
sagst gar nir? Hab' i teinen Gasse-.
lobn verdieni?«
Noch blieb Leni einige Augenblicke
unbeweglich. Dann schlangen sich
kläglich zwei weiche Arme um den
hals des Lehrerj, auf feine Wangen
preßien sich ein paar warme, feuchte
Lippen und freudebebend barg Leni
den glühenden Kopf an feiner Schul
ter.
Jch selbst weiß nicht, wie einem al
ternden Mann zumute ist, wenn so
einjungeb blühendes Geschöpf in fei
nen Armen hängt. Etwas Gu« muß
’s wohl sein, denn der here Lehrer
hielt das Dirndl eine lange Zeit festl
und sagte schmunzelnd: »Dös is auch
schon a Gott’slohn!'« l
Die andere-, se minder-»
Aus den Kämpfen von Sennheiln
Von H. Seliede - Heller Straßburg-.
h Der Tag wollte nicht zur Ruhe ge
en.
Rot und heiß lag er über dem
mächtigen Lamm der slzüdvogefenl
Der breite Kon des großen Belchen
blutete aus tausend Wunden, und
der purpurne Strom floß aus den
spähen des Mottenraing und Roß
derges die Addiinge hinunter, urn sich
im Waldesdickicht zu verlieren
Der Wind. der von Westen über
das Tal fegte, ließ die Soldaten in
ihren vom Regen noch nassen Klei
dern erfchauern.
Schritt für Schritt gingen sie über
der dampfenden Erde, sanken bis:
über die Knöchel in den durch Gram
ten aufgewiihlten Waldboden ein-«
Sie suchten nicht einmal mehr Det
tung vor dem bleiernen Hagel, den
die Franzosen ihnen ans Flinten und
Maschinengewehren nachfandtem
llJlechanifch wurde ein Fuß vor den
anderen gesetzt. Die Glieder schmerz
ten, die Tornister drückten auf den
Schultern. Jnnner weiter ging es
zwischen trdpfelnden Tannenzweigen
und gedorstenen Bnnmsianunen den
Unterständen zu, die den Soldaten
die zur nächsten Ablösung Schutz
bieten sollten
Vorn weg fchritt der Vizefeldwe
del Lüder5, ein Student der Medi
zin, der an Stelle eines toten Leut
nants das Konnnnndo ergriffen hal
te. Mit freundlich aufniunternden
Augen blickte er über die müde
Schar:
»Vorwärts, Leute! Wir find bald
am Zie!!«
Das war ein heißer Tag gewe
sen.
Beim Morgengrauen waren die
Franzosen mit großen Verstärtiengen
herangeriictt, und an den Tressern
ihrer Artillerie hatten die Deutschen
ertannt daß ihre Stellung verraten
worden war·
»Vorwärts, Leute!«
Der Liiders fühlte weder Hunger
.noch Mattigkeit. Ein heißes Fieber
don Daß und Zorn rann durch seine
Glieder Er dachte an die Verräter
und knirschte zwischen den Zähnen:
j.Die Hunde —- die elenden hunde!«
i Er, der frohe Heidelberger Stu
dem, haßte in dieser Stunde dies
Wand mit seinem Nebel seinem Re
:gen, dies enge Tal, dessen Berge ihn
. schier erdrücktem die zerschossenen
Dörfer, in denen jämmerliche Gestal
ten untherirrten. W war alles sc
grau und tot, und er sehnte sich nach
Leben und Wärme.
. Am Ausgang des Waldes lagen
die Unterstiinde. Hn schweren Mas
sen sielen die Soldaten aus ihre
Strohlager. Die erlösende Nacht
war gekommen und sentte sich mitlei
dig über die qnaloolle Erde.
Arn anderen Tag kam Verstärtnng
nnd der Beseht, in der kommenden
Nacht die verlorene Höhe zurückzu
erobern, mochte es kosten, was eH
wolle.
Gegen siins am Abend standen die
Soldaten marschbereit. Jm Wald
hockte dichter Nebel zwischen den
Tannen, der teine lirtundigung iiber
das Gelände zuließ.
Kurz vor dem Erreichen des Ber
ges hielten die Leute still. Es galt,
sich geräuschlos »in den Feind heran
zuschleichem um klyn jäh zu überfal
len. Liidero nnd zwei Soldaten gin
gen voran-, um zu erkunden, aus
welcher Seite die Wachen standest.
Lautlo5, lang hingestreckt pirschten
sie sich zwischen itarrenden Biischen
und.stechenden Zweigen am Berge
hoch. Auf halbe-n Weg gab Lüders
seinen Begleiter ein Zeichen, aus ihn
zu warten.
Es war ein toll-es Wagnis, das ihn
vielleicht das reisen tosten würde;
aber er wußte, ans; davon das Ge
lingen des ganzen Planes abhängen
lonnte.
Er hatte den Mantel abgelegt ttnd
den Revolver zwilchen die Zahne ge
nommen Der itsgeweichte Boden
heftete sich an seinen Kleidern ttnd
Stiefeln fest. Trotzdem rückte er ge
wandt nnd geschmeidig immer weiter
vorwärts.
Nun mußte er bald die ersten Vor
posten erreicht haben. Ein scharfer
Wind blies ihm um die Ohren Er
lauschte gespannt anf, und seine Au
gen suchten die sternlose Nacht zu
durchbohren. Es war nichts zu se
hen. Noch ein Stückchen kroch er
weiter. Und plötzlich stockte ihm der
Atem, und etwas Kaltes rann durch
seine Glieder. Zwei Schritte von ihm
entfernt, so nah. daß er im nächsten
Augenblick ihn hatte berühren müs
sen, stand wie ein schwarzer Pfahl ein
französischer Posten.
Ein Tritt mehr wäre sein Tod ge
wesen.
Gewaltsam raffte er sich zusammen
und meisterte den Schreck, den dtei
jähe Ueberraschung ihm durch die
Glieder gejagt hatte.
Behend wie eine Katze stürzte er
sich auf den Posten, daß er lautlos
zusammenbrach
Du großer Gott das war ihm
selbst hart ans Leben gegangen!
Vorsichtig, wie er gekommen, schlich
sich der Vizeseldwebel wieder davon
und lehrte zu den Soldaten zurück
die ihm aus dem Wege folgten, den
er eben unter tausend Gefahren zu
rückgelegt hatte. Unbemertt gelangte
die Truppe bis zur Stelle, wo der
tote Posten lag — alle Nerven ins
Erwartung gespannt. s
Und dann erfolgte das Signal»
zum Stürmen.
Bortvärts — marsch — marsch! (
Wildes, wütendes Kampfgeschrei,s
Laute, aus den Urtiesen des Men
schen quellend, zerrissen das Schwei
gen der Nacht, daß sie jäh in tau-«
send Scherben zerklirrtr.
Schüsse trachten. Rote und blaue
Flammen loderten grell ans. Men
schen fielen. Und iiber sie hinweg
schritten die Lebenden — durch die
dicke, schwere Nacht —- in allen Glie
dern der brennende Drang, den Feind
zu treffen und zu töten.
Die Kameraden mußten man rä
chen — die vielen Opfer, die der
gestrige Verrat gekostet hattet
Vorwärtg — wie ein Wirbelwind,
der sich über das Land wirft.
Jetzt ging eH Mann an Mann.
Ein furchtbare-J Ringen von Mensch
zn Mensch. Herrenlose Tor-nisten
Käppis, Helme, Säbel bedecken den
Boden. Dazwischen liegen die Ber
tonndeten und Toten. Die roten Ho
sen der gefallenen Franzosen leuchten
wie Blutlachen ins dunkeln Gebüsch.
Und weiter stürmen die Deutschen
s— durch Wald und Nacht —- iiber
Freund und Feind. Die Höhe ist ge
lnommen Das Dorf ist erreicht, das
sam Fuß des Berges sich hinstreckt. Es
lgilt, auch hier den Feind zu werfen.
iuin sich den Besitz der Höhe dauernd
szu sichern.
Der Morgen graut. Zoll um Zoll,
Haus um Haus wird verteidigt.
Aus Dachluten und Fenstern pras
seln die Kugeln. Aber es gibt rein
Zurückhalten Eine wilde Wut, die
der Anblick der fallenden Kameraden
noch steigert, hat sich der Truppe be
inächtigt.
Das halbe Dorf steht in Flammen
Der weichende Feind wirft die(
Brandsackel in die Häuser, dafz sie
den Deutschen tein Obdach mehr bie
ten. Der Wind treibt die Flammen
hin und her. Mauern bersten
Dachftiihle fallen trachend ein. tstin
dicker Rauch steigt aus den brennen
den Gehösten und faßt die Soldaten
an der Kehle.
Aber diesmal sollten die Opfer
nicht vergeblich sein.
Als der helle Morgen seinen Kopf
über den schwarzen Belcheu streckte,
war das Dorf im Liesisz der Deut
l schen. .
i Liiderg schaute durch seinen Feld
sstecher den sliehenden Franzosen nach.
lDann sammelte er seine Leute, um
’sich mit ihnen ein Quartier zu su
chen, während listsatztruppen Dorf
und Höhe bewachten.
Sie gelangten etwa-«- außerhalb des
Dorfes an ein Landhau·3, daH Licht
ani Walde lag und nicht so sehr ge
litten hatte. Ganz still und fried
lich lag es da, ain Berg gelehnt, zun
fchen Tannen und Taxushecken
»Hier, Leute —« Liiderg schaute
sich unt, aber ein Schnfz, der klir
rend ihm den Heini durchbohrte,
schnitt ihni das Wort vom Munde
ab. Und dann folgte in rasender
Geschwindigkeit Kugel aus Kugel.
Wahnsinnig vor Zorn, stiiezte Liis
ders ins Hang —- ihm nach die Sol
baten.
»Die hunde -— die Halunkenl«
Auf dein Speicher fanden sie zwei
Männer —- einen alten und einen
jungen, die durch Dachziegeln geschos
sen hatten. Sie hatten die Gelvehre
von sich geworfen und die Hände ge
hoben. Und der Jüngere jammerte:
«Ayei Wie-, je fuis pere de famille!«
»Kein Pardon«, knirschte Lüders,
der am liebsten die beiden Mörder
seiner fiinf Kameraden mit seinem
Getvehrkolben niedergefchlagen hätte
Jth kain auch die junge Frau mit
einein kleinen Kind und flehte unc
Gnade. Die Herrschaft sei zu Beginn
des Krieges nach Frankreich gezo
gen. Sie hätten dassHaus bewachen
müssen. Dann seien die Franzosen
gekommen und hätten ihrem Mann
viel Geld angeboten. Und sie hätten
ei gebraucht — die Not sei so groß
gewesen.
Liiders hörte lautn zu. Alles Mit
leid war in Haß erstickt.
»Abfiihten«, befahl er kurz, »daß
tvir morgen nicht die Schtoeinerei ini
ganzen Dorf haben.«
Er sah das verzweifelte Gesicht der
Frau, die in Todesangst verzerrten
Gesichter der beiden Männer; aber
:
nichts regte sich in ihm. Er hatte in
dieser furchtbaren Nacht andere und
bessere sterben sehen.
Als es still geworden war, gingen
die Soldaten zur Ruh. Liiders
streckte die miiden Glieder aus ein
Bett aus. Langsam verebbte in ihm
das tolle Fieber von Haß und Rache.
Aber schlafen konnte er noch nicht
Die Sonne schien durchs Fenster.
Das war ihm trie ein Wunder nach
den Greueln dieses Morgens.
Und dann blickte er sich in seinem
Zimmer um. Es mochte einem Stu
denten gehört haben; denn Bücher
Gliiser, Photographien standen um
her. Das heimelte ihn in der un
wirtlichen Gegend doch eitan an.
Plötzlich entsuhr ihm ein Schrei der
Ueberraschung.
Hallo! was war das? Er rieb
sich die Augen und nahm ein Bild.
das über seinem Bette hing, von der
Wand ab. Erst dachte er zu träu
men; aber nein, es stimmte schon.
Das toar dasselbe Bild, das er in
Heidelberg in seiner Studentenbude
hatte. Da stand er selbst mit Fritz
Martin und zwei anderen Freunden
in Nerlarsteinach — über ihnen die
dunkle Silhouette der vier berühmten
Burgen nnd zu ihren Füßen der
Neckar mit seinen lachenden Ufern.
Jrgendein sröhlicher Wundergenosse
hatte das muntere Bildchen auf einem
Studentenanssiug aufgenommen
Erregt wandte er die Photogra
vhie um und las: Souvenir de mon
preinier seniestre is Heidelberg. Juillet
1913. Fiederic Martin.
Jrederic Martin, so nannte er sich
hier; aber in Heidelberg· im frohen
Studentenlrei5, hieß er nnr der Fritz.
Ein lieber Geselle war er gewesen —
immer der erste, wenn es galt, einen
»Streich anszuherlen —, ein guter
zLautensänger mit einem Schatz voll
der tollsten deutschen und französi
schen Lieder. Ein Franzosentopf mit
einem warmen, überfprudelnden Her
zeu.
Sie waren gute Kameraden gewe
sen« Hatten sechs Monate zusam
men gezecht nnd geschwärmt. Gott,
wie weit die Zeit zurücklag —; die
Zechereien im Pater-, die Bummel
zur Mollentnr, die melancholischen
Mondnächte im Schloßhof, wenn die
Mandelbänme blühten nnd dnste
ten . .
Nun lam es Lijders auch wieder in
den Sinn, daß Martin oft vom
Landhaus seiner Eltern erzählt hatte
es läge so schön zwischen Wiese nnd
Wald in der Nähe des alten Städt
chens c-. Er hatte ihn auch einmal
dahin einladen wollen. Aber dann
war Martin nach Straßburg ans die
Universität gekommen. und die Einla
dnng war ansgeblieben.
Und jetzt lag der junge Mediziner
im Zimmer seines Kameraden, nnd
in dem Haus, das ihn als Gast hätte
sehen sollen, war nach ihm geschossen
Hwordenl Driiben zwischen Martins
zBiichern stand fein durchschossener
Helm. Wie seltsam launisch und nn
»berechenbar das Leben doch war!
Wo Fritz jetzt nur stecken mochte?
Jn Frankreich. So verhielt es sich
wohl. Aus dem einstigen Freund war
ein erbitterter Feind geworden.
Eine tiefe Wehmut schlich in das
Herz des Studenten. Er gedachte
eines Liedes, das er oft im frohen
Kreise mit den Kommilitionen gesun
gen hatte: »Die einen, sie weinen —
Die anderen, sie wandern —- Jn
Lust nnd in Leid —'·
Die anderen« sie wandern. Zu
diesen anderen hatte Fritz Martin ge
hört.
Noch eine Weile zog vor Liiders'
Blick Erinnerung cm Erinnerung
Dann aber, weil er sehr miide war
schlief er ein: schlief ohne Träume
sechs volle Stunden, bis die Wache
ihn weckte.
Und als er aufwachte, vom Raben
erquickt, dehnte und reclte er die jun
gen Glieder. Der Säbel klirrte in
der Scheibe. tfr war wieder der
Soldat, den es zn neuen Taten
drängt.
-
—- Villigeg Verlangen.
Gast lznm stellnen der eben einen
Braten auftrng): »Du sollten Sie
aber doch wenigstens gleich eine An
weisung mit nnftragen, wie man die
sen Knochen etwas Fleisch abgewin
nen lann.«
—— Immer Fachmann A.:
.,Sind alle acht Töchter des Herrn
Reddmann von so tndellosem Aut
ßeren wie seine beiden ältesten?«
Zigarrenhiindlert »Nein, es sind
einige Feblsnrben batnnter.« s
— Sein Traum Jolsn
Ballen witd’s am Kannl so brenzlich
daß er mit seiner Insel nach dem
Mittelländische-n Meer gondelL
—- Drncksehler. Mit Schrei
ten bemerkte der dictte Studiu, daß
er sein ganz-s Vermögen verbraucht
butte. Z