Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 19, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

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    I Staats— Anzetger und J cerold
Sonntagsblatt des
—
qu dIMzIsfk
.-—;
sie p- is gis-sm- iu ist-i
ser Zeit tut-seht -
M. Th. V. iTakota Volkszcitttng.)
Die Namen meiner russischen CL
kvährsmänner mögen Reduktionsge
lseimnis bleiben. Seitdem ich auf
bulgakischem Boden weile, ist es mir
gelungen, mit meine kussifchm Quel
len allmählich wieder zu etschließem
vie mich Jahrzehnte hindurch in Pe
tetsburg joutnaliftisch gespeist haben
und nur während der jüngsten
Kriegt-nannte versiegt warm. Und
weder der Monaten-schen Gent-atme
tie, noch der Sfuchomlinowschen Mi
litåjtzenfur gelingt es, diese jeyt wie-:
der floftfließenden Nachrichtenbächs
lein zu unten-india
Jn den Zorenlanden sieht es ge
genwiirtig keineswegs so aus, wie ei
uns die russischen Amtstetegramme
und Dreiverdands - Druckeeschwiirze
glauben machen möchten. Längst
vertraute Nachrichten und Stim
muugsbilder sind es, die mir hier
jetzt aus Russland zugehen. Wenn
meine rufsischen Gewährsmiinnee mit
er öblen, wie Jntrige, Genußsucht
und Volksgroll sich in den gegen-ritt
tiaen Zeitliiusten zu einer echt eufsi
schen Sinfonie vereinigen, so erin
nere ich mich, dieses wenig liebliche
Tonstück schon 1905 in Russland
gestört zu haben Wie sagte doch der
Graf Kototozow vor Jahresfrist in
einer seiner Dumaredem »So war
es und so wird es bleiben in Nuß
tond.«
Man hat lürzlich viel vom
General Rennentatnps gesprochen,
den der tommandierende Großfürst
vor ein Kriegegericht zu stellen ge
denke. Man hat auf die Minute ge
nau ausgerechnet, unt wieviel Stun
den zu spät dieser General mit seinen
Truppen das Schlachtfelb betreten
und dadurch angeblich den Rufsenring
nicht rechtzeitig habe schließen lassen.
Mag sein, und wir wollen uns mit
strategisch - tottischen Fragen hier gar
nicht weiter abgeben. Ader vie we
nigsten wissen vielleicht, daß die- jet
zige Autschaltung des Generals Ren
nentamvf eigentlich nur den Schluß
att seines Jntrigenstiickes ausmachte,
das schon seit Beginn des Krieges
spielt. Ueber den diisieren Großföp
sten wird die Weltgeschichte später
viel Jnteressantes und wenig Erbau
liches zu erzählen haben. Der Mo
nomachos - hut läßt ihn seit Jahren
nicht schlafen. Jn einem Reiche, wo
die Herrscher nur selten eines natiiri
lichen Todes sterben, gibt es Raum
genua siir einen Kronenjiigen der
das Herrenmenfchliche über das Sitt
liche stellt —- und Nitolai Niiolaje
witsch glaubt genügend Ueber-umsch
tum in sich zu fühlen, um früher oder
später Ritolai Alexandrowitsch die
Krone zu entreißen. Der zweiten
Katharina genügte ein einziges Gar
dereginient, um den-blutigen Thron
zu besteigen; der erste Aiexander be
nutzte dazu gar nur einige wenige
Höflinge und Qfsiziere. Jn unserem
Zeitalter der Konzentrationen und
Massenaufgebots müssen Arm-ern
herangezogen werden, wenn man den
Krönungszug nach dem Mostauer Us
reimt-Dom antreten will —- siegrei
che Armen, die den Lorbeer ihres
Führers mit dem giildenen iirftens
reif schmücken. Mit diesen danken
hatte der Großfiirst.schon im Juni
dein schwächlichen Zaren die ersten
versteckten Mobilisierungibefeble ent
rissen und mit diesen Gedanken ist er
in den Krieg gezogen
I
rem, teiseaibi
Diesen Ausgangspunlt dars man
nie und nimmer auszer Acht lassen,
wenn man die Vorgänge in Russland
esstig bemerken nnd inbezug auf die
nächste Zukunft richtig .einschiitzen
will. Der russische Generalissirnus
tämpst urn Leben und Krone: ter
Kriegsschiusz wird ihn als Zaren oder
als toten Mann sehen. Und weil er
das weiß, sieht er in seinen Untat-e
sehlihabern Armeesiihrer und Kö
nigirnucher zugleich· Jn General
Rennentamps glaubte er eine Zeit
lang einen seiner besten Adepten ge
sunden zu haben: ein schier trantitass
ter Ehrgei wohnt dem General inne,
dessen riick tchtsloses Wollen im umge
tebrten Verhältnis zum ernsten Kön
nen steht, und ich erinnere mich wohl
dass man schon im vergangenen Früh
jahr, alt die ersten Sturmeszten sich
zeigten, in den Petersburger Ossis
zierslasinos sich ge efenseiti zuraun
te General Rennen amps abe in ei
ner — bei ihm nicht seltenen —
Weinlaune gemeint, er würde nach ei
nein siegreichenskriege das N aus seinen
Generaladsutanten - Epaulette mit
einer Drei, anstatt wie bisher. rnit
einer Zwei zu schmücken beben.
Zwei Irnieesiihrer waren es na
mentlich dte dem Kronenlttsternen
einen Vorn irn Auge ansin en:
Sscmsenetv und Jst-anon
WMrnln italWespen-lett
d dabei
ernste QMW Manrtnnns
tetn Ruf, die man im Etnsifalle nicht
ausscholten konnte, wollte man nicht die
öffentliche Meinung und weitere mi
litäeische Kreise vor den Kopf stoßen.
Der Gkoßfiiest gab ihnen Atmeen,
als aber General Ssnmsonow seine
Natelv - Armeen in der ehernen Um
llammexung hindenbutgs ersticken
seh und flehentliche Blicke nach Jn
stekbutg richtete, wo ver Großsüesi
mit sechs Renneninmpfschen Armee
lotps tatenlos dastand, da schickte
Nitolai Nitolnsewitsch auch nicht ein
einziges Bataillon dem verblutenben
Ssamsonow zu hilfu er opferte lie
ber die ganze Narewaeknee, als daß
er den derhnßten Widersacher ret
tete. lind der arme Sfamsonow ruht
denn auch in einem der zahllosen Rus
sengriiber an den masurischen Seen.
Was wird noch dem General Iwa
now erblühen. der jent Nußlands
-siidwestliche Grenzen gegen den An
prall der Deutschen und Oefterreicher
zu schützen hats Wird auch seine letzte
Stunde schlagen? Der Großfiirst
ist ein erbarmungslofer Lassen Als
Rennenlampf sah, daß des Großfiiri
ften Kriegslunst schmählich versagte
daß diesem die Zarentrone vorerft
entfchliipfte. beging er die große
Unvor,sichtigteit, in Freundeskreier
lich darüber auszulassem einige un
gweideutige Worte nach Petersburg
gu richten — und er hatte damit feine
Rolle ausgespielt: er ist der Jntrige,
die ihn zum Armeefiihrer erhoben,
nunmehr auch zum Opfer gefallen·
» Auf Rennentanrpfc Glück »und En
de glaubte ich um deswillen etwas ge
nauer eingehen zu müssen, weil diese
iErziihlung überaus charakteristisch
ist site die Vorgänge, die sich gegen
Iwörtig in Russland abspielen, weil
sie uns gar manches erklärt, wovon
ich jent aus Russland Kunde erhalte·
Die russifchen Vorbedingungen nnd
Beweggründe für den gegenwärtig
stobenden Krieg hatten von vornherein
»mit einem wirklichen nationalen Sol
len nnd Müssen nichts zu tun, wie
idenn überhaupt das Zarenreich seit
des ersten Napoleon Einbruch noch
nie« einen national berechtigten Krieg
geführt. Und so mufzte er nuch dies
mal -- wie noch jeder Krieg vorher
—- unpopuliir bleiben. Immerhin
so lnnge die ruffischen Truppen an
geblich auf Berlin zu gingen, hatte
die garifche Regierung leinen Grund,
die Folgen dieser Unpopularitöt zu
befürchten, denn selbst künstliche Sie
geslorbeeren berauschen. Anders wur
de ee jedoch, als Berlin immer wei
ter von den ruffifchen Armen-. zurück
blieb, nle bolnifche Schützengräben
die Russenleichen nicht mehr zu fassen
vermochten. Und«heute beginnt in
den weiten Rufsenlanden eine gefah
renschwangere Erniichterung Plan zu
greifen ——- dies wird übereinstim
mend aus allen immelsrichtungen
des Zarenreiches mitgeteilt. Der re
voltierende Vultan, aus dem Nuß
land seit einem Jahrzehnt steht, läßt
wieder ein unterirdisches Grollen ver
nehmen, und jedwede Schlappe, die
die russische Kriegsfiihrung erleidet
macht dieses Grollen deutlich grol
lender. Allein in der ersten Hälfte
des russischen Novembers sind dort
gegen 400 Verhaftungen von der
Gendarmerie ipolitische Polizei) vor
genommen worden -—— eine Zahl, die
man drüben seit dem Kriegaubbruch
nicht mehr gekannt. Bei der Bil
dung der neuesten Reserveformationen
in den Militärbezirlen von Wilna
Kiew und Odeffa ift man von behörd
licher Seite aus neugebildeie Orga
nrsotionen des heruchngten Wannny
Ssojus gestoßen, der vor neun Jah
ren in den Militiirausstönden von Se
dastopol, Kronstadt und Stvenborg
gesilhrt hatte. Jn den Festungen von
Kowno und Grodno hat man eine
sehr große Anzahl von heimste-nistet
.ten Ausrufen des revolutionären
lVerbandes beschlagnnhmt, die mit
»den Worten schließen: »Entledigt
Euch Eurer -Ossi4iere, die Euch Euer
Blut siir Ränte der Zarensninilie
vergießen lassen wollen!« Bei den
türzlich verhcisteten neun Dama
mitgliedern der sozialdemokratischen
Partei hat man unter anderem den
Entwurf eines Ausrusö an das rus
»sische Voll gesunden, worin es heißt:
;»Genug des umsonst vergossenen
Vollsblutest Jeder russische Sieg
würde eine neue Kette siir das ge
tnechtete Ruszland bedeuten«
Noch ein anderes Symptom läßt
mich vermuten, daß die russische Re
gierung eine aufsteigende innere Ge
ssahr wittert und das altrussische Ven
Itil zu Zssnen gedenkt: die zunehmen
lde, anscheinend planmäßig vor sich
ehende Juden-, Ostseedeutschem und
innenbetr. Die erste Zeit des jet
zigen Krieges hindurch schien dort
eine Art Vurgsrieden zu herrs .
Matlolonp selbst, dieser lletnlichste i
lettant, den Russland unter seinen di
lettierenden Ministern e gesehen, hat
te irn Ins-g Etat-e rodtnjgpuvets
nenre durch uds reiben ausse
sordeet« ,tn der Ante uns der gel
ienden Gesetze gegen Juden und an
detsgläubige Christen Mäßigung
Jwalten zu lassen«; eine ähnliche Di
Ztettive wurde mündlich nn den sinn
löndtfchen Generalgouverneur Ge
Tneral Sehn bei dessen Septemberbe
Hsuch in Petersbukg vom Jnnenmini
jster erteilt. Aber schon Anfang Ok
stober erfolgte eine Wendung. Melk
jschitvtm A. «Stolypin, Glinta und wie
Wie anderen sonst noch heißen m" en
Idie vom Petersburger Amtstrog ehe
»reichltch gefüttert werden und sich ten
anhnlt ihrer Zeitungsaussähe aus
dem dortigen Polizeidepnrtement je
)den Tag holen, ver-fielen nicht nur in
sihren alten Ton gegen Juden, Ostsee
sdeutsche nnd innen; sondern ver
Isuchten darin ich gleichsam selber zu
iibertrefsen Seit einem Vierteljahr
hnndert zwingt mich mein Beruf, den
Dust russischer konservativer Zei
tungsjauche ein paar Stunden täg
lich einzuatmen, aber wag die mir
jeht zugehenden russischen Tagesbläts
:er vom Kaliber der Nowoje Wretnja
an haß, Denunziation und Blutgier
gegen neprawoslawnyje Untertanen
des Zaren allnummerlich zutage
s·o·rdern, grenzt schlechterdings an ci
nse Psychosr. Der berüchtigte Rennii
iow ist nach den russisch - baltischen
Provinzen entsandt worden« von wo
aus er jeht jeden Tag ein —- wohl
sehr gut rentierendei Engrosgeschäit
in Denunziationen betreibt, «die die
Notvoje Wremja sorgsam registriert.
A. Stolhpin, der unanständige Bru
der des anständigsten«Ministers, den
Rußland je gehabt, führt auf densel
ben Hehgebieten eine Sprache, die
selbst den Besucher einer Petersburger
echtrussischen Teebude erröten machen
muß. Der brave Glinla verlangt
lurz und bündig die Verbannung al
ler Ostseepovinzler mit deutschen Na
men nach den sinnischen Bergwertem
während der nicht minder brave Pu
kllchkktvlksch neulich anempsohlen hat«
alle Deutschen, Finnen und Juden in
Russland ohne Unterschied in Alter
und Stellung zum Bau von strategi
schen Bahnen und Straßen hinauszu
jagen. Und diese gedruckten Worte
scheinen sich nach und nach zu deutli
chen Taten zu verdichten: die nnr hin
zugegangenen Berichte meiner Ge
währsmänner verzeichnen während
der jüngsten drei Wochen nicht weni
ger alil 27 Judenp rome in Russisch-«
Polen, den westru ischen Provinzen
und dein Kiewer Generalgonverne
ment; das; solche binnen kurzem in
Witebst, Mem Odessa, Winnisza, Ki
schinew und anderen Orten bervorste
hen, sollen die betressenden Gou
verneure bereits amtlich nach Peters
burg mitgeteilt haben — ob um den
Minister von ihrer Arbeits-willigten
zu überzeugen, lasse ich dahingestellt
sein. Der Präsident des sinnländis
schen Abgeordnetenhauses ist aus »ad
ministrativetn Weg« siir die Dauer
des Krieges nach Sibirien verbannt
worden; das gleiche Schicksal scheint
nicht minder als 42 baltischen Ritter
gutebesitzern russischer Staat-sange
härigieit bevorzustehen, über deren
Nichtwohl und Weh gegenwärtig in
den Petrograder Amtsstuben ver:
handelt wird.
Der akademischen Jugend, dieser
Phalanx russischer Vollenusstände
glaubt man diesmal sicher zu sein
seitdem das vor Wochenjrist zur Aus
führung gelangte neue Gesetz sämtli
che Studenten ohne weiteres den
Kriegsschulen überwiesen bat — we
niger um dem zur äußersten Gefahr
ewordenen Ossizierömangel abzu
lsen, als um diejungen Brause
ropfe damit m die Zwang-innre zu
stecken. (Wie rigoros man übrigens
nach dieser Richtung hin verfährt, be
weift die mir zugegangene Meldung
daß aus dem Peterkburger Polytechs
nilum allein 2,653 Studierende des
Offizierjpreffe überliefert worden
sind.) Auch die Arbeiterschaft hat
der Regierung noch keine or
dentliche Angst eingeflofo sie ver
blutet jetzt, als Opfer nilvlaitischei
anenschwäche und nitolaitischer Ge
lüfte aus den Thron, auf den großen
Schlachtfelde-m von Polen und Ga
lizien. Der Bauer, sagt nmn dort
ferner. hat feine Jugend nach dem
Kriegsschauplaß gesandt, der Städte
feine Söhne und jungen Brüder. Wes
soll da die Aufruhrfnhne schwingen
fragt selbstgefällig der betreßte
Tfchinownit.
Wer? Der Schüsengmbekn ant
worte ich darauf. Jene russifchen Ar
meemoffen, aus deren Mitte erst vor
zwei Wochen im Bereich eines einzi
gen Korps 17 Unteroffiziere und Ge
meine in aller Stille «revvlutionäte1
Umtriebe wegen« dem Denker über
liefert wvrden find. seh hin im Be
siie einer Reihe von achrichtem von
beklaubigten Na richten, die mich
diese —- an sich r ein wefteueopäii
schei Ohr unglaublich flingende —
Behauptung auffiellen lassen. Uns
ich werde mich demnächst bemit n«
Mc Behauptung restle zu hegä n
Häutung-bitt aus einein
) Briesilamrtett i
’ Das folgende lebensfkische Schrei
ben ist Deren Dr. Bernhard Dem
bnrg, dem früheren deutschen Rola
nialsetretär, von feiner Tochter, die
»als freiwillige helferin in einem
iKriexzsslazarett sich betätigt, zugegan
gen:
- Grunewald, 16. Januar 1915.»
Geliebte-: Vater-:
heute bin ich schon um drei Uhr
aus dem Lazatett gekommen, und be
knutze den freien Nachmittag, wieder
an Dich zu schreiben.
Von unserer Tätigteit als altive
Helferinnem glaube ich, weißt Du
noch garnichts. Seit dem Ersten
tannst Du jeden Morgen um sieben
Uhr zwei Delierinrken in vollendeter
Tracht im Laufschritt nach dem ha
ienseerbahnhof gehen sehen. Es ist
stets noch duntei, wenn wir ausriieken,
und osi bitter naßtalt, wir nehmen
stets unserm bestimmten Zug und
sind Punkt acht Uhr dreißig auf dem
Bahnhof Friedrichsstraßr. dann ha
ben wir noch zehn Minuten zu lau
fen. Es ist ganz hell geworden, und
alle Menschen stürmen an uns vorbei
zu ihren Geschäften. Schon von wei
tem leuchtet uns die große Rote
Kreuz-Fahne entgegen. Es ist ein
ziemlich großes, mittelalterliches
Haus, mit einem großen Flur, wo
ein Riesenschild hängt: »Reserve-La
zarett Seel und Bole Wenn wir
tlingeln, schlägt es meist DreioierteL
Ein Soldat öffnet, in seinem saube
ren blau und weiß gestreisten Laza
rettanzug. Meist hat er in der Hand
einen Besen oder eine Schippe. Nach
allgemeinem händeschütteliu denn so
wie sie die Kiingel hören, kommen die
Frühaufsteher sämtlich aus ihren
Zimmern, begeben wir uns eine Eta
ge höher, um abzulegen Dann geht
jeder zu seiner Stube. Leider liegen
sie meist noch im Bett, —- dann ver
suche ich ein sehr böses Gesicht zu
machen —- es gelingt mir aber nie, —
denn alle fünf biirtigen Gesichter ver
schwinden verschämt bis über die Oh
ren unter der Bettdecke. Nach einer
Nutzen, lautlosen Wette kommen
zehn Beine zum Vorschein, — und
befriedigt von meinem Resultat, rufe
ich nur noch »Guten Morgen aller
seits, in siinf Minuten tomme ich
wieder.« Dann verschwinde ich, um in
den anderen Zimmern Visite zu ina
chen. ·
Aber ich muß Dich noch mit mei
neu fünf speziellen Landwehrmiinnern
bekannt machen. Sie haben ohne
Ausnahme im Osten gelämpft und je
der eine nicht zu tnappe Wunde da
vongetragen Schwere Arm- und
Beinschiisse, die wir Gott sei Dank so
weit haben, daß die Wunden nicht
mehr eitern nnd sich wildes Fleisch
zu bilden anfängt, — das Verbinden
ist aber manchmal noch schmerzhafter
wie eine Operation. Jm Durchschnitts
sind sie alle fünfundvierzig aber lieb
nnd dankbar wie die kleinen Kinder
Draußen auf dem Flur begegnet mir
die kleine Nachtschivester in ihrer gro
ßen weißen Kleiderschiirze und Hau
be, sie hat eine ganz helle hohe Stim
me, und redet wie ein kleiner Wasser
fall. Sie hat ihre eigene Art, mit
den Soldaten umzugehen, die ich sehr
komisch und niedlich finde. Wenn sie
mit den Leuten spricht, nimmt sie
den erzählenden vorzaubernden Ton
einer liebenswürdigen Kindergärtne
rin an, die um sich eine Zahl Jun
gens von drei bie- fiinf Jahren hat
und ihnen etwas erzählt, worauf sie
sich recht besonders freuen sollen. Vor
Weihnachten vom lieben Weihnachts
mann, der all die schönen Sachen
bringt — vor Ostern vom Osterwo
chen mit den vielen bunten Eierchem
— zum Schluß wendet sie sich immer
an ihren besondern Liebling, einen
lleinen duntetn Menschen, mit stillen
deutschen Augen, einem sträubenden
tartarischen Schnnrrbart und einem
tadellos pomndisierten Scheitel: Und
nun heintelchen, mein Herzenstind,
freuen Sie sich mal tüchtig. Bei die-«
sen einschmeichelnden Reden ist es im
mer mein größtes Vergnügen, die
biirtigen, pfiffigen Gesichter zu beob
achten, die halb mitleidig. halb amii-«
siert, mich ansehen und doch beifällig
dazu gransen Dann verschwindet sie
nitt ihrem großen Sammeltorb, denn
dies alles geschieht beim Austeilem im
nächsten Zimmer· Sie hat für jeden
ein freundliches Wort und überall
ist sie beliebt.
Wenn ich also meine Visite been
digt habe und nach ausgemachten fünf
Minuten in mein Zimmer komme, sind
sie alle fix und fertig nnd fünf große
braune Männerhiinde strecken sich mir
entgegen, sie wollen das lange Malen
sen wieder gut machen. Jest kommt
vom ant herunter eine große
blaue S rie, die iiber die weiße ge
hindert toter-, und das steinern n
»Ist los. Das erste: das Fen er
weit aus und srische Luft rein lassen.
Dann machen zwei ihre Betten und
betätigen sichs während ich einem wa
schen heise, Stiefel zumachen u. s. w.
Dann kommt ein Eimer mit Seifen
lauge, das Zeichen, daß alle ver
schwinden sollen, denn teinemachen
muß ich in aller Ruhe, und nichts
wnn es geht: »Schwester dies,l
Schwester das.« Sie verschwinden»
nur sehr ungern und langsam, denn
sie wissen, daß ich auf eine gute
Stunde nicht zu sprechen bin. Sie ha
ben mir alle so viel zu erzählen, vom
Kind-Konzert, von ihren Bxiefen und
Gott weiß was. Wohl zehnmal schiebt
sich immer ein anderer Kopf durch
die Tür und als abweisendes Zeichen
hebe ich nur meinen Scheuerlappen.
Jch beeile mich immer sehr-, um
noch ein Stündchen fiir sie übrig zu
behalten, denn von elf Uhr ab wird
operiert. Da müssen vorher schon
Berbiinde gewechselt werden, Instru
mente ausgekocht und sterilisiert sein.
Aber auch ein sehr wichtiger Moment
ist das Frühstüaem denn manchmal
vierzehn Stunden Blut sehen auf lee
ren Magen, ist ein Ding der Un
möglichteit, auch das stete Einatmen
der von Aether geschwängerten Luft
macht schlapp und müde. Den Re
tord an einem Vormittag haben wir
mit fünf Operationen geschlagen,
schwere Briiche, Entfernungen von
Kugeln u. s. w. Danach ist man
aber auch, als ob man selber in Nar
tose gelegen hätte. Denn es ist nicht
nur das Stehen und Zuguclen, son
dern man muß angestrengt auspassen,
um im richtigen Augenblick Instru
mente rasch reichen zu können. Wir
haben liebenswürdige Aerzte, die gerne
erklären und belehren. Sie sind
menschlich mit den Patienten und be
handeln sie mit Achtung und Freund
lichkeit. Jch muß sagen, ich habe
mich riesig schnell gewöhnt, Tratttiges
und Zerfleischtrs zu sehen. aber mein
her-z hat doch mächtig gepuppert, wie
ich die erste Riesenhand vom Verband
frei machen sollte. Am liebsten wäre
ich gleich davon gestürzt, aber Scham
vor mir und den prüfenden Gesich
tern ließen mich nicht los, —- es war
aber auch zu fürchterlich. und tein
Mensch, der es noch nicht gesehen hat
macht sich eine Vorstellung davon.
Seitdem kann ich alles sehen, —
wenn ich auch oft innerlich furchtbar
darunter leide. Man sieht schließlich
nicht mehr den Menschen, dem man
weh tun muß, sondern man lernt mit
dem ärztlichen Auge sehen, was einein
selber und besonders dem Patienten
sehr zu gute kommt.
Nach dem Verbandwechsel sind sie
alle treuzsideL denn es ist Aussicht
aus ein wirklich gutes und reichliche
Mittagessen. Herrgott, was geht in
so’n Soldatenmagen, besonders un
geheure Mengen Kartoffeln. Wenn
wir unsere Operationsmäntel auszie
hen, ist es meistens vier Uhr nach-att
tag5, dann gehen wir noch runter, um
die Verbrennungen. die von der Bi
site des Dottorg her geblieben sind,
zu vollenden. Unten auf der Treppe
sihen sie dann meist alle und richten
Lgespannt ihre Augen aus uns, es wäre
"doch zu interessant, wenn eine inal
bleich mit grünen Rändern uin die
Augen und etwas wanienden Schrit
ten die Treppe heruntertäme. Etwas
enttäuscht fragt ein und der andere:
»Na, Schwesterchen, gehts ihnen noch
gut?« Die Antwort lautet sit-r sie
unbesriedigend. Dann gehts ans Ab
schiednehnien und es werden dann
noch unzählige Karten an die herzul
lerliebste Marie, Martin Rlnra u. s.
w. in die Hand gedrückt. Einmal so
gar war ich mit einundztvanzig
Mann im Zirtus Sarasani. das Ent
zücken iannst Du Dir wohl augmalen
Neben ntir saß BursiuS, unser Atro
hat, der mit sachmäunischen Aus-«
drücken jeden halsbrechenden Schwung
und Sprung am Trapez erläuterte
,,Sehen Sie, Schwester, die Arbeit
da oben och.« Er wußte, wieviel je
des Tritot kostete, und wurde mit
jedem Kunststück unruhiger. Mir
puppert gar das Herz, er wurde or
dentlich melancholisch. Am nächsten
Morgen habe ich sie alle ausgesragt,
vie Eindrücke waren sehr verschieden,
und die Urteile originell. Heute sollte
ich durchaus mit ihnen in den Kind,
aber das regnetische Wetter hat mich
davor bewahrt. Jch mache ihnen ja
herzlich gern eine Freude, ebenso aber
hasse ich es, mich unnötig in Verklei
dung aus der Straße zu zeigen. Wir
haben Helferinnem die das herzlich
gern siir mich tun. nur wollen es
dann die Soldaten nicht. Wenn wir
um sechs Uhr nach Hause fahren, nicke
ich meistens in der Bahn schon ein.
Das etwas sehr verspätete Mittagbrot
schmeckt nur manchmal, am schönsten
ist das weiße Bett. Es ist sehr an
strengend, aber auch kolossal befriedi
gend, und ein sreier Sonntag ist eine
herrliche Aussicht
Nun weißt Du doch, womit wir
die Zeit hinbrinaem und daß wir
nicht ganz müßig sind, — und es
wird Dir leichter, unser Leben zu
verfolgen.
Jch nmarme Dich in Liebe
Stets Deine Feiederike.
Belgischc Klage.
Einer der bedeutendsten Finanzmiin
net Belgiens, Ernil Francqui. schleu
dert in ven »Times« den Engländekn
die Empfindung großer velgischer
Kreise ins Gesicht: ,,k-·ieven Achtel der
belgischen Bevölkerung befinden sich
nocy im Mutietlanbe. Umgehen Don
den iämpsenden Heeren, abgeschnitten s
»von allen Verbindungsmegen, unter
stehen die Belgier den Bestimmungen
des deutschen Generalgouverneurs.
Nach den Gesetzen der haager Kon
vention braucht eine seindliche Ottus
pationsarmee nicht für die Ernährung
der Bevölkerung in den besetzten Ge
bieten zu sorgen. Hilfe tonnten wir
allein von unseren Freunden erwar
ten, da wir nicht imstande sind, uns
selbst zu ernähren. Und was ge
schah? Ihr Engländer behauptet, uns
nicht helfen zu tönnen, denn uns hel
fen hieße den Feind unterstützen; ihr
behauptet, den Hafen von Antwerpen
bloctieren zu müssen, da sonst der
Feind seinen Vorteil daraus zöge; ihr
behauptet, uns nicht einmal Geld sen
den zu können, da es in die Hände
des Feindes fallen würde. So haben
Deutsche, Franzosen und Engländer
ein eiserneg Band um uns geschwie
det. Kein Belgier kann ohne Er
laubnis der Kriegfiihrenden das Land
verlassen, teiner es betreten und so rou
ren sieben Millionen Menschen der
größten Not ausgesetzt. Dies war
unsere Lage durch euer Wert! Da
wurde unter dein Vorsitz des ameri
tanischen und spanischen Botschasters
eine Hilssattion in Szene gesetzt, die
unser Volk vor dein Hungertvde be
wahrte; unter amerikanischer Flagge
gingen uns Lebensmittel zu: Jhr
Engländer habt geruht, im Namen
der Menschlichteit diesen Jinport nichi
zu verhindern. Aber was tat
D e u tschla nd? Deutschland ver
sprach, daß auch nicht ein Körnchen
dieier.G.abe von seinen Trupp-en be
schlagncihnit werden würde, und es
hat in der nllerpeinlichi
sten Weise sein Verspre
chen gehalten. So ist dnnk den
Bemühungen des Hilfstomitees und
unserer Feinde das belgische Voll
fiir einige Zeit vor dem Schlimmsten
bewahrt worden· Aber wenn ihr auch
weiterhin aus eurem Standpunkt be
harrt, dann sind tvir dem Hungertode
preisgegeben«
peksadtlichtei Stunden-nisten
Städtische Bälle bei verschiedenen
festlichen Vlnlässen sind ja schon in
einer Reihe amerikanischer Städte
veranstaltet worden; viel seltener sind
ständige Tanzhallen unter unmittelba
rer Kontrolle der Stadtvertvaltung
und in vielen Fällen scheiterte ein
derartiger Plan an den Kosten für
die Halle.
Vielleicht die beste Lösung dieser
Frage hat Redlands, in Südtalifori
nien, gefunden, freilich unter huld
voller Mithilfe des Wettergottes· Die
Stadt hat den ganzen Sommer
1914 Tanzvergniigungen, eines je
den Monat, mit großem Erfolg ge
geben. Der Ballsaal bestand ade
einsach aus einem Geviert asphaltieri
ter Straßen, welches zu diesem Behus
mit Tauen abgesperrt wurde, woraus
man den Boden leicht mit Maisi
Mehl besprenlelte. Musik wurde von
der städtischen Kapelle geliefert; nnd
die geringen Unkosten für das Maiss
Mehl und die Zuschauerbänle lvurden
durch Subftription aufgebracht, und
zwar ausschließlich bei den Ge
schästsleuten
Dem letzten Tanzvergniigen der
Saison wohnten reichlich 4000 Perso
nen bei. Eine halbe Stunde, ehe die
Straße fiir das Publikum geöffnet
wurde, boten berufliche Tänzer und
Tänzerinnen Veranschaulichungen der
neuesten Tänze. Alles wurde vor
züglich geleistet und verlief so ord
nungsgeiniiß ivie nur irgend ein der
artiges Vergnügen in einem priva
ten Heini. Die zahlreich aufgebotene
Polizei fand in dem offenen »Poli
saal« weiter nichts zu tun, als sich
gleichfalls nach Herzenslust mitzu
vergniigen. ,
—- Aal bla u. Gast: Ober, ge
ben Sie mir eine Portion Aal!
Kellnen Vielleicht Aal blau?
Gast: Jst mir egal, ich bin farbens
blind.
— Mißverständnis. Som
merfrifchler (der sich gern wiegen las
sen tniichte): Na, erlauben Sie mal,
aus der Bie wage werden Sie mich
doch nicht t- en wollen? Das geht
doch unmöglichl
»O B gest fchonz auf der Wage
wiegen tote a die größten chenk